Ulli Olvedi - LSD-Report

August 5, 2017 | Author: spiritsnake | Category: Drugs, Medicine, Wellness
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Ulli Olvedi, Jahrgang 1942, arbeitet als unabhängige Journalistin in München. LSD-Report ist nicht einfach ein Drogen-B...

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Suhrkamp taschenbuch 38

Ulli Olvedi, Jahrgang 1942, arbeitet als unabhängige Journalistin in München. LSD-Report ist nicht einfach ein Drogen-Buch, vor allem keines, das sich gegen Drogen wendet. LSD-Report räumt Vorurteile aus, Vorur­ teile über das Gefährliche und Suchtmachende der Halluzinogene, aber auch über die Szene, in die der Drogengebrauch, namentlich der von LSD, eingefügt ist. Themen sind deshalb neben Geschichte, Herkunft und Pharmazie der Halluzinogene psychedelische Literatur, Musik, Malerei ebenso wie die neuen religiösen Bewegungen der Jugend und die Haltung von Staat und Gesellschaft gegenüber den bewußtseinser­ weiternden Drogen.

Ulli Olvedi LSD-Report

Suhrkamp

Suhrkamp taschenbuch 38 Erste Auflage 1972 © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1972 Suhrkamp Taschenbuch Verlag Alle Rechte Vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk oder Fernsehen und der Übersetzung, auch einzelner Teile. Satz: Aktino KG, Berlin Druck: Ebner, Ulm • Printed in Germany Umschlag nach Entwürfen von Willy Fleckhaus und Rolf Staudt Scan & OCR by Shiva2012

Inhalt

Einleitung 7 Geschichte und Chemie der Halluzinogene 11 LSD in der Psychiatrie 49 Kunst und Bewußtseinserweiterung 87 Droge und Gesellschaft 119 Anhang 195 Anmerkungen 213 Bibliographie 219

Einleitung Schon wieder ein Buch über Drogen. Gibt es nicht schon genug davon? Die Lektüre des verfügbaren Materials brachte mich zu der Ansicht, daß es lediglich genügend Bücher gegen Drogen gibt. Drogen werden im allgemeinen pauschal unter dem fatalen Sammelbegriff »Rauschgift« abgehandelt, von »aufklärenden« Schriften ebenso wie von staatlichen Institutionen. Das Opi­ umgesetz trennt nicht das leicht halluzinogene Kräutlein Ha­ schisch von dem Super-Halluzinogen LSD und genausowenig von suchterzeugenden Opiumderivaten, Amphetaminen oder Cocain. Jede der genannten Substanzen hat jedoch ihre ganz spezifischen, von den anderen klar abzugrenzenden Wirkun­ gen. Diese reichen von schwerer organischer Zerstörung bis zur kaum mehr definierbaren Umwälzung im menschlichen Be­ wußtsein. Über Gifte, die den Organismus zerstören, braucht man nicht zu streiten. Einem jeden ist von solchen Substanzen abzuraten, obwohl ihm meines Erachtens die Freiheit zugebilligt werden sollte, nach eigenem Ermessen davon Gebrauch zu machen. Allerdings wird ein akzeptables Realitätsangebot und Ver­ trauen in den - von uns allerdings noch zu formulierenden Sinn des Daseins das denkende Individuum zweifellos vom selbstmörderischen Genuß »harter« Drogen abhalten. Neben jenen Drogen, die in kleinsten Dosierungen seit alters her homöopathische und allopathische Anwendung fanden und deren zerstörerische Wirkung auf Grund ihrer Giftigkeit bei grober Dosierung wohlbekannt war (was natürlich nicht aus­ schließt, daß Mißbrauch von medikamentösen Drogen so alt ist wie die Menschheitsgeschichte), gab es nachweislich in vielen, wenn nicht gar in allen Kulturen Drogen, die nicht dem Heil des Körpers, sondern dem Heil der Seele dienten - die Halluzino­ gene, die »weichen« Drogen. Schamanistische Ekstasetechni­ ken basierten zum großen Teil auf halluzinogenen Naturpro­ 7

dukten, und dasselbe läßt sich aus den Beschreibungen der großen Mysterienkulte schließen. Diese »Seelendrogen« -in Kakteen, Pilzen, Windengewächsen und Lianen auf natürlichem Wege produziert - haben die Ei­ genschaft, nicht suchtbildend oder organzerstörend zu wirken; ihr Wirkungsbereich ist die Psyche. Diese Behauptung leite ich aus den mannigfachen Überlieferungen des uralten Gebrauchs von Halluzinogenen ab. Manche Forschungsergebnisse wollen dieser Behauptung widersprechen; mindestens ebenso viele untermauern sie. Es sollte also selbstverständlich sein, die Diskussion über harte Drogen von der Diskussion über weiche Drogen radikal zu trennen. Sie haben nichts miteinander gemein. Außer diesen faktischen Überlegungen vermittelten mir auch eigene Erfahrungen handgreifliche Argumente gegen die po­ puläre pauschale Drogenverteufelung, und ich begann, die Qualität dieser Erfahrungen zu untersuchen und die größeren Zusammenhänge ausfindig zu machen. Dieses Buch ist so aufgebaut, wie es dem natürlichen Ablauf meiner Studien und Erkenntnisse entspricht. Die erste Hälfte enthält möglichst umfassende Informationen über historische, chemische, psychologische und kulturelle Vorder- und Hinter­ gründe des Gebrauchs von Halluzinogenen (in die grundle­ gende Diskussion um die Wahl des zuständigen Begriffs - ob nun »halluzinogene« oder »psychedelische« Droge zu sagen sei -will ich mich nicht unbedingt einmischen; da die Möglichkeit der halluzinogenen wie der psychedelischen Erfahrung gegeben ist, wäre es am sinnvollsten, wertfrei von »psychoaktiven« Sub­ stanzen zu sprechen. Aber die Bezeichnung »Halluzinogene« hat sich nun einmal eingebürgert, ist allgemein verständlich und wird von mir darum weitgehend beibehalten). Der zweite Teil enthält eine Analyse des Stellenwertes der hal­ luzinogenen Drogen im Bewußtsein des westlichen Menschen - und damit den Versuch einer Definition eben dieses westli­ chen Bewußtseins. So ist dies genaugenommen weniger ein Buch »über Drogen« als ein Buch über die Spielarten und Er8

Weiterungsmöglichkeiten des menschlichen Bewußtseins. Ob­ wohl keine Akademikerin, habe ich mir »angemaßt«, gleich eine Vielzahl »akademischer Themen« aufzugreifen. Das mag mir a priori die Kritik manches Akademikers eintragen, doch schreibe ich in erster Linie für all jene, die glauben, daß selb­ ständiges Denken auch (oder gerade) außerhalb unserer fest­ gefahrenen Bildungssysteme möglich ist. Auch des möglichen Vorwurfs, »pseudophilosophisch« oder »pseudoreligiös« vorzugehen, gedenke ich. Doch erhebe ich den Einwand, daß philosophisches bzw. religiöses Interesse ei­ nes jeden menschlichen Wesens selbstverständliche innere Be­ dingung ist, ob sie nun als solche wahrgenommen wird oder nicht. Ich möchte nachdrücklich feststellen, daß meine Ausführungen ohne dogmatischen Anspruch sind. Ich kam durch das Sortieren und Auswerten vieler zusammengetragener Fakten, Behaup­ tungen und Hypothesen zu einem bestimmten Fazit, das ich als Denkangebot unterbreiten möchte. Dem Leser, der sich mit meinen Gedankengängen anfreunden kann, lege ich dringend ans Herz, den von mir begangenen Denkweg nachzuvollziehen, indem er von der von mir zitierten Literatur Gebrauch macht. Nichts wird ihn daran hindern, in seinen Erkenntnissen mögli­ cherweise weiter zu gehen als ich. Ulli Olvedi

Geschichte und Chemie der Halluzinogene

Die Geschichte der halluzinogenen Drogen läßt sich bis zu 2000 Jahren v. Chr. zurückverfolgen: Bei den Skythen und später bei den Assyrern war das leichte Halluzinogen Haschisch bereits bekannt (aus dem assyrischen Wort »qunnabu« entstand das griechische »kannabis«), und archäologische Funde in Gua­ temala, sogenannte »Pilzsteine«, weisen auf den Gebrauch des Psilocybin-haltigen Pilzes Teonanacatl vor mehr als viertau­ send Jahren hin. In Europa bediente man sich zu medizinischen und kultischen Zwecken vor allem der einheimischen Nachtschattengewächse (Solanaceae) wie Stechapfel (Datura), Hexenkraut (Circaea lutetiana), Bilsenkraut (Hyoscyamus niger), Tollkirsche (Atropa belladonna) und Alraun (Mandragora officinalis), de­ ren Alkaloide Scopolamin (Lähmung des Parasympathicus, Lebensgefahr ab 20 bis 50 mg), Hyoscyamin und Atropin (Er­ reger des zentralen Nervensystems, Lebensgefahr ab 1 mg) zwar keine psychedelischen, d. h. bewußtseinserweiternden, wohl aber halluzinogene und vor allem hypnotische Effekte ha­ ben. Diese außerordentlich toxischen Wirkstoffe führen in relativ hoher Dosierung zu zentralen Lähmungserscheinungen mit ei­ ner vorangehenden Phase starker Erregung, die sich als heftige geistige Verwirrung, Suggestibilität und teilweise auch extrem aggressives Verhalten äußert. In sehr kleinen Dosen und zum Teil molekular abgeänderter Form werden diese Alkaloide heute als Arzneimittel verwendet. Berühmteste und sagenumwobenste der psychotropen Gift­ pflanzen war der am Mittelmeer beheimatete Alraun, »die Pflanze, die am ersten Tage einschläfert und am zweiten wahn­ sinnigmacht«. Ihre alkaloidhaltige Wurzel, in der man mit eini­ ger Phantasie eine menschliche Gestalt erkennen kann, war eine der wichtigsten Zugaben zu den Hexentränken und -salben des Mittelalters. Neben den Nachtschattengewächsen war al­ lerdings auch der Zusatz von Krötenhautsekret bedeutsam, das das potente Halluzinogen Bufotenin enthält. Was die überlieferten Rauscherlebnisse betrifft, so gilt für 13

»Hexenritte« wie für die prophetischen Delirien der Sibyllen und die religiösen Ekstasen der Indios, daß die Intoxikation je­ weils in eine übergeordnete Erwartung integriert wurde, sei es die angestrebte Verbindung mit dem »Teufel« oder mit dem »Göttlichen«. Dieser geistige Überbau wurde in der Neuzeit abgelöst durch die von der Psychiatrie vermittelte Voreinge­ nommenheit gegenüber dem halluzinogenen Drogenerlebnis, das grundsätzlich als »pathologisch« bezeichnet und begriffen wird (s. 2. Kapitel). Die Geschichte des LSD (Lysergsäurediäthylamid) führt zwangsläufig über die Geschichte der klassischen Halluzino­ gene Haschisch (Cannabinole), Peyotl (Meskalin), Teonanacatl (Psilocybin) und Ololiuqui (d-Lysergsäureamid). Über den biochemischen Wirkmechanismus halluzinogener Substanzen sei abschließend im Zusammenhang mit LSD berichtet.

Haschisch und Marihuana Die ersten Berichte über Haschisch finden sich bei Herodot. Er erzählt von Bestattungszeremonien der Skythen, wobei Hanf­ körner auf den heißen Herd oder in Glut gelegt wurden; der eingeatmete Rauch führte zu ekstatischen Zuständen, in denen die Hinterbliebenen »Verbindung mit dem Verstorbenen aufnahmen« (siehe auch Mircea Eliade, Schamanismus und ar­ chaische Ekstasetechnik: »Eines aber ist sicher: Schamanismus und vom Hanfrauch hervorgerufene ekstatische Trunkenheit waren den Skythen bekannt«). Homer verweist in der Odyssee auf einen Trank, »der die Sorgen vertreibt« - vermutlich ist ein Haschischgetränk damit gemeint. Diodor berichtet, wie die Thebaner Haschischsaft als Genußmittel zubereiteten. Er nennt den Hanf einen Stoff, »der angenehme und freundliche Trugbilder und Phantome hervorruft«. Die Inder, so weiß Dio­ dor, »essen seine Körner und seine Blätter, um zum Liebesakt geschickt zu sein, wie auch, um ihren Appetit anzuregen«. Auch Marc Aurels Leibarzt Galenos, »der Vater der Ärzte«, weist 14

auf die mannigfachen Möglichkeiten des Haschischgebrauchs hin; bei ihm erfährt man zum erstenmal von Haschisch-Gebäck, das als besonders attraktiver Nachtisch gereicht wurde. Religiöse Anwendung fand Haschisch bei den Liturgien von Eleusis und den Prophetien der Sibyllen, beim Soma-Kult in Indien und als Haoma-Trank in Persien. Sanskrittexte aus dem 7. Jahrhundert berichten vom Haschisch als von der »Pille der Fröhlichkeit«. Jahrhundertelang wurde die Hanfdroge im Orient als Medika­ ment gebraucht. Sie diente als Antiphlegmatikum, als Verdau­ ungshelfer bei Blähungen und Verstopfungen, als Appetitanre­ ger und Haarwaschmittel (»gegen Schuppen und Ungeziefer«1), es half gegen neuralgische Schmerzen und - inhaliert - gegen Asthma, gegen Gonorrhöe und Impotenz. Es ist noch gar nicht so lange her, seit Haschisch als Arzneimittel ausgedient hat. »Im Falle von Krämpfen bei Kindern, Neuralgie und Tetanus werden Hanfdrogenpräparate auch von europäischen Ärzten empfohlen« - so ist im Indischen Hanfdrogen-Report von 1894 nachzulesen. Kultische Bedeutung hat das Haschisch heute noch in Indien bei religiösen Riten (Schiwa-Festen) und als Hilfsmittel zur Meditation. Eine ausführliche Darstellung und Analyse der Auswirkung des Haschisch auf die islamische Esoterik (nach wie vor wird dieses Anregungsmittel von orientalischen Künstlern gerne benutzt) findet sich bei dem Orientologen Rudolf Gelpke2. Ein von ihm zitierter Vierzeiler aus einer anonymen Handschrift im Nizami-Museum von Baku beweist das von alters her gepflegte Wissen um den Wert der richtigen Dosierung: Ein jeder, der dem Haschisch als Sklave verfällt, ist bald lebendig, bald ein Toter, vom Schlafe gefällt. (Während) das Essen von Wenigem die Traurigkeit abwehrt, ist, wer zuviel ißt, in Blödheit zerschellt. Dieser Text weist deutlich auf die bewußtseinstrübende Wirkung hin, die sich oft bei zu hoch dosiertem Haschischgenuß einstellt. Von Haschisch-Gegnern wird mit Vorliebe eine orientalische 15

Geschichte zitiert, die den Zusammenhang des Wortes »Ha­ schisch« mit dem daraus entstandenen französischen assassin (= Mörder) erklären soll. Aus den »Haschischinen« (= Hanf­ essern) entwickelte sich der Eigenname »Assassinen«, den man einer militanten religiösen Sekte des 11. Jahrhunderts im Ge­ biet Palästinas und Syriens zuschreibt. »Ihr Ziel war es, poli­ tische und religiöse Gegner zu beseitigen. Den Anhängern wurde blinder Fanatismus bis zur Aufopferung des eigenen Le­ bens nachgerühmt. Da der Haschischrausch stark aggressive Züge trägt3, wäre es durchaus glaubhaft, daß Haschisch das Be­ rauschungsmittel war, mit dem die Anhänger für ihre Mordunternehmungen präpariert wurden.« So liest es sich in einem gängigen Drogen-Handbuch4, und ähnlich wird diese Ge­ schichte auch von anderen Autoren dargestellt, in der Absicht, Haschisch als gefährliche, zu aggressivem Verhalten anregende Substanz zu brandmarken. Dieser Absicht stehen allerdings verbürgte Untersuchungsergebnisse entgegen, so daß selbst in einer sehr konservativen offiziellen Drogeninformation5 nach­ zulesen ist: »Der Berauschte wirkt äußerlich sehr passiv, aber oft zeigt sich der Rausch durch Lachen und Kichern, einem Redestrom und verringerter Fähigkeit, komplizierte und präzise Bewegungen auszuführen.« Dies dürfte Haschisch kaum als besonders ge­ eignetes kriegerisches Aufputschmittel prädestinieren! Die von Marco Polo erzählte »Legende von Alamut«6 klärt das Mißverständnis auf. Er berichtet von dem mächtigen »Alten vom Berg« (Hasan Sabbah, Gründer des »Assassinen-Ordens«, 12. Jahrhundert), der Jünglinge in betäubtem Zustand in seinen geheimen, paradiesisch schönen Garten schaffen ließ und sie dort zur Steigerung der äußerst erfreulichen Wahrneh­ mungen mit Haschisch (»Haschisch« = Geschenk des Hasan) berauschte. Nachdem solch ein Auserwählter den Garten und seine ausgewählt schönen und zärtlichen Bewohnerinnen zur Genüge genossen hatte, wurde er abermals betäubt und nach seinem Erwachen im Palast damit beauftragt, eine bestimmte Person zu ermorden. Führe er diesen Auftrag aus - so versprach 16

ihm der vermeintliche »Prophet« Hasan Sabbah so werde er wieder ins »Paradies« zurückkehren dürfen. Diese Aussicht war für die »hashishin« oder »Assassinen« so verlockend, daß ihnen kein Wagnis zu groß dafür schien. Nichts spricht aller­ dings dafür, daß sie ihre Aufträge im berauschten Zustand aus­ führten - es wäre dies wohl auch eine schlechte Erfolgsgarantie gewesen. Die Pflanze, aus der das Haschisch bzw. das Marihuana gewon­ nen wird, ist der indische Hanf, Cannabis sativa var. indica (bzw. mexicana und africana), ein Verwandter unseres Hop­ fens, zur Gruppe der Moraceae gehörig. Der Gebrauch und die Wirkung dieser in tropischem und subtropischem Gebiet wild wachsenden (und vor allem angebauten) Pflanze - sie benötigt hohe mittlere Temperaturen zur Erzeugung ihres Wirkstoffes - wurde in mehreren umfangreichen offiziellen Reporten be­ schrieben, so im Indischen Hanfdrogen-Report von 1894, im New Yorker La Guardia Report von 1944, im Britischen Can­ nabis-Report von 19687 und im Zwischenbericht der Kanadi­ schen Regierungskommission von 1970. Angeblich ist nur die weibliche Pflanze des Faserhanfs wirk­ stoffhaltig, und auch diese nur zu einer bestimmten Zeit wäh­ rend des Reifeprozesses. Die oberen Laub- und Blütenblätter entwickeln in mikroskopisch kleinen Drüsen ein braunes Harz, aus dem mehrere Verbindungen zu isolieren sind, darunter vor allem die Terpenverbindung Tetrahydrocannabinol (THC), dazu die eng verwandte Cannabidiolsäure und das - vor allem gegen Ende der Reifezeit in großen Mengen entstehende Cannabinol. Wichtig ist der richtige Zeitpunkt der Ernte. Während der Rei­ feperiode wird in der Pflanze zunächst die Cannabidiolsäure (sedierend und bakteriostatisch) entwickelt. Diese verwandelt sich durch Temperatur- und Lichtbeeinflussung in Tetrahydro­ cannabinol (halluzinogen wirksam) - Regen in dieser Zeit ver­ hindert weitgehend die THC-Bildung - und wird gegen Ende der Reifezeit zu Cannabinol (psychologisch und pharmakolo­ gisch unwirksam) abgebaut. Dieser Abbauprozeß von THC zu 17

Cannabinol findet auch bei längerer Lagerung des Harzes statt, was erklärt, daß altes Haschisch unbrauchbar wird. Lagerung bei niedrigen Temperaturen und in Dunkelheit (Kühlschrank) zögert den Abbau hinaus. Im Orient wird die Hanfdroge in drei Qualitäten angeboten: Bhang und Ganja nennt man die kleingeschnittenen oberen Teile der weiblichen Pflanze (amerikanische Bezeichnung »Marihuana«), wobei sich die beiden Arten durch die Stärke ihrer Wirkung unterscheiden. Ganja ist das teuerere, sorgsam zu Zeiten höchsten Wirkstoffgehalts geerntete Produkt. So­ wohl Bhang als auch Ganja werden als Getränk zubereitet, ge­ raucht oder zu Gebäck verarbeitet. Dem Haschisch entspricht das Charas oder Churrus, das aus den Blättern ausgekochte reine Harz; seine Wirkstoffkonzen­ tration ist wesentlich höher als die von Ganja. Es wird im allge­ meinen pur in einer Pfeife geraucht. Das Vermischen von Harz mit Tabak ist vor allem in Europa gebräuchlich. Auf dem deutschen Schwarzmarkt werden als potenteste ProTetrahydrocannabinol

Cannabidiolsäure

Cannabinol

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dukte »roter Libanon« und »schwarzer Afghan« angeboten. Die Feinheit der Struktur unter dem Mikroskop bürgt für gute Qualität. Beimischungen von Tee, Mehl und sogar Sand sind nicht selten. Billiger als die obengenannten Sorten sind nord­ afrikanische und türkische Produkte - grün, braungrün und okker, hart, bröckelig oder pulverisiert, häufig Mischungen von Harz und feingemahlenen Blättern. Sammelname für alle Ar­ ten von Haschisch ist shit oder Stoff. Gras (auch: Marihuana, Tee, Pot) wird gerne mit unwirksamen unteren Blättern »ge­ streckt«, auch mit Kräutertee oder Gewürzbeimischungen. Dunkles Haschisch mit öligem Charakter und bitter-scharfem Geschmack enthält Rohopium. Der Preis für die verschiedenen Arten von Hanfdrogen liegt im Schwarzmarktkleinhandel bei 2 bis 6 DM pro Gramm. Haschisch wird entweder in kleinen Pfeifen roh geraucht oder mit Tabak zu joints gedreht. Es läßt sich auch mit leichtem Tee aufbrühen (sollte aber zur besseren Fermentierung erst leicht angeröstet werden; bevorzugte Verfahrensweise ist das Anrüh­ ren mit geschmolzenem Zucker - so lassen sich auch Ha­ schischbonbons herstellen). In Pudding oder Kuchen genossen, ist mit einer später einsetzenden und lange dauernden Wirkung zu rechnen. In Mexiko wird Marihuana gerne mit Zucker, Milch oder Agavenschnaps vermischt und so als Getränk gereicht. In Nordamerika, wo Haschisch Seltenheitswert hat, wird die ge­ trocknete und wie Tabak verarbeitete Pflanze vornehmlich als Zigarette oder in der Pfeife geraucht. Von Kennern wird vor der Verbindung von Haschisch/Marihu­ ana mit hochprozentigem Alkohol gewarnt. Dagegen ist eine leichte Anregung - etwa mit etwas Wein oder Sekt - nicht ab­ träglich. Physiologische Wirkung Den Untersuchungen von Andrew T. Weil, Norman E. Zinberg und Judith M. Nelsen 1968 in Marihuana: Klinische und psy­ chologische Wirkungen beim Menschen zufolge ist zu unter­ 19

scheiden zwischen »Gewohnheitsrauchern« und »naiven Rau­ chern« (Anfängern). Die Atemfrequenz zeigte sich bei Gewohnheitsrauchern ge­ ringfügig erhöht, bei naiven gleichbleibend. Eine Veränderung der Pupillengröße fand bei keiner der beiden Gruppen statt (»Das Fehlen jeglicher Änderung der Pupillengröße bei den Versuchspersonen nach Rauchen von Marihuana ist ein erhel­ lender Befund, da so viele Gewohnheitsgebraucher und Geset­ zesvertreter fest überzeugt sind, daß Marihuana eine Pupillen­ erweiterung hervorruft«). Eine Rötung der Bindehaut konnte bei hoher Dosierung beobachtet werden (allerdings auch bei einer Placebo-Verabreichung). Eine offensichtliche Veränderung des Blutzuckerspiegels ergab sich nicht (im La-Cuardia-Report wird irrtümlicherweise an­ genommen, eine Hyperglycose8 sei für das häufig beim Rau­ chen auftretende Hungergefühl verantwortlich). Das Mißver­ hältnis zwischen gleichbleibendem Blutzuckerspiegel und Hungergefühl wird von den Autoren als mögliche Steigerung des Lustgefühls beim Essen interpretiert. »Es könnte sein, daß die Ursache dafür mehr zentraler Art ist und nicht auf einer pe­ ripheren physiologischen Veränderung beruht.« Eine Leistungsminderung bei Testversuchen (CPT - kontinu­ ierlicher Handlungstest von 5 Minuten; DSST - Zahlensym­ boltest von 90 Sekunden; Pursuitmeter - CPT mit Ablenkung durch Flimmerlicht) konnte bei ungeübten Rauchern eindeutig festgestellt werden. Gewohnheitsraucher zeigten jedoch keine Beeinträchtigung ihrer Leistungsfähigkeit, dagegen in einzel­ nen Fällen sogar eine Leistungssteigerung. »Unsere Beobach­ tung, daß Gewohnheitsraucher nach Marihuana in einigen Tests ebenso gute oder sogar noch bessere Leistungen erbrach­ ten als vor der Einnahme der Droge, unterstützt die Behauptung von Gewohnheitsverbrauchern, daß bei vielen Tä­ tigkeiten - z. B. Kraftfahren - die Beibehaltung eines guten Leistungsniveaus unter dem Einfluß von Marihuana viel leich­ ter sei als unter dem Einfluß anderer psychoaktiver Drogen. Es ist zweifellos bemerkenswert, daß die gewöhnten Versuchsper­ 20

sonen überrascht waren, als sie feststellten, daß ihre Leistungen im CPT, DSST und Pursuitmeter besser waren, als sie gedacht hatten. Es handelt sich hier um das Gegenteil des falschen Ge­ fühls von Leistungsfähigkeit, das sich bei manchen psychoaktiven Drogen einstellt, die in Wirklichkeit die Leistungsfähigkeit herabsetzen.« Als mögliche Erklärung nehmen die Autoren an, daß die Wirkung des THC - da neurologische Symptome gro­ ßenteils ausbleiben - auf höhere kortikale Funktionen begrenzt ist und keine allgemein stimulierenden oder lähmenden Effekte auf die niederen Hirnzentren ausübt (wie das bei Alkohol, Bar­ bituraten und Psychopharmaka der Fall ist). Klinische Ergeb­ nisse im La-Guardia-Report: »In der klinischen Untersuchung, bei der die Wirkung von Ma­ rihuana auf die Funktionen verschiedener Körperorgane un­ tersucht worden ist, wurde die Erhöhung des Pulsschlages, des Blutdrucks, des Blutzuckers und des Stoffwechselumsatzes festgestellt. Es wurden keine Veränderungen im Kreislauf und in der Lebensfähigkeit registriert, Untersuchungen der Nierenund Leberfunktionen blieben ohne Befund. Keine Verände­ rungen wurden festgestellt in den Blutzellen, im Hämoglobin oder im Stickstoff-, Kalzium- oder Phosphorgehalt des Blutes. Das Elektrokardiogramm zeigte keine Unregelmäßigkeiten an, die auf eine direkte Wirkung auf das Herz schließen las­ sen.« Haschisch kann - wie sämtliche halluzinogenen Drogen - nicht zu den Suchtstoffen gerechnet werden. Es führt weder zu Ver­ änderungen des Stoffwechsels noch zu Toleranzerscheinungen; die Dosis muß, um einen gleichbleibenden Effekt zu erzielen, nicht gesteigert werden, eher ist eine »paradoxe Toleranz« (vgl. 2. Kapitel) zu beobachten (die in sehr ausgeprägtem Maße bei den starken Halluzinogenen auftreten kann): Der Anfänger benötigt zumeist wesentlich größere Dosen, um die erwünschte Wirkung zu erzielen als der Gewöhnte. Haschisch verursacht keinen »Kater« im wieder nüchternen Zustand und hat nach plötzlichem Absetzen keine Entzugserscheinungen zur Folge. Seine Giftigkeit ist minimal und nicht zu vergleichen mit Niko­ 21

tin (letale Dosis schon ab 1 cg), Alkohol oder Barbitursäure. Hierzu sei aus dem La-Guardia-Report zitiert: »Aus der Untersuchung kann geschlossen werden, daß Mari­ huana keine Droge ist, die süchtig macht und mit Morphin ver­ glichen werden könnte, und daß, wenn es überhaupt eine Tole­ ranz gibt, sie doch von sehr beschränktem Ausmaß ist. Außerdem zeigten die Versuchspersonen, die mehrere Jahre lang Marihuana geraucht hatten, keinerlei psychischen oder physischen Verfall, der auf die Droge zurückgeführt werden könnte.« Vergiftungssymptome zeigen sich erst bei sehr hoher Dosie­ rung, wie sie jedoch nur bei Tierversuchen zur Anwendung kommen. Hier gilt das Wort des Paracelsus: dosis facit venenum (die Dosis macht es aus), ob ein Stoff giftig ist. Bei extrem hoher Dosierung kann bekanntlich der harmloseste Stoff für den Or­ ganismus unverträglich werden, so etwa Wasser. Jean-Louis Brau9 berichtet von Wassersüchtigen, die bis zu 4 bis 5 Litern Wasser täglich zu sich nehmen; solche »Potomanie« kann zu schweren Erkrankungen und gar zum Tod führen. »Im allge­ meinen sind die Wassertrinker ältere Personen über fünfzig. Wasser wirkt auf sie wie Alkohol, berauscht sie und unterwirft sie der gleichen Abhängigkeit.« Nur eine Zersetzung der Hirnsubstanz (die nachweislich abso­ lut nicht gegeben ist) würde möglich machen, was der Pharma­ kologe Wagner unbesehen (und in eindeutiger unkritischer Anlehnung an ein veraltetes pharmakologisches Werk von Viktor A. Reko10 anlehnend) behauptet: »Bei regelmäßiger Aufnahme des Giftes [Haschisch] treten nicht selten manische Zustände auf, die langsam In einer totalen Verblödung enden.« Psychische Wirkung Für isoliertes THC gelten annähernd die Angaben, die im fol­ genden Kapitel über die psychologische Wirkung des LSD und LSD-analoger Substanzen gemacht werden. Allerdings führt es nach Erfahrungsberichten von Konsumenten (Untersuchungen 22

speziell über isoliertes THC liegen noch nicht vor) nicht zu den heftigen seelischen Erschütterungen, wie sie vornehmlich bei LSD und Psilocybin und in geringerem Maße bei Meskalin auftreten. Die Phänomene des THC-Rauschs werden mit verhält­ nismäßig ruhiger innerer Stimmung aufgenommen, beschrie­ ben als »wie das Staunen eines kleinen Kindes angesichts der noch unbekannten Welt«. In seiner natürlichen Verbindung wirkt Haschisch jedoch als vergleichsweise sehr schwache psychedelische Droge. Es be­ wirkt eine Intensivierung der sinnlichen Wahrnehmung, regt die Phantasie an und dämpft die Bereitschaft zu zielgerichtetem Denken. Die spontane Assoziationsfähigkeit nimmt in großem Umfang zu (hierauf basiert etwa auch die oft zitierte Verände­ rung des Zeitgefühls: Da innerhalb eines bestimmten Zeitab­ schnittes mehr Eindrücke aufgenommen werden können, scheint sich die Zeit zu »dehnen«); eine reduzierte Abhängig­ keit von Zwängen hilft Hemmungen abzubauen (was nicht auf den augenblicklichen Zustand des »high«-Seins beschränkt zu bleiben braucht) und führt zu einem intensiven Gefühl der Be­ freiung, Ausgeglichenheit und Ruhe. Da Haschisch lediglich eine Verstärkerfunktion hat, ist seine individuelle Wirkung nicht ohne weiteres abzusehen. Der Ef­ fekt der Sensibilisierung wirkt sich von Fall zu Fall verschieden aus; er kann vom Unerfahrenen gar als belästigend und be­ drohlich empfunden werden. Die Erwartungshaltung des Rau­ chers (oder in anderer Form Haschisch Konsumierenden), das Maß an objektiver Information und eine gezielte Vorbereitung sind für jede halluzinogene Drogenerfahrung bestimmend, ebenso wie seine Charakterstruktur und seine augenblickliche physische und psychische Verfassung (Sammelbegriff set). Nicht minder wichtig ist die Umgebung und Atmosphäre der­ selben (setting); werden Ort und Personen im nüchternen Zu­ stand als unangenehm empfunden, so muß damit gerechnet werden, daß dieser Eindruck durch das Rauchen intensiviert wird. Als Aphrodisiakum (Volksmund: »Haschisch-Orgien«) ist 23

Haschisch nur in beschränktem Ausmaß brauchbar. Zwar kann die erotische und sexuelle Erfahrung durch die verstärkende Wirkung der Droge reicher werden, doch vermag Haschisch kein sexuelles Verlangen zu provozieren. Dasselbe gilt für die starken Halluzinogene. Die grundsätzliche Schwierigkeit für den Anfänger, beim Ha­ schisch/Marihuana-Rauchen überhaupt zu einer Wirkung oder gar zu dem angestrebten Zustand der »Berauschung« zu kom­ men (angedeutet in der Untersuchung von Weil, Zinberg und Nelsen), ist von H. S. Becker in Marihuana, A Sociological Overview eingehend gewürdigt worden. Er verweist auf eine notwendige »Technik«, die hier kurz Umrissen werden soll: Der Anfänger kann sich zunächst unter dem Zustand des »high«-Seins nicht viel vorstellen, da er diese Erfahrung noch nie gemacht hat. Seine Erwartungshaltung richtet sich nach dem, was man ihm darüber erzählt oder was er aus Publikatio­ nen erfahren hat. Der erste Versuch mißlingt häufig, da es dem durchschnittlichen Zigarettenraucher (auf die Schwierigkeiten des Nichtrauchers muß nicht erst hingewiesen werden...) nicht immer ohne weiteres gelingt, tief zu inhalieren und so eine ge­ nügend hohe Dosis aufzunehmen. Raucht er jedoch gründlich genug - mit Tee ist es einfacher, dafür jedoch in der Dosierung nicht so genau zu kontrollieren -, so wird er sich zwar mit Sym­ ptomen konfrontiert sehen, doch ohne daß er diese als ange­ nehm empfinden muß. »Die naive Deutung der Wirkung durch den Anfänger trägt oft dazu bei, Verwirrung und Angst hervor­ zurufen, zumal wenn er, wie es oft geschieht, das Gefühl hat, den Verstand zu verlieren.« Diese Klippen auf dem Weg zum Haschisch-Genuß haben schon viele Anfänger dazu veranlaßt, ihre Versuche wieder einzustellen: »Eine Untersuchung ergab, daß etwa 30 bis 35 % der amerikanischen Universitätsstudenten mindestens einmal Marihuana versucht hatten; die Hälfte von ihnen ließ es bei ei­ nem Versuch bewenden, und nur ein bis zwei Prozent blieben dabei«11. Die häufige Panik des Anfängers wird durch den ungewohnten 24

Ansturm an neuen Erfahrungen hervorgerufen; seine Angst kann sich aber auch in symbolischer Form äußern: als Übelkeit, Erbrechen, als das Gefühl starker Herzbelastung oder sonstige lokalisierbare Schmerzen in Kopf, Nieren, Bauch usw. Diese Schmerzgefühle sind - wenngleich äußerst real empfunden nur subjektiver Art (s. 2. Kapitel). Physiologisch meßbar sind sie nicht (eine subjektiv als akut empfundene Herzbeschleuni­ gung zeigt zum Beispiel kaum erhöhte Meßwerte). Das Wissen um die Subjektivität der Empfindung befähigt den aufgeklärten Konsumenten dazu, sie willkürlich abzubauen, sie »wegzuden­ ken«. Exzessiver Gebrauch von Haschisch (das würde täglichen hochdosierten Gebrauch über Monate und Jahre hin bedeuten) führt zwar nicht zu körperlichen Schädigungen12, auch gibt es keine Beweise für ein tatsächlich bestehendes Syndrom einer »Haschisch-Psychose«13, doch kann er die Bereitschaft zur Aktivität bis unter das Maß des Lebensnotwendigen einschrän­ ken. Unter ungünstigen Bedingungen — und diese sind inner­ halb einer Leistungsgesellschaft zwangsläufig gegeben - kann eine Übersensibilisierung gegenüber seelischen Belastungen zu schwer abbaubaren Depressionen und paranoider Grundhal­ tung führen. Darum sollte der Konsument ständig überprüfen, in welchem Umfang er eine - an sich positive - Sensibilisierung im Rahmen seiner existenziellen Situation verkraften kann. Die in zahlreichen Broschüren und selbst in sogenannten Fach­ büchern veröffentlichten »gefährlichen Wirkungen« der Hanf­ drogen (die sich übrigens allesamt nicht auf Eigenuntersuchun­ gen stützen und auch keine Quellenangaben zu den aufgestellten Behauptungen liefern) basieren zum großen Teil auf der veralteten Darstellung des Pharmakologen Viktor A. Reko in dem schon erwähnten Magische Gifte, das 1938 in der ersten Auflage erschien (wer einmal herzlich lachen möchte, hole sich dieses Buch aus der Bibliothek). Auch bei Reko bilden keine eigenen Untersuchungsreihen, sondern unüberprüfbare Berichte »aus dem Volke« sowie Publikationen der mexikani­ schen Polizei das grundlegende Material. Aus den zahlreichen 25

Falschdarstellungen kann man folgern, daß es sich zum großen Teil um die Schilderung von anderen Drogen zugehörigen Symptomen handelt - ein Fehler, der auch Baudelaire unterlief, als er in Les paradis artificiels irrtümlicherweise die Wirkungen von Opium plus Syphilis für die des zusätzlich genossenen Ha­ schischs hielt. Um die wissenschaftliche Sachlichkeit eines so oft und gern zi­ tierten Autors wie Reko zur Diskussion zu stellen, sei kurz eini­ ges aus Magische Gifte zitiert. Reko spricht dem Hanf-Rausch »Halluzinationen«, »Wutan­ fälle«, »laszive Träume« und »geschlechtliche Erregung« zu. Er verbürgt sich für »Tollwut, die sich nach dem Genüsse von Marihuana so oft [ . . . ] einzustellen pflegt«, wie für »sinnloses Blutvergießen und wüste Raufereien«. Für die Folgen der Ha­ schischgewöhnung findet Reko besonders beeindruckende Worte: »Da sitzen diese Ruinen ehemaliger Menschen, die sich einst rühmen durften, nach dem Ebenbild Gottes geschaffen worden zu sein, mit blutroten Augen, stumpfsinnig vor sich hin­ dösend und den Moment abwartend, wo sie wieder auf die üb­ rige Menschheit losgelassen werden oder als Gemeingefährli­ che, Unverbesserliche nach den Sträflingskolonien abtranspor­ tiert werden.« Das könnte ebensogut aus einer deutschen Boulevardzeitung sein... Erholsam gegenüber solch anachronistischem Unsinn ist dage­ gen die Stellungnahme des Reko-Kollegen Schurz (1968): »Daß bei dauerndem, übermäßigem Gebrauch [von Haschisch] Schäden auftreten, spricht ebensowenig gegen Haschisch, wie die Tatsache, daß Alkoholmißbrauch zu Delirium tremens führt, gegen das Glas Wein spricht.« Als Unterbrecher der Haschisch-Wirkung - wenn sie als unan­ genehm empfunden wird - dienen hauptsächlich Tranquilizer (Valium u. a.). Es können auch Barbiturate verwendet werden. Einschlägige Haschisch-Kochbücher nennen als »Bremse« auch Zitronensaft bzw. reines Vitamin C. Eine Bemerkung sei noch dem in der Literatur nicht genannten, 26

aber von Konsumenten beobachteten Unterschied in der Wir­ kung von Haschisch und Marihuana gewidmet. Marihuana, so wird häufig festgestellt, wirkt weniger bewußtseinstrübend als Haschisch (das im Endstadium des Rausches stark einschlä­ fert); seine Wirkung wird als »gläserner«, »heller«, »tripmäßi­ ger« beschrieben. Konsumenten, denen es vornehmlich um dif­ ferenzierte Bewußtseinsvorgänge zu tun ist, ziehen zumeist Marihuana dem von ihnen als »Hammer« bezeichneten Ha­ schisch vor.

Meskalin (Peyotl) Der Wirkstoff Meskalin, gewonnen aus dem Peyote- oder Peyotl-Kaktus (tl = nachgestellter aztekischer Artikel), ist das bei uns gebräuchlichste Halluzinogen aus der Reihe der drei heiligen mexikanischen Zauberpflanzen Peyotl, Teonanácatl (Psilocybin) und Ololiuqui (Morning Glory, d-Lysergsäureamid). Über die Geschichte des Peyotl, der von den Azteken, Huicholen und Chichimeken Mexikos ebenso verwendet wurde wie von den Apachen, Comanchen und Kiowas Nordamerikas, ist wenig authentisches Material überliefert14. Rückschlüsse lassen sich lediglich aus den noch heute üblichen Peyotl-Riten etwa der Tarahumaras ziehen, eines gegen die Zivilisation nach­ drücklich resistenten Bergvolkes der Sierra Madre Occidental. Die Tarahumaras trinken den mit Wasser versetzten PeyotlBrei anläßlich kultischer Feste oder setzen die Droge als Lei­ stungsaktivator ein. Ihr phänomenales Durchhaltevermögen als Langstreckenläufer (Tarahumara ist mit »Läufer« zu über­ setzen) mit Hilfe des »Zauberkaktus« ist verbürgt. Eine lange Tradition hat der Peyotl auch als Medikament; zu Brei gekaut, dient er als lindernde Auflage auf offene Wunden und Verbrennungen, gegen Rheuma und Vipernbisse. Das Drogenerlebnis des Indio ist gesteuert von seinem kosmologisch-religiösen Bewußtsein, einem Kollektiv-Bewußtsein, das 27

die halluzinogene Erfahrung voll in seine Vorstellung von einer universellen geistigen Gemeinschaft zu integrieren vermag. Vater Sonne (»Nonorugami«), so sagt die Legende, gab seinem Zwillingsbruder die Gestalt des Kaktus, um dem Menschen auf diese Weise einen Schlüssel zum Göttlichen anzubieten. Die Indios wissen ihn zu handhaben. Rituelle Peyotl-Feste werden heute auch noch von den Huicholen in entlegenen Gegenden des mexikanischen Hochlandes gefeiert. Im Oktober - wenn der Kaktus am alkaloidhaltigsten ist-reisen Auserwählte des Stammes, die sich durch eine lange Zeit der Askese würdig vorbereitet haben, zu den Plätzen, an denen der heilige Kaktus zu finden ist, und ernten ihn auf ritu­ elle Weise. Ein Teil der frischen Ernte wird zerstampft und mit Wasser aufgegossen, der Rest in Scheiben geschnitten und ge­ trocknet (so soll er für etwa vier Jahre gebrauchsfähig bleiben). Um ein großes Feuer geschart, beginnen die Indios ihr Fest, in­ dem sie Peyotl und Tesquiño trinken - ein Maisbier, das gegen unangenehme Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen vorbeugt und gegenüber dem bitteren Peyotl geschmacksaufbessernd wirkt. Tanzend und jeder für sich singend - nicht für Zuhörer, sondern ausschließlich als Gebet und zur Lobpreisung des Gottes - verbringen sie die Nacht. Ein mexikanischer Professor hielt einige Anrufungen eines Huicholen-Priesters an die alten Götter fest15: »Guten Tag, mein Schöpfer, immer sorgst Du für mich, wie Du es bis heute getan hast. Lasse es nicht zu, daß Tehuari-Touzi (der Geist des Bösen) sich meiner Seele bemächtigt. Möge mich Mutter Wolke vor dem Feuer beschützen, wo immer ich gehe. O Wolke des Nordens, des Südens, des Ostens und des Westens, vereinigt Euch, damit Euer Naß die Erde befeuchte, die mich und die meinigen ernährt. Glücklich, Ihr Wolken, die Ihr aus dem Meer und aus den Flüssen geboren werdet, die Cuetzi-Nacague schuf, indem er die Vipern peitschte. O Casiguari (Erntegott), segne den Peyotl, der uns zu Dir erhebt, und den Mais, der uns füllt. O Huaquiri (Gott der Jagd), gib uns reiche Beute, damit wir Dir davon opfern können. Dich, o Acatehuari (Gott des Windes), 28

bitte ich, über die Eiche zu wachen, deren Laub bei Deiner Be­ rührung zittert. O großer Matzi (Herr der Sterne), lenke wei­ terhin unser aller Dasein. Großer Ta-Tata-Cabaleno (Gott der Güte), vertreibe die Geister des Bösen und erhalte meine Ge­ sundheit. Ihr Götter alle, wacht über uns.« Das strenge Peyotl-Verbot der spanischen Eroberer im Zuge der »Bekehrung« bewirkte lediglich, daß die neue Heilslehre fast nahtlos dem altindianischen Glauben angepaßt wurde. Ähnlichkeiten innerhalb der Struktur religiöser Praktiken er­ leichterte dies: Das Kreuz der vier Himmelsrichtungen (und zugleich der vier symbolischen Farben) konnte gut und gerne eingetauscht werden gegen das Kreuz Christi; Äquivalente zu Taufe und Kommunion gab es ebenfalls; der dreigeteilte aztekische Kosmos entsprach den christlichen Vorstellungen von Himmel, Erde und Hölle; das Fegefeuer konnte verglichen werden mit der Wanderung der Seelen, die nach dem aztekischen Glauben durch Gebete und Opfer der Angehörigen er­ löst werden mußten. Im Peyotismus der »Native American Church« bzw. der »Chri­ stian Peyote Church« findet sich die intensive Verquickung von altindianischem und christlichem religiösem Ideengut. J. S. Slotkin16 beschreibt einen modernen Gottesdienst der Peyotisten, an dem der ganze Stamm inklusive Kinder teilnimmt (die Kinder sind daran gewöhnt, von klein auf am Peyote-Abendmahl teilzunehmen). »Die mescal buttons werden von Beginn der Zeremonie (bei Sonnenuntergang) bis Mitternacht ver­ zehrt. Nach dem Mitternachtsgesang folgt eine Pause, und kei­ ner nimmt mehr davon. Der Gehilfe holt einen Eimer mit Was­ ser und bringt ihn dem Häuptling, der einen tiefen Zug daraus tut und dann den Eimer in der rituellen Richtung kreisen läßt. Wenn alle getrunken haben, verläßt der Häuptling das Tipi (Zelt), geht darum herum, bläst an den vier Hauptpunkten Ost, Süd, West und Nord je einmal gellend auf seiner Pfeife und nimmt dann wieder seinen Platz im Tipi ein. Danach beginnen lange Gebetssitzungen, die von Gesängen unterbrochen wer­ den ... Am nächsten Morgen nehmen die Teilnehmer zusam­ 29

men ein gehaltvolles Frühstück ein und zerstreuen sich, um ih­ ren Geschäften nachzugehen, die Seele voller Frieden und froh, die Gottheit in sich eingehen gespürt zu haben.« Die Zahl der Mitglieder der Peyote-Kirche wird auf eine Vier­ telmillion geschätzt. Sie rekrutiert sich aus dem Rest der Iroke­ sen Oklahomas, den Comanchen aus Texas, den Cheyenne, Delaware, Pueblo- und Schwarzfußindianern. Die psychosomatische Kraft des halluzinogenhaltigen Kaktus ist bei den Indianern seit alters her bekannt. Konsultiert ein Kranker einen curandero oder eine curandera - vergleichbar den Schamanen früherer Kulturen -, so nehmen sowohl »Arzt« wie Patient Peyotl zu sich; der curandero, um einen visionären Zustand herbeizuführen, der ihm die Diagnose erleichtert, der Patient, um gelockerter, suggestibler zu sein für die Behand­ lung. Offensichtlich wird durch Peyotl Energie zur willentlichen Beeinflussung körperlicher Vorgänge freigesetzt, die in nüch­ ternem Zustand wesentlich schwerer aufgebracht werden kann (allerdings ist aus der Praxis des Yoga bekannt, daß solche Energie auch durch Kontemplation und Meditation erzeugt werden kann). Ein stachelloser, knolliger Kaktus, Lophophora williamsii oder Anhalonium lewinii, der über seiner langen Zapfenwurzel nur wenige Zentimeter aus dem Erdboden ragt, graugrün und von einem Pelz wolliger, heller Fäden bedeckt (das aztekische Wort »Peyotl« ist zu übersetzen mit »Seidengespinst«, »Raupenko­ kon«), ist der unscheinbare Träger des Halluzinogens Meska­ lin. Er wächst in der Wüste Mexikos bis an den Rand des Rio Grande del Norte, vornehmlich im Bundesstaat San Luis Potosi. Schneidet man zur Erntezeit im Oktober, wenn der Kaktus seinen höchsten Alkaloidgehalt erreicht hat, das besonders wirkstoffreiche Mittelstück (Meristem oder mescal button ge­ nannt) heraus, so erneuert sich dieses in der nächsten Wachs­ tumsperiode. Ein mescal button enthält zwischen 0,2 g und 0,5 g Meskalin. Die erste chemische Untersuchung des Peyotl-Kaktus unter­ nahm der Berliner Pharmakologe Luis Lewin um 1890. Er ex­ 30

trahierte das narkotisch wirkende »Anhalonin«. Der Chemiker Heffter isolierte 1896 vier Alkaloide des Peyotl, von denen sich nur das Meskalin als psychoaktiv erwies. Neben dem Anhalonin fand er das leicht betäubend wirkende Anhalonidin und das schlaffördernde Peyotin. Die molekulare Struktur des Meska­ lins ist einfach und hat große Ähnlichkeit mit dem Gehirnamin Noradrenalin und dem Hormon Adrenalin (5. S. 44 f.): Das isolierte (oder synthetisch hergestellte) Meskalin ist ein farbloses, bitteres, stark alkalisch reagierendes Öl, das sich in Wasser, Alkohol und Chloroform löst und sich in Verbindung mit Säuren leicht in ein weißes Salz überführen läßt. Als höchste noch nicht toxische Dosis wird 0,25 g genannt; die Normdosis für einen Meskalin-Trip liegt bei 0,2 bis maximal 0,6 g. Etwa 60 % des Meskalin werden vom Körper unverändert aus­ geschieden. Der Rest geht eine Komplexbildung mit dem Kör­ pereiweiß ein—erst in dieser Verbindung wird es als Halluzino­ gen wirksam. Im Gegensatz zu den Tryptaminen (LSD, Psilocybin, Bufotenin, DMT usw.) übt Meskalin keine hem­ mende Wirkung auf das Gehirnamin Serotonin aus (s. S. 42 f.). Trotzdem finden sich erstaunlich wenige Unterschiede zwi­ schen der halluzinogenen Wirkung des Meskalin und der ande­ ren LSD-analogen Substanzen. Meskalin ist toxischer als das extrem wenig giftige LSD. Eine häufige Anwendung größerer Dosen kann angeblich zu Leber­ schäden führen. Doch reduziert die auch bei Meskalin wirk­ same paradoxe Toleranz bei häufigerem Gebrauch zwangsläu­ fig die benötigte Menge.

