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Das Buch der Gitas D i e E s s e n z d e s A d v a i t a Ve d a n t a Swami Sivananda
Das Buch der Gitas Die Essenz des Advaita Vedanta Swami Sivananda
Da s Bu c h d er G i ta s D i e E s s e n z d e s A d v a i t a Ve d a n t a Sw ami Si va nan da
Lizenzbestimmung: Dieser Text ist frei und unverkäuflich und kann ohne Absprache weiterverbreitet, uneingeschränkt zitiert und in anderen Schriften verwendet und bearbeitet werden. Er steht bei SCRIBD zum kostenlosen Download zur Verfügung: http://www.scribd.com/clemens-vargas-ramos Die kommerzielle Verwertung dieses Textes ist gestattet. Die Ware soll dann zum Selbstkostenpreis angeboten oder der Gewinn für wohltätige Zwecke gespendet werden. Diese Lizenzbestimmung hebt alle anderen Lizenzbestimmungen auf. Sie soll bei jeder Verwendung des Textes unverändert wiedergegeben werden. Clemens Vargas Ramos, im Dezember 2009
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Genehmigte Übersetzung von Clemens Vargas Ramos des Buches Sarva Gita Sara, ©The Divine Life Trust Society, 3. Ausgabe 1999. Dieses Buch enthält Exzerpte verschiedener Gitas, der indischen heiligen Gesänge und Lehrgedichte, zusammengestellt von Seiner Heiligkeit Sivanandaji Maharaji (1887-1963). Die begleitenden Sanskrit-Strophen zum Text wurden weggelassen. Die Anmerkungen sind von Clemens Vargas Ramos. Fertiggestellt in Bremen, Dezember 2009. Zuletzt
bearbeitet am 26.12.2009.
Inhaltsverzeichnis Widmung ----------------------------------------------------------------9 Vorwort des Herausgebers ---------------------------------------11 Einführung ------------------------------------------------------------15 Die Guru Gita ---------------------------------------------------------19 Die Essenz der Guru Gita -----------------------------------19 Die wichtigsten Gitas ----------------------------------------------26 Die Essenz der Ashtavakra Gita --------------------------26 Die Essenz der Avadhuta Gita -----------------------------36 Die Essenz der Bhagavad Gita ----------------------------49 Die kleineren Gitas -------------------------------------------------59 Die Essenz der Anu Gita ------------------------------------59 Die Essenz der Brahma Gita ------------------------------65 Die Essenz der Janaka Gita ---------------------------------71 Die Essenz der Rama Gita (1) -----------------------------75 Die Essenz der Rama Gita (2) -----------------------------80 Die Essenz der Ribhu Gita ----------------------------------93 Die Essenz der Siddha Gita --------------------------------95 Die Essenz der Uttara Gita ---------------------------------97 Die Essenz der Vasishtha Gita ---------------------------102 Verschiedene Gitas -----------------------------------------------109 Die Essenz der Baka Gita ---------------------------------109 Die Essenz der Bhikshu Gita -----------------------------111 Die Essenz der Gopi Gita ----------------------------------113 Die Essenz der Hamsa Gita -------------------------------116 Die Essenz der Jivanmukta Gita -------------------------119 Die Essenz der Kapila Gita --------------------------------121 Die Essenz der Nahusha Gita ----------------------------123 Die Essenz der Narada Gita ------------------------------126 Die Essenz der Pandava Gita ----------------------------128 Die Essenz der Rishabha Gita ---------------------------132 Die Shaunaka Gita ------------------------------------------134 Die Essenz der Sruti Gita ----------------------------------138 Die Essenz der Venu Gita ---------------------------------141 Die Essenz der Vyadha Gita ------------------------------143
Die Essenz der Yudhishthira Gita -----------------------145 Die Essenz der Moksha Gita ------------------------------148
Widmung
OM Geliebter Sucher, dieses Buch der Gitas ist der himmlische Schlüssel für dich, mit dessen Hilfe du den Eintritt in das Reich des Göttlichen Lebens und der Fülle erhältst. Diese Gitas enthalten lebenspendende Botschaften von erleuchteten Sehern. Sie haben die Macht, dein Leben von Grund auf zu verwandeln. Beginne mit dem Erhalt dieses Buches ein neues Leben. Setze die hier enthaltenen Unterweisungen in deinem Leben um – LEBE die Botschaften dieser Gitas. Lass dich inspirieren. Hebe dich selbst auf eine höhere Stufe. Werde erleuchtet. Übe und werde vollkommen. Mögest du als ein göttliches Wesen leuchten! Mögen diese Gitas dich zur Glorie führen! Sivananda
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Vorwort des Herausgebers Der Advaita Vedanta ist die Krone und der Ruhm der indischen Philosophie. Der indische Genius ist herausragend hinsichtlich seines toleranten Geistes und seiner Universalität. „Ekam sat viprah bahudha vadanti“, erklären die Schriften („Die Wahrheit [Gott] ist Eine. Sie wird von den Weisen mit verschiedenen Namen bezeichnet.“). Obwohl dieser Genius nachdrücklich versichert, dass die Wahrheit EINE ist, gibt er bereitwillig den verschiedenen Ausdrucksformen dieser Einen Wahrheit Raum. Diese Wahrheit ist das Ziel und der Endzweck des menschlichen Lebens – als solche ist sie auch für den Geringsten unter den Menschen da. Die Weisen haben jedoch erkannt, dass nicht alle Wesen denselben Grad an Verstehen und Meisterschaft aufweisen. Aus diesem Grunde enthält das reiche spirituelle Erbe Indiens all die zahlreichen Farben und Abstufungen, wie diese aus den unterschiedlichen Werken der Erläuterung und Belehrung entstanden sind. All diese verschiedenen Darstellungsformen und Erklärungsstile sind aus der Anpassung an die vielen Arten der menschlichen Fassungskraft heraus emporgewachsen, um die Assimilation und das Begreifen der Bedeutung der Schriften zu erleichtern. Das Unendliche der Wahrheit erlaubt keinerlei Verkürzung oder Entstellung durch ein einziges Erklärungsmodell oder eine einzige, eingeschränkte Ausdrucksweise. Die dunkelsten und am schwersten zu verstehenden Werke sind die Upanishaden und die Brahma Sutras, anspruchsvolle Abhandlungen, die die Gipfelpunkte der sublimen Vedanta-Philosophie berühren. Entsprechend dem hohen philosophischen Geist, den sie enthalten, sind sie dem gewöhnlichen Menschen nicht zugänglich. Als einer der wichtigsten Gründe dafür wäre als erstes ihre Sprache zu nennen, die geheimnisvoll und archaisch ist. Zweitens sind sie in einem Stil verfasst, der stark gestrafft und aphoristisch ist. Nur wenige Personen vermögen sie ohne weitere Erläuterung und ausarbeitende Darstellung zu verstehen. Weiterhin gibt es die strenge, orthodoxreligiöse Tradition, die es nur den Sannyasins (ordinierten Mönchen) erlaubt, ein Studium der Upanishaden
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aufzunehmen, während es dem Laien normalerweise verwehrt ist, zu den Höhen des überweltlichen Wissens aufzusteigen. Aus diesem Grund entstanden schließlich die Smritis, die Itihasas, die Puranas1 und auch einfachere und grundlegendere Texte wie die zahlreichen Gitas (Gesänge und Lehrgedichte), wie sie in dieser Textsammlung enthalten sind. Die Überlieferung der Gitas überwindet die zuvor beschriebene Hürde auf bewundernswerte Weise und bringt allen Suchern nach der spirituellen Wahrheit unabhängig von der Tradition, zu der sie gehören, die nachhaltige Inspiration und Größe des höchsten absoluten Monismus näher. Die Gitas enthalten die Höhenflüge des großartigen Advaita-Vada2. Ihre außerordentliche thematische Breite bietet uns die Essenz der Philosophie und Religion, des spirituellen Sadhana3, des Dharma4 und der Psychologie. Darüber hinaus vollbringen sie dieses Werk in einer leicht fasslichen Sprache, die auch dem Laien verständlich ist. Weiterhin sind diese Texte ganz und gar nicht mühselig und trocken zu lesen, sondern im Gegenteil ein Ausdruck herrlicher, poetischer Schönheit – so sublim und inspirierend, dass der Leser ihren Inhalt unversehens gleichsam automatisch und ohne Anstrengung in seinem Herzen beständig wiederholt findet. Sri Swami Sivananda war immer bestrebt gewesen, auch die anspruchsvollste Philosophie so zu vereinfachen und darzustellen, dass sie jeder Person und jedem Temperament zugänglich werden konnte. Seine Leser kennen ihn als jemanden, der erfolgreich die wichtige Aufgabe in Angriff genommen hat, dem modernen Menschen die Essenz der indischen Philosophie und Spiritualität in gedrängter Form und in einem klaren Stil nahezubringen. Die große Philosophie all der voluminösen Schriften findet sich in dieser Textsammlung hier auf engstem Raum wieder.
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Smritis, Itihasas, Puranas: die religiösen Geschichten, die Worte der Seher und die spirituellen Epen Doktrin des Nondualismus die spirituelle Praxis der Verwirklichung der Lehre das Verständnis der Lebenspflichten
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Es ist dieser besondere Wert solcher Werke, der sich der großen Mehrheit der Leser und spirituellen Sucher empfiehlt. Im vorliegenden Buch haben wir danach gestrebt, eine Auslese der verschiedenen, herrlichen Gitas, wie sie in den heiligen Schriften verzeichnet sind, zu präsentieren. Ihr Inhalt wird sich als inspirierend, informativ, erleuchtend und ungemein hilfreich in praktischer Hinsicht und im Hinblick auf die eigene spirituelle Führung erweisen. Dieses Buch ist gleichzeitig ein wertvolles Textbuch und ein Gefährte auf dem spirituellen Weg, ein ständiger Begleiter für den Einzelnen und für alle. Wir zweifeln nicht daran, dass aus diesem Buch Ströme von Frieden und Freude auf alle herniederregnen werden. THE DIVINE LIFE SOCIETY
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Einführung Gita bedeutet Gesang. Gesang und Dichtung sprechen das menschliche Herz unmittelbar an. Ein und dasselbe Thema, dieselben Wahrheiten, werden, sobald sie in Verse gekleidet sind, eingänglicher und eindringlicher als durch Prosasprache. Verse sind ja so schön zu rezitieren und so leicht zu erinnern! Poesie inspiriert – daher haben die Rishis, die Seher, der alten indischen Zeit ihre sublimen Unterweisungen (Upadesha) in majestätische Verse gefasst. Aus diesen ihren poetischen Kompositionen bestehen die verschiedenen Schriften wie die Itihasas, die Puranas, das Yogavasishtha usw. Sie enthalten die meisten der Gitas, die in diesem Buch in einer Auswahl enthalten sind. Die klassischste und gewaltigste unter ihnen ist die großartige Srimad Bhagavad-Gita. Die Gitas werden dich verstehen lassen, dass sie die Darlegungen der bedeutendsten Erkenntnisse aus der Philosophie, dem Dharma und dem Yoga-Sadhana enthalten, wie sie von den erleuchteten Sehern und riesenhaften, spirituellen Persönlichkeiten eines heiligen Landes erteilt worden sind. Sie verkörpern die Lehren großer Siddhas1 und TrikalaJnanis2 wie Dattatreya, Vasishtha und Rishbabha-Deva. Du wirst den erlesenen Sinn und unvergleichlichen Wert dieser herrlichen Gitas und der göttlichen, poetischen Werke schätzen lernen. Sie sind Edelsteine, die in den ungeheuren Minen des schriftlichen Vermächtnisses der Hindus gesammelt wurden. Weil sie die Emanationen selbstverwirklichter, großer Seher sind, werden sie dich mit unfehlbarer Sicherheit ansprechen, inspirieren und erbauen. Sie enthalten Instruktionen und Antworten auf die eifrigen Fragen ernsthafter und hingegebener Sucher, die von Jivanmuktas3 und Aparoksha-Jnanis4 gegeben wurden. Den Aspiranten aller Stufen haben sie daher wertvollen Rat und praktische Anleitung zu bieten. Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis wird dir die Anordnung der Texte klar machen, die hier vorgestellt 1 2 3 4
Personen mit großen spirituellen Kräften eine erleuchtete Person, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kennt spirituell befreite Personen Weise, die das göttliche Selbst verwirklicht haben
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werden. Gleich das erste Kapitel enthält die Guru Gita. Sie ist der spirituelle Lehrer, der dem geliebten Schüler die Tür aufschließt, die ihm den Eintritt in das prachtvolle Haus der Wahrheit und des transzendentalen Lebens gewährt. Das zweite Kapitel enthält zuerst zwei großartige Werke zur Darlegung der Philosophie des höchsten Advaita und dann die Essenz der Bhagavad-Gita, welche die Essenz der Sadhanas beschreibt, mit deren Hilfe diese Wahrheiten verwirklicht werden. Im Kapitel 3 behandeln dann fast alle der kleineren Gitas knapp und eindrucksvoll den Advaita Vedanta und das Para-Vairagya1. Das letzte Kapitel bildet mit den besten und wertvollsten Upadeshas2 über die wichtigsten, sich aus dem spirituellen Leben ergebenden Fragestellungen einen sinnvollen Abschluss des Ganzen. Die verschiedenen Gitas dieses Kapitels verschaffen dir eine erleuchtende Führung zu den Themen des Sadachara, Dharma, Upasana, Guru-Bhakti, Vichara, Vairagya3 und zu anderen, ähnlichen Themen. Das ernsthafte Studium dieses Buches wird dir daher eine enorme Hilfe beim Erlangen des höchsten Zieles in diesem Leben sein. Diese Sammlung der Gitas ist eine ausgewählte Zusammenstellung der wichtigsten Lehren, die der intuitiven Schau der Rishis4 entsprungen sind. Das Lesen auch nur eines kleinen Teils dieses Buches wird dich erbauen und dazu anspornen, hohe spirituelle Ziele zu erreichen. Das tägliche gewissenhafte Lesen dieser Sammlung wird deinen Blickwinkel radikal verändern und dir eine völlig neue Vision von spirituellem Heldentum und Tapferkeit vermitteln. Es wird in dir kraftvolle, neue spirituelle Samskaras5 pflanzen. Gewiss wirst du dadurch zu einem neuen Menschen, einer neuen spirituellen Persönlichkeit werden, denn darin besteht die umwandelnde Macht dieser Gitas. 1 2 3
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höchste (para) Praxis der Entsagung; Verwirklichung der Selbst-Erkenntnis, die in völliger Loslösung von der Welt besteht dpirituelle Unterweisungen Sadachara, Dharma, Upasana, Guru-Bhakti, Vichara, Vairagya: Ethisch einwandfreies Verhalten, Umgang mit Lebenspflichten, spirituelle Annäherungsweisen an das Göttliche, Verehrung des Gurus, Selbsterforschung und Entsagung die Seher des indischen Altertums „Samen“, nachhaltig wirkende Gedankenformen
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Diese Gitas sind für das tägliche Studium gedacht. Du solltest sie daher zu einem Bestandteil deines üblichen Swadhyaya1 machen. Behalte ständig dieses Buch bei dir. Die großartigen Ideen, die in ihm enthalten sind, werden dir den richtigen und wahren Sinn für die Werte des Lebens geben, und dann wirst du nicht wieder so leicht von den flüchtigen Ereignissen dieses vergänglichen Lebens erschüttert werden. Die Früchte eines sorgfältigen Studiums und Verstehens dieses Buches der Gesänge werden vollkommene Heiterkeit, Friede und spirituelle Kraft sein. Mögest du noch in diesem Leben den höchsten Zustand des Jivanmukti2 erreichen! Möge das Studium dieser Gitas dich inspirieren und auf die höchsten Gipfel der advaitischen Verwirklichung tragen! Mögest du die erhabene und herrliche Erfahrung des Atmischen, des Kosmischen Bewusstseins, erlangen! Mögen die Gnade und der Segen der alten Rishis dir unsterbliches Leben und ewige Seligkeit verleihen! 24. Mai 1956
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das tägliche Studium von religiösen Schriften und Büchern, die von verwirklichten Weisen geschrieben worden sind Jivanmukti: der noch im Leben spirituell Befreite; Videhamukti: der nach dem Tode spirituell Befreite
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S. H. Swami Sivanandaji Maharaj
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Die Guru Gita1
Die Essenz der Guru Gita Die Guru Gita enthält ein Gespräch zwischen Siva und Parvati. Sie hebt die Notwendigkeit und überragende Bedeutung der Suche nach einem spirituellen Lehrer (Guru) hervor und lobt dessen Größe. Diese Gita ist ein Loblied für den Guru, den Geber der spirituellen Weisheit. Der Guru wird mit dem Höchsten Absoluten, dem Brahman, gleichgesetzt, und das Brahman wird dabei Selbst als der Guru angesehen. Ohne die Hilfe des Guru kann das Sadhana bzw. die Verwirklichung des Selbst nicht erfolgreich sein. Der Guru ist der Stellvertreter Gottes auf Erden. Er ist der Vermittler zwischen dem Aspiranten und Brahman. Der zerstört die Unwissenheit des Sadhaka2 und öffnet sein Auge der Weisheit. Der Guru wird daher aus Gott verehrt – zwischen dem Guru und Gott sollte kein Unterschied gemacht werden. Wer erlesene und allerhöchste Hingabe an den Guru besitzt, der wohl erwählt worden ist, wird den Ozean des Samsara3 überqueren und den höchsten Zustand des Unsterblichen Brahman erlangen. Darin besteht die Essenz der Guru Gita.
1. Das verheißungsvolle Friedensgebet soll von Anfang an geübt werden, weil es so Sitte bei allen rechtschaffenen Menschen ist und die gewünschte Frucht erbringt. Der Verheißungsvolle Höchste ist Bhagavan Vishnu. Der Lord, der auf Garuda sitzt, ist der Verheißungsvolle. Der
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Die Guru Gita ist eine Schrift bestehend aus 216 Strophen, die dem Weisen Vyasa zugeschrieben wird. Sie ist Bestandteil des viel größeren Skanda Purana, einer spirituellen Erzählung über Leben und Taten des Kartikeya (auch Skanda oder Murugan genannt), eines Sohnes von Shiva und Parvati. spirituell Strebender Welt der Gegensätze, menschliche Welt, Welt aus Krieg und Kampf
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lotosäugige Lord ist der Verheißungsvolle. Der Lord Hari ist die Heimstatt des Verheißungsvollen. 2. Wir werfen uns nieder vor dem Unendlichen Vishnu, der die Fülle ist und auf immer gepriesen wird; der die Ursache des Samens des gesamten Universums ist; der die höchste Manifestation von Sein-Bewusstsein-Seligkeit ist. 3. Wir werfen uns nieder vor dem Guru, der der Zeuge des Intellekts ist; der durch den Vedanta gekannt wird; der die Quelle der Absoluten Bewusstseins-Seligkeit ist; der die Essenz der Wahrheit und der Seligkeit ist. 4. Der Guru ist Brahma. Der Guru ist Vishnu. Der Guru ist Siva. Der Guru ist das Höchste Brahman Selbst. Wir werfen uns vor diesem Guru nieder. 5. Wir werfen uns nieder vor diesem Guru, der durch die Augensalbe der Erkenntnis das Auge desjenigen geöffnet hat, der von der Finsternis der Unwissenheit geblendet war. 6. Wir werfen uns nieder vor diesem Guru, der die Wahrheit des Wortes „DU“ aufgezeigt hat; der das gesamte Universum der beweglichen und unbeweglichen Schöpfung mit all ihren bewegten und unbewegten Kreaturen durchdringt. 7. Wir werfen uns nieder vor diesem Guru, der die Wahrheit des Wortes „DAS“ aufgezeigt hat; der die bewegliche Schöpfung in der Gestalt des Ungeteilten Unendlichen durchdringt. 8. Wir werfen uns nieder vor diesem Guru, der die Bedeutung des Wortes „BIST“ (in: „Das bist Du“) aufgezeigt hat; der in der Gestalt dieser Masse des Bewusstseins das Ganze der drei Welten mit all ihren beweglichen und unbeweglichen Kreaturen durchdringt. 9. Wir werfen uns nieder vor diesem Guru, der jenseits von Nada, Bindu und Kala1 ist; der Reines Bewusstsein, der der Ewigliche, der der Friedvolle, der jenseits des Raumes und der der Unbefleckte ist. 10. Wir werfen uns nieder vor diesem Guru, aufgrund dessen Existenz die Welt existiert; aufgrund dessen
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Nada, Bindu, Kala: Klang, Ausgangspunkt der Vielfalt, Zeit
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Überfülle die Welt erhellt wird; aufgrund dessen Seligkeit alle glückselig sind. 11. Da ist keine Wirklichkeit außerhalb dieses Gurus. Da ist keine Buße außerhalb dieses Gurus. Da ist keine Erkenntnis außerhalb dieses Gurus. Wir werfen uns daher nieder vor diesem Guru. 12. Die Gestalt des Gurus ist die Wurzel aller Meditation. Die Füße des Gurus sind die Wurzel aller Verehrung. Die Unterweisung des Gurus ist die Wurzel aller Mantras. Die Gnade des Gurus ist die Wurzel aller Erlösung. 13. Das Wasser, mit dem die Füße des Gurus gewaschen werden, ist der geheiligte Trank. Die Überreste vom Tisch des Gurus sind die rechte Nahrung. Die rechte Meditation ist diejenige über die Füße des Gurus. Beständiges Japa1 ist das des Namens des Gurus. 14. Zum Zweck des Erlangens der Erkenntnis und Leidenschaftslosigkeit sollte man das Wasser, mit dem die Füße des Gurus gewaschen wurden, trinken. Dadurch werden die Wurzel der Unwissenheit durchtrennt und Geburt und Bindung des Karma2 überwunden. 15. Kashi3 ist die Heimat. Ganga4 ist das Wasser, mit dem die Füße des Gurus gewaschen werden. Siva ist Selbst der Guru. Das Taraka Mantra5 ist unzweifelhaft das Höchste Brahman. 16. Der Aspirant (Schüler) sollte den Guru erfreuen, indem er ihm Platz, Unterkunft, Kleidung, Fahrzeug oder Schmuck usw. anbietet. 17. Dem wahren Guru sollte man den eigenen Körper, die Sinne, das eigene Leben, den Reichtum, die Freunde, die Verwandten, das eigene Selbst, die Ehefrau und alles andere anbieten. 18. Nur der Guru ist die ganze Welt einschließlich von Brahma, Vishnu und Siva. Etwas Größeres als der Guru existiert nicht. Daher ist nur der Guru zu verehren. 1 2 3 4 5
Singen eines heiligen Namens Lebensschicksal die heilige Stadt Varanasi (Benares) in Indien der heilige Fluss Ganges Wurzel ist das Wort tara: das, was etwas überqueren hilft. Das Mantra hilft beim Überqueren des Ozeans des Samsara, der Weltlichkeit.
