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Ökonomische Sprache, sprachliche Ökonomie: Goethes Konstruktion einer Semiotik des Geldes Erik Pomrenke
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❏ Einführung ❏ Geld Heute ❏ Historischer Hintergrund: Geld und Revolution ❏ Die Semiotik des Geldes ❏ Warum Goethe? ❏ Einführung zu Märchen ❏ Die Analogie zwischen Geld und Sprache ❏ Die Irrlichter ❏ Die Lampe ❏ Der Fluss ❏ Der Untergrund ❏ Der Riese ❏ Die Schlange ❏ Kapitelschluss ❏ Einführung zu Faust II ❏ Der Regenbogen ❏ Fiatgeld und Schein ❏ Die Maskerade ❏ Helena ❏ Kapitelschluss ❏ Einführung zu Novelle ❏ Historischer Hintergrund zum Marktfeuer ❏ Eine Geographische Ökonomie ❏ Markt und Stadt ❏ Die Stammburg ❏ Ebenen und Gebirge ❏ Der Fluss ❏ Kapitelschluss ❏ Schluss ❏ Quellenangabe
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Einführung Es gibt eine weit verbreitete Ahnung, daβ das Geld einen zerstörenden Einfluss in der Gesellschaft hat. Für manche ist es leicht zu vermuten, daβ unsere kulturelle Sucht nach dem Geld etwas Neues sei oder daβ diese Sucht die Folge einer korrupten und dekadenten Gesellschaft sei. Das Geld ist aber immer ein groβer Teil unserer kulturellen Weltanschauung gewesen. In Verbindung mit dieser Ahnung ist die moderne Ökonomie hyperkomplex geworden. Deswegen bezieht ökonomische Rede oft auf die Zauberei. Diese Vorstellung hat ihre Gründe in dem Wortschatz hat, mit dem wir ökonomische Taten beschreiben; und die Verbindung zwischen dem Geld und der Zauberei stammt wahrscheinlich aus dem Wechsel von einer auf Münzen basierten Ökonomie zu einer Ökonomie, die auf Fiatgeld und Geldscheine basiert wurde. Dieser Wandel von einem substantiellen Geld zu einem abstrakten Fiatgeld hat eine lange Geschichte und bewirkte eine starke Abstraktion in unserem Begriff der Ökonomie. In einem Versuch, diese neue Natur des Geldes zu verstehen, verglichen die Denker während dieses Wandels das Geld mit der Sprache, der Zauberei und der Poesie. Allgemein kann man sagen, daβ der Begriff des Geldes kein greifbares Objekt war, sondern ein Zeichen. In Goethes Werken ist die zeichenhafte Natur des Geldes durch solche Analogien besonders deutlich. Ich meine, wir können den Wortschatz, mit dem wir heute Geld und die Ökonomie beschreiben, zurück zu der Goethezeit verfolgen. Geld Heute Dieses Projekt, die Basis hinter unserem Begriff des Geldes auszugraben, ist auf keinen Fall eine untätige, akademische Beschäftigung. Goethes Befragung der Natur des Geldes ist heute aktuell wie nie zuvor, weil unser ökonomischer Wortschatz große politische Verwicklungen hat; das ist besonders sichtbar in der Finanzkrise ab 20072008 und auch in der Rede über die neue Kryptowährung Bitcoin. Nach der Finanzkrise sehen wir einen interessanten GoogleTrend:
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Laut UCLAnthropologe Lui Smyth bewirkte die Finanzkrise eine Befragung unserer Vermutungen über Geld, die diese ansteigende Befragung der Natur des Geldes erklärt. Diese Befragung sei teilweise verantwortlich für das neue Interesse an Kryptowährungen wie Bitcoin: [Mit Bezug auf die Finanzkrise] So of course we get Bitcoin, which on one level is a philosophical interrogation of the financial status quo. After the financial crisis people no longer just asked how they are supposed to make money, they started questioning the very essence of money itself. Literally. Google search queries for the phrase “what is money” are now over twice precrisis levels globally, even after overall Google growth is accounted for. In contrast, the global trend for the query “money” has remained steady (Smyth Politics). Die Frage „Was ist Geld?“ steht gleichzeitig im Kern unseres gegenwärtigen Zeitgeistes und im Kern von Goethes Werk. Wir können also die Finanzkrise anblicken, um zu sehen, wie lange Goethes Erbe gedauert hat. Die Krise wies Titelzeilen auf, die unbegreiflich hohe Geldzahlen beschrieben. Solche MultiMilliarden Figuren sind keine realen Zahlen; sie sind zu groß, um wirklich begreifbar zu sein. Zu dieser Zeit nach der Krise gibt es viele Gespräche um „finanzielle Zauberei“ und „Funny Money“ (Tseng), und aus gutem Grund. In unserer Zeit sind ökonomische Interaktionen ganz ätherisch:
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elektronische Geldüberweisen, komplizierte Geldmärkte und finanzielle Verbrechen, die an Zauberei grenzen. Alle diese Aspekte der modernen Ökonomie sind von der Wirklichkeit so weit entfernt, daβ sie zu der Welt der Illusionen gehören. Dieser Trend zu ökonomischer Abstraktion macht in letzten Jahren nur Fortschritte. Konservative Ökonomen wie jene bei The Economist bezweifeln die Gültigkeit dieser neuen Arten von Geld: „[M]oney is anything that serves three main functions. It must be a ‘medium of exchange’, which can reliably be swapped for goods and services. It should be a stable store of value, enabling users to tuck some away and come back later to find its purchasing power more or less intact. And it should function as a unit of account: a statistical yardstick against which value in an economy is measured. The American dollar meets all three conditions. Bitcoin has some way to go“ (Money from Nothing). Die Bestimmung des Geldes in dieser Passage ist symptomatisch für einen materialistischen Begriff des Geldes, in dem Geld Wert aufgrund seiner Substanz erschafft. Dieser Begriff des Geldes steht im Gegensatz zu einem wesentlichen Begriff des Geldes, in dem Geld Wert aus seiner vermittelnden Funktion erschafft. Diese zwei Begriffe entwickelten sich in unterschiedlichen geschichtlichen Kontexten wegen unterschiedlicher Gründe; jedoch verfolge ich kurz die begriffliche Geschichte des Geldes zurück, damit wir die Beziehung zwischen diesen Begriffen besser verstehen können. Historischer Hintergrund: Geld und Revolution
Die Beziehung zwischen Geld und Sprache sollte keine Überraschung sein, weil die zwei
Medien sich in ähnlichen Orten und Zeiten entwickelten: „[j]ust as the Lydians were minting the first coins, the neighbouring Phoenicians were developing the world’s first alphabet. Human credit and human thought were both codified and standardised at the same time in almost the same place“ (Smyth Context). Obwohl eine ganze Geschichte des Geldes den Rahmen dieses Projekts sprengen würde, ist
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dieses Beispiel interessant, weil es zeigt, daβ selbst auβerhalb moderner semiotischer Theorien Geld und Sprache verbundene Geschichten haben. Da der materialistische Begriff vom Geld zu Goethes Zeit so fest etabliert war, war der neue wesentliche Begriff des Geldes fast häretisch. Wegen Kriegen, Revolutionen, Preisrevolutionen, der Entdeckung einer „neuen“ Welt und der Einführung des Fiatgeldes in die europäische Wirtschaft war die Entwicklung der modernen Ökonomie eine sehr komplizierte Zeit in der europäischen Geschichte. Diese stürmischen Zeiten waren aber sehr wichtig in der Entwicklung des wesentlichen Begriffs des Geldes, weil diese Kriege, Revolutionen und Wirtschaftskrisen zusammen dienten, die launenhafte Natur des Geldes bloβzulegen.
In den Jahren vor der Romantik wurden unkalkulierbare Geldbeträge aus Amerika von Spanien
importiert. Zwischen den Jahren 1500 und 1660 wurden zum Beispiel mehr als 400.000.000 pesos von Gold und Silber von spanischen Kolonien zurück nach Europa geschickt (Hamilton 34). Obwohl diese Zahl schwer in modernen Figuren zu verstehen ist, gelten diese Jahre als eine der gröβsten Vermögensübertragungen in der Geschichte. Der Einfluss so eines Geldbetrages war in der europäischen Geschichte allein anomal; deswegen durchlebten Preise und Gehälter zu dieser Zeit große Teurungen und Fluktuationen, die sogenannten Preisrevolutionen: „For a season industry seems to have responded to the rise in prices precipitated by the influx of treasure. The resultant material prosperity, together with the effect of the specie on national psychology, played a large part in the passage of Spain through her golden age of literature and art. But ultimately the importation of treasure [...] in exchange for goods sapped the economic vitality of the country and augmented the Price Revolution, which handicapped export industry” (Hamilton 44). Obwohl die Preise nur eine jährliche Inflation von ungefähr 2% erlebten, waren diese Preiserhöhungen zu der Zeit erheblich. So war es in ganz Europa: obwohl die Erwartung war, daβ dieser Reichtum Prosperität mitbringen würde, brachte er stattdessen Jahre von
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Unruhe. Was früher als eine grundsätzlich gute und positive Kraft galt, war jetzt eine fremde, wechselhafte Kraft. Dieser Zustrom hatte auch eine andere wichtige Folge. Da viel mehr Silber als Gold importiert wurde, wurde das bimetallische Verhältnis fundamental geändert (Hamilton 4041). Frühe Einfuhren waren meistens Gold und hatten keinen großen Einfluss auf das bimetallische Verhältnis, denn die zwei Metalle wurden in ungefähr gleichen Anteilen importiert. Aber als Neuspanien seine Infrastruktur (besonders seine Bergwerke) entwickelte, gab es viel mehr Silber. Bis 1650 war Hartgeld aus Amerika 99,2 Prozent gewichtsmäßig Silber (Hamilton Table 2). Dieser Wechsel kündigte die Einführung des Fiatgeldes an, indem der Wert des Goldes, das wertvollste Metall, von einem geringeren Medium geschwächt wurde. In diesem Fall war dieses „geringere“ Medium Silber; später war es Papier als Fiatgeld. Dieses Thema, das Schwächen einer adligen Substanz durch ein unterminierendes, geringeres Medium, war in der romantischen Literatur weit verbreitet und verursachte die verbreitete Befragung der Natur des Geldes—ein sehr wichtiges Thema in Goethes Schriften. Die Französische Revolution ist besonders wichtig in unserem Verständnis dieser Entwicklung wegen ihrer zeitlichen Nähe zu der Goethezeit. Als Goethe seine Werke schrieb, war die Revolution noch in frischer Erinnerung, weil die Napoleonische Kriege beständige Folgen für die deutschen Staaten und ganz Europa hatten. Die Französische Revolution ist wichtig, denn sie war die Kulmination von einer Serie von wirtschaftlichen Ereignissen, besonders des Misserfolgs der Assignats, das neue Fiatgeld der revolutionären Regierung; in einer Kombination von missbrauchtem Fiatgeld und Teuerung war die Revolution zugleich eine wirtschaftliche und eine politische Krise. Wirtschaftler John Galbraith behauptet, daβ es geschichtliche Verbindungen zwischen Fiatgelden und Revolutionen gibt. Mit Bezug auf die amerikanische Revolution sagt er:
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[w]e have here the explanation as to why the revolutionary role of paper money is so little celebrated. The American Revolution would immediately, and the French Revolution would eventually, acquire great respectability. School books would tell schoolchildren of their wonders. But a line had to be drawn. It could not, either in decency or safety, be conceded that anything so wonderful was accomplished by anything so questionable as the Continental notes of the American Revolution or the assignats of the French Revolution [...] Paper was similarly to serve the Soviets in and after the Russian Revolution. By 1920, around 85 percent of the state budget was being met by the manufacture of paper money (Galbraith 616). Neue Arten des Geldes sind in der Geschichte revolutionäre Kräfte; in den vom Fiatgeld bewirkten gesellschaftlichen Umbrüchen finden wir den Grund für Goethes Beschäftigung mit diesem neuen Geld. Sprache und ökonomischer Tausch zugleich können Revolutionen bewirken. Wenn wir an die Zukunft denken, ist es nicht schwer zu glauben, daβ die neuen Kryptowährungen dieser Zeit ähnliche Folgen haben werden. Die Semiotik des Geldes In der Entwicklung der modernen Ökonomie wurde Geld von einer greifbaren Substanz zu einer abstrakten Kraft verwandelt. Um die neue Natur des Geldes zu beschreiben, verglichen die Denker und Schriftsteller dieser Zeitperiode das Geld mit Sprache und Poesie. Goethe war auf keinen Fall der Erste oder der Einzige, der Geld in solcher Weise beschrieb; zu seiner Zeit waren solche Analogien zwischen dem Geld und der Sprache sehr beliebt unter Dichtern und Denkern. Zum Beispiel veröffentlichte der Schriftsteller Friedrich Gedike 1789 sein Werk Verba valent sicut numi [Wörter haben Wert wie
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Münzen]: oder von der Wortmünze. Literaturkritiker Richard Gray beschreibt die Bedeutung dieses Werkes in seinem Buch Money Matters: [W]hat makes Gedike’s essay a revealing historical document is that to salvage the concept of Enlightenment he persistently relies on the analogy between monetary and linguistic economies. In fact, Gedike’s essay can be viewed as a metaphorical treasury that stores a more or less complete inventory of the analogical connections between money and language that were current in German language theory during the final decades of the eighteenth century: as coins serve to ease material commerce, so do words facilitate intellectual commerce; as money condenses wealth into a more portable and useful form, so do words make knowledge more flexible and manageable; words have values, as do coins, but like the latter their face values are often inconsistent with their material worth, their Schrot und Korn, or their weight and alloy; the meanings of words can shift with each usage, just as the value of coins can vary at different times of their circulation (Gray 245). Also wenn wir solche Analogien zwischen Geld und Sprache in Goethes Werken sehen, müssen wir uns daran erinnern, daβ diese Behandlung sich auf eine große intellektuelle Tradition bezieht.