Meskalin (3,4,5-Trimethoxyphenylaethylamin)

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Eine Suchtgefahr besteht bei Meskalin ebensowenig wie bei den übrigen Halluzinogenen. Aufgrund seiner Untersuchungen bei Peyotl-essenden Indianerstämmen stellt Slotkin fest: »Der gewohnheitsmäßige Genuß von Peyotl scheint keine sich steigernde Gewöhnung und keine süchtige Abhängigkeit her­ vorzurufen. Ich kenne viele, die seit vierzig bis fünfzig Jahren Peyotisten sind ... Im allgemeinen nehmen sie heute nicht mehr Peyotl als vor Jahren. Auch liegt manchmal eine Pause von ei­ nem Monat oder mehr zwischen den Ritualen, und während dieses Zeitraums enthalten sie sich des Peyotl, ohne eine Sucht danach zu verspüren.« Für die körperliche Wirkung gelten (abgesehen von gelegent­ lich auftretender Übelkeit im Anfangsstadium) die Angaben über LSD (wenige objektive Veränderungen der normalen Körperfunktionen). Auch die psychische Wirkung folgt etwa denselben Gesetzmäßigkeiten. Es läßt sich lediglich feststellen, daß bei Meskalin besonderes Gewicht auf der Aktivierung der Wahrnehmung im optischen Bereich (»Farbsensationen«)liegt. Was die Dauer der halluzinogenen Wirkung betrifft, lassen sich größere Unterschiede zwischen den verschiedenen Substanzen feststellen. Meskalin hat eine Wirkungsdauer von ungefähr 6 Stunden (zum Vergleich: Haschisch etwa 2 bis 3 Stunden, Psilocybin 4 bis 5 Stunden, LSD 8 bis 12 Stunden, STP bis zu 3 Tagen). Die Dauer des Abflauens ist allerdings von der Höhe der Dosierung abhängig. Oft stellt sich gegen Ende des Meskalin-Trips ein natürliches Schlafbedürfnis ein (im Gegensatz zu LSD, das meist lange wach hält, wenn kein Beruhigungsmittel genommen wird). Ab­ schreckende Literatur wurde über Meskalin nicht veröffent­ licht. Offizielle Broschüren beschränken sich auf nebulöse Hin­ weise auf mögliche Geisteskrankheiten, allerdings ohne Quellenangaben oder sonstige Beweisführung. Befürworter fand Meskalin vor allem in den Schriftstellern Aldous Huxley und Henri Michaux und in vielen bildenden Künstlern (vgl. 3. Kapitel). Für den ungeübten psychedelischen Reisenden ist Meskalin 32

zum Erstversuch mehr zu empfehlen als LSD oder andere LSD-analoge Substanzen. Aufgrund seiner kürzeren Wir­ kungsdauer und weniger tiefgreifenden psychischen Beanspru­ chung erleichtert es den ersten Umgang mit der psychedeli­ schen Erfahrung. Als Unterbrecher werden bei Meskalin Tranquilizer, Barbi­ turate oder Glutaminsäure eingesetzt. Meskalin wird auf dem Schwarzmarkt vornehmlich als Meska­ linsulfat in Kapseln oder als Tabletten zu 0,2 g bis 0,4 g zu einem Preis von 5 bis 10 DM angeboten. Es pflegt meist rein, ohne Zusatz fremder Substanzen (außer Füllmitteln wie Milchzucker o. ä.) zu sein.

Psilocybin (Teonanácatl) Die frühesten Hinweise auf den Gebrauch des »heiligen Pilzes« Teonanácatl geben Pilzsteine aus Guatemala, 30 Zentimeter hohe Statuetten in Pilzform mit einem aus dem Stiel herausge­ arbeiteten Gesicht; sie werden von den Archäologen bis 2000 v. Chr. datiert. Skulpturen und Hieroglyphen aus dem Maya­ reich (200 - 400 n. Chr.) deuten ebenfalls unmißverständlich auf den Pilzkult hin. In Teotihuacan, auf den Fresken von Tepentitla, ist das irdische Paradies Tlalocs, des Regengottes, mit heiligen Pilzen abgebildet. Von Bernardino de Sahagun und Francisco Hernandez gibt es mehrere Berichte über Pilzfeste der Azteken und Chichimeken. Nach diesen Berichten wurden Auszüge des Pilzes mit Milch oder Agavenschnaps vermischt, während in späterer Zeit vor allem die getrockneten Pilze ge­ gessen wurden. Zweifellos wichtig ist der Hinweis, daß die Gemeinschaften, die den Pilzkult betrieben und betreiben, über fruchtbares, dem Menschen freundliches Land verfügten. Die Droge diente nie als Fluchtmittel aus einer als unerfreulich und belastend emp­ fundenen Realität, sondern ausschließlich als Hilfsmittel zur religiösen Ekstase. Obwohl der Pilzkult, wie sich heute feststel­ 33

len läßt, bei weitem verbreiteter war als der Peyotlkult, wurde er jahrhundertelang im Stillen praktiziert. Erst 1920 beschäftigte sich der Pharmakologe Reko mit alten mexikanischen Schriften und untersuchte die schwarzen Pilze, die ihm in Chihuahua als »Zauberpilze« angeboten wurden. In Oaxaca, einem schwer zugänglichen Plateau im Hinterland von Tehuacan, lebt das Volk der Mazateken, eine noch zivilisationsabgewandtere Gemeinschaft als die Tarahumaras der Sierra Madre Occidental. Dort wird noch heute, und vor allem zum Zweck der Krankentherapie, der Pilzkult zelebriert, von dem nach altem Brauch Kinder und Verheiratete ausgeschlos­ sen sind. Ein New Yorker Börsenmakler und Amateur-Pilzforscher, Gordon Wasson, wagte sich 1955 in das Mazatekendorf Huautla de Jimenez und nahm als einer der ersten Weißen an einer Pilzzeremonie teil. Vor einem indianischen Hausaltar, bei Ker­ zenlicht und dem leisen, beschwörenden Gesang der Curandera, erlebte Wasson die Wirkung der hundert Gramm frischer Pilze (etwa 12 Stück), die man ihm zu essen gegeben hatte, in sehr schöner, euphorischer Weise: »Wir gerieten bald in den Bann der mystischen Atmosphäre. Ich versuchte umsonst, ge­ gen die Wirkung der Droge anzukämpfen, um ein objektiver Beobachter zu bleiben. Zuerst erschienen geometrische, farbige Muster in meiner Vor­ stellung. Bald nahmen diese Muster architektonische Formen an. Es folgten Visionen von wundervollen Säulenhallen, edel­ steingeschmückten Palästen von überirdischer Harmonie und Pracht. Triumphwagen, gezogen von Fabelwesen, wie sie nur die Mythologie kennt, Landschaften in märchenhaftem Glanz. Vom Körper losgelöst, schwebte die Seele zeitlos in einem Reich der Phantasie mit Bildern von stärkerer Wirkung und tieferer Bedeutung als die der gewöhnlichen Alltagswelt. Der Urgrund, das Unaussprechliche, schien sich erschließen zu wol­ len, doch öffnete sich das letzte Tor nicht.« In einem Artikel im Life-Magazine äußerte sich Wasson noch detaillierter zu seinen Visionen: 34

»Sie waren in lebhaften Farben und immer harmonisch. Sie be­ gannen mit künstlerischen Motiven, wie man sie auf Teppichen oder Stoffen abgebildet findet... Dann kam es mir vor, als hät­ ten sich die Wände des Hauses aufgelöst und mein Geist sich in die Luft erhoben. Ich schwebte, sah unter mir eine Land­ schaft mit Bergen, über deren Kuppen Kamelkarawanen zo­ gen ... Diese visionären Bilder waren nicht verwischt oder un­ deutlich. Im Gegenteil, die Umrisse und Farben waren so ausgeprägt und scharf, daß sie mir wirklicher vorkamen als al­ les, was ich bisher in der Natur gesehen hatte. Ich spürte, daß ich erst jetzt klar sehen konnte, während unser gewöhnliches Sehvermögen uns nur eine unvollkommene Ansicht der Ge­ genstände vermittelt. Ich schaute die Archetypen, die platoni­ schen Ideen, von denen die Dinge des täglichen Lebens nur ein Abklatsch sind. Ein Gedanke schoß mir durch den Kopf: Konnte der Heilige Pilz die Lösung des Geheimnisses der alten Mysterien sein?... Solche Gedanken bewegten mich, während ich meine Visionen erlebte. Denn die Wirkung der Pilze äu­ ßerte sich in einer Spaltung des Geistes - einer Persönlichkeits­ spaltung -, einer Art von Schizophrenie, bei der der Verstand nicht aufhört zu urteilen und die Empfindungen betrachtet, in denen die Sinne schwelgen.«17 Einen Selbstversuch mit Psilocybe-Pilzen unternahm der Base­ ler Pharmakologe Albert Hofmann 1958. Im Laboratorium der Sandoz-Werke verspeiste er unter Aufsicht 32 gezüchtete Pilze (das 20fache der nötigen Menge). Das Ergebnis: »Nach einer halben Stunde begann sich die Außenwelt fremd­ artig zu verwandeln. Alles nahm einen mexikanischen Charak­ ter an. Da ich mir voll bewußt war, daß ich aus dem Wissen über die mexikanische Herkunft dieser Pilze mir mexikanische Sze­ nerien einbilden könnte, versuchte ich bewußt meine Umwelt so zu sehen, wie ich sie normalerweise kannte. Alle Anstren­ gungen des Willens, diese Dinge in ihren altvertrauten Formen und Farben zu sehen, blieben jedoch erfolglos. Mit offenen und bei geschlossenen Augen sah ich nur indianische Motive in Far­ ben. Als der den Versuch überwachende Arzt sich über mich 35

beugte, um den Blutdruck zu kontrollieren, verwandelte er sich in einen aztekischen Opferpriester, und ich wäre nicht erstaunt gewesen, wenn er ein Messer aus Obsidian gezückt hätte. Trotz des Ernstes der Lage erheiterte es mich, wie das allemannische Gesicht meines Kollegen einen rein indianischen Ausdruck an­ genommen hatte. Im Höhepunkt des Rausches, etwa 1,5 Stun­ den nach der Einnahme der Pilze, nahm der Ansturm der inne­ ren Bilder, es waren meist abstrakte, in Form und Farbe rasch wechselnde Motive, ein derart beängstigendes Ausmaß an, daß ich fürchtete, in diesen Wirbel von Formen und Farben hinein­ gerissen zu werden, um mich darin aufzulösen. Nach etwa 6 Stunden ging der Traum zuende. Subjektiv hätte ich nicht an­ geben können, wie lange dieser ganz zeitlos erlebte Zustand ge­ dauert hatte. Das Wiedereintreten in die gewohnte Wirklich­ keit wurde wie eine beglückende Rückkehr aus einer fremden, aber ganz real erlebten Welt in die altvertraute Heimat emp­ funden.« Der von Hofmann untersuchte Pilz Teonanácatl (das aztekische Wort nacatl bedeutet Fleisch, nanacatl ist zu verste­ hen als »sehr fleischig« und wird als Begriff für Pilz verwendet; teo heißt »Gott« oder »göttlich« — »Teonanácatl« ist also der göttliche Pilz), der ihm von Wasson zugesandt wurde, ist ein Blätterpilz (Agaricacee) der Familie Strophariaceae. Neben dem kleinen rötlichen Psilocybe mexicana sind noch weitere Pilze dieser Familie halluzinogenhaltig: Psilocybe cerulescens, Psilocybe semilanceala und Stropharia cubensis.

Psilocybin (4-Phosphoryloxy-N,N-Dimethyltryptamin)

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Der Teonanácatl braucht zum Gedeihen ganz bestimmte Bo­ denverhältnisse (nach Heim wächst er nur auf 1 %igen Nährlö­ sungen) und ist darum nicht allzu leicht zu züchten. Von den vier Verbindungen, die Hofmann 1958 im Psilocybe mexicana entdeckte, sind zwei - Psilocybin und Psilocin - psychoaktiv. Als Hydroxytryptaminderivat steht Psilocybin in enger Bezie­ hung zu anderen natürlich vorkommenden Tryptaminderivaten, wie dem Gehirnamin Serotonin und dem im Hautsekret von Kröten enthaltenen Bufotenin. Die chemische Formel zeigt als Indolgerüst mit stickstoffhaltiger Seitenkette auch große Ähnlichkeit zu den Alkaloiden des Mutterkorns und damit zu LSD. Eine synthetische Herstellung des Psilocybin ist relativ einfach. Das als psychedelische Droge gerne verwendete Psilocybin hat den Vorteil, 50mal stärker und 2,5mal weniger toxisch zu sein als Meskalin. Seine kurze Wirkungsdauer - 4 bis 5 Stunden ließ es neben LSD an die erste Stelle der klinisch verwendeten Psychodrogen rücken. Die physische und psychische Wirkung gleicht der anderer Halluzinogene. An gelegentlichen Neben­ wirkungen werden bei hoher Dosierung starke Schweißabson­ derung, Atemnot, Herzbeschleunigung und manchmal Zer­ schlagenheit nach dem Trip genannt (Wirkungen, wie man sie auch von starken Atropingaben kennt). Obwohl chemisch keine Verwandtschaft zwischen Psilocybin und Meskalin besteht, ist die Wirkungsweise sehr ähnlich. Eine spezifische Besonderheit liegt lediglich darin, daß »akustische Halluzinationen« bei Psilocybin häufiger sind als bei anderen LSD-analogen Substanzen. Die Normdosis für Psilocybin liegt bei 10 bis 20 mg. Als Unter­ brecher werden Tranquilizer und Barbiturate eingesetzt. Auf dem Schwarzmarkt ist Psilocybin seltener als andere Hal­ luzinogene erhältlich. Die Preisklasse ist dieselbe.

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Ololiuqui oder Morning Glory Die am wenigsten bekannte und bereits früher überwiegend im medizinischen und psychotherapeutischen Sinn verwandte heilige Droge Mittelamerikas ist der Windensamen Ololiuqui (aztekisch »Ololuc«, mixtekisch »Yukuyaha«), Obwohl bei Sahagun und Hernandez schon von einer Schling­ pflanze mit pfeilförmigen Blättern (»Pfeilkraut«) die Rede ist, wurde Ololiuqui lange Zeit - vor allem bedingt durch sprachli­ che Mißverständnisse - mit dem Stechapfel (Datura meteloides) verwechselt. Die zerstampften und in Pulque (Agavenmost) aufgeweichten Samen dienten als eine Art Gottesorakel, das Verlorenes wie­ derfinden lassen kann und bei der Klärung persönlicher Schwierigkeiten hilft. Quellen aus Yukatan berichten von Olo­ liuqui auch als von einem besonders wirksamen Heilmittel ge­ gen Harnsteine (was sich übrigens heute medizinisch belegen läßt). Im mexikanischen Staat Oaxaca sind noch heute die »Piuleros« (von »Piule« = Ololiuqui in Agavenmost) zu fin­ den, die umherreisen und Ololiuqui-Sitzungen überwachen. Sie allein sind privilegiert, den Trank zuzubereiten; denn nur sie wissen um die rechte Dosierung. Wieder war es Gordon Wasson, der den Anstoß zur wissen­ schaftlichen Identifizierung gab: er schickte den sehr mühevoll errungenen Windensamen zu Hofmann nach Basel. Wirkstoff­ haltig, so entdeckte Hofmann, sind die Samen der den Winden­ pflanzen (Convolvulaceen) zugehörigen violett blühenden Trichterwinde Rivea corymbosa und die der weißblühenden Ipomoea violacea; die Samen der ersteren sind rund und braun, die der letzteren schwarz und länglich. Hof mann isolierte 1960 aus der Rivea sechs Lysergsäurederivate, darunter 49 % d-Lysergsäureamid, 25 % d-Isolysergsäureamid und 5 % d-Lysergol. Die enge Verwandtschaft mit dem von ihm 1943 entdeckten LSD (Lysergsäurediäthylamid) war offensichtlich. Vergleiche von d-Lysergsäureamid mit dIsolysergsäureamid und LSD ergaben, daß es sich lediglich um 38

geringfügige Abwandlungen des Grundgerüstes (»Indolkern«) handelte. In Selbstzüchtung entwickelte die Rivea 0,01 % des Alkaloids Lysergsäureamid, die Ipomoea 0,05 %. Kauft man aller­ dings solchen Windensamen zum Eigenbau, so muß damit ge­ rechnet werden, daß seine Zuchtformen ihre Fähigkeit zur Ent­ wicklung des Alkaloids verloren haben. Im Gegensatz zu LSD tritt bei höheren Dosen von Lysergsäu­ reamid eine zunehmende Bewußtseinstrübung auf. Es verur­ sacht kaum Halluzinationen; der narkotische Halbschlaf, in den derOloliuqui-Esser für fünf und mehr Stunden (je nach Dosie­ rung) verfällt, ist eher mit der Wirkung des Skopolamins zu ver­ gleichen. So ist die Trennung, die von den Indios in der Ver­ wendung der verschiedenen sakralen Drogen vorgenommen wurde, verständlich. Ololiuqui eignete sich in seiner Eigen­ schaft als Sedativ viel eher zu diagnostischen und psychothera­ peutischen Zwecken. Allerdings förderte der Zustand hypnotid-Lysergsäureamid

d-Lysergsäureamid

Lysergsäurediäthylamid (LSD 25)

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sehen Halbschlafs nach Meinung der Indios auch die Fähigkeit der Seele, Reisen in göttliche Gefilde zu unternehmen.

LSD 25 Die Geschichte des LSD, der halbsynthetischen »Zauber­ droge« des 20. Jahrhunderts, ist die Geschichte eines Zufalls. Aber auch ohne ihn hätte die Beschäftigung mit den mexika­ nischen Halluzinogenen früher oder später gewiß auch zur Ent­ deckung des Lysergsäurediäthylamids geführt; doch ist es reiz­ voll, daß es seine unbeabsichtigte Entdeckung einem jener letzten alchimistischen Umwege verdankt, die in der modernen Chemie noch möglich sind. 1938 experimentierte der schon erwähnte Sandoz-Chemiker Albert Hofmann, der sich später zum unbestrittenen Halluzinogen-Experten entwickeln sollte, mit einigen Mutterkorn-Al­ kaloiden, die kreislaufstimulierende Wirkung zeigten. Da er ei­ nen Teil der Struktur des Kreislaufmittels Coramin in der Lysergsäure entdeckte, verband er die beiden Substanzen mit­ einander. Im fünfundzwanzigsten Experiment dieser Ver­ suchsreihe wurde in das Lysergsäuremolekül eine Diäthyl­ amingruppe eingefügt und das Produkt in ein weinsteinsaures Salz übergeführt, um es gut wasserlöslich zu machen. Dieses kristalline Pulver - heute LSD 25 genannt - zeigte bei Tierver­ suchen keine nennenswerten Auswirkungen auf den Kreislauf und geriet vorübergehend in Vergessenheit. Fünf Jahre später, 1943, stand wieder eine Versuchsreihe mit Mutterkorn-Alkaloiden auf Hofmanns Programm. Er erin­ nerte sich des Lysergsäurediäthylamids und machte während des Experimentierens eine außerordentlich seltsame Erfah­ rung. Unabsichtlich in den Genuß einiger Kristalle der Substanz gekommen, fühlte er sich plötzlich unfähig zur Weiterarbeit und legte sich nieder. Halb schlafend, halb wachend erlebte er intensiv farbige Traumbilder, die er sich nicht anders als durch die Einwirkung des Lysergsäurediäthylamids, mit dem er als 40

einzigem gerade experimentierte, erklären konnte. Ein Ver­ such mit der vermeintlich kleinen Dosis von 0,25 g (ein Zehntel davon hätte bei weitem genügt) ließ ihn auf eine phantastische Reise gehen: »Objekte veränderten sich optisch, ich konnte mich nicht kon­ zentrieren ... Bei geschlossenen Augen überschwemmten mich phantastische Bilder von außerordentlicher Plastik und intensi­ ven Farben ... Ich hatte Angst, irrsinnig zu werden, und was das Schlimmste war: ich war mir meines Zustandes klar bewußt; mein Beobachtungsvermögen war nicht beeinträchtigt. Raum und Zeit wurden mehr und mehr desorganisiert... Ich konnte nichts tun, den Zusammenbruch der Welt um mich aufzuhal­ t e n . . . Mein Ego war irgendwo im Raum. Ich sah meinen toten Körper auf dem Sofa liegen.« Vom »Höhepunkt der Krise«, während er ziemlich verzweifelt auf den Arzt wartete, berichtet Hofmann folgendes: »Schwin­ delgefühl und Sehstörungen; die Gesichter der Anwesenden kamen mir vor wie bunte Masken, kinetische Störungen traten auf, die mit Paralyse abwechselten, der Kopf, der ganze Körper und alle Glieder schienen zeitweise so schwer zu sein, als wären sie mit Blei gefüllt; Krämpfe in den Beinen, die Hände zeitweise kalt und empfindungslos; ein metallischer Geschmack auf der Zunge; die Kehle ausgetrocknet und wie zugeschnürt; ein Ge­ fühl, als müsse ich ersticken; ich war abwechselnd verwirrt und mir meiner Lage deutlich bewußt, so daß ich mich manchmal selbst als unbeteiligter Zuschauer betrachtete, während ich kreischte wie ein Verrückter und unverständliches Zeug lallte.« Der Arzt vermochte Hofmann nicht zu helfen. Er konnte ledig­ lich feststellen, daß der Kreislauf normal, der Puls ein wenig schwach war. Sechs Stunden verstrichen, der Chemiker begann sich zu erholen. Doch die Veränderung der Wahrnehmung hielt noch an: »Die optischen Verzerrungen waren immer noch sehr ausge­ prägt. Alles schien zu schwanken und keine festen Dimensio­ nen zu besitzen, wie Zerrbilder auf einer bewegten Wasser­ oberfläche. Schlimmer noch - alles war mit einer dauernd 41

wechselnden Farbe getränkt, meist ein giftiges Grün oder Blau. Mit geschlossenen Augen sah ich bunte, ständig wechselnde, phantastische Bilder. Besonders auffallend war, daß alle Ge­ räusche - zum Beispiel das Geräusch eines vorbeifahrenden Wagens - in visuelle Empfindungen umgesetzt wurden, so daß jeder Ton und jedes Geräusch ein dementsprechendes Bild er­ zeugten. Diese Bilder wechselten ständig Form und Farbe wie in einem Kaleidoskop.« Hofmann erlebte keine Nachwirkungen. Er schlief gut und fühlte sich am nächsten Morgen, abgesehen von einer leichten Abgespanntheit, völlig wohl. Hofmanns Erlebnisse sind typisch für den LSD-Trip; allerdings zeigt sein Erleben nur einen vordergründigen Ausschnitt aus dem Kreis vielfältiger Möglichkeiten des LSD-Erlebnisses. Eine schematische Aufgliederung der Rauschphänomene un-

LSD 25 (d-Lysergsäurediäthylamid)

Serotonin (5-Hydroxy-Tryplamin)

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ternahm der Psychiater Leuner - sie ist im folgenden Kapitel dargestellt. Ein Parasit der Kornähre (Roggen, Weizen, Gerste, Hafer), der Pilz Claviceps purpurea, ist der Träger der Mutterkorn-Alkaloide. In feuchten, heißen Sommermonaten entwickeln sich an den befallenen Ähren die dunkelvioletten, bis 2 cm langen und etwa 5 mm dicken kornartigen Pilze (Sklerotien), die, mit dem Korn genossen, schwere Vergiftungen (Ergotismus) hervorru­ fen. Lange wurde dieser Parasit als Anlaß für Massenseuchen nicht erkannt (1565 gibt es zum erstenmal Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Mutterkorn und dem als »St.-Antons-Feuer« bezeichneten Ergotismus). Eine heilsame Wir­ kung des Mutterkorns in entsprechender Dosierung war aller­ dings seit alters her schon bekannt: es diente zur Erleichterung der Entbindung und zum Stillen der nachfolgenden Blutungen.' Das im Mutterkorn enthaltene Alkaloid Ergobasin regt die Kontraktion des Uterus an, weshalb es auch zur Unterbrechung von Schwangerschaften eine - nicht ganz ungefährliche - Ver­ wendung fand. Das von Hofmann entdeckte Tryptaminderivat LSD 25 (das Indolgerüst ist für Pharmakologen und Chemiker auf den er­ sten Blick erkennbar) ist die potenteste Psychodroge, die wir kennen. Sie ist etwa ab 50 millionstel Gramm ( = 50 Mikro­ gramm oder Gamma) wirksam; 200 (μg LSD (Durchschnittsdo­ sis) entsprechen in der Wirkfähigkeit etwa 600 mg Meskalin oder 40 mg Psilocybin. Sofort nach der Absorption sammelt sich der größte Teil des LSD im Dünndarm, in der Leber und in den Nieren. Nur eine winzige Menge gelangt ins Gehirn. Da LSD eine hemmende Wirkung auf die Produktion des Gehirnamins Serotonin (Nerven-Reizüberträgersubstanz) ausübt, suchte man hier den An­ satzpunkt zur Klärung seines Wirkmechanismus. Allerdings gibt es - und das brachte einige Verwirrung in dieses Konzept — auch andere Serotoninhemmer, wie etwa Brom-LSD, die kei­ nerlei psychische Wirkung zeigen; Meskalin hingegen, das die Serotonin-Produktion in keiner Weise beeinflußt, wird - von 43

der Wirkung her gesehen - als LSD-analoge Substanz bezeich­ net. Ähnlichkeit findet man dagegen in den Strukturformeln von Meskalin und dem Gehirnamin Noradrenalin, was auf eine Wechselwirkung mit diesem Uberträgerstoff schließen ließe. Tierversuche der verschiedensten Art brachten eine Unzahl von Ergebnissen, deren Relevanz allerdings zum Teil sehr um­ stritten ist. Um nur einige zu nennen: Bei Kaninchen führten längerdauernde LSD-Gaben zu Ände­ rungen in den Nervenzellen des Hirnstammzentrums Hippocampus. Die Zusammensetzung der Ribonukleinsäure (RNS) veränderte sich. Der Serotonin-Stoffwechsel im Gehirn wurde vermindert. Katzen zeigten bei mäßigen Gaben von LSD Angst vor Mäu­ sen. Spinnen webten regelmäßigere Netze. Aus dem Bulletin der Schweizerischen Akademie der Medizini­ schen Wissenschaften, Vol. 27, 1971: »Schon das Anlernen junger Ratten kann durch kleine Dosen LSD deutlich verzögert werden. Mit einer dosisabhängigen Verspätung wird aber nach einiger Zeit trotzdem der Ausbil­ dungsgrad der Kontrollgruppe erreicht. Das bei sehr kleinen Dosen LSD anfänglich etwas verbesserte Lernen ist statistisch von der Kontrollgruppe nicht verschieden. Am Schluß wird scheinbar unter LSD ein höherer Anteil richtiger Antworten auf den bedingten Reiz hin gegeben als bei der Kontrollgruppe. Man kann auch prüfen, wie gut das Gelernte unter dem Einfluß verschiedener Halluzinogene reproduziert wird. Einfaches Weglassen der Halluzinogene bei an LSD gewöhnten Tieren Noradrenalin

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Meskalin

(22 Injektionen innerhalb von 2 Monaten) vermindert sofort die Leistung proportional der Dosis sehr deutlich. Der plötzli­ che Leistungsverlust ist vielleicht ein Äquivalent des Entzie­ hungssyndroms. Dieses Versagen wird nach erneuter LSD-Injektion wieder korrigiert, und die Antwortquote erreicht für alle Tiere den alten Wert. Bei erneutem, andauerndem Weg­ lassen der LSD-Injektionen braucht es durchschnittlich vier weitere Sitzungen, bis sich der Anteil richtiger Antworten der Kontrollgruppe, deren Werte 10 % tiefer als bei den LSDGruppen liegen, angleicht. Es scheinen sich die Tiere an LSD zu gewöhnen, und vor allem die ›dümmeren‹ Tiere verbessern so ihre Leistung.« Es ist recht fraglich, inwieweit die Wirkung von Psychodrogen an einem Lebewesen, das keine Psyche besitzt, abzulesen ist. Die Fragestellung der Akademie-Autoren ist ausschließlich von Leistungsdenken diktiert - beim Tierversuch unvermeid­ lich (aber, wie gesagt, nicht ersichtlich relevant im Zusammen­ hang mit Psychodrogen), beim Menschenversuch symptoma­ tisch. »Diese Versuchsanordnung18 steht in ihrem Wesen dem Men­ schenversuch nahe, aber das Tier kann selbst nichts aussagen, und man muß aus seinem Verhalten auf seine Gefühle und sein Erleben schließen. Ob Tiere selbst halluzinieren, ist daher eine unbeantwortete Frage. Aber man hat doch oft den Eindruck, daß besonders höhere Tiere (Katzen, Hunde) etwa Ähnliches erleben können«.19 Einem kanadischen Forscher, Ron Siegel, gelang bei Experi­ menten mit Tauben der Nachweis, daß auch Tiere unter dem Einfluß von LSD halluzinieren. Bei weißen Blutkörperchen, die man 48 Stunden lang in Zell­ kulturen LSD-Konzentrationen aussetzte, konnte man beob­ achten, daß die Chromosomenfäden in ihren Zellkernen um so mehr Bruchstellen zeigten, je länger und je stärker sie von LSD angegriffen wurden. Untersuchungsergebnisse wie das letztgenannte besagen aller­ dings wenig. Bei hoher Konzentration wirken viele von uns be­ 45

denkenlos eingenommene Substanzen und offizielle Genuß­ gifte als »Chromosomenbrecher«, ebenso Fieber, Röntgen­ strahlen und von modernen Industrieabfällen verschmutzte Luft. Vorläufige Hypothese des Wirkmechanismus halluzinogener Substanzen: Mögliche Erklärung: »Das Rauschgift könnte sich zum Beispiel mit einer vorhandenen Gehirnsubstanz verbinden und sie da­ durch ›neutralisieren‹. Es könnte aber auch ebensogut die Bil­ dung einer Gehirnsubstanz unterbinden (›Serotonin-Antagonismus‹) oder umgekehrt ihren natürlichen Abbau hemmen. Im ersten Falle wäre eine Verarmung, im zweiten Fall ein Überan­ gebot an dieser Gehirnsubstanz die Folge. Beides könnte zu ei­ ner Störung des normalen Gehirnstoffwechsels führen. Das LSD hemmt die Acetylcholinesterase, ein Ferment, das Acetylcholin in unwirksames Cholin und Essigsäure zerlegt, und von anderen Halluzinogenen ist bekannt, daß sie spezifisch den Durchtritt biogener Amine durch Zellmembranen in die Speichergewebe hemmen. Wenn sich eine Gehirnsubstanz un­ ter der Wirkung eines von außen zugeführten Stoffes über die normale Konzentration hinaus an einer Stelle anreichert, kann es zu einer vorübergehenden Störung des Gehirnstoffwechsels kommen«.20 Es ist dem Biochemiker bekannt, daß Indol- und Tryptaminstrukturen, wie die meisten Halluzinogene sie aufweisen, Ein­ fluß auf psychische Funktionen haben. Systematische Abände­ rungen der Moleküle (etwa Zusatz eines Brom-Atoms zu LSD) machen die Substanz als Halluzinogen unwirksam; das Beibe­ halten der Grundstruktur ist offenbar nicht von Bedeutung. »Wenn also nicht die Grobstruktur entscheidend ist, dann muß es die Feinstruktur einer chemischen Verbindung sein. Man versteht darunter z. B. die spezifisch räumliche und geometri­ sche Anordnung von Atomgruppen am Molekül. Dazu gehört auch der Energiezustand eines Moleküls und die Art und Weise, wie die elektrischen Ladungen über das ganze Molekül verteilt sind. Als man nun bei Indol-, Tryptamin- und Phenyl­ 46

äthylaminverbindungen solche Energieberechnungen durch­ führte, kam man hinter etwas sehr Interessantes. Alle starken Halluzinogene erwiesen sich als besonders starke Energiespen­ der, und je weniger diese Fähigkeit zur Elektronenabgabe vor­ handen war, um so geringer war auch die halluzinogene Wir­ kung.« Dieser Energiezustand des Moleküls - highest filled molecular orbital oder HFMO-Energie - ist zur Maßeinheit für die hallu­ zinogene Fähigkeit einer Droge erhoben worden. Mehr vermochte bis jetzt die Wissenschaft den Halluzinogenen nicht von ihrem Geheimnis abzubringen. Sie wird auch bei allem Forschen die Grenze akzeptieren müssen, wo es entweder hieße, die absurde Behauptung aufzustellen, Bewußtsein sei gleich Stoffwechsel, oder aber eben diese Begrenzung der Wis­ senschaft anzuerkennen und das Bewußtsein dort einzureihen, wo es hingehört: außerhalb der dreidimensionalen begrifflichen Welt der Naturwissenschaften. Allgemein läßt sich sagen, daß LSD offenbar jene Zentren im Gehirn stimuliert, die für Schlaf- und Wachzustände des Orga­ nismus und damit auch für die exakte Trennung von Wachbe­ wußtsein und Unterbewußtsein verantwortlich sind. Durch LSD scheint eine biologische Filterfunktion beeinträchtigt zu werden, wodurch Informationen Einlaß in das Wachbewußt­ sein finden, die biologisch »überflüssig« sind. Das in einseiti­ ger Weise konditionierte Nervensystem - dieser einseitigen Festlegung bedarf es zur klaren Orientierung innerhalb seiner dreidimensionalen Umwelt - wird von den Halluzinogenen ent-konditioniert und somit zugänglich gemacht für das Ange­ bot der vielfältigen Reize von außen und innen, die es nor­ malerweise unterschlägt. »LSD vermittelt durch eine sinnliche Erfahrung die Erkenntnis der Relativität unserer gewöhnlichen Auswertung von Sinnes­ informationen, indem es uns mit einer Fülle von qualitativ neuen Informationen überschüttet. Die außerordentliche Stei­ gerung der sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeit verbunden mit dem Abbau der kategorisierenden kanalisierten Funktions­ 47

weise der Wahrnehmung und des Denkens, erfordert eine Kor­ rektur unserer Vorstellung von der Wirklichkeit und ermöglicht eine Erweiterung des Wissens über die Wirklichkeit. Die LSD-Erfahrung macht deutlich, daß wir auch in normalem Zu­ stand die Welt nicht sehen, wie sie ist, sondern wie wir sind, wie unsere Nervensysteme und unsere Individualgeschichte es er­ lauben. Und sie befreit von der illusionären Vorstellung, daß es nur eine Dimension der Wahrnehmung, des Denkens, des Be­ wußtseins und der Wirklichkeit gibt.«21 LSD-Unterbrecher: Tranquilizer, Chlorpromazin (»Thora­ zin«), Barbiturate. Meist genügen 1 bis 2 Tabletten Valium 10, um einen allzu un­ angenehm werdenden LSD-Trip abzubrechen; in akuten Fäl­ len, die sich als »Durchdrehen« - Schreien, Schäumen, Augen­ verdrehen - äußern können, empfiehlt sich eine Injektion höherer Dosierung. Weitere synthetische Psychodrogen: STP (DOM) (4-Methyl-2,5-Dimethoxyalphamethylphenetylamin.) STP ist eine Verbindung aus Meskalin- und Amphet­ aminbestandteilen; es ist unberechenbar in der Wirkung (Dauer eines STP-Trips bis zu 3 Tagen) und kann durch Tran­ quilizer nicht gebremst werden. Dringend abzuraten! DMT (Dimethyltryptamin) DÄT (Diäthyltryptamin) MDA (Methylendioxyamphetamin) MMDA (Methoxymethylendioxyamphetamin) etc. Diese Substanzen werden nicht auf dem Schwarzmarkt angeboten, doch handelt es sich bei manchem angeblichen LSDTrip um eines der obengenannten Präparate. Nachprüfbar ist dies nur durch eine chemische Analyse.

LSD in der Psychiatrie

Die im deutschsprachigen Raum umfassendste Untersuchung der LSD-Wirkung im klinischen Bereich wurde unter dem Titel Die experimentelle Psychose von dem Göttinger Psychiater und Neurologen Hanscarl Leuner veröffentlicht. Diese Monografie ist das Ergebnis einer fünfjährigen Forschungsarbeit mit über tausend Einzelsitzungen, bei denen vorwiegend LSD, aber auch andere, LSD-analoge Substanzen benützt wurden. Es soll hier zunächst versucht werden, einen Überblick über die Arbeit Leuners, soweit sie für den Laien von Interesse ist, zu geben; die Untersuchung der »experimentellen Psychosen« beschränkt sich allerdings ausschließlich auf den konventionell-klinischen Raum und bedient sich des entsprechenden, zwangsläufig wertenden Vokabulars. Obwohl es nach Michel Foucault »längst ein Gemeinplatz der Soziologie und der Pathologie geworden (ist), daß die Krank­ heit ihre Wirklichkeit und ihren Wert als Krankheit nur inner­ halb einer Kultur hat, die sie als solche erkennt« ‘, muß doch auf diesen »Gemeinplatz« später noch ausführlich eingegangen werden. Die klinischen Versuche wurden unter einheitlichen Bedingun­ gen durchgeführt: abgedunkeltes Einzelzimmer, größtmögliche Stille, bei psychisch Kranken ständige ärztliche Kontrolle. Für die Nacht oder zum frühzeitigen Abbrechen der Sitzung wur­ den Barbiturate gegeben. Die Versuchspersonen und Patienten konnten nach Belieben liegen, sitzen oder sich im Zimmer und Korridor bewegen; die Erlebnisse wurden zum Teil vom Arzt protokolliert, teils von Tonbändern aufgenommen oder von den Versuchspersonen am Tage nach der Sitzung schriftlich protokolliert.

Allgemeine Phänomenologie In einer »allgemeinen Phänomenologie experimenteller Psy­ chosen« finden zunächst die vegetativen Symptome Beachtung. Obwohl Dosierungen bis zu 700 ϒ LSD verabreicht wurden, 51

kam es nie zu ernsthaften oder gar lebensbedrohenden Be­ schwerden. Genannt werden als subjektive Symptome Un­ wohlsein, Brechreiz, Würgen, gelegentliches Erbrechen, unbehagliches Krankheitsgefühl, Appetitlosigkeit, Heißhunger, ein Gefühl von Schwäche und Abgespanntheit, Hitze- und Käl­ teempfinden, inneres Zittern, Herzklopfen und Kribbelgefühl in den Händen. Am wenigsten traten diese Empfindungen bei dem besonders wenig toxischen LSD auf. Objektiv konnte ein leichtes Ansteigen des Blutdrucks festge­ stellt werden, ebenso Pulsbeschleunigung, gesteigerter Trä­ nenfluß, geringer Temperaturanstieg, leichter Blutzuckeran­ stieg, Schweißausbrüche und Erweiterung der Pupillen, doch überschritt all dies nie das normale Maß. An motorischen Störungen zeigte sich eine unnatürlich breitbeinige, unsichere Gehweise; Zeigeversuche und Greifen nach Gegenständen mißlangen häufig. Die Sprache wird als schlecht artikuliert, undeutlich und stolpernd beschrieben, die Schrift verändert sich, wird oft fahrig. Die Veränderung der optischen Wahrnehmung ist bei fast allen Psychodrogen (außer Psilocybin) die häufigste Form der Hallu­ zinationen. Verlängerte Nachbilder und ornamentale Muster (»eine unserer Versuchspersonen sah ganz kleine, zu Tausen­ den in den Feldern des Musters sich drehende Leiber von nack­ ten Mädchen«) wie auch die sogenannten Elementartrugwahr­ nehmungen (»Wetterleuchten, Lichtblitze, grüne und rote Nebel, farbige Streifen, Strahlenschleier, rasende Strudel, Spi­ ralen, Sterne, ein durch den Raum rasender Komet, plötzliche helle Lichterscheinungen im Dunkelraum«) und die Halluzina­ tionen aus illusionärer Verkennung (»ein Heizungsrohr wird zum Arm eines Kraken«) werden zu den Pseudohalluzinatio­ nen gerechnet, da die Versuchspersonen sich meistens der Un­ wirklichkeit dieser Erscheinungen bewußt sind. Erst bei entsprechend hohen Dosierungen können Halluzinationen als Realwahrnehmungen akzeptiert werden. Selten sind akustische Halluzinationen; nur bei Psilocybin und Adrenochrom2 werden gelegentlich Geräusche und Stimmen 52

halluziniert. Leuner verweist hierbei auf den Unterschied zu endogenen Psychosen (Schizophrenie): »Die Prävalenz akusti­ scher Halluzinationen bei Schizophrenen ist bekanntlich ein Haupteinwand gegen die Annahme engerer Beziehungen die­ ser Erkrankung zur experimentellen Psychose.« Störungen des Körperschemas äußern sich als Empfindungen des Schrumpfens, Kleinerwerdens und anderer körperlicher Entfremdungsgefühle bis zur Identifikation mit Personen und Gegenständen (»Eine unserer Versuchspersonen glaubte, beim Blick in den Spiegel ihren Vater zu erblicken«). Eine der häufigsten Erscheinungen ist die Veränderung des Zeit- und Raumerlebens. Erlebt werden Zeitlosigkeit, Zeitstill­ stand, Ewigkeit, Aufhebung des Bewußtseins von Vergangen­ heit und Zukunft und Störungen der Zeiteinschätzung. Ebenso kann der Raum seine Dimensionen verändern, größer oder en­ ger werden. Erstaunlicherweise wurde beobachtet, daß die ört­ liche Orientierung dabei kaum verlorengeht. Während in der Literatur selten von sexuellen Inhalten die Rede ist, berichtet Leuner von diversen Äußerungen sexuell triebhaften Erlebens: »Von dem erotisch getönten Gefühl, in einem warmen, umhüllenden Sandbade zu liegen, bis hin zum kosmischen Vereinigungsgefühl mit einer imaginären Partner­ gestalt oder über leere, ungerichtete sexuelle Erregungszu­ stände bis hin zur sexuell-aggressiven Vergewaltigung des Phantoms berichteten unsere Versuchspersonen die verschie­ densten Variationen. Aber auch heftiger Ekelaffekt gegenüber allem Sexuellen ist nicht selten, bisweilen bei derselben Ver­ suchsperson.« Kurz gestreift wird auch das kosmisch-mystische Erleben, for­ muliert als »abnormes Glücksgefühl bei Fehlen eines dahinterstehenden Ich-Bewußtseins«. »Erleuchtungsergebnisse, in de­ nen die Evidenz einer Erkenntnis mit dem Aufleuchten des ganzen Raumes verbunden ist, der von grellem, weißem Licht erfüllt scheint, kommen vor.« Wenig Ansatz zu systematischem Auftreten zeigte das Phäno­ men paranoider Zustände in sämtlichen Untersuchungen an 53

gesunden Versuchspersonen. Anders bei »präpsychotischen« Voraussetzungen, deren eindeutiger Charakter allerdings nur in selteneren Fällen festzustellen ist. »Die angestellten Testun­ tersuchungen erlaubten nur selten eine prognostische Aussage über zu erwartende paranoide Reaktionen der Versuchsperso­ nen.« Soziales Verhalten unter Psychotika ist der letzte Punkt inner­ halb der allgemeinen Phänomenologie. Übereinstimmend wird von Leuner und mehreren von ihm zitierten Autoren die Re­ duktion der verbalen Kommunikation festgestellt (im Gegen­ satz zu Schizophrenen), andererseits aber erhöhte Bereitschaft zu »Solidarität und gegenseitiger Ermutigung und Hilfe bei Gruppengesprächen unter LSD«. Daß Leuner seinem ausschließlich klinischen Rahmen selbst gewisse Vorbehalte entgegenbringt, zeigt der Hinweis auf die Beschränkung, die sich daraus ergibt: »Das Studium des Wah­ nes könnte durch die experimentelle Psychose gefördert wer­ den, wenn man in größerem Umfange Untersuchungen mit Versuchspersonen machen würde, die sich im Rausch außer­ halb des Labors frei bewegen.«

Veränderung des Bewußtseins Als »umfassenden Strukturwandel der Psyche« begreift Leuner die veränderten Bewußtseinsvoraussetzungen, die zu den oben beschriebenen Phänomenen führen und die sich grundsätzlich bei allen Psychotomimetika feststellen lassen (»das psychotoxi­ sche Basissyndrom«). Beeinflussender Faktor für die »skalare Bewußtseinsverände­ rung« - es wird darunter die Abstufung von Überwachheit über den normalpsychologischen Zustand bis zur totalen Bewußt­ seinstrübung (Somnolenz) verstanden - ist vor allem der che­ mische Aufbau der Droge, in der Reihenfolge: Atropinab­ kömmlinge (nahezu völlige Bewußtlosigkeit), Butoxamin (weniger ausgeprägte Bewußtseinstrübung), Haschisch (Trü­ 54

bung nur bei sehr hoher Dosierung), LSD (nur im schweren Rausch plötzliche Überfälle von Schlaf - nicht zu verwechseln mit dem Koma), Meskalin (auch bei extrem abnormem Erleben vollständig erhaltene Klarheit des Bewußtseins). Von großer Bedeutung ist auch die Dosierung, die sich nach dem Körpergewicht zu richten hat. In diesem Zusammenhang widmet Leuner an anderer Stelle dem »Dosisproblem« ein eigenes Kapitel, da in der Literatur als hervorstechendes Merkmal immer wieder eine große indivi­ duelle Schwankungsbreite der wirksamen Dosis beschrieben wird. Hier die Zusammenfassung: Ausgangspunkt sind drei Dosierungsstufen aus klinischer Sicht: niedere Dosierung: gelockertes Assoziieren, sogenanntes präpsychotisches Stadium oder explorative Phase, mittlere Dosierung: noch erhaltener reflektierender Ich-Rest, gelegentliche psychotische Symptome, hohe Dosierung: voll ausgeprägte Psychosen, Verlust der Reflektionsfähigkeit, affektive Erregung und Katatonie (Bewegungs-, Willens- und Handlungsstörungen, zumeist in Form von Erstarrung). Beeinflussend auf die Wirkung der Dosis sind: die Konstitution: Bei psychisch Labilen und hysterisch Struk­ turierten, emotional orientierten und musisch veranlagten Personen bewirken niedrige Dosierungen vergleichsweise starke Wirkungen; schizothyme, rational orientierte und be­ herrschte Personen bedürfen höherer Dosen, das Geschlecht: Bei einem Mittel von 1 ixg pro kg Körpergewicht reicht bei Frauen meist die Hälfte bis ein Drittel der Dosis, während Männer, um dieselbe Wirkung zu erzielen, gele­ gentlich bis zur dreifachen Höhe der Normdosis gehen müs­ sen. Hingegen zeigte sich, daß Frauen sich am Tag nach einer experimentellen Psychose wesentlich matter und abge­ spannter fühlten als Männer, die Gesundheit: Ebenfalls beeinflussend auf die Wirkung ist die gesundheitliche Situation: Während einer grippalen Erkran­ 55

kung oder Rekonvaleszenz wie auch bei Frauen während der Menstruation werden geringere Dosen benötigt. Besonders bedeutungsvoll für das Maß der Bewußtseinstrü­ bung ist die willentliche Beeinflussung, mit deren Hilfe psycho­ tische Erlebnisse abgewehrt werden können, andererseits aber auch eine leichte Bewußtseinsveränderung unter geringer Do­ sierung absichtlich verstärkt werden kann. Die Abwehrhaltung findet sich besonders häufig bei schizothymen und intellektuel­ len Personen. Die Gewöhnung an die veränderte Erfahrung schließlich be­ wirkt nach einer längeren Reihe von experimentellen Psycho­ sen eine gewisse Ordnung im anfänglich ungeordneten delirant-halluzinatorischen Erleben. »Das Erlebnisfeld in der experimentellen Psychose nähert sich bei zunehmender Adap­ tion den normalpsychologischen Verhältnissen größerer Be­ wußtseinsklarheit und Prägnanz.« Symptomatisch für alle exogenen Psychosen ist das bei mäßigen Dosen beobachtete Spaltungsphänomen. Das Bewußtsein um die Künstlichkeit des Erlebten, formuliert als »reflektierender Ich-Rest«, verschwindet erst bei sehr hohen Dosierungen. Dann läßt die Ich-Aktivität zunehmend nach, die passive Hin­ gegebenheit an das Erleben wird mit der Übergangsphase des Einschlaferlebnisses verglichen. Leuner bezeichnet diesen Vorgang als Bewußtseinsverengung. »Obgleich das Ich als Person in allen seinen Strebungen und Wünschen und seiner Weltverbundenheit zurücktritt, die Kon­ tinuität zum früheren Sein abreißt, überhaupt eine Loslösung vom Normalerleben die wichtigste Persönlichkeitsveränderung darstellt, muß damit kein Verlust der Klarheit und Deutlichkeit der Bewußtseinsinhalte verbunden sein. Im Gegenteil: das we­ nige, das im eingeengten Bewußtseinsfeld vorhanden ist, be­ kommt abnorme Eindringlichkeit...« Die »qualitative Bewußtseinsveränderung« wird bei Leuner und den von ihm zitierten Autoren (Behringer, Fränkel und Joel, Conrau) grundsätzlich als Reduktion der »psychischen 56

Leistung« betrachtet: Ganzheitsverlust, Denkvorgänge ohne Leitlinie, das Fehlen der Fähigkeit zur interrativen Zusam­ menschau. Dort findet sich eine Einschränkung im Hinweis auf die »Entwicklung neuer Ganzheiten«: eine mehr absolute, un­ bekümmerte Form des Sehens, eine neue Realität, »durch die Lockerung und Auflösung des im Normbewußtsein festgefüg­ ten Erlebnisfeldes« Freisetzung von Erlebnissen aus dem Be­ reich der Träume. Berichte von starken Konzentrationsstörungen und verschie­ denen Formen von Depersonalisation (Beschreibung einer Versuchsperson: »als wenn ich nicht mehr ich selbst wäre«) fin­ den sich übereinstimmend in der gesamten Literatur. Das Denken verändert sich in Richtung auf eine Entdifferen­ zierung der Intelligenzleistung, was Reduktion des abstrakten und begrifflichen Denkens zugunsten des Konkreten bedeutet. Das freie Assoziieren, die lockere Aneinanderreihung von nicht zentralisierten Gedankeninhalten bringt Leuner in Beziehungzum Denken des Kindes (»Die Intelligenzform unter LSD ist die einer ontogenetisch frühen Stufe, ca. 4.-6. Lebensjahr«) und des Primitiven; auch zur Lyrik findet er Entsprechungen. Die Beeinflussung der Affektivität reicht von extremer Eupho­ rie über subtile Abstufungen heiteren Wohlbefindens bis zu schweren Depressionen und Selbstmordgedanken, wobei die jeweilige Stimmung häufig ohne Anlaß auftreten kann und hef­ tigen Schwankungen unterworfen ist. Auch hier gilt wieder das »psychotoxische Basissyndrom«; Unterschiede zwischen nie­ deren und hohen Dosierungen erwiesen sich als wesentlich eklatanter im Vergleich zu den Unterschieden zwischen ver­ schiedenen Substanzen. (Eine Versuchsperson versuchte aller­ dings nachdrücklich zwischen Meskalin- und LSD-Rausch zu unterscheiden, indem sie ersteren »eine rein ästhetische Lust« nannte, den letzteren dagegen als »stimmungsreicher, romanti­ scher und stärker mit dem Gefühlserleben verbunden« be­ zeichnete).