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19. Ohne ein Empfinden von Scham sollte man mit dem ganzen Körper vor dem Guru niederfallen und den Guru mit der Handlung, dem Verstand, der Seele und der Rede allezeit verehren. 20. Die Bäder, die einer in den Pilgerreisen zu den sieben Ozeanen unternimmt, ergeben nur ein Tausendstel derjenigen Wirkung, wie sie durch das Trinken nur eines Tropfens des Fußwäschewassers des Gurus entsteht. 21. Wenn Gott erzürnt ist, ist es der Guru, der der Retter ist. Wenn der Guru erzürnt ist, gibt es keinen Retter. Nach dem Erlangen des Hauslehrers (des geeigneten Gurus für die Familie) sollte man daher auf rechte Weise Schutz bei ihm suchen. 22. Täglich sollte man sich hingebungsvoll in der Richtung niederwerfen, in der die Lotosfüße des Lords von Lakshmis leuchten. 23. Ich werfe mich nieder vor diesem Guru, dem Sein – frei von den drei Gunas1, jenseits des Verstandes, Zeuge aller mentalen Funktionen, wandellos und rein, Einer und ewiglich, überschreitend die Gegensatzpaare, hingedehnt wie der Himmel, erlangbar durch Sätze wie „Das bist Du“, die Seligkeit des Brahman, der Schenker des Höchsten Glücks, die Masse der absoluten Weisheit. 24. Ich werfe mich wieder und wieder nieder vor dem gesegneten Guru, der der Arzt für die Krankheit des Samsara ist, der der bewundernswerte Gott der Yogis ist, der selig ist, der die Quelle des Glücks ist, der immer zufrieden ist, der die Essenz der Erkenntnis ist, der mit dem Wahren Sein identisch ist. 25. Man sollte stets über die Göttliche Gestalt des Gurus meditieren, wie diese im Innern der Lotos-Herzenshöhle wohnt; wie diese auf dem großen Thron niedergelassen ist; wie diese wie der Glanz des Mondes scheint; wie diese bereit ist, den Herzenswunsch zur Erlangung der SeinBewusstseins-Seligkeit zu gewähren. 26. Ich werfe mich nieder vor diesem Guru, dem Brahman, der Bewusstseins-Seligkeit, der ewigen Erkenntnis, dem Fleckenlosen, dem Formlosen, dem
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Trägheit, Harmonie, Erregung; d.h. hier: frei von den Leidenschaften und Temperamenten
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Spiegellosen (jenseits der Erscheinungen Befindlichen), dem Reinen dem Ewigen. 27. Wer den Guru duzt, wer vor dem Guru „Hm“ sagt, wer in der Gegenwart des Gurus unanständige Reden führt, wird ein Brahma-Raksha (ein schrecklicher Dämon) in einem wasserlosen Landstrich. 28. Man sollte das Höchste Brahman, das Ewige, das Formlose, das Eigenschaftslose, kennen, indem man sein eigenes Sein als Brahman Selbst erachtet – wie ein Licht gegenüber einem anderen Licht. 29. Ich verehre das Satchidananda1, welches sich jenseits des Verstandes befindet, der Meister des Universums, ewiglich, erfüllt, formlos, eigenschaftslos und als das Selbst aller allen innewohnend. 30. Der Guru ist Siva. Der Guru ist Gott. Der Guru ist der Verwandte (Freund) der menschlichen Wesen. Der Guru ist der Atman. Der Guru ist der Jiva2. Etwas anderes neben dem Guru gibt es nicht. 31. Der Guru, der keinerlei Erkenntnis besitzt und ein Lügner und Heuchler ist, sollte verworfen werden. Er weiß den Frieden nicht einmal für sich selbst herbeizuführen. Wie könnte er dann anderen Frieden geben? 32. Diejenigen sind keine Gurus, die ungläubig, der Sünde hingegeben und Atheisten sind, die unterscheidende Gefühle haben, die Gefallen an Frauen finden, die ein schlechtes Benehmen haben und undankbar und von schurkischer Gesinnung sind. 33. Ich nehme Zuflucht zu Gott, dem Guru, der durch Beiseitefegen der Phänomenwelt, durch Auslöschen aller Zweifel und durch Heilung des Bewusstseins das innerste Geheimnis enthüllt. 34. Es gibt zahlreiche Gurus, die das Leben aus ihren Schülern heraussaugen, aber selten ist derjenige Guru, der die Schmerzen in den Herzen seiner Anhänger austilgt. 35. Wahrlich erstrahlt dessen Guruschaft, der äußerst befähigt ist, der unterscheidende Intelligenz besitzt, erfüllt von spiritueller Weisheit, rein und klug ist. 1 2
Sein-Bewusstsein-Seligkeit, die Charakterisierung der Absoluten Wirklichkeit im Formaspekt individuelle Seele
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36. Gurus sind rein, friedvoll, gutartig, schweigsam, frei von Leidenschaften und Ärger, rechten Betragens und selbstbeherrscht. 37. Wer nicht für den Guru sorgt, der ihm die Einweihung in den einsilbigen Laut OM gegeben hat, geht hundertfach in die Gebärmutter eines Hundes ein und wird unter Ausgestoßenen wiedergeboren. 38. Der Tod erwartet unvermeidlich denjenigen, der den Guru verwirft. Armut erwartet denjenigen, der das GuruMantra verwirft. Derjenige wandert in die Raurava1-Hölle, der das vom Guru erhaltene Mantra verwirft. 39. Die sieben mal Zehnmillionen großen Mantras dienen allesamt nur den Verblüffung des Verstandes. Es gibt nur ein großes Mantra, nämlich das zweisilbige Wort „Gu-ru“. 40. „Gu“ bedeutet Finsternis, „ru“ bedeutet deren Austilgung. Weil er die Finsternis austilgt, wird er „Guru“ genannt. 41. Man sollte voller Hingabe mit Geschenken zu einem Guru, der Brahman-Kenner ist, gehen – in dem Wunsch, die Kenntnis der Veden zu erlangen, und mit dem Vertrauen in die Erklärungen, die die Endgültige Befreiung verkünden. 42. Als erstes trete man dem Guru gegenüber und höre ihn an. Danach geschehe das Nachdenken darüber (über das gehörte Wort). Schließlich wird die tiefgründige Meditation zur Ursache der vollen Erkenntnis. 43. So wie ein blind geborener Mann keine Kenntnis des Sichtbaren besitzt, so kann einer außer durch die Einweihung eines Guru nicht die Kenntnis der Wirklichkeit erlangen. 44. Sobald die Gnade des Guru herabkommt, taucht auch der Glaube im Anhören der Geschichten von Gott, in der Meditation usw., auf. Der Schüler sollte ruhig, selbstbeherrscht, äußerst leidenschaftslos, voller großem Vertrauen, hingegeben an den Guru und verankert in der geistigen Nüchternheit sein. 45. Der Schüler sollte, den Brahmanishtha2-Guru umrundend, sich vor ihm niederwerfend, ihn mit gefalteten 1 2
die Hölle oder eine schwarze Hirschhaut derjenige, der in der Kenntnis des Brahman verankert ist
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Händen grüßend mit ausnehmender Bescheidenheit fragen: „Oh Lord, oh Guru – bitte unterweise mich im Geheimnis der höchsten Wahrheit in all seiner Fülle!“ 46 - 47. Derjenige soll die Frucht Jnana1 reifen lassen, der mit erlesener Hingabe den Guru verehrt. Der Guru ist der Parameshvara2, der Gewährer der göttlichen Erkenntnis, gänzlich unbekannt denjenigen mit stumpfem Verstand, auf zutreffende Weise erkennbar durch die Worte des Guru; der in den Herzen aller wohnt und friedvoll, allesdurchdringend und allmächtig ist. 48. Wer erlesene Hingabe zu Gott hat, und zum Guru so sehr wie zu Gott – dieser gesegneten Seele enthüllen sich diese Wahrheiten von selbst. 49. Die Menschen überqueren den Ozean von Samsara, indem sie im festen Boot der Worte des Gurus fahren, vom günstigen Wind der kraftvollen Praxis und der Samskaras der Vergangenheit3 angetrieben werden und dem Steuermann Guru das Ruder überlassen. 50. Schwierig ist die Entsagung der Sinnesobjekte, schwierig die Vision der Wahrheit, und schwierig die Erlangung der Selbst-Verwirklichung ohne die Gnade des Guru. 51. Wir werfen uns nieder vor dem Guru – Siva -, der Essenz von Satchidanana, frei von der Welt, friedvoll, stützenlos und selbststrahlend. 52. Du bist Vishnu. Du bist Brahma. Du bist der Gott Mahesvara4. Du allein bist die Gestalt Saktis 5. Du bist das eigenschaftslose Ewige. 53. Wir werfen uns nieder vor Dir, dem Wesen des Friedens, dem großen, verborgenenen Allerheiligsten, dem Undenkbaren, dem Unmessbaren, dem Anfangslosen und Endlosen. 54. Wir werfen uns vor Dir nieder, dem Sein, der Ursache des Universums. Wir werfen uns nieder vor dem Einen Bewusstsein, dem Träger aller Welten. Wir werfen uns nieder vor dem Wahrheit der Nondualität, dem Bringer 1 2 3 4 5
Gottes-Erkenntnis der höchste Gott (in der Bhagavadgita ist dies Krishna) d. h. hier: ihr Verlangen nach Befreiung wörtlich: der Vorzügliche, der Höchste Herr. die Macht, die das Universum entstehen lässt und bewegt
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der Erlösung. Wir werfen uns nieder vor dem Brahman – dem Allesdurchdringenden, dem Ewigen. 55. Wir werfen uns nieder vor Dakshinamurti1, der in der dreifachen Gestalt von Gott, Guru und dem Selbst erscheint; der mit seiner Gestalt wie der Himmel allgegenwärtig ist. 56. Wir werfen uns nieder vor Dakshinamurti, dem Ursprung aller Arten des Wissens, dem Arzt, der die Krankheiten des Samsara heilt, dem Guru aller Welten. 57. Dies (die Guru Gita) ist der Zerstörer sämtlicher Sünden, der Bringer des Dharma, Artha, Kama und Moksha2. Welches Objekt einer auch immer begehrt, dieses erlangt er hierdurch. Das ist die Wahrheit. 58. Wer auch immer rein im Herzen und voller Erkenntnis ist, und diese Guru Gita unaufhörlich rezitiert – oder auch nur erblickt oder berührt –, wird von der Wiedergeburt befreit.
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wörtlich: das südwärts gerichtete Gesicht. Ein Name für Gott Siva. Dharma, Artha, Kama, Moksha: rechtes Leben, Wohlstand, weltliche Freuden, Erlösung
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Die wichtigsten Gitas
Die Essenz der Ashtavakra Gita Die Ashtavakra Gita ist eine Unterhaltung zwischen dem Weisen Ashtavakra und König Janaka. Diese Gita ist ein recht gründlich vorgehender advaitischer Text. Er ähnelt in vielerlei Hinsicht der Avadhuta Gita. Es handelt sich bei diesem Text nicht um eine intellektuelle, sondern intuitiv inspirierte Abhandlung. Das Ziel des Lebens besteht in der Verwirklichung der Wahrheit bzw. des Brahman. Nur der Jivanmukta allein ist die wahrhaft gesegnete Person. Bindung entsteht aus Unwissenheit – durch die Austilgung dieser Unwissenheit entsteht die Befreiung aus der irdischen Knechtschaft. Die absolute Freiheit ist die eigentliche Essenz des Selbst. Es ist das Auftauchen einer zweiten Wesenheit neben dem Selbst, die zur Ursache allen Kummers und aller Sorgen wird. Die völlige Loslösung von allen Anhaftungen ist das einzige Allheilmittel gegen diesen Samsara. Das Ziel aller Bemühungen ist das vollkommene Einsinken und die vollkommene Auflösung des persönlichen Selbst im Reinen Sein. Darin besteht der Gipfel der Vollkommenheit und der Seligkeit. Darin besteht der Kern der Ashtavakra Gita.
I-2 Wenn du Befreiung suchst, liebes Kind, dann meide alle Objekte wie Gift. Nimm Zuflucht zur Vergebung, zur Ernsthaftigkeit, zum Mitgefühl, zur Zufriedenheit und zur Wahrhaftigkeit, so wie du Nektar suchen würdest. I-3 Du bist weder Erde noch Wasser, weder Feuer, weder Luft noch Raum. Kenne zum Zweck deiner Befreiung das Selbst, welches Reines Bewusstsein ist, als den Zeugen von all diesem. I-4 Sobald du den Körper von dir abtrennst und deine Ruhestätte im Bewusstsein nimmst, wirst du in demselben Moment glücklich, friedvoll und frei von Bindung werden. I-6 Rechtmäßigkeit und Unrechtmäßigkeit, Vergnügen und Schmerzen gehören zum Verstand, aber nicht zu dir.
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Oh du alldurchdringendes Eines! Du bist weder der Täter noch der Genießer – du bist auf immer im Zustand der Befreiung. I-7 Du bist der einzige Seher von allem, du bist auf immer frei. Deine einzige Bindung besteht darin, dass du den Seher als getrenntes Wesen ansiehst. I-8 Du wurdest von der schwarzen Giftschlange des egoistischen Empfindens von „Ich bin der Handelnde“ gebissen – bekämpfe dieses Gift, indem du die Ambrosia des Vertrauens in „Ich bin nicht der Handelnde“ trinkst, und sei glücklich. I-9 Verbrenne den Wald der Unwissenheit mit dem Feuer der Überzeugung: „Ich bin das Eine, Reine Bewusstsein“. Befreie dich so vom Kummer und sei glücklich. I-10 Wo auch immer dieses Universum erscheint wie eine im Seil gesehene Schlange, bist du stets nur diese Bewusstseins-Seligkeit, die Höchste Seligkeit! Lebe glücklich! I-11 Wer denkt, er sei frei, ist in der Tat frei. Wer denkt, er sei gebunden, ist in der Tat gebunden! „Du wirst zu dem, was du denkst“ ist in der Tat ein wahrer Ausspruch. I-12 Der Atman ist der Zeuge, allgegenwärtig, Fülle, Einer, frei, Bewusstsein, nicht-handelnd, unangehaftet, wunschlos und friedvoll – aber durch Täuschung erscheint er als die Welt. I-13 Verstehe das Selbst als unbewegt, Bewusstsein und nondual, indem du die falsche Idee eines Empfindens von Innen und Außen sowie die Täuschung „Ich bin eine Widerspiegelung1“ aufgibst. I-14 Oh liebes Kind! So lange schon warst du an die Fessel des Glaubens: „Ich bin der Körper“, gebunden! Durchtrenne sie mit dem Schwert der Weisheit: „Ich bin Bewusstsein“, und sei glücklich. I-15 Du bist unangehaftet, nicht-handelnd, selbststrahlend und unbefleckt – deine Bindung besteht darin, dass du Samadhi2 praktizierst.
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d.h., ein Individuum, ein getrenntes Wesen meditative Versenkung, d. h. hier: die Meditation erzeugt die Getrenntheit
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I-16 Du durchdringst das Universum – tatsächlich befindet sich dieses sogar in dir selbst. Du selbst bist die Form der Reinheit und des Bewusstseins – sei nicht so kleingeistig! I-17 Du bist wunschlos, wandellos, frei von Pflichten, frei von Leidenschaften, unergründliches Bewusstsein, ungerührt – strebe daher nach Bewusstsein und nach nichts anderem. I-18 Kenne das, was Form besitzt, als unwirklich, und das Formlose als wandellos. Nach der Unterweisung in der Wahrheit gibt es keine Rückkehr mehr in den Samsara. I-20 Der eine, allgegenwärtige Raum befindet sich außerhalb wie innerhalb des Kruges – auf dieselbe Weise existiert das ewige, unteilbare Brahman in der Vielzahl der Wesen. II-4 So wie Wellen, Schaum und Blasen nicht verschieden voneinander sind, so ist das durch das Selbst ausgedrückte Universum nicht verschieden von diesem. II-5 So wie eine sorgfältige Untersuchung ergibt, das Tuch aus nichts als Fäden besteht, so wird dieses Universum, wenn einmal gründlich erforscht, als nichts anderes als das Sein des Atman erkannt. II-7 Diese Welt erscheint aufgrund der Unwissenheit über das Selbst – sie erscheint nicht, sobald da SelbstErkenntnis auftaucht. Die Schlange erscheint aufgrund von Unwissenheit – wird das Seil erkannt, verschwindet die Schlange. II-8 Glanz ist Meine wahre Form – etwas anderes als das bin Ich nicht. Wenn sich das Universum manifestiert, bin immer nur Ich allein es, Der als dieses leuchtet. II-10 Dieses Universum, welches aus Mir selbst hervorgetreten ist, wird sich in Mir allein wieder auflösen – so wie Töpfe sich wieder in Erde, Wellen in Wasser und Schmuckstücke in Gold auflösen. II-11 Wie wunderbar Ich bin! Ich werfe mich vor Mir Selbst nieder – nie kann Ich zerstört werden. Selbst wenn das Universum von Brahma bis zum letzten Grashalm zerstört würde – ich existiere! II-12 Wie wunderbar Ich bin! Ich werfe mich vor Mir Selbst nieder – obwohl da ein Körper ist, bin nur Ich allein.
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Weder komme noch gehe Ich – an keinen Ort. Ich existiere, indem ich das gesamte Universum durchdringe. II-13 Wie wunderbar Ich bin! Ich werfe mich vor Mir Selbst nieder – nichts kommt mir in meinem Können gleich. Ohne den Körper zu berühren, trage ich auf ewig das Universum. II-16 Oh, wahrlich wurzelt aller Kummer in der Dualität. Ein anderes Heilmittel dafür als die Erkenntnis, dass dieses sichtbare Universum falsch ist und Ich allein die reine Essenz des Bewusstseins bin, gibt es nicht. II-20 Körper, Himmel und Hölle, Bindung und Befreiung, Furcht – all dies sind bloße Einbildungen. Was habe Ich, der Ich reines Bewusstsein bin, mit ihnen zu schaffen? II-21 Oh, auch nicht in der Überfülle der Menschen erblicke ich Dualität. All dies ist nur wie eine Illusion – wer bin Ich, dass ich mich an etwas binden sollte? II-23 Oh, in Mir, dem großen, unendlichen Ozean, tauchen diese wunderbaren Wellen all der Universen auf, sobald der Wind des Verstandes weht. II-25 Oh Wunder! In Mir, dem unendlichen, großen Ozean, tauchen die Wellen all der Jivas1 auf, stürzen übereinander, spielen darin (für kurze Zeit), und gehen entsprechend ihrer Natur wieder darin unter. III-2 Ah! Aufgrund der Unwissenheit über das Selbst entsteht die Liebe zu den Objekten der getäuschten Wahrnehmung, so wie aufgrund der Unwissenheit über die Natur der Perlmutter die Gier nach dem illusorischen Silber entsteht. III-3 Kenne dich selbst als Das, was die Universen hervortreibt wie die Wasser die Wellen – weshalb läufst du wie ein elendes Wesen umher? III-4 Wie kann es sein, dass jemand, der gehört hat, dass das Selbst Reines Bewusstsein und von außerordentlicher Herrlichkeit ist, noch von der Lust auf Frauen verunreinigt ist? III-7 Es ist erstaunlich, dass der Kenner der Wahrheit, dass der schlimmste Feind der Weisheit die Leidenschaft ist, und der altersschwach geworden ist und seinem
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individuelle Seelen
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Lebensende entgegengeht, noch immer dem Vergnügen und der Wolllust nachjagt. III-9 Der Held dagegen, ob man ihm nun Festschmäuse serviert oder Hungers sterben lässt, jauchzt weder noch ist er zornig, denn er sieht stets nur das Eine, Absolute Selbst. III-11 Was könnte den kühn Denkenden, der dieses Universum als bloße Illusion betrachtet und alle Neugierde verloren hat, wohl in Furcht versetzen – und wenn ihm auch der Tod nahen sollte? III-12 Wer gliche wohl dieser großen Seele, die sogar in der Enttäuschung wunschlos bleibt und gesättigt von der Selbst-Erkenntnis ist? IV-4 Wer könnte diesen wohl davon abhalten, nur nach seinem eigenen Gutdünken zu leben – wer ist diese große Seele, die erkannt hat, dass diese ganze Welt nichts als das Selbst ist? IV-6 Wer weiß, dass das zweitlose Selbst die Quelle des ganzen Universums ist, handelt, wie er denkt, und empfindet niemals Furcht. V-1 Löse dich selbst in dem Wissen darum auf, dass du unangehaftet bist; dass du, der Reine, keiner Sache zu entsagen hast, und indem du diese Masse der Verkörperung (Körper und Verstand) zersetzt. V-2 Löse dich selbst in dem Wissen darum auf, dass das Universum wie Blasen im Ozean in dir aufsteigt und nur der Atman allein existiert. V-3 Löse dich selbst in dem Wissen darum auf, dass das Universum, obgleich sichtbar, nicht in dir, dem Reinen, existiert, da es eine Nicht-Wesenheit ist und einfach nur wie die Schlange im Seil auftaucht. V-4 Löse dich selbst in dem Wissen darum auf, dass du in Freude und Leid, Hoffnung und Enttäuschung, Leben und Tod derselbe und auf immer erfüllt bleibst. VI-1 Ich bin unendlich wie der Raum, diese Welt ist wie der Tonkrug nur ein Phänomen – das ist Weisheit. Dies muss weder zurückgewiesen noch akzeptiert oder zerstört werden. VI-4 Ich bin in allen Wesen, alle Wesen sind in Mir – dies muss weder zurückgewiesen noch akzeptiert oder zerstört werden.