Geld und Sprache sind einander sehr ähnlich, indem sie semiotische Systeme sind. Die Semiotik
ist eine Rahmentheorie, die versucht, die Kultur durch Zeichen zu verstehen; die Grundlage dieser Theorie wurde vom schweizerischen Linguist Ferdinand de Saussure gelegt. Im Kern dieser Theorie steht die Beziehung zwischen Ausdrucksseite und Inhaltsseite. Diese Beziehung bringt eine dritte Einheit hervor—das Zeichen: „[t]he linguistic sign is, then, a twosided psychological entity [...] These two elements are intimately linked and each triggers the other. Whether we are seeking the meaning of the
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Latin word arbor or the word by which Latin designates the concept ‘tree,’ it is clear that only the connexions institutionalized in the language appear to us as relevant […] In our terminology a sign is the combination of a concept and a sound pattern“ (Saussure 99100). Wenn wir Gedikes Beispiel nutzen, sind sowohl Wörter als auch Münzen Zeichen; ein Wort besteht aus der Beziehung zwischen der schriftlichen oder mündlichen Vokabel (Ausdrucksseite) und dem psycholgischen Begriff (Inhaltsseite), genau wie eine Münze aus der Beziehung zwischen seinen zwei Seiten besteht—die Zahl, die sich auf den Wert der Münze bezieht und der Kopf, der Kredit erschafft. Diese Beziehung zwischen Ausdrucksseite und Inhaltsseite funktionierte als Basis der klassischen Semiotik; in der Postmodernität ist aber die Beziehung zwischen Ausdrucksseite und Inhaltsseite nicht so einfach. Mit Bezug auf diese Problematik sagt Frederic Jameson, einer der wichtigsten gegenwärtigen Marxisten und Kulturkritiker, daβ „[n]ow reference and reality disappear altogether, and even meaning—the signified—is problematized. We are left with the pure and random play of signifiers that we call postmodernism“ (Jameson Postmodernism 96). Statt einer starken semiotischen Dichotomie haben wir also eine Bedeutungskonstellation, die sich immer umgestaltet. Wie dann können wir die Semiotik des Geldes in einer postmodernen Ökonomie beschreiben, in der Hinweis und Bedeutung entkuppelt sind? Die Werke von Jean Baudrillard, ein französischer Philosoph und Medientheoretiker, bauen einen Rahmen auf, mit dem wir dieses Ereignis verstehen können. Er beschreibt die Postmodernität mit ähnlichen Worten wie Jameson: „The end of labor. The end of production. The end of political economy. The end of the signifier/signified dialectic which facilitates the accumulation of knowledge and of meaning, the linear syntagma of cumulative discourse […] The end of the classical era of the sign. The end of the era of production“ (Baudrillard Selected Writings 127). Diese Rede von „dem Ende“ meldet einen historischen Bruch wegen des begrifflichen Einsturzes der
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modernen Ökonomie—der Semiotik. In der postmodernen Ökonomie ist diese einfache Beziehung zwischen Wert und Kredit unmöglich. Also ist die traditionelle Ökonomie in dieser Zeit keine strukturelle Basis für die Gesellschaft. Stattdessen leben wir jetzt in einer „Hyperrealität,“ in der das Spiel zwischen Bildern und Zeichen Bedeutung erschafft (ibid. 146). Ich finde, daβ Goethes Betrachtung des Geldes als eine Art der Illusion solche Begriffe wie „Hyperrealität“ antizipiert; deswegen finden wir die begriffliche Basis unseres ökonomischen Wortschatzes in Goethes Schriften. Warum Goethe? In dieser Studie betrachten wir Goethes Das Märchen, Faust II und Novelle. Diese Werke zeigen sehr komplexe Beziehungen zwischen hoch symbolischen Figuren; diese Eigenschaft meint, daβ eine semiotische Interpretation der Ökonomie in diesen Texten besonders nützlich ist, weil so eine Interpretation viel der Komplexität reduziert. Auch wissen wir, daβ Goethe groβes Interesse an der Politik und Theorie seiner Zeit hatte und seine Literatur als ein Medium nutzte, mit diesen Themen zu interagieren. Mit Bezug auf die kulturelle Trennung zwischen Kunst und Ökonomie behauptet Gray:
„economics does not simply ‚infect‘ the highcultural domains of [poetics] ... [Literature and philosophy] are complicit with and participate in the establishment and solidification of modern economic paradigms“ (Gray 4). In dieser Passage finden wir das Projekt von Goethes Semiotik des Geldes; durch die zauberische Kraft eines sprachlichen Geldes und einer monetären Sprache können Poesie, Handel und Menschen vereinigt werden.
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Einführung zu Goethes Märchen Das Märchen wurde 1795 veröffentlicht als letzter Teil von Goethes Novellenzyklus Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten in Schillers Zeitschrift „Die Horen.“ Frühe Reaktionen wussten nicht, wie sie diese Sammlung von Geschichten interpretieren sollten. Die Interpretation bleibt mehrdeutig: „[t]here is little consensus about how to read the stories shared by a group of German aristocrats who are forced across the Rhine into another castle in the wake of the French Revolution“ (Sullivan 151). Heather Sullivan, eine Literaturkritikerin an der Trinity University, sagt mit Bezug auf Das Märchen, daβ es „Goethe’s struggle to write the violence of the French Revolution into coherence“ (ibid. 151) sei. Wegen der Zeitperiode, in der die Unterhaltungen geschrieben wurden, ist der Einfluss der französischen Revolution unvermeidlich. Auch sollten wir uns an Galbraiths Beziehung zwischen neuen Währungen und Revolutionen erinnern; aber zu sagen, daβ diese Geschichten bloß allegorisch sind, wäre eine große Vereinfachung. Stattdessen nutzt Goethe die Revolution als ein symbolisches Muster, um eine ganze Bedeutungskonstellation zu besprechen. Goethe sah persönlich die flüchtige Natur des Geldes, als die strampelnde französische Nation Assignats ausgab. Solches Fiatgeld löste aber auf lange Sicht keine Probleme; allerdings zeigten die Assignats, wie gefährlich die Ökonomie sein konnte. Wegen der ökonomischen Natur der Französischen Revolution finden wir in dem Text und in der Revolution zugleich die Einleitung eines neuen Geldes und die Folgen davon; dieses neue Geld wird durch Analogie mit der Sprache beschrieben. Der Text stellt eine sehr komplizierte Bedeutungskonstellation dar, indem die ganze Handlung in einer stark symbolischen Landschaft stattfindet. Diese Landschaft wird mit solchen Figuren wie Irrlichtern, einem machtlosen Riesen, einer glühenden Schlange, und einem zauberhafte Lampe tragenden Fährmann bevölkert. Zwischen diesen Figuren werden noch kompliziertere Beziehungen im
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Lauf der Handlung aufgebaut. Es gibt wenig lineare Handlung in dem Märchen; die Reise zu der schönen Lilie und die Vereinigung des Landes durch die Erbauung des Tempels und der Brücke gelten zwar als Hohepünkte des Textes, aber diese Aspekte scheinen hauptsächlich eine zufällige Folge dieser Beziehungen zu sein. Deswegen muss unser interpretatives Schema sich mit diesen Beziehungen zwischen den Figuren dieser Landschaft beschäftigen. Die Beziehungen beziehen sich oft auf die Semiotik des Geldes und werden also in einem ökonomischen Kontext am besten verstanden. Mit folgenden Worten beendet Goethe sein Märchen: Unvermutet fielen Goldstücke, wie aus der Luft [...] Begierig lief das Volk noch eine Zeitlang hin und wider, drängte und zerriß sich, auch noch da keine Goldstücke mehr herabfielen. Endlich verlief es sich allmählich, zog seine Straße, und bis auf den heutigen Tag wimmelt die Brücke von Wanderern, und der Tempel ist der besuchteste auf der ganzen Erde (Märchen 70). Diese Passage stellt ein ziemlich utopisches Bild dar; Gold regnet aus dem Himmel und die Brücke und der Tempel wimmeln vom Handel: „At the close of the Märchen, Goethe’s contrasting system prevails by incorporating harmoniously and without violence all the figures [...] They act less as individual agents than as participants in an interconnected system“ (Sullivan 163). Dieses Ende steht aber im starken Gegensatz zum Anfang des Textes; wo es am Ende Einheit und Einklang gibt, gab es früher Uneinigkeit und Trennung, denn die Welt des Textes war in verschiedene Bereichee geteilt. Zum Beispiel machte der Fluss die Welt entzwei. Es gibt auch eine wichtige Trennung zwischen dem Untergrund und der oberen Welt. Ohne externe Hilfe (wie den alten Fährmann und den Riesen) konnte man den Fluss oder andere Grenzen nicht überqueren. Also muss man die Frage stellen: Wie entstand diese am Ende gesehene Einheit aus der früheren Teilung von Goethes Welt? Die Antwort ist in Goethes Theorie des
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Geldes zu finden, die in der gegenwärtigen Philosophie gegründet und gleichzeitig sehr vorausschauend war. Goethe stellt Geld (in seinem Märchen spezifisch Gold) als die fast zauberische Basis des Handels dar. Dieser Handel funktioniert als die vermittelnde Kraft zwischen diesen disparaten Welten. Wenn die Funktion des Geldes von seiner Substanz abgesondert wird, bleibt eine bloβ vermittelnde Macht, die einer anderen Art von Sprache sehr ähnlich ist. In dieser Landschaft scheinen Sprache und Geld auswechselbar zu sein. In der Welt des Textes sind ökonomische Sprache und sprachliches Geld vereinigende Kräfte, die jeden Tausch vermitteln können. Der Beziehung zwischen der Ökonomie und der Sprache entsprechen viele der Beziehungen zwischen Figuren in dieser komplexen Bedeutungskonstellation. Die Irrlichter und die Lampe verkörpern die Einleitung des Geldes; der Fluss und Untergrund trennen eine Welt, die später durch die Kraft des Geldes vereinigt wird; und der Riese und die Schlange werden Medien für diese neuen Kräfte. Die Analogie zwischen Geld und Sprache
Die Analogie zwischen Geld und Sprache ist also die begriffliche Basis für den Text. Hier
können wir auch an Saussures Semiotik denken, weil er sprachliche Bedeutung mit ökonomischem Wert gleichstellt: „In both cases [die Ökonomie und die Sprache], we have a system of equivalence between things belonging to different orders. In one case, work and wages; in the other case, signification and signal“ (Saussure 115). Goethes Text entspricht dieser Gleichwertigkeit, wenn die Schlange den Tempel der vier Könige besucht. Der goldene König stellt der Schlange eine Serie von rätselhaften Fragen: „Wo kommst du her? —Aus den Klüften, versetzte die Schlange, in denen das Gold wohnt.—Was ist herrlicher als Gold? fragte der König.—Das Licht, antwortete die Schlange.—Was ist erquicklicher als Licht? fragte jener.—Das Gespräch, antwortete diese“ (Märchen 37). Diese Passage ist sehr wichtig für unsere Interpretation dieses Textes, denn sie zeigt Goethes
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abstrakten Begriff des Geldes auf. Licht und Gespräch sind sehr kräftige Mächte, haben aber keine greifbare Substanz. Da sie keine echte Form haben, können wir sagen, daβ sie bloβe Funktion sind. Notwendigerweise ist ein Gespräch ein Akt des Handels, denn es geht um einen Austausch zwischen zwei Gesprächspartnern. Der einzige Unterschied zwischen Gespräch und Handel ist die Natur der getauschten Ware. Also finde ich, daβ Goethes Betrachtung des Geldes im Kontext der Semiotik verstanden werden muss. Ein grundlegender Text, der sich auf die Semiotik des Geldes bezieht, ist Georg Simmels Philosophie des Geldes. Simmel zweifelte die Vorstellung an, daβ Geld (Noten, Münzen, und Gold ebenso) einen intrinsischen Wert hätte. Für Simmel war Geld eine „Überware“, die benutzt wurde, um Handel zu vermitteln: eine Ware über allen anderen Waren. Diese Überware Geld ist dazu da, Wert zu objektivieren. Ohne eine Überware wie Geld könnte es keinen ordentlichen Handel geben, weil die getauschten Waren nur ihre eigenen subjektiven Werte hätten. Mit Geld als einer externen Maβnahme können Leute Waren dann einhandeln und wissen, daβ die Tat des Handels gleichwertig ist (Simmel 131152). In dieser Weise ist der Wert des Geldes nur symbolisch. Als symbolischer Vermittler ist Geld einer Sprache sehr ähnlich; man kann eben sagen, daβ Geld und die verwandte Tat des Handels eine selbstständige Sprache sind.