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Gewöhnung, paradoxe Gewöhnung und Suchtgefahr Bei häufiger Einnahme von LSD entwickelt sich eine schnell zunehmende Toleranz. Es wurde beobachtet, daß bei täglichem Gebrauch bereits nach drei Tagen die Dosis bis um das Vier­ fache erhöht werden mußte, um gleichbleibende Wirkung zu erzielen. Allerdings war nach drei Tagen LSD-Abstinenz die Toleranz bereits wieder verschwunden. Bei einmaliger hoher Dosierung kann sich die Toleranz bis über fünf oder sechs Tage erstrecken. Eine »Kreuztoleranz« zwischen LSD, Meskalin und Psilocybin (jede der Substanzen erzeugt ähnliche Toleranzer­ scheinungen, so daß sich ein Uberwechseln etwa von LSD auf Psilocybin als unwirksam erweist) deutet darauf hin, daß der Toleranzeffekt nicht auf die spezifische chemische Struktur des LSD zurückzuführen ist. Nachdrücklich weist Leuner darauf hin, daß »Abstinenzerscheinungen nach Absetzen von LSD oder verwandten Substanzen völlig ausbleiben«. Eine besondere Eigenart der Halluzinogene ist die »paradoxe Toleranz«. Bei regelmäßigem Gebrauch von LSD mit jeweils einwöchigem Abstand mußte die Dosis zunehmend verringert werden, da der Wirkungsgrad auf die gleichbleibende Dosis hin sich permanent erhöhte. Zum Beispiel begann eine Versuchs­ person mit 300 v (die nur schwache Wirkung erzeugten), doch mußte man sie bereits nach der zweiten Sitzung auf 130 y her­ absetzen, um sie nicht zu überfordern. Leuner erklärt dieses Phänomen damit, daß die Persönlichkeit »durch eine große Anzahl von LSD-Sitzungen in höchstem Maße emotional auf­ gelockert beziehungsweise labilisiert werden (kann)«, und schließt daraus, daß regelmäßiger Gebrauch von LSD eine »Hysterisierung« oder »Neurotisierung« mit sich bringen kann. Fälle von LSD-Sucht gab es bei Leuners Experimenten ebensowenig wie in allen übrigen veröffentlichten Versuchs­ reihen. Entziehungserscheinungen wurden nicht beobachtet. Nichts läßt auf Suchtgefahr im organischen Sinne schließen. Suchtneigung im Sinne von psychischer Abhängigkeit konnte selten festgestellt werden (»Einer unserer Fälle drängte sich zur 58

Fortsetzung der praktisch ohne Erfolg bleibenden Therapie, weil sie im Rausch regelmäßig sexuell-orgastische Erlebnisse hatte«); im klinischen Rahmen wurden die LSD-Erlebnisse zu­ meist eher als quälend und belastend empfunden. Ohne erklärenden Kommentar stellt Leuner fest: »Man wird sich nicht mit der von Aldous Huxley in guter Absicht geäußer­ ten Auffassung befreunden können, ein regelmäßiger Drogen­ rausch sei als Ergänzung der einengenden rationalen Bewußt­ seinsform des modernen, technisierten Menschen zu empfeh­ len, um ihm mit dem Eintritt in das >Reich der Visionen< eine zusätzliche Erkenntnisquelle zu erschließen.«

Spätwirkungen Gelegentlich zeigten sich bei solchermaßen »gewöhnten« Ver­ suchspersonen Wochen oder Monate nach Abschluß der Sit­ zungen plötzlich aufschießende psychotische Symptome, die als nicht toxisch bedingte Episoden psychogener Psychosen be­ trachtet werden. In sehr extremen Fällen (Voraussetzung sind besonders heftige einmalige oder mehrmalige experimentelle Psychosen) können solche Nachwirkungen länger andauern und werden mit einer halben Dosis der entsprechenden Sub­ stanzoder aber mit Gaben von Chlorpromazin behandelt. Zum Beispiel erlebte eine Versuchsperson 14 Tage nach einer LSD-Sitzung akustische Halluzinationen, in denen eine Stimme das eigentümliche Gesicht ihres Gegenübers im Eisenbahnab­ teil kommentierte. Eine andere Versuchsperson erlebte 2 bis 3 Tage nach einer experimentellen Psychose mit 60 y im Rahmen einer über ein Jahr laufenden Serie, daß von jedem Gegen­ stand, den sie betrachtete, und von jedem Menschen, den sie sah, eine nach oben entweichende Rauchwolke aufstieg. Aus der Literatur (Abramson) zitiert Leuner das Beispiel einer Chinesin, die vermeintlich LSD, in Wirklichkeit jedoch nur rei­ nes Wasser zu sich nahm, am nächsten Tag jedoch anrief und berichtete, daß ihre beiden Beine gelähmt seien. 59

Umwelteinflüsse Wechsel der Umgebung und andere Veränderungen können die experimentelle Psychose plötzlich abbrechen. »Die Versuchsperson 12 erlebte ein völliges Abschalten aller Rauschphänomene, nachdem versehentlich eine Reinema­ chefrau in das Dunkelzimmer eingetreten war, gegen die der junge Mann eine starke emotionale Aversion hatte.« »So sahen wir bei unserer Versuchsperson 1, die zur Erreichung eines mittelstarken Rausches bis 700 ϒ benötigte, daß selbst un­ ter ähnlich hoher Dosierung die experimentelle Psychose aus­ blieb, wenn z. B. der Betreffende durch ein bei der Verabrei­ chung des Mittels geführtes Gespräch in innere Opposition zum Versuchsleiter geriet. Wir trafen den jungen Mann noch 3 Stunden nach der Verabreichung völlig attend und zu intellek­ tuellen Gesprächen aufgelegt in seinem Dunkelzimmer an, wo er uns zurief, man wolle ihn wohl zum Narren halten, man habe ihm nur Leitungswasser verabreicht.« Erst unter sehr hohen Dosen, nach völligem Verlust des IchRestes, werden äußere Veränderungen weitgehend ignoriert.

Psychotherapie Leuner lehnt die Halluzinogene als verläßliche psychodiagnostische Hilfsmittel ab, obwohl in anderen Untersuchungen ein­ deutige Hypothesen über die Verwendbarkeit von LSD als »Persönlichkeitstest« zur Akzentuierung des klinischen Bildes und zur strukturellen Diagnose bei Hysterie aufgestellt wurden. Positive Ergebnisse brachten dagegen eigene Reihenexperi­ mente zur Erprobung der psychotherapeutischen Wirkung von Halluzinogenen: »In der serienweisen Wiederholung bestätigte sich an mehr als 70 Versuchspersonen, daß das Erleben in der LSD- und Meskalinpsychose symbolischen Ausdrucksgehalt besitzt, unmittelbaren Bezug zur Persönlichkeit des Berausch­ ten hat und große psychotherapeutische Wirkung zeigt.« Als 60

Hilfe für Neurosenbehandlung hat sich die LSD-Therapie (Psycholyse) bereits teilweise etabliert.

Kunst Die Ergebnisse der Untersuchungen anderer Autoren, die sich mit künstlerischer Produktion unter LSD beschäftigten, be­ zeichnet Leuner als »vom künstlerischen Gesichtspunkt uner­ giebig«. Der allenthalben beobachtete formale Zerfall wird auf psychomotorische Störungen und die Unfähigkeit zur prägnan­ ten Darstellung zurückgeführt. Empfanden die einen Künstler die Diskrepanz zwischen Gewolltem und Ausgeführtem als peinlich, so äußerten andere da­ gegen recht Positives: freiere Handhabung der Farben und Formen, Steigerung der schöpferischen Fähigkeiten, Einsicht in noch unterentwickelte Bereiche des Talents. Den offensichtli­ chen Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsauflockerung und gestalterischer Fähigkeit zeigt folgendes Beispiel: »Unsere Versuchspersonen 4,7 und 8, die anfänglich in steifer, schülerhafter Unbeholfenheit, eine Vorlage benutzend, die In­ halte ihrer optischen Halluzinationen darzustellen versuchten, produzierten von einem gewissen Zeitpunkt an großflächige, frei konzipierte, häufig ungewöhnlich ausdrucksvolle, zum Teil sogar künstlerisch interessante Malereien, teils mit karikaturi­ stischer Prägnanz, teils mit besonders intensiver Farbgebung.«

Abläufe experimenteller Psychosen Formaler Ablauf Leuner unterscheidet vier Stufen der Rauschstärke: 1. Stufe (explorative Phase): gehobene Stimmung, gelockerte Assoziationen, gesteigerter Rededrang, unvermittelte affektive Reaktionen, ungetrübtes Bewußtsein; 61

2. Stufe (oneiroide Phase): gesteigerte Gleichgültigkeit, Ab­ wendung von der Umwelt, traumhafte Trugwahrnehmungen oder andere psychotische Erlebnisse; reduziertes zielgerichte­ tes Denken, noch Möglichkeit zu willentlicher Eigenbeeinflus­ sung, angedeutete Bewußtseinstrübung; 3. Stufe (extrem-psychotische Phase): leichte Bewußtseinstrü­ bung bei LSD und Psilocybin, weniger unter Meskalin. Quä­ lende psychotische Zustände bis zur deliranten Verwirrtheit. Dieser Zustand wird bei mittleren Dosierungen, wenn über­ haupt, nur vorübergehend erreicht; 4. Stufe (Verwirrtheit): entweder völlige delirante Verwirrt­ heit oder schwerster psychotischer Zustand (unter Umständen bei relativ gut erhaltenem Bewußtsein); keine Einsicht mehr in das Artifizielle des Zustandes, Verlust des letzten Ich-Restes. Zeitlicher Ablauf Anlaufphase: Beginn etwa eine halbe Stunde nach Einnahme von LSD. Vegetative Symptome, Entsprechungen zur »explorativen Phase«. Oneiroid-psychotische Hauptphase: Je nach Höhe der Dosis Auftreten der Stufen 1 bis maximal 3, ganz extrem auch 4, und Dauer von drei bis maximal fünf Stunden. Höhepunkt in der 3. Stunde nach Einnahme. Die Rauschstärke variiert wellenför­ mig. Oft tritt in der 5. Stunde eine plötzliche Ernüchterung ein. Das Mitteilungsbedürfnis ist dann sehr groß. Doch können sich im Hintergrund weiterhin die Erlebnisse der Stufen 2 und 3 ab­ spielen. Bei anderem Verlauf sinkt die Rauschintensität konti­ nuierlich von der zweiten in die dritte Phase ab. Oneiroide Nachphase: Das oneiroide oder das psychotische Er­ leben wird nun weniger intensiv empfunden. Kontinuierliches Berichten des Erlebten ist möglich, das Mitteilungsbedürfnis steigert sich. Affektlabilität mit Neigung zu unkoordinierten Reaktionen, gesteigerte Aggressivität oder depressive Stim­ mung sind häufig. Denkstörungen können bereits überspielt werden. Dauer 4 bis 5 Stunden. 62

Explorative Phase: Nach hoher Dosis und ohne Beeinträchti­ gung durch Medikamente oder Übermüdung kann diese Phase weitere 6 bis 10 Stunden dauern. Bei weiterhin erhöhtem Aus­ sprachebedürfnis ist das Verhalten nun weitgehend unauffällig, psychotische Einmischungen in die der Stufe 1 entsprechende psychische Situation sind selten. Spätphase: Entsprechend der Dosierung können Nachwirkun­ gen von einem bis zu 14 Tagen beobachtet werden. Dabei ent­ steht allerdings kaum eine Beeinträchtigung der regulären Be­ schäftigung. Es handelt sich um eine psychogene Reaktivierung in Form von Einzelphänomenen.

Grundformen des Rauscherlebens Aus seiner Praxis kristallisierte Leuner bestimmte Grundfor­ men des Erlebens im Rausch heraus. Funktional gesehen un­ terscheidet er die »fluktuierend-szenische Verlaufsform« (=quasi-normal) und die »stagnierend-fragmentarische und dissoziierte Verlaufsform« ( = extrem-psychotisch). Vom inhaltlichen Aspekt her gliedert er die Erlebnisformen in: a) überwiegend optische, b) überwiegend stimmungserfüllte, c) überwiegend leibliche, d) instinkt- und triebgebundene Passagen, e) Passagen mit Reminiszenzen im Sinnestrug. Sowohl die Form wie die Art der Erlebnisse mischen sich auf vielfältige Weise. Zwar als psychotisch bezeichnet, aber doch inhaltlich relativ verständlich ist die erste Verlaufsform, die man am intellektu­ ellen Zusammenhang und der Integration der sensorischen In­ halte mit Emotionalität und Affektivität erkennt. Die zweite Verlaufsform ist insofern absolut »unnormal«, als sie nur innerhalb einer Psychose zu finden ist. Als Extrem wer­ den katatoner Stupor und extreme affektive Gespanntheit oder Motalitätspsychose, auch abnorme Verstimmung sowie Ver­ 63

wirrtheit angeführt. Dabei ist kein organisches Auseinanderhervorgehen von Inhalten mehr feststellbar; die Inhalte sind »grundsätzlich unverstehbar« (entsprechend der endogenen Psychose). Beispiel für eine quasi-normale Verlaufsform: »Eine plötzliche Kampfreaktion meiner Muskeln läßt mich auffahren. Da sehe ich auch den Gegner: ein kräftiger blonder Riese. Wir ringen gewaltig miteinander hin und her auf einer Waldklippe. Ich ge­ winne einen Vorteil. Da verwandelt sich der Riese in den Teu­ fel. Ein schwarzes, glattes, großmächtiges Ungetüm mit Hör­ nern, Schweif und Klauen. Er kann auch fliegen. Unentschie­ dener Kampf. Als er schließlich von oben herabstößt und mir zu nahe kommt, stopfe ich ihm die Bibel ins Maul. Es gibt eine Explosion mit bläulicher Flamme. Es hat den Teufel zerrissen.« Solche normalerweise farbigen Halluzinationen können sowohl bei geöffneten wie bei geschlossenen Augen erlebt werden. Die innere Haltung ist diesen Erscheinungen gegenüber oft kühl, ebenso ist aber auch heftige gefühlsmäßige und affektive Be­ teiligung möglich. Anstatt der optischen Halluzinose finden sich auch intensive Stimmungserfülltheit oder Kindheitserin­ nerungen, die kontinuierlich und geordnet verlaufen. Die Evi­ denz einer Sinnbeziehung zur Persönlichkeit stellt Leuner allerdings in Frage. Im Gegensatz zu solch realistischem Erleben steht die extrem­ psychotische Form (Übergang: langdauernde Stagnation von Erlebnisinhalten in quasi-normaler Form) mit deutlich inad­ äquaten effektiven Erregungszuständen. Überaus häufig ist der fragmentarische Ablauf, die Inhalte sind sinnentleert, eine Rückführung auf psychoanalytische Symbole ist selten möglich. Eine besondere Form stellen die »abnormen gegenstandslosen Gefühle« (Glücksgefühle, sinnliche Lustempfindung, mysti­ sche Ekstase) dar. Hier fehlt nach Leuner eine verstehbare Sinnbezogenheit zwischen Affekt und den vorangehenden oder nachfolgenden Halluzinationen. Die während solcher abnormen Gefühlssituationen eintretende 64

Unansprechbarkeit beschreibt Jaspers als »seelische Läh­ mung« . Beispiel für solch einen Lähmungszustand: »In mehreren Sitzungen besteht lange Strecken das Bild eines katatonen Stupors. Die Versuchsperson liegt in gestreckter Haltung hölzern auf der Couch und starrt unbeweglich an die Decke. Die Mimik ist maskenhaft starr, nur an den gespannten Gesichtszügen, dem fliegenden Atem und der feuchten Ge­ sichtshaut kann ein Zustand innerer Erregung abgelesen wer­ den. Für lange Zeit ist die Versuchsperson nicht ansprechbar, obgleich offenbar nicht stärker bewußtseinsgetrübt. Nachträg­ lich stellt sich heraus, daß sie nicht halluzinierte, Mutismus3 und starr gerichteter Blick also keineswegs Folge einer optischen Fesselung waren, sondern der psychopathologische Sachverhalt einer Katatonie - inhaltlose Erregung, gepaart mit den Gefüh­ len allgemeiner innerer Gehemmtheit - das Innenleben cha­ rakterisiert.«

Inhalte Überwiegend optische Erlebnisform In der experimentellen Psychose überwiegt die optische Hallu­ zination (zumal bei LSD), wesentlich seltener sind akustische Halluzinationen (fast nur bei Psilocybin beobachtet). Überwiegend stimmungserfüllte Erlebnisform »Je intensiver das Gefühl, desto schwächer ist immer das Bild - es wird einfach dunkler vor den Augen, wenn eine anhaltende Welle intensiver Gefühlsregung über mich kommt« - so be­ schrieb eine Versuchsperson treffend die Eigenart des stim­ mungserfüllten Zustandes, der Halluzinationen weitgehend auszuschließen scheint. Beschrieben werden intensive Gefühle des Ekels, des Mißbehagens, der Vereinsamung und Leere, die 65

bezugslos für sich stehen, aber auch mit paranoiden oder de­ pressiven Inhalten erfüllt sein können. Beispiel: »Intensive Verzweiflungsstimmung! Ich werde niederge­ schmettert, psychisch in einzelne Bestandteile zerlegt, die jeder für sich entwertet werden. Ich empfinde mich als das niedrigste, verächtlichste Geschöpf der Welt. Der Rest von Selbstachtung ist systematisch zerstört, indem jedes scheinbar positive Gefühl beim Auftauchen wie durch eine übermächtige Kritik einer unbezweifelbaren Autorität als Pose entlarvt, durch den Schmutz gezogen wird.. Ich existiere gewissermaßen nur noch in der Annahme und dem Durchleben dieser von allen Seiten über mich hereinbrechenden Verzweiflung. Ich fühle mich bei den Haaren und am Genick gepackt und mit dem Gesicht in den Schmutz gestoßen. Ich krümme mich zusammen wie ein Wurm, als ob ein großer ekliger Klumpen aus dem Halse herauswürgen will...« Während die negativen Empfindungen unter dem Druck gro­ ßen Mitteilungsbedürfnisses gern ausführlich beschrieben wer­ den, gibt es über die angenehmen wesentlich weniger Beschrei­ bungen. Mystische Erlebnisse werden zumeist nur angedeutet, es besteht kein Drang zu detaillierter Beschreibung. Gelegentlich kommt es auch zu aggressiven Affekten: Zorn, Wut, sexuelle Erregung. Überwiegend leibliche Erlebnisform Abnormes Leibeserleben ist in der experimentellen Psychose überaus häufig und wird deswegen in einer eigenen Erlebnis­ kategorie zusammengefaßt. Symptomatisch ist folgende Beschreibung: »Ich empfand eine zunehmende nervöse und gefühlsmäßige Empfindlichkeit, die sich so lange steigerte, bis ich jeden Nerv in meinem Kopf ver­ spürte. Dort empfand ich drei Etagen oder Stufen. Ich selbst befand mich in diesem etageweise gebauten Hohlraum...« Das mühselige Durchqueren der »Etagen« wird von der Versuchs­ 66

person mit dem Durchleben persönlicher Eigenschaften, wie »Angst«, »Wildheit«, »Scheu«, gleichgesetzt. Die Leistung der Selbsterkenntnis wird in eigentümlicher Doppelform erlebt. Instinkt- und triebgebundene Passagen Ein »äußerst wohlerzogener, gesellschaftlich gewandter und in seinem Charakter durchgehend wohltemperierter Akademiker und Familienvater« erlebt in der LSD-Psychose Zustände ex­ tremer Wut gegen seine Frau (er zerbricht während der Sitzung einen Kleiderbügel und zerschmettert drei Flaschen, was ihn, ,wie er sagt, sehr erleichtert). »Bei ansteigender Selbstkontrolle steigt auch meine Wut. Mir schießt der Gedanke in den Kopf, dich kontrolliert die Mutter in dir. Ich vergewaltige erst meine Mutter, dann meine Frau. Ich töte sie b e i d e . . . Die Leichen werden in einen Sumpf geworfen. Dieser Vorgang kommt so überraschend, daß ich ihm nicht ge­ wachsen bin und ihn am Ende mit Widerwillen vollziehe. Das vergewaltigte Mutterbild trägt übrigens noch andere Züge, nämlich die von Tante A. L. und S. Z., die meiner Frau ähneln.« Dazu Leuner: »Vom formalen Aspekt handelt es sich um einen schweren, aggressiv-triebhaften Raptus4 ohne jeglichen sicht­ baren Zusammenhang mit der Persönlichkeit, deren Charak­ terhaltung mit diesem Verhalten ausgesprochen kontrastiert.« Beschrieben werden auch unmotivierte sexuelle Erregungszu­ stände und ein vereinzelter Fall von zwanghafter Entleerung von Blase und Darm im Zusammenhang mit Koprophilie5. Passagen mit Reminiszenzen im Sinnestrug Am interessantesten für die Psychoanalyse sind Kindheitsremi­ niszenzen, die in Form von Altersregression auftreten: Das Denken und Fühlen schlüpft - ganz real empfunden - in die kindliche Form zurück. Nicht immer sind dabei echte verges­ sene Szenen von Inhalten nachträglich erworbenen Wissens zu trennen. 67

Symbolcharakter des Rauscherlebens Welch große wissenschaftliche Unsicherheit innerhalb der Psy­ chopathologie gegenüber den sogenannten psychotischen In­ halten herrscht, beweisen die außerdordentlich unterschiedli­ chen Deutungen von Behringer (Ablehnung jeglicher Symbol­ deutung) bis Conrad (Beziehungen des Symbols zu Gestaltqua­ litäten). Grundsätzlich spricht Leuner vom »Symbolcharakter des Rauscherlebens«, in Anlehnung an die Inhalte »hypnagoger Visionen« (Träume im Einschlafstadium bzw. zwischen Schlaf und nüchternem Wachsein). Von Interesse sind Leuners Statements über den psychologi­ schen Stellenwert des Symbols: 1. Das Symbol ist kein Privileg des Traums. 2. Zur Symbolisierung bedarf es nicht notwendig der Verdrän­ gung, geschweige denn einer »Zensur« im Freudschen Sinne, die hypothetisch die Aufgabe haben soll, dem Bewußtsein die Anstößigkeit unterbewußter Regungen zu verschleiern. 3. Vielmehr ist das Symbol ein spontaner seelischer Abbil­ dungsvorgang, der einen Zustand der Person ausdrückt. Er kann sich sowohl auf Körperliches, Funktional-Affektives als auch auf Gedankliches beziehen. Immer aber ist ein psychischer Spannungszustand damit verbunden. Zusammenfassend wird die Vermutung aufgestellt, daß eine enge funktionale Beziehung zwischen Visionen auf normalpsy­ chologischer Grundlage und den Halluzinationen der experi­ mentellen Psychose bestehen. Der wesentliche Unterschied besteht jedoch in der toxischen Form der Aktivierung letzterer.

Experimentelle Psychose und Schizophrenie Uber eine theoretische Betrachtung der phänomenologischen Unterschiede und Hypothesen über die autotoxischen Ursa­ chen der Schizophrenie, die anhand der toxischen Wirkungen der Psychotomimetika angestellt werden können, geht Leuner 68

nicht hinaus. Für den außerklinischen Bereich ist lediglich in­ teressant, daß nach vielen vergleichenden Untersuchungen die Behauptung aufgestellt werden kann, daß Bilder der experi­ mentellen Psychose auf die Dauer nicht mit Schizophrenie ver­ wechselt werden können.

Kritische Betrachtung Zweifellos wichtig und verdienstvoll ist eine nach empirischen Gesichtspunkten schematisierte Darstellung bestimmter, von besonderen Voraussetzungen abhängiger Erlebnisformen. Je­ doch aus dem allgemeinen Kontext menschlichen Erlebens ge­ rissen, ergibt sich angesichts der Sterilität theoretischer Fin­ gerübungen allzusehr der Eindruck, als würde hier vor lauter Bäumen der Wald, ja, über der Rinde nicht einmal der Baum mehr gesehen. Immerhin kann mit dem vorgelegten Material zunächst auf rationaler Ebene eine Entdämonisierung der halluzinogenen »Rauschgifte« vorgenommen werden. Häufigste Anklage gegen die bewußtseinserweiternden Drogen ist die Behauptung, sie würden den Konsumenten der Gefahr ausliefern, »schizophren« zu werden bzw. mit veränderter Per­ sönlichkeit - ebenso unmotiviert wie selbstverständlich wird jegliche Persönlichkeitsveränderung als Negativum betrachtet - aus dem Trip hervorzugehen oder aber den Weg »zurück« gar nicht mehr zu finden. Typisch ist die Darstellung in einer an­ geblich um Objektivität bemühten Zeitschrift: »Mit LSD hatten sie [jugendliche Konsumenten] farbige Visio­ nen und stürzten in tiefste Höllen. Einige kehrten von der gro­ ßen >Reise< nie mehr zurück. Sie vegetieren heute in Heilanstal­ ten. Der >Trip< ist bei ihnen zum Dauerzustand geworden.« Bei Leuner findet sich keine Darstellung eines solchen Falles zeitlich unbegrenzter und ununterbrochener psychotischer Nachwirkungen. Auch in der einschlägigen Literatur finden sich kaum Beispiele dafür, was nicht schizoid disponierte Per­ sonen betrifft. Meine eigenen Recherchen in toxikologischen 69

Abteilungen von Kliniken und in Nervenheilanstalten nach »Dauertrips« verliefen ergebnislos. Es ist allerdings denkbar, daß unter extrem ungünstigen Um­ ständen (keine Aufklärung, mangelnde Vorsicht in bezug auf set und setting, gewaltsamer Einbruch in den Trip von außen, z. B. Angstreaktionen beunruhigter und unwissender Mitmen­ schen, Razzia, polizeiliche Festnahme o. ä.) eine nur langsam aufzuarbeitende Verwirrung hervorgerufen werden kann. Daß bei Leuners über tausend Versuchen keine »Schizophrenien« bei gesunden Versuchspersonen entstanden, obwohl die äuße­ ren Umstände denkbar unangenehm waren (sterile Klinik­ räume, Verdunkelung, keine »Mitreisenden«, laufende Ton­ bänder, Testfragen seitens der beobachtenden Ärzte!), läßt darauf schließen, daß das generell seltene Risiko einer Reise mit unabsehbarem Ende durch eigene Vorsicht und vor allem durch verständiges Verhalten einer sinnvoll aufgeklärten Um­ welt - und das hieße hier natürlich Entkriminalisierung des psychedelischen Trips - vermieden werden könnte. Häufiger sind - oder besser: waren - Unglücks- oder gar To­ desfälle aus illusionärer Verkennung. Im Vollgefühl der Fähig­ keit, fliegen zu können, wurde manchem der Balkon oder das Fenster zur unglückseligen Startrampe. Allerdings sichert sich der aufgeklärte Konsument heute gegen solche Möglichkeiten ab, indem er einen oder mehrere Trippartner oder noch besser eine aufgeklärte und ihm freundschaftlich verbundene nüch­ terne Person zum Führer und Aufpasser beruft, der ihn notfalls daran hindern kann, sich in Gefahr zu begeben. Todesfälle durch LSD-Vergiftung hat es bis jetzt nicht gegeben. Doch könnte eine extrem hohe Dosierung (das Hundert- bis Tausendfache der Normdosis) zur Lähmung des Atemzentrums führen. Der mit dem Rauschdrogen-Eintopf untrennbar verbundene Sucht-Alarm wird, was die Halluzinogene betrifft, durch Leu­ ners Versuchsergebnisse eindeutig in die Schranken gewiesen. Leider werden die vorn zitierten undifferenzierten Äußerungen der Presse häufig durch »wissenschaftlichen« Unsinn unter­ 70

stützt. So liest man etwa bei dem Pharmakologen Wagner6: »Auf der einen Seite verursacht das LSD keine typische Eu­ phorie, wie etwa das Morphium oder das Cocain, auf der ande­ ren Seite aber wissen wir aus zahlreichen Beobachtungen, daß die Dosis gesteigert werden muß, um eine gleichbleibende Wir­ kung zu erzielen. Dies spricht eindeutig dafür, daß es zu einer Ausbildung einer Toleranz gegen LSD kommen kann.« In solchen sinnverfälschenden Halbwahrheiten ist leicht eine bewußte oder unbewußte - manipulatorische Tendenz zu er­ kennen. Bei Wagner gipfelt solch unübersehbare Einseitigkeit in der Betrachtung der »missionarischen« Tätigkeit drogen­ freundlicher Befürworter psychedelischen Erlebens: »Schon machen sich in Amerika Sekten und Gemeinschaften mit künstlerischem Einschlag breit, die eine Art LSD-Religion predigen und einen unbeschränkten Konsum dieser Droge for­ dern. All diese Bewegungen dienen keinem anderen Zweck, als ungestört von den Behörden unter dem Deckmantel einer heiligen Mission der Welt und ihren Verpflichtungen zu entflie­ hen« (siehe 4. Kapitel). Mit Pharmakologie oder auch nur »Wissenschaftlichkeit« haben solche Ausführungen nicht mehr viel zu tun. Neben der Würdigung des faktischen Materials, das Leuners Experimentelle Psychosen anzubieten hat, bedarf die Betrach­ tungsweise des Göttinger Psychiaters und seiner vielzähligen konservativen Kollegen einer kritischen Zensur, weil sie auf ei­ nem Pathologiebegriff basiert, der von den Scheuklappen einer fatal jenseits des reflektierenden Denkens erstarrten Gesell­ schaft geprägt ist. Die Fragestellung, was auf dem Gebiet der Psychologie eigentlich als »krank« bezeichnet werden darf, er­ gibt sich gar nicht erst. (Unter Leuners »Patienten« werden Fälle von »Zwangsneurosen« und »Angina pectoris nervosa« ebenso genannt wie »Exhibitionismus« und »Homosexuali­ tät« . . . ) . Aus einem an den moralischen Maximen des jeweili­ gen Gesellschaftsgefüges orientierten psychischen Gesund­ heitsbegriff folgt ein Krankheitsbegriff, der natürlich nur mit negativen Umschreibungen fixiert werden kann: Verlust be­ 71

stimmter »gesunder« Fähigkeiten, Zusammenbruch »norma­ ler« Verhaltensweisen, Unfähigkeit, dem »gewohnten« Bild zu entsprechen... Ein positives Erfassen neu hinzugewonnener Qualitäten wird vorerst nur in einem kleinen Kreise progressi­ ver Psychiatrie geübt. Daß eine angeblich hochdifferenzierte Kultur gegenüber einer in unserem Sinne unterentwickelten Kultur durchaus nicht mit erweitertem Denkspielraum aufwarten muß, beweist ein von Foucault zitierter Bericht7: »Lowie, der die Crow-Indianer untersucht hat, erwähnt einen von ihnen, der eine außergewöhnliche Kenntnis der Kulturfor­ men seines Stammes besaß; er war jedoch außerstande, einer physischen Gefahr standzuhalten; und in dieser Form von Kul­ tur, die nur den aggressiven Verhaltensweisen Möglichkeiten bietet und Wert verleiht, bewirkten seine intellektuellen Fähig­ keiten nur, daß er als unverantwortlich, unzuständig und schließlich als krank galt.« In betrüblicher Analogie dazu läßt sich die zeitgenössische Abenteuer-, Western- und Kriminalliteratur zitieren - der Un­ terschied zur Denkweise der Crow-Indianer ist nur geringfügig. Wer - wie Leuner - die psychedelische Erfahrung mit halluzinogenen Drogen unbesehen als »exogene Psychose« bezeich­ net, sie also als temporäre psychische Erkrankung diskreditiert, wertet im Rahmen spezifisch gesellschaftlicher, nicht allgemein menschlicher Maßstäbe. »Unsere Gesellschaft will in dem (psychisch) Kranken, den sie verjagt oder einsperrt, nicht sich selbst erkennen; sobald sie die Krankheit diagnostiziert, schließt sie den Kranken aus. Die Analysen unserer Psycholo­ gen und Soziologen, die aus dem Kranken einen von der Norm Abweichenden machen und den Ursprung der Krankheit im Anormalen suchen, sind also vor allem eine Projektion kultu­ reller Themen.«8 Die Welt des »Wahnsinns« ist erst seit relativ kurzer Zeit die Welt der Ausgeschlossenen. Noch heute kann Europa fast alle Stadien einer zweihundertjährigen Entwicklung von der bloßen Internierung bis zur hochentwickelten medikamentösen 72

psychiatrischen Behandlung (die übrigens zumeist als aus­ sichtslos apostrophiert wird!) in geschlossenen Anstalten live vorweisen; neben progressiv ausgerichteten Forschungszentren gibt es noch allzu viele jener hoffnungslos veralteten »Klaps­ mühlen«, wo der Kranke dem Kriminellen gleichgesetzt ist und die sich von den gefürchteten Spitälern des 18. Jahrhunderts le­ diglich durch etwas verbesserte hygienische Bedingungen un­ terscheiden. Die Internierung eines »Ver-rückten« erscheint uns heute not­ wendig, selbstverständlich und moralisch ohne weiteres ver­ tretbar, wenn das Individuum trotz medikamentöser Anpas­ sungsversuche (die »Bekämpfung« schizophrener Erkrankun­ gen mit Psychopharmaka ist das Hauptgebiet der modernen Psychiatrie) nicht mehr in den Produktionsprozeß eingegliedert werden kann. Somit muß »Heilung« ausschließlich als Knebe­ lung der Persönlichkeit, als reduktive Maßnahme zur Anpas­ sung an das herrschende System verstanden werden. Je perfek­ ter, je abgesicherter das System und dessen Normen sind, desto nachdrücklicher wird die doktrinäre Verdammung des Anders­ seins betrieben. »Einer unter vielen Gründen für das Abnehmen der Einliefe­ rungen in die europäischen Irrenanstalten in Kriegszeiten und schweren Krisen ist der, daß das Niveau der Integrationsnorm des Milieus erheblich sinkt und das Milieu dadurch natürlicher­ weise toleranter wird als in gewöhnlichen Zeiten, wenn es ko­ härenter und durch die Ereignisse weniger unter Druck gesetzt ist.«9 Noch unverblümter formuliert der englische Psychiater Ronald Laing sein Unbehagen am konvervativen Psychopathologie-Begriff: »Es gibt keinen solchen ›Zustand‹ wie ›Schizophrenie‹; doch das Etikett ist ein soziales Faktum und das soziale Faktum ein Politikum. Das Politikum besteht in der bürgerlichen Gesell­ schaftsordnung darin, daß die etikettierte Person mit Definitio­ nen und Konsequenzen belastet wird. ( . . . ) Der ›Eingelieferte‹, etikettiert als Patient und ›Schizophrener‹, wird von seinem existentiellen und legalen Vollstatus als verantwortlich han­ 73

delnder Mensch degradiert. Er kann sich nicht länger selbst de­ finieren, darf seinen Besitz nicht behalten und hat seine Ent­ scheidungsfreiheit darüber abzugeben, wen er trifft und was er tut. Seine Zeit gehört nicht mehr ihm, und der Raum, den er einnimmt, ist nicht mehr der seiner Wahl.«10 Es eröffnet umwälzende Ausblicke, wenn mutige Freidenker die Formen geistigen Andersseins nicht mehr mit mehr oder minder drakonischen Mitteln als etwas Auszumerzendes be­ kämpfen, sondern es nach dem längst überfälligen Rezept Wil­ helm Reichs im politischen, weil menschlich-gesellschaftlichen Zusammenhang sehen - und neu werten. Solche Stimmen der Einsicht könnten geeignet sein, die Drogendiskussion aus dem intellektuellen Schrebergarten, in dem sie festhängt, zu be­ freien und sie in den notwendigen Zusammenhang mit dem momentan oft zitierten »Unbehagen an der Gesellschaft« zu bringen, das uns dazu veranlassen müßte, unsere gesamte exi­ stentielle Situation zu überdenken. Doch scheint es gerade dazu nicht kommen zu dürfen. Sind die - meist von leicht durchschaubarer Unwissenheit ge­ tragenen - Störmanöver eines ebenso denkfaulen wie verant­ wortungslosen Journalismus schon ärgerlich genug, so sind die Ausführungen sich selbst autorisierender Kreise sogenannter »Fachleute« quer durch die Fakultäten noch weit unerfreuli­ cher und gefährlicher. Symptomatisch für suspekte Stellung­ nahmen selbstgenannter »Zuständiger« ist die »wissenschaftli­ che« Behauptung des bereits vorn zitierten Pharmakologen Wagner (»Bei regelmäßiger Aufnahme des Giftes [Haschisch] treten nicht selten manische Zustände auf, die langsam in einer totalen Verblödung enden«). Mit besonderer Deutlichkeit mi­ schen sich hier Voreingenommenheit, systemimmanente Wer­ tung und Ignoranz gegenüber Forschungsergebnissen und em­ pirischen Fakten.

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Die schizophrene und die psychedelische Erfahrung In einem populären Konversationslexikon findet sich folgende Definition von »Schizophrenie«: »Spaltungsirresein (Demen­ tia praecox), Geisteskrankheit, setzt oft im jugendlichen Alter ein (Jugendirresein), verläuft z. T. in Schüben, führt zu Zerfah­ renheit des Denkens, völligem Persönlichkeitswandel, Ge­ fühlsverarmung, Abschließung gegenüber der Außenwelt, vielfach erbliche Belastung.« Nach vielen Berichten über Erlebnisse mit Halluzinogenen die zumeist im literarischen Bereich zu finden sind - läßt sich eindeutig feststellen, daß die Art der Erfahrung nicht von der Droge, sondern von dem Individuum, das sie gebraucht, ab­ hängig ist. So sind auch die Unterschiede zwischen »psychoti­ scher« und »psychedelischer« Erfahrung vornehmlich an sol­ chen Berichten anzulesen; man stelle etwa Henri Michaux (Die großen Zerreißproben) und Aldous Huxley (Die Pforten der Wahrnehmung) einander gegenüber. Brachte für Huxley, der sich vorbereitend lange mit den asiatischen Methoden innerer Versenkung befaßt hatte, der Trip die Offenbarung, die ihm die »Pforten der Wahrnehmung« eröffneten, so ergaben sich für Michaux weitgehend nur »böse Wunder«, die ihn in literarisch zwar verwertbare, seine Persönlichkeit jedoch nicht berei­ chernde Verwirrung stürzten.11 Es liegt an der ungeheuren Angst vor dem »Anomalen«, die den extrem genormten und nach außen orientierten Okzidentalen die Begegnung mit sich selbst als »krankhaft« erfahren läßt und die Inhalte dementsprechend beeinflußt und verzerrt; die euphorische Erfahrung von einer ungeheuer reichen inne­ ren Welt machen zumeist nur jene, die sich sehr lange und in­ tensiv - mit psychotropem Katalysator oder, in seltenen Fällen, ohne ihn - mit der »anderen Seite« ihrer Existenz beschäftigt haben.

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Gespräch zweier als schizophren Diagnostizierter12: Jones (lacht laut, hält an): Ich bin McDougal (das ist natürlich nicht sein richtiger Name). Smith: Was treibst du, mein Junge? Arbeiten auf ner Ranch oder so? Nein, ich bin Seemann. Zivil. Halten mich für’n großen Macker. S.: Ein spielendes Aufnahmegerät, was? Ich glaube, Aufnah­ megeräte spielen manchmal. Wenn se richtig eingestellt sind. Hm-hm. Ich dächte, das wär’s. Mein Handtuch, mhm. Wir ge­ hen wieder in See - so in acht oder neun Monaten erst. Wenn unsere - Schäden repariert sind. (Pause). J.: Ich bin verknallt, heimlich. S.: Heimlich, was? (lacht) J.: Jaa. 5.: Ich bin nicht heimlich verknallt. J.: Ich bin verknallt, mach mich aber nicht ran - das sitzt da sieht aus wie ich - läuft rum. S.: Meine - oh - meine einzige Liebe ist der Hai. Geh ihm aus dem Weg. J.: Wissen die nicht, daß ich ein Leben zu leben habe? (lange Pause) 5.: Arbeitest du auf dem Flugplatz? Hm? J.: Du weißt, was ich vom Arbeiten halte. Ich werde im Juni dreiunddreißig, wenn’s recht ist. S.: Im Juni? J.: Dreiunddreißig im Juni. Das Zeug fliegt zum Fenster raus, wenn ich dieses Krankenhaus hinter mir geleben - äh - gelassen habe. Deshalb lasse ich das Rauchen. Ich bin Räumlichkeit, aus dem äußeren Raum. Keine Scheiße. 5.: (lacht) Ich bin wirklich ein Raumschiff von drüben. J.: Eine Menge Leute sprechen, äh - als wenn sie überge­ schnappt wären. Doch Glaub Es oder Nicht, von Ripley, nimms oder laß es - es steht im Examiner bei den Comics, Glaub Es oder Nicht, von Ripley, Robert E. Ripley, Glaub Es oder Nicht. Wir brauchen aber gar nichts zu glauben, außer mir ist danach. 76

(Pause) S.: Wäre möglich. (Der Satz ist wegen Flugzeuglärms nicht zu verstehen) Ich bin Seemann. Zivil. 5.: Wäre möglich. (Seufzt). Ich nehme ein Bad im Ozean. J.: Baden stinkt mir. Weißt du warum? Weil du nicht aufhören kannst, wenn dir danach ist. J.: (gleichzeitig) Sieh dir mich an. Ich bin Zivilist, ich kann auf­ hören. S.: Zivilist? J.: Geh meinen - meinen Weg. S.: Vermutlich haben wir im Hafen Zivil, (lange Pause) J.: Was wollen die mit uns? S.: Hm? Was wollen die mit dir und mir? S.: Was wollen die mit dir und mir? Wie soll ich wissen, was sie mit dir wollen? Ich weiß, was sie mit mir wollen. Ich habe das Gesetz gebrochen und muß dafür zahlen. (Stille). Ist Schizophrenie viel weniger ein klinisches als ein existentiel­ les Problem? Die Frage drängt sich auf. Denn ein Schizophre­ ner scheint einer zu sein, der die Zweipoligkeit seiner Existenz - hier materielle, dort spirituelle Seite - erlebt, sich aber mit diesem Erleben nicht zu arrangieren vermag. Er ist zutiefst ver­ unsichert, denn nie hat man ihn auf die Möglichkeit solcher natürlicher! - Zweipoligkeit hingewiesen, ihn im Gegenteil darauf dressiert, nur eine Seite seiner Existenz als »gesund« zu akzeptieren, die andere dagegen, jene, in die er ohne sein Da­ zutun hineingefallen ist, quasi als »Anti-Geist« auszuschließen und sich vor ihr zu fürchten. Untersuchungen beweisen den engen Zusammenhang zwi­ schen Schizophrenie und den - als »Krankheitserreger« zu be­ wertenden - gestörten Kommunikationsverhältnissen, die al­ lenthalben in der Vorgeschichte der Kranken zu finden sind. (Laing: »Ein heute in Großbritannien geborenes Kind hat eine zehnmal größere Chance, in eine ›Heilanstalt‹ zu kommen als 77

auf eine Universität. Bei fast jeder fünften Einlieferung in ›Heilanstalten‹ lautet die Diagnose auf Schizophrenie. Das kann als Zeichen dafür gewertet werden, daß wir unsere Kinder mehr in die Verrücktheit treiben als sie wirklich erziehen. Viel­ leicht ist es die Art unserer Erziehung, die sie verrückt macht.«13 So bietet es sich an, im Schizophrenen einen spezifisch Begab­ ten zu sehen, der nicht nur mit seiner Begabung zum mehr­ schichtigen Erleben nichts anzufangen gelernt hat, sondern durch eben diese Begabung die schmerzlichste Absonderung und Diskriminierung erfahren muß, die es ihm naheliegender­ weise unmöglich machen, sich mit seinem Erleben sinnvoll auseinandersetzen zu können. Der psychedelische »Reisende«, vorgewarnt durch sein Wissen um die Veränderungen, die ihn beim Übergang von der äuße­ ren in die innere Welt erwarten, hat einen wesentlich besseren Ausgangspunkt. Freiwillig, nicht durch soziale Mißverhältnisse zwanghaft dazu gedrängt, nähert er sich dem inneren Neuland; er muß nicht notwendig verschreckt werden durch die Erfah­ rungen, die er von seinem reichhaltigen Innenleben macht. Er kann mit langsamen Schritten und vielen beruhigenden Unter­ brechungen von Mal zu Mal tiefer eindringen, seinen von ihm selbst nicht als »psychotisch« verteufelten inneren Kosmos er­ forschen und freudig mit ihm leben lernen. Er kann seine äuße­ ren Gegebenheiten vorbereitend beeinflussen und sich sinnvoll für seine »Expedition« ausrüsten; dazu ist der unvorbereitet nach innen katapultierte und auf das nicht vorhandene Ver­ ständnis seiner Umwelt angewiesene Schizophrene nicht in der Lage.