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VII-2 Lass die Wellen der Universen in Mir, dem unendlichen, großen Ozean, steigen oder fallen – dadurch werde Ich weder kleiner noch größer. VII-5 Oh, wahrhaftig bin Ich nichts als reines Bewusstsein – diese Welt ist nur wie ein Taschenspielertrick! Wie und wo könnte es daher ein Zurückweisen, ein Akzeptieren oder überhaupt nur den Gedanken daran in Mir geben? VIII-1 Bindung entsteht, sobald der Verstand nach etwas verlangt, um etwas trauert, etwas zurückweist, etwas erwerben will, über etwas frohlockt und ärgerlich über etwas wird. VIII-2 Die Befreiung ist da, wenn der Verstand weder verlangt, trauert, zurückweist, erwirbt, frohlockt noch ärgerlich wird. VIII-4 Befreiung ist da, wenn es kein „ich“ gibt. Bindung ist da, wenn es ein „ich“ gibt. Wisse dies und nimm nichts an und weise nichts zurück. IX-2 Selten ist die gesegnete Person, oh liebes Kind, die ihre Wünsche nach dem Leben, nach Vergnügen und Wissen durch Betrachten der närrischen Welt ausgelöscht hat. IX-3 Ein weiser Mensch wird still, sobald er erkennt, dass all dies hier verderblich, von Gebrechen (körperlichen, weltlichen und himmlischen) bedroht, wesenlos, nichtig und der Verachtung wert ist. IX-8 Wünsche sind gleichbedeutend mit Samsara – gib daher alle Wünsche auf. Die Austilgung des Samsara geschieht durch Entsagung der Wünsche – lebe danach, wie es dir gefällt. X-2 Erachte Freunde, Besitz, Wohlstand, Heime, Gattinnen, Verwandte und andere Besitztümer dieser Art wie bloße Träume oder Kunststücke eines Taschenspielers, die nur kurze Zeit andauern. X-5 Du bist das Eine, Reine Bewusstsein, das Universum ist leblos und irreal, auch Unwissenheit gibt es nicht – wie kann es dann noch in dir einen Wunsch nach Wissen geben? X-6 An Königreiche, Söhne, Gattinnen, Körper und Vergnügen bist du angehaftet, und doch verlierst du dies alles nach jeder Geburt wieder und wieder.
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X-7 Fort mit all dem Wohlstand, den Wünschen und den tugendhaften Taten – im einsamen Urwald des Samsara vermag der Verstand in all diesen Dingen doch keinen Frieden zu finden! X-8 In wie vielen Geburten hast du doch mit Körper, Verstand und Rede so schwer und mühevoll gearbeitet! Stehe nun wenigstens einmal von den Tätigkeiten ab. XII-6 Die Ausübung von Tätigkeit ist Unwissenheit – die Entsagung von aller Tätigkeit ist ebenfalls Unwissenheit. Da ich diese Wahrheit vollkommen verinnerlicht habe, bleibe ich ihr treu. XIII-1 Der beständige Friede, wie er durch Entsagung entsteht, kann auch nicht dadurch gewonnen werden, dass einer alles außer einem einzigen Kaupeena (Lendentuch) aufgibt. Indem ich daher sowohl Entsagung als auch Erwerben aufgebe, lebe ich glücklich. XIII-2 Der Körper macht immer wieder Schwierigkeiten, die Zunge erzeugt immer wieder Schwierigkeiten, der Verstand ersinnt immer wieder Schwierigkeiten. Indem ich ihnen entsage, habe ich mich selbst im höchsten Ziel des spirituellen Strebens verankert. XIII-4 Die Yogis, die dem Körper verhaftet sind, bestehen auf Tätigkeit und Untätigkeit. Da ich weder Vereinigung noch Trennung kenne, lebe ich glücklich. XIV-4 Die verschiedenen Verhaltensweisen desjenigen, der im Innern frei vom Denken ist, aber sich wie eine verwirrte Person im Außen so bewegt, wie es ihm gefällt, kann nur von denjenigen verstanden werden, die wie er sind. XV-1 Ein Mensch mit reinem Intellekt erreicht sein Ziel sogar durch absichtslose Belehrungen (durch andere), während andere auch nach lebenslangem Studium immer noch verwirrt sind. XV-2 Leidenschaftslosigkeit gegenüber Objekten bedeutet Befreiung – Leidenschaft für Dinge bedeutet Bindung. Darin besteht die Erkenntnis. Tue nun, was dir gefällt. XV-3 Diese Erkenntnis der Wahrheit macht eine beredsame, intelligente und äußerst aktive Person stumm, leblos und untätig. Daher wird sie (die Erkenntnis) von
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denjenigen zurückgewiesen, Vergnügen suchen.
die
nach
weltlichen
XV-4 Du bist nicht der Körper und der Körper ist nicht deiner; du bist weder der Genießer noch der Täter; du bist die Form des Reinen Bewusstseins; du bist auf immer der Zeuge und wunschlos. Lebe glücklich! XV-5 Begehren und Hass gehören zum Dharma (Natur) des Verstandes. Der Verstand ist niemals du; du bist frei von Gedanken und ohne Wandel; du bist das Wesen des Reinen Bewusstseins. Lebe glücklich! XV-7 Oh du Form des Bewusstseins! Du bist in der Tat das, worin dieses Universum wie Wellen im Ozean erscheint – es gibt keinerlei Zweifel darüber. Mögest du frei vom Fieber sein! XV-8 Habe Vertrauen, oh liebes Kind, habe Vertrauen! Verfalle nicht in diese Selbsttäuschung. Du bist der Herr, du bist die Form der Erkenntnis, du bist der Atman, du bist jenseits der Prakriti1. XV-14 Was immer du auch wahrnimmst, du nimmst darin niemals etwas anderes als dich selbst wahr. Sind denn Schmuckstücke, Armreifen und Fußkettchen verschieden vom Gold? XV-15 Gib all diese Unterscheidungen zwischen „dies bin ich, dies bin ich nicht“ auf, betrachte alles als das Selbst (Atman), sei frei vom Denken, und sei glücklich. XV-16 Dieses Universum existiert gänzlich nur aufgrund deiner Unwissenheit. Tatsächlich bist du allein der einzige Existierende. Außer dir gibt es hier wirklich niemanden, der an Samsara gebunden oder nicht gebunden wäre. XV-20 Gib auch die Meditation vollständig auf, denke über nichts mehr nach – du bist bereits das freie Selbst. Was hoffst du durch Nachdenken zu erreichen? XVI-1 Oh liebes Kind! Du magst die verschiedensten Schriften auf vielfältigste Weise erörtern oder anhören, aber die Selbst-Verwirklichung kannst du außer durch das Vergessen von allem nicht erlangen. XVI-2 Oh weiser Mensch! Du magst den Samadhi genießen, ausüben oder praktizieren, aber dein Verstand
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wandelhaftes psychisch/mentales/physisches Universum; Natur
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wird trotzdem immer noch nach Dem verlangen, was jenseits allen Verlangens ist. XVI-3 Alle sind nur deshalb unglücklich, weil sie Tätigkeit ausüben – dieses Geheimnis kennt niemand. Diese eine Instruktion nur genügt dem glücklichen Menschen, um die Befreiung zu erlangen. XVI-4 Das Glück gehört dem Meister der Müßiggänger, für den schon die simple Handlung des Öffnens und Schließens der Augenlider lästig ist, und niemandem sonst. XVI-11 Lass Siva, Vishnu oder sogar Brahma deine Lehrer sein. Jedoch wirst du auch dann die SelbstVerwirklichung nicht eher erreichen, bis du alles vergessen hast. XVII-2 Oh wahrlich, der Kenner der Wahrheit trauert um nichts in dieser Welt, denn dieses ganze Universum ist von ihm allein erfüllt. XVII-9 In demjenigen, für den der Ozean des Samsara restlos ausgetrocknet ist, gibt es weder Anhaftung noch Lossagung. Sein Blick ist leer, seine Taten sind absichtslos und seine Sinne impotent. XVII-14 Die große Persönlichkeit ist Selbst-zentriert und ungerührt, ob sie nun eine lieblich anzuschauende Frau oder den schreckenerregenden Tod kommen sieht – sie ist wahrhaftig frei. XVII-18 Der Weise mit dem geleerten Verstand weiß nichts von den einander widersprechenden Ideen von Konzentration und Nicht-Konzentration, von Vergnüglichem und Missvergnüglichem – er ruht in der Unbedingtheit. XVIII-8 Was sollte der Wunschlose wohl kennen, sagen oder tun müssen – wissend, dass der Atman Brahman Selbst ist, dass sowohl Existenz als auch Nicht-Existenz nichts als Einbildungen sind? XVIII-16 Wer das Höchste Brahman erkannt hat, meditiert folgendermaßen: „Ich bin Brahman.“ Woran sollte der von Gedanken Freie wohl denken, der neben sich kein Zweites sieht? XVIII-21 Wunschlos, stützenlos, nach seinem eigenen Gutdünken lebend, bewegt sich der, der frei von Bindung
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ist, wie ein vom Wind der Samskaras 1 umhergetriebenes, trockenes Blatt. XVIII-27 Der Mensch der Weisheit, der der ermüdenden Debatten überdrüssig geworden ist, erlangt die Gemütsruhe und denkt nicht mehr, weiß nichts mehr, hört und sieht nichts mehr. XVIII-32 Die stumpfe Person wird durch Anhören der klaren Wahrheit noch verwirrter, während die intelligente Person sich ins Innere zurückzieht und dadurch anderen selbst als stumpf erscheint. XVIII-34 Die unwissende Person kehrt weder durch ihr Tätigsein noch Untätigsein ins Selbst zurück, während der weise Mensch bloß durch sein Kennen der Wahrheit im Selbst ruht. XVIII-39 Der Narr will Frieden und bekommt ihn nicht – der weise Mensch kennt die Wahrheit und befindet sich immer im Frieden. XVIII-40 Wie könnte es für denjenigen, dessen Wissen auf der Objektivität beruht, die Vision des Selbst geben? Der Weise sieht dies (die Objektivität) nicht, sondern allein das unvergängliche Selbst. XVIII-46 Die Elefanten der Sinnesobjekte, des Löwen der Wunschlosigkeit angesichtig geworden, machen sich stillschweigend aus dem Staub. Sind sie dann einmal unterworfen, werden sie zu Speichelleckern. (Der Gedanke hier ist, dass die Sinnesvergnügen für denjenigen, der in der Wunschlosigkeit verankert ist, zu einem bloßem Sport und Spiel werden, das ihn nicht bindet.) XVIII-49 Der Mensch der Wahrheit erfüllt seine Pflichten so, wie sie gerade auf ihn kommen; ohne ein Empfinden von (vom relativen Standpunkt aus gesehen) gut oder böse, denn alle seine Handlungen sind wie die eines Kindes. XVIII-53 Diese großen Seelen, die frei sind, befreit von den Einbildungen und Funktionen des Verstandes, erfreuen sich manchmal großer Vergnügungen und meditieren manchmal in Berghöhlen. XVIII-54 Im Herzen des Weisen gibt es nie Wünsche, ob er nun Männer der heiligen Wissenschaft oder einen Gott, 1
Samskaras: Gedankensamen; d. h. hier: den Impulsen seiner restlichen, vergangenen Geistestätigkeiten folgend
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einen heiligen Platz, eine Dame, einen König oder eine ihm teure Person aufsucht und verehrt. XVIII-55 Der Yogi ist nie im mindestens beunruhigt, selbst wenn er von Dienern, Söhnen, Frauen, Enkeln oder anderen Verwandten verachtet oder verspottet wird. XVIII-56 Erfreut, freut er sich in Wahrheit nicht; traurig, trauert er in Wahrheit nicht. Nur diejenigen, die so sind wie er, können seinen wunderbaren Bewusstseinszustand verstehen. XVIII-58 Sogar wenn er nichts tut, ist der närrische Mensch stets aufgeregt und zerstreut. Der Erfahrene jedoch ist auch tätig stets unbewegt. XVIII-59 Der Mensch der Weisheit, friedvoll sogar im Alltagsleben, sitzt glücklich, schläft glücklich, kommt glücklich, geht glücklich, spricht und isst glücklich. XVIII-72 Wo sollten wohl für denjenigen, der wie die Unendliche Wirklichkeit selbst leuchtet und kein objektives Universum wahrnimmt, Bindung, Befreiung, Freude und der Schmerz sein? XVIII-80 Himmel und Hölle gibt es nicht; ebenfalls nicht Jivanmukti1. Kurz gesagt – in der yogischen Sichtweise existiert überhaupt nichts. XVIII-83 Dieser Weise hier fürchtet weder den Samsara noch verlangt es ihn nach der Schau des Selbst. Ohne Freude und Schmerz ist er. Er ist weder tot noch lebendig. XVIII-99 Gelobt, ist er nicht erfreut; beleidigt, ist er nicht beunruhigt. Weder fürchtet er den Tod noch begehrt er das Leben. XVIII-100 Der Friedvolle sehnt sich weder nach der Menge noch nach einsamen Wäldern. Er bleibt unter allen Umständen er selbst.
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spirituelle Befreiung im Leben der individuellen Seele
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Die Essenz der Avadhuta Gita Die Avadhuta Gita stellt eine Unterhaltung zwischen dem Weisen Dattatreya und Skanda dar. Sie würdigt die höchsten Verwirklichungsstufen eines Jivanmukta1. Diese Gita wendet sich an die am weitesten fortgeschrittenen, spirituellen Aspiranten, die ihre Herzen mit der Praxis der ethischen Disziplinen wie Yama2, Niyama3 und SadhanaChatushtaya4 gereinigt haben. Nur das nonduale Brahman existiert; in den drei Zeiten existiert keine Welt. Das gesamte Universum ist nichts als Brahman. Evolution oder Involution gibt es nicht, auch nicht Schöpfung oder Zerstörung. Brahman, das Absolute, ist als Einziges. Darin besteht die Essenz der Avadhuta Gita.
I 1. Die Weisen haben nur aufgrund der Gnade Gottes (Ishvara) eine Anhaftung an die advaitische Sichtweise, denn Er ist der Erlöser von aller Furcht. 2. Wie kann ich dieses ungeteilte, selige, unverderbliche und formlose Selbst, welches die gesamte Welt im Selbst durch Sich Selbst erfüllt, grüßen? 3. Das gesamte Universum bestehend aus den fünf Elementen ist wie Wasser in der Luftspiegelung – wen sollte ich dann also grüßen? Ich allein existiere – das fleckenlose Eine. 4. Der eine Atman ist all dieses hier – da gibt es weder Unterschied noch Nicht-Unterschied. Wie könnte ich dann 1 2 3 4
Person, die spirituelle Befreiung in diesem Leben erlangt hat Entsagungsübungen wie Gewaltlosigkeit, Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit Reinheitsübungen wie Disziplin, Zufriedenheit, Studium der Schriften beinhaltet die vier elementaren Voraussetzungen für spirituelle Befreiung: die Unterscheidungsfähigkeit zwischen Gott und Welt, die Leidenschaftslosigkeit, die sechsfachen Tugenden zur Disziplinierung des Charakters und der intensive Wunsch nach Befreiung
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behaupten, dass es da ein Sein oder ein Nicht-Sein gäbe? Dies alles ist einfach nur ein Wunder für mich! 5. Darin bestehen die Summe und die Essenz des ganzen Vedanta, darin bestehen Erkenntnis und Weisheit: „Ich bin der Atman, der seiner Natur nach formlos und allesdurchdringend ist.“ 6. Es besteht kein Zweifel daran, dass Ich das alles beinhaltende, Göttliche Wesen bin – teilelos und wie der Raum, rein von Natur aus und ewiglich heilig. 7. Ich allein bin unverderblich, unendlich und die Form reinen Bewusstseins. Ich kenne weder Vergnügen und Schmerz und weiß auch nichts davon, weshalb diese irgend jemanden zu beeinträchtigen vermochten. 8. Für mich gibt es keine Tätigkeit des Verstandes – weder gute noch schlechte, keine Tätigkeit des Körpers – weder gute noch schlechte, keine Tätigkeiten der Rede – weder gute noch schlechte. Ich bin die Essenz der Erkenntnis – rein und jenseits der Reichweite der Sinne. 9. Der Verstand ist frei wie der Raum – der Verstand ist allesdurchdringend. Der Verstand ist gewaltig. Der Verstand ist alles. Und doch ist dieser Verstand nicht die höchste Wahrheit. 10. Ich, der Eine, bin dies alles – ungebunden durch den Raum und ohne Unterschiede (oder Befleckungen). Wie könnte Ich den Atman als sichtbar oder auf andere Weise existierend ansehen? 11. Du allein bist der Eine, der Homogene, Unverderbbare – wohnend im Sein aller Wesen. Weshalb weißt du dies nicht? Du bist auf ewig frohlockend und ungeteilt. Weshalb denkst du dann noch, dass es da Tag und Nacht gäbe? 12. Vergiss niemals, dass der Atman absolut ist und überall als derselbe existiert. Ich bin der Meditierende und das höchste Objekt der Meditation – wie wohl könnte das Unteilbare geteilt werden? 13. Du bist weder geboren noch tot – zu keiner Zeit hast du einen Körper. Wisse, dass alles Brahman ist. Dies erklären die Srutis1 auf vielfältige Art und Weise.
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heilige Schriften
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14. Du bist innen wie außen, du bist immer selig und an allen Orten. Weshalb lässt du dich täuschen und läufst wie ein Gespenst hin und her? 15. Weder Einheit noch Getrenntheit existieren – nicht für dich und nicht für mich. Du bist ein Nichts, ich bin ein Nichts, die Welt ist ein Nichts – alles ist nur der Atman. 16. Weder bist du die fünf Prinzipien des Klanges noch hast du etwas mit ihnen zu tun. Du allein bist die Höchste Wirklichkeit. Weshalb empfindest du dann noch Bedauern? 17. Du bist ohne Geburt, ohne Tod und ohne Verstand. Du bist nicht in Bindung, nicht in Befreiung, weder gut noch schlecht. Weshalb weinst du dann, oh liebes Kind: Weder besitzest du Name oder Form noch ich. 18. Oh Verstand! Weshalb eilst du Verwirrter wie ein Teufel umher? Erkenne doch den Atman, der ohne Unterscheidungen ist! Sei glücklich, indem du den Wünschen entsagst. 19. Du allein bist die Wahrheit, die frei von allen Modifikationen, wandellos, die eine und die Form der höchsten Befreiung ist. Für Dich gibt es weder Leidenschaft noch Leidenschaftslosigkeit. Weshalb klagst du dann wegen der Wünsche? 20. Alle heiligen Schriften sprechen von der Einen Wahrheit, die eigenschaftslos, rein, unzerstörbar, körperlos und gleichmütig ist. Wisse, dass diese Wahrheit Ich Selbst bin – es gibt darüber keinerlei Zweifel. 21. Wisse, dass das, was Form hat, unwirklich ist – kenne daher das ungeteilte, formlose Eine. Nach der Unterweisung in dieser Wahrheit gibt es kein Wandern im Samsara1 mehr. 22. Die Weisen erklären, dass da nur die Eine, Einheitliche Wirklichkeit sei. Sobald du Wunsch und mentale Tätigkeit aufgegeben hast, schwindet die Vielfalt. 23. Wie kann es Samadhi geben, wenn der Atman dual ist? Wie kann es wiederum Samadhi geben, wenn der Atman nichtdual ist?2 Wie kann es außerdem Samadhi 1 2
Welt der Gegensätze, menschliches Leben aus Freude und Schmerz d. h., weder bei realer Getrenntheit (Dualität) noch irrealer Getrenntheit (Nondualität) würde Meditation einen Sinn machen
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geben, wenn es weder Existenz noch Nicht-Existenz gibt, wenn es da nur das Eine, das Alles – die Form der Freiheit selbst, gibt? 24. Du bist die einheitliche, reine Wahrheit. Du bist jenseits des Körpers, du bist ungeboren und unverderblich – wie kannst du noch behaupten, du würdest den Atman kennen oder nicht kennen? 25. Sätze wie „Tat Tvam Asi“ („Das bist Du“) verkünden den Atman, während Worte wie „neti, neti“ („nicht dies, nicht dies“) feststellen, dass die Welt unwirklich ist. 26. Du erfüllst das gesamte Sein ohne jede Getrenntheit, du bist das Selbst innerhalb des Selbst, du bist jenseits der Meditation, du bist nicht der Meditierende, du besitzt keinen Verstand – schämst du dich dann nicht, immer noch zu meditieren? 27. Ich kenne diesen Seligen nicht – wie könnte ich dann noch darüber sprechen? Ich kenne diesen Seligen nicht – wie könnte ich Ihn dann noch verehren? Denn Ich allein bin dieser Selige, die Höchste Wirklichkeit; einheitlich und unendlich wie der Raum. 28. Ich bin nicht das Prinzip der Elemente – Ich bin das Höchste Prinzip, gleichmütig, frei von Einbildung, befreit von den Zuständen des Sehers und des Gesehenen. Wie könnte das Eine Selbst-Bewusstsein wohl zu etwas anderem werden? 29. Da ist nichts anderes als diese Unendliche Essenz, da ist nichts anderes als diese Eine Wirklichkeit. Die Höchste Wahrheit lautet, dass der Atman allein existiert. Es gibt da weder Schädiger noch Schaden. 30. Du bist diese Heilige Wirklichkeit, die gleichartig, formlos, geburtlos und todlos ist. Wie könnte es da noch eine Täuschung über den Atman geben? Und wie könnte Ich darüber hinaus überhaupt getäuscht werden? 32. Weder gibt es da den Topf noch den Raum innerhalb des Topfes. Weder gibt es da den Jiva noch ein Gefäß dessen1. Wisse, dass alles nichts als Brahman allein ist – ohne den Kenner bzw. das Gekannte.
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Jiva: individuelle Seele; d. h. hier: weder existieren diese Seele noch ihr Körper wirklich
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34. Weder gibt es die Veden noch die Welten, weder gibt es Götter noch Yajnas1, weder gibt es Varnas2 noch Ashramas3, weder gibt es Familie noch Kaste, weder gibt es Pitriyana4 noch Devayana5. Die Höchste Wahrheit lautet, dass nur Brahman allein dies alles ist. 36. Manche Menschen verlangen nach der Nondualität, andere nach der Dualität. Sie kennen beide die Wahrheit nicht, die frei von sowohl Nondualität als auch Dualität ist. 38. Sobald einer versteht, dass alles dies hier, der Körper und alles andere, unwirklich wie leerer Raum ist, beginnt er endlich Brahman zu erkennen, in dem es überhaupt keine Dualität gibt. 39. Für mich ist es so, dass das wirkliche Selbst nicht verschieden vom Höchsten ist. Dieses Eine ist wie der unendliche Raum – wie könnte es dann noch einen Meditierenden oder eine Meditation geben? 40. Was auch immer Ich tue, was auch immer Ich esse, was auch immer Ich opfere – all dies ist nicht mein. Ich bin das Reine, Ungeborene und Unverderbliche. 41. Wisse, dass das gesamte Universum formlos ist; wisse, dass das gesamte Universum wandellos ist; wisse, dass das gesamte Universum die Gestalt der Reinheit besitzt; wisse, dass das gesamte Universum nichts als die Gestalt der Seligkeit ist. 43. Oh liebes Kind! Weshalb rufst du aus: „Maya, Maya!6“ Wo sollte wohl „Schatten, Schatten“ sein?7 All dies hier ist die Eine Wirklichkeit – fleckenlos und allesdurchdringend. 44. Ich bin ohne Anfang, ohne Mitte und ohne Ende. Niemals bin ich gebunden. Ich bin makellos und rein von Natur aus – darin besteht meine feste Überzeugung.