Diese Analogie wird später in Goethes Text aufgezeigt, als die alte Frau ihre Hand in den Fluss
eintaucht, um die Schuld der Irrlichter in Gestalt eines Korbes voll Gemüse zurückzuzahlen. Da sagt ihr der Alte: „Es ist noch ein Mittel. Wenn Ihr Euch gegen den Fluβ verbürgt und Euch als Schuldnerin bekennen wollt, so nehm ich die sechs Stücke zu mir“ (Märchen 43). Die genaue Bedeutung dieser Aussprache ist unklar— wie kann kann man einem Fluss in einer sinnvollen Weise etwas schulden? Was wirklich wichtig dabei ist, ist der ökonomische Kontext, der hier geschaffen wird; wir müssen also den Rest dieser Szene durch diesen Kontext ansehen. Als sie ihre Hand in den Fluss eintaucht, findet die
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Alte folgendes heraus: „[d]ie Hand wird nach und nach schwinden und endlich ganz verschwinden, ohne daβ Ihr den Gebrauch derselben entbehrt. Ihr werdet alles damit verrichten können, nur daβ sie niemand sehen wird“ (ibid. 43). Die Hand ist der Körperteil der Tat; sie ist das Organ, das es einem erlaubt, mit seiner Welt zu interagieren. Was ist dann eine unsichtbare Hand— eine Hand, die von ihrer Form getrennt wurde? Vielleicht ist diese Hand ein Hinweis auf Smiths unsichtbare Hand des Marktes. Smith nutzte dieses Bild als eine Metapher für die Kraft, die Gehälter und Waren regulierte. Des Ursprungs dieses Bildes ungeachtet zeigt diese Hand die Trennung der Inhaltsseite von der Ausdrucksseite und damit die sprachliche Kraft des Geldes auf. Die Irrlichter Die Irrlichter sind eine vermittelnde Kraft, in der die Beziehung zwischen Sprache und Geld deutlich zu finden ist. Wenn man die Irrlichter so versteht, ist es keine Überraschung, daβ Goethe sein Märchen mit diesen Figuren beginnt; ihre Erscheinung in der Welt ist gleichzeitig der Auftritt des Geldes und der Sprache, und es ist dieser Auftritt, der diese stark getrennte Welt zu vereinigen beginnt. Daher sind diese Unvereinbarkeiten in der Welt (der Fluss und die Trennung zwischen dem Untergrund und der oberen Welt) nicht nur physische und zeitliche Grenzen, sondern auch Hindernisse für die zwei besprochenen Arten vom Tausch: Handel und Sprache. Auf einer buchstäblichen Ebene verkörpern diese Irrlichter Geld wegen ihrer körperlichen Beziehung mit Gold; wenn sie sich schütteln, fallen Goldstücke heraus. Sie haben auch einen grossen Appetit für das Metall, denn sie lecken das Fährmannshaus und die Könige vom Gold sauber. Es gibt aber auch eine andere hochinteressante Beziehung zwischen den Irrlichtern und Geld mit Bezug auf die Semiotik— die Irrlichter sprechen eine fremde Sprache, die nur von ihnen verstanden werden kann: „Der Alte säumte nicht, stieβ ab und fuhr, mit seiner gewöhnlichen Geschicklichkeit, quer über den
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Strom, indes die Fremden in einer unbekannten, behenden Sprache gegeneinander zischten“ (Märchen 31). Zusätzlich zu der Analogie zwischen Sprache und Geld, die diese Passage hervorruft, bezeichnet Goethe hier noch etwas anderes. Diese IrrlichterSprache ist fremd und die Irrlichter sind in manchen Weisen Unruhestifter: sie schütteln das Boot, töten den Hund Mops und belästigen die Fährmannsfrau. Trotzdem bewirken sie kein wirkliches Leid oder Unglück. Das Boot überquert den Fluss ohne Unfall, der Hund wird später von der Lilie geheilt, und die Frau wird auch nicht wirklich verletzt. Die Irrlichter zeigen die launenhafte Natur des Geldes, denn sie haben die Fähigkeit, gleichzeitig zu helfen und hindern.
Ihre Funktion als Unruhestifter ist auch am Ende des Textes zu sehen, als sie bewirken, daβ
Gold aus dem Himmel regnet: „Man begreift wohl, daβ die abziehenden Irrlichter hier nochmals eine Lust machten und das Gold aus den Gliedern des zusammengesunkenen Königs auf eine lustige Weise vergeudeten“ (Märchen 70). Zuerst gesehen könnte diese Szene wegen des möglichen Unfriedens als eine Antithese zu der vom Handeln bewirkten Einheit gelten, den diese Passage einführt. Da sie aber „auf eine lustige Weise“ vergeuden, finde ich, daβ Goethe Geld hier letztlich als eine positive Kraft bezeichnet; eine positive Kraft, die nuancierter ist als etwas bloβ Gutes. Der Funktion der Irrlichter als Unruhestifter entspricht im Kontext der Handlung die produktive Kraft des Handels, indem die Irrlichter scherzhaft stupsen und anzetteln, genau wie der Handel auch die Vereinigung zwischen disparaten Sphären anzettelt. Die Lampe Die Lampe ist eine andere Figur, die die Irrlichter in Goethes Darstellung des Geldes ergänzt. Diese Lampe begleitet die Einführung der Irrlichter und ist in manchen Weisen den Irrlichtern ähnlich, indem sie ebenfalls eine klare Verkörperung dieser Beziehung zwischen Geld und Sprache bezeichnet. Wenn die Irrlichter die launenhafte Natur des Geldes sind, ist die Lampe Goethes Begriff einer rein
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konstruktiven Kraft. Sie wird von dem Alten getragen, als er in den Untergrund wandert; allerdings ist sie keine normale Lampe, denn sie verwandelt verschiedene Substanzen in Gold: „Alle Gänge, durch die der Alte hindurch wandelte, füllten sich hinter ihm sogleich mit Gold, denn seine Lampe hatte die wunderbare Eigenschaft, alle Steine in Gold, alles Holz in Silber, tote Tiere in Edelsteine zu verwandeln und alle Metalle zu zernichten“ (Märchen 39). Wegen dieser Beziehung zu abstrakter Kraft wird das Licht in einem ökonomischen Kontext am besten verstanden. Simmel sah diese Kraft als die wesentliche Eigenschaft des Geldes und vergleicht Geld mit einem Werkzeug: Wie meine Gedanken die Form der allgemein verstandenen Sprache annehmen müssen, um auf diesem Umwege meine praktischen Zwecke zu fördern, so muβ mein Tun oder Haben in die Form des Geldwertes eingehen um meinem weitergehenden Wollen zu dienen. Das Geld ist die reinste Form des Werkzeugs [...] Die Tatsache, daβ jedermann unmittelbar mit ihm arbeitet, läβt seinen Werkzeugcharakter noch deutlicher hervortreten (Simmel 205). Wenn Simmel diesen Vergleich zwischen Geld und Werkzeug macht, sagt er, daβ die bestimmende Eigenschaft eines Werkzeugs seine Funktion ist. Die Lampe und ihr Verhältnis zum Licht rufen diese Bestimmung durch Funktion hervor, denn Licht ist eine Kraft ohne echte Form; selbst bis zum heutigen Tag ist es unklar, ob Licht Welle oder Teilchen ist. Diese Beziehung zwischen Licht und Geld ist genau die Beziehung, die man in dem Gespräch zwischen der Schlange und den Königen früher findet; das Geld und das Licht werden durch die abstrakte Kraft der Sprache verbunden. Der Fluss
Die Landschaft in dem Märchen wird stark von Grenzen getrennt. Die Grenzen zeigen
verschiedene Unvereinbarkeiten in der Welt, die später vom Handel gelöst werden, und der Fluss ist die
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erste Grenze, der man in Goethes Welt begegnet. Der Fluss ist eine räumliche Grenze, denn er ist während der ganzen Handlung dazu da, Bewegung zu behindern. Deswegen sind die Figuren des Fährmanns und der Brücke so wichtig, weil sie Handel und Bewegung über den Fluss erlauben. In der ersten Szene des Textes versuchen die Irrlichter den Fluss zu überqueren. Als der Fährmann aber die Irrlichter über den Fluss bringt, fallen Goldstücke ins Boot, weil die Irrlichter sich schütteln. Da sagt der Fährmann: „[u]ms Himmels willen, was macht ihr! rief der Alte, ihr bringt mich ins gröβte Unglück! Wäre ein Goldstück ins Wasser gefallen, so würde der Strom, der dies Metall nicht leiden kann, sich in entsetzliche Wellen erhoben“ (Märchen 31). Diese gewaltsame Reaktion gegen das Gold zeigt die zugrundeliegende Unvereinbarkeit dieser Welten. Auch wird die giftige Natur des Geldes mit Bezug auf den Hund Mops gezeigt. Als die Irrlichter die Frau des Alten besuchen, fallen auch Goldstücke heraus, als sie sich schütteln: „[u]nser Mops fraβ einige davon und sieh, da liegt er am Kamine tot; das arme Tier!“ (ibid. 41). Was aber unterliegt dieser Unvereinbarkeit? Das weitere Gespräch zwischen den Irrlichtern und dem Fährmann zeigt uns viel. Als die Irrlichter aus dem Boot steigen, will der Fährmann seine Bezahlung. Er will aber kein Gold von ihnen, wegen der Unvereinbarkeit zwischen dem Fluss und dem Gold. Stattdessen sagt er, daβ „‚man mich nur mit Früchten der Erde bezahlen kann.‘ –‚Mit Früchten der Erde? Wir verschmähen sie und haben sie nie genossen‘“ (ibid. 32). Da „Früchte der Erde“ hier das Objekt der Lust des Fährmanns sind, können wir ahnen, daβ der Konflikt hier zwischen der organischen Welt der Natur und der kalten metallischen Welt des Goldes liegt. Dieser Gegensatz, stark in der physischen Welt gegründet, entspricht dem Begriff, daβ ökonomische Anliegen irgendwie mit der Poesie und Sprache unvereinbar sind. Diese Ahnung ist ein groβes Thema in unserer kulturellen Rede und Goethe führt sie durch den Fluss ein, um diese Unvereinbarkeit später mit der vermittelnden Zauberei des Geldes zu unterminieren.