Psychotherapie und Psycholyse In fünf Punkten faßt einer der nachdrücklichsten Befürworter der Psychotherapie mit bewußtseinserweiternden Drogen, Schmiege14, die positiven Ansätze der drogeninduzierten psy­ chischen Veränderungen zusammen: 78

»1. Es (LSD) hilft dem Patienten, sich an traumatische Erleb­ nisse seiner Kindheit oder solche, die erst kurze Zeit zurücklie­ gen, zu erinnern und sie abzureagieren. 2. Es verstärkt die Übertragungsreaktion. 3. Es aktiviert das Bewußtsein, Phantasiebilder und emotio­ nelle Phänomene zu offenbaren, mit denen der Therapeut ar­ beiten kann. 4. Es intensiviert die Affektivität und reduziert übermäßiges Intellektualisieren. 5. Es erlaubt dem Patienten, seine Abwehrmechanismen bes­ ser zu durchschauen und Änderungen vorzunehmen.« Ähnlich äußert sich der Schweizer Psychiater F. Gnirss15: »Von psycholytischen Stoffen wird erwartet, daß sie die Haltung des Kranken zu seinem Leiden und zum aufgenommenen Thera­ pieversuch in gewünschter Weise umzustimmen vermögen. Die Umstimmung scheint durch Rauscherlebnisse herbeigeführt zu werden, in welchen die Psyche des Kranken zum symbolischen Ausdruck der unbewußten Konflikte angeregt wird. Die Psycholytika schaffen damit Voraussetzungen zur Affektentladung und zur Integration der Konflikte, sei es durch Selbsterkenntnis oder durch möglich gewordene Interpretation.« Gnirss gelangt zu folgenden Ergebnissen: 1. Psychotherapie mit Psychodisleptika ist eine wirksame Me­ thode. 2. Ihre Risiken sind klein, vorausgesetzt, daß sie von einem er­ fahrenen Spezialisten ausgeübt wird. 3. Die Möglichkeit einer intensiven Behandlung im Vergleich zur klassischen Analyse verkürzt die Dauer der Therapie. 4. Sie öffnet einen neuen Weg zur Behandlung therapieresi­ stenter Fälle. Als Indikationsbereich psycholytischer Therapie ist die Art der neurotischen Störung, weniger deren Schwere oder Dauer, bestimmend. Die Halluzinogene können daher auch bei therapieresistenten Fällen Erfolg versprechen und sollten zumindest versucht werden (Charakterneurosen, Zwangs- und Angstneurosen, depressive Neurosen, Alkoholis­ mus, Perversionen). 79

Mit Hilfe der psychischen Aktivstoffe gelingt es dem Thera­ peuten also schneller und besser, neurotische »Knoten« aufzu­ spüren und zu lösen. In weniger ausgeprägten Fällen - und »neurotisch angekränkelt« zu sein ist in der Industriegesell­ schaft ein durchaus üblicher Zustand - kann diese Arbeit vom »Patienten« selbst getan werden, vorausgesetzt, daß seinem Reflexions- und Rededrang in den entsprechenden Trip-Phasen kein Widerstand entgegengesetzt, sondern im Gegenteil freundschaftliches und interessiertes Verständnis entgegenge­ bracht wird. Erhöhte Distanz zu sich selbst und eine damit ver­ bundene emotionell ungetrübtere Klarsicht gegenüber den eigenen psychischen Mechanismen erleichtern dem LSD-Konsumenten die selbstkritische Betrachtung; die Motivation dazu muß allerdings aus vorangegangenen Überlegungen und Ge­ sprächen beziehungsweise aus der Anregung eines Führers oder Mitreisenden geschöpft werden. In einer Ausführung über die Methodik der Psycholyse umreißt der Publizist Hans Leuenberger den Behandlungsablauf fol­ gendermaßen: »Im Anfang ist die klinische Behandlung nicht zu umgehen. Zumindest ist während längerer Zeit ein Krankenhausaufent­ halt oder wöchentlich einmal eine zweitägige Behandlung in Intervallen oder in gleichen Abständen für einen Abend ein Nachtspital einzuschalten. Es gilt als selbstverständlich, daß der behandelnde Arzt psy­ chopharmakologisch und analytisch erfahren ist. Der Kranke muß über die zu verwendenden Drogen und den Sinn und Ab­ lauf der Behandlung aufgeklärt werden. Er darf der Kontrolle nicht entzogen werden, zumindest nicht der Überwachung durch eine Vertrauensperson aus der Familie. Die therapeutische Auseinandersetzung mit dem Erlebnisab­ lauf kann bereits unter der abklingenden Medikamentenwirkung aufgenommen werden - oder später auf Grund eines Be­ richtes seitens des Patienten. Angesichts der stark optisch gerichteten Erlebnisbilder eignen sich diese zur Wiedergabe in Form von Zeichnungen, Gemälden und Plastiken. Auch zur 80

Gruppentherapie eignen sich die Halluzinogene - diese Eigen­ schaft wird leider in unverantwortlicher Weise von selbster­ nannten ›Hohepriestern‹ ausgewertet...«. »Klinischer Aufenthalt«, »Nachtspital«, »Kontrolle«, »Über­ wachung« - das sind die Marksteine der »fachgerechten« An­ wendung der bewußtseinserweiternden Drogen. Andersgeartet sind die Methoden der »selbsternannten Hohepriester«, der »unwissenschaftlichen« Ideologen der Humanität: wohltuende Umgebung, angenehme, informierte Trippartner, vorberei­ tende Gespräche zur möglichst günstigen inneren Prädisposi­ tion, positive Beeinflussung der Stimmungslage mit Musik und durch Anregung zu bildnerischer Gestaltung, die Möglichkeit reflektierender Gespräche im freundschaftlichen Kreis der Trippartner nach dem Trip; eine Abwertung im Sinne von »un­ verantwortlich« darf in diesem Falle als vorschnell bezeichnet werden. Gute Erfolge mit Alkoholikern erzielten verschiedene ameri­ kanische Therapeuten.16 Die Begründung für den Entschluß und vor allem die Fähigkeit, dem Alkohol abzuschwören, reichten von »keine Lust mehr« bis zur intensiv erlebten Ein­ sicht, daß das Trinken »das eigene Leben und das der Familie zerstört«. Ebenfalls erfolgreich angewandt wurde LSD in Fällen von Fri­ gidität und Impotenz. Bei Versuchsreihen mit Psilocybin an Gefangenen konnte außerdem eine abnehmende Rückfall­ quote gegenüber nichtbehandelten Gefangenen verzeichnet werden.17 Prägnant und aufschlußreich ist der umfangreiche Bericht der amerikanischen Autorin Constance A. Newland über eine LSD-Analyse, die sie in etwa 30 Sitzungen von ihrer Frigidität und diversen damit zusammenhängenden kleinen neurotischen Ticks heilte, die einer gewöhnlichen Psychoanalyse erfolgreich widerstanden hatten.18 Vor der LSD-Analyse hielt sie sich für völlig »normal«: »Da­ mals hatte ich geglaubt, mich selbst sehr gut zu kennen: eine nicht unansehnliche Witwe von mittlerem Alter mit ausge­ 81

zeichneter Gesundheit, die ihre Kinder liebte und für sie sorgte, während sie eine schriftstellerische Karriere verfolgte. Alles in allem, mein Leben schien ausgefüllt und angenehm - wenn auch nicht sorgenfrei. Ich trug an einem normalen Bündel von Problemen. Zum Beispiel war ich trotz guter Gesundheit von chronischer Schlaflosigkeit geplagt, und wenn ich zu lange an meinem Schreibtisch arbeitete, bekam ich schmerzhafte Span­ nungen in meinen Armen ( . . . ) Es gab auch noch andere Mißlichkeiten. Ich konnte abends nicht einschlafen, wenn eine Uhr in meinem Schlafzimmer tickte. Ich fürchtete mich vor Zahn­ ärzten, und im Behandlungsstuhl eines Zahnarztes überfiel mich panischer Schrecken. Zuweilen litt ich an Depressionen. Aber wichtiger als all dies: Ich war stets frigid. Keines dieser Probleme kam mir ernstlich vor. Nicht einmal die Frigidität, da ich die Liebe sehr genoß, auch ohne volle Befriedigung. Übri­ gens hatte ich mich einer Psychoanalyse unterzogen und war zum Entschluß gekommen, den anscheinend unüberwindlichen Nachteil mit Grazie tragen zu wollen.« Als sie auf die Möglichkeit einer LSD-Analyse stieß, machte sie davon Gebrauch. »Ich fühlte mich doch angeblich so wohl, warum unterzog ich mich diesem Experiment? Ich wußte da­ mals keine Antwort. Erst als ich meine Erfahrungen hinter mir hatte, kam ich darauf: Ich war durch ein starkes unbewußtes Motiv getrieben worden.« »Während des Verlaufs der Therapie drang ich tief in jene merkwürdigen Bereiche der Seele ein und erlebte eine Reihe von Erleuchtungen. Ich stellte dabei fest, daß ich nicht nur, be­ wußt, eine liebende Mutter und angesehene Bürgerin war, son­ dern auch, unbewußt, eine Mörderin, eine Perverse, eine Kannibalin, eine Sadistin und eine Masochistin. Nachdem ich diese schrecklichen Entdeckungen gemacht hatte, verlor ich meine Furcht vor Zahnärzten ( . . . ) , die Spannungen in den Armen und meine Abneigung gegen das Ticken einer Uhr im Schlaf­ zimmer. Dazu erreichte ich eine nie vorher erfahrene sexuelle Erfüllung.« Um zu diesem Ergebnis zu kommen bedurfte es allerdings nicht 82

weniger Mühen. Ein Schlüsselerlebnis aus der Kindheit der Autorin - sie erhielt als zweieinhalb jähriges Kind einen etwas zu heißen Einlauf, wobei ihr vom Kindermädchen die Arme festgebunden wurden - erlebte sie in einer LSD-Phantasie nach, wobei sich zusätzlich auch noch die später zur Neurose führenden Assoziationen einstellten: »Nach weiterem Kampf kam sie (das Kindermädchen) in der Fantasie auf mich zu und schob die Spritze ein. Während sie das tat, verwandelte sich die Spritze ... wie in einem Kaleidoskop... in einen rotglühenden Schürhaken... in eine Acetylenlötlampe... in eine Kreissäge. Schreckliche Pein, die sich für einen Augenblick ganz unver­ ständlich in Lust wandelte und wiederum zurück in Pein. Jetzt wurde aus Fräulein Leahy19 ein Teufel mit einer Teufelsmaske, durch die ich feurige Augen, ja, feurige Augen sehen konnte. Es waren die Augen meines Vaters. Aber dann wurde mein Va­ ter wieder in Fräulein Leahy verwandelt, die mich wieder mit kochend heißem Wasser mittels der schwarzen Einlaufspritze anfüllte, die sich in eine Acetylenlötlampe verwandelte. Und jetzt wurde eine zweite Lötlampe in meine Harnröhre ein­ geschoben, eine dritte in meine Scheide. Nun wurde ich in allen drei Körperöffnungen durch Lötlampen angegriffen. Ein Feuer brannte in meinem Innern und verzehrte mich. Eine Höllenqual an brennendem Schmerz. Dann verwandelten sich die Flam­ men wiederum in kochendes Wasser, das Fräulein Leahy un­ aufhörlich in mich hineingoß. Wie Wassertortouren der Nazis. Immer mehr Wasser ergoß sich in mich.. ich schwoll immer mehr a n . . . bis ich ein riesengroßer Ballon von einer Frau war, der immer höher und höher in den Himmel stieg, immer mehr anschwellend... b i s . . . ich zerplatzte.« Symbole wie dieses er­ schreckende Erlebnis, das tief im Unterbewußtsein verborgen gewesen war, gaben der Autorin Schlüssel in die Hand, sich über ihre seelische Situation Klarheit zu verschaffen. Sie tat dies zum größten Teil auf eigene Faust; ihr Psychiater, erfahren in der LSD-Therapie, gab ihr zumeist nur auf ausdrückliche Auf­ forderung hin Hilfestellung. Constance Newland kam zu einem bedeutungsvollen Ergebnis 83

nach Beendigung der Therapie: »In jedem Menschen, so hatte ich gehört, brennt ein Feuer, ein schöpferisches Feuer. Wann immer dieses Feuer ungestört brennen kann, ist der Mensch ge­ sund und leistungsfähig, sei er nun Landmann, Künstler, eine Mutter oder ein Arbeiter. Wenn das Feuer aber behindert ist, dann ist der Mensch behindert, gerade wie ich die meiste Zeit meines Lebens behindert war. Als Kind betrachtete ich mich als überflüssig, da ich die Männlichkeit und Intelligenz meines Bruders nicht besaß, auch nicht die Anmut und Schönheit mei­ ner Schwester. Und weil ich mich überflüssig fühlte, flüchtete ich in Anonymität und Gefühlsleere. Im späteren Leben fand ich einen Wert in mir: das Talent zur Schauspielerin. Aber dieses Talent wandte ich an, um mich hin­ ter die Identität der Charaktere zu flüchten, die ich darstellte, anstatt darauf aus zu sein, meine eigene Identität zu finden. Als ich mich später zur Schriftstellerei wandte, gab ich die Identitätslosigkeit in etwa auf. Beim Schreiben versuchte ich her­ auszubekommen, wer und was ich selbst war, und ich hoffte da­ bei zu entdecken, wer und was meine Nebenmenschen seien, denn in jedem von uns sind wir alle enthalten. Leider habe ich mich in den letzten Jahren vor dieser Suche ge­ drückt und mich mit Tagelöhnerarbeit und Geldverdienen zu­ frieden gegeben. Aber diese Zeit sei nun vorbei.« ( . . . ) »Ein großer Wissenschaftler sagte einmal, jede neue Antwort auf ein Problem ebne lediglich den Weg zu weiteren, noch schwierigeren Fragen. Er bezog sich auf das Gebiet der Physik, aber der gleiche Grundsatz kann wohl auch bei Menschen an­ gewandt werden. Wenn wir zum Beispiel unsere wesentlichen Bedürfnisse nach Speise und Trank sowie Unterkunft erfüllen können, dann stehen neue, schwierigere Bedürfnisse vor uns wie Sicherheit, Beruf, Liebe, Ruhm oder Prägung der Persön­ lichkeit. Immer schwierigere Probleme müssen gelöst werden, sie breiten sich immer weiter aus auf der gewaltigen Ebene alles dessen, was noch unerfüllt vor uns liegt. Und so ergeht es auch mir in meinem kleinen, bescheidenen Rahmen. Alle meine alten Wünsche habe ich erfüllt gesehen;

doch jetzt sehe ich neue Wünsche auf mich zukommen und der Erfüllung harren, die dann, wenn erfüllt, in aller Wahrschein­ lichkeit wiederum neue, noch unbekannte gebären. So soll es ja auch sein. ›0 ja, ein Mensch soll über seine Reichweite hin­ ausstreben, wozu wäre sonst der Himmel da?‹.« Neben der Psycholyse gibt es eine noch neuere Form der Hallu­ zinogen-Therapie. Nach einer etwa drei Wochen dauernden in­ tensiven Vorbereitung wird eine einmalige, sehr hohe Dosis LSD in sorgfältig ausgesuchter, besonders angenehmer Umge­ bung verabreicht. Diese einmalige Erfahrung hat laut Wilson Van Düsen, einem der ersten psychedelischen Therapeuten, meist tiefgreifenden und umwälzenden Charakter. »Es gibt eine zentrale menschliche Erfahrung, die alle anderen Erfah­ rungen verändert. Es ist keine gewöhnliche, sondern vielmehr der Kern aller menschlichen Erfahrung. Es ist das Zentrum, das das Verständnis des Ganzen ermöglicht. Im japanischen Zen heißt diese Erfahrung Satori, im Hinduismus moksha, im We­ sten religiöse Erleuchtung, Existenzerhellung oder kosmisches Bewußtsein. Wenn diese Erfahrung einmal gemacht worden ist, trägt sie zu einer Verfestigung und Vertiefung der menschlichen Identität bei. LSD erleichtert und provoziert die Entdeckung dieser offensichtlich alten und universalen Erfahrung.«20 Abschließend sei Jean Louis Braus21 lapidare Schlußbetrach­ tung zu seinem Kapitel über die hauptsächlichen halluzinogenen Drogen zitiert: »Die ›Reisenden‹, mit denen man Versuche anstellte, sind sich in einem Punkte einig: Die Versuchsperson muß vorbereitet werden. Man muß ihr sagen, welche Unanehmlichkeiten die er­ ste Phase mit sich bringt und daß sie ruhig abwarten muß, daß diese aufhören, sonst entstellt Todesangst den Sinn der psyche­ delischen Untersuchung und kann neurotische oder tiefgrei­ fende psychotische Störungen verursachen.«

Kunst und Bewußtseinserweiterung

Welchen Stellenwert hat die Kunst innerhalb des menschlichen Selbstverständnisses? Die Antwort mag nicht zuletzt wegen des grundsätzlichen Unterschieds von religiöser oder profaner Kunstauffassung von Kultur zu Kultur verschieden ausfallen. Eine halbwegs unvoreingenommene Antwort ist vielleicht aus der Sicht der Entwicklungsgeschichte des menschlichen Ge­ hirns zu erwarten. Der Psychosomatiker A. T. W. Simeons1 versucht den Drang zur schöpferischen Entäußerung folgen­ dermaßen zu erklären: »Es gibt jedoch eine Art des Spieles, die der Angst kaum Ein­ gang bietet, es sei denn in der Form der Flucht aus einer quälen­ den Wirklichkeit: die Kunst. Der Künstler ist vom evolutionä­ ren Standpunkt aus gesehen ein Mensch, der in außergewöhnli­ chem Maße über die Möglichkeit verfügt, sich auf kortikalem Wege von diencephalem Druck2 zu befreien. Er ist insofern be­ günstigt, als bei ihm die Zensur auf der kortikalen Bewußt­ seinsebene weniger streng ist als bei seinen Mitmenschen; da­ her auch die bei Künstlern häufig zu beobachtende Verachtung für gängige Konventionen. Der Künstler ist zu einer sehr feinen kortikalen Ausarbeitung seiner Sinneswahrnehmungen fähig und überragt in dieser Hinsicht die anderen Menschen. Kunst­ werke werden nicht nur wegen der technischen Vollendung ge­ schätzt, mit der sie ausgeführt sind, sondern auch deshalb, weil sie legitime Wegweiser darstellen, mit deren Hilfe die Men­ schen durch das Gewirr ihrer eigenen kortikalen Hemmungen zu einem höheren Grad diencephalen Freiseins vom kortikalen Druck gelangen können. Die Instrumentalmusik, die gänzlich abstrakt ist, erfüllt diese Aufgabe auf vollkommenste Weise, weil sie nicht unmittelbar bestimmte kortikale Assoziationen hervorruft. Daß durch einen abstrakten akustischen Reiz Erin­ nerungen und Gefühle in völliger Freiheit heraufbeschworen werden können, darin liegt ganz wesentlich der Genuß, den Harmonien, Melodien und Rhythmen auslösen. Auch die mo­ derne Vorliebe für abstrakte Malerei ist im Wunsch begründet, den kortikalen Vorgängen der Erinnerung und Assoziation ei­ nen weiteren Raum zu geben. Der moderne Mensch empfindet 89

eine tiefere künstlerische Befriedigung, wenn seine Hirnrinde aus dem gewohnten Gleise der Assoziationen gerissen wird und frei auf ihre eigene individuelle Weise auf Komposition, Form und Farbe reagieren kann, ohne durch eine gegenständliche Darstellung in bestimmte assoziative Richtungen gezwungen zu werden. Eine ähnliche Wirkung stellt sich ein, wenn die Wirk­ lichkeit so sehr verzerrt erscheint, daß das Groteske den Ablauf der gewohnten Assoziationen sperrt, wie das bei den meisten Werken Picassos der Fall ist. Die Hirnrinde erhält dadurch die Freiheit, viel tiefere Gefühle auszudeuten als jene, die durch eine getreue Wiedergabe des bereits Gewohnten ausgelöst werden.« Solche Selbstbefreiungsaktionen der Hirnrinde sind nicht un­ bedingt neu, wenngleich sie mit dem Energiespender LSD ihre vorläufig höchste Stufe der Freiheit erreicht zu haben scheinen; über die Jahrhunderte hinweg dürften sie in zunehmendem Maße wichtig - und verfeinert - worden sein, jeweils dem »kor­ tikalen Druck« der Zeit entsprechend. Die Geschichte des Grotesken ist weit zurückzuverfolgen. Das Groteske - eine künstlerische Struktur, die für die geistige Entwicklung des Abendlandes (offenbar nur des Abendlandes) typisch ist - re­ sultiert aus der mehr oder minder bewußt verfremdeten Erfah­ rung der inneren und äußeren Welt, gemäß der Auslegung Rimbauds: »Der Dichter wird zum Seher durch ein langdau­ erndes außerordentliches und bewußt geübtes Auseinanderfal­ len der Sinne.« Die ersten assoziativen Schritte, welche die solchermaßen ge­ sprengten Sinne unternehmen, scheinen naturgemäß in die dem Wachbewußtsein nächstgelegenen Bereiche des Unterbewußt­ seins - ins Reich der Alpträume, der Dämonen, des »Wahn­ sinns« - zu führen. »Ins Unheimliche verwandelt erscheint das Menschliche im Wahnsinnigen; wieder ist es, als ob ein Es, ein fremder, un­ menschlicher Geist in die Seele gefahren sei. Die Begegnung mit dem Wahnsinn ist gleichsam eine der Urerfahrungen des Grotesken, die uns das Leben aufdrängt. Romantik und Mo­ 90

derne haben sich dieses Motivs mit einer bemerkenswerten Häufigkeit bei ihren Gestaltungen des Grotesken bemächtigt. Aber das Phänomen führt uns zugleich in die >Schaffenspoetik< hinüber. Von früh an hat die Bestimmung neben dem Traum den Wahnsinn oder quasi Wahnsinn als entsprechende Haltung des Künstlers ausgegeben. Es geschah zunächst von Kritikern, und es geschah als Rückschluß aus dem Werk auf den Schaf­ fenden: die groteske Welt mutete als Weltbild des Wahnsinns an.«3 In einer entnormten Welt ist keine Orientierung durch Festhal­ ten an Konventionen möglich; folglich muß eine flexiblere Hal­ tung eingenommen werden, denn auch auf Neuinterpretatio­ nen ist, so sie als feste Werte angenommen werden sollen, kein Verlaß (also erfüllt die Kunst, falls man sie im Sinne Simeons auffaßt, selbst dann - oder gerade dann - eine gesellschaftliche Funktion, wenn sie sich dies nicht zum Ziel setzt: sie ebnet dem Geist den Weg aus der Stagnation, in die er, aus ständiger Angst vor dem bedrohlichen Ablauf der Zeit, gar zu gern verfällt).

Literatur Auf der Suche nach den Freiräumen des Bewußtseins bietet sich also als »Einstiegsluke« der Traum an, jenes breite Feld der Verzerrungen und Symbole, der verschlüsselten Inhalte, der phantastischen Konvulsionen der Seele. So gemahnen manche Szenerien bei E. T. A. Hoffmann, Edgar Allan Poe, Franz Kafka, Hans Henny Jahnn und vielen anderen in mehr oder weniger unverblümter Form an Träume. Wilhelm Busch be­ diente sich ganz offiziell des Traumrahmens, um sich in Eduards Traum die volle Freiheit der symbolischen Darstellung gestat­ ten zu können. »Eine Weile noch ( . . . ) starrte ich, auf der lin­ ken Seite liegend, ins Licht der Kerze. Mit dem Schlage zwölf pustete ich’s aus und legte mich auf den Rücken. Vor meinem inneren Auge, wie auf einem gewimmelten Tapetengrunde, stand das Bild der Flamme, die ich soeben gelöscht hatte. Ich 91

betrachtete sie fest und aufmerksam. Und dann, ich weiß nicht wie, passierte mir etwas Sonderbares. Mein Geist, meine Seele, oder wie man’s nennen will, kurz, so ungefähr alles, was ich im Kopf hatte, fing an sich zusammenzu­ ziehen. Mein intellektuelles Ich wurde kleiner und kleiner. Erst wie eine mittelgroße Kartoffel, dann wie eine Schweizerpille, dann wie ein Stecknadelkopf, dann noch kleiner und noch klei­ ner, bis es nicht mehr ging: Ich war zum Punkt geworden. Im selben Moment erfaßte mich’s, wie das geräuschvolle Sau­ sen des Windes. Ich wurde hinausgewirbelt. Als ich mich um­ drehte, sah ich in meine eigenen Nasenlöcher. Da saß ich nun auf der Ecke des Nachttisches und dachte über mein Schicksal nach. Ich war nicht bloß ein Punkt, ich war ein denkender Punkt. Und rührig war ich auch. Nicht nur eins und zwei war ich, sondern ich war dort gewesen und jetzt war ich hier. Meinen Bedarf an Raum und Zeit also machte ich selber, ganz en passant, gewissermaßen als Nebenprodukt.« Dies ist nicht etwa die humorige Schilderung eines Eintritts in eine LSD-Reise, sondern der Beginn von Eduards Traum. Des weiteren seien Auszüge aus neuerer Literatur zitiert, die zwar nichts mit Halluzinogenen, aber viel mit den durch Hallu­ zinogene induzierten Bewußtseinszuständen zu tun haben (»In der Tat gleichen so viele Wahrnehmungen im psychedelischen Erlebnis Elementen aus der Kunst der Vergangenheit, daß es möglich wird, Argumente für etwas vorzubringen, das man als psychedelisches Empfindungsvermögen bezeichnen könnte«4); man mag daraus schließen, daß sich der Drogen-Reisende, von dem uns ähnliche Darstellungen bekannt sind, in einem Zu­ stand »künstlichen Wahnsinns« (»experimentelle Psychose«) befindet - und somit der Künstler ganz unkünstlich wahnsinnig ist -, oder man akzeptiert, daß es sich bei dieser Spielart des so­ genannten Wahnsinns um eine ganz selbstverständliche, theo­ retisch für jeden zugängliche innere Welt handelt, ob er nun in der Lage ist, sich der entsprechenden Umsetzungsmechanis­ men wie Sprache, Farbe, Töne zu bedienen, oder nicht. 92

»Meine Blicke durchdrangen die Erde, in all diesen Gängen wohnte ein tausendarmiger Polyp, elastisch wie Kautschuk streckten sich seine Glieder unter alle Häuser, schlüpften in alle Wohnungen, saugten sich unter jedes Bett, beunruhigten mit ihren feinen Härchen und Warzen alle Schläfer, dehnten sich endlos auf viele Meilen hinaus, ringelten sich zu Klumpen zu­ sammen, die bald schwarz, bald oliv, bald fleischfarben irisier­ ten. Wieder blendete mich die Helligkeit. Zwei violette, leuch­ tende Meteore stiegen von entgegengesetzten Richtungen auf, näherten sich einander und stießen zusammen. Die Luft stand in Weißglut, grellbunte Blitze zuckten und kreuzten sich viel­ fach. Da war es, als entständen auf Sekunden prachtvoll gefärbte sonnige Welten mit Blumen und Geschöpfen, wie ich sie nie auf Erden gesehen habe. Ein sprühendes, ungebärdiges Leben sau­ ste durcheinander an meiner Seele vorbei. Denn nicht nur mit dem Auge sah ich das - nein, nein! ich hatte mich vergessen, ich selbst ging auf in diesen Welten, nahm teil am Schmerz und an der Freude zahlloser Wesen. Rätsel entschleierten sich mir, fremdartig und unschilderbar. Irgendwo splitterte etwas - ich hörte Klumpen fallen. — Weiche knochenlose Massen entstanden, weiblich im Ausdruck. Es durchpeitschte mich ein intensiver Formungsdrang; prickelnd glühten Lichtpunkte auf, tausend Harmonien durchfuhren die Räume. Diese wieder flössen ineinander zu einem unteilbaren, wäßrigen, leuchtenden Schleim. - Wo eben noch ein Meer ge­ rauscht hatte, gefror eine Eiskruste, die zerplatzt, geometrische Figuren nach allen Seiten warf. Ich gehörte dazu und erfaßte alles mit namenlosen Kräften. Nach Ereignissen, die zeitlos, ewig waren, nach Spannungen ei­ nes immer eruptiver werdenden Wandels, schlug alles ins Ge­ genteil um. Auf das Gebären folgte ein Drang nach einem Mit­ telpunkt - und im Nu war er erreicht. Eine sanfte, selige Schwäche durchstrahlte die Welt. Aus einem matten Verstehen wurde eine Kraft, eine Sehnsucht. - Es war eine ungeheuere selbstverständliche Gewalt, - es wurde dunkel. - In klaren, re­ 93

gelmäßigen Schwingungen versank das All in einen Punkt« (Alfred Kubin, Die andere Seite). Weniger auf den Symbolbereich des Traums als auf eine tran­ szendierende Erfahrung des Bestehenden und der Zeit stützten sich etwa Novalis, Lenz, Büchner (»Ich verlange in allem - Le­ ben, Möglichkeit des Daseins, und dann ist’s gut, wir haben dann nicht zu fragen, ob es schön, ob es häßlich ist. Das Gefühl, daß, was geschaffen sei, Leben habe, stehe über diesen beiden und sei das einzige Kriterium in Kunstsachen«), Rimbaud, Schnitzler, Joyce, Pirandello, Gombrowicz, Artaud, Beckett um nur einige zu nennen. »Alles scheint langsam zu kreisen und einem Mittelpunkt ent­ gegenzuschweben: die Wolken, das Gebirge rund um das Tal, der aufsteigende Staub, die großen, schönen, weißgebänderten Habichte, die gabilanes, und sogar die schneeweißen Blüten­ flocken auf dem blassen Paloblanco-Baum. Sogar der Orgel­ kaktus, der in stocksteifen Haufen aufragt, und der Kandela­ berkaktus scheinen langsam um eine Mitte, dicht dabei, zu kreisen und sich zu drehen. Seltsam, daß wir in geraden Linien denken, wo es doch keine gibt, und von >geraden Wegs< sprechen, wo doch jeder Weg frü­ her oder später den Schwung herum einschlägt und in die Mitte schwingt. Wo der Raum doch gekrümmt ist und der Kosmos aus Sphäre in Sphäre gebaut - und der Weg von jedem beliebigen Punkt zu jedem anderen beliebigen Punkt rund um die Biegung des Unvermeidlichen führt, die sich wendet, wie sich die Spitzen der breiten Habichtflügel aufwärts wenden, da sie sich auf die Luft wie der Ellipse unsichtbare Hälfte lehnen. Wenn ich einen Weg zu gehen habe, dann rund um den Schwung einer Biegung, die zentripetal auf die Mitte zustößt. Der gerade Weg wird mit Wunden geschlagen, gegen den Willen der Welt« (D. H. Law­ rence, Mexikanische Tage). »Murphys Geist stellte sich selbst als eine große hohle Kugel vor, die hermetisch vom äußeren Universum abgeschlossen war. Die bedeutete keine Verarmung, da er nichts ausschloß, was er nicht selbst enthielt. Nichts war je im äußeren Universum 94

gewesen, war noch darin oder würde darin sein, was nicht virtu­ ell oder wirklich oder in der Entwicklung vom virtuellen Zu­ stand zur Wirklichkeit oder aus der Wirklichkeit in den virtuel­ len Zustand fallend bereits in seinem inneren Universum vorhanden war. Dadurch geriet Murphy jedoch nicht in den idealistischen Teer. Es gab das geistige Faktum, und es gab das physische Faktum, die beide gleich wirklich, wenn auch nicht gleich angenehm wa­ ren. Er unterschied zwischen dem Wirklichen und Virtuellen seines Geistes nicht wie zwischen Form und formlosem Verlangen nach Form, sondern wie zwischen dem, was er sowohl geistig als auch physisch erfahren hatte, und dem, was er nur geistig er­ fahren hatte. Somit war die Form des Fußtritts wirklich und die der Liebkosung virtuell. Der Geist fühlt seinen wirklichen Teil oben und klar, seinen virtuellen Teil unten und im Dunkel verschwindend, ohne dies jedoch mit dem ethischen Yo-Yo zu verbinden. Die geistige Erfahrung war scharf von der physischen Erfahrung getrennt, ihre Kriterien waren nicht die der physischen Erfahrung, die Übereinstimmung eines Teils ihres Inhalts mit der physischen Wirklichkeit verlieh diesem Teil keinen höheren Wert. Er funktionierte nicht einem Wertprinzip gemäß und konnte nicht dementsprechend eingeteilt werden. Er bestand aus Licht, das ins Dunkel überging, aus Oben und Unten, aber nicht aus Gut und Böse. Er enthielt Formen mit Parallelen in einer anderen Seinsart und Formen ohne Parallelen, aber nicht richtige For­ men und falsche Formen. Er fühlte keinen Widerstreit zwischen seinem Licht und Dunkel und keine Notwendigkeit dafür, daß sein Licht sein Dunkel verschlänge. Die Notwendigkeit bestand darin, mal im Licht zu sein, mal im Halbdunkel und mal im Dunkel. Das war alles. So fühlte Murphy sich selbst in zwei gespalten, in einen Körper und einen Geist. Sie hatten anscheinend Verkehr, sonst hätte er nicht wissen können, daß sie irgendetwas gemeinsam hatten. Aber er fühlte seinen Geist als etwas Körperdichtes und begriff 95

weder, durch weichen Kanal der Verkehr stattfand, noch wie die beiden Erfahrungen sich überlagern konnten. Er war davon überzeugt, daß die eine Erfahrung nicht aus der ändern zu fol­ gern war. Er dachte nicht an einen Fußtritt, weil er ihn fühlte, und er fühlte auch keinen Fußtritt, weil er daran dachte. Viel­ leicht verhielt sich die Kenntnis des Fußtritts zum wirklichen Fußtritt wie zwei Größen sich zu einer dritten verhalten. Viel­ leicht gab es außerhalb von Raum und Zeit einen nicht-geisti­ gen, nicht-physischen Fußtritt seit aller Ewigkeit, der Murphy vage in seinen aufeinander bezogenen Arten des Bewußtseins und der Ausdehnung als der Fußtritt in intellectu und der Fuß­ tritt in re offenbart wurde« (Samuel Beckett, Murphy). Diese Auswahl ließe sich in großem Umfang fortsetzen (das wäre ebenso lustvoll wie uferlos); quer durch die Jahrhunderte finden sich mannigfaltige Beispiele für den offensichtlich sehr natürlichen Wunsch des menschlichen Bewußtseins, die mate­ rielle Dimensionalität zu sprengen und so sich selbst in seiner Außerdimensionalität gerecht zu werden. Die Frage, ob es für einen »Normalbürger« von Bedeutung oder gar wünschenswert sei, Murphys innere Aufteilung am eigenen Leib - oder besser an der eigenen Seele - zu erfahren, oder Kubins kosmische Be­ wußtseinsexplosion, erübrigt sich. Für den Künstler, für das Bewußtsein liegt die Qualität der Erfahrung im Erfahren an sich. So ist die Erfahrung nicht »gut« oder »schlecht«, sondern sie ist eben nur Erfahrung, »Möglichkeit des Daseins«, Leben. An ihr zu leiden, ist somit letztlich nur eine von mehreren un­ terschiedlichen Erlebnisweisen. Diese Wertfreiheit äußert sich selbst noch in dem für uns zweifellos gequält klingenden Auf­ schrei des Dichters Antonin Artaud, der schließlich des aus­ gleichenden banalen Bezugs zur Realität so völlig verlustig ging, daß er an seinen inneren Zerreißproben zerbrach (er starb 1948 als »Schizophrener« in einer Nervenheilanstalt). »Ich habe mich oft in diesen Zustand unmöglicher Absurdität versetzt, um zu versuchen, Gedanken in mir entstehen zu las­ sen. Wir sind einige wenige in unserer Zeit, die vorsätzlich Dinge antasten wollten, die dem Leben in uns selbst Räume er­ 96

schaffen wollten, Räume, die nicht vorhanden waren und die, so schien es, im Raum keinen Platz finden sollten. Seit jeher hat mich am Geist jener Eigensinn befremdet, daß er in Dimensionen und Räumen denken will und sich auf will­ kürliche Dingzustände festlegt, um denken zu können, daß er in Segmenten, in kristallähnlichen Formen denkt und daß jeder Modus des Seins über einem Beginn erstarrt, daß das Denken nicht in augenblicklicher, ununterbrochener Verbindung mit den Dingen ist, sondern daß sich jene Versteinerung der Seele sozusagen vor dem Denken ereignet. Dies ist offensichtlich die für das Schaffen geeignete Vorbedingung. Aber noch mehr befremdet mich jene unermüdliche, meteor­ hafte Illusion, die uns diese festgelegten, umgrenzten, gedach­ ten Architekturen eingibt, diese kristallisierten Seelenseg­ mente, als seien sie eine große plastische Seite und in osmotischem Austausch mit dem ganzen Rest der Realität. Und die Surrealität ist wie ein Verengen der Osmose, eine Art von wiederhergestellter Verbindung. Ich sehe darin nicht etwa eine Verringerung der Kontrolle, sondern im Gegenteil eine größere Kontrolle, aber eine, die mißtrauisch ist, anstatt zu handeln, eine Kontrolle, welche die Begegnungen mit der gewohnten Wirklichkeit verhindert und subtilere, in verdünnter Luft statt­ findende Begegnungen erlaubt, bis zur Saite verdünnte, die Feuer fängt und niemals reißt. Ich stelle mir eine durch diese Begegnungen geformte, gleich­ sam geschwefelte und phosphoreszierende Seele vor als den al­ lein annehmbaren Zustand der Wirklichkeit. Doch ist es ich weiß nicht welche unnennbare, unbekannte Klarsicht, die mir ihren Tonfall und Schrei schenkt und sie mich spüren läßt an mir selbst. Ich spüre sie an einer gewissen unauflösbaren Tota­ lität, ich meine: an deren Bewußtsein kein Zweifel nagt. Und ich, ich befinde mich in bezug auf diese unruhevollen Begeg­ nungen in einem Zustand geringster Erschütterung, ich möchte, daß man sich ein stehengebliebenes Nichts vorstellt, eine ir­ gendwo vergrabene Masse Geist, die wirkungsträchtig gewor­ den ist«. ( . . . ) 97

»Die Lähmung bemächtigt sich meiner und hindert mich mehr und mehr daran, auf mich selbst zurückzukommen. Ich habe keinen Stützpunkt mehr, keine Basis ... ich suche mich ich weiß nicht wo. Mein Denken kann nicht mehr dorthin, wohin es meine Emotionen und Bilder treiben, die in mir aufstehen. Ich fühle mich kastriert bis in die geringsten Impulse. Am Ende sehe ich noch das Tageslicht durch mich hindurchgehen, da mein Intellekt, meine Sensibilität in jedem Sinne die Waffen strecken. Man sollte begreifen, daß in mir der Mensch, der le­ bendige Mensch getroffen ist und daß diese Lähmung, die mich erstickt, mitten in meiner herkömmlichen Persönlichkeit ist und nicht in diesen meinen Sinnen eines Auserwählten. Ich befinde mich endgültig neben dem Leben. Meine Martern sind ebenso subtil, ebenso raffiniert wie bitter. Meine Einbildungskraft muß wahnsinnige, durch die Umklammerung dieser erstickenden Atemnot verzehnfachte Anstrengung machen, um mein Leid zu denken. Und wenn ich so hartnäckig auf dieser Verfolgung, diesem Bedürfnis bestehe, den Zustand meines Erstickens ein für allemal festzuhalten...« (A. Artaud, Die Nervenwaage). Das Phänomen der Science-Fiction-Literatur Eine nähere Betrachtung der für unsere Zeit wohl typischsten literarischen Spielart, des Science-Fiction-Genres, mag den im Zusammenhang mit dem abendländischen geistigen Entwick­ lungsprozesses zwar folgerichtigen, gemessen an einem ver­ bindlichen natürlichen Lebenskontext jedoch in fataler Weise irreführenden Weg aufzeigen, auf den die verbale Bewältigung des Strebens nach dem Außer-Normalen geraten ist. Generell wird Science Fiction - eine merkwürdige, wider­ sprüchlichst gewertete und in ihren Erscheinungsformen aus­ gesprochen heterogene Spezies - meist als für Kinder und Teenager zuständig betrachtet; der ernsthafte Erwachsene be­ dient sich ihrer vor allem im Sinne von Einschlaflektüre oder zeitweiliger Anästhesie des Wachbewußtseins - wie etwa des Kriminalromans. 98

Diesem stehen allerdings die gängigen SF-Produktionen auch recht nahe: Zeitgemäße Klischees werden kurzweg in den Weltraum transponiert. Nicht nur Amerika und Rußland be­ kämpfen sich, sondern ebensogut Terra und Sirius; das Maschi­ nengewehr wird vom Energiestrahler abgelöst und die Atom­ bombe von der Milchstraßen zerstörenden Superbombe. Doch unterscheiden sie sich vom Krimi durch ein kaum vermeidbares Liebäugeln mit dem Unerklärlichen. Wenn etwa der militante Normalmann Perry Rhodan auf interstellare Intelligenzen trifft, deren andersgeartetes Bewußtsein man nur ahnen kann, weil der Autor nicht genug Phantasie aufbrachte, es zu formu­ lieren, selbst dann klingt etwas an von einem offenbar tiefsit­ zenden Bedürfnis nach Vorstellungen, die sich unserem ein­ gleisigen Denken entziehen. Der Mythos, den sämtliche Kulturen vor uns in dem fanden, was direkt um sie war und sinnlich erfaßt werden konnte, scheint sich in unserem extrem dem positivistisch-wissenschaftlichen Denken verschriebenen Zeitalter in den mathematisch erfaßbaren Weltraum verlagert zu haben. Daß dieser natürliche Wunsch nach einem Mythos nicht mehr als solcher erkannt wird, ist symptomatisch. Sein eigentlicher Inhalt wird abge­ deckt mit mehr oder minder pseudowissenschaftlichen Darstel­ lungen, der Begriff »Hyperraum« wird als Vehikel der Erklä­ rung benutzt für etwas, das sich nicht erklären läßt, weil es unser logisches Denkvermögen hoffnungslos überschreitet; unent­ wegt werden dreidimensionale Modelle aufgestellt für Mög­ lichkeiten, die eben alles andere als menschliche sind. Gelegentlich durchbricht ein Autor allerdings diese Enge des Denkens und wagt sich an das verwirrende Spiel mit den Di­ mensionen. So beschreibt etwa der schriftstellernde Astrophy­ siker Arthur Clarke in seinem Roman Die letzte Generation eine Situation, die spezifisch östlichem Gedankengut entsprun­ gen sein könnte: Nachdem die Menschheit - so stellt Clarke es dar - ein bestimmtes Entwicklungsstadium erreicht hat, ist sie reif geworden, in eine andere Existenzform überzugehen. Sie hat die Stufe des materiellen Seins quasi überschritten und kann 99

nun dem All-Geist eingegliedert werden. Solch philosophischer Drall ist in manchem anspruchsvolleren SF-Roman zu finden. Man kann dies als Pseudophilosophie abtun und sich sogenann­ ten wichtigeren Dingen zuwenden. Man kann aber auch jene geistige Abschußrampe solcher Weltraum-Märchen selbst zum Weiterdenken, Weiterfühlen und -assoziieren benützen; die Hoffnung, daß das Genre sich doch noch auf seine zweifellos wertvollen und entwicklungsfähigen phantastischen Möglich­ keiten besinnt, muß nicht unbedingt aufgegeben werden. Vorerst allerdings stellt sich der Bereich Science Fiction, was sein durchschnittliches Angebot betrifft, dar als eine komische Perversion des uralten Menschheitsdranges, über sich selbst hinauszudenken - pervers, weil durch die Trivialisierung der transzendentale Gedanke seiner eigentlichen Substanz beraubt wird, und komisch in der infantilen Handhabung, die, so sollte man meinen, des angeblich so scharfgeschliffenen westlichen Geistes nicht würdig ist. Die Symbolik wird als bare Münze geboten. Die Rakete und ihre Insassen bleiben Opfer materieller Bedingungen, Schutz­ anzüge und Sauerstoffgeräte machen die Unfreiheit überdeut­ lich, das wissenschaftliche Denken beißt sich allenthalben in den Schwanz, Terra ist überall. Drogen-Literatur So bleibt es auf verbalem Gebiet dem letzten Rest der »Belle­ tristik« Vorbehalten, die Fülle der Geheimnisse außerhalb des schmalen Bereichs des Wachbewußtseins (»Wir haben so wenig Kontakt mit diesem Bereich, daß heute viele Leute ernsthaft behaupten können, er existiere gar nicht« - Ronald Laing) nicht völlig aus den Augen zu verlieren. Daß eine spezielle, aus der psychedelischen Erfahrung geborene Literatur sich der »Pforten der Wahrnehmung« irgendwann einmal bedienen wird, ist möglich, ja wahrscheinlich (in der Malerei ist dies be­ reits geschehen); doch wird man darauf noch zu warten haben. Bislang haben nur einige wenige, vor allem Aldous Huxley und 100