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Feueropfer für die Götter Kaste Lebensstufen (Schüler, Haushälter, spiritueller Sucher, Entsagender) Weg der Ahnen, Wiedergeburt Weg der Götter, spirituelle Befreiung Maya: Weltillusion, illusorische Welt des Krieges und Kampfes der Gegensätze d.h. hier: die Seele fürchtet sich vor dem Feuer der Welt und sucht Zuflucht
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45. Das gesamte Universum, angefangen vom Mahat1, ist in Mir nicht im mindesten vorhanden. All dies hier ist nichts als Brahman – wie könnte es darin Varna und Ashrama geben? 46. Alles kenne ich zur Gänze. Ich bin das Eine, Ungeteilte. Ich bin die stützenlose Fülle. Die Welt mit dem Raum und den anderen Elementen ist unwirklich. 48. Die Wahrheit ist rein – nicht aufgrund der Praxis des Yoga, nicht aufgrund der Zerstörung des Verstandes, nicht aufgrund der Anweisungen des Guru. Die Wahrheit ist rein von Natur aus. 49. Es gibt keinen aus den fünf Elementen bestehenden Körper, folglich gibt es keinen körperlosen Zustand. All dies hier ist nichts als nur das absolute Selbst. Wie könnte es dann die drei Zustände und den vierten2 geben? 50. Ich bin weder gebunden noch frei; ich bin nicht verschieden von Brahman. Ich bin weder der Täter noch der Genießer. Ich bin ohne innere und äußere Dualität. 51. Wird Wasser mit Wasser vermischt, gibt es stets immer nur Wasser ohne Unterschiedenheit. Auf dieselbe Weise sind für mich Prakriti und Purusha3 unterschiedslos. 53. Ich kenne deine Gestalt als die Höchste Unmittelbarkeit, allgegenwärtig wie der Raum. Falls es daneben noch irgendetwas anderes geben sollte, wäre dies nur wie Wasser in einer Luftspiegelung. 54. Für Mich gibt es weder einen Guru noch eine Unterweisung, weder begrenzende Vorschriften noch Tätigkeiten. Kenne das spirituelle Bewusstsein, welches wie der Äther ist. Ich bin rein von Natur aus. 55. Du bist rein und körperlos, du besitzt keinen Verstand, du bist höher als das Höchste. Ich bin der Atman – die Höchste Wahrheit. Schäme dich nicht, dies zu erklären.
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Schöpfungsbeginn Wachen, Träumen, Schlafen und den transzendentalen Zustand. Gemeint ist hier, dass es nur den einen, ewigen Zustand gibt, der keinen Grad von Bewusstseins darstellt. Prakriti und Purusha: Welt und Seele, Universum und Individuum, Mensch und Gott
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56. Oh Verstand! Weshalb weinst du? Werde das Selbst durch das Selbst. Oh liebes Kind! Koste den unbefleckten, erlesenen Nektar der Nondualität. 59. Ich bin weder geboren noch jemals tot, Ich habe weder Gutes noch Schlechtes getan. Ich bin das reine, eigenschaftslose Brahman – wie könnte es für mich Bindung und Befreiung geben? 63. Du hast weder Mutter noch Vater, weder Verwandte noch Gattin, weder Sohn noch Freund. Du bist weder parteiisch noch unparteiisch. Wie könnte dann also der Kummer im Verstand entstehen? 64. Du kennst keinen Verstand, keinen Tag, keine Nacht, keinen Sonnenaufgang, keinen Sonnenuntergang. Wie könnte ein weiser Mensch dem Körperlosen einen Körper zuschreiben? 69. Unter welchen Umständen und an welchen Orten auch immer die Yogis sterben – sie gehen an Ort und Stelle in das Brahman ein, wie der Raum innerhalb des Kruges in den unbegrenzten Raum eingeht. 71. Die Yogis erachten Dharma, Artha und Kama, den Wunsch nach Freiheit, sämtliche bewegten Kreaturen, sämtliche unbewegten Kreaturen und überhaupt alles als bloßes Wasser in einer Luftspiegelung. III-14 Ich bin unberührt vom Staub des Samsara, Ich bin wandellos. Ich kenne die endlosen Sorgen nicht und nicht die Besessenheit der Finsternis. Ich habe keine Auswirkung auf die Ausübung des Svadharma1. Ich bin die unsterbliche Weisheit, die immer gleichbleibende Essenz – allesdurchdringend wie der Raum. III-34 Oh lieber Freund! Weshalb klagst du? Es gibt da weder Alter noch Tod. Oh lieber Freund! Weshalb klagst du? Es gibt da keine Furcht vor Wiedergeburt. Oh lieber Freund! Weshalb klagst du? Es gibt für dich keinerlei Modifikationen (Erkläre:) Ich bin die unsterbliche Weisheit, die immer gleichbleibende Essenz – allesdurchdringend wie der Raum. III-35 Oh lieber Freund! Weshalb klagst du? Du hast keine Form. Oh lieber Freund! Weshalb klagst du? Du bist alterslos! Ich bin die unsterbliche Weisheit, die immer 1
eigenes Lebensschicksal im Unterschied zum (universellen) Dharma
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gleichbleibende Essenz – allesdurchdringend wie der Raum. III-44 Kenne das Eine Bewusstsein, welches ohne Feuer und Luft ist. Kenne das Eine Bewusstsein, welches ohne Erde und Wasser ist. Kenne das Eine Bewusstsein, welches ohne Raum und Äther ist. Kenne das Eine Bewusstsein, welches hingedehnt ist wie der Himmel. VII-15 Der erleuchtete Weise, der sämtliche Wünsche ausgetrieben hat und in der immer gleichbleibenden Essenz eingetaucht ist, erklärt die Wahrheit, dass niemand erfolgreich sein wird, der Es (Brahman) zu kennen versucht, und dass sogar die Veden Es nicht zu beschreiben vermögen. VIII-1 Die Pilgerfahrt leugnet die Allgegenwärtigkeit der Gottheit. Die Meditation leugnet den jenseits des Mentalen liegenden Zustand der Gottheit. Das Gebet leugnet das jenseits der Rede liegende Sein der Gottheit. Sei so gut und vergib mir diese drei Irrtümer! VIII-2 Da gibt es einen, der ungerührt von Wünschen, selbstbeherrscht, liebenswürdig, sauber, besitzlos und ohne Bestrebungen ist, der wenig isst, still und geradlinig ist, und der seine Zuflucht im Selbst nimmt; der ruhig ist. VIII-3 Wer ist dieser, der ohne Stolz ist, auf natürliche Weise scharfsinnig und klug, voller Mut und Tapferkeit, siegreich über die sechs üblen Eigenschaften, ohne Anmaßung, der andere respektiert, der ein Vorbild, freundlich, mitfühlend und weise ist? VIII-4 Wer ist dieser Gütige, Mitfühlende, der fern aller Rachsucht ist, der voll der Kraft der Standhaftigkeit ist, der geduldig gegenüber allen Wesen ist, der die Essenz der Wahrheit ist, der hochgesinnt ist und den Gleichmut besitzt, der allen Gutes tut? VIII-5 Darin besteht die Natur des Avadhuta1, die wert ist, von den Jüngern, den Kennern der Worte der Veden und den Erklärern des Veda und Vedanta gekannt zu werden. VIII-11 Entsage den Frauen durch Verstand, Körper und Rede. Du kannst nicht den Himmel und die Befreiung haben, so lange sich dein Herz nach Vergnügen sehnt. 1
Erleuchteter
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VIII-12 Ich vermag nicht zu begreifen, weshalb die Frau erschaffen wurde. Sie ist die große Verführerin, das Hindernis für die Seligkeit des Svarga und Moksha1. VIII-14 Oh, wer hat nur diese Frauen erschaffen, die voller Verstellung und Stolz sind, die ohne Wahrheit und Reinheit sind, die die Schlinge zum Einfangen aller menschlichen Wesen sind? VIII-15 Auch wenn sie die Gattin von Brahman selbst ist, ist die Frau immer noch die Hölle selbst. Der Mensch wird in dieser Hölle geboren und erfreut sich dieser Hölle. Ah! Schaut nur dieses bedauernswerte Leben im Samsara an! VIII-16 Ich weiß mit Gewissheit, dass Frauen die Hölle sind, die Fessel. In ihr wird der Mann geboren, hinter ihr läuft er durch Anhaftung wieder und wieder her. VIII-19 Das gesamte Universum zusammen mit den Göttern, den Asuras2 und den Männern, wird durch eine Körperöffnung, übelriechend und wie ein Geschwür, getäuscht. VIII-20 Der Körper der Frau ist der furchtbare Ozean, angefüllt mit den Wassern des Blutes. Oh, wer hat nur diese Frau mit ihren Fallstricken geschaffen! VIII-21 Im Innern die Hölle – im Außen eine falsche Verkleidung: Das ist die Frau. Sie ist wahrhaftig der Feind des großen Mantra (der Upanishaden). VIII-24 Die Frau ist wie die Feuergrube, der Mann wie der Topf voller Butter. Kommen sie in Kontakt miteinander, wird die Butter schmelzen. Daher sollten Frauen gemieden werden. VIII-26 Die beiden großen Sünden sind das Trinken des Alkohol und die Verbindung mit den Frauen. Indem der Weise diese beiden aufgibt, kann er sich selbst in der Höchsten Wahrheit verankern.3 VIII-27 Wird der Verstand vom Kummer betroffen, leidet auch der Körper. Wird der Verstand krank, beginnen auch die Bestandteile des Körpers zu verfallen. Daher sollte man 1 2 3
Svarga, Moksha: himmlische Welten, spirituelle Befreiung Dämonen Hinweis: Die Kritik der Frauen hier gilt ebenso den Männern. Was hier gefordert wird, ist nicht die Aufgabe von Männern oder Frauen, sondern die Aufgabe des Bewusstseins des Sex und der Anhaftung an ein solches Bewusstsein.
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den Verstand stets gut pflegen, denn nur in einem gesunden Verstand können die Fähigkeiten der Intelligenz gut gedeihen.
II I-31 Wird der Krug zerbrochen, geht der Raum darin in ein Ununterschiedenes ein. Ich sehe keinerlei Unterschied zwischen dem Höchsten Selbst und dem reinen Verstand. I-33 Wisse unerschütterlich, dass Ich das bin, was überall und zu allen Zeiten ist, das Alles, das Selbst, das Ewige, das Feste. Das gesamte Sein ist gleichzeitig ein Vakuum als auch Fülle. Ich bin Dieses Höchste Selbst. I-58 Es gibt kein Lernen, keine Logik, keine Konzentration und keinen Yoga, keinen Ort, keine Zeit, keinen Guru, keine Unterweisung. Ich bin das aus sich selbst heraus existierende Bewusstsein, die Wirklichkeit, die wie der Himmel ist – wahr und dauerhaft. I-60 Wenn das Bewusstseinslicht allgegenwärtig, ewig, erfüllt und unterschiedslos ist – wie könnte es dann noch einen Raum dafür geben, um alles im Innern und Außen zu durchdringen? I-61 Das gesamte Universum leuchtet als eine unteilbare und unterschiedslose Masse. Oh, schaut euch nur diese Maya und diese großartige Täuschung an, die diese Einbildungen von Dualität und Nondualität entstehen lässt! I-65 Kenne den unverderbbaren Atman als weder geteilt noch nicht geteilt, als weder sorgenvoll noch freudevoll, als weder erfüllt noch nichtig. I-35 Wenn du allein diese Wirklichkeit bist, die ohne die Dualität des Durchdringenden und des Durchdrungenen existiert – wie kannst du dann das Selbst für entweder sichtbar oder unsichtbar halten? I-37 Wie könnte jemand wohl vom Selbst sprechen, das jenseits des Verstandes und der Rede ist, das frei von den Farben der Weiße ist usw., und von den Eigenschaften des Klanges usw.? I-42 Du bist Das – einen Zweifel an all diesem gibt es nicht. Und was sollte ich darüber hinaus noch (als Zweites
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neben mir) kennen? Wie könntest du wissen, ob der Atman unkennbar oder selbst Selbst-Erkenntnis ist? I-47 Das Selbst ist weder Eunuch, Mann oder Frau noch Erkenntnis oder Vorstellung. Wie könntest du wissen, ob es selig oder nicht selig ist? I-52 Wenn du nicht frei bist, bist du auch nicht gebunden1. Wie könntest du dann wissen, ob der Atman mit oder ohne Form ist? I-57 Da ist weder Erkenntnis noch Nicht-Erkenntnis und auch nicht Erkenntnis zusammen mit Nicht-Erkenntnis. Wer diese Art von Erkenntnis allezeit beibehält, dessen Erkenntnis wird nicht mehr Widersprüchen unterworfen sein. I-62 Man sollte sowohl Unterschied als auch NichtUnterschied aufgeben, sowohl das Geformte als auch das Formlose, nämlich mit der Methode des „neti, neti“, und dann als Absolute Seligkeit existieren. I-66 Weder bin ich der Täter noch der Genießer. Ich besitze keinerlei Karma – weder der Vergangenheit noch der Gegenwart. Ich bin weder verkörpert noch entkörpert. Was bedeuten „Mein“-heit und „Nicht-Mein“-heit schon für jemanden wie mich? I-67 Ich habe keinerlei böse Wünsche usw. Ich kenne keine Sorgen um den Körper usw. Wisse, dass Ich der Eine Atman bin – hingedehnt wie der Himmel. I-68 Oh lieber Freund – du mein Verstand! Worin bestünde denn wohl der Nutzen all der Reden? All dies hier ist wahrhaftig unbeschreibbar. Seine Essenz besteht, wie ich dir wiederholt gesagt habe, darin, dass du nur diese Wirklichkeit bist, die ungebunden wie der Raum ist. I-70 Ob an einem heiligen Ort, im Haus eines Kastenlosen oder sogar im Zustand des Gedächtnisverlustes – sobald einer seinen Körper mit einem gleichmütigen Verstand verlässt, erlangt er die absolute Unabhängigkeit. I-72 Niemals denke ich oder erfreue ich mich an den Taten der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft 1
Der Grundgedanke ist, dass nur ein freies Wesen gebunden werden kann, daher beides zugleich und deshalb jenseits dieser beiden Zustände ist.
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und ihren Früchten – darin unerschütterliche Anschauungsweise.
besteht
meine
I-73 Entsagend allem Stolz, wohnend an einem abgeschiedenen Ort, gereinigt durch die immer gleichbleibende Essenz, allein lebend und erfüllt von Freude, erlangt der nackte Avadhuta das Alles im Absoluten Selbst. I-74 Wo es keine drei Zustände und keinen Vierten1 gibt, da erlangt dieser das Absolute Selbst. Wo es keinen Dharma und Adharma2 gibt – wie könnte es noch den Unterschied des Gebundenen und des Befreiten geben? I-75 Dies ist durch Mantras nicht zu erlangen. Dies ist durch den Veda und den Tantra nicht zu erlangen. Diese heilige Feststellung stammt vom Avadhuta, der frei von allen Wünschen und in die immer gleichbleibende Essenz eingetaucht ist. I-76 Weder allgegenwärtige Leere noch Fülle, weder Wahrheit noch Unwahrheit existieren als solche. Diese Aussage entstammt persönlicher Erfahrung und dem Wissen um die wahre Bedeutung aller Schriften. VI-1 Die Srutis3 erklären verschiedentlich, dass wir, die Elemente wie der Raum und alles andere wie das Wasser in einer Luftspiegelung sei. Wenn all dies nur die eine, unterschiedslose, immer gleichbleibende Seligkeit ist – wie kann dann irgend etwas mit ihr vergleichbar sein? VI-4 Es gibt keine zwei Phänomene wie Tag und Nacht. Es gibt eine Verneinung von Zunahme und Abnahme (Sonnenaufgang und -untergang). Wenn all dies nur die eine, unterschiedslose, immer gleichbleibende Seligkeit ist – wie könnte es dann Sonne, Mond und Feuer geben? VI-7 Wenn es weder Unterschied noch die Verneinung des Unterschieds gibt, wenn es weder den Kenner noch das Gekannte gibt, wenn all dies nur die eine, unterschiedslose, immer gleichbleibende Seligkeit ist – wie könnte es dann drei Zustände und einen vierten Zustand des Bewusstseins geben? 1 2 3
Träumen, Wachen, Tiefschlaf und den transzendentalen, vierten Zustand Dharma, Adharma: Lebenspflichten, Verletzung der Lebenspflichten heilige Schriften
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VI-8 Wenn alles jemals Erzählte und nicht Erzählte unwahr ist, wenn alles jemals Gewusste und nicht Gewusste unwahr ist, wenn all dies nur die eine, unterschiedslose, immer gleichbleibende Seligkeit ist – wie könnte es darin Objekte, Sinne, Intellekt und Verstand geben? VI-9 Wenn Himmel und Luft unwahr sind, wenn Erde und Feuer unwahr sind, wenn all dies nur die eine, unterschiedslose, immer gleichbleibende Seligkeit ist – wie könnte es darin Wolken und Regen geben? VI-10 Wenn die Welt nur ein eingebildetes Nichts ist, wenn der Körper nur ein eingebildetes Nichts ist, wenn all dies nur die eine, unterschiedslose, immer gleichbleibende Seligkeit ist – wie könnte es darin noch eine Unterscheidung zwischen guten Eigenschaften und bösen Neigungen geben? III-8 Weder ist es grob noch fein, weder kommt es noch geht es, weder hat es Anfang, Mitte oder Ende, weder ist es hoch noch niedrig. Ich spreche hier von dieser Wahrheit, von der Höchsten Wirklichkeit. Ich bin die unsterbliche Weisheit, die homogene Essenz – allesdurchdringend wie der Raum. III-9 Bedenke, dass alle Sinne die Formen des Absoluten sind. Bedenke, dass sämtliche Objekte die Formen des Absoluten sind. Kenne diese eine, makellose Wahrheit, die weder gebunden noch befreit ist. Ich bin die unsterbliche Weisheit, die homogene Essenz – allesdurchdringend wie der Raum. III-10 Ich bin ohne Makel und das Feuer, welches alle Makel verbrennt. Ich bin ohne Eigenschaften und das Feuer, welches alle Makel verbrennt. Ich bin ohne Bindung und das Feuer, welches alle Bindungen verbrennt. Ich bin die unsterbliche Weisheit, die homogene Essenz – allesdurchdringend wie der Raum. III-20 Wenn es die drei Zustände nicht gibt – wie könnte es dann den vierten geben? Wenn es keine drei Zeiten gibt – wie könnte es Viertel davon geben? Wahrhaftig ist diese Absolute Wirklichkeit der Höchste Friede. Ich bin die unsterbliche Weisheit, die homogene Essenz – allesdurchdringend wie der Raum. III-21 Ich trage an mir keinerlei Unterscheidungen von kurz oder lang, leicht oder schwer, weit oder eng,
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kreisrund oder winkelig. Ich bin die unsterbliche Weisheit, die homogene Essenz – allesdurchdringend wie der Raum. III-27 Ich trage an mir keinerlei Modifikation der Maya und der Weltenschöpfung. Ich trage an mir keinerlei Modifikation durch das Auftreten von Verstellung und Stolz. Ich trage an mir keinerlei Modifikation durch die Konzepte von Wahrheit und Falschheit. Ich bin die unsterbliche Weisheit, die homogene Essenz – allesdurchdringend wie der Raum. III-30 Wie könnte ich sagen, ob dies ein Wald oder ein Haus ist? Wie könnte ich wissen, ob die Existenz erwiesen oder zweifelhaft ist? In der Tat ist all dies hier unterschiedslos, immer gleichbleibend und ungestört. Ich bin die unsterbliche Weisheit, die homogene Essenz – allesdurchdringend wie der Raum. III-32 All dies hier erstrahlt als das Ungeborene und Unerschaffene. All dies hier erstrahlt als das Stützenlose – frei vom Wandel des Samsara. All dies hier erstrahlt als das Unzerstörbare und Todlose. Ich bin die unsterbliche Weisheit, die homogene Essenz – allesdurchdringend wie der Raum.
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Die Essenz der Bhagavad Gita Die Bhagavad Gita stellt eine Unterhaltung zwischen dem Gott Sri Krishna und Arjuna dar. Erzählt wurde diese Gita anlässlich des Krieges in der Mahabharata. Arjuna entwickelte seinerzeit eine falsche Liebe zu seinen Feinden, die gleichzeitig seine Verwandten waren, und weigerte sich, gegen sie zu kämpfen. Krishna unterwies ihn über die ewigen Wahrheiten der Existenz und zerstreute seine Verzagtheit. Man sollte seine Handlungen ohne Egoismus und Anhaftung ausüben. Niemand kann ohne Tätigkeit sein – nicht einmal einen Augenblick lang. Die Prakriti1 zwingt alle allezeit zum Handeln. Yoga ist der Gleichmut des Gemüts und die Weisheit während der Tat. Sämtliche Handlungen sollten Gott dargebracht werden. Wer absolute Hingabe an Gott hat, fürchtet nichts. Er überschreitet die Maya2. Indem man allem entsagt, sollte man Zuflucht nur zu Gott allein nehmen. Er wird uns von allen Sünden befreien. Indem man allen Gedanken entsagt, meditiere man unablässig über Gott. Er wird die Weisheit schenken, die alle Handlungen verbrennt und den Schüler auf den Gipfel der Unsterblichkeit trägt. Darin besteht die Essenz der Bhagavad Gita.
II-20 Der gesegnete Herr sprach: Weder wurde Er geboren noch stirbt er jemals; da Er gewesen ist, hört er niemals auf zu sein; ungeboren, wandellos, und uralt, wird Er nicht getötet, wenn der Körper getötet wird. II-23 Waffen können Ihn nicht schneiden, Feuer verbrennt Ihn nicht, Wasser nässt Ihn nicht und Wind dörrt Ihn nicht. II-24 Dieses Selbst kann weder geschnitten, gebrannt, genässt oder gedörrt werden. Es ist ewig, allesdurchdringend, fest, unbeweglich und uralt. 1 2
Natur des Universums Verwirrung über die Welt und die Person
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II-25 Von Diesem (Selbst) spricht man als unmanifestiert, jenseits des Denkens und unwandelbar. Kenne es als ein solches, und du wirst nicht mehr trauern. II-27 Sicher ist der Tod für den Geborenen, und sicher ist die Geburt für den Toten – trauere daher nicht mehr über das Unvermeidbare. II-38 Kämpfe in der Schlacht, indem du Freude und Leid, Gewinn und Verlust, Sieg und Niederlage als dasselbe betrachtest. Auf diese Weise wirst du nicht sündigen. II-40 Diese Praxis zieht keinerlei Verlust an Kraft und keinen Schaden nach sich (d.h., keine widersprüchlichen Resultate oder falsches Verhalten). Auch nur ein Weniges dieser Erkenntnis (sogar nur wenig Praxis dieses Yoga) schützt vor großer Furcht. II-47 Du hast ein Recht zur Arbeit, aber niemals ein Recht auf die Früchte. Lass nicht die Früchte des Handelns dein Motiv sein, und lass da auch keine Anhaftung ans Untätigsein entstehen. II-48 Führe deine Handlungen, oh Dhananjava, in der Stetigkeit des Yoga, im Aufgeben der Anhaftungen und im Gleichmut bei Gewinn und Verlust aus. Die Gleichförmigkeit des Gemüts ist Yoga. II-56 Wessen Gemüt nicht von Feindseligkeit aufgerührt, wer nicht nach den Sinnesvergnügen giert, wer frei von Anhaftung, Furcht und Zorn ist – den nennt man jemanden mit festgegründeter Weisheit. II-57 Wer stets ohne Anhaftung ist, ob ihm Gutes oder Schlechtes begegnet, wer weder frohlockt noch hasst – dessen Weisheit ist gefestigt. II-59 Die Sinnesobjekte verlassen denjenigen, der enthaltsam ist, und hinterlassen ein nur noch geringes Verlangen, aber sogar dieses Verlangen noch verschwindet, sobald er das Höchste geschaut hat. II-69 Was Nacht ist für alle Wesen, ist Wachen für den selbstbeherrschten Menschen; was Tag ist für alle Wesen, ist Nacht für den Muni (Weisen), der zu sehen vermag. II-70 Derjenige erlangt den Frieden, in dem alle Wünsche untergehen wie die Wasser im Ozean, der, obwohl an allen Seiten gefüllt, unbewegt bleibt, aber nicht derjenige, der ein Verlangen nach dem Wünschen hegt.