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Der Untergrund
Im Gegensatz zum Fluss stellt die Trennung zwischen dem Untergrund und der oberen Welt eine
zeitliche Grenze dar, die auch durch die Vermittlung des Geldes überquert wird. Zentral für diese Beziehung ist der Tempel wegen seines Übergangs zwischen diesen Sphären. Ursprünglich liegt der Tempel im Untergrund: Wie dem auch sei, sagte die Schlange, indem sie das angebrochene Gespräch fortsetzte, der Tempel ist erbauet. Er steht aber noch nicht am Flusse, versetzte die Schöne. Noch ruht er in den Tiefen der Erde, sagte die Schlange; ich habe die Könige gesehen und gesprochen. Aber wann werden sie aufstehn? fragte Lilie. Die Schlange versetzte: Ich hörte die groβen Worte im Tempel ertönen: es ist an der Zeit (Märchen 51). Dieser oft wiederholte Ausdruck „es ist an der Zeit“ kann leicht als ein Bezug auf diese Beziehung zwischen dem Tempel und der Zeit gelten, denn dieser Ausdruck wird im Hinblick auf die Erbauung des Tempels viel benutzt. Diese Erbauung symbolisiert die Grenze zwischen einer mythologischen Vorzeit und der Geschichtsepoche. Sprache und Geld sind vielleicht die wichtigsten Vermittler, die wir als Menschen haben (denken wir hier auch an Lydien und die gleichzeitige Erstellung von Münzen und dem Alphabet). Vor diesen Vermittlern gab es keine Kommunikation in einer Art, die wir heute erkennen. Man kann sogar sagen, daβ es unsere Fähigkeit, unsere Welt zu vermitteln, ist, was Menschen wirklich „modern“ macht. Zusätzlich trifft die Erbauung des Tempels auch mit der Einführung des Geldes in dieser Welt zusammen. Das ist wichtig, weil Geld als eine quantifizierende Kraft funktioniert. Vor dem Tempel und vor dem Geld gab es keine Quantifizierung; es war eine unendliche und zeitlose Epoche. In Zusammenhang damit steht Simmels Begriff des Geldes als einer Kraft, die subjektiven Wert übertrifft. Er behauptet: „[d]as Entscheidende für die Objektivität des wirtschaftlichen Wertes... ist das prinzipielle
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Hinausgehen seiner Gültigkeit über das Einzelsubjekt. Dadurch, daβ für den Gegenstand ein anderer gegeben werden muβ, zeigt sich, daβ derselbe nicht nur für mich, sondern auch an sich, d. h. auch für einen anderen etwas wert ist“ (Simmel 33). Ohne Geld als Vermittler kann es keinen Handel geben, denn es gibt keinen objektiven Standard, mit dem Waren verglichen werden können. Diese Waren haben also keinen objektiven Wert und zur gleichen Zeit unendlichen subjektiven Wert. Diese Dichotomie zwischen objektivem und subjektivem Wert trifft zusammen mit unserer anderen Dichotomie zwischen endlicher und unendlicher Zeit; beide Dichotomien werden auch durch die vermittelnde Kraft des Geldes vereinigt. Als der Tempel erbaut wird, wird die Beziehung zwischen ihm und dem Riesen sehr wichtig. Der Riese steht schlaftrunken auf und versucht, im Fluss zu baden. Stattdessen stört er die Menge auf der Brücke und bewirkt grosse Verwirrung. Als Reaktion darauf verwandelt der Alte den Riesen in eine Sonnenuhr und verwendet dadurch „den Schatten des Ungeheuers in nützlicher Richtung“ (Märchen 68). Es gibt zwei Aspekte dieser Verwandlung, die wir besprechen müssen: daβ der Alte den Riesen verwandelt, und die Funktion dieser Uhr in seiner Beziehung zum Tempel. Der Alte, der Träger der Lampe, wird stark mit der konstruktiven Kraft des Geldes verbunden. Es ist diese Kraft, die die zerstörende Kraft des Riesen „in nützlicher Richtung“ versetzt. Was ist dann die Funktion dieser neuen Form des Riesen? Eine Uhr erlaubt uns, Zeit in eigenständige Stücke zu verteilen. Ohne so ein Werkzeug ist die Zeit eine unendliche Dauer; die Beziehung zwischen Sonnenuhr und Tempel ist also die Entstehung der Geschichte. Vor dem Tempel gab es keine Weisen, durch die die Zeit gemessen werden konnte. Nachdem der Tempel erbaut worden ist, gibt es endlich eine historische Epoche, und ich finde, daβ es Geld war, das dieses Ereignis ermöglicht. Die Grenze zwischen Untergrund und der oberen Welt ist eine zeitliche Grenze und das Geld vermittelt zwischen diesen Welten.
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Der Riese
Angesichts dieser Uneinigkeiten, wie genau überqueren verschiedene Figuren diese Grenzen?
Weiterhin: wie sieht diese Überquerung im Text aus? Der Riese ist eine sehr interessante Figur in dieser Bedeutungskonstellation, denn zuerst ist er ein totales Rätsel. Der Riese, typischerweise eine kräftige Figur, „vermag mit seinem Körper nichts; seine Hände heben keinen Strohhalm, seine Schultern würden kein Reisbündel tragen; aber sein Schatten vermag viel, ja alles... [D]er Riese geht alsdann sachte gegen das Ufer zu und der Schatten bringt den Wanderer über das Wasser hinüber“ (Märchen 356). Diese Passage scheint als fast sinnlos— wie trägt ein Schatten einen Wanderer über den Fluss? Wenn wir aber den Riesen mit Bezug auf unsere GeldSprache Analogie ansehen, wird uns viel erklärt. Der Körper des Riesen ist machtlos; alle seine Macht liegt in seinem Schatten. Anders gesagt ist der Riese bloβe abstrakte Funktion; seine Substanz vermag gar nichts. Diese Beziehung zwischen Funktion und Substanz ist dieselbe, die wir in der GeldSprache Analogie finden. Auch bekommen wir einen weiteren Einblick in die Natur der Sonnenuhr: obwohl sein Körper in eine Sonnenuhr verwandelt wird, bleibt sein Schatten gleich, denn der „wesentliche Riese“ ist einfach der Schatten. Der Schatten des Riesen ist die abstrakte Kraft des Geldes; deswegen hat sein Schatten Wert und Funktion ausser dem Körper. Die Schlange
Vielleicht die wichtigste Figur von dieser Beziehung zwischen Geld und Sprache definiert ist die
Schlange. Ihre Bedeutung liegt in ihrem Verhältnis zu der Brücke, weil sie später in die Brücke verwandelt wird. Sie ist aber vom Anfang des Textes eine wichtige Figur, indem sie zeigt, wie diese Grezen mit der Kraft des Geldes überquert werden können. Einige Goldstücke von den Irrlichtern finden ihren Weg zu der Kluft, in der die Schlange wohnt: „In dieser Kluft befand sich die schöne grüne Schlange, die durch die herabklingende Münze aus ihrem Schlafe geweckt wurde. Sie ersah kaum die
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leuchtenden Scheiben, als sie solche auf der Stelle mit groβer Begierde verschland und alle Stücke... sorgfältig aufsuchte“ (Märchen 323). Als sie aber die Goldmünzen aβ, beginngt sie zu glühen. Es ist ihre neuentdeckte Helligkeit, die die Schlange erlaubt, den Untergrund auszuforschen: Denn ob sie gleich durch diese Abgründe ohne ein Licht zu kriechen genötiget war, so konnte sie doch durchs Gefühl die Gegenstände recht wohl unterschieden [...] Doch hatte sie zu ihrer groβen Verwunderung in einem ringsum verschlossenen Felsen Gegenstände gefühlt, welche die bildende Hand des Menschen verrieten [...] Alle diese Erfahrungen wünschte sie noch zuletzt durch den Sinn des Auges zusammenzufassen und das, was sie nur mutmaβte, zu bestätigen. Sie glaubte sich nun fähig, durch ihr eignes Licht dieses wunderbare unterirdische Gewölbe zu erleuchten, und hoffte auf einmal mit diesen sonderbaren Gegenständen völlig bekannt zu werden (ibid. 367). Im Licht dieser Passage können wir sagen, daβ ohne die hellige Kraft des Geldes, der Untergründ zu der Schlange geschlossen wäre. Obwohl sie früher den Untergrund nur mit ihrem Gefühl navigieren konnte, ist es dieses Licht, das den Bereich des Tempels öffnet. In dieser Weise können wir sehen, wie Geld verschiedene Figuren im Text erlaubt, diese Grenzen zu überqueren. Kapitelschluss
In Goethes Märchen findet der Leser eine sehr komplizierte Welt bevölkert mit rätselhaften
Figuren und die sprachliche Natur des Geldes erklärt viele dieser Beziehungen und Figuren. Was genau ist die sprachliche Natur des Geldes? Geld, wie Sprache, funktioniert als bloβes Symbol. Diese in dem Handeln verkörperte Kraft vermittelt symbolisch zwischen den disparaten Bereichen in dieser Welt genau wie eine Sprache. Diese Semiotik wird in den Figuren der Irrlichter und der Lampe verdinglicht. Diese Figuren sind wichtig, denn sie definieren die genaue Natur Goethes sprachlichen Begriff des
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Geldes. Es ist in diesem Kontext, daβ wir die Unvereinbarkeiten dieser Welt verstehen müssen. Diese Unvereinbarkeiten werden in dem Fluss und dem Untergrund aufgezeigt. Auch haben diese Grenzen ihre eigene Eigenschaften, indem der Fluss eine physische Grenze symbolisiert und wie der Untergrund eine zeitliche Grenze symbolisiert. Der Riese und die Schlange zeigen dann, wie genau diese Geld Sprache Beziehung funktioniert, um Handel zwischen diesen Grenzen zu erlauben. In Goethes Märchen ist das Geld eine selbständige Sprache: ohne Geld gibt es einfach keinen interpersonellen Tausch. Dieser Tausch ist eine Art von Sprache, und es ist diese vermittelnde Kraft, die diese Grenzen abbricht, um die am Ende gesehene Einheit und Harmonie zu bewirken.
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Einführung zu Faust II Die Sprache ist auf keinen Fall die einzige semiotische Beziehung, die Geld umfasst. Die Semiotik des Geldes ist eine starke Kraft in Faust I und Faust II in der Form der Illusion. Faust I und Faust II waren zusammen Goethes Lebenswerk. Obwohl frühe Fassungen der Texte wie der Urfaust seit 1772 existierten, erschien das komplette Werk erst im Jahre 1832. In Faust I geht es hauptsächlich um den Mikrokosmos: z.B., Fausts Beziehungen mit Mephistopheles und Gretchen. Im Gegensatz ist Faust II viel abstrakter und komplizierter; es geht in Faust II um den Makrokosmos und hoch symbolische Beziehungen zwischen mythologischen, historischen und literarischen Figuren. Wie in Goethes Märchen müssen wir versuchen, diese Komplexität mit unserer Interpretation zu reduzieren.