Henri Michaux und eine kleine Anzahl Dilettanten aus der so­ genannten Subkultur die halluzinogene Erfahrung zum offi­ ziellen Aufhänger ihrer literarischen Äußerungen gemacht. Auf Ernst Jüngers voluminöse Annäherungen5 einzugehen, lohnt sich nicht. Sein - in solcher Ausführlichkeit einziger deutscher Beitrag zum Verständnis des Phänomens der durch Drogen angeregten Bewußtseinsveränderung und Ekstase ist ebenso eitel wie uninformativ, teilweise gar irreführend durch eine unverantwortliche begriffliche Oberflächlichkeit (»Die Meditation ist eine Form des Geistes, in der Traum und Ge­ danke sich sehr nahe kommen - wo sie sich völlig berühren, können neue Welten entstehen«). Während Huxley, stark von den indischen Religionen beein­ flußt, im Jungschen Sinne des »psychisch geschehen lassen« an sein erstes Meskalinerlebnis, das er in »Die Pforten der Wahr­ nehmung6 beschrieben hat, heranging, fühlte sich Henri Mi­ chaux, ein typischer Vertreter westlichen Denkens, von dem »miserable miracle« derselben Droge düpiert. Michaux fand hauptsächlich Verwirrung, Leere, Verlorenheit und »klägliche Wunder« in - sich selbst. Nicht in der Droge, wie er behauptet. Denn es ist andernfalls kaum zu verstehen, warum die Berichte über Erfahrungen mit Halluzinogenen so überaus heterogen in ihren Inhalten sein können, wenn die Qualität der Erfahrung in der Droge zu suchen ist und nicht im Bewußtsein des Erfah­ renden. Huxley empfand die psychischen Zustände, in die ihn eine mitt­ lere Dosis Meskalin versetzte, vornehmlich als Beseligung und Hingerissensein. Sein Bericht erinnert manchmal an die Dar­ stellungen von Naturmystikern, wenngleich er sein Vokabular vereinheitlichend den unterschiedlichsten religiösen Systemen entnimmt. »Istigkeit - war das nicht das Wort, das Meister Eckart zu ge­ brauchen liebte? Das Sein der platonischen Philosophie - nur daß Plato den ungeheuern, den grotesken Irrtum begangen zu haben schien, das Sein vom Werden zu trennen und es dem mathematischen Abstraktum der Idee gleichzusetzen. Er 101

konnte nie, der arme Kerl, gesehen haben, wie Blumen von ih­ rem eigenen, inneren Licht leuchteten und unter dem Druck der sie erfüllenden Bedeutung erbebten: er konnte nie wahrge­ nommen haben, daß, was Rose und Schwertlilie so eindringlich bedeuteten, nichts mehr und nichts weniger war, denn was sie waren - eine Vergänglichkeit, die doch ewiges Leben war, ein unaufhörliches Vergehen, das gleichzeitig reines Sein war, ein Bündel winziger, einzigartiger Besonderheiten, worin durch ein unaussprechliches und doch selbstverständliches Paradoxon der göttliche Ursprung alles Daseins sichtbar wurde. Ich blickte weiter auf die Blumen, und in ihrem lebendigen Licht schien ich das qualitative Äquivalent des Atmens zu entdecken - aber ei­ nes Atmens ohne das wiederholte Zurückkehren zu einem Ausgangspunkt ohne ein wiederkehrendes Ebben; nur ein wie­ derholtes Fluten von Schönheit zu erhöhter Schönheit, von tie­ fer zu immer tieferer Bedeutung. Wörter wie Gnade und Verklärung kamen mir in den Sinn. Und unter anderem war es selbstverständlich das, wofür sie stehen. Meine Augen wander­ ten von der Rose zur Nelke und von diesem fiedrigen Erglühen zu den glatten Schnörkeln aus sensitivem Amethyst, welche die Iris waren. Die selige Schau, Sat Chit Ananda - Seins-Gewahrseins-Seligkeit - zum erstenmal verstand ich, nicht auf der Ebene der Wörter, nicht durch unzusammenhängende Andeu­ tungen oder nur von fern, sondern deutlich und vollständig, worauf sich diese bedeutungsvollen Silben beziehen.« Huxleys offensichtlich als absolute Wirklichkeit erfahrene my­ stische und ästhetische Ekstase findet ihr Pendant in manchem Protokoll sogenannter Experimente mit Halluzinogenen, ob­ wohl sich Versuchspersonen, die nicht über die verbale Beweg­ lichkeit eines Huxley verfügen, zumeist sehr schwer tun, ihre Erfahrungen in einer Weise zu beschreiben, die ihnen selbst als zutreffend und ausreichend erscheint. Darum schweigen sie oft lieber7. Häufiger sind Erlebnisse der »Desintegration«, wie Michaux sie beschrieben hat8. Ronald Laing nennt den Grund dafür: »Wir wehren uns bereits heftig gegen das volle Ausmaß unserer 102

egohaften Erfahrung. Um wieviel mehr reagieren wir dann wohl mit Entsetzen, Verwirrung und >Abwehr< auf egolose Er­ fahrung. Es ist nichts wirklich Pathologisches an der Erfahrung des Ego-Verlustes; doch dürfte nur sehr schwer ein Lebens­ kontext zu finden sein für die Reise, auf die man sich vielleicht gemacht hat.« Die Aufzeichnungen von Henri Michaux sind wohlformulierte Musterbeispiele für die Unfähigkeit, das halluzinogene Erleb­ nis zur psychedelischen Erfahrung umzumünzen - das funda­ mentale Dilemma des größten Teils westlicher PsychedelikaKonsumenten. Die Verwirrung, die den Franzosen, der als einer der ersten Meskalin-Selbstversuche unternahm, angesichts des Zusammenbruchs seiner gewohnten rationalen Denksysteme packte, ist die typische Erfahrungsqualität dessen, der »wider­ strebt«, der eben nicht »psychisch geschehen lassen« kann. »Ich greife zu einem Buch. Schwierige Lektüre. Ich überspringe ein Kapitel. Plötzlich nimmt der Schatten der umgeblätterten Seite, der verschobene Schatten eine Bedeutung an, eine solche Bedeutung, daß sie einen Schatten auf mich, auf mein Leben wirft. Einen lastenden, unerträglich lastenden Schatten, von dem ich schleunigst freikommen muß. Ruhe. Nein. Nein. Unruhvoll. Unruhvoll - und das hört nicht auf. Die Häßlichkeit, die mich sonst eher gefangennimmt, weil sie reich ist und enthüllend wirkt, stößt mich ab. Sie wirkt absto­ ßend, fast augenblicklich abstoßend. Jawohl, ich muß sie »ab­ stoßen«, muß das Bild der häßlichen Person von mir weisen. Sie drängt sich zu sehr auf, vergewaltigt meinen Lebensraum. Ich sehe diesen merkwürdigen Wasserhahn aufgedreht: mich leben. Erschreckend. Erschreckend.« Michaux waren, wie gegen Ende seines Buches offenbar wird, die »Pforten der Wahrnehmung«, deren Huxley sich bediente, nicht ganz unbekannt (allerdings ist nicht zu entnehmen, zu welchem Zeitpunkt er sich mit östlichen Denkangeboten be­ 103

schäftigte). In einer abschließenden theoretischen Übersicht über seine eigenen und von anderen veröffentlichten Meskalin-Erfahrungen weist er auf verschiedene Möglichkeiten des Erfahrens hin: »Wer sich in diese infernalische Situation bege­ ben hat, für den lohnt es sich vielleicht zu wissen, daß dasselbe desorganisierende Strömen, derselbe rasende Zustrom, der von allen Seiten überflutet, für den man keine Verwendung hat, den man nicht festhalten, nicht eindämmen kann und der einen ver­ rückt macht, daß derselbe Desorganisator für den, der sich dar­ auf versteht, zum Sprungbrett in die Transzendenz werden kann.« Erst auf den letzten Seiten deutet Michaux an, daß er schließlich doch noch einen Weg zur »Integration« zu finden schien. Er nennt sie »unvermischte Kontemplation«, wie Huxley von der »Kontemplation auf ihrer Höhe« spricht. »Es gibt Besseres zu tun, als sich Strömungen zu widersetzen. Das Zerteilte, Unzu­ sammenhängende, Zerrissene war vielleicht ein notwendiges Training für ihr Gegenteil, ihr begeistertes Gegenteil. Die jähen Aufwallungen sind zu einer inneren Bewegung geworden, dort angelangt, wo man anlangen muß. . . Vorbei die Dualität. Merkwürdig vorbei, und wenn man kurze Zeit später aus der Begeisterung wiederkehrt, erkennt man, wie äußerst merkwür­ dig sie ist. Plötzlich ist sie nicht mehr da. Befreit!« Das Stichwort »Kontemplation« verlangt nach einer Ausfüh­ rung. Da eine solche jedoch über das Thema dieses Kapitels hinausgehen würde, folgt sie an späterer Stelle (s. 4. Kapitel). Aus dem - gesellschaftlich längst integrierten - »Untergrund« kommt unter dem reißerischen Warenzeichen acid9 hauptsäch­ lich Vulgärliteratur, die wenig Beziehung zur psychedelischen Erfahrung erkennen läßt. Es wäre ein Mißverständnis, anzu­ nehmen, die »Befreiung« der kleinkarierten bürgerlichen Sex-Szene zugunsten einer etwas größerkarierten10, die sich in ihren Äußerungsformen, nicht aber in ihrer Qualität verändert hat, habe etwas mit jener Befreiung zu tun, die der psychedeli­ sche »Reisende« sucht. Sagte auch der Vorkämpfer der psy­ chedelischen Erfahrung, Timothy Leary: »Zweifellos ist LSD 104

das mächtigste Aphrodisiakum, das der Mensch je entdeckt hat«, so fügt er doch unmißverständlich hinzu: »Ich sage ledig­ lich, daß Sex unter LSD wunderbar vergrößert und intensiviert wird. Ich meine nicht, daß LSD einfach genitale Energie schafft.. Normalerweise hat sexuelle Kommunikation mit den eigenen Chemikalien, mit Druck und Wechselwirkung örtlich sehr begrenzter Art zu tun - in dem, was die Psychologen die erogenen Zonen nennen. Ein vulgärer, schmutziger Begriff, meine ich. Wenn man unter LSD liebt, ist es, als liebe jede Zelle des Körpers - und man hat Trillionen davon - jede Zelle des anderen Körpers. Meine Hand streichelt nicht die Haut der Frau, sondern sinkt ein und verschmilzt in ihr mit uraltem Dy­ namos der Ekstase... Und eigentlich geht ja es bei dem LSDErlebnis nur darum. Sich verschmelzen, sich ausliefern, fließen, Einheit, Vereinigung. Das alles ist lieben.«11 Den Zusammenhang zwischen dem verbreiteten Gebrauch von Haschisch im Orient und der islamischen Kunst untersucht der Orientologe Gelpke in seinem schon zitierten Buch Drogen und Seelenerweiterung: »Ich stelle also zweierlei fest: daß die ori­ entalischen Erzähler (und Künstler ganz allgemein) Haschisch tatsächlich auch heute noch als Anregungsmittel verwenden, und daß die spezifische Wirkung des Hanfs die Phantasie in ei­ ner Weise beeinflußt, die dem islamischen Stilcharakter in mancher Hinsicht auffällig zu entsprechen scheint.«

Malerei Die Kategorie »psychedelische Kunst« hat bis jetzt nur in die Malerei und die junge Gattung »mixed media« Einlaß gefun­ den. Wesentlich darum verdient gemacht haben sich vor allem die Wissenschaftler Robert E. L. Masters und Jean Houston12, die in 15 jähriger Forschungsarbeit die Wirkungsweise halluzinogener Drogen auf die bildlich schöpferische Potenz des Men­ schen untersuchten. Ich sage absichtlich »des Menschen« und 105

nicht »des Künstlers«; denn zumindest in einem nachweisbaren Fall war die psychedelische Erfahrung erster Anlaß zur künst­ lerischen Betätigung: Der anerkannte und erfolgreiche Maler Isaac Abrams wurde erst nach seinem ersten LSD-Trip zum Maler. Er hatte nie zuvor daran gedacht, zu malen! Psychedelische Künstler sind nach Masters/Houston Künstler, die ihre Inspiration aus Psychodrogen-Erfahrungen (vor allem mit LSD) schöpfen und deren Arbeiten in typischer Weise die­ sen Erfahrungen entsprechen. Eine Trennung zwischen psy­ chedelischer und surrealistischer Malerei ist bei einem Versuch der Kategorisierung wichtig, obwohl hier die Grenzen gele­ gentlich verschwimmen (der psychedelische Maler Frederic Pardo etwa zeigt eine starke Neigung zur surrealistischen Dar­ stellung, der Surrealist Yves Tanguy könnte fast schon in die psychedelische Schublade passen). »Der Künstler bezieht seine wesentlichen Symbole und Themen nicht mehr aus Neurosen und Träumen, wie es die Freud-orientierten Surrealisten getan haben (. . . . ) Der Künstler weigert sich bewußt, seine eigenen Neurosen zur Schau zu stellen oder den Versuch zu machen, sich mit Hilfe seiner Kunst von ihnen zu befreien. Er lehnt die heute allzu vertrauten Motive von Wahnsinn, Verwirrung und Degeneration ab. Er fühlt, daß er etwas Besseres weiterzuge­ ben hat: das Leben nämlich, das vorwärtsstrebende, tanzende und ekstatische Leben, das eins ist mit dem kosmischen Ge­ schehen, nicht ein verstümmeltes, verpfuschtes oder ent­ fremdetes Leben, das schaudernd in den Tod zurückgleitet.« Geht man davon aus, daß die halluzinogene Erfahrung sowohl Himmel wie Hölle, sowohl psychotische (negativ) wie psyche­ delische (positiv) Erfahrung beinhalten kann, und setzt man weiter voraus, daß es das Bestreben jedes » acid-Reisenden« ist, die Hölle hinter sich zu lassen und sich dem seligen Zustand in­ nerer Einheit zu nähern (übrigens wohl auch der natürliche Wunsch jedes nicht Drogen gebrauchenden Individuums), so ist die psychedelische Malerei gewiß als Fortschritt zu begrei­ fen. Mit Sicherheit wird ein »Reisender«, der sich in ein Werk von Dali versenkt, in sich andere Erfahrungsqualitäten auslö­ 106

sen als bei der Betrachtung eines Bildes von Abrams. Letzterer wird ihm mehr Hilfe sein bei der Suche nach »Integration« und einem beglückenden Erleben der eigenen inneren Welt. Der psychedelische Künstler läßt seine sinnlichen Erfahrungen, die weit außerhalb der Reichweite des Wachbewußtseins lie­ gen, mit mehr oder weniger Geschick anklingen. In ihrem vol­ len Umfang vermitteln kann er sie allerdings nicht. Seine An­ deutung wird nur dort verstanden werden, wo für das, was er »senden« will, ein »Empfänger« da ist - im besten Fall ein Be­ trachter, der über eigene psychedelische Erfahrungen verfügt (dies mag in weiterem Sinne für das Erfassen jeglicher künstle­ rischer Äußerung gelten: Die Aufnahmefähigkeit für das vom Künstler Mitgeteilte ist immer abhängig von der Sensibilität des Aufnehmenden; Information (Studium) ist als Hilfsmittel zur Erlangung dieser Sensibilität zu betrachten, macht sie aber nicht aus). Das visuelle Erleben ist für jeden Anfänger die erste faszinie­ rende Stufe des Trips - falls er ihn nicht unter allzu ungünstigen Umständen (etwa als klinischen Versuch) unternimmt. Die Tatsache, daß nichts nur so ist, wie es innerhalb des engen Ge­ sichtskreises seines biologisch wohlorientierten Wachbewußt­ seins gesehen wird, daß zum Beispiel Farbe oder Töne nicht nur als abgrenzbarer sinnlicher Begriff, sondern als mit differen­ ziertesten Erlebnisqualitäten belastetes Ganzes erlebt werden kann, wird gewiß von fast jedem, der einen Versuch mit einem Halluzinogen unternimmt, als sensationell und erfreulich ge­ wertet. Dies ist gelegentlich Anstoß zu eigener schöpferischer Betätigung; das bedeutet, daß das Individuum seine schöpferi­ sche Potenz freizulegen vermag. Dieses Freilegen wird als legi­ timer Akt der Selbstverwirklichung und damit als äußerst be­ glückend erfahren und ist eine große Hilfe auf dem Weg zur ausgeglichenen Persönlichkeit. Für jemanden, der halluzinogene Erfahrungen nur aus verzer­ renden Pressekolportagen kennt oder unter negativen Bedin­ gungen mit ihnen konfrontiert wurde (psychotischer oder »Horror«-Trip), wird die Unterscheidung zwischen surrealisti­ 107

scher und psychedelischer Malerei nicht ohne weiteres einsehbar sein. Denn die beschwerliche Reise durch das Unter­ bewußtsein (»Freudsche Bewußtseinsebene«), das dem Sur­ realismus seine Symbole und Inhalte liefert, ist für den psyche­ delischen Reisenden meist unvermeidbar. Doch beginnt die »psychedelische Erfahrung« erst nach dieser Durchquerung des inneren Styx mit seinem Dunkel, seinen Gefahren, nach der Überwindung des Scheideweges zwischen »Himmel und Hölle«, dort, wo das Bewußtsein sich außerhalb der dua­ listischen Weltgebundenheit raum- und zeitlos entfalten kann. Masters/Houston: »Der Surrealismus war exclusiv, die psyche­ delische Kunst ist ›inclusiv‹: sie zieht sich nicht mehr aus der äu­ ßeren Welt zurück, sondern betont vielmehr den Wert der In­ nerlichkeit als komplementäre Erkenntnis. Das Ziel der psychedelischen Erfahrung ist die Ausweitung des Bewußt­ seins, so daß mehr bewußt werden kann. Anders als der Surrea­ lismus macht sich die psychedelische Kunst die innere Überein­ stimmung mit dem Universum zum Grundsatz. Die psychedeli­ sche Kunst steht nicht im Widerspruch zur religiösen Kunst der Vergangenheit und sucht keine Verbindung zu dämonischen und okkulten Kunstformen. Indem sie es ablehnt, das Schöne dem Bizarren gleichzusetzen, zeigt sie sich reifer als der Surrea­ lismus. Sie ist nicht vom Wahnsinn oder von den Halluzinatio­ nen des Wahnsinns fasziniert. Sie sucht ihre Bilder und Motive in den Tiefen des normalen, aber erweiterten Geistes. Mit dem Surrealismus und vielen anderen Kunstformen hat sie die Ab­ sicht gemeinsam, den Betrachter zu einer neuen Bewußtwerdung zu zwingen.« Die Autoren gehen etwas bedenkenlos, weil mißverständlich im Rahmen der geläufigen Wertung, mit den Begriffen »Wahn­ sinn« und »normal« um. Sie könnten ebensogut von »Desinte­ gration« sprechen oder von der Abhängigkeit von den - im Kosmos des Unterbewußtseins stets gegenwärtigen, wenn­ gleich überwindbaren - »Dämonen«. Unter dem »normalen Geist« ist die Unabhängigkeit von den Zwangsmechanismen 108

des Unterbewußtseins zu verstehen. Unsere gängige Interpre­ tation eines »normalen« Geistes dürfte zwar viel mit System­ immanenz, wenig aber mit geistiger Gesundheit zu tun haben (Laing: .»Der perfekt angepaßte Bomberpilot stellt eine grö­ ßere Bedrohung der Menschheit dar als der Schizophrene in der Anstalt mit dem Wahn, die Bombe sei in ihm«). Das mögliche Mißverständnis wird an späterer Stelle geklärt: »Die normale Realität ist ein kulturelles Artefakt, das bei kei­ nen zwei Gesellschaften gleich ist, auch wenn diese sich zeitlich überschneiden oder in der historischen Entwicklung einen an­ nähernd vergleichbaren Hintergrund haben. Sobald wir die Fä­ higkeiten unseres Bewußtseins und die Zufälligkeit unseres Realitätsbegriffes einmal erkannt haben, ist der Weg frei für dramatische Fortschritte und radikale Expansionen unserer Erkenntnisse.« Das Definieren einer »psychedelischen Stilrichtung« und damit ein Ringen um offizielle Anerkennung drogeninduzierter Kunst stellt einen wichtigen Schritt zur Ent-Dämonisierung der Halluzinogene im westlichen Bewußtsein dar. Das Kategorisie­ ren hat seine Gefahren, doch ist es in einer so kategorisierungswütigen Gesellschaft unerläßlich, will man eine Anerkennung ertrotzen. Masters/Houston hoffen, mit einiger Skepsis, auf eine positive aktuelle Entwicklung. »Jedes Urteil über LSD muß im Hinblick auf dessen Nutzen und in Relation zu dem ge­ fällt werden, was wir bei anderen, täglich benutzten Medika­ menten als vertretbar akzeptieren... Dieses Buch will verdeut­ lichen, daß Künstler zu den Menschen gehören, die am meisten von psychedelischen Erfahrungen profitieren und am besten mit ihnen fertig zu werden vermögen. Die Künstler spüren das, und viele von ihnen fühlen die starke Anziehungskraft einer Erfahrung, die von so eminenter Bedeutung für ihre Arbeit sein kann. Wir sind gespannt, ob die Gesellschaft darauf mit Geset­ zen reagieren wird, die Künstler - von Intellektuellen, Wissen­ schaftlern, Geistlichen oder Juristen ganz zu schweigen - mit Gefängnis bedrohen, wenn diese der Meinung sind, daß der Gebrauch psychedelischer Drogen wertvoll genug ist, das damit 109

verbundene Risiko einzugehen. Oder wird es eine bessere Lö­ sung geben?« Maler wie Ernst Fuchs, Allen Atwell, Isaac Abrains, Mati Klar­ wein, Arlene Sklar-Weinstein, Martin Carey und viele andere scheuten weder die innere noch die äußere Gefahr. Ihre sehr ansprechenden Bilder sind »lebendig, farbenfroh, dionysisch, ekstatisch, energiegeladen, religiös, mystisch«, und sie stecken - ebenfalls nach Masters/Houston - noch in Kinderschuhen, die allerdings Großes erwarten lassen. Die Kunst allein, so mei­ nen die Autoren in ihrer - verständlichen - Begeisterung, habe als Hauptfaktor der Bewußtseinsentwicklung ausgedient, an ihre Stelle trete nun die Psychochemie. Das bedeutet lediglich, daß die Kunst neuer Definitionen bedarf, die allerdings schließlich zu einem keineswegs neuen Kunstbegreifen zurück­ führen: »Der Dichter ist ein leichtes und beflügeltes und heili­ ges Ding, und nichts vermag er zu erfinden, ehe er nicht inspi­ riert wurde und von Sinnen ist und sein Verstand ihn verlassen hat« (Sokrates). Auf welche Weise oder mit welchen Mitteln der Künstler es bewerkstelligt, daß sein Verstand ihn in solcher Weise verläßt, richtet sich nach der Zuverlässigkeit der Wir­ kung. Und dafür sind Psychedelika, richtig angewandt, ein of­ fensichtlich geeigneteres Instrument als das von Rimbaud ge­ forderte, langwierige und gefahrenreiche »bewußt geübte Auseinanderfallen der Sinne«. Daß es überhaupt nötig ist, sich mit einem »Drogen-Problem«, zumal im Zusammenhang mit drogeninduzierter Kunst (die es zu allen Zeiten in vielen Kulturen gab), auseinanderzusetzen, nennt der Kulturhistoriker Barry N. Schwartz13 einen »schlechten Scherz«. »Nach 2000 Jahren intellektueller Ver­ blendungen, aber auch tiefer Einsichten sind wir noch immer nicht in der Lage, eine neue Erfahrung zu bewältigen, die sich ausschließlich im Geiste manifestiert. Geprägt vom transzen­ dentalen Denken des Christentums und entlarvt durch das Menschenbild Freuds, reagiert die westliche Zivilisation auf die psychedelische Erfahrung, als ob das menschliche Bewußtsein niemals zuvor von neuen und tiefgreifenden Einsichten in die 110

Psyche des Menschen gefesselt worden wäre. Aber wie die mei­ sten Dinge im 20. Jahrhundert wird auch diese Kontroverse nur kurz sein, und es wird nicht lange dauern, bis vielfache Erfah­ rungen uns die jüngsten Erweiterungen des Bewußtseins aus einer vernünftigen Perspektive zu sehen erlauben.« Die einen behaupten, jegliche Kunst sei psychedelisch zu nen­ nen (so John Perrault in Village Voice). Masters/Houston schränken jedoch ein: »Der kreative Prozeß selbst schließt eine veränderte Bewußtheit und psychodynamische Prozesse au­ ßerhalb des Normalen ein, die gewissen Erscheinungsformen der psychedelischen Kunst mehr oder weniger ähneln.« Es wird also als selbstverständlich betrachtet, daß einzelne psychedeli­ sche Erlebnisformen zu allen Zeiten auch ohne Drogen (son­ dern durch Fasten- und Konzentrationsübungen) möglich wa­ ren; man möge jedoch »nicht in den Fehler fallen, zu behaupten, daß Künstler jemals ganz von selbst, spontan die Fülle des psychedelisch Erfahrbaren erlebt haben. Bestenfalls erschließen sich ihm einige der möglichen Erlebnisse; niemals aber werden sie in die letzten Tiefen Vordringen können, es sei denn, sie seien echte Mystiker. Das psychedelische Empfin­ dungsvermögen kann Wahrnehmungen und Erkenntnisse be­ inhalten, die sich nur graduell von denen der psychedelischen Erfahrung unterscheiden, aber dieser quantitative Unterschied ist so groß, daß er einem qualitativen Unterschied gleich­ kommt. Es ist unwahrscheinlich, daß jemand, der selbst kein tiefes psychedelisches Erlebnis gehabt hat, die von Psychochemikalien hervorgerufenen radikalen Veränderungen völlig be­ greifen kann.« Andererseits wird von manchem die Behaup­ tung aufgestellt, so etwas wie eine »psychedelische Kunst« existiere gar nicht (Ivan Karp, Castelli Gallery, New York); das dürfte vor allem aus der Haltung resultieren, Kunst, die »nur« mit »Hilfsmitteln« entstehen kann, prinzipiell zu diffamieren. Doch welche Art von Reise ist als künstliches Hilfsmittel zu be­ trachten und welche nicht? »Außergewöhnliche Erfahrungen sird von jeher wichtige Faktoren für die schöpferische Arbeit des Künstlers gewesen: Reisen nach Indien oder in die Südsee, 111

exzessives Aufgehen im Leben der Pariser Boheme, ausge­ dehnte Versenkung ins Licht der Sonne und des Mondes; Gau­ guin, Modigliani, Van Gogh sind bekannte Beispiele für solche Art der Inspiration (...) Während die Künstler der Vergangen­ heit bis ans Ende der Welt gereist sind, reisen die neuen Künst­ ler nach innen zu den Antipoden des Geistes, wie Huxley es ausdrückte - in die Welt der visionären Erfahrung.« Die Autoren wollen die Psychodrogen wenigstens für Künstler freigegeben wissen. Aber wer ist »Künstler«? Der Fall des Ma­ lers Isaac Abrams, der vor seinem ersten Trip nicht im entfern­ testen daran dachte, »Künstler« zu werden, läßt diese Frage überaus berechtigt erscheinen. Der ehemalige Möbelverkäufer Abrams war in der Lage so vieler, denen der Zugang zur inne­ ren Befreiung verschlossen bleibt: »Man hatte mir beigebracht, das Wichtigste im Leben sei, adrett auszusehen, sich gut zu be­ nehmen und Geld zu verdienen. Aber ich wußte, daß mir etwas fehlte. Igend etwas mußte getan werden, was ich nicht tat. Ich glaubte an eine Berufung, hatte aber keine Ahnung, worin sie bestehen könnte.« Wervermeint nicht in einer schwachen Stunde die Berufung zu mehr als dem mechanistischen Dasein einer menschlichen Ameise zu verspüren? Abrams hatte das Glück, 1962 Psilocybin angeboten zu bekommen. Danach versuchte er, sich inner­ halb seiner Möglichkeiten zu orientieren, sich fortzubilden, zu schreiben. Der völlige Durchbruch kam 1965 bei einer LSDSitzung. »Während ich arbeitete, erlebte ich im Zeichnen einen Prozeß der Selbstverwirklichung, und als die Wirkung der Droge verflogen war, zeichnete ich weiter... Die psychedeli­ schen Drogen haben in mir einen Sinn für Harmonie und Schönheit geweckt. Zum ersten Mal in meinem Leben kann ich mich an der Schönheit eines Blattes erfreuen und in den Vor­ gängen der Natur eine Bedeutung erkennen. Würde ich ein häßliches Bild malen, es wäre eine Lüge für mich. Es würde al­ les, was ich durch die psychedelische Erfahrung gelernt habe, zunichte machen. Ich habe entdeckt, daß ich durch meine Feder und meinen Pin­ 112

sei fließen kann; alles, was ich tue, wird ein Teil meiner selbst - ein Austausch von Energien. Die Leinwand wird ein Teil mei­ nes Hirns. Mit den psychedelischen Drogen lernt man, außer­ halb seines Kopfes zu denken. Mit meiner Kunst versuche ich, meinen inneren Zustand auszudrücken oder zu reproduzie­ ren... Die psychedelische Erfahrung betont die Einheit der Dinge, den endlosen Tanz. Man ist Welle und Meer zugleich.«14 Eine Konsumentin, die - künstlerischer Laie - während eines Meskalintrips eine Serie von Bildern malte, kommentierte ihre Themenwahl: »Zuerst war dieses Festhalten an der Form - und zugleich auch ein komisches Liebäugeln mit dem Grausigen, Grotesken. Dann löste sich dieser Formwille langsam auf und wurde zum lustvollen Drang zur Bewegung, bis es schließlich regelrecht mit mir davonmalte. Ich hatte fast keinen Einfluß mehr auf das, was da gemalt wurde, es hatte sich verselbstän­ digt. Daß dabei eine archaische Fischform herauskam, fiel mir erst hinterher auf. Ich hatte es nicht beabsichtigt.« Ein Überblick über die Kunstgeschichte quer durch die Kultu­ ren zeigt, daß fast überall dort, wo Halluzinogene zu sakralen oder profanen Zwecken benutzt wurden (und werden), die Ma­ lerei stark ornamentalen Charakter hat. Das deutet auch Gelpke an, wenn er Haschisch-Phantasien in Zusammenhang mit dem islamischen Stilcharakter bringt; er ist auch in weiten Bereichen der asiatischen und indianischen Kunst zu finden. Es ist anzunehmen, daß hier dieselbe eidetische Bildwelt zum Ausdruck kommt, die auch den psychedelischen Maler von heute inspiriert. Masters/Houston weisen auf die Ähnlichkeiten hin, die psy­ chedelische, mystische und psychotische Malerei verbinden; »In ihrem Hang zu arabeskenhaft ornamentalen Mustern gleicht die psychedelische Kunst ein wenig der mystischen, aber auch der psychotischen Kunst. Dies bedeutet, daß stark verin­ nerlichte Zustände aller Art gern vom Erlebnis lebhafter Mu­ ster begleitet werden. Dabei zeigen psychotische Muster meist eine Tendenz zur Auflösung, während die mystischen Muster mehr zur Integration neigen.« 113

Ebenfalls der ornamentalen Form bedienen sich unbewußt die meisten Laien, die sich durch Halluzinogene schöpferisch anre­ gen lassen. Der Jugendstil, ebenfalls ornamental orientiert, scheint oft bei solchen Arbeiten Pate gestanden zu haben.

Musik Die revolutionärste und offensichtlichste, wenn auch offiziell am wenigsten wahrgenommene Veränderung durch den Ein­ fluß der Psychodrogen vollzog sich auf dem Gebiet der Musik. Das Musikverständnis des westlichen Menschen hatte sich in einer langen, immer mehr der Stagnation zutreibenden Ent­ wicklung darauf reduziert, Musik als zerstreuende Geräusch­ kulisse und Anregung (»leichte Unterhaltungsmusik«, Schla­ ger) im alleräußerlichsten sensorischen Bereich einzusetzen oder als bildungsbürgerliches Leistungssoll zu absolvieren (»ernste Musik«, »gute Musik«). Die musikalische Revolution von Avantgarde und Jazz in den fünfziger Jahren verlief im allzu kleinen Inside-Rahmen und unterlag auch bald der Ver­ suchung, in eine elitäre intellektuelle Form, weit entfernt von der ursprünglichen Intuition, abzugleiten. Die Situation zur Befriedigung fundamentaler sozialer Bedürf­ nisse (verbaler und averbaler Kommunikation) begann erst die Beatmusik zu schaffen. Aufgrund dieser immer nötiger wer­ denden gesellschaftlichen Funktion eroberte sie sich ein großes Publikum, zwangsläufig innerhalb der jungen Generation, de­ ren Bedürfnis nach einer natürlichen Lebenssituation noch halbwegs lebendig war. Extreme Lautstärke diente zur Über­ deckung und teilweisen Aufhebung kommunikativer Schran­ ken. Musik wurde nicht mehr intellektuell-distanziert gehört, sondern körperlich-direkt aufgenommen; die Anleihe bei der sogenannten »primitiven« Musik, die sich nicht an ein werten­ des, kategorisierendes Hörvermögen wendet, sondern auf möglichst breiter Gefühlsebene anspricht, erwies sich als richti­ 114

ger Ansatzpunkt. Gleichzeitig wandten sich die Texte gezielt an das Bewußtsein der Hörer, wie etwa der Beatles-Text von 1966: Turn off your mind, relax and float down stream It is not dying, it is not dying. Lay down all thought, surrender to the void. It is shining, it is shining That you may see the meaning of within. It is being, it is being. That love is all, and love is everyone It is knowing, it is knowing That ignorance and hate may mourn the dead. It is believing, it is believing. But listen to the color of your dream, It is not living, it is not living. All play the game, existence to the end, Of the beginning, of the beginning. Nach und nach entstanden auch nichtverbale Formen solchen »Antörnens«15 musikalische Klischees wurden durch neue Tonqualitäten ersetzt (etwa in »Sergeant Peppers Lonely Hearts Club Band«), die über die Wortinformation hinaus auf erweiterter Basis Bewußtseinsprozesse in Gang zu bringen ver­ mochten. Daß dieses körperliche Hör-Erlebnis von cleveren Geschäftsleuten plump kommerzialisiert und als Konsummusik für »Bekiffte« auf den Markt geworfen wurde (dabei konnten so lächerliche Gattungsbezeichnungen wie »MeditationsRock« entstehen), spricht nicht gegen den offenen Weg einer Sensibilisierung bei Musikern und Hörern. Während Gruppen wie etwa die Rolling Stones noch immer auf der untersten Stufe der Entwicklung werkeln und eine eher rückschrittliche Ten­ denz zu Personenkult und musikalischer Prostitution gegen­ über dem Konsumentengeschmack zeigen, finden zu gleicher 115

Zeit auf der europäischen Pop-Szene progressive Musiker vom Jazz ebenso wie von der totgelaufenen E-Musik herkom­ mend - zusammen, um zu einer aus den Tiefen des menschlichen Bewußtseins aufsteigenden Musik durch Experi­ mente und mehr noch durch intensive Arbeit an der eigenen, unbestechlichen musikalischen Sensibilität zurückzukehren. Vom nur körperlichen Hören (»Rock«, »Soul«) verlagert sich die Erfahrung in die seit Jahrhunderten verlorengegangenen inneren Räume der synästhetisch erlebten Schwingungen, der »Vibrations«, jenes ursprünglichsten Fundaments allen be­ wußten Erlebens. Der psychedelische Trip, vor allem mit den klassischen pflanzlichen Halluzinogenen, bringt häufig Situa­ tionen, in denen eine Art akustischer Halluzinationen aus dem Unterbewußtsein hochsteigt, die jedoch nicht spezifisch musi­ kalisch, sondern synästhetisch, übergeordnet sinnlich erfahren werden. Progressive Gruppen berufen sich gerne auf solche Er­ lebnisse, um durch das Anklingenlassen einer psychedelischen Erfahrung die Qualität dieser Erfahrung auch im nüchternen Zustand zugänglich zu machen. Hier dient die Musik als Anre­ gung zu Flash backs16, durch die psychedelische Erlebnisin­ halte ins Wachbewußtsein integrierbar gemacht werden kön­ nen. Auffällig ist die Anlehnung dieser neuen, psychedelisch ori­ entierten Musikform an asiatische, vornehmlich indische und indonesische, aber auch chinesische und japanische Musik (Verbindungen dieser Art sind nicht neu: Die ungarische Musik des Mittelalters, die übrigens nicht das Geringste mit der unga­ rischen Zigeunermusik zu tun hat, ist ein schönes Beispiel da­ für; vor einigen Jahrzehnten versuchten auch Komponisten der amerikanischen Avantgarde - wie etwa John Cage - solche Synthesen nachzuvollziehen). Die rational-vordergründige Überorganisation der westlichen Musik bis hin zum seriellen Komponieren kann - paradoxerweise - als Vergröberungspro­ zeß im sensorischen Bereich verstanden werden, den nun eine neue »Neue Musik« wieder rückgängig zu machen versucht. Der Anstoß dazu rührt hauptsächlich von der psychedelischen 116

Erfahrung her. Westliches tonal-harmonisches Gefühl (12-TonHöhen-Denken) sieht sich plötzlich konfrontiert mit dem weit größeren Spektrum östlicher Tonreihen und einer Wieder­ entdeckung der rhythmischen Periodik (dargestellt von La Monte Young, Steve Reich, Terry Riley u. a.). Die Analogie zum Ornamentalen und Arabesken der psychedelischen Malerei ist offensichtlich. In der Popmusik scheint der Höhepunkt einer zusätzlichen Vergröberung, der Megalomanie und bombastischen Verstär­ kersucht, ebenfalls überschritten zu sein. Die Lautstärke nimmt zugunsten der Differenzierung ab. Klangfeinheiten, seit lan­ gem einem eingeengten »Klaviatur-Denken«, das sich auf eine reduzierte Auswahl von Tönen beschränkt, zum Opfer gefallen, werden wieder aufgespürt. Der äußerlichen Bewegung in der herkömmlichen Popmusik, die nicht selten höchst aggressive Ausmaße annahm (etwa Led Zeppelin), folgt nun eine zuneh­ mende Konzentration nach innen. Der äußere Rahmen soll möglichst wenig Ablenkung durch vordergründige musikali­ sche Sensationen bieten, um auf das Eigentliche, den inneren Spannungsablauf, hinzulenken. Diese Musik wird von westli­ chen Ohren häufig als »monoton« und »langweilig« empfunden und abgelehnt, da das ungeschulte Hörvermögen nicht aus­ reicht, um die musikalische Feinstruktur zu erkennen. Besonders deutlich wird die nach innen führende Tendenz die­ ser neuen Musik für den psychedelischen Reisenden. Sie ist ihm behilflich, an den ablenkenden Äußerlichkeiten seiner dimen­ sionalen Bewußtseinsebenen vorbeizusteuern und zu den Spannungsfeldern seiner Psyche durchzudringen. Gruppen wie »Third Ear Band«, »Soft Machine«, »Kraftwerk«, »Tangerine Dream«, »Between« u. a. sind auf dem Weg, im Rahmen der Popmusik diesen Anspruch zu verwirklichen. In der Vereini­ gung von westlicher und östlicher Musiktradition und einer be­ wußten Weiterentwicklung beider liegt für den Europäer die Chance, zu einem seinem kulturellen und metaphysischen Be­ wußtsein entsprechenden Musikverständnis zu gelangen. Die Musiker nehmen den Bezug wieder auf zu jener freien, absolu­ 117

ten Musik, die in jeder Seele klingt und für alle Menschen, gleich welcher Hautfarbe oder Kultur, verbindlich ist. Auch der »Musiktherapie« liegt, was ihre moderne Entwick­ lung betrifft, diese Erkenntnis von einer »Urmusik« in den Tie­ fen des Bewußtseins zugrunde. An den Aufzeichnungen des Elektroenzephalogramms läßt sich die individuelle Spannung und damit die spezifische Tonfrequenz eines jeden Individuums feststellen. Es wird versucht, bei Störungen des inneren Span­ nungsausgleichs - »seelischen Dissonanzen« - durch das An­ klingen des spezifischen Tones eine psychische Beruhigung und Stabilisierung hervorzurufen.

Droge und Gesellschaft

Die Situation Gedanken über eine Bewußtseinsdroge führen zwangsläufig über die Betrachtung der chemischen Substanz hinaus zu Ge­ danken über das Bewußtsein der Gesellschaft, die die Droge nimmt. Ein mexikanischer Indio wird Meskalin mit einem an­ deren Selbstverständnis, mit anderer Erwartungshaltung und mit einem anderen Resultat zu sich nehmen als etwa ein mittel­ europäischer Chemiker. Die Droge hat in der indianischen Gesellschaft einen anderen Stellenwert als in der westlich­ europäischen oder amerikanischen Gesellschaft. So muß die Konfrontation mit Bewußtseinsdrogen für den westlichen Menschen wohl oder übel zu einer Konfrontation mit der Situation seines eigenen Bewußtseins und dem der Ge­ sellschaft, in der er lebt und die ihn als Individuum geformt hat, führen. Es wurde bis jetzt alles getan, um dieser Konfrontation aus dem Wege zu gehen. Der Erfolg davon liegt auf der Hand: Man vermag der Droge, ihren Möglichkeiten und ihren Gefah­ ren nicht gerecht zu werden, also wird sie, wenn sie schon nicht ignoriert werden kann, verboten, verteufelt, verleumdet, falsch interpretiert, mangels Information angstvoll abgewiesen oder unter völlig falschen Voraussetzungen als sensationelle Neu­ errungenschaft konsumiert. Es möge niemand in den Fehler verfallen, zu glauben, das menschliche Interesse an Drogen, welcher Art auch immer, sei unnatürlich. Die Zuneigung des Europäers zu der enthemmend wirkenden Droge Alkohol ist so weit zurückzuverfolgen, wie die historische Forschung reicht; und ebenso kann man die Augen nicht davor verschließen, daß Narkotika, Euphorika, Hypnotika, Halluzinogene, und wie die verschiedenen Sub­ stanzen noch kategorisiert werden mögen, in allen vergangenen und noch bestehenden Kulturen ihre legitime oder illegitime Rolle spielten und spielen. »Von den Tempeln im alten Indien, wo der Soma-Kult gepflegt wurde, bis zu den Büros von Interpol, immer überschneidet sich die Geschichte der Droge mit der Kulturgeschichte. Hier ist 121

zum erstenmal eine vollständige, definitive Übersicht über alle natürlichen wie auch synthetischen Produkte, zu denen die Menschen greifen, um ihre Angst zu überwinden, um ihren Hunger zu stillen, um zu Gott zu finden« - so lautet der Klap­ pentext zu dem schon erwähnten Buch des französischen Au­ tors Jean-Louis Brau, Vom Haschisch zum LSD. Und das Co­ ver belehrt: »Jeder vierte - über eine Milliarde Menschen — sucht in der Droge etwas anderes als die gewohnte Art zu sehen und zu denken.« Diese Tatsache sollte uns zumindest überzeugen, daß das »an­ ders sehen«, »anders denken« wollen (anders als was? - als das Tägliche, das Gewohnte, das Abgestumpfte) offenbar ein fun­ damentales menschliches Bedürfnis ist, dem jede Kultur auf ihre Weise Rechnung trug. Auch wir tun das. Der Sorgenbre­ cher Alkohol (»Wer Sorgen hat, hat auch Likör«) wird allent­ halben akzeptiert. Die Prohibition war ein riesiger Reinfall; die dreißig Millionen chronischer Alkoholiker werden nicht als of­ fizielles Argument gegen den Kognak nach dem Essen, das Bier am Stammtisch, die Bowle bei der Party gewertet. Aufklärung über die köperlichen und seelischen Gefahren übertriebenen Alkoholgenusses, soweit sie überhaupt betrieben wird, ist nicht an ein absolutes Verbot der Droge geknüpft. Eher soll ein sinn­ voller Gebrauch anempfohlen werden - ein Anliegen, das we­ der der Vernunft noch der Verantwortung entbehrt. Kurz, diese Droge ist »integriert«. Anders ist die Einstellung jenen Drogen gegenüber, die in un­ serer Gesellschaft »Rauschgift« genannt werden. Alkohol er­ zeugt Rauschzustände und ist bereits in relativ kleinen Dosen giftig (toxisch), das heißt, er wirkt zerstörend auf bestimmte Organe des Körpers (vor allem auf die Leber und, bei perma­ nenter Überdosierung, auf die Gehirnzellen). Halluzinogene Drogen erzeugen psychische Zustände, die sich vom Alkohol­ rausch stark unterscheiden, vor allem durch die Klarheit des Bewußtseins (sie werden darum von den Konsumenten nicht als »Rausch« sondern als »Reise« bezeichnet), und sind nur ge­ ringfügiggiftig, das heißt, sie üben erst in Dosierungen, die über 122

jedem gebrauchsfähigen Maß liegen, eine organzerstörende Funktion aus. Nicht zu sprechen vom Suchteffekt der gesell­ schaftsintegrierten Droge Alkohol und der nachweislichen Suchtfreiheit halluzinogener Substanzen. Die Pauschalbenen­ nung »Rauschgift« für sämtliche nicht gesellschaftsintegrierten Drogen ohne jede Differenzierung, wobei das einzige inte­ grierte Rauschgift, das diesen Namen zu Recht verdiente (so man voraussetzt, daß jeder Drogenkonsument, inklusive der Alkoholtrinker, zwangsläufig bis zur berauschenden und gifti­ gen Grenze geht), nicht miteinbezogen wird, ist lediglich ein Symptom für die tiefsitzende Angst vor allem Unbekannten. Angst aber erzeugt Abwehr, und die Abwehr macht das Inter­ esse und die Aufnahmebereitschaft für objektive Information unmöglich. So kann es geschehen, daß eine Tageszeitung, die sich eigentlich als objektiv-kritisches Organ verstehen und redlicher Träger exakter Information sein sollte, folgenden Balken veröffent­ lichte:

Eine Mutter fleht: Mein Bub darf nicht auch am Hasch sterben! Darunter steht eine massiv emotional aufgeladene Story über eine Mutter, die ihren 16jährigen morphinabhängigen Sohn im Nervenkrankenhaus besucht. »Es war sein dritter Selbstmord­ versuch. Hasch und harte Drogen haben ihn dazu getrieben.« Dazu die Mutter: »Das Hasch hat unseren Tommy und unsere Familie zerbrochen.« Dem über die chemische Substanz Haschisch und deren kör­ perliche und seelische Auswirkungen Informierten kommt das Grausen angesichts solcher übler Schauergeschichten. Denn hier wird nicht einmal auf die oft diskutierten Hintergründe des sogenannten »Umsteigeeffekts« von »weichen« zu »harten« Drogen Bezug genommen, sondern gedankenlos die Maus dem Elefanten gleichgesetzt. 123

Daß manche Konsumenten von Haschisch auf suchterzeugende Opiate und Amphetamine »umsteigen«, liegt vermutlich in er­ ster Linie daran, daß die von den Massenmedien so gern und gewissenlos angepriesenen angeblichen Effekte des Haschisch (unter »Haschisch-Orgien« oder »künstliches Glück« usw. nachzulesen) durchaus nicht den Tatsachen entsprechen und so - nach vergeblichen Versuchen, die erwünschte Euphorie, von der immer die Rede ist, auf Kommando zu erreichen - das Su­ chen nach anderen, die Erwartungen eher rechtfertigenden Drogen naheliegend erscheint. Der Stoff, nach dem die meisten mit sehr nebulösen Vorstellungen von »Rauschgift« verlangen, sollte die Pille des Glücks, Aldous Huxleys »Soma«1, sein, das alle Ängste, Minderwertigkeitsgefühle und sonstigen neuroti­ schen Verzerrungen schlichtweg auslöscht und paradiesisch harmonische Gefühle vorgaukelt, sozusagen potenziertes Kino, vollkommenes Produkt einer vollkommenen Traumfabrik. Dieser Wunsch ist ebenso infantil wie verständlich. Betrachten wir die Welt, in der wir leben, so sehen wir eine Welt im Teu­ felskreis von Suchterzeugung und Suchtbefriedigung. Die ge­ sellschaftlichen Süchte Image, Besitz, Freizeitgestaltung drän­ gen nach ständiger Befriedigung, für die offenbar kein Preis zu hoch ist. Die Unter-Süchte wie Fernsehen, Fußball usw. wirken im Unmaß persönlichkeitsgestaltend und -verzerrend. Es gibt nur noch einen-diesseitigen-Gott: Konsum. Jene Ge­ nerationen, die einen oder gar zwei Weltkriege miterlebt ha­ ben, scheinen zerstört genug, um mit dem kleinsten Brosamen menschlichen Existierens, dem biologischen Überleben (unter möglichst angenehmen Umständen natürlich), zufrieden zu sein. Die junge Generation, nicht mehr unter dem Druck der Angst um diese biologische Existenz aufgewachsen, beginnt nun zu ahnen, daß dem Menschen die Möglichkeit zu einem sinnerfüllten Dasein gegeben ist. Doch nirgends hat auch nur eine dieser Möglichkeiten eine Form, kein Denkangebot liegt bereit; nur diese große Sehnsucht in der Seele, die der Materia­ list wegdiskutiert und die doch als vorhanden empfunden wird, erfüllt den inneren Horizont der Heranwachsenden. 124

Sucht man nach einem Grund für den überwältigenden Drogen-Boom innerhalb der zivilisierten Gesellschaften, so sind die Antworten, die die Psychologen, Soziologen, Pädagogen ge­ ben, doch nur Bestandsaufnahmen. Da werden »gestörte fami­ liäre Beziehungen« genannt, »der sich verschärfende Genera­ tionenkonflikt«, »Anpassungsunfähigkeit«, »Ablehnung der Normen der Leistungsgesellschaft«, »Realitätsflucht«, auch »Verführung«, »Nachahmungstrieb« oder »charakterliche Di­ sposition zur Lasterhaftigkeit«. Diese »Begründungen« aller­ dings fordern nur wiederum die Frage nach dem Warum heraus. Warum besteht der Wunsch, aus der Realität zu fliehen? Liegt es an dem, der fliehen will, oder liegt es vielleicht an der Realität selbst? Ist nicht möglicherweise die Ablehnung der Normen der Leistungsgesellschaft eine ganz verständliche Reaktion, wenn etwa der Jugendliche seine normenhörigen Eltern betrachtet, ihre seelische Dumpfheit, ihre geistige Unbeweglichkeit, ihre neurotischen Streitereien, ihre uneingeschränkte Abhängigkeit von Lebensstandard und Statussymbolen? Und wenn sie dann keinen Ausweg sehen und sich selbst in Abhängigkeit begeben, wenn auch von etwas anderem, ihnen besser Erscheinendem, von einer harten Droge etwa - sollten sie sich dann schuldig fühlen? Dies ist selbstverständlich kein Plädoyer für Süchte. Es ist nur der Versuch einer fundamentaleren Erklärung des Phänomens einer in größerem Maße denn je in der Geschichte zuvor dro­ geninteressierten Jugend. »Ich kann es gut verstehen, daß die jungen Leute, die noch eini­ germaßen gesund empfinden, nicht ihr ganzes Leben mit der Jagd nach Abstraktionen verbringen wollen. Autos, die keine Autos sind2, Kleider, die keine Kleider sind, Nahrung, die ei­ gentlich gar keine richtige Nahrung ist, und Arbeit, die über­ haupt keinen Sinn hat... Ich glaube, daß die Entwicklung eines neuen Gefühls für Individualität sich hinter der Begeisterung für LSD, Marihuana und anderen psychedelischen Drogen ver­ steckt, weil diese Substanzen uns helfen, die Gitter und Schran­ ken abzubauen, mit denen wir unser eigentümlich isoliertes In­ 125

dividualempfinden aufgebaut haben«3 - so äußerte sich Alan W. Watts, amerikanischer Geistlicher und Philosoph4, in einem Interview. Doch kann man es auch anders sehen. Etwa so: »Ich habe Angst und Schrecken vor der Droge. Ich werde nie­ mals eine Droge nehmen. Ich finde es würdelos, daß ein Mensch unter dem Vorwand, in ich weiß nicht welche Abgründe zu tau­ chen, Neuentdeckungen zu machen, Offenbarungen zu gewin­ nen oder nie gekannte Sensationen zu genießen, systematisch seine eigene Zerstörung unternimmt. Ich finde es furchtbar, wenn ein Mensch auf seinen Willen verzichtet - ich sage nicht einmal Vernunft - und sich in Unverantwortlichkeit abgleiten läßt. (...) die Droge [LSD] produziert lebende Leichname: ausgedörrte Lumpen, die ihre weichlichen Hände nicht nach wirklichem Lebensdrama, nicht nach echter Lebensfreude aus­ strecken. Ihr Leben und ihr Tod werden in mir bald kein Inter­ esse mehr erwecken, werden in mir keinen Zorn mehr erregen. Ihr Anhänger des künstlichen Rausches< - was ist Euer Ziel? Wollt Ihr mit dem weichen Blick Eurer Augen entmutigtes Mitleid in den Augen der Mitmenschen lesen, anstatt der Ver­ achtung, die Ihr ihnen eingebt? Aber es ist wahr: Ihr habt kein Ziel mehr und Euer Dahingleiten ist einsam. Zu spät! Ihr gebt den anderen nichts. Und Ihr verlangt selbst nichts von ihnen, nicht einmal Hilfe, da Ihr von Euch selbst nichts mehr fordert. (...)« Dies schrieb der französische Journalist Jean Cau5, der sich auf seine Weise mit den bewußtseinserweiternden Drogen auseinandersetzte. Ob das Statement »Ich werde niemals eine Droge nehmen« sich auch, wie es sinnvollerweise sollte, auf Whisky und Wein, Weckamine, Tranquilizer und Spalttablet­ ten bezieht, bleibt fraglich. Offensichtlich ist, daß die Massenmedien ihren guten Teil dazu beigetragen haben, den verfänglichen »Ausweg« aus der seeli­ schen Misere unserer hochneurotischen Industriegesellschaften publik zu machen. Sie kamen ihrer Verpflichtung, kritisch und objektiv zu sein, in dieser Beziehung ebensowenig nach wie in jeder anderen6. 126