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II-71 Derjenige Mensch erlangt den Frieden, der alle Wünsche aufgibt und ohne Verlangen, ohne den Sinn des „mein“ und ohne Egoismus in dieser Welt wandelt. II-72 Darin besteht der Brahmische Stand (ewiger Stand), oh Sohn des Pritha. Wer dies erlangt, wird niemals getäuscht. Wer in diesem Stand verankert ist, erlangt am Ende des Lebens sogar das Einssein mit Brahman. III-5 Wahrhaftig vermag niemand, nicht einmal für einen kurzen Moment, ohne Tätigkeit zu sein, denn jeder wird in der Tat durch die der Prakriti entspringenden Kräfte hilflos zum Handeln veranlasst. III-6 Wer nach außen selbstbeherrscht erscheint, aber im Innern seines Gemüts über den Sinnesobjekten brütet, hat ein falsches Verständnis und muss als Heuchler bezeichnet werden. III-17 Der Mensch jedoch, der nur im Selbst frohlockt, der mit dem Selbst zufrieden ist, der nur im Selbst zu sein wünscht und nirgends sonst – für einen solchen gibt es wahrhaftig nichts mehr zu tun. III-18 Für einen solchen besteht weder ein Interesse an dem, was getan oder noch nicht getan wurde, noch irgendein Angewiesensein auf Wesen oder Objekte. III-27 Sämtliche Tätigkeiten werden in allen Fällen stets nur durch die Kräfte der Prakriti gewirkt. Wessen Verstand durch den Egoismus getäuscht wird, der denkt: „Ich bin der Täter“. III-28 Derjenige jedoch, der die Wahrheit kennt, oh große Seele, über die Teilungen der Kräfte und (deren) Funktionen und weiß, dass die Gunas1 in der Gestalt der Sinne mitten unter den Gunas in der Gestalt der Objekte wirken2, erfährt keine Anhaftung. III-29 Diejenigen, die von den Kräften der Prakriti getäuscht sind, haften an den Funktionen dieser Kräfte. Der Mensch der vollkommenen Erkenntnis darf aber diejenigen nicht stören, die nur unvollkommene Erkenntnis besitzen
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die Kräfte der Erregung, Trägheit und Ausgeglichenheit d. h., die Gunas wirken aufeinander ein, erzeugen sich gegenseitig selbst immer wieder neu; ein „Ich“ ist daran nicht beteiligt
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III-30 Kämpfe, indem du in Mir sämtlichen Handlungen entsagst, deinen Verstand im Selbst zentrierst und frei von Hoffnung und Egoismus, frei vom (mentalen) Fieber bist. III-35 Besser tue man seine eigene Pflicht, auch wenn dies keinen Verdienst erbringen sollte, als die Pflicht eines anderen, auch wenn man sie zufriedenstellend erfüllt. Es ist besser, in der Erfüllung der eigenen Pflicht als in der eines anderen zu sterben, denn diese erzeugt Furcht (bringt Gefahr hervor). IV-7 Wann immer es einen Niedergang der Rechtschaffenheit gibt, oh Bharata, und die Kräfte der Sünde erstarken, manifestiere Ich Mich. IV-8 Zum Schutz der Guten, zur Vernichtung der Ruchlosen und zur Wiederherstellung der Rechtschaffenheit erscheine Ich in allen Zeitaltern aufs neue. IV-11 In welcher Form die Menschen auch immer auf Mich zutreten, so komme Ich ihnen entgegen; stets folgen sie Meinen Weg, oh Sohn des Pritha. IV-24 Brahman ist die Opfergabe, Brahman ist die geklärte Butter, durch Brahman wird die Opfergabe in das Feuer Brahmans gegossen. Wahrhaftig wird Brahman von demjenigen erlangt, der überall immer nur das tätige Brahman sieht. IV-33 Das Opfer der Gedanken ist dem Opfer von Gegenständen überlegen, oh Parantapa (Plage der Widersacher). Sämtliche Handlungen in ihrer Gänze, oh Partha, münden in der Erkenntnis. IV-34 Wisse, dass die Weisen, die die Wahrheit realisiert haben, diejenigen darin unterweisen, die sich mit ihrem ganzen Körper vor ihnen niederwerfen, ihnen Fragen stellen und dienen. IV-36 Auch wenn du der schlimmste aller Sünder sein solltest, wirst du doch wahrhaftig auf dem Floß der Wahrheit das Meer deiner Sünden überqueren. IV-37 So wie das lodernde Feuer Brennstoff zu Asche verbrennt, oh Arjuna, so verbrennt das Feuer der Erkenntnis alle Handlungen zu Asche. IV-38 Wahrhaftig gibt es keinen größeren Reiniger in der Welt als die Erkenntnis. Wer im Yoga vollkommen ist, findet sie im Laufe der Zeit im Selbst.
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IV-39 Der Mensch, der voller Glauben ist, der hingegeben ist, der die Sinne unterworfen hat, der erlangt (diese) Erkenntnis, und nachdem er sie erworben hat, geht er sofort in den Höchsten Frieden ein. V-14 Gott erzeugt in der Welt weder Handlungen oder Antriebskräfte für Handlungen noch die Früchte von Handlungen. Es ist nur die Natur, die tätig ist. V-15 Gott nimmt niemandem die Mängel oder gibt irgend jemandem Verdienste. Die Erkenntnis ist verhüllt durch Unwissenheit – so werden die Wesen getäuscht. V-16 In denjenigen jedoch, deren Unwissenheit durch die Erkenntnis des Selbst zerstört wurde, enthüllt die Erkenntnis wie die Sonne das Höchste (Brahman). V-17 Mit in Dem absorbiertem Verstand, mit ihrem Selbst, das Das geworden ist, verankert in Dem, mit Dem als ihrem höchsten Ziel – so gehen sie, sündenfrei geworden durch die Erkenntnis, dahin, von wo es keine Wiederkehr gibt. V-18 Weise betrachten einen mit Bescheidenheit und Wissen versehenen Brahmin1, eine Kuh, einen Elefanten und sogar einen Hund und einen Ausgestoßenen mit demselben Auge des Gleichmuts. V-22 Die Vergnügen, die aus Kontakt entstanden sind, sind nichts als Erzeuger von Schmerz, denn sie haben einen Anfang und ein Ende, oh Sohn der Kunti (Kaunteya) – der Weise frohlockt ihretwegen nicht. V-24 Wer im Innern glücklich ist, wer in seinem Innern frohlockt, wer im Innern erleuchtet ist – dieser Yogi erlangt die absolute Freiheit in Brahman selbst, er ist selbst Brahman. VI-2 Kenne, oh Pandava, den Yoga als das, was wir Entsagung nennen. Niemand kann ein Yogi werden, der nicht den Gedanken entsagt hat. VI-4 Ein Mensch, der nicht an Sinnesobjekte oder Handlungen angehaftet ist, der allen Gedanken entsagt hat – von diesem sagt man, dass er den Yoga erlangt habe. VI-9 Wer mit demselben Gemütsauge die gutherzigen Freunde, die Feinde, die Gleichgültigen, die Fremden, die
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Brahman-Priester und -Gelehrte
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Hassenden, die Verwandten, die Rechtschaffenen und die nicht Rechtschaffenen betrachtet, der ist der Vortreffliche. VI-17 Der Yoga wird zum Zerstörer des Schmerzes für denjenigen, der mäßig isst und ruht (wie nach dem Wandern usw.), der zurückhaltend in den Tätigkeiten des Lebens ist, der im Schlafen und Wachen Maß hält. VI-22 Wer denkt, dass er nach dem Erlangen von diesem nichts Höheres mehr zu gewinnen hat und darin verankert ist, derjenige wird nicht länger beunruhigt, auch nicht von allergrößtem Leid. VI-23 Wisse, dass dies mit dem Namen Yoga bezeichnet wird: Die Loslösung von der Gemeinschaft mit dem Leiden. Dieser Yoga sollte mit Entschiedenheit und unverzagten Verstand praktiziert werden. VI-35 Unzweifelhaft, oh Starkarmiger, ist der Verstand schwer zu unterwerfen und stets ruhelos, aber durch Praxis, oh Kaunteya, und durch Leidenschaftslosigkeit kann er beherrscht werden. VI-40 Oh Partha, weder in dieser noch der nächsten Welt gibt es für diesen Tod oder Vernichtung – den Aspiranten –, denn wahrhaftig erfährt niemand, der Gutes tut, oh mein Sohn, jemals Kummer. VI-44 Durch diese Praxis des Yoga macht ein solcher sogar gegen seinen Willen Fortschritte. Schon einer, der den Yoga nur kennenzulernen wünscht, geht damit bereits jenseits der Vorschriften des Veda. VII-3 Unter Tausenden strebt vielleicht nur ein einziger nach der Vollkommenheit; unter diesen erfolgreich Strebenden wiederum gibt es vielleicht nur einen, der Meine Essenz kennt. VII-7 Etwas Höheres als Mich gibt es nicht, oh Dhananjava. Alles hier ist auf Mir aufgereiht wie die edlen Perlen auf einer Schnur. VII-18 Edel sind sie gewiss alle, diese Mir Hingegebenen, aber die Weisen erachte Ich als Mein eigenes Selbst. Mit standfesten Gemüt ist dieser in Mir allein als dem höchsten Ziel verankert. VII-19 Am Ende vieler Geburten gelangt der weise Mensch zu Mir, erkennend, dass all dies Vasudeva (das innerste Selbst) ist. Eine solche große Seele ist nur schwer zu finden.
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VIII-6 Wer am Ende seines Lebens den Körper verlässt, geht stets nur dahin, oh Kaunteya (Sohn der Kunti), wohin sein Denken aufgrund seines ständigen Denkens daran gerichtet ist. VIII-7 Denke daher zu allen Zeiten an Mich allein und kämpfe. Mit in Mir verankertem (oder absorbiertem) Verstand und Intellekt wirst du ohne jeden Zweifel zu Mir und nur zu Mir, kommen. VIII-13 Wer die Einsilbe OM, das Brahman, anstimmt und stets nur an Mich denkt, der erlangt, sobald er abscheidet und den Körper verlässt, das Höchste Ziel. VIII-15 Nachdem sie Mich erlangt haben, treten diese großen Seelen in keine neue Geburt, die die Heimstatt der Schmerzen und nicht von Dauer ist, mehr ein – sie haben die höchste Vollkommenheit (Moksha) erreicht. VIII-16 (Alle) Welten einschließlich der Welt von Brahma sind der Wiederkehr unterworfen, oh Arjuna, aber derjenige, der Mich erreicht hat, oh Kaunteya, kennt keine Wiedergeburt mehr. IX-22 Für diejenigen Menschen, die Mich allein verehren und an nichts anderes denken, die immer mit Mir verbunden sind, stelle ich das sicher, was sie noch nicht besitzen (Yoga), und erhalte ihnen das, was sie bereits besitzen (Kshema). IX-23 Sogar diejenigen Hingegebenen, die voller Vertrauen andere Götter verehren, verehren im Grunde nur Mich allein, oh Sohn der Kunti, auch wenn sie dabei falsche Methoden verwenden. IX-27 Was immer du tun magst, was immer du isst, was immer du als Opfergabe reichst, was immer du gibst, was immer du als Askese praktizierst, oh Kaunteya – biete es Mir an. IX-29 Für alle Wesen bin Ich Derselbe, für Mich ist niemand hassenswert oder lieb, aber diejenigen, die Mich mit Hingabe verehren, sind in Mir und auch Ich bin in ihnen. IX-32 Wer Zuflucht zu Mir nimmt, wird ebenfalls, oh Partha, auch wenn er eine sündige Geburt gehabt haben
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sollte – wie Frauen, Vaishyas1 und auch Sudras2 -, das Höchste Ziel erreichen. IX-33 Wie viel eher (einfacher) (werden) dann die heiligen Brahmanen und die hingegebenen, strahlenden Heiligen (das Ziel erreichen)! Verehre Mich, der du in dieser vergänglichen und unglücklichen Welt lebst. IX-10 Denjenigen, die Mich mit ununterbrochener Stetigkeit und Liebe verehren, gebe ich den Yoga der Unterscheidung, durch welchen sie in Mich eingehen werden. X-11 Aus bloßem Mitgefühl für diese vertreibe Ich, der Ich im Innern ihres Selbst wohne, mit der leuchtenden Lampe der Erkenntnis die aus der Unwissenheit geborene Finsternis. X-42 Aber von welchem Vorteil ist für diese das Wissen über alle diese Einzelheiten3, oh Arjuna? Ich existiere und trage diese ganze Welt mit nur einem Bruchteil von Mir. XII-13 Wer kein Wesen hasst, wer freundlich und mitfühlend gegenüber allen und frei von Anhaftung und Egoismus ist, ausgeglichen in Vergnügen und Schmerz, wer vergibt, XII-14 Wer stets zufrieden, fest und ausdauernd in der Meditation, selbstbeherrscht und von fester Überzeugung ist und einen Mir gewidmeten Verstand und Intellekt hat, dieser, Mein Schüler, ist Mir teuer. XII-15 Wer die Welt nicht beunruhigt (stört) und selbst durch die Welt nicht beunruhigt werden kann, wer frei von Lust, Neid, Furcht und Ängstlichkeit ist – dieser ist Mir teuer. XII-16 Wer frei von Verlangen, rein, erfahren, unbekümmert und sorgenfrei ist, wer allen Bestrebungen (oder Initiativen) entsagt – dieser, der (auf diese Weise) Mir hingegeben ist, ist Mir teuer. XII-17 Wer weder frohlockt noch hasst, weder trauert noch wünscht, wer dem Guten und dem Bösen gleichermaßen entsagt und voller Hingabe ist – dieser ist Mir teuer. 1 2 3
Kaufleute; diese Tätigkeit gilt als spirituell unehrenhaft Unreine, Kastenlose d. h. hier: weltliches Wissen ist nutzlos
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XII-18 Wer gegenüber Freund und Feind und auch in Ehre und Unehre derselbe ist, wer derselbe in Kälte und Hitze, Vergnügen und Schmerz und frei von Anhaftung ist, XII-19 Wem Lob und Tadel für dasselbe gelten, wer ruhig und zufrieden mit allem, heimatlos, ausgeglichen im Verstand und voller Hingabe ist – dieser ist Mir teuer. XIII-7 Bescheidenheit, Anspruchslosigkeit, Harmlosigkeit, Vergebung, Rechtschaffenheit, Respekt gegenüber dem Lehrer, Reinheit, Ausdauer, Selbstbeherrschung, XIII-8 Gleichgültigkeit gegenüber den Sinnesobjekten, Abwesenheit des Egoismus, Verständnis für Leid und Schmerz, wie diese Geburt, Tod, Alter und Krankheit innewohnen, XIII-9 Losgelöstheit, ohne krankhafte Anhänglichkeit an Kind, Ehepartner, Haus usw., steter Gleichmut bei erwünschten und unerwünschten Ereignissen, XIII-10 Unerschütterliche Liebe zu Mir durch den Yoga der Nicht-Getrenntheit, Rückzug an einsame Orte, Abneigung gegen Menschenansammlungen, XIII-11 Beständigkeit in der Selbst-Erkenntnis, Intuition des wahren Wissens – dies ist erklärtermaßen das, was man Erkenntnis nennt und deren Gegenteil die Unwissenheit ist. XIII-17 Dieses, das Licht aller Lichter, ist jenseits der Finsternis. Es ist die Erkenntnis, das Erkennbare und das Ziel der Erkenntnis – es wohnt in den Herzen aller. XIII-30 Wer all die Vielfalt der verschiedenen Wesen als in dem Einen ruhend zu sehen vermag, wie sie von Dem (Einen) allein ausgeht – der wird Brahman. XIV-24 Wem Freuden und Vergnügen dasselbe bedeuten, wer im Selbst lebt, für wen ein Erdkloß, Steine und Gold dasselbe bedeuten, für wen die Lieben und die nicht Lieben dasselbe sind, wer gefestigt und derselbe in Lob und Tadel ist, XIV-25 Wer derselbe in Ehre und Schande ist, wer derselbe gegenüber Freund und Feind ist und alle Bestrebungen aufgegeben hat – von diesem sagt man, dass er jenseits der Gunas gegangen sei.
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XV-6 Hier scheinen weder die Sonne oder der Mond noch brennt hier das Feuer. Wer diese Meine Höchste Wohnstatt erreicht hat, kehrt von hierher nicht mehr zurück. XV-12 Dieses Licht, welches in der Sonne wohnt und die ganze Welt erleuchtet, welches im Mond und im Feuer ist – wisse, dass dieses Licht Meines ist. XV-18 Da Ich das Verderbliche überschreite und sogar höher als das Unverderbliche bin, werde Ich in der Welt und im Veda als Purushottama (der Höchste Purusha1) bezeichnet. XVI-21 Dreifach ist das Tor zur Hölle, zerstörerisch für das (individuelle) Selbst sind Lust, Zorn und Gier. Gib diese drei daher auf. XVI-23 Wer die Bräuche der Schriften verwirft und den Impulsen seiner Wünsche nachgibt, erlangt weder Vollkommenheit und Glück noch das Höchste Ziel. XVII-14 Die Verehrung der Götter, Zweimalgeborenen2, der Lehrer und der Weisen, Reinheit, Geradlinigkeit, sexuelle Enthaltsamkeit und nicht verletzende Verhalten nennt man die Askese Körpers.
der die das des
XVII-15 Die Rede, die keinerlei Aufregung erzeugt, die wahr, erfreulich und wohltuend ist und die Praxis des Studiums der Veden nennt man die Askese der Rede. XVII-16 Die Ernsthaftigkeit des Verstandes, die Gutherzigkeit, die Ruhe, die Selbstbeherrschung und Reinheit des Wesens nennt man die mentale Askese. XVII-23 „Om, Tat, Sat“3: Dies wurde zum dreifachen Zeichen des Brahman erklärt. In diesem Zeichen wurden vor langer Zeit die Opfer, die Veden und die Brahmana eingesetzt. XVIII-52 In Zurückgezogenheit lebend, wenig essend, Rede, Körper und Verstand unterwerfend, stets mit Meditation und Konzentration befasst, Zuflucht zur Leidenschaftslosigkeit suchend, 1 2 3
Purusha: Gott-Person d. h., des körperlich geborenen, der spirituell wiedergeboren wurde wörtl.: »OM! Das ist Sein«
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XVIII-54 Brahman werdend und heiter im Selbst, weder trauernd noch verlangend und stets derselbe gegenüber allen Wesen, erlangt man die höchste Hingabe an Mich. XVIII-61 Gott wohnt in den Herzen aller Wesen, oh Arjuna, und bringt durch seine betörende Macht sämtliche Wesen so hervor, als wären sie die drehenden Räder einer Maschine. XVIII-65 Richte deinen Verstand fest auf Mich, sei Mir hingegeben, opfere Mir, verneige dich vor Mir. So wirst du zu Mir kommen. Dies verspreche Ich dir feierlich, der du Mir teuer bist. XVIII-66 Gib alle (anderen) Pflichten auf, nimm Zuflucht zu Mir allein. Ich werde dich von allen Sünden befreien. Trauere also nicht länger. XVIII-78 Wo Krishna ist, der Herr des Yoga, und wo Partha ist, der Bogenschütze, sind Wohlstand, Sieg, Glück und Gerechtigkeit sicher verankert: Daran glaube ich fest.
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Die kleineren Gitas
Die Essenz der Anu Gita Diese Gita ist Teil des Ashvamedha-Parva des Mahabharata1. Arjuna bittet Sri Krishna darum, ihm die ursprüngliche (Bhagavad) Gita erneut zu erzählen, da er diese, seit sie ihm zur Zeit des Krieges übermittelt worden war, wieder vergessen habe. Als Erwiderung erklärt Sri Krishna, dass eine Wiederholung der Gita unmöglich sei und erzählt anstelle dessen eine Geschichte, die verschiedene spirituelle Lehren als eine Fortsetzung der ursprünglichen Bhagavad Gita enthält.
I-30 Nirgendwo kann dauerhaftes Glück gefunden werden. Nirgendwo sieht man einen auf immer andauernden Zustand. Anstelle dessen erlebt man stets nur den Fall aller jemals erreichten Positionen, auch der großartigsten, wie groß und mühevoll auch immer die Bestrebungen gewesen sein mochten, sie zu erlangen. I-32 Wieder und wieder gibt es da den Tod. Wieder und wieder gibt es Geburt. So viele verschiedene Nahrung wurde gegessen, und von so vielen verschiedenen Mutterbrüsten wurden getrunken. I-33 So viele und zahlreiche Mütter und verschiedenste Väter wurden erblickt. Auch wunderbare Erfahrungen und schreckliche Schmerzen wurden erlebt. I-33 Die Trennung von den Lieben und auch das erzwungene Zusammenleben mit den Hassenswerten wurden erfahren. Aller Reichtum, obwohl mit so viel Mühe und Leiden erworben, ging wieder verloren. I-35 Unerträgliche Beleidigungen wurden ertragen, von Verwandten und auch von anderen. Äußerst starken Schmerzen des Körpers und von Verstand und Seele wurde man ebenfalls unterworfen.