Manche sagen, daβ Goethes Faust der erste moderne Held sei. Seine Modernität erscheint in
seiner unermüdeten Suche nach Bedeutung in dieser Welt und in seiner Ablehnung der himmlischen Welt: „Und Schlag auf Schlag! Werd ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! du bist so schön!/ Dann magst du mich in Fesseln schlagen, / Dann will ich gern zugrunde gehn! / Dann mag die Totenglocke schallen, / Dann bist du deines Dienstes frei, / Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen, / Es sei die Zeit für mich vorbei!“ (Goethe 1698 1706). Wenn Goethes Faust eines der ersten modernen Texte sei, will ich vorschlagen, daβ Faust II das Muster eines postmodernen Textes einführt. Wir sehen in Faust II einen Wechsel zwischen Mittel und Zweck; dieser Wechsel gilt in unserer Kultur als ein Zeichen für die größeren Wechsel der Postmodernität: „the transformation of reality into images,“ (Jameson Consumer) wie Frederic Jameson die Postmodernität beschreibt. Geld spielt eine grosse Rolle in Faust II und wird für Faust kein Mittel, sondern ein Zweck an sich. Schopenhauer beschreibt einen ähnlichen Begriff des Geldes in seinen „Aphorismen zur Lebensweisheit“: „Jedes andere Gut kann nur einem Wunsch, einem Bedürfnis genügen [...] Geld allein ist das absolute Gute: weil es nicht bloβ
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einem Bedürfnis in concreto begegnet, sondern dem Bedürfnis überhaupt, in abstracto“ (Schopenhauer 415). Damit das Geld so viele Funktionen erfüllen kann, muss der theoretische Begriff des Geldes solche begrenzenden Bestimmungen wie „sprachlich“ oder „substantiv“ transzendieren. Was soll diese Begriffe ersetzen? Ich finde, daβ das Geld in Faust II als Illusion bezeichnet wird. Und was genau heiβt „Illusion“? In Faust II wird der wesentliche Wert des Geldes hintergefragt. Diese Hinterfragung bezieht sich auf ein Spiel auf das Wort Schein; Faust und Mephistopheles dekonstruieren den physischen Gegenstand des finanziellen Wert und zeigen, daβ nichts hinter dieser Fassade steht. Solche Illusionen und „Scheine“ sind mächtige Kräfte in Faust II. Der Regenbogen ist solch eine Illusion und seine Erscheinung am Anfang des Textes setzt den Rest des Textes in einem Kontext der Illusion. Wir können diese Illusionen leicht durch die Handlung verfolgen: Faust und Mephistopheles drucken Geldscheine, um das Reich des Kaisers zu retten; sie nehmen teil an eine illusorische Maskerade; auch beschwören sie die mythologische Helena, die Faust später heiratet. Alle diese Illusionen beziehen sich in verschiedenen Weisen auf ökonomische Tätigkeiten. In Faust II können wir sagen, daβ die Vermittlung auch eine ökonomische Tätigkeit ist, indem die Vermittlung besteht aus dem Tausch durch ein drittes Medium: Geld. Illusionen sind also eine Art der Vermittlung. Wenn diese Illusionen an die Ökonomie teilnehmen, wird eine ganze Ökonomie von Illusion aufgebaut. Ich meine, daβ viel der Beziehungen und Figuren in Faust II im Kontext dieser illusorischen Ökonomie verstanden werden können. Der Regenbogen Diese Illusionen sind ganz am Anfang des Textes zu finden, als Faust nach seiner Flucht von Gretchens Kerker weckt. Die Sonne scheint und er muss sich wegen seiner schmerzenden Augen wegkehren: „Sie tritt hervor! – und, leider schon geblendet, / Kehr' ich mich weg, vom Augenschmerz durchdrungen“ (Faust II 47023). Wenn er sich aber umdreht, sieht er einen Wassersturz: „Allein wie
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herrlich, diesem Sturm ersprieβend, / Wölbt sich des bunten Bogens Wechseldauer, / Bald rein gezeichnet, bald in Luft zerflieβend, / Umher verbreitend duftig kühle Schauer. / Der spiegelt ab das menschliche Bestreben. / Ihm sinne nach, und du begreifst genauer: / Am farbigen Abglanz haben wir das Leben“ (ibid. 4721 7). Faust vergleicht in dieser Passage den Regenbogen mit dem menschlichen Bestreben und baut dadurch einen Kontext auf, in dem der Rest des Textes verstanden werden muss. Goethe legt hier groβe Betonung auf die Illusion, denn ein Regenbogen ist nur Sonnenlicht durch Wasser vermittelt, nur im Kopf begreifbar. Was haben das Bild und das Geld miteinander gemein? Meiner Ansicht nach ist die Antwort hier eine Art der Vermittlung. Die im Regenbogen verkörperte Illusion funktioniert in dieser Passage, das Sonnenlicht abzuspiegeln. Die Sonne ist ein Ausdruck des Absolutes; man kann mit den Augen direkt die Sonne nicht direkt anblicken. Ebenso kann man auch das Absolute nicht total begreifen. Das Absolute muss also durch die Illusion des Regenbogens vermittelt werden. In der selben Weise muss der illusorische Wert des Geldes durch Münzen vermittelt werden; ohne physische Vermittlung bleibt der abstrakte Wert unbegreifbar. Die vermittelnde Kraft der Illusion erinnert an Simmels früher besprochene Darstellung des Geldes mit Bezug auf Goethes Märchen, indem Geld als ein Quantifizierer funktioniert. Ohne die Vermittlung des Geldes haben Waren nur ihre Einzelwerte; es gibt keinen externen Standard, mit denen solche Waren verglichen werden können und folglich, objektiviert werden können (Simmel 33). Der Regenbogen verkörpert diese Beziehung zwischen subjektivem Wert und objektivem Wert, weil er als bloße Vermittlung gilt; vor dieser Vermittlung konnte Faust den Regenbogen nicht anschauen. Diese Illusion wird stark mit der Vermittlung verbunden und muss also in einem ökonomischen Licht gesehen werden. Die Kraft der Illusion dringt den Verlauf von Faust II durch. Wenn Faust am Anfang des Textes an diesen
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Regenbogen schaut, zeigt Goethe uns dabei die Kraft von Illusion; allerdings mit Bezug auf der Sonne ist die Illusion die einzige Weise, durch die wir das Absolute erleben können. Fiatgeld und Schein Das Thema „Geld als Schein“ ist vielleicht nirgendwo so sichtbar als in den Szenen, in denen Faust und Mephistopheles die Kaiserliche Pfalz besuchen. Allerdings geht es im ersten Akt buchstäblich um Schein und Scheine, denn Geldscheine werden gedruckt, um des Kaisers Reich zu retten. Es ist kein Zufall, daβ das deutsche Wort für diese Zettel „Schein“ ist. „Schein“ bezieht sich hier auf das Papier, aus dem der Geldschein besteht. Dieser Bezug auf Illusion stammt aus dem substantiven Begriff des Geldes—was wertvoll im Geld ist, ist die Substanz, z.B. das Metall Gold. Im Vergleich zu diesem substantiven Begriff des Geldes ist dann ein Geldschein nur eine abstrakte Darstellung der Substanz. In der semiotischen Theorie ist diese Beziehung zwischen Schein und Substanz dieselbe als die Beziehung zwischen Ausdrucksseite und Inhaltsseite.
Wenn Faust und Mephistopheles den Hof des Kaisers besuchen, finden sie ein Reich
tief in Schulden; das Heer kann nicht bezahlt werden, es braut ein Bürgerkrieg, und Karneval kann wegen leerer Schränke und Keller nicht richtig gefeiert werden. Mephistopheles erinnert den Hof an die begrabenen Schätze des Landes und schlägt vor, daβ sie diese Schätze ausgraben: „Wo fehlt's nicht irgendwo auf dieser Welt? / Dem dies, dem das, hier aber fehlt das Geld. / Vom Estrich zwar ist es nicht aufzuraffen; / Doch Weisheit weiß das Tiefste herzuschaffen. / In Bergesadern, Mauergründen / Ist Gold gemünzt und ungemünzt zu finden, / Und fragt ihr mich, wer es zutage schafft: / Begabten Manns Natur und Geisteskraft“ (4889 96). Auch schlägt Mephistopheles vor, daβ sie Geldscheine drucken. Er sagt es nie ausdrücklich, aber die Vermutung ist, daβ diese Geldscheine von diesen ausgregrabten Schätzen gesichert werden. Jedoch ist nichts so einfach mit Mephistopheles; nachdem sie Karneval gefeiert
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haben, wird es klar, daβ Mephistopheles keine Absicht hat, diese Schätze auszugraben. Der Hof wundert sich, wie genau dieses neue zauberische Geld funktioniert und der Kanzler liest die Inschrift eines Scheines vor: „Zu wissen sei es jedem, der's begehrt: / Der Zettel hier ist tausend Kronen wert. / Ihm liegt gesichert, als gewisses Pfand, / Unzahl vergrabnen Guts im Kaiserland. / Nun ist gesorgt, damit der reiche Schatz, / Sogleich gehoben, diene zum Ersatz” (6057 62). Diese Scheine haben keine echte Deckung; sie werden durch eine zyklische selbstbezügliche Logik legitimiert. Obwohl die Geldscheine den Wert der begrabenen Schätze verkörpern, sind es wirklich die Geldscheine, die hier “wertvoll” sind, indem sie erlauben, daβ die begrabenen Schätze ausgegraben werden. Ohne die Geldscheine hätten diese Schätze keinen realen Wert, weil sie unerreichbar bleiben würden. Literaturwissenschaftler Jochen Hörisch beschreibt einen ähnlichen Prozess der zyklischen Deckung in seinem Werk Kopf oder Zahl. Dieser Prozess ist in den zwei Seiten einer Münze perfekt verkörpert: Geld muβ sich gewissermaβen Kredit und Autorität verschaffen. Und es tut dies schon in seiner klassischen MünzgeldGestalt auf recht suggestive Weise. Ein Herrscher verschafft und autorisiert. Der Kopf (ver)leiht der Zahl auf der anderen Seite die Autorität und Geltung, die diese an den Kopf zurückreicht. Und die Zahl auf der Münze verschafft sich Geltung und Anerkennung nicht zuletzt durch die Autorität dessen, der sie emittiert. Eine runde Sache (Hörisch 16). Diese Beziehung zwischen Kopf und Zahl ist der anderen Beziehung ähnlich, die wir zwischen Mephistopheles’ Scheinen und den begrabenen Schätzen finden; wie der Kopf den Wert der Zahl deckt, decken auch die Schätze den Wert der Scheine. Mit Bezug auf die Münzanalogie stellt der Kopf den Staat dar, indem er die Autorität und das Vertrauen bezeichnet, die zusammen die Basis des
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Kredits aufbauen. Im Gegensatz dazu steht die Zahl; sie ist nur ein Zettel dieses Versprechens. Aber dieses Verhältnis zwischen Schatz und Schein hat einen bedeutenden Unterschied: es ist unklar, ob die Scheine den Schatz decken, oder der Schatz die Scheine deckt. In diesem Verhältnis scheint der echte Wert als eine dritte Einheit herbeigeführt zu werden: „Autorität aber haben beide Seiten der Medaille, sofern sie in der Münze eins werden. Ohne Geltung kein Geld, ohne Geld keine intersubjektiv verbindliche Geltung. Das aber bedeutet: Kopf und Zahl beziehen ihre Autorität, ihre Deckung und ihre Geltung aus dem Dritten, zu dem sie synthetisieren, aus der Münze, deren Seiten sie sind” (Hörisch 15). Meiner Meinung nach ist diese selbstbezügliche Erzeugung der Geltung, was wir Schein nennen können; in Goethes textueller Welt sowohl als unserer ist der Wert des Geldes eine Illusion. Aber Kopf und Zahl (ihre buchstäblichen Gegenstücke in der Münze und ihre symbolischen Gegenstücke im Verhältnis zwischen Decker und Gedecktem zugleich) haben zusammen die Macht, realen Wert scheinbar aus der Luft in Gestalt dieses Scheines zu schaffen.