Ein besonderes, vieldiskutiertes und nach wie vor umstrittenes Phänomen begleitet die Drogen-Eskalation: eine »Neue Ro­ mantik«, auch »Hippie-Ideologie« genannt, eine Jugendbewe­ gung, die parteipolitisch nicht festgelegt ist, sich nicht »rechts« noch »links« einordnen will, sondern lediglich herausstrebt aus den inneren und äußeren Zwängen des »Establishments« dem Bestätigen, Erhalten, Verteidigenwollen des Bestehen­ den. Fragt man sie nach ihrer inneren Weichenstellung, so nen­ nen sie »Suche nach sich selbst«, »Kollektivierung des Indivi­ duums«, »Antimilitarismus«, »Pazifismus«; sie wollen aus der Einzelle »Familie« heraus in die Kommune, von der Ego-Verhätschelung weg, der Aktivierung eines kollktiven Bewußtseins zu. Die Revolution, so sagen sie, muß zuerst in uns selbst statt­ finden. »Statt des Systems verändere man radikal sich selber - ein be­ törender Ausweg aus dem Leistungsdruck, der kleinbürgerli­ chen wie globalen Tristesse der siebziger Jahre. Er lockt wie eine Droge. Und Drogen führen zu ihm.« So sieht es Peter Brügge im Nachrichtenmagazin Der Spiegel1. Er kritisiert die Absicht der Kommunarden, »sich in lustvoller Lethargie sofort zu befreien von allem Zwang (zu leisten, zu verbrauchen, vor­ zusorgen, Eigentum zu bilden, verpestete Luft zu atmen). Die Ausgestiegenen sagen, es geht. ›Shit‹ und ›Trips‹ (Haschisch und LSD) öffneten die Türen, die ins Freie führen. Sie förder­ ten den leichten Mut hindurchzugehen. Turn on, tune in, drop out, predigte der auch der deutschen Scene heilige Drogenan­ walt Timothy Leary - zu deutsch: öffne deine Sinne (mit Dro­ gen), stimm dich ein (auf das neue Bewußtsein), steig aus. Das schlägt schneller an als der Glaube an eine ferne Revolution oder die Knochenarbeit für millimeterweise System-Refor­ men.« Es gibt viele ähnlich denkende Kritiker dieser jungen »Drop outs«, die hilflos, aber voller Zuversicht eine »Politik der Liebe« konstituieren und praktizieren wollen. Sie sagen »Liebe«, weil dies das einzige magische Wort gegen eine Epo­ che der ständig eskalierenden Gewaltsamkeit zu sein scheint. 127

»Allen und West entwerfen ein Bild des 20. Jahrhunderts, das - wenn man die systematische Tötung von Menschen als Maß­ stab zugrunde legt - vielleicht das am meisten mit Gewalttätig­ keit geladene Jahrhundert der menschlichen Geschichte ist. Die gleichzeitig wachsende Sehnsucht nach Frieden, Humanität und sozialem Ausgleich wird dauernd frustriert, die Kluft zwi­ schen den Buchstaben der Verfassungen und ihrer Erfüllung scheint unüberbrückbar. In der selbstkritischen Haltung, die zu den erfreulichsten amerikanischen Eigenschaften gehört, prä­ zisieren Allen und West das aggressive Klima in den Vereinig­ ten Staaten: Aggressivität ist ein erwünschter Zug in den Er­ folgsbeurteilungen von Angestellten. Wer im Geschäftsleben, in der Kunst, im Sport und selbst im Erziehungswesen vor­ wärtskommen will, muß seine Ellbogen gebrauchen - die Hal­ tung Amerikas in der großen Politik ist kaum anders.«8 Die Kritiker der jungen Romantiker verweisen auf die oft zu belächelnden Methoden der »Ausgeflippten«, auf ihre unver­ meidliche Abhängigkeit vom Wirtschaftssystem, auf ihre »Pseudoreligiosität«, ohne auf das fundamentale Problem ein­ zugehen, daß hier jeder seinen eigenen geistigen Überbau ba­ steln muß, ohne die Hilfe, die der heranwachsende Angehörige einer geistig-seelisch-religiös intakten Kultur von seiner Um­ welt angeboten bekommt. Und die Voraussetzungen sind hier­ zulande ungünstiger denn je zuvor. Denn es wird die Notwen­ digkeit einer sinnvollen inneren Organisation offiziell gar nicht mehr in Betracht gezogen. Das einzige religiöse Angebot unse­ rer Epoche ist - für den Europäer - ein machtpolitischer Appa­ rat, der sich »Kirche« nennt und dessen metaphysischer Aspekt nur noch in den abstrusen Höhen steriler philosophischer Aus­ einandersetzungen zu finden ist, ohne jeden Bezug zu aktuellen menschlichen Gegebenheiten. Wir - die materialistische Seite der Welt - haben das Kunststück fertiggebracht, uns aus jedem geistigen Zusammenhang zu lösen, die spirituelle menschliche Existenz zu leugnen und die dreidimensional gebundene biolo­ gische, also die materielle Existenz zur einzigen Daseinsform zu erklären. Damit wurde das erreicht, was Herbert Marcuse den 128

»eindimensionalen Menschen« nennt, der allen Wert auf seine biologische Entwicklung legt (darin miteinbezogen ist auch die intellektuelle, die - vor allem im Rahmen der Naturwissen­ schaften - immer bessere, sicherere und angenehmere äußere Existenzmöglichkeiten zu finden trachtet), die spirituelle Ent­ wicklung (Philosophie, Religion) aber völlig außer acht läßt. Die psychologische Tragweite dieser Mißachtung der »anderen Hälfte« menschlichen Seins sollte offensichtlich sein, wird aber nur selten beachtet. Daß ein möglicher Zusammenhang zwi­ schen den sogenannten »Gesellschaftsneurosen« und dem ra­ dikalen Religionsverlust besteht, deutet der Psychosomatiker A. T. W. Simeons9 immerhin an: »Im Mittelalter, einer statischen Epoche, durchdrang die Reli­ gion fast jede menschliche Tätigkeit, so wie dies heute noch im hinduistischen Indien der Fall ist. Über die religiösen Dogmen wurde nicht debattiert, und Zweifel und Ketzerei wurden dem Irrsinn gleichgesetzt. Unter solchen Umständen bietet die Reli­ gion eine sehr zufriedenstellende Möglichkeit, mit dem Druck der dienzephalen Instinkte fertig zu werden. In der modernen städtischen Zivilisation ist die Situation anders. Es gibt Scharen von Menschen ohne religiösen Glauben; die übrigen gehören den verschiedensten Bekenntnissen an, und sie alle genießen volle gesellschaftliche Achtung. Die Religion und der Grad der Frömmigkeit sind weitgehend Sache der eigenen Wahl eines je­ den und bilden nur selten eine Quelle ernster Konflikte mit der Gesellschaft. Und doch wird selbst heute ein religiöser Mensch, der sich in der kortikalen Vereinigung mit seinem Gott ein Ventil für seine geheimen Triebe, Befürchtungen und Ängste bewahrt hat, psychosomatisch gesünder sein als ein anderer, dem seine Vernunft diesen Ausweg verschlossen hat. Der My­ stiker findet viel leichter Zugang zu jenen tief verborgenen dienzephalen Mechanismen, die außerhalb der kortikalen Reichweite des Atheisten liegen. Das seit kurzer Zeit zu beob­ achtende Wiedererwachen religiöser Bedürfnisse bei den mei­ sten technisierten Völkern ist ein gutes Zeichen. Man kann nur hoffen, daß es weitere Verbreitung finden möge, denn dadurch 129

könnte ein Teil der ständig wachsenden gesundheitlichen Ge­ fahren abgewendet werden, welche durch die sich rasch erwei­ ternde Kluft zwischen der natürlichen Welt des Zwischenhirns und der von der Hirnrinde geschaffenen künstlichen Welt ent­ standen sind.« Die geistige Entwicklungsgeschichte im abendländischen Kul­ turraum ist die Geschichte einer zunehmenden Bewußtseins­ verengung, einer Abspaltung und Verabsolutierung der einen Hälfte (der materiellen aus der materiell-spirituellen Einheit) menschlicher Daseinsgrundlage. Die Intuition ist nicht nur tot­ gesagt, sondern tatsächlich abgetötet, die »Freiheit des Gei­ stes« in akademische Schrebergärten gesperrt, die Liebe, von großen Denkern als die »Brücke zur Transzendenz« erfahren, deformiert und in ihrer machtpolitischen, neurotisch verhackstückten Gestalt nicht mehr als das zu erkennen, was sie eigent­ lich ist. »Die meisten Menschen gehen mit halbgeschlossenen Augen, dumpfem Geist und harten Herzen durch das Leben, und selbst die wenigen, die jene seltenen Augenblicke des Schauens und Erwachens erlebten, fallen nur zu rasch wieder in die Schläfrig­ keit zurück«, klagt der indische Philosoph Sir Sarvapalli Radhakrishnan10. Allerdings ist dem Inder der Weg zur echten menschlichen Verwirklichung nicht ganz verschlossen, denn für ihn »ist es gut zu wissen, daß die alten Denker uns aufforderten, die Möglichkeiten der Seele in der Einsamkeit und Stille zu er­ kennen und die aufblitzenden und sogleich dahinschwindenden Augenblicke des Schauens in ein beständig leuchtendes Licht zu wandeln, das die Jahre unseres Lebens zu erleuchten ver­ mag.«

Die Entwicklung Um unsere Lage, ihre Bedenklichkeit, aber auch ihre eventu­ elle Überwindbarkeit klar sehen zu können, müssen wir uns in der Geschichte mehr als 2000 Jahre zurückbegeben, zur soge­ 130

nannten »Wiege« unserer Kultur, ins Griechenland der großen Denker Sokrates, Plato, Aristoteles. »Die Griechen ahnten die schreckliche Gefahr, der das promethische Ziel einer Wissenschaft von der Natur den Menschen und seine Entwicklung aussetzen könnte. Beherrscht von der Idee des Maßhaltens und der harmonischen Beschränkung, waren sich ihre großen Geister des Hangs des Menschen zum Unendlichen, zum Grenzenlosen bewußt, und sie sahen die Gefahren der Ausschreitungen voraus, die in einer um ihrer selbst willen betriebenen Naturwissenschaft verborgen liegt.«11 William S. Haas weist in seiner schönen Analyse auf die Grund­ voraussetzung für die Verschiedenheit dieser beiden Denkwel­ ten hin: den unterschiedlichen Bezug zu dem alles durchdrin­ genden Faktor Zeit. Zeit bedeutet für uns Ablauf, Weiter, Vorwärts, aber zugleich auch Zerstörung des Gewordenen, Geborenwerden und Sterbenmüssen, nicht Festhaltenkönnen, was ist, stets der Veränderung und damit auch dem unabwend­ baren Übel des Verfalls ausgesetzt. Dieser fundamentalen Angst des Menschen der Zeit gegenüber versuchten die ver­ schiedenen Kulturen je auf ihre Art entgegenzuwirken. Das magische Weltbild, der früheste geistige Plan des Men­ schen, bewältigte das Problem Zeit, indem es sie - ohne sie de­ finieren zu wollen - als Teil des großen Rhythmus der gesamten Natur, ihres natürlichen »Atmens« auffaßte. Denn das magi­ sche Bewußtsein ist amorph und befindet sich in natürlicher, ungebrochener Verbindung mit dem Unterbewußtsein. Alles, was ist, steht in Bezug zueinander, durchdringt einander; nichts ist eindeutig, alles einem dynamischen Zusammenhang unter­ worfen. So ist für das magische Bewußtsein der Gedanke, die Dinge gesondert, jedes für sich, erforschen zu wollen, zu einer Realität gelangen zu wollen, absurd. Alle Dinge sind nur im Zusammenhang miteinander, in ihrem Einander-Bedingen er­ fahrbar. Das bedeutet, niemals nur zu denken, sondern stets Überlegung und Intuition als Einheit zu üben. Fast überall wurde das magische Weltbild durch den Prozeß der Individualisierung »überwunden«. Eines der letzten Beispiele 131

für die Schönheit dieser magischen Welt, die durchaus nicht mit »primitiven« Kulturformen gleichgesetzt werden muß, obwohl sie dort am ehesten zu finden ist, sind die Indianer im südlichen Nordamerika und in Mexiko (soweit sie sich von den Einflüssen der Zivilisation freizuhalten vermochten). D. H. Lawrence, der lange Jahre bei den Pueblo-Indianern verbrachte, vermochte als einer der wenigen profunden Kenner der indianischen Welt eine Ahnung von deren Schönheit und Differenziertheit zu ver­ mitteln. »(Bei den Indianern) gibt es, genaugenommen, keinen Gott. Der Indianer hält sich nicht für gottgeschaffen, und daher lebt er außerhalb Gottes und seiner Kreatur. Für den Indianer gibt es die Vorstellung eines allmächtigen Gottes nicht. Die Schöp­ fungist ein gewaltiger Strom, der immerzu strömt, in lieblichen und schrecklichen Wellen. In allem der Glanz der Schöpfung und niemals die Abgeschlossenheit des Geschaffenen. Niemals die Unterscheidung zwischen Gott und Gottes Schöpfung oder zwischen Geist und Stoff. Alles, alles ist der wunderbare Glanz der Schöpfung, mag es nun ein tödlicher Glanz sein wie der Blitz oder der Zorn in den kleinen Augen des Bären, oder mag es der schöne Glanz der ziehenden Hirsche oder der unter Schneelast leise schwingenden Kiefernzweige sein (...) In unserem Wort­ sinn ist das nicht Gott. Aber alles ist göttlich. Es gibt keinen er­ habenen Geist, der das All lenkt. Und doch glänzt das Geheim­ nis der Schöpfung, das Wunder und der Zauber der Schöpfung, in jedem Blatt und Stein, in jedem Dorn und jeder Knospe, in den Fängen der Klapperschlange und in den sanften Augen des Hirschkalbes (...) Es gibt keine Trennung von Spieler und Zu­ schauer. Es ist alles eins. Es gibt keinen Gott, der zuschaut. Der einzig mögliche Gott ist jederzeit in das dramatische Wunder und die Widersprüchlichkeit der Schöpfung verwickelt. Gott ist gewissermaßen in die Schöpfung eingetaucht und kann von ihr getrennt oder unterschieden werden. Es kann keinen idealen Gott geben.«12 Das magische - und damit kollektive - Bewußtsein des India­ ners ist nicht »primitiv«; es ist nur völlig von dem unseren ver­ 132

schieden. Es hat keine Philosophie zur Erkenntnishilfe entwikkelt. Sein »Erkennen ist ein Teilhaben an dem Gegenstand, der erkannt werden soll«. So ist das geistige Gebäude des magi­ schen Menschen stets die Mythologie, das des östlichen und westlichen Menschen die Philosophie. Diese Feststellung ist zunächst wertfrei. Da aber alles, was nicht innerhalb genormter Kategorien verstanden werden kann, überaus gerne der Abwertung anheimfällt, ist eine Verteidi­ gung dieses magischen Weltbildes wohl angebracht. Vor allem, wenn man in der einschlägigen Literatur auf verständnislosen Unsinn wie etwa folgenden stößt: »So meinte man, je tiefer ein Volk auf der Leiter der geistigen Fähigkeiten stehe, um so gröber die ihm angenehmen Reizmit­ tel seien, und um so mehr würde es suchen, durch sie sich um sein Bewußtsein zu betrügen und sich von der dumpf gefühlten inneren Leere zu befreien. Ein ungewisses Ahnen der eigenen unverbesserlichen Unvoll­ kommenheit in drückendstem Grade umfange z. B. die India­ ner Südamerikas, und deswegen eilten sie, sich von solchem melancholischen Mißgefühl durch heftige Aufregung [gemeint ist Drogengebrauch] zu befreien.«13 Diese Verachtung für fremdartige Kulturen ist symptomatisch für die Arroganz und Engstirnigkeit üblicher westlicher Denk­ art. William S. Haas weiß die Qualität des kollektiv orientierten magischen Bewußtseins eher zu schätzen: »Eine so selbstlose Einfühlung in alles Existierende garantierte ein Verstehen und einen Einfluß, der unserem begrifflichen Erkennen und der Macht, die wir daraus ableiten, ebenso unähnlich wie überlegen waren.« Diese Überlegenheit manifestierte sich bei den Pueblo-Indianern nicht zuletzt auch ganz äußerlich: Trotz schlechtester Bo­ denverhältnisse entwickelten sie Maissorten von ganz besonde­ rer Güte, ein Phänomen, das naturwissenschaftlich nicht zu erklären ist. Lawrence allerdings vermag eine Ahnung von je­ nen Kräften heraufzubeschwören, die das magische Bewußt­ 133

sein aktivieren kann, wenn er etwa von den Schlangentänzen der Hopi (ein Pueblo-Stamm, übersetzt »die Friedlichen«) berich­ tet: »Die zwölf amtierenden Männer der Schlangensippe des Stammes sollen während neun Tagen in den Felsen nach Schlangen gejagt haben. Sie haben in der Kiwa neun Tage lang die Geheimnisse gefeiert, und seit zwei Tagen fasten sie voll­ ständig. All die Tage haben sie die Schlangen gewartet, sie unter wiederholten Reinigungsopfern gewaschen, sie besänftigt und mit ihnen Geister getauscht. Der Geist der Menschen besänftigt und sucht und tauscht mit den Schlangen die Geister. Denn die Schlangen sind ursprünglicher, näher den gewaltigen konvulsi­ vischen Mächten. Näher der namenlosen Sonne, kundiger in den schrägen Wegen des Regens, dem Trappeln der unsichtba­ ren Füße des Regenungeheuers aus dem Himmel. Die Schlan­ gen sind des Menschen nächste Sendboten an die Regengötter. Die Schlangen liegen der Quelle der Gewalten näher, der dun­ keln, lauernden, kraftvollen Sonne im Erdmittelpunkt. Denn für den gebildeten Animisten - und das ist der Pueblo-Indianer - enthält der Erde dunkle Mitte ihre dunkle Sonne, die Quelle unseres vereinzelten Daseins, um welche unsere Welt wie eine gewaltige Schlange ihre Schlingungen windet. Die Schlange ist der dunklen Sonne näher und ihrer kundig. (....) Der Mensch, das Menschlein mit seinem Bewußtsein und seinem Willen, muß sich den gewaltigen Ursprungsmächten seines Lebens sowohl unterwerfen als auch sie überwinden. Überwunden vom Menschen, der seine Furcht besiegt hat, müssen die Schlangen in die Erde zurückkehren mit seinen Botschaften der Zärtlichkeit, des Forderns und der Macht. Sie kehren als Strahlen der Liebe zurück zum dunklen Herzen der ersten der Sonnen. Aber sie kehren auch zurück als Pfeile, ab­ geschossen von des Menschen Klugheit und Mut, hinein in das widersetzliche, übelwollende Herz in der Erde ältesten, trotzig­ sten Kern. Im Kern der ersten der Sonnen, woraus der Mensch sein Leben schöpft, ruht Gift, so bitter wie der Klapperschlange Waffe. Dieses Gift muß der Mensch in seine Gewalt bekom­ men; er muß seiner Quelle Herr werden. Denn aus der ersten 134

der Sonnen stammen die Strahlen, welche die Menschen stark und froh und zu Göttern machen, die zwischen dem Bekannten und dem Unbekannten schweifen können. Strahlen, die aus der Erde hervorschießen wie Schlangen, nackt vor Leben. Aber je­ der Strahl ist geladen mit Gift für den Unvorsichtigen, den Ehr­ furchtslosen und den Feigen. Umsicht, Vorsicht ist die erste Tugend in der Sittlichkeit des Primitiven. Und seine Umsicht muß rückwärts und vorwärts, rückwärts und vorwärts eilen, von den dunkelsten Ursprüngen bis hinaus zu den lichten Bauten der Schöpfung.«14 Das westliche wie das östliche Bewußtsein sind Weiterentwick­ lungen auf dem Fundament der magischen Welt; denn diese »konnte dem Druck der aufsteigenden westlichen und östlichen Kulturen nicht standhalten. Sie lebt nur fort als das Privileg ein­ zelner Individuen und geschlossener Gesellschaften, die sie als ein geheimes Wissen von Generation zu Generation weiterge­ geben haben.«15 Die Entwicklung der Individualität führte zur Zerstörung des inneren Gleichgewichts der magischen Welt, die ja unbedingt auf kollektiven Bewußtseinsqualitäten beruhte. Es findet sich hier eine offenkundige Analogie zwischen der Entwicklung der Menschheitsgeschichte und der Entwicklung des einzelnen menschlichen Individuums. Auch das kleine Kind ist noch ein Träger magischen Bewußtseins und verliert dieses mit zuneh­ mender Ausprägungseiner Individualität. Wir sagen dazu nicht ohne Sentimentalität, es ginge der »Zauber der Kindheit« ver­ loren, tun aber alles dazu, daß sich dieser Zauber so schnell wie möglich zugunsten der Ego-Ausprägung verlieren möge. Und so sieht der »erwachsene« Weiße den Indianer folgerichtig entweder mit herablassender Sympathie als »kindlich« oder mit der üblichen arroganten »Objektivität« als »zurückgeblieben« an. Überwindet also das magische Bewußtsein den großen Zerstö­ rer Zeit dadurch, daß es sie nicht als »Weiter« und »Vorwärts«, sondern als Rhythmus, als Atem, als Gleichförmigkeit empfin­ det, so geht das westliche Bewußtsein davon aus, die Zeit »ob­ 135

jektiv« begreifen, umfassen, ordnen, überschauen zu wollen. Das heißt zugleich, sich stets in Relation zu ihr zu setzen, ihr »nachzulaufen«, sie stets vor Augen zu haben, ihr möglichst noch vorauseilen zu wollen. »Diese einzigartige Bejahung der Zeit entspringt paradoxerweise dem Willen, Zeit durch die Zeit selbst zu besiegen« (Haas). Wer allerdings die Zeit so uneinge­ schränkt als Ablauf akzeptiert, muß sich ihrer zwangsläufig im­ mer bewußt sein, und die unumstößliche Tatsache unserer Endlichkeit läßt sich nur mit Mühe aus den Augen verlieren. So bleibt nichts übrig, als den Gedanken samt seinem transzen­ dentalen Anhang zu verdrängen - ein Prozeß, der bekanntlich Neurosen züchtet. Und hier sitzt schließlich der tiefe psycholo­ gische Kern unseres inneren Dilemmas. Das Ringen des westlichen Menschen mit der Zeit, das immer groteskere Ausmaße annimmt, ist dem Osten fremd. Das östli­ che Bewußtsein bemühte sich nicht um eine äußere Bewälti­ gung der Zeit, sondern ging einen Schritt weiter. Es trachtete danach, sich ihr zu entziehen. Die Zeit demonstriert die dimensionale Gebundenheit unserer leiblichen Existenz. Das außerbegriffliche Bewußtsein, dem östlichen Menschen ein unbestreitbares - weil erlebbares, wenn auch nicht beweisbares - Faktum, kann sich jedoch von der di­ mensionalen Gebundenheit freimachen und in der Erfahrung der absoluten Raum- und Zeitlosigkeit dem Leiden am Prozeß des Werdens und Vergehens entfliehen. Dies nennt der östliche Mensch den »Weg der Selbstbefreiung«. Ein Äquivalent dazu gibt es im Westen lediglich in den letzten Resten christlich-religiösen Bewußtseins, das an eine Erlösung aus den dimensiona­ len Banden glaubt, sich dabei allerdings auf die Gnade eines persönlichen Gottes, nicht auf die eigene Kraft angewiesen sieht. In dem Maße, wie sich die christliche Kirche nicht mehr als Trä­ ger und Vermittler eines metaphysischen Gedankens, sondern als weltliches Instrument zur Bewußtseinsbeeinflussung, als Medium von Ideologie und Macht begriff, verlor das einzelne Individuum seinen persönlichen Bezug zu seinen eigenen me­ 136

taphysischen Bedürfnissen. Nicht umsonst wird der Psychiater gern spöttisch »Beichtvater-Ersatz« genannt, nimmt er doch tatsächlich, wenn auch in verzerrter Form, den Platz der ur­ sprünglich natürlichen ideellen Verbindung zwischen dem wa­ chen Ich, dem Ego-Computer, und dem Über-Ich, dem zur Freiheit strebenden, intuitiven, außerdimensionalen »religiö­ sen« Bewußtsein ein. Die akademisch festgelegte, in ihrem bürgerlich-engen Denkgefängnis befangene Psychoanalyse ist allerdings kein brauchbarer Ersatz für die echte Verbundenheit des individuellen Menschen mit seinen vielgestaltigen, intuitiv erfahrbaren inneren Landschaften. Die vielen Demonstratio­ nen, die auf die »weißen Flecken« auf dieser inneren Landkarte hinweisen, werden leider, so man sie nicht schlechtweg igno­ riert, bestenfalls in den diffusen Eintopf »Parapsychologie« ge­ worfen, wo sie ein naturgemäß akademisch nicht zu bewälti­ gendes Dasein fristen. Nicht, daß es nicht auch im Westen einige Denker gäbe, die sich mit dem Phänomen unserer Abgespaltenheit von den intuitiven Erfahrungsmöglichkeiten einer »Ordnung der Dinge« (die An­ laß wären für eine tiefe innere Beruhigung) auseinandersetzten. Doch ihrer sind wenige, und sie werden gern überhört oder zu­ mindest in den Bereich der Esoterik abgeschoben. »Es besteht kaum Verbindung zwischen Wahrheit und sozialer >Realitätguten< wie dem »schlechtem Karma. Daher ist die vollendete Handlung letztlich eine freie, planlose oder spontane Handlung in genau demselben Sinn wie das taoistische Wu-Wei« (Alan Watts). Der Taoismus, beruhend auf dem nahezu 5000 Jahre alten I Ching, dem »Buch der Wandlungen«, und dem Aphorismen­ buch Tao Te-King des Konfuzius-Zeitgenossen Lao-Tse hat den Grundgedanken der Befreiung vom Ego mit den anderen östlichen Philosophien gemein. So war eine Verbindung des chinesischen Taoismus mit dem nordindischen MahayanaBuddhismus, aus denen der Zen-Buddhismus sich entwickelte, nicht weiter erstaunlich. Um zu vermeiden, »Wasser mit der Gabel zu schöpfen«, was durch unsere begrifflichen Gewohnheiten gerade bei der Dar­ stellung des uns geographisch und verstandesmäßig besonders fernliegenden Taoismus allzu leicht geschehen könnte, will ich auf den tiefen Kenner des Taoismus und Zen, Allan W. Watts verweisen, der wohl am ehesten einen für den westlichen Men­ schen begehbaren Zugang zu der östlichen Weisheit zu formu­ lieren wußte, und auf das von ihm zitierte Wort Chuang-Tses: »Wäre die Sprache zureichend, würde es einen ganzen Tag brauchen, um Tao kundzutun. Da sie aber unzureichend ist, nimmt schon die Erklärung materieller Existenz soviel Zeit in Anspruch. Tao ist etwas, das jenseits ist von materieller Exi­ stenz. Man kann es weder durch Worte übermitteln noch durch Schweigen.« Das bedeutet: Verbalisierbar sind nur Nähe­ rungswerte. Die Erfahrung muß von jedem einzelnen selbst ge­ macht werden. Verbindliche Selbstverständlichkeit ist für die asiatischen Phi­ losophien die Idee der Reinkarnation - der Wiedergeburt, so­ wohl was das Weiterleben nach dem Tod betrifft (wenn nicht 153

befreit in vollkommener Erleuchtung, so wiedergeboren als neue potentielle Möglichkeit der Erfahrung, der Selbstver­ wirklichung und der Erlösung), wie auch innerhalb des Lebens­ ablaufs als Möglichkeit der seelischen und geistigen Erneue­ rung durch eine Erleuchtung, in der Sprache der Psychologen eine »Identitätsveränderung«. Diese beiden Auslegungen gelten auch für die wohl bedeutend­ ste Überlieferung des Buddhismus, das Tibetanische Totenbuch (Bardo Thödol). Treffend formulierte der für östliche Philoso­ phien sehr aufgeschlossene Psychiater C. G. Jung31 die Bedeu­ tung dieses Buches für die Erweiterung des Bewußtseins: »Der Bardo Thödol war ein geheimes Buch und ist es geblie­ ben, was immer wir für Kommentare darüber schreiben, denn sein Verständnis fordert ein geistiges Vermögen, das keiner schlechthin besitzt, sondern nur durch eine besondere Lebens­ führung und -erfahrung erwerben kann. Es ist gut, daß solche in puncto Inhalt und Zweck nutzlosen Bücher existieren. Sie sind bestimmt für jene Menschen, denen es zugestoßen ist, nicht mehr allzu viel vom Nutzen und Zweck und vom Sinn unserer derzeitigen Kulturwelt zu halten.«32

Verzerrungen Die tiefgreifendste psychische Störung des westlichen Men­ schen, die auf seine Entfaltung heftig hemmend wirkt, ist sein mangelndes Vertrauen in das »Gute und Böse der eigenen Na­ tur«, das nach Watts besonders denjenigen fremd ist, »die mit dem chronisch unruhigen Gewissen der hebräisch-christlichen Kulturen aufgewachsen sind. Dem Chinesen«, so führt er wei­ ter aus, »war es jedoch immer klar, daß ein Mensch, der sich selbst mißtraut, nicht einmal seinem Mißtrauen trauen kann und daher hoffnungslos durcheinander sein muß.« Das hoffnungslose Durcheinander zeigt sich überdeutlich in all den sektiererischen Verzerrungen, denen der transzendentale Inhalt in der westlichen Welt anheimfiel. Spiritismus, Okkultis­ 154

mus, Magische Zirkel, theosophische Wucherungen und schließlich die Jesus-Bewegung demonstrieren sowohl die völ­ lige Unsicherheit in der Begegnung mit der Metaphysik wie auch die immer nachdrücklicher spürbare innere Notwendig­ keit einer Konfrontation. Die nahezu hundert Jahre alte »Theosophische Gesellschaft« (1875 von Helena Petrowna Blavatzky in New York gegründet) sieht vor, »einen Kern zu bilden, der aus Personen besteht, die dem Prinzip der universalen Bruderschaft zustimmen, wobei es keinen Unterschied der Rasse, der Hautfarbe oder des Glau­ bens gibt. Die Gesellschaft ist unpolitisch, unsektiererisch und ohne Dogma. Die besonderen Ziele, die damals festgelegt wur­ den und noch heute die gleichen sind, lauten: a) den Menschen Kenntnis über die im Universum waltenden Gesetze zu vermitteln; b) das Wissen zu verbreiten, daß die Natur in ihrer Essenz in allem, was ist, eine Einheit bildet; c) eine aktive Bruderschaft unter den Menschen zu bilden; d) alte und moderne Religionen, Wissenschaft und Philoso­ phie zu studieren; und e) die im Menschen innewohnenden Kräfte zu erforschen. Da die Menschheit voranschreitet, und in jedem letzten Viertel eines Jahrhunderts Anstrengungen unternommen werden, der Welt und den Menschen etwas mehr von den Lehren in immer mehr verständlicher Form zu geben, wurde im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts die Theosophische Gesellschaft gegrün­ det, und aus dem gleichen Grunde können wir berechtigt hof­ fen, daß auch in diesem letzten Viertel des Jahrhunderts irgend­ ein Lehrer kommen wird, der der Menschheit wieder etwas zu sagen hat, was zwar so alt ist wie die Welt, aber im Gewände der heutigen Zeit erscheinen wird, denn die Menschheit ist heute mit den Ideen der Theosophie schon so vertraut - ganz gleich, ob sie nun den Namen nennen, anerkennen, oder nicht, das spielt keine Rolle daß anzunehmen ist, daß nun die Lehre von der Reinkarnation und vom Karma hier im Westen mehr Bedeutung gewinnen wird. Und wenn die Menschen begreifen, 155

daß sie für alles, was sie tun, verantwortlich sind und zur Re­ chenschaft gezogen werden, und zwar auf dieser Welt, dann ist schon viel gewonnen.«33 So sinnvoll die - begrifflich und inhaltlich stark von der bud­ dhistischen Lehre beeinflußte - Zielsetzung der Theosophischen Gesellschaften klingt, so skeptisch macht doch die Praxis den unvoreingenommenen Interessenten. Allzu gerne gebrau­ chen die Theosophen die Begriffe »Geheimlehre«, »Wahre Lehre« und erheben den Anspruch einer absoluten Gültigkeit nicht nur der das Transzendente, sondern auch das Materielle betreffenden Lehre (z. B. bedenkliche Miteinbeziehung der Naturwissenschaften, die darin gipfelt, die Zirbeldrüse als Or­ gan des Bewußtseins festzulegen und daraus eine pseudowis­ senschaftlich fundierte radikale Drogenablehnung abzuleiten). Bezeichnend für viele theosophische Ableger ist eine bewußt in antiquierter Form gehaltene Sprache, die der Lehre offenbar ihre esoterisch-elitäre Position erhalten soll. Allerdings wird hierbei unterschlagen, daß die Bewußtseinsebene des Men­ schen des Atomzeitalters nicht der eines Bewohners des alten Babylon entsprechen kann und daß Begriffswahl und Darstel­ lungsform der Notwendigkeit unterworfen sind, sich von Zeit­ alter zu Zeitalter zu ändern und sich der entsprechenden Be­ wußtseinssituation anzupassen. So ist es wohl ein Unding, den Bürger von anno 1971 mit fol­ gendem Sermon ansprechen zu wollen: »Wenn du dein eigenes Herz gereinigt hast, damit das Sonnen­ licht der göttlichen Liebe hell durch sein Gewebe scheinen kann, dann wirst du klar genug erkennen, auch deines Bruders Herz zu läutern. Vielleicht wirst du dann nicht soviel Böses im Herzen deines Bruders finden, wie du jetzt vermutest. Was jetzt als böse dir in ihm erscheint, könnte die Einbildung des Bösen sein, die aus deinem eigenen Herzen sich in ihm widerspie­ gelt.«34 Gemeint ist damit, so ich recht verstehe: Wer die Kontrolle über die eigenen negativen Projektionen erlangt hat, ist eher in der Lage, das Gute wie das Böse, das ihn umgibt, objektiv zu 156

sehen - und damit auch zu erkennen, daß die Gut- und BöseVerteilung im allgemeinen ausgeglichener ist, als eine verunsi­ cherte, neurotische Psyche annimmt. Die Träger solcher Zirkel betreiben keine »Öffentlichkeitsar­ beit«. Dies forciert eine gewisse, sich keiner Kritik aussetzende geistige Inzucht, die nicht gerade sehr befruchtend, befreiend und erweiternd wirkt. Es sei nicht von der Hand gewiesen, daß mancher auch in einem solchen Zerrspiegel noch die reine Transzendenz entdecken und von ihr beglückt werden mag. Doch häufiger scheint die Diskrepanz zwischen den westlichen Bewußtseinsvoraussetzungen und jener den Überlieferungen der magischen Welt entnommenen »Geheimlehren« mit ihren entsprechenden Formulierungen (Anlehnung an mesopotamische, ägyptische und jüdische Mysterien) zwangsläufig zu Miß­ verständnissen und Verwirrungen zu führen. So ist bei den An­ hängern solcher wie anderer Sekten häufig ein Ansatz zu Heuchler- und Pharisäertum zu finden, da die diversen ethi­ schen, moralischen und oft zur Askese tendierenden Ansprü­ che der Lehren in einer Art wahrgenommen werden, die nicht eine innere Ordnung in dem geforderten Verhalten erfährt, sondern allzu oft im neurotischen Widerstreit zu den tatsächli­ chen Forderungen des psychischen Apparates steht. Das fatale Spiel mit der - als »weiß« bzw. »schwarz« bezeichneten - Magie ist in vielen Sekten und Zirkeln üblich. Es wird nicht zu Unrecht darauf hingewiesen, daß keine Kultur außer der unseren sich übernatürlichen Phänomenen verschlossen habe und daß es nötig sei, wieder auf sie zurückzukommen. Die Frage ist nur, ob dieser beschrittene Weg der richtige ist. Für den Inder etwa ist, wie vorn zitiert, das Vorhandensein au­ ßersinnlicher Wahrnehmung und den physikalischen Naturge­ setzen nicht unterliegender Phänomene eine Selbstverständ­ lichkeit. Auch die indische Philosophie drückt sich durchaus nicht um die Konfrontation mit einer Sache, die so ganz offen­ sichtlich ihren Platz in der dualistischen Struktur der von uns erlebbaren Welt hat. Doch warnen die indischen - wie alle von einem philosophischen Überbau getragenen - Religionen vor 157

einer Fehleinschätzung und auch vor dem Mißbrauch solcher Erscheinungen und Kräfte. »Die normalen Grenzen der menschlichen Schau sind nicht die Grenzen des Alls. Es gibt andere Welten als diejenigen, die uns unsere Sinne offenbaren, andere Sinne als diejenigen, die wir mit den niederen Tieren gemeinsam haben, andere Kräfte als diejenigen der stofflichen Welt. Wenn wir an die Seele glauben, ist das Übernatürliche auch ein Teil des Natürlichen. (...) Sie [die übernatürlichen Kräfte] sind Nebenerscheinungen des hö­ heren Lebens. Sie sind Blumen, die am Wege zu pflücken uns Gelegenheit gegeben ist, obwohl der wahrhafte Sucher seine Reise nicht unterbricht, um sie zu sammeln. (...) Wer den ma­ gischen Kräften anheimfällt, mit dem geht es rasch abwärts.«35 Der neomagische Hokuspokus, wie erotisch gefärbte »Schwarze Messen«, von denen aus den USA berichtet wird, das Aufleben von mehr oder minder ernst zu nehmenden Wudu-Zauber-Spielen, selbst die parapsychologische »For­ schung« nach »echten« und »falschen« Medien - all dies ist wohl nicht ganz ungefährlich. Es bedeutet letztlich, daß die not­ wendige Besinnung auf die transzendentale Seite der menschli­ chen Existenz einer massiven Deformierung ausgesetzt ist, die uns das eigentliche Ziel, nämlich zu einem neuen menschlichen Selbstverständnis und damit möglicherweise auch zu »mensch­ licheren« Verhaltensweisen zu gelangen, aus den Augen verlie­ ren läßt. Ich will die Befähigung des westlichen Menschen, übernatürli­ che Kräfte - ob nun positiver oder negativer Art - in sich zu aktivieren, wahrhaftig nicht überschätzen. Darum werden die Wudu-Spielchen wohl auch kaum ernstlichen Schaden anrichten, zumindest nicht außerhalb des Bewußtseinsbereichs des Spielenden selbst. Doch ist es zu bedauern, wenn psychische Kraft aufgewendet wird für etwas, das nicht als Auf-, sondern eher als Abstieg auf der Leiter der psychischen Entwicklung zu werten ist. Während Sektierertum immer die Sache kleiner Gruppen war und ist, beginnt eine andere religiöse Verwilderung globale 158

Ausmaße zu erreichen - die Jesus-Bewegung. »Mit glühender Begeisterung, nicht selten mit einer schwer nachvollziehbaren fanatischen Inbrunst und Verzückung berichten einige tausend Jugendliche in Europa und bereits über eine Million in Amerika von dem gleichen religiösen Grunderlebnis«, schrieb Wolf Donner in der Zeit36 - vom Grunderlebnis der umwerfenden plötzlichen Erkenntnis der Veräußerlichung der menschlichen Existenz und der Notwendigkeit, sich wieder nach innen zu wenden. Sie reden in dem ihnen eigenen Vokabular, das auch Protest ausdrücken soll gegen die Verquasung, mit der noch ihre Eltern ihr »Christentum« verbal behandelten, von ihrer religiösen Erfahrung: »Jesus ist dufte«, »Jesus ist der höchste Trip«, »werde high durch Jesus«. Solche, die LSD wie Butter­ brötchen konsumierten, ja sogar Fixer wandten sich von den Drogen ab und dem christlichen »High« zu. »Sie singen Hym­ nen und Choräle im Beat-Rhythmus, geraten abwechselnd in Hysterie oder stille Inbrunst und lassen sich mit einem Be­ kenntnis zum Herrn wie die Baptisten hintenüber ins Wasser tauchen. Die Gebete und Gottesdienste, in denen viel von Höl­ lenfeuer, von Wundern und Dämonie die Rede ist, werden nicht selten wie gut gedrilltes Showbusiness abgezogen und gleichen den Zeremonien afrikanischer Zaubermänner. Die gemeinsame Euphorie reicht vom trunkenen Stöhnen, Stam­ meln und Lallen bis zum ekstatischen Geschrei...« Was da an kalifornischer Küste, in Amsterdamer und Berliner Gebetsstuben zelebriert wird, scheint aus demselben Bereich religiöser Notdurft zu kommen wie das Spiel mit der Magie. Nur ist hier zumindest ein klarer religiöser Anspruch formuliert, der da lautet Glaube, Liebe, Hoffnung, Menschlichkeit und Wissen um den Sinn des Lebens. Der kommerzielle Rummel, der sich in Jesus-Musicals, JesusBeat-Hits, Jesus-Comics und bedruckten T-Shirts (»Jesus loves me«) äußert, muß nicht unbedingt gegen die Bewegung spre­ chen. Es ist kaum zu vermeiden, daß in einer Konsumgesell­ schaft jeder Gedanke des »Zeitgeistes« ein kommerzielles Ab­ schlachten erfährt. Gegen sie spricht allerdings die betrübliche 159

Tatsache, daß die Anhänger der Bewegung diesem Rummel nicht etwa kritisch gegenüberstehen, sondern ihn eher noch un­ terstützen. Dies bezeugt eine Infantilität und Bewußtlosigkeit, die wenig Hoffnung auf tatsächliche religiöse Tiefe offenläßt. Der Zeit-Journalist legt denn auch nachdrücklich den Finger auf die offene Wunde: »Nach innen ging der geheimnisvolle Weg, nur die Joints wechselten die Namen, und auch der Jesus-Tickist nur ein Ego-Trip. In diesem Zusammenhang ist die ›Renaissance des Okkultismus‹ (Time) in Europa und Amerika zu sehen, die neue ungeahnte Popularität von Aberglaube, Pa­ raphysik und schwarzer Magie, von Hexenkulten, Spiritismus, Geisterbeschwörungen, Sekten, Heilssuchern und Mystikern. Immer mehr Menschen glauben an den magischen Umgang mit Gott in Form von Ekstasen, Wundern und Offenbarungen.« Warum das so ist, wollte der Journalist, der Aberglauben und Mystik unbesehen in einen Topf wirft, offenbar nicht wissen. Er stellt lediglich fest: »Zu erwähnen bleibt schließlich eine unleugbare Folge der Drogenkultur: ein neues, sensibleres Hören, Sehen, Fühlen und Empfinden, das sich vor allem in Filmen, in Musik und ihrer Rezeption, aber auch im Verhalten Jugendlicher artikuliert, ei­ ner Art ständiger Angetörntheit oder zumindest latenten Be­ reitschaft zum Trip und zu psychedelischen Erfahrungen, die jeder Form von Emphase, kollektiver Euphorie und religiös­ empfindsamer Betroffenheit Vorschub leistet.« In der Illustrierten Stern37 versuchte Donner-Kollege Ulrich Schippke etwas weiter auszuholen, um auch der Frage nach dem »Warum« gerecht zu werden: »Wohl zu keiner Zeit war es so schwer wie heute, ein Weiterle­ ben nach dem Tode in einem göttlichen Wunderland - Him­ melreich genannt - für möglich zu halten. Doch ausgerechnet jene Jugend, die eben noch an der Spitze modischer Gottlosig­ keit zu marschieren schien, hat es fertiggebracht, Millionen junger Leute beiderseits des Atlantik haben für sich entdeckt: Es gibt den Himmel, Gott ist nicht tot.(...) Das wie zufällig hingeworfene Stichwort Jesus fiel in eine kuriose Landschaft. 160

Ohne es selber zu ahnen, ist die Menschheit an einem Punkt an­ gelangt, wo sie fast auf dieses Stichwort wartet. Als einziges Le­ bewesen vermag der Mensch in vollem Bewußtsein sein unab­ änderliches Lebensziel vorauszusehen - den Tod. Als einziges Wesen weiß der Mensch, was einmal aus seinem Körper wird -ein klägliches Bündel Würmerfraß. Die Bürde dieses Wissens war in der Vergangenheit relativ leicht zu tragen. Denn man war sicher: nur der Leib würde vergehen. Die Seele, das wahre Ich, würde >drübengut für sich< ist, zudem ange­ nehm sein kann, ist vielleicht die bitterste Pille für eine puri­ tanische Kultur.«) So nahm denn der mißtrauische Schweizer Parapsychologe Pe­ ter Ringger, um es ganz genau zu wissen, die massive Dosis von 0,6 Gramm (0,3 g hätten auch gereicht) Meskalin und erlebte Ringgersches Seelenleben ganz besonderer Art: »Die ganze Bildwelt ist urfremd, archaisch, entpersönlicht. Die Umgebung ist bald riesengroß, bald winzig klein. Raum- und Zeitvorstellungen werden abgewandelt. Die dem zeitlichen Denken entsprechenden räumlichen Distanzen werden wesen­ los, fallen weg. Die Konsistenz der Gegenstände erhöht sich. Lebendiges wird zum Wachsfigurenkabinett. Gesteigerte Farb­ empfindungen. Gehörsempfindungen bald besonders stark, 171

dann wieder leise, wie weit entfernte Laute. Man kann nicht mehr zusammenhängend denken. Ich empfinde es als das Ver­ rückteste, daß ich mich irgendwie nicht mehr als mich selbst empfinde. Meine Denkfunktionen haben sich verändert; irgend etwas von mir ist nicht mehr dabei. Ein unheimlicher Gedanke: bei diesem Rausch, in dem man nicht schläft, kann man auch nicht erwachen!... Alles, was ich sehe, sind Dinge aus des Sa­ tans Raritätenkiste.«48 Dieses »Analphabetentum« im Bereich des erweiterten Be­ wußtseins ist vor allem bei Wissenschaftlern anzutreffen, wie die Darstellung des Sandoz-Chemikers Albert Hofmann und die eben zitierte überaus deutlich zeigen. Unter ihnen finden sich besonders viele jener »schlecht Beratenen«, die der Droge zur Last legen, was sie selbst »unbekümmert und mit falschem Stolz« in die Sitzung mitbringen. Bessere Voraussetzungen waren von einem Professor für asia­ tische Religion und Philosophie in Oxford zu erwarten, R. C. Zaehner, einem zum Katholizismus konvertierten Fachmann für Mystik.49 Allerdings ließ auch er sich zum Meskalin-Versuch nicht durch reine Neugier, sondern durch eine heftige Ab­ lehnung der Huxleyschen Behauptung, Meskalin könne zur »Höhe der Kontemplation« führen, anregen. (»Da ich die Schlußfolgerungen, zu denen Mr. Aldous Huxley in seinem Buch The Doors of Perception gelangt, so entschieden ablehne, schulde ich ihm um so wärmeren Dank für die Erlaubnis, aus seinem Werk so ausführlich zu zitieren.«) Der Professor nahm am 3. Dezember um 11.40 Uhr eine Dosis von 0,4 g Meskalin und vier Herren (vom Psychologischen La­ boratorium der Universität Cambridge, von der Society for Psychical Research, vom Christ Church College und vom All Souls College) überwachten das »Experiment«. Während der Wirkung der Droge suchten der Professor und seine Hüter eine Kathedrale auf, aßen zu Mittag und nahmen einen Rorschachtest vor. Der Professor lachte fast während des ganzen Trips unmäßig und hatte leider gar keine mystischen Erfahrungen. »Ich will mir nicht anmaßen, aus einer so trivialen Erfahrung 172