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indisches Nationalepos
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I-36 Extreme Formen von Entehrung tauchten auf. Schauerliche Morde und Gefangennahmen mussten erlebt werden. Viele Male wurden Stürze in die Hölle und Leiden in der Heimstatt Yamas1 erfahren. I-37 Viele Male haben Alter und Gebrechen Mühen verursacht. Durch stetiges Aneinander-Reiben der Gegensatzpaare in dieser Welt wurde so viel Sorge erlebt. I-38 Nachdem ich auf diese Weise von Unterjochung, Beleidigung und Leiden aller Arten in Stücke gerissen worden bin und in schweren Kummer versank, habe ich Ekel gegenüber allem entwickelt und und den drei Welten entsagt. II-7 Wer dem Lebensende entgegengeht, beginnt auf verdrehte Weise zu handeln. Sein Intellekt umwölkt sich, sobald der Tod naht. II-8 Wer vom Materiellen besessen ist und seine körperliche Verfassung, seine Kraft und seine Umstände nicht richtig beurteilt, isst zum falschen Zeitpunkt das, was schädlich für sein eigenes Selbst ist. II-9 Ein solcher Mensch wird allen möglichen Arten von Leiden unterworfen – entweder nimmt er zuviel zu sich oder sogar überhaupt nichts. II-10 Er verzehrt verseuchte Nahrung und Fleisch, und eine solche Nahrung richtet beim Zusammenkommen Schaden an. Er nimmt zu schwere Mahlzeiten zu sich und überisst sich sogar dann, wenn Verdauungsstörungen bestehen. II-11 Er ist zu sorglos und verspielt, und ergeht sich zuviel im Geschlechtsverkehr. Da er durch die Karmas2 kontrolliert wird, handelt er nur aufgrund von Impulsen. II-12 Er isst zu scharf gewürzte Speisen und schläft am Tage. Handlungen wie diese stacheln die sündhaften Neigungen der Person zur Unzeit, noch weit vor der Todesstunde, an. III-1 Handlungen, gute wie schlechte, vergehen nicht. Indem sie wieder und wieder begangen werden, reifen ihre Früchte in verschiedenen Körpern und auf gleiche Weise heran. 1 2
Gott des Todes d. h. hier: blinde Leidenschaften und Gewohnheiten aus der Vergangenheit
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III-33 Derjenige überquert den Ozean des Samsara – der so schwer zu überqueren ist –, der erkennt, dass sämtliche Freuden nur Schmerzen in anderer Gestalt sind. IV-1 Wer sich an einen einsamen Ort setzt, dort ruhig ist und an nichts denkt und nach und nach allem entsagt, wird frei von allen Handlungen und Initiativen. IV-2 Derjenige Mensch ist befreit, der der Freund aller ist, der alles geduldig erträgt, der still und selbstbeherrscht ist, der frei von Furcht und Zorn und ohne Leidenschaften ist. IV-3 Derjenige ist in der Tat rundherum befreit, der rein im Herzen und selbstbeherrscht ist und alle Wesen als sein eigenes Selbst betrachtet, der egolos und ohne Stolz ist. IV-4 Der ist befreit, der derselbe im Leben wie im Tode, in Vergnügen und Schmerzen, Gewinn und Verlust, Liebe und Hass ist. IV-5 Derjenige ist gewiss ein Befreiter, der andere um nichts bittet, der niemanden kränkt, der jenseits der Gegensatzpaare und frei von Wünschen ist. IV-6 Derjenige ist befreit, der weder Feinde noch Freunde und keine Kinder hat, der Dharma, Artha und Kama1 aufgegeben hat und ohne Erwartungen ist. IV-7 Derjenige erlangt die Befreiung, der weder tugendhaft noch lasterhaft ist, der keine Vorräte anhäuft, der das Fleisch gekreuzigt hat, der heiteren Gemütes und ohne die Gegensatzpaare ist. IV-8 Jemand, der den Tätigkeiten entsagt hat und wunschlos geworden ist, sollte stets bedenken, wie doch die gesamte Welt vergänglich, ruhelos und schwer zu kontrollieren ist und stets von Geburt, Alter und Tod verfolgt wird. IV-10 Man erlangt die Befreiung, wenn man das Selbst wahrnimmt, welches ohne Geruch, ohne Geschmack, ohne Berührung, ohne Klang, unergreifbar, farblos und unkennbar ist.
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Dharma, Artha, Kama: Lebenspflichten, Wohlstandserwerb, weltliche Freuden
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IV-14 Wer von allen Samskaras1 frei geworden ist, erlangt das ewige Brahman, das Höchste, das Friedvolle, das Unbewegte, das Immerwährende, das Unverderbliche. IV-17 Nachdem man von den Sinnen Abstand genommen hat, sollte man den Verstand im Atman fixieren. Zu Beginn sollte man nachdrückliche Askese praktizieren, danach sollte der Yoga der Befreiung praktiziert werden. IV-24 Sobald eine Person klar das Selbst als die Absolute Identität wahrzunehmen in der Lage ist, gibt es für sie keinen Gott mehr, da sie selbst zum Gott der drei Welten geworden ist. IV-26 Derjenige, der im Selbst zentriert ist, überlässt sogar sein Gott-sein den Göttern. Er gibt den vergänglichen Körper auf und erlangt das Unzerstörbare Brahman. IV-27 Ein solcher fürchtet nichts, wenn die Welten zerstört werden; ein solcher ist nicht gequält davon, dass die Wesen leiden. IV-29 Ihn verletzen die Waffen nicht, für ihn gibt es keinen Tod. Nirgendwo in der Welt könnte eine größere Freude gefunden werden. IV-32 Wer, nachdem er sich im Selbst verankert hat, das Selbst im Selbst zu sehen vermag, verlangt nicht nach den Titeln Indras2. XX-16 Die Erkenntnis ist das Höchste. Sannyasa3 ist das größte Tapas4. Wer mit Bestimmtheit die Wahrheit der Weisheit, das unberührte Selbst in allen Wesen, kennt, ist die Quelle und die Zuflucht für alle. XX-34 Brahman ist Wahrheit. Tapas ist Wahrheit. Der Schöpfer ist Wahrheit. Alle Wesen werden aus der Wahrheit geboren. Die ganze Welt mitsamt ihrem Inhalt ist Wahrheit. XX-35 Daher sind die Brahmins5 in der Wahrheit verwurzelt. Sie sind auf immer dem Yoga hingegeben. Sie 1 2 3 4 5
„Gedankensamen“, hier: schädliche Neigungen aus der Vergangenheit Der Gott der Götter Leben als Entsagender Askese, Selbstbeherrschung, Sammlung Brahman-Priester und -Gelehrte
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befinden sich jenseits von Zorn und Leid. Sie sind selbstbeherrscht und die Ehegemahle der Rechtschaffenheit. XXVIII-18 Der Tag endet zum Sonnenuntergang. Die Nacht endet zum Sonnenaufgang. Glück zeugt Unglück. Kummer zeugt Glück. XXVIII-19 Alles Anhäufen ist nichts anderes als völlige Erschöpfung. Aufstieg findet statt bis zum Fall. Vereinigung findet statt bis zur Trennung. Leben findet statt bis zum Tod. XXVIII-20 Sämtliche Tätigkeit findet statt bis zur Zerstörung. Der Tod ist dem gewiss, der geboren wurde. Sämtliche bewegten und unbewegten Wesen sind in dieser Welt vergänglich. XXVIII-21 Was im Opfer geopfert, in der Wohltätigkeit gegeben, in der Buße praktiziert, was gelernt und studiert, sämtliche Vratas1 und Sitten – alles dieses ist zur Vernichtung bestimmt. Die Weisheit jedoch kennt kein Ende. XXVIII-22 Daher ist derjenige, der durch Weisheit gereinigt wurde, der still in Verstand und Seele, selbstbeherrscht und ohne den Sinn des „mein“ und ohne Egoismus ist, von allen Sünden befreit. XXVIII-20 (Der Bhikshu2) sollte weder froh gestimmt sein, sobald er etwas bekommen hat, noch niedergeschlagen sein, wenn er nichts erhalten hat. Er sollte nicht so viel Bhikhsa3 zu sich nehmen, da von ihm lediglich erwartet wird, dass er seine Pranas4 intakt erhält. XXXI-1 Diejenigen, die die Wahrheit sprechen, sagen, dass Sannyasa Buße sei. Die Brahmins, die im Brahman eingetaucht sind, sagen, dass die Erkenntnis Brahman und das Höchste sei. XXXI-3 Durch Weisheit und Buße nehmen die Helden dieses Höchste wahr – sie, die ruhig im Gemüt, rein und frei von Rajas5 und makellos sind. 1 2 3 4 5
religiöse Feiern zur Wunscherfüllung Bettelmönch Bettelspeise „Körperwinde“, die Lebenstätigkeiten, hier: Entsagung körperlicher Übertreibung Erregung
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XXXI-4 Diejenigen, die stets im Sannyasa verankert sind, die die Kenner des Brahman sind – diese wandern mit dem Mittel der Buße den gesegneten Pfad und erreichen den Höchsten Herrn. XXXV-29 Zwei Buchstaben bedeuten den Tod. Drei Buchstaben bedeuten das Ewige Brahman. „Mama“ – „mein“ – führt zum Tod. „Na-mama“ – „nicht mein“ – führt zur Ewigkeit. XXXV-30 Manche stumpfsinnige Leute preisen das Karma1. Die weisen, großen Seelen preisen niemals das Karma. XXXV-31 Aufgrund des Karma wird ein Wesen mit einem Körper und den sechzehn Bestandteilen2 geboren. Durch den Erwerb der Erkenntnis nimmt es am unsterblichen Purusha3, dem Kennbaren, teil. XXXV-32 Daher befreunden sich diejenigen, die die Sichtweise der Wahrheit all dessen besitzen, niemals mit dem Karma. Dieses Selbst ist erfüllt von Erkenntnis – nicht vom Karma. XXXV-33 Derjenige stirbt niemals, der auf diese Weise das unsterbliche, ewige, unerfassbare und unverderbliche, dieses teure Selbst, das Unangehaftete, kennt.
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hier: die Welt mit ihren Leidenschaften die insgesamt sechzehn Bestandteile von Körper, Gemüt und Geist Gott-Person
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Die Essenz der Brahma Gita Die Brahma Gita ist Teil des Nirvana Prakarana im Yoga Vasistha. Es ist eine Unterhaltung zwischen dem Weisen Vasistha und Sri Rama. Dieses Gita ist sehr stark philosophisch und handelt von der höchsten Wirklichkeit bzw. dem höchsten Sein. Es wird auf klare Weise die Natur Brahmans, der Welt und der individuellen Seele dargelegt. In Wahrheit gibt es nur das ewige Brahman. Nicht existiert in Wahrheit als solches. Die Welt ist nichts als ein fälschliches Abbild oder eine Erscheinungsform Brahmans. Das Individuum ist wie eine Wasserblase im Ozean Brahmans. Die gesamte Welt ist wie ein langer Traum und gänzlich ohne Substanz. Nur Brahman, die Absolute, Undifferenzierte Masse von Satchidananda1, existiert. Die Verwirklichung dieser einen Essenz der Wahrheit bedeutet die Erlangung des Ewigen Lebens. Darin besteht die Essenz der Brahma Gita.
I-9 Sri Vasistha sprach: So wie es nur das individuelle Bewusstsein ist, welches im Traum als Holz, Steine usw. erscheint, so ist es auch nur das eine, Unendliche Bewusstsein, welches die Gestalt der Schöpfung und anderer Dinge annimmt. I-10 und 11 So wie das Individuum aus Bewusstsein und dem unbewussten Körper mit seinen Fingernägeln, Haaren, dem Wasser, Raum und weiteren Erscheinungsformen besteht, so ist das Absolute das Bewusstsein und erscheint als der kosmische, leblose Körper des Universums mit seinen beweglichen und unbeweglichen Bewohnern. I-13 All dies hier ist nichts als das Unendliche Bewusstsein – weder gibt es da einen Wahrnehmer noch das Wahrgenommene. Darin besteht die große Stille, und dies ist der Zustand des großen Erwachens des träumenden Menschen (des unwissenden Jiva2). 1 2
die drei Ausdrucksformen Brahmans: Sein (Sat), Bewusstsein (Chid), Seligkeit (Ananda) individuelle Seele
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I-17 Sobald einer durch rationales Erwägen empfindet: „Ich bin nicht die Welle – ich bin der Ozean selbst“, wie könnte dann die Welle noch länger eine Welle bleiben? I-18 Es ist nur das Eine Brahman, welches als Welle erscheint. Das Wesen der Welle und das Wesen des Ozeans sind zwei Kräfte des einen Brahmans, das hier allein erscheint. I-19 Der Schöpfer Brahma ist der kosmische Verstand, der selbst nichts als das Traumbewusstsein der Unendlichen Wirklichkeit ist, die selbst niemals ihre Gestalt der Absolutheit aufgibt (trotz der Schöpfung). I-26 Der großartige Glanz des Unendlichen Bewusstseins wird der universelle Gott (Virat bzw. Isvara) genannt, der wie eine durch Vorstellungskraft geschaffene Stadt ist. Seine Schöpfungen sind gleichermaßen mental. I-27 Die Schöpfung ist ein Traum. Auch Wachsein ist ein Traum. Der Körper ist ein Traum. So wie die Masse an Schlaf durch den Traum aufgerührt wird, so ist auch das empirische Bewusstsein auf die scheinbare Bewegung des Absoluten Bewusstseins zurückzuführen. I-31 Der in sich widerspiegelnde Glanz des Einen Bewusstseins ist es allein, der als das Universum der Vielfalt erscheint. Nur das Selbst allein wird als das Universum erfahren. I-32 Der allerhöchste Schöpfer der Welt und des Raumes sind diese erscheinende, eine Masse von Bewusstsein. All das ist von seiner Natur her wie die Traumgebilde im Traum des Selbst, so wie die Welt mit ihren Bergen und Elefanten nur ein Traum ist. II-1 So wie einer in seinem persönlichen Traum die Vielzahl der Objekte erschafft, so ist auch die Erschaffung dieses Universums nur ein Traum im Absoluten Bewusstsein. Die Welt ist nur eine Erscheinung. Die drei Welten1 sind daher nichts als Brahman. II-2 Die Welten sind die Wellen im Brahman-Ozean. Sämtliche Individuen sind das Schäumen dieser Wellen. Auch die anderen Formen dieser vielfältigen Schöpfung und des vereinigenden Bewusstseins der Seligkeit sind nur Das. Daher besitzen die Dualität und ihr Gegenteil keinerlei Substanz. 1
Tiefschlaf, Wachen, Träumen
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II-4 Diese Welt ist, sobald sie einmal durch Nachdenken tiefgründig verstanden wurde, nur das, was die Traumobjekte für den Wachzustand sind. Wie könnte es für jemanden, der die Unterscheidungskraft erobert hat, noch Wünsche geben? II-10 Der Zustand des Nirvikalpa1 ist der Zustand der erlesenen Indifferenz. Savikalpa2 ist der Zustand des Wachseins für das relative Universum. In diesen beiden relativen Zuständen können weder Konzentration noch Meditation das ultimative Bewusstsein erlangen. II-13 Der Jivanmukta3 tritt ins Dasein durch diese höchste Unterscheidung und das richtige Wissen um die gänzliche Unmöglichkeit der Weltschöpfung, da sie nichts als eine bloße Illusion ist. II-15 Der höchste Zustand des Seins ist die grenzenlose Stille (wie im Schlaf). Er wird Turiya oder Nirvana genannt, und man bezeichnet ihn ferner auch als Moksha. II-16 Nur dieser Stand des Seins in der Masse der Ewigen Weisheit ist der Zenit der Meditation. Es ist der Stand, in dem sämtliches objektives Sein der gänzlichen Auslöschung anheimgefallen ist. Diese Absolute Erkenntnis ist das Höchste Ziel. II-17 Es ist nicht leblos wie Stein. Es ist nicht unbewusst wie der Schlaf. Es ist weder Nirvikalpa noch Savikalpa, und es ist ebenfalls nicht inexistent. II-18 Es ist die äußerste Nicht-Existenz sämtlicher Formen der Objektivität. Das allein ist das ursprüngliche (genuine) Bewusstsein. Das ist Alles und Das ist Nichts. Nur Das kennt Das. II-19 Dieses gesamte, wahrnehmbare Universum in Dem befindet sich einem Zustand totaler Auflösung. Es ist der Friede von Wahrheit und Bewusstsein. Es ist das Höchste Sein. II-20 Es gibt da nicht vieles oder eines. Es ist nichts – es ist alles. Es ist das äußerste Ende und jenseits aller Konzepte von Sein und Nicht-Sein. II-26 Die Täuschung der Weltwahrnehmung kann durch Askesepraktiken und Pilgerfahrten nicht überwunden 1 2 3
unterschiedslose Meditation, „Leersein“ Weltwahrnehmung spirituell noch im Leben Befreiter
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werden. Askese und heilige Bäder mögen himmlische Zustände hervorbringen, aber niemals Befreiung. II-27 Die Täuschung wird durch das Verstehen der heiligen Texte und die tiefgründige Meditation über ihre Bedeutung überwunden. Befreiung ist nur durch SelbstErkenntnis und durch kein anderes Mittel möglich. III-3 Die Welt ist wie die Frau, der sich einer in seinem Traum erfreut, unwirklich. Die Wahrheit besteht darin, dass da nur dieser erlesene Friede des Unendlichen Bewusstseins regiert. III-6 Objektives Bewusstsein ist selbst eine Traumschöpfung. Wie könnte es dann also die Erde usw. geben, und wie könnte es eine Schöpfung geben? III-11 Diese Bewegung des Bewusstseins innerhalb von sich selbst ist ein Spiel von Dem in Ihm Selbst. Es ist die Unendliche Wirklichkeit, die in der Unendlichen Wirklichkeit auftaucht. Dies alles hier ist die Form dieses vollkommen Reinen Wesens. III-15 Es ist nur dieses Eine, Höchste, Formlose Brahman, welches in Seinem Sich Selbst gleichen Zustand das gesamte, gestaltete Universum der mannigfaltigen Eigenschaften ist. III-17 Nur das Eine Brahman erscheint aufgrund seiner Natur als das individuelle, fiktive Selbst. Das Ewige, welches seine Natur niemals aufgibt, erscheint so, als wäre es ein differenziertes, psychisches Wesen. III-22 Es gibt hier keinen Planeten Erde. Es gibt keinen Körper. Es gibt hier tatsächlich überhaupt nichts zu sehen. Nur das eine Sein des Verstandes hat sich selbst als dieses ausgedehnte Universum verbreitet – es ist auf immer wandelhaft. III-23 Sobald tiefgründig darüber nachgedacht wird, stellt sich heraus, dass hier überhaupt nichts existiert, nicht einmal der Verstand. Nur diese Eine Masse der Bewusstseins-Absolutheit erstrahlt durch Sich Selbst in Sich Selbst. III-34 Wisse, dass all dies die absolut Friedvolle, Ewige Wirklichkeit ist. Das Geburtlose, das Unverderbbare, das Absolute, das Großartige, die Homogene Wahrheit ist diese Welt.
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III-38 Brahman erscheint so als die Welt (der Schöpfung), wie der Schlaf in den Traum übergeht. Und doch ist all dies nur die eine selige, friedvolle Wirklichkeit. Sobald sie erstrahlt, wird sie vielfältig. III-77 Man sollte sein kostbares Leben nicht durch närrische Einbildungen zu Asche verbrennen. Mit der Hilfe der erlesenen Weisheit, der Essenz der Erkenntnis, sollte man die gesamte Existenz ins Selbst eintauchen. III-78 Nicht einmal einen einzigen Moment des Lebens könnte man mit allem Reichtum des gesamten Universums zusammegenommen erkaufen. Wer sein kostbares Leben nutzlos verschwendet, begeht einen wahrhaftig unverzeihlichen Fehler. V-9 Nichts hier entwickelt sich. Nichts hier verschwindet jemals. Das eine anfangslose und endlose Absolute Brahman allein existiert. V-10 Was wäre die Ursache von was, durch was und für welchen Zweck, und wo? Diese Frage besitzt keinerlei Substanz (denn alles ist Brahman). V-14 Niemand ist unwissend, niemand hat Erkenntnis. Wie könnte man über den Baum am Himmelsfirmament sprechen, der doch unwirklich ist? VI-21 Es gibt hier kein einziges Wesen, das als eine unterschiedene Wesenheit existiert. Zu allen Zeiten ist die Gesamtheit der Existenz nichts als das eine Friedvolle, Undifferenzierte Brahman. VI-22 Das Reine, der Ozean der Weisheit, das Absolute, die Stille, die Undifferenzierte Wirklichkeit scheint als die Materialität der Erde usw. aufzutauchen, die jedoch nichts als ein Traum oder Einbildung ist. VI-23 Dieses Universum existiert weder am Anfang noch am Ende, denn es besitzt überhaupt keine Ursache. Folglich ist es sogar in der Gegenwart (in der Mitte) nichts anderes als eine illusorische Erscheinung, wie Traumerscheinungen. VI-24 Der Himmel, die Erde, die Luft, das Firmament, die Berge, die Flüsse, die verschiedenen Erdteile – all dieses kennt man allein als den großen Strom des Erlesenen Undifferenzierten Bewusstseins. VI-42 Da sämtliche Welten, ihre Erde und ihre Berge, nichts als diese Bewusstseinsmasse sind, ist all dieses
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nichts als das strahlende Licht des Bewusstseins. Was könnte man darüber hinaus noch darüber sagen? VI-48 Die Bäume sind das Brahman-Bewusstsein. Die Erde ist Brahman-Bewusstsein. Der Himmel ist das Brahman-Bewusstsein. Das Firmament ist das BrahmanBewusstsein. Die Berge sind das Brahman-Bewusstsein. Nichts, was nicht das Brahman-Bewusstsein ist, könnte jemals existieren. VI-59 So wie jemand nach und nach diese stete Wahrnehmung des Brahman-Bewusstseins an allen Orten innerhalb von sich selbst entwickelt, so verschwindet nach und nach vollständig und in kurzer Zeit all sein Kummer. VI-61 Für die Toren, die wahrhaftig ein unglückliches Leben führen und nicht diese Wahrnehmung des BrahmanBewusstseins erlangt haben – für diese ist dieser langdauernde Samsara der harte und wirkliche Vajra1, und dieser endet niemals. VII-3 Absolutes Bewusstsein existiert in Absolutem Bewusstsein. Stille existiert in Stille. Das Unendliche existiert im Unendlichen. Weisheit erblüht in Weisheit. VII-6 Die Hände sind das Reine Bewusstsein. Der Kopf ist das Reine Bewusstsein. Die Sinne sind das Reine Bewusstsein. All dies ist die Friedvolle Ungeteilte Essenz. Nichts hier ist getrennt voneinander. VII-18 Der Seher, das Sehen und das Gesehene sind alle das Strahlen des Bewusstseins der Absoluten Wirklichkeit. Alles Wahrgenommene ist nichts als ein leerer Traum. Daher ist dieses ganze Universum nichts als das Unendliche Bewusstsein.