Nachdem der Kanzler die Inschrift des Scheines vorliest, ist der Kaiser schockiert: „Ich ahne
Frevel, ungeheuren Trug! / Wer fälschte hier des Kaisers Namenszug? / Ist solch Verbrechen ungestraft geblieben?“ (Faust II 60636065). Für den Kaiser ist dieser Schein offensichtlich keine wunderbare Erzeugung; stattdessen ist sie eine geheimnisvolle List. Auch können wir ahnen, daβ der Kaiser an Stelle von Goethe selbst in dieser Szene spricht. Mit Bezug auf die Ökonomie war Goethe sehr konservativ, teilweise wegen seiner politischen Einstellung, teilweise wegen der von ihm beobachteten AssignatsKrise in Frankreich. In dieser Hinsicht hatte Goethe viel mit den Physiokraten seiner Zeit gemeinsam. Physiokratie wurde stark in dem Begriff begründet, daβ der Reichtum eines Landes in der Grundstückserschlieβung liegt. Die Physiokraten waren von dem Substanzialismus beinflusst; ihr Begriff des Reichtums stammt aus der Idee, daβ realer Wert in der Substanz einer Ware liegt. Zum Beispiel
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glaubten viele Physiokraten an den wesentlichen Wert des Goldes. Richard Gray sagt in seinem Buch Money Matters, daβ „[m]ore conservative economists like Turgot (and the physiocrats in general) asserted that this ‚signmoney,‘ as it was already called, was but a mere deceptive sleight of hand, an economic edifice built without foundation.” (Gray 29). Aber Goethes Zeit war auf keinen Fall nur von diesen archaischen Begriffen des Geldes definiert. Besonders wichtig für uns (aber zu seiner Zeit unterschätzt) ist Adam Müller (1779 1829). Im Gegensatz zu den Physiokraten sagt Müller in seinem Versuche einer neuen Theorie des Geldes, daβ Geldscheine besser als Münzen wären, weil sie rein symbolisch sind; deswegen verkörpern Geldscheine die bloβe Arbitrarität eines linguistischen Zeichens (Gray 523). Später im vierten Akt sehen wir die launenhafte Natur dieser Scheine, wenn das Reich wegen der Schuldenkrise in einen Bürgerkrieg ausbricht. Also sind diese Scheine keine absolute Lösung; wo am Anfang von Faust II das Geld Ordnung wiederherstellt, funktioniert Geld später, um Störung und Zerstörung zu säen. In diesem Ereignis sehen wir Goethes Vorhersage einer modernen ökonomischen Krise. Eine Ökonomie, die auf eine greifbare Substanz wie Gold gegründet ist, soll im Prinzip viel stabiler als eine illusorische Ökonomie sein und Goethe füchtete, daβ die neuen Geldscheine ähnliche Krisen wie in Frankreich bewirken würden. Die Maskerade
Die Maskerade im ersten Akt von Faust II ist eine Illusion von Illusionen. Die erste Ebene
dieser Illusion ist natürlich die Maskerade selbst, weil Anwesenden sich mit Masken verkleiden. Alternative Persönlichkeiten der Charaktere begleiten diese Masken; Faust erscheint als Plutus, Mephistopheles erscheint als die Geldgier, und der Knabe Wagenlenker erscheint als die Poesie. Dann kommt die zweite Ebene dieser Illusion: die ganze Maskerade wird durch Mephistopheles’ Scheine finanziert, die auch Illusionen sind. Dieses Fest hat also keine echte Basis in der Wirklichkeit; genau wie
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ein illusorischer Geldschein ist die Maskerade eine Fassade und damit bereit, als Trug entlarvt zu werden. Diese Trennung von der Wirklichkeit ist besonders in der traumhaften Natur dieser Szene zu sehen, denn die Szene wird bevölkert mit verschiedenen Figuren aus der Mythologie. Die Werke von Jean Baudrillard erschaffen einen Wortschatz, mit dem wir solche Illusionen besser beschreiben können. In seinem Simulacra and Simulation, beschreibt Baudrillard verschiedene Ordnungen von Zeichen: Whereas representation attempts to absorb simulation by interpreting it as a false representation, simulation envelops the whole edifice of representation itself as a simulacrum. Such would be the successive phases of the image: it is the reflection of a profound reality; it masks and denatures a profound reality; it masks the absence of a profound reality; it has no relation to any reality whatsoever it is its own pure simulacrum. In the first case, the image is a good appearance representation is of the sacramental order. In the second, it is an evil appearance it is of the order of maleficence. In the third, it plays at being an appearance it is of the order of sorcery. In the fourth, it is no longer of the order of appearances, but of simulation (Baudrillard Simulacra 6). Da die Deckung und Kredit einer Währung als ihre „Wirklichkeit“ oder ihre Gültigkeit gelten, scheint Mephistopheles’ illusorisches Geld als ein Zeichen der dritten Ordnung, indem das Geld funktioniert, die Abwesenheit seiner Deckung zu verdecken; auch wichtig ist wie Baudrillard solche Illusionen als Zauberei beschreibt. Genau wie diese Maskerade, die durch ein illusorisches Geld finanziert wird, ist das Geld immer von der Wirklichkeit eine Stufe entfernt. Damit Geld in der modernen Ökonomie Kredit
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erschaffen kann, muss dieses Geld die Tatsache verdecken, daβ es keine ökonomsiche Wirklichkeit überhaupt gibt. Die Helena Zur gleichen Zeit die mythologischhistorische Frau und die Beschwörung eines Zauberers, ist Helena sehr wichtig für unser Verständnis des Textes, denn sie steht im Gegensatz zu der deutschen Gretchen Helena als Fausts ideale Frau; auch im Gegensatz zu Gretchen (eine körperliche Frau, die in der Welt existiert) ist Helena eine Illusion. Besonders bedeutend in ihren Beziehungen sind Gretchen und die Scheine. Wir finden sowohl in Helena als auch in den Scheinen eine räumliche Ökonomie; wenn wir die Bewegung der Scheine durch den Raum verfolgen, finden wir ein Muster, das durch den Akt der Erhebung definiert wird. Zuerst ist das Geld im Untergrund vergraben. Um dieses Geld zu nutzen, wird es erhoben; die Erhebung ist dann auch der Akt des Verbrauchs. Im Verlauf der Handlung verfolgt Helena einen ähnlichen Pfad. Als Faust Helena zuerst herbeiruft, muss er in den Untergrund gehen, um die „Mütter“ zu finden. Mephistopheles beschreibt sie als ursprüngliche Figuren, die in der Unterwelt wohnen: „Ungern entdeck' ich höheres Geheimnis. / Göttinnen thronen hehr in Einsamkeit, / Um sie kein Ort, noch weniger eine Zeit; / Von ihnen sprechen ist Verlegenheit. / Die Mütter sind es! –” (Faust II 6212 6). In dem Untergrund liegend sind Helena und das Geld zugleich nutzlos; Helena muss erhoben werden, um „genutzt“ zu werden.
In dem Schattigen Hain finden wir eine sehr interessante Szene, die Helenas Funktion gut
aufzeigt. Als Helena Faust umarmt, verschwindet ihre körperliche Form. Nur ihre Robe und ihr Schleier werden zurückgelassen. Mephistopheles (hier als Phorcyas verkleidet) sagt: Halte fest, was dir von allem übrigblieb. / Das Kleid, laß es nicht los. Da zupfen schon / Dämonen an den Zipfeln, möchten gern / Zur Unterwelt es reißen. Halte fest! / Die
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Göttin ist's nicht mehr, die du verlorst, / Doch göttlich ist's. Bediene dich der hohen, / Unschätzbaren Gunst und hebe dich empor: / Es trägt dich über alles Gemeine rasch / Am Äther hin, so lange du dauern kannst. / Wir sehn uns wieder, weit, gar weit von hier (ibid. 9939 54). Wir müssen zwei wichtige Aspekte dieser Passage beobachten: 1) Helena verschwindet wegen des körperlichen Vollzugs und 2) das Spiel mit der Ausrichtung. In dieser Passage wird Helena gleichzeitig verbraucht und enthüllt. Als Faust Körperkontakt mit Helena hat, ist das der Verbrauch seines Liebesobjekts; der Verbrauch ist auch der „Zerbersten“ der Illusion von Helena. In diesem Verbrauch entspricht das Zerbersten der Illusion von Helena auch das Zerbersten einer ökonomischen Blase. John Keats’ Ode on Melancholy entspricht wichtige Aspekte dieser Szene. Das Gedicht handelt von der Beziehung zwischen der Melancholie, dem Tod, und der Sexualität. Die letzte Strophe ist besonders interessant: She dwells with Beauty—Beauty that must die; / And Joy, whose hand is ever at his lips / Bidding adieu; and aching Pleasure nigh, / Turning to poison while the beemouth sips: / Ay, in the very temple of Delight / Veil'd Melancholy has her sovran shrine, / Though seen of none save him whose strenuous tongue / Can burst Joy’s grape against his palate fine; / His soul shalt taste the sadness of her might, / And be among her cloudy trophies hung (Keats). Wenn wir „the very temple of Delight“ als der sexuelle Akt interpretieren, ist es leicht, Paralleln mit Faust und Helena aufzubauen. Die Freude dieses körperlichen Bundes ist flüchtig und kann nur kurz dauern, bis der Tod diese Freude wegreiβt. In der selben Weise verschwindet Helenas Illusion nach ihrer Entschleierung; Fausts Körperkontakt mit ihr zerberst ihre Illusion, genau wie der Tod und
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Melancholie immer an den Rändern der Freude sind. Als Helena verschwindet, wird sie weiter unerreichbar. Auch versuchen in dieser Szene Dämonen, die verbleibenden Gegenstände (die Robe und den Schleier) ihrer Substanz zurück zur Unterwelt zu nehmen. Verbrauch, der Höhepunkt der Ökonomie, fängt den ganzen Prozess neu an, indem die Ware (hier: Helena) abgebaut wird, um später noch erhoben zu werden. Helena und Gretchen werden durch eine Dualität in ihren Darstellungen verbunden. Die beiden werden zuerst als Illusion dargestellt; erst später werden sie körperlich herbeigeführt. Wir müssen zurück zu Faust I schauen, um die erste Darstellung von Gretchen zu finden. In dem Hexenspiegel sein erstes Bild der Helena, das die spätere Begegnung mit Gretchen ahnt: „Was seh ich? Welch ein himmlisch Bild / Zeigt sich in diesem Zauberspiegel! [...] Das schönste Bild von einem Weibe! / Ist's möglich, ist das Weib so schön? / Muß ich an diesem hingestreckten Leibe / Den Inbegriff von allen Himmeln sehn? / So etwas findet sich auf Erden?“ (Faust I 2429 2440). Als Faust Gretchen später trifft, trifft er sich mit einem realen, körperlichen Mädchen. Also sehen wir ein Muster, das sich von einer abstrakten Darstellung zu einer konkreten Darstellung bewegt. Wir sehen dies gleiche Muster in seiner Beziehung mit Helena. Zuerst ist sie nur die Beschwörung eines Zauberers am Kaisershof. Mephistopeles beschreibt ihre Erscheinung in seiner typisch sarkastischen Mode: „Das wär' sie denn! Vor dieser hätt ich Ruh; / Hübsch ist sie wohl, doch sagt sie mir nicht zu“ (Faust II 647980). Nach ihrer ersten Erscheinung geht Faust in den Untergrund, um Helena zu holen; danach wird sie konkret und greifbar. Was heisst dieser Übergang von Illusion zu Substanz? Wir finden eine Inversion dieses Musters in der Beziehung zwischen Geldscheinen und Gold (und auch anderen Substanzen, die Geldscheine decken). Die erste Erscheinung des Geldes ist natürlich in den Metallen, aus denen Geld besteht; solche Substanzen sind Bedingunen für die Illusion des Geldes. Also entsprechen die
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Erscheinungen von Helena und Gretchen der Erzeugung des Geldes und kehren sie gleichzeitig um. In diesen Weisen spielt Helena eine groβe Rolle in der illusorischen Ökonomie, die wir in Faust II finden. Kapitelschluss
Also haben wir gesehen, wie Goethe in Faust II eine illusorische Ökonomie aufbaut. Was
genau meine ich damit? Die Illusionen in Faust II werden durch ihre vermittelnde Kraft verbunden: der Regenbogen ist die vermittelte Illusion der Sonne; die Geldscheine sind eine illusorische Art des Geldes; die Maskerade ist in einer gewissen Weise eine MetaIllusion, die auch funktioniert, um Euphorion (eine Figur der Übersetzung) einzuführen; wegen ihrer Vermittlung zwischen der Ober und Unterwelt können wir auch Helena in einem ähnlichen Kontext verstehen. Da die Rollen dieser Illusionen in manchen Weisen in der Vermittlung basiert werden, haben diese Rollen viel mit dem Geld gemeinsam. Diese Illusion steigt die früherer Begriffe des Geldes als „substantiv“ oder „sprachlich“ über und nimmt ihre eigene Logik an. In dieser Weise ist Goethes Betrachtung des Geldes in Faust II ein Grundstein für eine postmoderne Ökonomie; in der postmodernen Ökonomie ist das Geld zur gleichen Zeit beerdigt und ausgegraben, konkret und abstrakt.