Schlußfolgerungen zu ziehen. Es war interessant und ganz ge­ wiß unbeschreiblich komisch. Die ganze Zeit hindurch hatte ich jedoch das Gefühl, diese Erfahrung sei in gewisser Weise ›antireligiös‹, womit ich meine, mit religiöser Erfahrung nicht über­ einstimmend und einer anderen Kategorie zugehörig. Eine Art ›Selbsttranszendenz‹ nach der Terminologie Huxleys fand statt, aber es war ein Transzendieren in eine Welt possenhafter Be­ deutungslosigkeit. Alle Dinge waren eins in dem Sinne, daß im Höhepunkt meines manischen Zustandes alle gleich komisch waren: die Eigenschaft der ›Komik‹ und Ungereimtheit hatte alle anderen verschlungen. Ich empfand nie Schrecken, und als ich unter dem Einfluß von Berlioz langsam zur Vernunft zu­ rückkehrte, kehrte mein religiöses Bewußtsein, das nie völlig überschwemmt gewesen war, in voller Stärke zurück. Es gab keinen Grund mehr, warum ich mich fürchten sollte. Ich möchte die Droge nicht noch einmal einnehmen, aber le­ diglich aus moralischen Gründen. Es würde mich außerordent­ lich interessieren, ob die Droge andere Wirkungen hervorrufen würde, wenn sie anderswo, in einer anderen und weniger freundlichen Umgebung eingenommen wird. Aber je mehr die Erfahrung in die Vergangenheit zurücksinkt und blasser wird, desto deutlicher scheint es mir, daß im Prinzip die künstliche Beeinflussung des Bewußtseins, es sei denn aus triftigen ärztli­ chen Gründen, Unrecht ist.« Christentum und Meskalin vertragen sich allerdings nicht im­ mer so schlecht, wie der gestrenge englische Professor an­ nimmt; dies verraten jedenfalls die Berichte von den PeyotlRiten der in der »Native American Church« zusammenge­ schlossenen Indianer. Professor J. S. Slotkin, dessen Angaben über Peyotl-Riten sich auf profunde Kenntnis stützen, fühlte sich jedenfalls zu der vielsagenden Bemerkung veranlaßt: »Ich war nie an einer Addachtsstätte der Weißen, wo so viel religiö­ ses Gefühl und ein so würdiger Anstand herrschten.« Und so schildert Slotkin das psychedelische Erlebnis der India­ ner: »Ein großer Geist hat das Universum geschaffen und be­ 173

herrscht das Geschick eines jeden Bestandteils in diesem Uni­ versum, einschließlich der Menschen. Einiges von seiner über­ natürlichen Macht hat der Große Geist in das Peyotl gelegt; das schenkte er den Indianern, damit es ihnen in ihrer gegenwärti­ gen Erniedrigung helfe. (...) Wer Peyotl unter den vorgeschriebenen rituellen Bedingungen ißt, kann sich etwas von der Macht des Großen Geistes aneig­ nen, ebenso wie ein weißer Christ Gott durch Brot und Wein des Sakraments in sich aufnimmt. Voraussetzung ist die körperliche und geistige Reinigung. Die körperliche Reinigung wird durch Bad und Anlegen sauberer Kleider erreicht; die geistige, indem man alle bösen Gedanken verbannt und dem Großen Geist gegenüber eine demütige und aufnahmebereite Haltung einnimmt. (...) Die aus dem Peyotl gezogene Kraft hat geistige Auswirkungen. Traditionelle geistige Praxis vieler Stämme war es, in die Wild­ nis zu gehen und so lange zu fasten, bis man einer Vision - einer übernatürlichen Erleuchtung-teilhaftig wurde. Im Peyotismus werden diese Fasten durch eine gemeinsame Nachtwache er­ setzt, in der der Peyotist durch Gebete, Kontemplation und den Genuß von Peyotl eine Erleuchtung durch den Großen Geist oder einen seiner vertretenden Geister erreicht. Nach Meinung der Peyotisten geschieht dies, weil er sich selbst in geistige Auf­ nahmebereitschaft versetzt und durch das Peyotl genug von der Macht des Großen Geistes in sich aufgenommen hat, um diesen Zustand erreichen zu können. Diese Erleuchtung nimmt häufig die Form einer mystischen Verzückung an, das Einswerden al­ ler unmittelbaren Erfahrung mit dem Großen Geist selbst. Bei anderen Gelegenheiten enthüllt der Große Geist oder einer seiner Vertreter dem Peyotisten ein religiöses oder ethisches Dogma; er lehrt ihn das rechte Leben. (...) Von Peyotisten wird untereinander ein Gefühl brüderlicher Liebe erwartet. Während der Zeremonie kommt das durch be­ sondere Formen der Höflichkeit, der Achtung und der Ehrer­ bietung sowie durch Geschenke zum Ausdruck. Diese Brüder­ lichkeit erstreckt sich auch auf Peyotisten anderer Stämme. Es 174

gibt viele Besuche zwischen den Stämmen, wenn eine Zeremo­ nie abgehalten wird. (...) Die Lehren und Riten des Peyotismus kann man nur dadurch lernen, daß man selber Peyotl nimmt. Die Notwendigkeit einer solchen unmittelbaren Enthüllung wird immer stark betont. Was man von anderen erfährt, ist lediglich Wissen aus zweiter Hand und kann mit der unmittelbaren Berührung nicht vergli­ chen werden. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, weil hier gerade das innere Erlebnis für grundlegend gehalten wird.«50 Obwohl Slotkin aufgrund seiner umfangreichen Untersuchun­ gen feststellte, daß langdauernder Peyotl-Genuß weder zu Ge­ wöhnung noch gar zu Sucht oder psychischen Erkrankungen führt, findet man bei modernen Autoren immer noch unbewie­ sene Behauptungen wie folgende: »Eine direkte Suchtgefahr scheint bei Meskalin nicht zu beste­ hen. Trotzdem sei nicht verschwiegen, daß man unter gewohn­ heitsmäßigen Peyotl-Essern des öfteren das Auftreten ernster Psychosen, ja angeblich sogar von Geisteskrankheiten beob­ achtet hat.«51 Den Geist solcher vorsätzlichen Diffamierung hat der französi­ sche Pharmazeut Alexandre Rouhier in ebenso knappen wie unmißverständlichen Worten umrissen: »Es ist, glauben wir, nicht exakt, die Peyotl-Frage nur als eine einfache Rauschgift­ frage zu betrachten. Sie liegt viel höher und ist eine echte eth­ nische Frage‹. Die Kriegserklärung gegen den Peyotl ist nicht mehr und nicht weniger als ein Religions- und Rassenkrieg.«52 Es wäre naheliegend gewesen, mit den halluzinogenen Sub­ stanzen Mesoamerikas auch die innere Haltung derer, die sie seit alters her gebrauchen, zu übernehmen. Dieser Gedanke mag dem Entdecker des psilocybinhaltigen Pilzes Teonanäcatl, Gordon Wasson, nicht ganz fern gewesen sein. Seine ersten Er­ lebnisse mit dem heiligen Pilz in Huautla de Jimenez lassen auf seine sensible Aufnahmefähigkeit für die religiöse Atmo­ sphäre, die die Curandera hervorrief, schließen. Wasson be­ schäftigte sich intensiv mit der geistigen Tragweite der Wir­ kungsweise halluzinogener Drogen und kam dabei zu einer 175

Hypothese, die zwar gewagt klingt, bei näherer Betrachtung al­ lerdings durchaus nicht unwahrscheinlich ist: »Die Tierwelt kennt keinen Gott; sie hat keine Vorstellung von der religiösen Idee. Das Tier kann sich nichts vorstellen, das jenseits seiner tatsächlichen Erfahrung liegt; keine Vergangen­ heit vor seiner Erfahrung, keine Zukunft jenseits der unmittel­ baren Zukunft, keine andere Existenzebene als die, in der wir uns befinden. Es muß einmal eine Zeit gekommen sein, in der der Mensch, als er aus seiner tierischen Vergangenheit hervor­ trat, diese Möglichkeit zum erstenmal erfaßte, verschwommen, zögernd; als er zum erstenmal die Ehrfurcht kennenlernte, die mit der Gottesidee einhergeht. Vielleicht erfaßte er diese Idee ohne Hilfe, durch die Kraft seiner erwachenden Intelligenz. Ich möchte die These aufstellen, daß unsere primitivsten Vorfahren bei der Suche nach Nahrung auf unsere psychotropen Pilze stießen-oder auch auf andere Pflanzen mit derselben Eigenschaft-, sie aßen und auf diese Weise das Wunder der Ehrfurcht im An­ gesicht Gottes kennenlernten. Diese Entdeckung muß bei vielen Gelegenheiten gemacht worden sein, die zeitlich und räumlich weit voneinander entfernt lagen. Das Geheimnis der wunderbaren Entdeckung wird streng gehütet worden sein und hat nur wenige Spuren hinterlassen, die sich in Gebräuchen wi­ derspiegeln, in der Legende und in der Etymologie relevanter Worte. (...) Die Zeremonie, der wir in Südmexiko beiwohnten, war echte Agape, ein Fest der Liebe, ein Abendmahl, in dem wir alle Got­ tes Gegenwart empfanden, in dem das Sakrament seine eigene Überzeugungskraft entfaltete: in den Wundern, die es in uns vollbrachte. Die Gläubigen brauchten nicht das Dogma der Transsubstantiation anzuerkennen, um zu wissen, daß sie Chri­ sti Leib in sich aufgenommen hatten (wie erstaunlich, daß die alten Azteken dieses Sakrament mit demselben Namen bezeichneten, den wir für Brot und Wein der Eucharistie verwen­ den - Gottes-Fleisch!). Kann nicht der Heilige Pilz, oder ein anderes natürliches Halluzinogen, das Urelement in allen Abendmahlshandlungen der Welt gewesen sein, das dann in ei­ 176

ner Verwässerung des ursprünglichen, furchtbaren Sakraments durch wirkungslose Elemente schrittweise ersetzt wurde? Kann das nicht die Erklärung für die Archetypen, für die Ideen Pla­ tons sein? Die alten Griechen gaben niemals das Geheimnis der eleusinischen Mysterien preis, aber viele müssen es gekannt und flüsternd davon gesprochen haben. Wir wissen nur, daß die Eingeweihten einen Trank zu sich nahmen und später des Nachts eine großartige Vision erlebten. Die Griechen, die Vä­ ter der reinen Vernunft, behielten einen Teil ihres Geistes dem mystischen Element vor, den eleusinischen Mysterien, dem delphinischen Orakel, dem Dämon des Sokrates. Niemand weiß mit Gewißheit, welches Getränk die alten Hindus als Soma bezeichnten, noch was der Ursprung des ling chih der Chinesen war, des göttlichen Pilzes der Unsterblichkeit. Hier fehlt unserer Kenntnis dieser Kulturen ein Element; vielleicht kann es jetzt identifiziert werden mit Hilfe von Methoden, wie wir sie bei unserer Suche nach dem Heiligen Pilz benutzten.«53 Der Rückgriff auf andere und vor allem ältere Kulturen als die unsere erhellt zumindest den Platz, der den halluzinogenen Drogen (man sollte vielleicht eher sagen: den sakramentalen Drogen) im menschlichen Bewußtsein zugedacht ist. Die Absurdität und Amoralität von »wissenschaftlichen Ver­ suchen« samt entsprechender Interpretation wie folgende wird gewiß jedem Leser inzwischen klar sein: »In England wurde durch das Verteidigungsministerium ein Film gedreht, der unter anderem den Kadern des Shape vorge­ führt worden ist und der sich ausdrücklich mit LSD als Kriegs­ waffe befaßt. Er zeigt ein ganzes Bataillon, dessen Angehörige ohne ihr Wissen LSD in relativ geringen Dosen erhalten hatten. Vierzig Minuten nach deren Einnahme begannen die Soldaten, die Ausführung von Befehlen zu verweigern; einige verließen die Reihen, eine Anzahl warf das Gewehr weg, und einige klet­ terten sogar auf Bäume hinauf. Die meisten brachen in wildes Gelächter aus. (...) Es braucht wenig Phantasie, um sich auszu­ denken, welche Rolle LSD und andere Halluzinogene im Kriegsfall zu spielen vermöchten. Wenn aber beispielsweise 177

schon die Jugend, die morgen zum Militärdienst antreten sollte, von den Bäumen herabgeholt werden muß, so kommt dies wohl einer ersten verlorenen Schlacht gleich. Und in welcher Gefahr sich Soldaten befinden, unter denen sich einige LSD-Adepten befinden, die im entscheidenden Augenblick versagen, weil sie gerade >auf Reisen gegangen« sind, kann man sich ausmalen. Verglichen mit dem Problem der Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen, wird die passive Auflehnung gegen jeg­ liche Autorität - teilweise als getarnte Friedfertigkeit - unver­ gleichlich schwieriger zu behandeln sein.«54 Dieses Zitat bedarf keines Kommentars, zumindest nicht für jene, denen klar geworden ist, daß Drogen niemals einem menschlichen Wesen ohne dessen Wissen verabreicht werden dürfen und daß das Ziel der Bewußtseinserweiterung eine grö­ ßere Einsicht in den Sinn menschlicher Existenz sein muß — und dieser Sinn kann nun einmal nicht in gegenseitiger Zerstörung liegen. »Aber wer durch die Tür in der Mauer zurückkommt, wird nie wieder ganz derselbe Mensch sein, der durch sie hinausging. Er wird weiser sein, aber weniger selbstsicher, glücklicher, aber weniger selbstzufrieden, demütiger im Zugeben seiner Unwis­ senheit und doch besser gerüstet, die Beziehung zwischen Wör­ tern und Dingen, zwischen systematischem vernunftgemäßen Denken und dem unergründlichen Geheimnis zu verstehen, das er mit jenem immerzu vergeblich zu begreifen sucht.« Diese abschließenden Worte aus den Pforten der Wahrnehmung von Aldous Huxley sind der Angelpunkt, der mich von einer »Neuorientierung durch Halluzinogene« sprechen läßt. Timo­ thy Leary, der mutigste und intensivste Vorkämpfer für die halluzinogene Erfahrung (er ging um seiner Forschertätigkeit wil­ len seiner Professur an der renommierten Harvard-Universität verlustig und wurde schließlich unter dem Vorwand eines »Rauschgiftdeliktes« - Besitz einiger Gramm Marihuana - von einem amerikanischen Gericht zu dreißig Jahren Gefängnis verurteilt, denen er sich nur durch Flucht ins Exil entziehen konnte) erarbeitete das volle Ausmaß der sowohl religiösen wie 178

politischen und sozialen Bedeutung dieses Fazits seines be­ wußtseinsforschenden Vorgängers. Den wohl wertvollsten Beitrag zum Bewußtwerdungsprozeß durch Psychodrogen lei­ steten Leary und seine jahrelangen Mitarbeiter Richard Alpert und Ralph Metzner mit der Entdeckung des Tibetanischen To­ tenbuchs als »Reiseführer« für jeden Drogen-Reisenden. In ihrem »Handbuch nach Weisungen des Tibetanischen Toten­ buchs«55 stellten sie in enger Anlehnung an das tibetanische Bardo Thödol Anleitungen für die geistige Ausrichtung auf, die einen »guten Trip« in dem Sinne, den Huxley andeutete, ge­ währleisten soll. Das Tibetanische Totenbuch ist nach der Aus­ legung des tibetanischen Gelehrten Lama Govinda »ein Buch für die Toten wie auch für die Lebenden«. Zwar steht darin ge­ schrieben, es solle dem Sterbenden während der - 49 Tage dau­ ernden - Zeit seines Zwischenzustandes zwischen materieller Loslösung und neuer Ich-Findung (so er die Erlösung nicht er­ langte) gelesen werden, doch »ist dies nur das reine esoterische Gerüst, das von den tibetanischen Buddhisten benutzt wurde, um ihre mystischen Lehren zu überdecken«. Dem psychedelischen Reisenden werden in der Sprache und mit den Ausdrücken, die ihm geläufig sind, die grundlegenden religiösen Wahrheiten des Ostens nahegebracht. »Du mußt dich auch erinnern, daß die Erfahrung ohne Gefahr ist (im schlimmsten Falle wirst du am Ende die gleiche Person sein, die in diese Erfahrung eingetreten ist), und daß alle Ge­ fahren, vor denen du dich gefürchtet hast, unnötige Vorstellun­ gen deiner Gedanken sind. Gleichgültig, ob du Himmel oder Hölle erlebst: erinnere dich, daß dein Denken sie geschaffen hat. Vermeide es, das Ich-Spiel der Erfahrung aufzudrän­ gen.«56 Oder, mit den Worten der Tibet-Kennerin Alexandra David-Neel: »Götter und Dämonen, ja das ganze Weltall, alles ist nur Blendwerk, das im Geiste sein Dasein hat, aus ihm ent­ steht und sich in ihm wieder auflöst.«57 Vertrauen in die (kollektive, nicht Ich-gebundene) absolute Kraft des eigenen Bewußtseins soll nach den Autoren der Psy­ chedelischen Erfahrungen das erste Gebot für jeden Reisenden 179

sein. Das Wissen um die unendlich vielfältigen Projektionen des Ego-abhängigen Geistes und zugleich um den jedem zu­ gänglichen Weg der Befreiung ist die unbedingte Vorausset­ zung für die psychedelische Erfahrung. Ist dieses Wissen nicht vorhanden oder bestehen Zweifel an seiner Gültigkeit, bleibt die Erfahrung entweder im »Vorzimmer« der Reise hängen und wird die Tiefe nie erlangen, oder das Erlebnis bekommt psychotische Färbung und wird als negativ interpretiert, wenn es nicht gar - was allerdings nur selten vorkommt - zu einer län­ gerdauernden Verwirrung führt. Die Psychedelischen Erfahrungen sind entsprechend dem Auf­ bau des Tibetanischen Totenbuchs in drei voneinander abgrenzbare Phasen gegliedert: in die drei »Bardos«, 1. der voll­ kommenen Transzendenz (»jenseits von Worten, jenseits von Zeit und Raum, jenseits des Selbstes«), 2. der Visionen und der psychologischen Ebene der distanzierten Erfahrung vom Selbst (»die Wirklichkeit des äußeren Spiels«) mit möglichen Halluzi­ nationen, d. h. Projektionen vor allem aus dem archetypischen Bereich des Unterbewußten, 3. der Periode der »Wiederkehr«, der neuen Ich-Findung. Für die Trip-Darstellungen der vorn zitierten Wissenschaftler gilt der nachdrückliche Hinweis: »Für diejenigen, die nicht vorbereitet sind, die gewichtig ihre Spiele spielen, die ängstlich an ihrem Ich festhalten, und für diejenigen, die die Droge in einer Sitzung einnehmen, in der sie keine Hilfe haben, beginnt der Kampf um die Wiedergewin­ nung der Wirklichkeit früh und dauert im allgemeinen bis zum Ende der Sitzung.« Das verzweifelte »Festhalten am Ich« ist die große Gefahr für den westlichen Menschen, der sich auf die Suche nach seinem verschütteten Bewußtsein begibt. Von einer systembeengten Psychologie und Psychiatrie darauf gedrillt, eben dieses Fest­ halten über alles hochzuschätzen, findet er sehr schwer einen Zugangzu dem natürlichen, zweckmäßigen Verhalten, das die östlichen,Religionen anempfehlen und das Alan Watts in einem seiner schönen Gleichnisse umschrieben hat: »Ich kann einen 180

Ball nicht werfen, solange ich ihn zum Zweck einer vollkomme­ nen Kontrolle seiner Bewegungen festhalte.« Daß die mystische Erfahrung, so sie nicht in einen festgefügten geistigen Überbau eingereiht werden kann, auch zu negativen Ergebnissen führt, wurde von dem Tiefenpsychologen C. G. Jung, dem gutinformierten Kommentatoren östlicher Primärli­ teratur, ausführlich dargestellt. Es kann die »Einheitserfah­ rung« einen völligen Zusammenbruch der Lebensfähigkeit ge­ genüber der äußeren Realität zur Folge haben; Überzeichnung, Hysterie, Schizophrenie sind die negativen Zerrspiegel der tie­ fen erkennenden Erfahrung. Jung nennt dies »Inflation« - im Gegensatz zur »Integration«, die bedeutet, daß die Einheitser­ fahrung als die spirituelle Hälfte des Daseins erlebt und akzep­ tiert wird, gleichzeitig aber das äußerliche, materielle Leben in­ nerhalb der gegebenen Relationen ebenso anerkannt wird und Abgrenzungen nur im Sinne einer Bemühung um größtmögli­ chen Ausgleich zwischen beiden Erlebnisweisen vorgenommen werden. Der Sinn der intuitiven Erkenntnis ist selbstverständ­ lich nicht lebensfeindliche Abkehr und Gleichgültigkeit, son­ dern eben das Eindringen in das Wissen um die Dualität der äu­ ßeren Welt. »Der Weise wertet nicht« heißt nicht, daß er Gut und Böse nicht mehr trennt; es bedeutet lediglich, daß er Wer­ tungen nur aus der übergeordneten Sicht der letztlichen Relati­ vität eines jeden Wertes vornimmt. Die Gefahr der »Inflation« ist natürlich für den westlichen Menschen viel eher gegeben als für den von klein auf in einen geistig-religiösen Zusammenhang hineingewachsene östliche. Darum muß ein Teil unserer Anstrengungen auch darauf ver­ wandt werden, die ekstatischen Erfahrungen der Ich-Auflösung, so sie sich einstellen, in die rechte Beziehung zum tägli­ chen Lebensablauf zu bringen, auf daß auch wirklich spürbar werde, daß die Erfahrung dazu führt, »weiser, aber weniger selbstsicher, glücklicher, aber weniger selbstzufrieden« zu wer­ den. Mit Sicherheit wird dieser tägliche Lebensablauf unter solchen Voraussetzungen eine Veränderung erfahren. Wenn der Kreis­ 181

lauf von Trieb/Befriedigung, Wunsch/Erfüllung, das, was wir üblicherweise »Leben« und die Buddhisten das »Karma« nen­ nen, aus distanzierter Sicht, als mechanistisches Uhrwerk gese­ hen wird, wenn mein Ich-Bewußtsein nicht mehr dadurch entsteht, daß der andere neben mir dieses mein Ego-Bild aner­ kennt, sondern lediglich dadurch, daß ich selbst um mein psy­ chologisch-mechanisches Ego-Sein und zugleich um mein übergeordnetes kollektives Ich-Sein weiß - dann werde ich die darstellenden Spiele (Image, Lebensstandard) und die Macht­ spiele (ich bin mehr, wenn Du weniger bist) und die angeblichen Liebes-Spiele (besitze ich dich nicht, so bin ich nicht) nicht mehr spielen müssen. Die Funktion der »Liebe« im menschlichen Wach- und Unter­ bewußtsein ist ein Punkt, den man bei der Betrachtung dessen, was ich menschliche Selbstverwirklichung nenne, nicht umge­ hen kann. Es bedurfte eines Sigmund Freud, um die geschlecht­ liche Liebe aus ihrer Verdammnis ins finsterste Tabu hervorzu­ holen, und eines Wilhelm Reich, um sie aus der bürgerlichen Befangenheit ins freie Licht rationaler Sicht zu heben. Und es bedurfte Timothy Learys, der sagte: »Was die Psychologen Liebe nennen, ist emotionale Gier und selbsterhöhende Völle­ rei, die auf Furcht beruht.« Ich wies an früherer Stelle darauf hin, daß der Qualität der Liebe nicht gerecht würde, wer den kleinkarierten vermeintli­ chen Inhalt durch einen größerkarierten ersetzte, bzw. das »rechte« Übel zum »linken« Übel machte. Ob puritanische Verklemmtheit oder freizügiger »Sex-Trip« - beide Haltungen vereinigt die gemeinsame Unfähigkeit, die sexuelle Liebe als das Gefäß der intensivsten Erfahrung, die für das »normale« Wachbewußtsein zugänglich ist, zu begreifen. Wenn Leary den Emotionen den Kampf ansagt, so nicht, um die natürliche Vitalität des Menschen zu beschneiden. Emotio­ nen, wie unsere Psychologie sie auffaßt, sind in Wirklichkeit neurotische Verwilderungen der natürlichen Spontaneität (Lao-Tse: »Der Grund des Tao ist Spontaneität«)58 und ver­ stellen den Blick für die überlegenen Möglichkeiten des Be­ 182

wußtseins, das sich in der Ekstase erhöhen und die emotionale Abhängigkeit überwinden kann. »Gefühle sind die niedrigste Form des Bewußtseins. Emotio­ nale Handlungen sind die beschränktesten, einengendsten, ge­ fährlichsten Verhaltensformen. Die romantische Lyrik und Dichtung der letzten 200 Jahre hat uns recht blind gemacht für die Tatsache, daß Emotionen eine aktive und schädliche Form des Stumpfsinns sind. Jeder Bauer kann dir das sagen. Nimm dich in acht vor dem emotionalen Menschen. Er ist ein taumelnder Irrer. Emotionen entstehen durch biochemische Sekretionen im Körper, um in Momenten der Gefahr zu helfen. Ein emotionaler Mensch ist ein blinder, verwirrter Wahnsinniger. Emotionen sind suchtbil­ dend, narkotisch und verdummend. (...) Alle Emotionen be­ ruhen auf Furcht. Wie ein Alkoholiker oder ein Morphinist flieht der furchtsame Mensch am liebsten in die Aktivität. Befehlend, rivalisierend, strafend, angreifend, rebellierend, sich beklagend, demütigend, sich unterwerfend, besänftigend, zustimmend, schmeichelnd, lobhudelnd, gebend. (...) Die psychedelische Entsprechung: Der einzige Zustand, in dem wir lernen, harmonisieren, wachsen, verschmelzen, uns ver­ einigen, verstehen können, ist der Zustand ohne Emotion. Er wird Seligkeit oder Ekstase genannt, erreicht durch die Kon­ zentration der Emotionen. Stimmungen wie Leid und Freude begleiten die Emotionen. Wie ein Morphinist, der gerade seine Spritze bekommen hat, oder wie ein Alkoholiker mit der Flasche in der Hand fühlt sich der emotionale Mensch wohl, wenn er gefühlsmäßig gewonnen hat, d. h. jemanden geschlagen hat oder geschlagen worden ist. In einem Wettkampf gesiegt hat. Sich vollgefressen hat beim Menschengrapschen. Bewußte Liebe ist keine Emotion; sie ist heiteres Verschmelzen mit dir selbst, mit anderen Menschen, anderen Formen der Energie. Liebe kann im emotionalen Zu­ stand nicht existieren.«59 Mit anderen Worten, aber gleichem Inhalt, stellt der tibetani­ sche Gelehrte Lama Anagarika Govinda die qualitativen Ab183

Stufungen von der Ekstase zu den Emotionen dar. Denn Leary ist durchaus nicht allein mit seinem zunächst so haarsträubend klingenden Vorwurf, daß wir eigentlich in einer Welt mit ver­ kehrten psychologischen Vorzeichen leben, in der das Schlechte als gut und das Gute als schlecht gilt, die Emotion als »menschlich« betrachtet wird und die Erweiterung des Be­ wußtseins als verrückt und kriminell. »Tapas«, das schöpferische Prinzip, ist »jene Kraft, die uns über das Gewordene hinaushebt, die Grenzen unserer engen Indivi­ dualität und unserer selbstgeschaffenen Welt sprengt und alles Geformte und Gestaltete einschmilzt und verwandelt. (...) Es ist ›Begeisterung‹, die in ihrer niedrigsten Form ein von blinder Emotion genährtes Strohfeuer ist, in ihrer höchsten die von un­ mittelbarer Erkenntnis genährte Flamme der Inspiration. Beide haben die Natur des Feuers. Aber ebensowenig wir die Kurzlebigkeit und die geringe Wir­ kungskraft des Strohfeuers die Tatsache in Frage stellen, daß das gleiche Element, wenn in die richtigen Bahnen geleitet und mit der rechten Nahrung versehen, den härtesten Stahl zu schmelzen imstande ist, so soll uns das, was wir landläufig mit >Begeisterung< bezeichnen, und was meist nicht mehr ist als eine kurzlebige Emotion, nicht daran hindern, das wirkliche Wesen geistiger Ergriffenheit zu erkennen als das, was uns zutiefst ver­ wandelt, befreit und erlöst: das, was wir im religiösen Leben mit Ekstase, Versenkung, Schauung und dergleichen bezeich­ nen.«60 Jene innere Ausgeglichenheit, das Vertrauen in sich selbst und den anderen, die Bereitschaft und Fähigkeit zur tiefen Hingabe sind Ziele, die der psychedelische Reisende in ihrer lebendigen Verwirklichung anstrebt und deren langwierige . Aktivierungs­ arbeit er meint, wenn er sagt: »Der Trip fängt erst richtig an, wenn er vorbei ist.« Es ist die absolute »Ordnung der Dinge«, die der Reisende er­ fahren möchte und erfahren kann, die ihn aus der blinden Ro­ tation um das eigene Ich herausreißt und ihn die Kollektivität all seiner angeblich »individuellen« Probleme und Lebensum­ 184

stände erkennen läßt (»Die sogenannte individuelle Differen­ zierung des Menschen ist heute im wesentlichen ein Ausdruck überwuchernder neurotischer Verhaltensweisen. Es fällt auf, daß im Laufe des Gesundungsprozesses sich diese individuelle Differenzierung weitgehend abbaut und einer Vereinfachung im Gesamtgehaben Platz macht« - Wilhelm Reich)61; die ihn auf die teuflische Allmacht seines verselbständigten psychologi­ schen Apparates hinweist (»Wenn ich mich schlecht fühle, kann ich nichts dagegen tun, und außerdem ist immer jemand ande­ rer schuld daran!«) und ihm die Distanz dazu ermöglicht. Im Augenblick sieht es jedoch noch so aus, daß es zwar viele Trip-Konsumenten, unter ihnen aber wenige psychedelische Reisende gibt. So haben mit dem Problem des mangelnden geistigen Überbaus nicht nur die Konsumenten zu kämpfen, sondern auch so fortschrittlich gemeinte Einrichtungen wie »Städtische Drogenberatungsstellen«, die sich zumeist aus frei­ heitlich gesinnten jungen Psychiatern, Psychologen, Soziologen und Pädagogen - die sich selbst als, zumindest im Geiste, der Subkultur zugehörig bezeichnen - zusammensetzen. So geklärt die Front gegen die harten Drogen ist, so diffus ist die Einstel­ lung der Berater, wenn es um Halluzinogene geht. Über ihre äußere Anwendung herrscht einigermaßen Einigkeit (»Achte auf set und setting«), auf Gefahren wird hingewiesen. Die nö­ tige innere Erwartungshaltung wird jedoch überaus mager for­ muliert. »Es ist nicht möglich vorherzusagen, welche Reaktionsformen nach einer Einnahme von LSD bei einer bestimmten Person auftreten werden. (...) Ein guter Trip kann Durchblick und Einsicht verschaffen. Manchmal wird Erlebnismaterial, das bisher verschüttet war, frei und kritisch wiedererlebt. Beson­ ders die peak-experience62 kann dauernde Effekte in Einstel­ lung und Verhalten des Individuums hinterlassen. Sie kann zu einem neuen Bewußtsein führen, das nicht an die aktuelle Dro­ genwirkung gebunden bleibt. Die peak-experience ist eine Er­ fahrung von Freude, Seligkeit, Liebe, Frieden, Ehrfurcht, Hei­ ligkeit. Es tritt das Gefühl der Einsicht in die Realität von einem 185

intuitiven, nicht rationalen Zugang her auf. Dinge, die nach der Logik widersprechend und paradox sind, werden leibhaft er­ fahren. Es entsteht der Eindruck, daß sich diese Erfahrung jen­ seits von Worten, unbeschreibbar, vollzieht. Die peak-experience kommt sehr selten vor (die meisten LSD-Konsumenten erfahren sie niemals). Solche Erfahrungen haben zu neuen Re­ ligionsgemeinschaften in der Subkultur geführt. (...) Die inzwischen vollzogene Gleichschaltung vieler Trip-Konsu­ menten ist auch durch vermehrten Trip-Konsum nicht zu durchbrechen. Der Trip-Konsum führt in gesellschaftliche Für­ sorgeeinrichtungen wie Gefängnisse, Heime und Kliniken (»ausflippen«) und kaum zu einem erweiterten Bewußtsein. Wenn die Verarbeitung und Integration der Trip-Erfahrungen im sogenannten Alltagsleben nicht gelingt, ist die Gefahr des >Horror-Trips< und des schließlichen Ausflippens kaum zu ban­ nen.«63 Nein, diese Gefahr ist wohl nicht zu bannen, solange nicht offi­ ziell aus der Tabu-Verankerung gerissen wird, welche Erfah­ rungen es denn nun eigentlich sind, die da gemacht und ins so­ genannte Alltagsleben integriert werden wollen. Und offiziell, das hieße auch: seitens der zuständigen Institutionen. Immerhin wird das »religiöse Bedürfnis« schon von Seiten als Faktum akzeptiert, von denen man es gar nicht erwarten würde. Zum Beispiel von der »Underground-Presse«: »Und wir haben unser acid, unser LSD-Sakrament. Wenn es nur immer rein wäre (...), wenn wir es einfach pur und legal bekommen könn­ ten - und in einem angemessenen traditionellen Ritus einwer­ fen, unter der Kontrolle von Freunden und Gefährten mit mehr Erfahrung, anstatt von weißbekittelten Wichtigmachern.. .«64

Politische und soziale Relevanz »Elterliches Beispiel, Übung eigener Selbstbeherrschung im Essen (›Wohlstandsmastfettsucht‹) und Trinken, überlegter Tablettengebrauch, Schaffung helfender Gewohnheiten« in der 186

Familie und am Arbeitsplatz,65 Rücksichtnahme auf nichtrau­ chende Kollegen, Respekt vor der Alkoholabstinenz der Auto­ fahrer, sinnvolle Freizeitgestaltung und aktive sportliche Betä­ tigung sind neben einer frühzeitigen Aufklärung über die Suchtgefahren auf breiter Basis wesentliche Voraussetzungen für eine wirksame Suchtprophylaxe im Sinne Kants: ›Der Mensch wird mehr froh durch das, was er tut, als durch das, was er genießt.‹66 Dies sind die abschließenden Worte eines Buches, das »Auf­ klärung über die geistig-seelischen und körperlichen Gefahren der Suchtmittel« betreiben will. Es ist über alle Maßen fatal, daß solche »modernen Aufklärer« unbefangen am alten Kantschen Tugendzopf weiterflechten, der uns schon so viel Übles eingebrockt hat und dessen Maximen von der fortschrittliche­ ren Psychologie nachdrücklich als neurotisierende Einseitig­ keiten demaskiert wurden. Es sollte doch deutlich genug erwie­ sen sein, daß die Aufforderung zu Selbstzucht und Tugend, die keinen anderen Sinn beinhaltet als die bedingungslose Anpas­ sung an das bestehende System, nicht von Erfolg gekrönt ist. Dieses »Denkangebot« ist zu jämmerlich, als daß es eines jun­ gen Menschen tief existenzielle Frage nach dem beantwortete, was er um eines befriedigenden menschlichen Daseins willen tun und lassen solle. Es ist einfach ein Unding, Befriedigung zu erwarten, wo ledig­ lich Pflichten, deren Zweck man nicht einmal bejahen kann, er­ füllt werden müssen. In des Pharmakologen Wagner wahrer Fundgrube der Systemimmanenz67 führt denn auch der »fort­ gesetzte Mißbrauch von Rauschgiften« - bei ihm ist Drogen-Gebrauch immer gleichgesetzt mit Drogen-Mißbrauch -dazu, »gesellschaftsfeindlich« zu werden. »Er [der ›Süchtige‹] begibt sich, da er nicht mehr in der Realität lebt, in eine Traum­ welt. Er beginnt die Gemeinschaft zu negieren und die Sitten­ gesetze zu leugnen. Er opponiert gegen den Staat und wird zum Revolutionär gegen jedes Ordnungsprinzip.« Das Müssen ohne Verstehen, der doktrinäre Zwang zur Tu­ gendhaftigkeit vermag nun einmal nicht viel positive Gefühle 187

zu wecken. Bestenfalls wird es der, der sich unterwirft, zum Pharisäer bringen, doch noch eher ist zu erwarten, daß seine empfindliche seelische Substanz frühzeitig zerschlissen wird im neurotischen Circulus vitiosus und nur kümmerliche Reste sei­ nes Menschseins übrigbleiben. Die Zufuhr psychischer Energie durch Halluzinogene oder durch einen unbeabsichtigten geisti­ gen Durchbruch wird in solchen Fällen unvermeidlich zu nega­ tiven Ergebnissen führen. »Negative Gefühle - Furcht, welche das Nichtvorhandensein von Vertrauen ist, Haß, Zorn oder Bosheit, welche Liebe aus­ schließen - sind die Gewähr dafür, daß das visionäre Erlebnis, wenn und wann es kommt, entsetzlich sein wird. Der Pharisäer ist ein tugendhafter Mensch, aber seine Tugendhaftigkeit ist von der Art, die sich mit negativem Gefühl verträgt. Seine vi­ sionären Erlebnisse werden daher wahrscheinlich eher höllisch als himmlisch sein.«68 Sollte man es also bleiben lassen, sich auf die »älteste Reise der Welt« zu machen, nur weil das gesellschaftliche System und seine angepaßte Psychologie und Soziologie ein Menschenbild verlangen, das unmenschlich ist? Das den »angepaßten Bom­ berpiloten« für weit, weit weniger gefährlich hält als den Schi­ zophrenen »mit dem Wahn, die Bombe sei in ihm«? »Manche Leute dringen absichtlich, manche unabsichtlich in einen mehr oder weniger totalen inneren Raum, in eine mehr oder weniger totale innere Zeit ein - oder werden hineingewor­ fen. Wir sind sozial darauf trainiert, die totale Versenkung in den äußeren Raum und die äußere Zeit für normal und ge­ sund zu halten. Versenkung in den inneren Raum und die innere Zeit gilt als antisozialer Rückzug, als Abweichung, als krankhaft, per se pathologisch und gewissermaßen diskredi­ tierend.«69 Timothy Learys »Evolutionserkl^irung« richtet sich gegen jene, die diskreditieren, die den Bomberpiloten züchten und den, der anders zu sein wagt, verdammen, und an jene, die von ihrem Recht auf echte menschliche Freiheit Gebrauch machen wol­ len: 188

»Wir erachten diese Wahrheiten als selbstverständlich: - Daß alle Spezies andersartig, aber gleich erschaffen sind. - Daß sie, eine jede auf ihre Art, ausgestattet sind mit gewissen unabänderlichen Rechten, dazu gehören unter anderen die Freiheit zu leben, die Freiheit zu wachsen und die Freiheit, auf eigene Weise nach Glück zu streben. - Daß zum Schutz dieser gottgegebenen Rechte auf natürliche Art soziale Strukturen entstehen, deren Autorität sich auf die Grundsätze der Liebe zu Gott und der Ehrfurcht vor allen For­ men des Lebens stützt. - Daß, wann immer irgendeine Form der Regierung Leben, Freiheit und Harmonie zerstört, es die organische Pflicht der jungen Angehörigen der Spezies ist, zu mutieren, auszusteigen, eine neue soziale Struktur einzuführen und sie auf solchen Grundsätzen aufzubauen und ihre Macht so zu organisieren, wie es für die Beschaffung von Sicherheit, Glück und Harmonie unter allen fühlenden Wesen richtig erscheint. Es ist die genetische Weisheit, die uns rät, altbewährte soziale Strukturen nicht aus frivolen Gründen und vergänglichen Mo­ tiven aufzugeben. Die Ekstase der Mutation entspricht ihrem Schmerz. Dementsprechend zeigt alle Erfahrung, daß Angehö­ rige einer Spezies eher bereit sind zu leiden, solange das Übel erleidbar ist, als die Formen aufzugeben, die ihnen vertraut sind. Doch wenn eine lange Folge von Mißständen und Übergriffen, die alle die gleichen Ziele verfolgen, die Struktur des organi­ schen Lebens selbst und die heitere Harmonie auf dem Plane­ ten bedrohen, ist es das Recht, ist es organische Pflicht, aus ei­ nem so morbiden Bündnis auszuscheiden und neue liebevolle soziale Strukturen zu entwickeln. Von dieser Art war das geduldige Leiden der freiheitsliebenden Menschen auf dieser Erde, und von dieser Art ist jetzt die Not­ wendigkeit, die uns zwingt, neue Systeme der Regierung zu bil­ den.«70 Wer Leary einen Utopisten nennt, negiert die schönste und wichtigste Eigenschaft des Menschen - die Bereitschaft zu ler­ 189

nen, die Bereitschaft zur Veränderung - in unverantwortlicher Weise. Immerhin bekannten und bekennen sich alle, die sinn­ volle, beglückende Erfahrungen mit halluzinogenen Drogen machten, zu ähnlichen »Utopien«. Etwa Aldous Huxley, der 1945 die Hoffnung aussprach: »Mit ihrer [der psychedelischen Drogen] Hilfe sollte das Indivi­ duum in der Lage sein, sich selektiv an seine Kultur anzupassen, ihre Übel, Dummheiten und Irrelevanzen abzulehnen und den Schatz des gesammelten Wissens, der Rationalität, der Menschlichkeit und der praktischen Weisheit dankbar anzu­ nehmen. Wenn die Zahl solcher Individuen genügend groß und ihr Niveau genügend hoch ist, können sie von der aussondern­ den Akklamation ihrer Kultur zur aussondernden Veränderung und Reform übergehen. Ein hoffnungsvoller utopischer Traum? Das Experiment wird uns die Antwort geben, denn der Traum ist pragmatisch; die utopische Hypothese kann empirisch bewiesen werden.«71 Das Experiment ist in seinen Kinderschuhen steckengeblieben. Die potentielle Möglichkeit zur psychedelischen Erfahrung verfing sich in den Sackgassen banalen, stumpfsinnigen Psychodrogen-Konsums. Die Bewußtseinserweiterung kann nicht stattfinden, solange die nötigen Denkschlüssel nicht für jeden offen bereit liegen, solange der geistige Überbau nicht geschaf­ fen ist. Erst dann, wenn die Konsumenten den Trip nicht mehr als Action-Macher, als beliebig benutztes Mittel gegen die tiefeingefressene Langeweile mißbrauchen (etwa: um zwei bis drei Tage Pop-Festival zu überstehen oder einer lahmen Party mehr Kick abzugewinnen), sondern über seine eigentliche Bestimmung wissen und ihr gerecht werden, erst dann wird das möglich sein, was Ronald Steckel 1969 als hoffnungsfreudige Selbstver­ ständlichkeit niederschrieb: »Die Wirkungen der psychedeli­ schen Drogen machen sie in dieser Gesellschaft zu subversiven Kampfstoffen. Die Bewußtseinserweiterung trifft das System an seiner empfindlichsten Stelle: die konditionierte Bewußtlo­ sigkeit der Gesellschaft, das falsche Bewußtsein, das durch ma­ 190

nipulierte Informationen den Menschen zu Verhaltensweisen verleitet, die seinen eigenen Interessen entgegengesetzt sind, die Fixierungen der psychischen Struktur und die systemkon­ forme Präformation der Denk- und Verhaltensmuster - diese Grundpfeiler der kapitalistischen Überbauorganisation zer­ bröckeln unter der Wirkung der psychedelischen Chemikalien. Die Intensivierung der sinnlichen Wahrnehmung, die Erfah­ rung neuer Bewußtseinsebenen, das ekstatische und mystische Erleben, der freigesetzte Energiefluß des entkonditionierten Nervensystems sprengen die starren Normen und Dogmen der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit. Die psyche­ delischen Drogen zerstören die Illusion, daß die sozial akzep­ tierte Identität die eigentliche Identität ist, daß die >überholten und stupiden Dogmen und Verhaltensnormen, denen die eta­ blierten kulturellen Gruppen der zivilisierten Welt anhängen< (Verhaltensforscher Konrad Lorenz) Naturgesetze sind und daß die gegebene Wirklichkeit der mechanischen Raum-Zeit die wirkliche Wirklichkeit ist.«72 In unserer dualistisch angeordneten Welt ist das Positive ebenso allgegenwärtige Möglichkeit wie das Negative, das ex­ trem Positive ebenso wie das extrem Negative, die vollkom­ mene Zerstörung ebenso wie die vollkommene Erlösung. Be­ trachten wir diese unsere Welt, wie sie sich aktuell darstellt, so fällt auf, daß der Trend zur Zerstörung bei weitem machtvoller ist als der Trend zur Erlösung. Man könnte die Frage stellen: Siegt die psychotische oder die psychedelische Energie des menschlichen Bewußtseins? In seinem Buch Projekt Prometheus73 versucht der amerikani­ sche Physiker Gerald Feinberg, den Weg zu einer sinnvollen langfristigen Zukunftsplanung aufzuzeigen. Er steht auf dem Standpunkt, daß es im ganzen Universum »nichts gibt, von dem wir mit Sicherheit annehmen können, daß es sich um unser Wohlergehen kümmert, außer unserer eigenen Vernunft. Es gibt keine Götter, die liebevoll über uns wachen, keinen großen Plan, der uns von irgendwoher gegeben wurde und keinen au­ tomatischen Fortschritt zu einem bestimmten Ziel durch die 191

Evolution. In dieser unserer Welt kann nur der Mensch und muß der Mensch über sein Schicksal wachen«. Feinberg geht immerhin so weit, eine Bewußtseinserweiterung durch Psychodrogen nicht auszuschließen. Allerdings scheint er sich nur oberflächlich mit dieser Möglichkeit beschäftigt zu ha­ ben, denn sein Bild dieses durch Halluzinogene erweiterten Bewußtseins ist äußerst unscharf, teilweise sogar eindeutig ver­ zerrt. »Ich glaube zwar, daß eine Untersuchung der mystischen und mit Drogen gemachten Erfahrungen einen wertvollen Schritt auf die endgültige Bewußtseinserweiterung hin bedeutet, je­ doch wäre mit dem Ziel unvereinbar, daß sich das ganze Men­ schengeschlecht mystischen oder Drogenerfahrungen hingibt. Man kann sich kaum vorstellen, wie wir über den ersten Schritt hinauskämen, wenn dem so wäre, denn es deutet nichts darauf hin, daß Mystiker oder Drogenkonsumenten sich für irgend et­ was interessieren, das über ihre augenblickliche Erfahrung hin­ ausgeht.« Der Physiker hat sich wohl kaum mit den Gedankengängen be­ schäftigt, die Huxley, Leary und andere Befürworter der psy­ chedelischen Erfahrung einer notwendigen Veränderung unse­ rer geistigen Welt und unserer sozialen und politischen Systeme gewidmet haben. Er glaubt an die Allmacht des Verstandes und bleibt damit in der typischen westlichen Einseitigkeit hängen, die so wenig dazu geeignet ist, den harmonischen Ausgleich in der Weltordnung zu erkennen und ihm gerecht zu werden. Um jedes Mißverständnis - vor allem, was das politische und soziale Engagement betrifft - auszuschließen, möchte ich ver­ suchen, den »Steckbrief« eines typischen Trägers psychedeli­ schen Wissens zu umreißen: - Er (sie) sieht in jedem menschlichen Wesen wie in sich selbst ein Gefäß des absoluten Bewußtseins, gleichgültig, wie ver­ schüttet der Zugang dazu sein mag. - Er (sie) wird sich-ohne missionarischen Anspruch! - darum bemühen, jedem menschlichen Wesen seiner persönlichen Umgebung nahezubringen, daß es die Möglichkeit besitzt, zu 192

diesem Bewußtsein vorzudringen und die höchsten Möglich­ keiten des Glücks zu verwirklichen. - Er (sie) weiß, daß die eigene positive innere Haltung eine große Kraft besitzt und auf die Umgebung ausstrahlt, ebenso wie die negative. - Er (sie) erfährt sich selbst als zoon politicon und weiß, daß sein (ihr) Glück nicht vollständig sein kann, solange er (sie) sich nicht um das Glück der anderen bemüht. - Er (sie) wird soziale und politische Aktivität sinnvollerweise nur innerhalb des Rahmens echter persönlicher Möglichkeiten verwirklichen wollen und weiß, daß jegliche Macht nicht er­ höht, sondern erniedrigt. - Er (sie) bemüht sich nach bestem Wissen und Gewissen um das Beibehalten der rechten Relation seines (ihres) Egos zu sei­ nem (ihrem) kollektiven Ich, weil er (sie) weiß, daß dies kein dogmatischer moralischer Anspruch ist, sondern der einzige Weg zum eigenen Glück. - Er (sie) weiß, daß diese Vorstellungen nicht ohne Mühe zu verwirklichen sind, sieht aber darin nichts Negatives, sondern erfährt euphorische Freude in seiner (ihrer) Bemühung. »Wir, gottliebende, friedliebende, lebensliebende, spaßlie­ bende Männer und Frauen, die wir den Obersten Richter des Universums als Zeugen für die Redlichkeit unserer Absichten aufrufen, geben daher bekannt und erklären im Namen und kraft aller fühlenden Wesen, die sich sanft auf diesem Planeten entwickeln wollen, daß wir frei und unabhängig sind und daß wir losgesprochen sind von jeder Untertanentreue gegenüber allen Regierungen, die von Männern in den Wechseljahren be­ herrscht werden, und daß wir, die wir uns zu Stämmen Gleich­ denkender finden, die volle Befugnis beanspruchen, zu leben und uns auf dem Land zu bewegen, uns mit unseren eigenen Händen und Köpfen in dem Stil zu erhalten, der uns geheiligt und heilig erscheint, und alle Handlungen und Dinge zu tun, die unabhängige freie Männer und freie Frauen von Rechts wegen tun können, ohne die gleichen Rechte anderer Spezies und Gruppen zu beeinträchtigen, ihre eigenen Dinge zu tun.« 193

Erklärung des Psychologen und Philosophen Timothy Leary, der nach geltendem amerikanischem Recht ein Krimineller ist.