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mächtige, unzerstörbare Gottheit
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Die Essenz der Janaka Gita Die Janaka Gita bildet einen Teil des Upashanti Prakarana des Yoga Vasishtha. Es handelt sich dabei um einen Monolog des Königs Janaka nach dem Anhören der von Siddhas1 nahe seines Palastes gesungenen Lieder. Die Welt ist wie ein nichtiger Schatten und gekennzeichnet durch Vergänglichkeit und Tod. Das Leben als Individuum ist höchst miserabel – das Leben als das Absolute ist das einzig Wahre, nach dem man streben sollte. Die intellektuelle Erkenntnis gilt nichts gegenüber der intuitiven Weisheit. Alles schwindet dahin und nichts ist für ewig. Die Welt ist wie ein böser Traum – das menschliche Leben elend. Die Brahman-Verwirklichung wird durch Unterscheidung und tiefgründige Meditation erlangt. Darin besteht die Essenz der Janaka Gita.
I-13 Janaka sprach: Jedes Jahr, jeden Monat, jeden Tag und in jedem Moment kommen ungeheure Massen von Schmerz und Sorge in der Gestalt von Freuden auf uns. In Wahrheit taugen sie zu nichts anderem als zur Trauer. I-17 Trotz meiner großen Klugheit hat mich diese gewaltige Täuschung überwältigt wie eine schwarze Wolke das Strahlen der Sonne verdunkelt. I-18 Was sind sie schon wert – alle meine großen Vergnügen! Was sind sie schon wert – diese meine Verwandten! Wie ein Kind von einem Gespenst geängstigt wird, so bin ich vom Gefühl der Individualität geängstigt. I-20 Lass meine Besitztümer da oder fort sein – was spielt das für mich für eine Rolle? Weshalb sollte ich diese Dinge lieben? Alle meine Reichtümer sind wie berstende Blasen – sie sind wahrhaftig völlig illusionär. I-21 Alle meine Vornehmheit und Vergnügungen, alle meine Freunde, Gefährten und Verwandten – all dieses ist nichts als Einbildung. Weshalb sollte ich für illusionäre Dinge dieser Art noch Anhänglichkeiten pflegen? 1
Wesen mit spirituellen Kräften
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I-22 Wohin sind all die Reichtümer der Könige gegangen? Wohin sind alle die von Brahma1 erschaffenen Welten gegangen?Alle sind sie (im Fortgang der Zeiten) zerstört und aufgelöst worden. Wie könnte ich Vertrauen in alle diese Dinge haben? I-23 Millionen von Indras2 wurden wie Blasen im Ozean der Ewigkeit verschluckt. Die Weisen lachen über jemanden wie mich, der seine Zuversicht am Nagel des irdischen Lebens aufgehängt hat! I-24 Millionen von Brahmas sind vorübergegangen. Viele Zyklen der Weltenschöpfung sind abgelaufen. Die Könige der Erde sind wie Staubkörner im Nichts verschwunden. Worin sollten dann wohl der Glaube und die Zuversicht in mein Leben und seine Zuverlässigkeit bestehen? I-25 Die Welt ist ein böser Traum in der finsteren Nacht des Samsara3 und der sinnliche Körper nichts als ein Missverständnis des Verstandes. Wenn ich mich auf diese Dinge verlasse, dann pfui wegen dieser Schwäche! I-26 „Er ist das“, „ich bin dies“ - alle diese närrischen Wahrnehmungen sind aus bloßer Einbildungskraft heraus entstanden, die unwirklich ist. Sie ist das Ergebnis der Teufel der Selbstsucht. Oh weh! Wie bin ich doch so unwissend in diesen Dingen! I-27 Das Leben wird in jedem Augenblick von den machtvollen Winden der Zeit davongeblasen, die im Stillen wirken. Obwohl ich dies zu erkennen vermag, bin ich immer noch blind all dem gegenüber. I-28 Diese großartigen Wesen, die die Sivas und Vishnus4 wie Diener und Spielzeuge benutzen – sogar diese mächtigen und ungeheuren Manifestationen wurden von der Zeit entwurzelt! Oh du Liebe zum Leben! Weshalb führst du in meinem Innern deinen Tanz auf? I-31 Misslichkeiten über Misslichkeiten haben mich heimgesucht. Sorgen über Sorgen haben mich gequält. Noch nicht einmal jetzt bin ich ohne Leidenschaften! Oh weh! Schande über mich, der ich das elendste aller Wesen bin. 1 2 3 4
der Weltenschöpfer-Gott Indra: Der Herr, der Gott der Götter Welt der Gegensätze, Welt aus Krieg und Kampf Siva, Vishnu: Götter des Neuaufbaus und Erhaltung, die gestaltenden Mächte des Universums
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I-32 In welches Objekt einer auch immer alle seine Zuversicht gesetzt und wofür er sein Herz entflammt hat – schon während des Anblickens beginnt all dieses schon wieder zu verderben! Was kann es dann überhaupt Gutes auf dieser Erde geben? I-34 Auf welches Objekt der Mensch auch immer seine Liebe richtet – dieses Objekt wird für ihn zur Quelle seiner raschen Zerstörung. I-36 Während der Kindheit befindet man sich in der Gewalt der Unwissenheit. In der Jugendzeit wird man von den Frauen überwältigt. Der Rest des Lebens wird von den Schwierigkeiten des Familienlebens bestürmt. Was kann dieser Narr denn schon Sinnvolles tun? I-37 Stets nur nichtig, beeinträchtigt von der Misere der wechselnden Lebensumstände, vergänglich, dürr und wertlos ist dieser Samsara. Und doch vermag der Tor dies nicht zu erkennen. I-39 Wo sollte denn wohl der Ort im Himmel, auf der Erde oder in den Unterwelten sein, an dem man frei von all diesem Unglück ist? I-41 Das Nicht-Sein überthront das Sein. Hässlichkeit nimmt den Platz der Schönheit ein. Alle Vergnügen werden von den Sorgen angeführt. Weshalb sollte ich mich all diesem zuwenden? I-42 Die gesamte Welt ist ununterschieden (sehr dicht) von den geringen Kreaturen, den weltlich Gesinnten, bevölkert, die in großer Zahl geboren werden und sterben. Schwierig ist es, wirklich gute und weise Leute zu treffen. I-44 Es gibt Personen, die durch Öffnen und Schließen des Augenlids zahlreiche Universen erschaffen und zerstören. Was ist jemand wie ich im Vergleich mit diesen? I-49 Dieses Universum ist nur wie eine zufällig aufgetauchte Erscheinung. Aufgrund seiner Illusioniertheit schafft der Tor vergeblich den Unterschied zwischen dem Wünschenswerten und dem nicht Wünschenswerten. I-50 So wie eine Motte ins Feuer zu fallen wünscht, so bin auch ich diesen nichtigen Vergnügen verhaftet, die niemals dauerhafte Zufriedenheit bringen und nichts als Aufregung und Bestürzung hervorrufen. I-51 Es ist besser, sich in das lodernde Höllenfeuer zu stürzen und darin zu verbrennen, als in den
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Unternehmungen des Samsara, in denen man durch Schmerz und Kummer hin und her geschleudert wird, zu leiden. I-53 Diese unglücklichen Wesen, die den Schrecken der gewaltigen Schmerzen und Sorgen des Samsara zum Opfer gefallen sind – gewiss werden sie alle anderen Leiden wie süße Vergnügen betrachten! I-60 Ah! Endlich wurden mir die Augen geöffnet. Jetzt bin ich glücklich. Nun wurde der Dieb, der den Atman1 gestohlen hat, gefasst. Dieser Verstand war der Dieb – ich werde ihn nun töten. Seit langem wurde ich von diesem Dieb beunruhigt. I-63 Endlich wurde ich von den weisen, großen Siddhas auf die richtige Weise erweckt. Ich werde Zuflucht zum Selbst nehmen, das die Quelle des Höchsten Seligkeit ist. I-65 Oh Unterscheidung! Ich werfe mich vor dir nieder. Jetzt endlich kann ich die irrealen Ideen des „ich bin dies“ und „dies gehört mir“ usw. vollständig und mit Gewalt vertreiben. Indem ich den äußerst machtvollen Verstandesfeind töte, werde ich den Frieden erlangen.
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das göttliche Selbst
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Die Essenz der Rama Gita (1) Aus: Adhyatma-Ramayana Diese Gita erscheint im Adhyatma-Ramayana1. Sie enthält eine Unterhaltung zwischen Sri Rama und seinem Bruder Sri Lakshmana. Darin werden der Advaita Vedanta und seine verschiedenen Prinzipien von Jiva, Avidya, Ishvara, Maya usw. sowie der Prozess der Verwirklichung des Ewigen Seins, des Brahman, dargelegt.
8. Sri Rama sprach: Alle Tätigkeiten führen zu weiterer Bindung und zur Wiedergeburt. Aufgrund von Liebe und Hass scheinen sich die Tätigkeiten voneinander zu unterscheiden. Wegen der Anhaftung begeht der Mensch gute und schlechte Taten und gelangt so immer tiefer in den Zyklus der Wiedergeburten. Nach der Wiedergeburt finden wieder weitere Tätigkeiten statt. Auf diese Weise beginnt der Verlauf des weltlichen Lebens wie ein Rad umherzuwirbeln. 9. Die Wurzelursache dafür ist die Unwissenheit. Die Austilgung der Unwissenheit ist daher das einzige Mittel zur Zerstörung dieser Ursache des weltlichen Lebens. Nur die Erkenntnis vermag diese Unwissenheit zu vernichten. Die Tätigkeiten können dies nicht, weil sie selbst aus der Unwissenheit geboren wurden und ihr daher weder widersprechen noch entgegengesetzt sind. 10. Die Ausübung von Tätigkeiten zerstört weder die Unwissenheit noch die Anhaftung. Sie führt nur zu weiterem Leiden im verkörperten Leben. Ein weiser Mensch sollte daher die Tätigkeiten aufgeben, die voller Makel sind, und sich der Erkenntnis und Meditation verpflichten. 16. Daher sollte der weise Mensch alle Tätigkeiten aufgeben. Es kann kein Nebeneinander von Tätigkeit und Erkenntnis geben, weil Tätigkeit der Erkenntnis 1
Ein altes Sanskrit-Werk bestehend aus 4200 Strophen, das die spirituellen Tugenden des Ramayana, eines antiken Epos, hervorhebt.
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widerspricht. Ziehe die Sinne von sämtlichen Objekten zurück und widme dich stets der Erlangung der SelbstVerwirklichung. 18. Wenn einer das Höchste Licht der Erkenntnis im Selbst erlangt, welches die Idee der Getrenntheit des Höchsten Selbst und der individuellen Seele zerstört, verschwindet Maya1 zusammen mit ihren Sprösslingen, die Geburt, Wiedergeburt und neue Tätigkeit verursachen, sofort. 19. Sobald die Unwissenheit durch diese Erkenntnis, die selbst nichts als reine und nonduale Lichtheit ist, ausgelöscht wurde, kann sie nicht wiederkehren. Wie könnte die Avidya2 erneut Tätigkeiten verursachen, wenn sie ein und für alle Mal durch die aus den Srutis 3 gewonnene Erkenntnis beseitigt wurde? 21. Die Taittiriya-Upanishade hat nachdrücklich erklärt, dass man ganz gewiss sämtlichen Tätigkeiten zu entsagen habe. Die Brihadaranyaka-Upanishade hat darüber hinaus gesagt, dass nur die Erkenntnis allein und niemals die Tätigkeit zu Moksha4 führen könne. 24. Erwirb mit einem Herzen voller Glauben und einem gereinigten Verstand die Gnade des Guru und erkenne das Einssein des Jiva5 mit Brahman durch den Ausspruch: „Tat Tvam Asi“ (Das bist Du). Sei dann glücklich und so fest wie der Berg Meru. 25. Die Bedeutung dieses Ausspruchs wird richtig erkannt, indem die Bedeutung der drei Worte darin richtig verstanden wird. „Tat“ und „Tvam“ stehen für das Höchste Selbst und die individuelle Seele, während „Asi“ auf die Identität beider hinweist. 26. Durch Eliminierung der Upadhis6 – des Nahegelegenen und des Ferngelegenen7 –, die den Jiva 1 2 3 4 5 6 7
Täuschung über die Natur der Welt Unwissenheit über die Natur des Seins, Glaube an die Körperlichkeit der Welt heilige Schriften Befreiung individuelle Seele „begrenzende Attribute“, d.h. falsche Wahrnehmungen der Realität d. h., das Außen und Innen der sinnlichen Wahrnehmung erzeugt die Illusion der individuellen Persönlichkeit
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und Isvara begrenzen, und der Dharmas, die aus ihnen Objekte der Wahrnehmung machen; durch das Erfassen ihrer inneren Essenz des Reinen Bewusstseins mit der Hilfe der Methode des Bhaga-Tyaga-Lakshana1 und dem daraus folgenden Kennen des eigenen Selbst erlangt einer das Absolute. 28. Es ist der grobe Körper, der aus den fünf verfünffachten Elementen zusammengesetzt ist, der die Heimstatt des Genusses der Früchte der Tätigkeiten – Freude und Schmerz – ist, der einen Anfang und ein Ende hat, der aus dem Karma heraus geboren und durch Maya charakterisiert ist, der das begrenzende Attribut des Atman darstellt. 29. Der subtile Körper besteht aus Verstand und Psyche, dem Intellekt, den zehn Sinnen und den fünf Pranas2. Geboren ist er aus den nicht verfünffachten Elementen. Er ist es, der den groben Körper im Erfahren der Vergnügen usw. bewegt. Darin besteht das weitere begrenzende Attribut des Atman. 30. Maya ist der anfangslose, unergründliche und wichtigste kausale Körper des Atman. Er ist unbeschreibbar. Aufgrund seiner (des Körpers) verschiedenen Modi der Begrenzung erscheint das Brahman als Ishvara und Jiva3. Die Identifikation des (persönlichen) Selbst mit dem (Höchsten) Selbst sollte mit der Hilfe logischer Methoden praktiziert werden. 31. Ein Kristall erscheint als rötlich, sobald er in die Nähe einer roten Blume gehalten wird. Auf dieselbe Art erscheint der Atman aufgrund seiner Nähe dazu in der Gestalt der fünf Hüllen4. Sobald man über den großen Ausspruch „Asangoyam Purusha“5 meditiert und kontempliert, erkennt man, dass dieser Atman unberührt, geburtlos und nondual ist. 32. Die Zustände des Verstandes sind dreifach: Wachen, Träumen und Tiefschlaf. Sie sind seiner Verbindung mit den 1 2 3 4 5
d. h., durch Aufhebung der einander widersprechenden Gegensätze zur dahinterstehenden Einheit gelangen „Körperwinde“, d. h. die Energiezentren des Körpers d. h., als Gott und individuelle Seele Nahrungskörper, psychischer Körper, Verstandeskörper, Erkenntniskörper, Seligkeitskörper wörtl.: „Dieser Purusha (Gottperson) ist unberührt“
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drei Gunas1 geschuldet. Diese sind in Wahrheit die falschen Zustände des Verstandes, denn zwei von ihnen sind in der Anwesenheit eines anderes abwesend. Sie besitzen nicht die Natur des Höchsten Brahman, welche ewig, absolut und selig ist. 34. Mit der Hilfe der Methode „neti, neti“2 sollte man das gesamte Universum verneinen und darin die Unsterbliche Essenz der Masse des Bewusstseins kosten. Nachdem man diese Essenz des Seins ergriffen hat, sollte man allem anderen entsagen – so wie man Schale und Haut einer Frucht fortwirft, nachdem man ihren Saft ausgesaugt hat. 35. Der Atman wird nicht geboren und stirbt nicht. Er nimmt nicht zu und nicht ab. Er ist jenseits aller Beifügungen betreffend seine Größe; d. h., er ist unübertrefflich. Er ist von der Natur der Seligkeit selbst, er ist selbstleuchtend, allesdurchdringend, uralt und ohne ein Zweites. 37. Adhyasa bzw. Überlagerung wird derjenige Vorgang genannt, durch den aufgrund von Täuschung ein von einem anderen verschiedenes Ding fälschlicherweise mit diesem anderen Ding verwechselt wird. So wie dem Seil eine Schlange überlagert wird, so wird die Welt Brahman überlagert. 38. Die Idee des Ego oder „Ich“ ist die allererste Überlagerung des Atman, der selbst frei von der Unvollkommenheit des Denkens und der Illusion und reines Bewusstsein ist. All dies ist nichts als schiere, falsche Identifikation mit dem Atman, welcher die Ursache von allem ist – dem leidfreien Brahman, dem Höchsten Absoluten. 41. Der Atman, das Chidabasa3 und der Verstand scheinen durch wechselseitige Verbindung bzw. Überlagerung an den Attributen des jeweils anderen teilzuhaben, weil sie gemeinsam existieren und so miteinander in Verbindung treten, wie das Eisen, welches im Feuer liegt, an der Natur des Feuers teilhat. Die intelligente Natur des Atman taucht im Verstand wieder auf, während die nicht-intelligente Natur des Verstandes 1 2 3
die drei Grundqualitäten des Universums: Erregung, Trägheit, Gleichgewicht „nicht dies, nicht dies“ Reflektion des Atman in der Form des Ego
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im Atman wieder auftaucht. Dies nennt man ChidjadaGranthi bzw. den Verbindungsknoten zwischen dem Atman und der Materie (dem Verstand). 43. Ich bin das Große Licht. Ich bin ohne Geburt und nondual. Ich bin selbstleuchtend. Ich bin von äußerster Reinheit. Ich bin die Masse des Reinen Bewusstseins, leidlos, erfüllt und die Verkörperung der Seligkeit. Ich bin tätigkeitenlos. 44. Ich bin auf immer frei, im Besitz unvorstellbarer Macht, mit Erkenntnis, die die Sinne niemals haben können, ohne Tätigkeit. Ich bin unendlich, unergründlich. Ich bin der Tag und die Nacht, über die die Weisen, die dem Studium der Veden hingegeben sind, in ihrem eigenen Selbst meditieren. 45. Auf diese Weise sollte man immer und mit ununterbrochener Empfindung über das Selbst meditieren. Derjenige wird die Erleuchtung erlangen, der die Avidya1 zusammen mit ihren sämtlichen Wirkungen in sehr kurzer Zeit zerstört – so wie eine erkrankte Person durch Einnahme des Lebenselixiers die Krankheit zerstört. 46. Man sollte sich an einem einsamen Ort setzen, die Sinne von ihren Funktionen trennen, das Selbst zurückhalten und diese alle besiegen, und sich dann selbst im Reinen Geist versenken. Auf diese Weise sollte man über das Eine meditieren, ohne dabei Gedanken an ein Zweites, das über das Auge des Bewusstseins verfügt, zu hegen und sich im Absoluten Selbst verankern. 47. Man sollte das gesamte Universum in die Ursache aller Dinge, das Selbst, eintauchen und das gesamte Sein als nichts anderes als das wahrhaftige Brahman betrachten. Auf diese Weise verbleibe man im Selbst, das Fülle und Seligkeit selbst ist, und denke an nichts Äußeres oder Inneres mehr. 52. Indem er so die Selbst-Verwirklichung erlangt, die Seligkeit seines eigenen Selbst gefunden und alles andere vergessen hat, verbleibt der Weise auf immer in seiner eigenen ewigen, seligen und selbststrahlenden Natur – frei von allen Fesseln der Begrenzung, unergründlich wie der Ozean ohne die Welle, die seine Oberfläche aufrührt.
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Unwissenheit
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54. Der Weise sollte durch Meditation über sein Selbst am Tage und in der Nacht und frei von allen Bindungen und Egoismen verbleiben, bis sein Prarabhda Karma2, das ihm seinen gegenwärtigen Körper gegeben hat, erschöpft ist. Er sollte danach in Mir allein eintauchen. 58. So lange einer nicht alles als Mich Selbst wahrnimmt, sollte er die Hingabe an Mich praktizieren. Ich verbleibe für immer im Herzen desjenigen, der leidenschaftlichen Glauben und Hingabe an Mich hat. 60. Bruder! Diese ganze Welt ist nichts als Maya. Ziehe deinen Verstand davon zurück, indem du ihre wahnhafte Natur erkennst. Reinige deinen Verstand durch Meditation über Mich allein. So sollst du glücklich, frei von allem Kummer und voller Seligkeit werden.
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Karma der Vergangenheit (im Gegensatz zum gegenwärtig und künftig wirkenden Karma)
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Die Essenz der Rama Gita (2) Aus: Tattva-Sarayana Dies ist ein Teil des berühmten Buches Tattva-Sarayana. Es handelt sich dabei um eine Unterhaltung zwischen Sri Rama und Hanuman. Es ist eine Schrift der Anubhavadvaitins1. Diese Gita behandelt Jnana2, Vairagya3 und Yoga. Sie stellt das über die Upanishaden und durch Sri Sankaracharya kodifizierte, überlieferte System des Vedanta vor. Sie betont den Erwerb der Erkenntnis und lehnt den Rückzug aus der Welt ab. Die höchste Erkenntnis kulminiert im Brahman-Bewusstsein, im Jivanmukti4 und schließlich im Videhamukti5.