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Einführung zu Novelle
Transition from Faust II. Goethes Novelle erschien zuerst im Jahre 1797 als Gedicht Die Jagd.
Nach mehreren Fassungen wurde der Text 1828 endlich veröffentlicht. Allgemein geht es in diesem Text um den Ausbruch eines Feuers, die folgende Flucht zweier Tiere und die Wiederherstellung der Ordnung; aber genau wie in dem Märchen scheint die Handlung fast zufällig zu sein, indem die Bedeutung durch eine hoch symbolische Landschaft vorgestellt wird. Solche landschaftlichen Gegebenheiten wie der Markt, der Fluss, die Berge und die Ebenen nehmen teil an symbolischen Beziehungen, die zu einem sehr ökonomischen Kontext passen. Wegen der stark ökonomischen Natur dieses Textes, ist es nützlich, unsere Interpretation in der Geschichte zu begründen; die Zeitepoche, in der die Novelle geschrieben wurde, spielt also eine sehr große Rolle in unserem Verständnis dieses Textes. Mit Bezug auf Das Märchen habe ich gesagt, daβ es teilweise eine Reaktion auf die französische Revolution war. Aber wo Das Märchen rückschrittlich ist, ist Die Novelle viel prophetischer, indem manche der ökonomischen Aspekte des Textes Hauptthemen und –gründe für die Revolutionen von 1848 waren. Der Anstieg eines deutschen Bürgertums und seine Beziehung mit diesem neuen sprachlichen Geld ist die treibende Kraft hinter der Handlung; die konstruktive und zerstörende Natur dieses Geldes erscheint als eine Art der Zauberei und dieses zauberische Geld vereinigt das Reich durch die kartographischen Beziehungen einer geographischen Ökonomie. Historischer Hintergrund zum Marktfeuer
Der Fortschritt der Handlung gilt als eine Rundfahrt durch eine hoch symbolische Landschaft.
Der Text beginnt, als der Fürst und seine Begleitung sich darauf vorbereiten, jagen zu gehen. Die Fürstin darf aber nicht mitkommen; stattdessen erzählt der Junker Honorio ihr die Geschichte der Stammburg. Die Stammburg funktioniert als ein Gegensatz zu der neuen Burg, die die Stadt überschaut. Diese Stadt
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beinhaltet auch einen Markt; wo die Stammburg alt und ein Teil des Waldes ist, ist die Stadt ein geschäftiges Hadelszentrum. Auch wissen wir, daβ die Stadt ziemlich neu wegen eines früheren Feueres ist (Novelle 9). Honorio hat auch ein Fernrohr dabei und sie gucken die Stammburg damit an. Die alte Stammburg sieht sehr schön aus und sie entschlieβen sich, die Stammburg zu besuchen; sie gehen in den Wald und überqueren einen Fluβ, der das Reich mit fernen Ländern verbindet. Bei der Stammburg gibt es einen wunderschönen Ausblick. Sie sehen den Ausbruch eines Feuers beim Marktplatz und haben bald keinen Gebrauch für das Fernrohr, denn das Feuer wird sehr gross und kann von weitem mit dem bloβen Auge gesehen werden. Der Ursprung des zentralen Konflikts der Handlung stammt aus diesem Marktfeuer. Da dieses Feuer an einem Ort stattfindet, der mit der Bevölkerung assoziiert wird, kann man dieses Feuer leicht als ein soziologisches Ereignis verstehen. Erst brauchen wir aber ein wenig historischen Hintergrund, um dieses Feuer wirklich zu verstehen. Wo Goethes Märchen Bezug auf die Geschichte (bzw. die französische Revolution) nimmt, ist Goethes Novelle prophetisch, indem sie den Aufstieg und die Folgen des Aufstiegs des deutschen Bürgertums beschreibt. Die Zeitperiode, in der Novelle veröffentlicht wurde, war zwischen der französischen Revolution und den Revolutionen von 1848; diese Jahre waren entscheidend für die Entwicklung des deutschen Nationalstaats und des modernen Begriffs des Geldes. Zu der Zeit bestand Deutschland aus den Reststoffen des Heiligen Römischen Reiches—fragmentierte Fürstentümer, die noch sehr landwirtschaftlich waren. Genau wie es verschiedene Dialekte in diesen Fürstentümern gab, gab es auch verschiedenen Münzen; diese Münzen vereinigten Gesellschaften wie Sprachen. Die deutschen Staaten erlebten ihre erste Phase der Industrialisierung von 1815 bis 1848; zu dieser Zeit wuchs auch die Bevölkerung der deutschen Staaten um 60 Prozent. Wegen des ansteigenden Einkommensunterschieds fing das deutsche Bürgertum in dieser Zeit an sich von den Unterschichten zu unterscheiden. Dadurch
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wurde das Bürgertum wirklich eine soziale Kraft an sich (Boyle 14). Aber dieses neue Bürgertum war auf keinen Fall eine revolutionäre Macht wie in Frankreich. Stattdessen waren die Revolutionen von 1848 in den deutschen Ländern viel fragmentierter: Involved in the German revolutions were a number of different strands: popular unrest, often rather defensive and reactionary in nature [...]; liberal political demands for constitutional rule [...]; and nationalist demands for the unification of Germany. Insofar as there was any workingclass protest, it was largely limited to demands for immediate improvements in wages and working conditions: 1848 was no proletarian revolution in the Marxist sense (Fulbrook 116). Trotz ökonomischer Krise und weit verbreiteter Hungersnot gelang es der Revolution von 1848 nicht, populären Schwung zu kriegen. Deswegen nennen viele Historiker diese Zeitperiode „a turning point where Germany failed to turn“ (ibid. 122). Manche sagen sogar, daβ Deutschlands Untergang in den Faschismus eine Folge seiner unrevolutionären Geschichte ist. Also was ist dann das Erbe der Revolution von 1848? Meiner Meinung nach war die Revolution ein Ausdruck der Anfangsschwierigkeiten des neuen deutschen Bürgertums. Da das Bürgertum keine politische oder ökonomische Stimme finden konnte, fand es seine Stimme in der Literatur; Goethes Novelle und ähnliche Werke dienten als ein Muster für seinen Ausdruck. Zu dieser Zeit war der Klerus ein wichtiger berufliche Weg für junge Männer in dem Bürgertum und diese Ausbildung schaffte eine ganze Generation, die stark mit der Literatur interagierten. Das fragmentierte Bürgertum konnte sich durch sprachliches Geld und geldliche Sprache vereinigen. Aber dieses neue zauberische Geld konnte auch Zerstörung bewirken; was zuerst wie ein Konflikt zwischen einer vereinigenden und einer zerstörenden Zauberei aussieht, wird in der Novelle eine Rede, deren zwei Aspekte einander ergänzen (auch sollen
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wir hier an Märchen erinnern, in dem die Irrlichter und die Lampe ergänzende Aspekte der Kraft des Geldes sind). Das Marktfeuer steht also im Kern unseres Verständnis dieses Textes; für Goethe war dieses zauberische Geld genau so unberechenbar und gefährlich wie ein Feuersturm. Eine Geographische Ökonomie
Die sozioökonomische Dimension des Marktfeuers findet in dem weiteren Kontext dieser
symbolischen Landschaft statt; allerdings ist viel von dem Inhalt des Textes Beschreibungen von verschiedenen Gegebenheiten und den Beziehungen zwischen diesen Gegebenheiten der Landschaft. Wegen der Wirkungen zwischen diesen Gegebenheiten können wir die Landschaft, in der Novelle stattfindet, als ein ökonomisches System auffassen; die Stadt ist eigentlich ein Handelzentrum, der Fluss ist vorrangig eine Handelsstraβe, und die disparaten Teile dieses Reiches (die Ebenen und Gebirge) interagieren miteinander durch den Handel. Die Landschaft wird auch von Jane Brown, einer Literaturkritikerin and der Universität Yale, in ihrem Aufsatz The Tyranny of the Ideal: The Dialectics of Art in Goethe’s Novelle als ein kartographisches System beschrieben; aber in diesem Aufsatz wird die Beziehung zwischen dieser Landschaft und verschiedenen Arten der Kunst betont: „The world of the ‚Novelle‘ readily divides into lower and higher settings. Below is the new castle and the realm of prose, above is the old ruin and the region of poetry […] Between these two realms lies the stony area where the confrontation with the tiger takes place. The stony land is a barrier which certain characters, like the ruling family, cannot cross; at the same time it is the place where the major shift, the decision not to kill the lion, takes place” (Brown 218). Hier gibt es zwei Ebenen der Vermittlung: Sprache vermittelt zwischen den Künsten und das Geld vermittelt zwischen den geographischen Orten dieses Landes. Dieses Reich wird also von
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ökonomischem Tausch verbunden, der als eine Art der Sprache gilt und diese sprachliche Darstellung des Geldes ist zentral für Goethes Beschreibung des Bürgertums, weil Sprache und ökonomischer Tausch dem Bürgertum erlauben, sich auszudrücken. Markt und Stadt Die Bevölkerung und die Ökonomie werden stark miteinander verbunden, denn der Markt liegt in der Mitte der Stadt. Wenn die Prinzessin und der Fürst auf ihrem Weg zur Stammburg durch den Markt reiten, gibt es ein Volksfest. Der Fürst sagt der Prinzessin: „ich reite niemals gern durch Markt und Messe: bei jedem Schritt ist man gehindert und aufgehalten“ (Novelle 8). Diese Passage ist eine deutliche Ablehnung einer demokratischen Ökonomie, denn der Markt und das Volksfest verhindern nicht nur den Fortschritt durch die Stadt, sondern auch den Fortschritt im allgemeinen. Auch fängt das Feuer im Markt an. Die Prinzessin und Honorio sehen den Ausbruch des Feuers, als sie in den Wald gehen: „Honorio, der indessen durch das Sehrohr nach der Stadt geschaut hatte, rief: Seht hin! Seht hin! Auf dem Markte fängt es an zu brennen. Sie sahen hin und bemerkten wenigen Rauch, die Flamme dämpfte der Tag. Das Feuer greift weiter um sich!“ (Novelle 14). Mit Bezug auf diese Passage können wir hier weitere Verbindungen zu den europäischen Revolutionen dieser Zeitperiode machen. Zum Beispiel war die französische Revolution im Grunde eine demokratische Bewegung, aber sie entwickelte sich bald in die Napoleonischen Kriege. Der Markt ist die Quelle mancher Probleme in Novelle. Wegen seiner Lage in der Mitte der Stadt und des Volksfests ist der Markt untrennbar mit der Bevölkerung und der Demokratie assoziert. Goethe beschreibt ökonomische Kraft in einem sehr launenhaften Licht, dem die launenhafte Natur einer demokratischen Gesellschaft entsprechen soll. Auch wichtig ist die Tatsache, daβ das Feuer in der Abwesenheit der Prinzessin und Honorio ausbricht; die Kraft des Geldes ist zu groβ, mit dem Volk betraut zu werden. Dass die neue Burg den Markt