Anhang

Kleine Anleitung zum Gebrauch von halluzinogenen Drogen Unbedingte Voraussetzung für einen Trip ist Zeit - wenn ir­ gend möglich drei Tage! Der erste Tag soll der Vorbereitung gewidmet sein, der Be­ schäftigung mit dem Gedanken an die bevorstehende Reise, entsprechender Lektüre und — wenn möglich - Übungen der Meditation. Als hervorragender Tripführer ist das kleine Buch Psychedelische Erfahrungen von Leary, Metzner und Alpert zu empfehlen. Der zweite Tag (bzw. Nacht) ist für den Trip vorgesehen. Orga­ nisiere diesen Tag (Nacht) so, daß keine Störung (Telefon, Be­ such, bestimmte Verpflichtungen) zu erwarten ist. Versuche, dich schon am Tag der Vorbereitung so weit auf den Trip einzu­ stimmen, daß die Wirkung der Droge sanft und übergangslos eintreten kann. Ist es nicht warm und sonnig, so verzichte lieber auf Wald oder Park (ein Gewitter etwa kann verheerende Re­ aktionen auslösen); die weitaus beste Gewähr für eine unge­ störte Reise nach innen bietet die vertraute Umgebung der ei­ genen Behausung oder der eines guten Freundes. Unternehme als Anfänger (zu den Anfängern sollten sich auch jene zählen, die schon öfter oder viele Male Halluzinogene genommen ha­ ben, ohne die inneren und äußeren Voraussetzungen zu beach­ ten und somit ohne die psychedelische Erfahrung zu kennen) keinesfalls einen Trip ohne einen befreundeten Führer mit psy­ chedelischer Erfahrung. Ist ein solcher nicht aufzutreiben, so sollte wenigstens ein guter Vertrauter von ruhiger Wesensart und im Besitz ausreichender Informationen über halluzinogene Drogen anwesend sein. Mehr Mitreisende als eine bis zwei Personen erschweren die psychedelische Erfahrung. 197

Denke daran, daß du eine bewußtseinserweiternde Droge nimmst. Mache Gebrauch von den Möglichkeiten, die sie‘dir bietet - und die nur sie dir bieten kann. Mit dem gewohnten Wachbewußtsein kannst du fernsehen, tanzen, in ein Kino oder Pop-Konzert gehen. Die Droge dagegen öffnet dir den sonst verschlossenen Weg nach innen. Verpasse ihn nicht. Verzichte während des Trips so weitgehend wie möglich auf verbale Kommunikation. Gerade sie ist die ungeeignetste Kommunikationsform auf den Bewußtseinsebenen, die du be­ schreitest. Konzentriere dich auf deine innere Befreiung von der Gebun­ denheit an die gewohnten Dimensionen, an psychologische Mechanismen, an »Ich-Spiele«. Ein Trip mit einem geliebten Partner kann ein guter Einstieg sein in die transzendentale Erfahrung der kosmischen Einheit und des seligen Auflösens des Ego-Bewußtseins. Bereite die geeignete Musik rechtzeitig vor. Harter Rock und Beat wie jegliche andere Art kommerzieller Musik sind beson­ ders abträglich, spezifische Meditationsmusik ist am geeignet­ sten. Der Drang zu essen ist als psychologisches Ablenkungsmanö­ ver zu betrachten. Es ist ratsam, ihm zumindest während der Stunden des Höhepunkts nicht nachzugeben.

Nach dem Höhepunkt, so er psychedelische Erfahrungen brachte, können sich mit dem Abnehmen der psychischen Energie Frustrationsgefühle einstellen. Sie sind überwindbar, indem du dich darauf konzentrierst, deiner natürlichen Er­ schöpfung freien Lauf zu lassen und in Schlaf zu fallen. Ist das Ende des Trips allerdings von einer gewissen »Überdrehtheit« 198

gekennzeichnet, so empfiehlt sich ein wenig Valium zur Dämp­ fung der psychischen Überaktivität. Der dritte Tag sollte ebenfalls möglichst störungsfrei verlaufen. Deine Psyche braucht ihn dringend, um das überwältigende Maß an Erfahrungen zu sortieren und sich wieder auf den Zu­ stand deines normalen Wachbewußtseins einzustellen. Es ist gut, an diesem Tag die erlebten Zustände aufzuschreiben; Ge­ spräche mit Trippartnern sind ebenfalls eine gute Hilfe. Generell gilt, daß die Abstände zwischen den Trips nicht allzu kurz sein sollten (ich empfehle, drei bis vier Wochen minde­ stens zu warten). Allerdings ergeben sich bei einigermaßen tiefgreifenden Erlebnissen diese Abstände von selbst. Erst nach geraumer Zeit wird sich dann die intuitive Bereitschaft zur nächsten Reise einstellen. Mache es dir zur Regel, Halluzinogene niemals außerhalb des beschriebenen rituellen Rahmens zu gebrauchen. Der profane Gebrauch nivelliert die Erfahrung und stumpft die Erlebnisfä­ higkeit radikal ab. Leider sind die Angebote von Halluzinogenen auf dem Schwarzmarkt weder nach Substanz noch nach Dosierung ge­ normt. Es können Amphetamine in angeblich puren Substan­ zen enthalten sein, manchmal handelt es sich gar um Opiate oder Cocain-Verbindungen. Ist der Stoff rein, so kann es sich trotzdem um 70,150 oder 400 Mikrogramm handeln - du weißt es nicht. Darum kaufe mög­ lichst nie von dir unbekannten Händlern, sondern von vertrau­ enswürdigen Personen, die den Stoff vielleicht selbst schon probiert haben. Die Panscherei auf dem Schwarzmarkt ist zweifellos das krimi­ nellste und pathologischste Element der ganzen Drogenszene. Doch ist vorerst nicht damit zu rechnen, daß jene »Männer in 199

den Wechseljahren«, von deren Gutdünken die Entscheidung über den legalen Gebrauch der psychedelischen Drogen ab­ hängt, ihrer Verantwortung ernstlich gerecht werden. Nach Masters/Houston müßte zwar »jedes Urteil über LSD im Hin­ blick auf dessen Nutzen und in Relation zu dem gefällt werden, was wir bei anderen, täglich benutzten Medikamenten als ver­ tretbar akzeptieren«. Aber an der Kraft logischer Argumente ist bekanntlich zu zweifeln. Beachte die genannten Regeln aufs genaueste. Nicht von unge­ fähr haben alle Kulturen, die Halluzinogene gebrauchten, diese nur eingeweihten Kreisen und unter der Voraussetzung der Einhaltung des rituellen Ablaufs zugänglich gemacht. Sie wuß­ ten um die positive Potenz der Droge - aber auch um ihre ba­ nale oder gar negative Wirkung bei unkundigem Gebrauch. Bedenke stets, daß ein Trip kein Sonntagnachmittagsvergnü­ gen und auch kein Psycho-Spiel ist, sondern eine bedeutungs­ volle Zäsur in deinem Lebensablauf. Wer eine Reise nach Afrika unternommen hat, wird nach seiner Rückkehr sein Heim, seine Umgebung, seine Lebensumstände aus der distan­ zierten Sicht des Weitgereisten neu erfahren. Viel mehr noch gilt dies für die Rückkehr von den »Antipoden der Seele«.

Authentisches Auszug aus einem Tonband-Protokoll eines LSD- Trips, an dem drei Personen, eine Frau (Anna) und zwei Männer (Bernd und Claus) teilnahmen. Die drei Tripteilnehmer haben den Höhepunkt des Trips, den sie größtenteils schweigend verbrachten, überschritten und ma­ chen sich daran, ein gebratenes Hühnchen zu verzehren. Anna: Ich hab noch nie Hühnchen gegessen im Trip. Claus: Ja, das ist komisch, ich weiß. Bernd: Die Esserei ist immer komisch, nicht?... Ich hab es nie 200

nachvollzogen... Ich hab zweimal essen müssen, offiziell, weißt du. Weißt’, das war - wann war das? Anna: Im Trip? Bernd: Hab ich dir mal erzählt von dem Trip... wo ich auf dem Berg war und dann bei (X) noch zu tun hatte und dann... äh... irgendwann bin ich dann im Zug, dann hab ich mich gefunden - als wir über Carl Orff geredet hatten... ich habs dir erzählt, glaub ich. Anna: (lacht) Mit Orff hatte das aber nichts zu tun. Bernd: Das hast du dann glaub ich gestern auch erzählt. Anna: (lacht sehr) Bernd: Nein, das hab ich nicht gestern erzählt, das hab ich je­ mand anders erzählt, früher... Anna und Claus lachen. Bernd: Ha, die Ordnung! Claus: Keine Angst (lacht). Bernd: Nein nein. Ich sag nur. Manchmal kann man so bequem sein, daß man diese Ordnung läßt.

(...) Anna: Das erleb ich in jedem Trip wieder, den Zustand, wo du weißt, daß du jetzt nicht mehr reden kannst, du schaffst es nicht mehr, mitzuteilen. Bernd: Da mußt du das Bedürfnis abbauen. Claus: (lacht) Mystisches Schweigen! Anna: Das Bedürfnis fällt sowieso in sich zusammen, indem du - ja, indem du... das ist schwer zu sagen... Du kannst es nur noch als Ei erleben. Bernd: Deine Sache! Anna: Na ja, ich find das ja auch schön... Ich meine, das ist so - als Möglichkeit... Claus geht nun aus dem Zimmer und kommt dann wieder herein. Claus: Ich hab mir das Huhn von den Fingern gewischt. Alle lachen laut Bernd: Hast du es umgebracht? Du kommst immer rein, als hättest du gerade was gemetzgert. 201

Alle lachen Anna: Wie er wieder projiziert! Dein eigener Metzger ist auf allem drauf, wie der Kuckuck beim... Bernd: Wie heißt es: Die allergrößten Kälber wählen ihren Metzger selber. Pause Bernd: Heute kann man die »Welt am Sonntag« kaufen. Anna: (krümmt sich vor Lachen) Das ist das Allerhöchste! Bernd: Weils Sonntag ist! Anna: Ausgerechnet die Welt - Sonntag - kaufen! Diese An­ maßung seitens einer Zeitung, sich »Welt« zu nennen. (...) Bernd ißt betont geräuschvoll Anna: (lacht) Der schmatzt und schlabbert, da kann sich ja kein Mensch konzentrieren, das ist ja wahnsinnig. Bernd: Entschuldige mal, wenn du dich durch sowas aus deinem Trip drausbringen läßt, dann mußt du dich selbst mal damit be­ schäftigen erst. Anna: Oh, du bist aggressiv, hui. Claus: Das ist der... Ich sag ja, es gibt Sachen ..! Anna: (lacht) Wie kann man nur so aggressiv sein... Mit Stei­ nen werfen und im Glashaus sitzen... Später. Bernd hält eine Kerze in der Hand. Der Raum ist im übrigen dunkel. Bernd: Kerze als Materie Kerze. Anna: (begeistert) Ja, ich weiß. Claus: Wenn sie ganz langsam... wenn sie fast steht... die Flamme ... ganz sachtsame Bewegungen macht... Bernd: Ich halt sie, weißt du. Sie soll keine Bewegung mehr ma­ chen, weil ich sie halte... Aber weißt du, was das Problem ist? Sie schmilzt! Claus: Das Licht brennt jetzt in deiner Seele. Anna: Ja, das ist schön... So ein kleiner Jonas im Bauch des Fisches... Claus: Ja, das ist es... Kennst du den Spruch von Goethe: Wes­ 202

sen Aug nicht sonnenhaft ist, kann die Sonne nie erblicken. Das gefällt mir so... Bernd hält die Kerze. Anna: Du quetschst die ja unheimlich zusammen, die Kerze. Bernd: Ich quetsch überhaupt nicht! Ich drück die überhaupt nicht, das stellst du dir vor. Hast du Projektionen wieder - ich hab da keinen Pfahl im Leib oder so, der da drückt... Anna lacht Bernd: Aber irgendwie denk ich, sie geht mir gleich verloren, weißt...

Bericht eines Acid-Head1 Damals als mir ein Freund den ersten Trip gab, war hier in Deutschland von einem »Drogenproblem« noch nicht viel zu hören. Es war noch nicht »in«, und ich hatte eigentlich auch nicht viel Ahnung von Trips, nur was ich so von der Scene in New York und San Francisco gehört hatte. Ich war nur unheim­ lich neugierig auf die Veränderungen, der Farben und so... Mein erster Trip war eine volle Ladung. Ich hatte nur wenig Angst; diese ganzen Terrorberichte in der Presse gab’s damals ja noch nicht, und ich hatte wirklich mehr Gutes als Schlechtes über Trips gehört. Aber wie gesagt, viel Ahnung hatte ich nicht. Also, der erste Trip verlief ganz gut. Ich war irrsinnig fasziniert von dem, was um mich herum los war, wie Gegenstände leben­ dig wurden, all diese Bewegung. Ich glaube, weil ich so total be­ reit war aufzunehmen, kam die Angst kaum durch. Manchmal war sie da, aber irgendwie vor der Tür, und ich konnte die Tür zuhalten und die Angst nicht reinlassen... Ich hatte damals ein paar neue Platten, die ich unheimlich intensiv hörte. Ich ent­ wickelte im Trip bestimmte Vorlieben, je nachdem, ob mir eine Platte »half« oder mich irgendwie bedrängte. So harte PowerMusik konnte ich nicht vertragen, sanfte, ruhige war besser. Manchmal hatte ich das Gefühl, daß einfach zu viel los sei in meinem Kopf und daß ich es nicht mehr aushalten könnte. Aber 203

wenn ich mich dann hinlegte und einfach hinter den Tönen herging, war’s wieder zu ertragen. Ich hatte keine Sorge, daß der Trip vielleicht nicht aufhören könnte - ich glaube, ich hatte ziemlich großes Vertrauen zur Chemie und zu meiner eigenen Standfestigkeit. Mit Schlafen war natürlich nichts danach, ich dachte und dachte und dachte, meine ganze Lebenssituation ging haarklein durch die Mühle. Ein paar Tage lang war ich völlig groggy. Aber nicht negativ, einfach völlig erschöpft von einer irrsinnigen Anstren­ gung. Ich ließ dann einige Zeit vergehen bis zum nächsten Trip. Ich hab nie oft hintereinander Trips genommen. Obwohl mir’s nie­ mand gesagt hatte, war ich mir darüber im klaren, daß Trips kein Spielzeug sind, daß das mit einem Rausch ä Ia Besäufnis überhaupt nichts zu tun hat. Was ich eigentlich erreichen wollte, wußte ich wahrscheinlich nicht so genau. Aber nach dem ersten Trip hatte ich das Gefühl, daß ich bei mir selbst ein bißchen Durchblick erreicht hatte, und das tat mir ganz gut, und darum wollte ich weitermachen. Die nächsten Trips waren schon un­ gemütlicher. Da dachte ich manchmal, jetzt bist du ganz nah am Kippen, halt dich fest, wer weiß, wohin du kippst... Ich emp­ fand es wie ein Balancieren auf einem schmalen Grat zwischen Begeisterung und Grauen. Und einmal kam ich total auf den Horror. Das muß eine für meine Verhältnisse supergeladene Dosis gewesen sein. Ist ja wirklich Scheiße, daß man bei dem Schwarzmarktzeug nie weiß, was drin ist. Also, ich fühlte die Welt untergehen! Nichts hatte mehr Zusammenhang. Während ich in fürchterlicher Katatonie dasaß, hatte ich das Gefühl, in­ nerlich wahnsinnig zu schreien, mich in Schreien aufzulösen, bis auch das Schreien erstarrte und mich innerlich abwürgte. Ich konnte mich nicht mehr bewegen, nichts mehr sagen, nichts mehr... Dazu kam, daß ich den Trip mit jemandem machte, zu dem ich eine gespannte Beziehung hatte. Ich dachte, das würde sich im Trip klären, aber ich war nur einfach total verlassen und ausgeliefert. Es gab keine Hoffnung mehr, ich dachte nur noch: was hast du schon zu verlieren... Steh es durch, wenn möglich, 204

und wenn nicht... Es war die Hölle. Einmal, bei einem schwe­ ren Autounfall, hatte ich auch solche Todesangst. Nur war es im Trip noch schlimmer, weil es da nicht ein paar Sekunden dauerte, sondern absolut zeitlos war. Wenn ich mir die Hölle, so wie sie von den Katholiken wahrscheinlich verstanden wird, vorstellen soll, dann als diese unendliche Angst. Ich kam also mit Ach und Krach durch und hatte dann lange nicht mehr den Mut, es nochmal zu versuchen. Vor diesem Höllentrip ist es mir irgendwie immer gelungen, um den Ab­ grund herumzukommen. Ich bin Auto gefahren im Trip, ich war auf Pop-Festivals, im Wald, nachts auf der Straße, auf Partys, ich hab den ganzen Quatsch mit Trips gemacht, weil ich’s nicht besser wußte. Vor allem wußte ich nicht, daß ich mich dabei ständig nur ablenkte vom eigentlichen Trip, und als ich mich dann mal nicht ablenken konnte, kam ich wie gesagt auf den Horror. Ich fing dann an, mir Bücher zu besorgen, Huxley, Leary und so, und machte mir ziemlich viele Gedanken darüber. Dann kam ich langsam dahinter, warum das ein Horror war. Ich glaube, man nennt das Angst vor dem Egoverlust. Das leuch­ tete mir ein, und ich versuchte mich irgendwie innerlich umzu­ orientieren. Mir war klar, daß ich etwas falsch gemacht hatte, aber wie ich es richtig machen sollte, wußte ich noch nicht so genau. Ich suchte also weiter nach Büchern, die meinem festge­ fahrenen Kopf einen Weg zeigen sollten. Das war dann auch die Zeit, als die Scene, in Amerika und langsam auch hier, einen kaputten Touch bekam und ein paar vernünftige Freaks einsa­ hen, daß wir mit unserem acid auf dem falschen Dampfer saßen. Hätte ich zum Beispiel Huxley von Anfang an ein bißchen ge­ nauer gelesen, hätte ich nicht auf den indischen Trip warten müssen. Naja, es ging auch so. Ich lernte Typen kennen, die das Tibetanische Totenbuch lasen und die Bhagavat Gita und Watt’s Zen-Buddhismus, und die Amerikaner begannen da ge­ rade Gurdieff und Ouspensky wieder auszugraben. Ich also voll auf den Zen-Trip-immer noch ohne acid. Das war die absolute Denkbombe. Gekifft hab ich natürlich schon in dieser Zeit, so 205

ganz stocknüchtern hätt ich das sonst nicht geschafft. Ich hab mich manchmal so leicht angetörnt und dann bestimmte Sätze und Passagen wiedergelesen, mich dann hingelegt und drüber nachgedacht. Mit der Zeit machte ich mir dann auch Gedanken über Meditationsmethoden, über die ich gelesen hatte. Früher war ich immer gegen das ganze Zeug gewesen, ich dachte, du bist doch nicht blöd und setzt dich hin und starrst deinen Nabel an, was hast du davon... Ich hatte »Konzentrationsübungen« halt so verstanden wie Hausaufgabenmachen oder so. Aber jetzt begann ich, diese Sa­ chen besser zu verstehen. Der Gedanke, daß all die äußeren Schwierigkeiten nur von meinem Festhalten an dem äußeren Kram herkamen, faszinierte mich. Ich hatte die Chance, alles anders zu sehen, von weiter weg, einfach als Zusammenhänge, und mein Ich als Maschine, die das Spiel mitspielt wie verrückt. Also fing ich an, mich manchmal vom Spiel zurückzuziehen, mich selber loszulassen. Das ist ungeheuer schwierig, dich sel­ ber loszulassen. Du mußt dir dauernd vorsagen, daß es über­ haupt möglich ist, denn du nimmst dir das selbst ja nicht so ohne weiteres ab. Ich hab mir dann eine Menge Gedanken gemacht über unsere Art zu leben und zu denken und über andere Kulturen. Plötz­ lich sah ich ungeheuere Möglichkeiten, fast zu viele, ich wurde ganz verwirrt von der Vorstellung, daß ich mein Leben lang im Käfig gesessen hatte und die Tür nun auf einmal offen war. Also, ich kam mir vor, als säße ich in der Tür, und die Freiheit davor war so groß, daß sie micherschreckte. Da bekam ich end­ lich wieder Lust auf einen Trip. Ich dachte, jetzt kann ich mich vielleicht wenigstens ein bißchen loslassen, und mit diesem Wissen brauchte ich keine Angst mehr zu haben. Allerdings traute ich mich noch nicht, den Trip ganz allein zu machen. Ich bereitete mich also richtig schön vor, ich steuerte innerlich auf den Zeitpunkt zu, wo ich den Trip nehmen wollte. In der Nacht davor träumte ich sogar davon. Ich beschäftige mich so intensiv damit, daß ich schon halb auf dem Trip war, als ich ihn schluckte. Ich war unheimlich unruhig und gespannt. Aber 206

kaum war ich richtig drin, wußte ich, daß nicht mehr viel schief­ gehen konnte. Wie soll ich sagen - ich lag innerlich richtig, ich sah den Weg... Der Drang, mich in mich selbst hineinfallen zu lassen, war zum erstenmal ganz stark da. Ich konzentrierte mich ganz auf dieses Fallen. Von meinen Meditationsversuchen her hatte ich ja ein bißchen Übung im Steuern. Ich schloß die Augen und tauchte in mein Bewußtsein hinab. Diese ganzen Geschichten mit den Inhalten des Unterbewußtseins, den Ar­ chetypen und so, die hatte ich irgendwie längst hinter mir gelas­ sen. Früher haben sich schon mal so Symbole aufgedrängt, so ähnlich wie Alpträume, nur näher da. Aber diesmal empfand ich mein Unterbewußtsein nur als Dunkel, durch das von fern Licht schimmerte. Ich wollte zu diesem Licht, ich wollte mit ei­ ner ungeheuren Kraft, und ich kam ihm näher und näher, es war wie eine explodierende Sonne, nur eine Explosion, die in voll­ kommener, ewiger Ruhe verlief... Es war Licht und Wärme, ich war Licht und Wärme, ich war zugleich das, was ich sah... Naja, erklären kann man das nicht, es ist zu ungeheuer. Als ich danach dann altdeutsche Mystiker las, hatte ich das Gefühl, sie total zu verstehen, oder sagen wir mal, sie jedenfalls soweit zu verstehen, wie man das überhaupt verstehen kann. Das war meine Offenbarung. Sie hat sich allerdings nicht wie­ derholt, bis jetzt wenigstens nicht. Aber über die Angst bin ich wohl weg. Das war mir nach diesem Trip noch nicht so hundert­ prozentig klar. Ich finde, man darf auch ruhig skeptisch sein, wenn es immerhin um das Wichtigste geht. Und was Wichtige­ res als meine Seele und meinen Geist kann es für mich ja nicht geben! Ich hab also das, was mir dieser ungeheuere mystische Trip ge­ geben hat, auszubauen versucht. Komischerweise wurde alles, aber auch gar alles - Geschichte, Biologie, Philosophie, Kunst, einfach alles, was es gibt - wahnsinnig interessant für mich. Ob­ wohl ich es irgendwie immer mehr von weiter weg sah... Ich konnte plötzlich alles, was Menschen jemals gemacht und ge­ dacht haben, als selbstverständlich und notwendig sehen. Ich glaube, Langeweile war nie ein Problem für mich. Aber jetzt 207

wird die Welt immer voller und vielfältiger. Als dann die Situa­ tion wieder mal günstig war, nahm ich eine ziemlich hohe Dosis acid. Ich glaube, man soll immer warten, bis ein Zeitpunkt kommt, wo man ganz genau weiß, daß man jetzt bereit ist für den Trip. Man muß ihn dann wirklich wollen. Ich wollte ihn sehr stark und wußte dann schon in der ersten halben Stunde, daß er unheimlich gut würde. Ich hatte so viel seelische Kraft, wie ich nur wollte. Der Trip beherrschte mich nicht, aber ich be­ herrschte auch den Trip nicht. Der Trip und mein Ich gaben sich sozusagen die Hand, was sag ich, sie verschmolzen miteinander, sie erreichten den absoluten Orgasmus. Dagegen ist ein sexuel­ ler Orgasmus eine kleine Fehlzündung, gegen diese ungeheuere Explosion... Ich glaube, daß meine Trips von jetzt an immer schöner werden. Nicht nur meine Trips natürlich. Sie sind nur Schübe in meinem Lebenstrip. Was zwischen ihnen mit mir geschieht, ist genauso wichtig wie die Trips selbst. Daß die Angst nicht mehr so groß werden kann, gilt auch für mein nüchternes Leben. Ich seh mich anders, ich nehme mein Ego nicht mehr so wichtig. Das heißt natürlich nicht, daß ich weniger intensiv lebe, so Rückzug und Askese und so. Im Gegenteil. Weil ich freier bin von Angst und Belastung und innerem Zwang, erlebe ich viel mehr. Und es wird immer noch mehr und noch mehr. Ich seh auch die anderen anders. Ich empfinde viel mehr Ver­ ständnisbereitschaft in mir als früher. Ich seh die anderen im Gefängnis ihrer Dressur. Was sie Böses tun, tun sie sich selbst an, nicht mir. Ich fühle mich frei genug, um sie zu lieben. Okay, ich bin ein acid-head. Vielleicht bin ich damit für manche Leute ein Verrückter. Aber wenn Verrücktsein so glücklich macht, dann bin ich gern verrückt!

Lächelnd sterben2 »In einer amerikanischen Universitätsklinik starb vor einiger Zeit ein zwanzigjähriges Mädchen an Krebs. Es ahnte schon 208

Wochen vorher die Diagnose und wurde aus Furcht vor dem immer näher kommenden Todeskampf von Krampf- und Zit­ teranfällen geschüttelt. Eines Tages forderte das Mädchen statt der üblichen Medikamente eine starke Dosis LSD 25; aus­ nahmsweise stimmte das Ärztegremium zu. Im Beisein eines Psychotherapeuten kam es durch die Droge nach zwei Stunden zu einem furchtbaren inneren Todesdurchgang. In den als volle Wirklichkeit erlebten Imaginationen wurde die Patientin, die sich immer wieder freiwillig »nach unten« fallen ließ und diesen unbewußten Vorstellungen hingab, gefoltert und hingerichtet, von Piranhas am Meeresgrund zerfleischt und skelettiert. Danach trat ein Zustand ruhiger Ekstase ein, die Todesangst war einer fast abgeklärten Erwartung gewichen. Die Patientin las in den wenigen noch verbleibenden Wochen Schriften über christliche und tibetanische Mystik. Etwas ver­ schämt wird weiter berichtet, daß sie lächelnd und gelassen starb.«

Tod eines Yogi3 Am 7. März 1952 trat Paramhansa Yogananda in den mahasamadhi ein (eines Yogi endgültiger und bewußter Austritt aus seinem Körper). Harry T. Rowe, Direktor des Friedhofs von Forest Lawn Memorial-Park, sandte ein notariell beglaubigtes Schreiben an die Self-Realization Fellowship, dem hier fol­ gende Auszüge entnommen sind: »Das Ausbleiben jeglicher Verfallserscheinungen am Leichnam Paramhansa Yoganandas stellt den außergewöhnlichsten Fall unserer Erfahrung dar... Selbst zwanzig Tage nach seinem Tode war kein Zeichen einer körperlichen Auflösung festzustellen... Dieser Zustand voll­ kommener Erhaltung eines Körpers ist, soweit wir aus Fried­ hofsannalen wissen, einzigartig... Kein Verwesungsgeruch konnte während der ganzen Zeit an seinem Körper wahrge­ nommen werden. 209

Eine Privatschule schickte den Eltern der Schüler folgende Auf­ forderung, dem »Rauschgiftproblem« zu Leibe zu rücken: 1. Bitte berichten Sie Mr. (X) über alle Gerüchte und Um­ stände, unter denen Sie davon Kenntnis erhielten. 2. Kommt das Gerücht von Ihren Kindern, so erscheinen Sie bitte nicht allzu interessiert, aber gehen Sie der Geschichte auf den Grund und berichten Sie wiederum Mr. (X). 3. Halten Sie sich über Drogen informiert, mit denen Ihre Kin­ der in Berührung kommen können. Weihrauch kann den Ge­ ruch von Haschisch überdecken. Falls Ihre Kinder zu Hause rauchen dürfen, achten Sie bitte darauf, ob an den Zigaretten herumgebastelt wird; auch der Geruch nach Leim kann ver­ dächtig sein. 4. Achten Sie bitte darauf, wo Ihre Kinder verkehren. Gehen Ihre Kinder mit Freunden aus, halten Sie bitte Kontakt mit den betreffenden Eltern. Beachten Sie das Betragen bei Rückkehr nach Hause, z. B. ungewöhnliche Unaufmerksamkeit, Mattig­ keit oder auch Albernheit. 5. Flaschen und kleine Pakete mit unbekanntem Inhalt sollten beachtet werden. Die Schule erbietet sich, deren Inhalt unter Einhaltung strengster Vertraulichkeit untersuchen zu lassen.

Rauschgiftdelikte Land

1969

1970

Baden-Württemberg

404

1718

Bayern

770

2725

Berlin

520

858

Bremen

36

298

Hamburg

612

1878

Hessen

801

1904

Niedersachsen

277

1198

1019

4208

194

767

Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Schleswig- Holstein Bundesgebiet

14

128

114

422

4761

16104 21. 7. 1971

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Anmerkungen Geschichte und Chemie der Halluzinogene 1 Makhzan el-Adwiya, indisches medizinisches Handbuch. 2 Rudolf Gelpke, Drogen und Seelenerweiterung, Kindler Verlag, München, 1969; siehe auch Kapitel: »Kunst und Bewußtseinserweiterung« 3 eine nachweislich falsche Behauptung 4 Hildebert Wagner, Rauschgift-Drogen. Springer Verlag, Berlin 1970 5 herausgegeben von der »Drogenkommission der Landeshauptstadt Mün­ chen«, 1971 6 In: Gelpke, a. a. O. 7 Diese drei Berichte liegen in deutscher Übersetzung im Haschisch-Report von Rudolf Walter Leonhardt, Piper Verlag, München, 1970 vor 8 überhöhter Blutzucker 9 Vom Haschisch zum LSD. Insel Verlag, Frankfurt, 1969 10 Magische Gifte. Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart, 1938 11 Aus: Josef Schurz, Vom Bilsenkraut zum LSD. Franckhsche Verlagshand­ lung, Stuttgart, 1969 12 Siehe Britischer Cannabis-Report 1968 13 Siehe D. E. Smith, Acute and Chronic Toxicity of Marihuana. 1968 14 Die ausführlichsten Berichte verfaßte der spanische Franziskanermönch Bernardino de Sahagun um 1530 bis 1590 15 Diego Hernandez Topete, 1924, aus: Hans Leuenberger, Zauberdrogen. Goverts Verlag, Stuttgart, 1969 16 »The Peyote Religion«, in: Brau, a. a. O. 17 Aus: John Cashman, LSD. Ullstein Verlag, Frankfurt, 1970 18 Gemeint ist die Leistungsbemessung 19 Bulletin der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften, a. a. O. 20 Wagner, a. a. O. 21 Ronald Steckel, Bewußtseinserweiternde Drogen. Voltaire Verlag, Berlin, 1970

LSD in der Psychiatrie 1 Michel Foucault, Psychologie und Geisteskrankheit, (edition Suhrkamp 272) Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1968 2 Oxidationsprodukt des Adrenalins 3 pathologisches Schweigen 4 Zornausbruch, Anfall von Raserei 5 »Lust am Kot« 6 Wagner, a. a. O. 7 Foucault, a. a. O. 8 Foucault, a. a. O.

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9 Foucault, A. fl. O. 10 Ronald Laing, Phänomenologie der Erfahrung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1969 11 Weitere Ausführungen siehe 3. Kapitel 12 Aus: J. Haley, Strategies of Psychotherapy, New York 1963, zit. v. R. Laing, fl. fl. O. Vgl. auch LSD-Tonbandprotokoll auf Seite 200 13 Laing, a. a. O. 14 Schmiege, 1963, in Osmond und Hoffer; Halluzinogens 15 F. Gnirss, 1960, in: Leuenberger, a. a. O. 16 N. Chwelos, D. B. Blewett, C. W. Smish, A. Hoffer, Hoffer u. Osmond, S. Cohen. 17 J. Thomas Ungerleider und Duke D. Fisher; The Problems of LSD 25 and Emotional Disorder 18 Constance A. Newland; Abenteuer im Unbewußten. Szczesny Verlag, Mün­ chen, 1964 19 das Kindermädchen 20 Wilson Van Düsen, in Steckel; a. a. O. 21 Brau, a. a. O.

Kunst und Bewußtseinserweiterung

1 A. T. W. Simeons; Die Entwicklung des menschlichen Gehirns, Goldmann Verlag, München. 1. engl. Ausg. 1960 2 Diencephalon = Zwischenhirn; für Körperfunktionen u. Instinkte verant­ wortlich. Cortex = Hirnrinde; zensiert und filtert Sinneswahrnehmungen (und Instinkte) 3 Wolf gang Kaiser; Das Groteske in Malerei und Dichtung. Rowohlt Verlag. Hamburg, 1960 (rde) 4 Robert E. L. Masters und Jean Houston, Psychedelische Kunst. DroemerKnaur, München, 1969 5 Emst Jünger, Annäherungen - Drogen und Rausch. Klett Verlag, Stuttgart, 1970 6 Aldous Huxley, Die Pforten der Wahrnehmung/Himmel u. Hölle. Piper Ver­ lag, München, 1970 7 Siehe 2. Kap. S. 23 8 Henri Michaux; Die großen Zerreißprobleme. S. Fischer Verlag, Frankfurt, 1970 9 Siehe etwa Acid, März Verlag, Frankfurt am Main, 1970 10 typisch: »Headcomics« 11 Timothy Leary, Die Politik der Ekstase, Chr. Wegner Verlag, Hamburg, 1970 12 Masters und Houston, a. a. O. 13 Siehe Masters/Houston, a. a. O. 14 Isaac Abrahams, Psychedelische Kunst. 15 Von engl, to tum on = anregen 16 flash back (engl.) = nach einem Trip auf tretende, als real erlebte, aber nicht durch Drogen hervorgerufene Tripzustände

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Droge und Gesellschaft 1 Aldous Huxley, Schöne neue Welt; »Soma« ist eine Art futuristischer Tranqui­ lizer mit besonderem Befriedigungseffekt. 2 Gemeint ist »Auto« nicht als Gebrauchsgegenstand, sondern als Statussymbol, Lebensinhalt usw. 3 In: John Cashman, a.a.O. 4 Autor von Zen-Buddhism und Joyous Cosmology 5 In: Edward Reavis, Rauschgiftesser erzählen. Verlag Bärmeier & Nikel, Frank­ furt am Main, 1967 6 Das »kritische und objektive Massenmedium« ist eine reine Utopie. Seine Verwirklichung verlangt eine idealistische wie freigeistige Haltung, die weder in einer rechts- noch in einer linksorientierten materialistischen Gesellschaft mög­ lich ist. 7 25. Jahrgang. Nr. 33 8 In: Boris Luban-Plozza und Lothar Knaak, Rauschgift. Goldmann Verlag, München, 1971 9 A.T.W. Simeons, a.a.O. 10 Sarvapalli Radhakrishnan, Indische Philosophie. Holle Verlag, BadenBaden, 1956 11 William S. Haas, östliches und Westliches Denken. Rowohlt Verlag, Ham­ burg, 1967 12 D. H. Lawrence, a.a.O. 13 Luis Lewin, Phantastica. Verlag v. G. Stilke, Berlin, 1927 14 D. H. Lawrence, a.a.O. 15 William S. Haas, a.a.O. 16 Laing, a.a.O. 17 William S. Haas, a.a.O. 18 Radhakrishnan, a.a.O. 19 Max Horkheimer, Aufsätze. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 1971 20 Herbert Marcusc, Der eindimensionale Mensch. Luchterhand Verlag, Neu­ wied, 1970 21 Radhakrishnan, a.a.O. 23 Alan W. Watts, »Beat Zen, Square Zen and Zen«, in: DIG, Neue Bewußtseinsmodelle. März Verlag, Frankfurt am Main, 1970 24 Radhakrishnan, a.a.O. 25 Wagner, a.a.O. 26 Statement des Psychiaters Ernst Kretschmer. »Wissenschaft ist eine Frage des Charakters, der strengen Zucht und des Verzichtes, eine Frage der Redlichkeit, der Unerbittlichkeit, der aufrechten Gesinnung und eines unendlichen Leistungs­ willens.« 27 Rudolf Gelpke, a.a.O. 28 Radhakrishnan, a.a.O. 29 veda = das heilige Wissen; Rgveda = das heilige Wissen in dichterischer Form 30 Radhakrishnan, a.a.O. 31 C. G. Jung schrieb umfangreiche Interpretationen zum Tibetanischen Toten­ buch, zum I Ging und zum Geheimnis der Goldenen Blüte.

215

32 aus Leary/Alpert/Metzner, Psychedelische Erfahrungen. Bibi. Nr. 37 O. W. Barth Verlag, Weilheim, 1971 33 aus einem persönlichen Brief von Frau Kläre Baer, »Nationaler Sekretär für Deutschland der Theosophischen Gesellschaft Pasadena« 34 Aus: Der Templer, 9. Jahrg. Nr. 3 (1971) 35 Radhakrishnan, a.a.O. 36 »Jesus ist der letzte Schrei«, Die Zeit, Nr. 35 u. 36, August 1971 37 »Heim ins Himmelreich«; in Stern, Nr. 46, November 1971 38 Markus 16/17 39 Alan W. Watts, a.a.O. 40 Wolf Donne in Die Zeit 41 Lama Anagarika Govinda, Grundlagen tibetischer Mystik. Rascher Verlag, Zürich und Stuttgart, 1956 42 Leary, a.a.O. 43 Wagner, a.a.O. 44 Aus John Cashman, a.a.O. 45 Aus Hermann Römpp, Chemische Zaubertränke. Franckh’sche Verlagshand­ lung, Stuttgart, 1940 46 Aus John Cashman, a.a.O. 47 Aus Eckhart, Tauler, Sense, Ein Textbuch altdeutscher Mystik. Rowohlt Verlag, Hamburg. 1958 48 Aus Leuenberger, a.a.O. 49 R. C. Zaehner, Mystik religiös und profan. Ernst Klett Verlag, Stuttgart, 1960 50 J. S. Slotkin, »Peyotl bei den Menomini«, in Reavis, a.a.O. 51. Wagner, a.a.O. 52 Aus Brau, a.a.O. 53 Gordon Wasson, »The Hallucinogenic Mushrooms of Mexico«, in Reavis, a.a.O. 54 Leuenberger, a.a.O. 55 »Das Tibetanische Totenbuch« Bibi Nr. 63 Leary, Alpert, Metzner, a.a.O. 56 Leary, Alpert, Metzner, a.a.O. 57 Aus A. Frank Glahn, Das deutsche Tarot Buch. Verlag H. Bauer, Freiburg i. Br., 1958 58 Alan W. Watts: »Unter Spontaneität darf man jedoch auf keinen Fall einen blinden, ungeordneten Drang, eine bloße Regung der Willkür verstehen.« 59 Leary, a.a.O. 60 Govinda, a.a.O. 61 Wilhelm Reich, Die sexuelle Revolution. Europäische Verlagsanstalt, Stutt­ gart, 1970 62 peak (engl.) = Spitze, Gipfel; gemeint ist die mystische Ekstase 63 Aus der Drogenfibel der Städtischen Drogenberatungsstelle (DROBS) Mün­ chen, von Lösch, Mattke, Müller, Portugall, Wormser. 64 Aus Germania, Nr. 2, Oktober 1971 65 Die zitierten Autoren an früherer Stelle: »Das alte Wort, wer es seinen Kin­ dern leicht macht, macht es ihnen schwer, gilt in dieser Hinsicht (gemeint ist »Dis­ ziplinsetzung«) ganz besonders.« 66 Luban-Plozza, Knaak, a.a.O. 67 Wagner, a.a.O. 68 Huxley, a.a.O.

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69 70 71 72 73

Laing, a.a.O. Leary, a.a.O. Huxley, a.a.O. Steckel, a.a.O. Gerald Feinberg, Projekt Prometheus. Walter Verlag, Freiburg i. Br., 1970

Anhang 1 Wörtlich »Säurekopf«, Bezeichnung für LSD-Konsumenten 2 aus Twen, »Drogen sind chemische Hostien« von Joachim Seidl 3 Anmerkung in dem Buch Meditationen zur Selbstverwirklichung von Param­ hansa Yogananda, O. W. Barth Verlag, München, 1957

Bibliographie (Die mit (+) gekennzeichneten Bücher halte ich für empfehlenswert) Artaud, Antonin, Die Nervenwaage. Henssel Verlag, Berlin, 1961 ( + ) Beckett, Samuel, Murphy. Rowohlt Verlag, Hamburg, 1959 ( + ) Bender, Hans, Parapsychologie. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1966 Berg, J. H. van den, Grundriß der Psychiatrie. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart, 1970 Bergmark, Matts, Lust und Leid durch Drogen. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, 1958 Bhagavad Gita - Das Lied der Gottheit. Reclam jun., Stuttgart, 1968 ( + ) Blum, Robert, Entschleierte Mysterien. Leipzig 1910 Brau, Jean-Louis, Vom Haschisch zum LSD. Insel Verlag, Frankfurt/M., 1969 Cashman, John, LSD. Ullstein Verlag, Frankfurt/Main, 1970 Conze, Edward, Im Zeichen Buddhas. S. Fischer Verlag, Hamburg, 1957 DIG, Neue Bewußtseinsmodelle. März Verlag, Frankfurt/M., 1970 ( + ) Drogenfibel. Kindler Verlag, München, 1971 Eckhart, Tauler, Seuse, Ein Textbuch altdeutscher Mystik. Rowohlt Verlag, Hamburg, 1958 (+) Eliade, Mircea, Kosmos und Geschichte. Rowohlt Verlag, Hamburg, 1966 Eliade, Mircea, Schamanismus und archaische Ekstasetechnik. Rascher Verlag, Zürich und Stuttgart, 1956 Feinberg, Gerald, Projekt Prometheus. Walter Verlag, Freiburg/Br., 1970 Foucault, Michel, Psychologie und Geisteskrankheit. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M., 1969 ( + ) Das Geheimnis der Goldenen Blüte von R. Wilhelm, C. G. Jung. Rascher Verlag, Zürich und Stuttgart, 1965 ( + ) Gelpke, Rudolf,

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Drogen und Seelenerweiterung. Kindler Verlag, München (+) Germania (Underground-Zeitung), Nr. 2, Okt. 1971 Glahn, A. Frank, Das deutsche Tarot Buch. Verlag H. Bauer, Frei­ burg/Br., 1958 Govinda, Lama Anagarika, Grundlagen tibetischer Mystik. Rascher Verlag, Zürich und Stuttgart, 1956 (+) Haas, Wüliam S., östliches und Westliches Denken. Rowohlt Verlag, Hamburg, 1967 (+) Härtel, Klaus D., Rauschgift-Lexikon. Goldmann Verlag, München, 1971 Heidegger, Martin, Einführung in die Metaphysik. Max Niemeyer Verlag, Tübingen, 1953 Horkheimer, Max, Anfänge der bürgerlichen Geschichtsphilosophie, Hegel u. das Problem d. Metaphysik, Montaigne u. die Funktion d. Skepsis. S. Fischer Verlag, Frankfurt/M, 1971 Huxley, Aldous, Die Pforten der Wahrnehmung, Himmel und Hölle. Piper Verlag, München, 1970 (+) Kayser, Wolfgang, Das Groteske in Malerei und Dichtung. Rowohlt Verlag, Hamburg, 1960 Koestler, Artur, Der Yogi und der Kommissar. Bechtle Verlag, Esslingen, 1950 Kraus, Wolfgang, Die stillen Revolutionäre. Verlag Fritz Molden, Wien-München-Zürich, 1970 Kubin, Alfred, Die andere Seite, dtv, München, 1962 LaFarge, Oliver, A Pictorial History of the American Indian. New York 1956 Laing, Ronald, Phänomenologie der Erfahrung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M., 1969 (+) Lawrence, D. H., Mexikanischer Morgen. Rowohlt Verlag, Hamburg, 1963 (+) Leary, Timothy, Politik der Ekstase.Wegner Verlag, Hamburg, 1970 (+) Leary - Alpert - Metzner, Psychedelische Erfahrungen. O. W. Barth Verlag, Weilheim, 1971 (+) Leonhardt, Rudolf Walter, Haschisch Report, Piper Verlag, München, 1970 (+)

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Leuenberger, Hans, Mexiko, Land links vom Kolibri. Steingrüben Verlag, Stuttgart, 1962 Leuenberger, Hans, Zauberdrogen. Henry Goverts Verlag, Stuttgart, 1969 Lewin, Luis, Phantastica. Verlag v. G. Stilke, Berlin, 1927 Luban-Plozza, Boris, und Knaak, Lothar, Rauschgift. Goldmann Verlag, München, 1971 Mangoldt, Ursula von, Buddha lächelt - Maria weint. O. W. Barth Verlag, München, 1958 Marcuse, Herbert, Der eindimensionale Mensch. Luchterhand Verlag, Neuwied und Ber­ lin, 1970 Marcuse, Herbert, Versuch über die Befreiung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M., 1969 Masters, Robert E. L., und Houston, Jean, Psychedelische Kunst. Droemer Knaur Verlag, München - Zürich, 1969 (+) Michaux, Henri, Die großen Zerreißproben. S. Fischer Verlag, Frankfurt/M., 1970 Newland, Constance A., Abenteuer im Unbewußten. Szcesney Verlag, München, 1964 (+) Nölle, Wilfried, Die Indianer Nordamerikas. W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart, 1959 Radhakrishnan, Sir Sarvapalli, Indische Philosophie - I Von den Veden bis zum Buddhismus, II Die Systeme des Brahmanismus. Holle Verlag, Baden-Baden, 1956 (+) Reavis, Edward, Rauschgiftesser erzählen. Verlag Bärmeier & Nikel, Frankfurt/M., 1967 Reich, Wilhelm, Die sexuelle Revolution. Europäische Verlagsanstalt, Stuttgart, 1970 Reko, Viktor A., Magische Gifte. Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart, 1938 Religionen des alten Amerika. Kohlhammer Verlag, Stuttgart, 1961 Ringger, Peter, Parapsychologie. Claasen Verlag, Zürich, 1957 Römpp, Hermann, Chemische Zaubertränke. Franckh’sche Verlagsanstalt, Stuttgart, 1940 Schurz, Josef, Vom Bilsenkraut zum LSD. Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart, 1969 Seligmann, Kurt,

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Das Weltreich der Magie. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, 1958 Simeons, A. T. W., Die Entwicklung des menschlichen Gehirns. Goldmann Verlag, Mün­ chen, 1962 Spiegel, Der, NR. 33, 25. Jahrg. Steckel, Ronald, Bewußtseinserweiternde Drogen. Voltaire Verlag, Berlin, 1969 (+) Steiner, Rudolf, Wie erlangt man Kenntnisse der höheren Welten? Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart, 1961 Tibetanische Totenbuch, Das. Rascher Verlag, Zürich, 1935 und 1970 Upanishaden (ausgewählte Stücke). Reclam Verlag, Stuttgart, 1968 Wagner, Hildebert, Rauschgift-Drogen. Springer Verlag, Berlin, 1970 Watts, Alan W., Zen-Buddhismus. Rowohlt Verlag, Hamburg, 1961 (+) Wellershoff, Dieter, Literatur und Veränderung. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln Berlin, 1969 Yogananda, Paramhansa, Meditationen zur Selbstverwirklichung. O. W. Barth Verlag, München, 1957 Zaehner, R. C., Mystik religiös und profan. Emst Klett Verlag, Stuttgart, 1960

Suhrkamp taschenbücher st 1 Samuel Beckett, Warten auf Godot. Dreisprachig st 2 Max Frisch, Wilhelm Teil für die Schule. Prosa st 3 Peter Handke, Chronik der laufenden Ereignisse st 4 Hans Magnus Enzensberger, Gedichte 1955-1970 st 5 Thomas Bernhard, Gehen. Erzählung st 6 Martin Walser, Gesammelte Stücke st 7 Hermann Hesse, Lektüre für Minuten st 8 Olof Lagercrantz, China-Report. Bericht einer Reise st 9 Jürgen Habermas, Theorie und Praxis st 10 Alexander Mitscherlich, Thesen zur Stadt der Zukunft st 11 Theodor W. Adorno, Erziehung zur Mündigkeit st 12 Ernst Bloch, Subjekt - Objekt. Erläuterungen zu Hegel st 13 Siegfried Kracauer, Die Angestellten st 14 Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen st 15 Claude Levi-Strauss, Strukturale Anthropologie st 16 Bertolt Brecht, Geschichten vom Herrn Keuner st 17 ödön von Horväth, Jugend ohne Gott st 18 Bernard Shaw, Die Aussichten des Christentums st 19 Allerleirauh, Viele schöne Kinderreime st 20 Jürgen Becker, Eine Zeit ohne Wörter st 21 Walter Benjamin, Über Haschisch st 22 Bertrand Russell, Autobiographie I 1872-1914 st 23 Studs Terkel, Der Große Krach st 24 Hans Henle, Der neue Nahe Osten st 25 Katharina II. in ihren Memoiren st 26 H. C. Artmannsens Märchen st 27 Peter Handke, Die Angst des Tormanns beim Elfmeter st 28 Martin Sperr, Bayrische Trilogie st 29 Cthulhu, Geistergeschichten von H. P. Lovecraft st 30 Algernon Blackwood, Das leere Haus st 32 Noam Chomsky, Im Krieg mit Asien. Essays st 33 Robert Minder, Dichter in der Gesellschaft st 34 Hannes und Kerstin AIfv6n, M 70 - Die Menschheit der siebziger Jahre st 35 Wolfgang Werner, Vom Waisenhaus ins Zuchthaus st 36 George Gaylord Simpson, Biologie und Mensch st 37 Fromm, Suzuki, de Martino, Zen-Buddhismus und Psycho­ analyse st 38 Ulli Olvedi, LSD-Report st 40 Gunnar Myrdal, Politisches Manifest über die Armut in der Welt (gekürzte Ausgabe)

LSD - Lysergsäurediäthylamid - die Droge mit dem schwierigsten Namen. Von Kennern als bewußtseinserweiternd gepriesen, von der Gesellschaft insge­ samt als suchterzeugend verteufelt, vom Gesetz auf den Index gesetzt. Was sind die Tatsachen? Welches sind die histo­ risch - ethnologisch - gesellschaftlichen, welches die naturwissenschaftlich-psy­ chologischen Hintergründe dieses Hal­ luzinogens? Welche Verbindungen hat LSD zu Literatur, Musik, Malerei - und zu den neuen religiösen Bewegungen der Jugend? Die Analyse der Münchner Journalistin gibt Antwort.

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