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überschaut, entspricht dieser verantwortlichen Stelle der herrschenden Klasse. Genau wie neue Währungen revolutionär sind, ist auch der Akt der Sprache revolutionär; das Feuer ist eine direkte Folge dieser Verbindung. Die Stammburg
Im Licht seiner Kritik gegen eine demokratische Ökonomie, was stellt Goethe als eine Lösung
vor? Wir finden die Antwort in der Stammburg. In dieser symbolischen Landschaft gilt die Stammburg als das Gegenstück zum Markt und den neuen Burg und es gibt starke Parallelen zwischen diesen Orten. Diese Verbindung erscheint in der Sehkraft, weil diese Orte oft durch die Sicht verbunden werden. Die Sicht war für Goethe eine sehr wichtige Kraft; deswegen schrieb er über seine Theorie der Optik in seinem Werk Farbenlehre. Brown sagt mit Bezug auf diese Betonung auf Sicht: „Visual elements dominate the structure of the Novelle. The conversations with Eckermann keep reverting to the pictorial qualities of the Novelle with terms like ‚Verteilung von Licht und Schatten,‘ ‚Bild,‘ ‚genaue Zeichnung,‘ wie ein Maler,‘ and ‚Landschaftszeichnen.‘“ (Brown 219). Diese Optik ist besonders sichtbar in der Beziehung zwischen Stammburg und Markt. Wir haben früher gesehen, wie die Fürstin und Honorio das Marktfeuer ansehen, als sie nahe der Stammburg im Wald sind. Die Fürstin sieht aber auch die Stammburg von der neuen Burg an: „Sie fand das treffliche Teleskop noch in der Stellung, wo man es gestern abend gelassen hatte, als man, über Busch, Berg und Waldgipfel die hohen Ruinen der uralten Stammburg betrachtend, sich unterhielt, die in der Abendbeleuchtung merkwürdig hervortraten, indem alsdann die gröβten Licht und Schattenmassen den deutlichsten Begriff von einem so ansehnlichen Denkmal alter Zeit verleihen konnten“ (Novelle 5). In dieser Beziehung gilt das Sehrohr als das Tauschmedium, das diese Beziehung erlaubt. Durch die Figur des Zeichners gibt es auch eine Betonung der Darstellung. In seinem Portefeuille von Bildern gibt es vielleicht das beste Beispiel dieser
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Beziehung zwischen den zwei Burgen. Die Stammburg verwilderte mit der Zeit und existiert nun in einem Zustand zwischen Zivilisation und Natur: „Hier wo man, den Hohlweg durch die äußern Ringmauern heraufkommend, vor die eigentliche Burg gelangt, steigt uns ein Felsen entgegen von den festesten des ganzen Gebirgs; hierauf nun steht gemauert ein Turm, doch niemand wüßte zu sagen, wo die Natur aufhört, Kunst und Handwerk aber anfangen“ (ibid. 6). Der Zeichner malt Bilder von der Stammburg und wo werden diese Bilder ausgestellt? An einem anderen Ort, der zwischen Natur und Zivilisation existiert: „Wir wollen mit diesen Bildern unsern Gartensaal zieren“ (ibid. 7). Diese verschachtelte Darstellung funktioniert als ein Gründungsmythos. Goethe neigt zu etablierten Autoritäten und diese Darstellung erschafft den Wert und Kredit der Burg. Andere wichtige Figuren beziehen sich auch auf diese Parallelbeziehung zwischen Stammburg und Markt: zum Beispiel Honorio und der Tiger, und der Knabe und der Löwe. Nachdem Honorio und die Fürstin das Marktfeuer gesehen haben, versuchen die zwei, zur Stadt zurückzukehren. Sie treffen aber bald auf den Tiger, den sie früher beim Marktplatz angesehen hatten. Die Fürstin flieht und Honorio verfolgt den Tiger, als er die Fürstin jagt. Wegen ihrer Eile lässt ihr Pferd sie fallen; jedoch rettet Honorio sie rechtzeitig mit seiner Pistole (Novelle 17). Dass der Tiger die Fürstin bedroht, zeigt uns, daβ der Zorn des Volkes und die Kraft des Geldes nicht vor der Zerstörung des Marktes zurückschrecken; sie greifen auch die Adligen an, weil sie für dieses ökonomische System verantwortlich sind. Kurz nach der Rettung der Fürstin kommen die Jagdpartei und eine Zigeunerfamilie. Die Zigeuner trauern sich darüber, daβ Honorio den Tiger tötete. Der Löwe bleibt aber noch frei und die Zigeuner wollen ihn bezwingen. Stattdessen wollen Honorio und der Fürst den Löwen einfach töten. Endlich stimmen sie überein, daβ der Zigeunerjunge erst versuchen kann, den Löwen mit Musik zu zähmen. Sie verfolgen den Löwen zu der alten Stammburg, wo der Löwe sich niederlässt. Der Junge
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tritt in den Hof der Stammburg ein, der jetzt wie ein Kampfplatz geworden ist. Als der Junge zu singen anfängt, schmiegt sich der Löwe an den Jungen. Der Junge bemerkt, daβ es einen Dorn im Ballen des Löwen gibt. Von seinem Gesang gezähmt, erlaubt der Löwe dem Jungen den Jungen, den Dorn abzulösen (ibid. 1929). Also werden beide Tiere, die von der zerstörenden Kraft des Geldes befreit wurden, auf zwei verschiedene Weisen besiegt. Was dann zeigt uns die Parallelbeziehung zwischen Honorio und dem Tiger und dem Knaben und Löwen? Ich meine: da der Löwe ohne Gewalt gezähmt wird, schlägt Goethe dabei vor, daβ der Gesang und die verwandte Sprache eine privilegierte Stellung haben, Kraft zu vermitteln. Die Stammburg ist auch eine etablierte Kraft und die Zähmung des Löwen zeigt, daβ Goethe zu solchen etablierten Autoritäten neigt. Ebenen und Gebirge
Die Ebenen und die Gebirge sind disparate Teile dieser geographischen Ökonomie und
teilen die Landschaft entzwei. Am Anfang des Textes sagt die Prinzessin: „Seitdem der Fürst gestern mir Anlaβ zu diesen Übersichten gegeben, ist es mir gar angenehm zu denken, wie hier, wo Gebirg und flaches Land aneinander grenzen, beide so deutlich aussprechen, was sie brauchen und was sie wünschen. Wie nun der Hochländer das Holz seiner Wälder in hundert Formen umzubilden weiβ, das Eisen zu einem jeden Gebrauch zu vermannigfaltigen, so kommen jene drüben mit den vielfältigsten Waren ihm entgegen, an denen man den Stoff kaum unterscheiden und den Zweck oft nicht erkennen mag“ (Novelle 9). In dieser Passage braucht man keine interpretative Linse, um diese Passage in einem ökonomischen Licht zu verstehen, denn Goethe beschreibt die Beziehung zwischen Gebirgen und Ebenen ausdrücklich als eine ökonomische Beziehung. Allerdings ist der ökonomische Tausch für diese Leute wirklich eine
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Sprache, weil das Geld diesen Leuten zu wissen erlaubt, „was sie brauchen und was sie wünschen.“ Auch wird in dieser Passage das physische Werkzeug der Ökonomie abgelehnt, denn keine Münzen werden hier getauscht. Stattdessen werden Worte getauscht. Diese Worte verkörpern den bloβen ökonomischen Akt des Tausches, der diesen Markt schürt; der Tausch ist also die Sprache dieses Marktes. Simmel bespricht den Tausch „als Lebensform und als Bedingung des wirtschaftlichen Wertes“ (Simmel XI). In dieser Beschreibung bezeichnet Simmel jede Wechselwirkung als einen Tausch: „jede Unterhaltung, jede Liebe [...], jedes Spiel, jedes Sichanblicken“ (ibid. 34). Wegen der untrennbaren Natur dieser Beziehung zwischen menschlichem Leben und ökonomischem Tausch können wir sagen: wenn das Bürgertum an diesem Tausch teilnimmt, ist diese Teilnahme eine Art der Selbstverwirklichung. Die Fürstin und Honorio sehen diesen Tausch direkt, als sie durch den Markt reiten: „Untereinander gemischt standen Bergbewohner, die zwischen Felsen, Fichten, und Föhren ihre stillen Wohnsitze hegten, Flachländer von Hügeln, Auen und Wiesen her, Gewerbsleute der kleinen Städte und was sich alles versammelt hatte. Nach einem ruhigen Überblick bemerkte die Fürstin ihrem Begleiter, wie alle diese, woher sie auch seien, mehr Stoff als nötig zu ihren Kleidern genommen“ (Novelle 10). Wegen der Kleidung des Volkes, können wir ahnen, daβ dieser Tausch groβen Reichtum unter dem Volk bewirkt. Das Geld erlaubt Verständnis und Einigkeit zwischen sonst ungleichen Leuten. Ohne den Markt würden die Ebenen und die Gebirge in Stase liegen; sie brauchen eine ökonomische Bevölkerung, um sie lebendig zu machen. Der Fluss Mit Bezug auf die verfehlte Revolution von 1848 sagt Fulbrook: „[t]he weaknesses of revolutionary forces in Germany were hence evident from the start: it took a spark from outside to ignite the revolution“ (Fulbrook 117). Ich meine: in dem geographischen System der Novelle ist es der Fluss,
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der dieses Feuer katalysiert. Diese Funktion stammt aus der Verbindung mit dem Ausland; diese Verbindung mit dem Ausland ist sozusagen „a spark from outside.“ Der Fluss spielt also eine groβe Rolle in der symbolischen Konstellation der Landschaft, obwohl der Fluss nur in einer einzigen Passage beschrieben wird: „Der Weg führte zuerst am Flusse hinan, an einem zwar noch schmalen, nur leichte Kähne tragenden Wasser, das aber nach und nach als gröβter Strom seinen Namen behalten und ferne Länder beleben sollte“ (Novelle 12). Wegen dieser Passage können wir ahnen, daβ die Zigeuner irgendwie mit diesen fernen Ländern verbunden sind, denn die Zigeuner werden als Fremde beschrieben. In der Tat sprechen die Zigeuner keine menschliche Sprache. Als die Zigeunerin den toten Tiger sieht, weint sie: „Den gewaltsamen Ausbrüchen der Leidenschaft dieses unglücklichen Weibes folgte, zwar unterbrochen stoβweise, ein Strom von Worten, wie ein Bach sich in Absätzen von Felsen zu Felsen stürzt. Eine natürliche Sprache, kurz und abgebrochen, machte sich eindringlich und rührend“ (ibid. 1920). Die Zigeuner sind zur gleichen Zeit auβerhalb der Ökonomie und der Sprache. Sie sind keine echten Menschen, denn sie sprechen keine Sprache der Zivilisierten, die Sprache des ökonomischen Tausches. Kapitelschluss
Genau wie in seinem Märchen finden wir in Goethes Novelle eine reiche Konstellation von
ökonomischer Bedeutung. Wir kriegen diese Bezieung aus den Beziehungen zwischen verschiedenen Aspekten der Landschaft. In dieser Weise liest sich Novelle als eine Landkarte; der Markt funktioniert als das ökonomische und soziale Zentrum des Landes, die Ebenen und Gebirge bringen ungleiche Völker zusammen, und der Fluss verbindet das Land mit dem Rest der Welt. Obwohl die Gegebenheiten dieser Landschaft oft sehr disparat scheinen, werden sie durch die verbindende Kraft des Geldes vereinigt. In der Tat ist das Geld wirklich eine Sprache für dieses Land.
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Schluss
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