III-6 Sri Rama sprach: Das, was die Identität von Jiva6 und Brahman herstellt, von Wirkung und Ursache, ist die Doktrin der Advaitins7, und diese Doktrin setzt die Entstehung des Jiva voraus. III-7 Gibt es jedoch keine Entstehung des Jiva, kann es auch seine Zerstörung nicht geben. Gibt es keine Zerstörung, muss Dualität ewig sein. Dies jedoch ruft das Missvergnügen der Srutis8 hervor, die die Einheit erklären. III-8 Der Jiva ist zweifacher Natur; auch seine Zerstörung ist zweifacher Natur. Der Jiva, der durch das Wort „Du“ bezeichnet wird, ist das Subjekt des Samsara9, und er ist verkörpert. 1
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Anhänger des Vaishnava-Heiligen Ramananda oder Ramanand (1400-1470?), einem nordindischen Sozialreformer und Pionier der Bhakti-Bewegung, Gründer des Ramanandi Sampradaya, eines religiösen Systems Weisheitserkenntnis Entsagungspraxis zu Lebzeiten spirituell Befreiter Im Tode spirituell Befreiter individuelle Seele Anhänger des Advaita heilige Schriften Welt der Gegensätze, von Krieg und Kampf
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III-9 Die Zerstörung des Jiva, der aus dem Nichtwissen geboren wurde, und der selbst die innere Modifikation ist, so wie Hitze zur erhitzten Eisenkugel gehört, wird auf dieselbe Weise wie andere Modifikationen (der Prakriti1) hervorgebracht. III-10 Die weitere Bedeutung des Wortes „Du“ meint denjenigen, der frei vom samsarischen Leben ist, das Zeugen-Bewusstsein, das felsenfeste Wesen, das innere Selbst, die Repräsentation des Höchsten Selbst (Paramatman). III-11 Dieser, der wie der Funke aus dem Feuer aus dem Brahman-Bewusstsein hervorgetreten ist, wird durch sein Eintauchen in Brahman, die Nonduale Bewusstseinsmasse, das Höchste Natürliche Prinzip, zerstört. III-12 Das, aus dem die Wesen entspringen, von welchem sie getragen werden und in dem sie leben, in dem sie sich schließlich am Ende wieder auflösen – nur dieses eine Brahman sollte von denjenigen, die nach der Befreiung verlangen, gekannt werden. III-14 Die Ursache aller Jivas ist das Nirguna Brahman und nichts anderes sonst. Es ist darüber hinaus die Quelle der nicht-verfünffachten Elemente, aber niemals die Quelle der Universen. III-15 Die Ursache des Universums ist der Isa, Gott, das Saguna Brahman. Er ist die intrumentelle Ursache des Universums und der verfünffachten Elemente. III-16 Die materielle Ursache des Universum ist Maya, aufgrund derer das Fühlende und Nichtfühlende entsteht. Folglich ist hier die Ergründung bezüglich der Wirkung, der Ursache, des Universums und Gottes ohne jeden Nutzen. III-20 Die Quelle aller Wesen ist aufgrund ihrer eigenen Natur dem Wissen zugänglich und kann meditiert werden. Diejenigen, die nach Kaivalya-Moksha2 verlangen, müssen daher zuerst diese kennen. III-21 Durch Meditation ohne ein Empfinden von Unterschieden über dieses Nirguna Brahman, dem ewiglich Erfüllten, dem Undifferenzierten, können dann diejenigen, die danach verlangen, dieses Ewige, das gewünschte Ende, erlangen. 1 2
physische Natur des Universums Befreiung im höchsten Prinzip ohne Eigenschaften
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III-23 Der Vivarta-Vada1 wird wahrhaftig im Falle derjenigen, die (in der Erkenntnis und Meditation) fortgeschritten sind, zur Gewissheit. Wer jedoch nur damit prahlt, fällt der Selbst-Entartung anheim. Dieser wird zum Mörder des Atman. III-26 Durch beständige Meditation in der Abgeschiedenheit über die Identität des Brahman und des Selbst sowie durch Verbleiben im Bewusstsein nur dieser Identität erlangt man ohne jeden Zweifel die Befreiung. III-27 Man spricht von zwei Arten von Erkenntnis, d. h., der essenziellen (Svarupa) und der psychischen (Vritti). Von diesen beiden führt die erste zum Nirguna Brahman, dem Wahren, Unendlichen und Seligen. III-28 Die andere wird Shuddha-Sattva oder Reines Psychisches Sein genannt, bezogen auf die ungeteilte, spirituelle Essenz des Selbst. Diese Erkenntnis besitzt wiederum zwei Arten, d. h., die indirekte und die direkte. III-29 Die erste (indirekte Erkenntnis) führt durch progressive Evolution zur Befreiung, sobald die Auflösung der Welt des Brahma (Brahma-Loka) stattgefunden hat. Die zweite (direkte Erkenntnis) führt hier ebenfalls zur unverzüglichen Befreiung, sobald das Prarabhda-Karma2 erschöpft ist. III-30 Auch Jivanmukti wird ebenfalls noch in diesem Leben erlangt. Daher solltest du, nachdem du sämtliche Wünsche losgeworden bist, immer über Brahman meditieren. III-31 Das, was das Nirguna Brahman genannt wird, besteht aus zwei Arten. Das, worüber man meditieren kann, wird Salakshana oder „mit Attributen ausgestattet“ genannt. Das Attributlose wird Alakshana genannt und befindet sich jenseits der Reichweite der Meditation. III-33 Der weise Mensch, der sich niedersetzt und eine feste Sitzhaltung einnimmt und seinen Verstand auf Das konzentriert, erlangt – ohne darin auch nur die leiseste Unterschiedenheit festzustellen – das Wesen von Dem.
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Konzeption der Überlagerung des Wirklichen durch das Unwirkliche Karma der Vergangenheit (im Gegensatz zum gegenwärtig und künftig wirkenden Karma)
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III-34 Die Unterschiede, die als Sajateeya1 und Vijateeya2 bekannt sind und der Welt und den Jivas zugehörig sind, existieren nicht im Höchsten Brahman, das von Dreifacher Natur ist. III-35 Wenn es kein Svagata-Bheda3 oder Unterschiede in sich selbst gibt, kann über Brahman auch nicht meditiert werden. Gewiss kann es da, wo es keine Meditation gibt, auch niemals ein von den Jivas hier, die dem Samsara unterworfen sind, erlangtes Moksha geben. III-36 Im Zustand der Bindung gibt es einen Unterschied zwischen dem Jivatman4 und dem Paramatman5. Im Zustand von Moksha herrscht Nicht-Unterschiedenheit, und in demjenigen Zustand, der sogar noch Moksha überschreitet, gibt es überhaupt nichts mehr. III-38 Die Brahmins6, die das Ende der Veden erreicht haben, sprechen davon, dass diejenigen, deren Bewusstsein im Ozean der Einen Ungeteilten Seligen Essenz ertrunken ist, Videha-Mukti bzw. die unverkörperte Erlösung erlangt haben. III-39 Derjenige wird Videha (unverkörpert) genannt, der im Einssein des Samadhi verankert ist, der sich selbst von den Bildern der Welt usw. befreit hat, der tätigkeitslos und frei von allen Arten der Modifikationen ist. III-41 Diese sündhaften Menschen, die keinerlei Bewusstsein des Samadhi besitzen, die nur mit ihrem rein verbalen (intellektuellen) Wissen prahlen, die die Sklaven ihrer Neigungen sind – solche Menschen wandern in die Regionen der Hölle. III-42 Wie könnte derjenige, dessen Verstand nicht zerstört wurde, sich selbst aus dem Samsara befreien? Wie könnte einer, der keinerlei Bewusstsein des Samadhi hat, seinen Verstand zerstören? III-49 Der weise Mensch, der mit Vairagya7 ausgestattet ist und eifrig den Yoga praktizieren möchte, fürchtet sich 1 2 3 4 5 6 7
wörtl.: von homogener Natur wörtl.: von heterogener Natur Unterschied zwischen zwei Teilen eines Ganzen, wie zwischen Blättern eines Baumes individuelles Selbst höchstes Selbst Brahman-Priester Entsagung
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zu keinem Zeitpunkt und von keiner Seite her vor etwas – nicht einmal vor dem Samsara, der so schwer zu überwinden ist. III-50 Der Jnani1, der sich selbst im höchsten Yoga verankert hat, der frei von sämtlichen Unreinheiten und befreit von der Maya und ihren bindenden Wirkungen ist, erfreut sich erlesenen Glücks. III-51 Der große Yogi, dessen Sinne zu funktionieren aufgehört haben, der frei von aller mentalen Erregung usw. ist und die Identität von Brahman und Selbst verwirklicht hat, erlangt unverzügliche Befreiung. III-57 Die große Meditation über das Attributlose (Nirguna) Akhanda-Satchidananda ist die höchste aller Meditationen. Diese ist die Ursache des unverzüglichen Kaivalya Moksha, die aus der Meditation „Ich bin Brahman“ besteht. IV-2 Dieser Paramatman, das Subjekt der Ergründung, ist das Wahre, Selige, auf immer Erfüllte, die Masse des Bewusstseins, und er wird nur durch direkte (plötzliche) Wahrnehmung verwirklicht. IV-8 Attribute wie Bewusstsein-Seligkeit usw., die der Maya und Avidya entgegengesetzt sind, gehören zum eigenschaftslosen Brahman und sind aus sich selbst heraus existierend bzw. auf ewig erwiesen. IV-15 Die Erkenntnis der Identität von Brahman und Atman entfernt die falsche Identifikation des Selbst mit dem Körper. Derjenige, der keinerlei „Ich“-Empfinden gegenüber dem Körper mehr hegt, wird Jivanmukta genannt. IV-16 Derjenige, für den die Welt weder dauerhaft wirklich noch unwirklich ist, und der im wandellosen Bewusstsein verankert ist, wird Jivanmukta genannt. IV-17 Derjenige, der die Erfahrung des Selbst im Samadhi und dieselbe Erfahrung nach dem Auftauchen aus dem Samadhi besitzt und ausschließlich in reinem Selbst-Bewusstsein ruht, wird Jivanmukta genannt. IV-18 Derjenige, der jenseits des Sakshi-Vritti bzw. Zeugenbewusstseins existiert und unterhalb des
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der Wissende mit Weisheitserkenntnis
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Akhandaikarasa-Zustands bzw. des Einen-UngeteiltenEssenz-Bewusstseins ist, wird Jivanmukta genannt. Hinweis: Der Jivanmukta transzendiert das individuelle und das Zeugenbewusstsein, hat aber noch nicht das Bewusstsein des Ewigen Absoluten, in dem nichts als reines Sein verbleibt, erlangt. Der Jivanmukta ruht in der Brahmakara-Vritti, die ebenfalls absinkt, sobald er seinen Körper ablegt und das Akhanda-Ekarasa-Satchidananda erlangt. IV-19 Derjenige, der das Akhandairakasa-Vritti, welches sein ganzes Bewusstsein erfüllt, besitzt, der in Wahrheit keinen Verstand mehr besitzt, auch wenn er diesen zu besitzen scheint, wird Jivanmukta genannt. IV-20 Derjenige, der in seinem Alltagsleben manchmal als ein Karmi1 oder ein Bhakti2, manchmal als ein Yogi und dann wiederum als ein Jnani auftritt, wird Jivanmukta genannt. IV-21 Die Bindung besteht in dem Glauben: „Ich bin der Körper“. Die Befreiung besteht in dem beständigen Glauben: „Ich bin Brahman“. Daher sollte in kluger Mensch immer „Ich bin Brahman“ meditieren und dadurch sein Ego in das Absolute einschmelzen. IV-23 Derjenige, der Abhimana (Selbst-Identifikation) für den Körper empfindet, steht unter dem Einfluss der allseitigen Furcht. Daher sollte man mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln versuchen, der Idee, dass der Körper das Selbst sei, entsagen. IV-24 So wie ein reiner, weißer Kristall eine rote Farbe anzunehmen scheint, wenn er einer Rose gegenübergestellt wird, so erscheint der Atman aufgrund seines Kontaktes mit der nicht-intelligenten Triade der Gunas als leblos (nicht-fühlend). IV-26 So wie die elementare Natur des Feuers die Hitze ist, so ist die elementare Natur des Ewigen Selbst das Reine Bewusstsein. Durch Erkenntnis des Einsseins des Bewusstseins erlangt man unverzügliche Erlösung. IV-27 Derjenige wird den Stand eines Jivanmukta erlangen, der unaufhörlich meditiert: „Ich bin das 1 2
Praktizierender des Karma-Yoga Praktizierender des Bhakti-Yoga
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Ungeteilte, Ich bin das Unendliche, Ich bin die Fülle und das Zweitlose“. IV-30 Der Jivanmukta wird aufgrund der scheinbaren Existenz des Körpers, der in ihm existiert wie ein verbranntes Kleid, gewissen leichten und vorübergehenden Schwierigkeiten unterzogen, aber er ist trotzdem stets frei von der Wiedergeburt. IV-31 Sobald das gesamte Sanchita und Agami Karma vom Jivanmukta abgefallen ist, bleibt nur noch das Prarabhda1 in ihm wach, welches sich auf ihn auswirkt. IV-43 Nur der ist der Purushottama2, auf den Friede, Selbstbeherrschung und andere ähnliche Tugenden beständig auf spontane Weise aus dem Selbst heraus niedergehen. IV-45 Nur der ist der Purushottama, der nicht einmal einen Anflug von Bewunderung für die Siddhis – auch nicht für den fabelhaftesten wie Anima3 – empfindet. IV-46 Nur der ist der Purushottama, der nicht einmal auch nur ein wenig lächelt, wenn er die wundervollen Schöpfungen des Höchsten Herrn erblickt. IV-47 Nur der ist der Purushottama, den es nicht einmal im Traum nach der vierfachen Erlösung (wie Salokya4 usw.) verlangt. V-8 Wer seinen Körper vergessen hat, ist Videhamukta, auch wenn der Körper aufgrund Auswirkungen des Prarabhda fortexistieren sollte.
ein der
V-11 Derjenige wird Jivanmukta genannt, der die Wirkungen seines Sarupa-Chitta5 neutralisiert hat und aufgrund seiner festen Überzeugung von der Erhabenheit von allem im Höchsten Akhandakara-Vritti, dem Bewusstsein der Einen Ungeteilten Essenz, verankert ist. V-24 Die Objekte der Formen berühren denjenigen nicht, der von der Form des Akhandaikarasa6 ist, der Akhandaikarasa isst und in Akhandaikarasa verwurzelt ist. 1 2 3 4 5 6
Sanchita Karma: Karma der Gegenwart, Agami Karma: Karma der Zukunft, Prarabhda Kar,ma: Karma der Vergangenheit höchster Purusha = Gott-Person d. h., der sich so winzig wie ein Atom machen kann d. h., auf demselben Planeten wie Gott wohnend Formhaftigkeit des Verstandes wörtl.: das eine ungeteilte Eigentliche
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V-25 Sogar die Götter verehren denjenigen, der dem Akhandaikarasa folgt, der im Akhandaikarasa lebt, der im Akhandaikarasa untergetaucht ist. V-26 Der Vedanta rühmt dessen Glorie, dessen Entzücken das Akhandaikarasa ist, dessen Gewahrsein beständig dem Akhandaikarasa zugewandt ist, der im Akhandaikarasa aufgelöst ist. V-27 Derjenige wird ein in der Weisheit Verwurzelter genannt, der nicht einmal ein Atom für verschieden vom Akhandaikarasa hält – nicht einmal für einen Augenblick. V-28 Derjenige wird ein in der Weisheit Verwurzelter genannt, der auf immer unbesorgt ist, der äußerst ernsthaft ist und tief wie der wellenlose Ozean, der tätigkeitslos und modifikationslos ist. V-29 Vom demjenigen spricht man als von einem in der Weisheit Verwurzelten, dessen Gemütsverfassung die eines Pythons ist, der unerschütterlich wie der Berg Meru ist, der frei von allen mentalen Modfikationen ist. V-30 Vom demjenigen spricht man als von einem in der Weisheit Verwurzelten, der niemals so denkt: „Ich bin ein Videhamukta“; der, obwohl ein Jivanmukta, in der Tat ein Videhamukta ist. V-48 Mandavya, Janaka und andere wie diese haben Videhamukti erlangt. Noch viele weitere werden in den Srutis erwähnt. Habe daran nicht den geringsten Zweifel. V-49 Durch kontinuierliche Meditation über das Akhandaikarasa-Brahman wird der Verstand zusammen mit seiner Wurzel sehr rasch zerstört. Dies ist gewiss. V-52 Wir werfen uns nieder vor diesen heiligen Wesen, die in Wäldern und Bergeshöhlen leben, deren Gemüter sich in der Essenz des Ewigen Bewusstseins aufgelöst haben, aus deren Haarlocken die Vögel Nester auf ihren Köpfen bauen. V-53 Diese, die keine andere Gestalt mehr besitzen, deren Fesseln zerschmettert wurden, die im Entzücken des Nektars des Einen Ungeteilten Bewusstseins verankert sind, die kein Auftauchen aus dem Samadhi mehr erfahren – wahrhaftig ist die Begegnung mit diesen äußerst erhabenen Wesen hier – wenn auch nur für einen Moment – äußerst selten.
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VI-38 Sobald durch die Akhandaikarasa-Vritti und die beiden anderen Arten des Akhandaikarasa die Vasanas1 zerstört wurden, gelangt der Verstand wie eine Lampe (ohne Öl) an sein Ende. VI-49 Der Verstand, welcher die Ursache für Geburt, Alter und Tod ist, tritt aufgrund seiner äußerst schwankenden Natur, die wiederum dem beständigen Denken an intensiv erfahrene Dinge geschuldet ist, ins Dasein. VI-50 Die Pranas beginnen aufgrund der subtilen Vasanas zu vibrieren. Die Vasanas selbst vibrieren nicht. Die Vibrationen werden durch den Verstandessamen übertragen, der wiederum zur Ursache weiterer Produkte von dort wird. VI-51 Es gibt zwei Ursachen für den Baum des Verstandes: Die Vibration der Pranas und der Vasanas. Ist einer von ihnen zerstört, sind beide auf natürliche Weise zerstört. VI-52 Die Vasanas können nicht mehr wachsen, sobald es da die Kultivierung der Nicht-Anhaftung gibt, sobald es die Austreibung aller weltlichen Gedanken gibt, sobald es das Erkennen der sterblichen Natur des Körpers gibt. VI-53 Wenn den Vasanas entsagt wird, wird der Verstand zu einem Nicht-Verstand. Da der Verstand nämlich keine Vasanas mehr vorfindet, stellt er das Denken völlig ein. VI-54 Schließlich taucht da nach dem Aufhören der Funktion des Verstandes der Bringer des Höchsten Friedens auf – das Bewusstsein, die Ursache der sofortigen Erlösung. VI-60 Der Verstand ist die Ursache dieses SamsaraBaumes, der tausende von Zweigen, Trieben, Blüten und Früchten besitzt. VI-61 Dieser Baum besteht in Wahrheit aus nichts als Einbildung und Vorstellungskraft. Durch Aufhören des Vorstellens trockne den Verstand aus – durch dieses beides wird dann auch der Baum des Samsara austrocknen. VII-14 Wer einer fest im Advaita verwurzelt und Dvaita2 zerstört ist, wird diese Welt wie ein Traum wahrgenommen, 1 2
unerwünschte, immer wieder gewohnheitsmäßig auftretende Gedankenmuster Welt der Zweiheit, der Gegensätze, der Getrenntheit
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weil das Wesen dieses Menschen jetzt im höchsten Zustand des Bewusstseins verankert ist. VII-17 Eine solche Person, die wahrhaftig zum inneren Bewusstsein erwacht ist, obgleich sie noch äußeres Bewusstsein zu haben scheint, sieht wie ein schläfriger Mensch aus, da sie völlig ruhig geworden ist. VII-20 Die Mumukshus1 bzw. Aspiranten befinden sich in den ersten drei Bhumikas2 der Erkenntnis. Der Brahmavit3 lebt im vierten Bhumika. Der Brahmavid-vara4 lebt im fünften Bhumika, VII-21 Der Brahmavidvariyan5 lebt im sechsten Bhumika. Der Brahmavidvarishta6 lebt im siebenten Bhumika. Der letztere wird der eigentliche Jivanmukta genannt, obwohl auch die vier davor Jivanmuktas sind. VII-22 Der Videhamukta geht sogar noch jenseits des siebenten Bhumika und entzieht sich der Beschreibung. Er hat keinen Körper und keinen Verstand mehr. Die Variyas und Varishthas erachten ihn als die Höchste Wirklichkeit. VIII-2 Sein, Erkenntnis, Seligkeit, Name und Form sind die fünf Faktoren (die das Konstituens eines Dinges bilden). Von diesen gehören die letzten beiden Merkmale zur Welt. VIII-3 Durch Aufgeben von Name und Form, durch Hingabe nur an Satchidananda sollte man zu allen Zeiten den Samadhi praktizieren – entweder Antar-Nirvikalpa7 oder Bahir-Nirvikalpa8. VIII-12 Man nennt es Nirvikalpa (Asamprajnata) Samadhi – ein den Yogis sehr teurer Samadhi –, wenn der Verstand von allen Vrittis9 gesäubert ist und das Licht der Höchsten Seligkeit enthüllt wird.
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Sucher nach spiritueller Erlösung spirituelle Stufen Kenner Brahmans derjenige, der aus freiem Willen seinen Samadhi verlässt derjenige, der aus dem Samadhi erweckt werden muss derjenige, der auch durch andere nicht mehr aus dem Samadhi erweckt werden kann unterschiedslose Versenkung ohne Klang und Bilder unterschiedslose Versenkung mit Wahrnehmung der sinnlichen Welt bei gleichbleibender innerer Stille Gedankenwellen
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VIII-17 Ich bin ungeteilt. Ich bin unendlich. Ich bin die Fülle. Ich bin Zweitlos. Ich bin Satchidananda-Svarupa. Ich bin das Licht der Lichter. VIII-18 Ich bin Bewusstseins. Ich Bewusstseins. Ich bin von den drei Körpern. und Seligkeit.
ohne die drei Zustände des bin der vierte Zustand des höher als das Höchste. Ich bin frei Ich bin die Essenz von Bewusstsein
VIII-19 Ich bin ohne die drei Arten der Vorstellung. Ich bin das Höchste Prajnana-Ghana, die Masse der Weisheit. Ich bin die Essenz des Chidakasa1. Ich bin ohne den nichtfühlenden Raum. VIII-20 Ich bin ohne Wankelmut. Ich bin ohne Form. Ich bin ohne Avidya2. Ich bin ohne Unreinheit. Ich bin die Stütze des gesamten Universums. Ich Selbst benötige keinerlei Stütze. Ich bin furchtlos. VIII-21 Ich bin die selbstleuchtende Essenz. Ich bin der Ozean der Unsterblichen Essenz der Wirklichkeit. Ich bin ohne das Universum und jenseits der Gegensatzpaare. Ich bin das Absolute Selbst. Ich bin Nirguna3. VIII-22 Ich bin ewiglich rein. Ich bin jenseits der Maya. Ich bin ewiges Bewusstsein. Ich bin ohne Verschiedenheit. Ich bin auf ewig frei. Ich bin wunschlos. Ich bin auf immer vollkommen. Ich bin ohne Familie und Verwandte. VIII-23 Ich bin im Innern leer und im Außen leer – wie der leere Topf, der im Raum schwebt. Ich bin im Innern erfüllt und im Außen erfüllt – wie der volle Topf, der im Ozean schwimmt. VIII-24 Daher sollte ein weiser Mensch des Shabdavidya Samadhi4 sich des Nicht-Selbst durch Ergründung entledigen, sich selbst in Brahman zentrieren und dadurch frei werden. VIII-32 Samadhi ist derjenige Zustand des Verstandes, in dem dieser unbewegt wie eine Lampe an einem windgeschützten Ort existiert, d. h., wenn der 1 2 3 4
Brahman in seinem Aspekt der grenzenlosen Erkenntnis und freien Intelligenz Unwissenheit, weltliches „Wissen“ frei von Eigenschaften, attributlos Shabdavidya: Wissenschaft der Logik und Schlussfolgerung; Shabdavidya Samadhi: Wissenschaft der spirituellen Meditation
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Meditierende und die Meditation in der absoluten Wahrnehmung desjenigen allein, worüber meditiert wird, versunken sind. VIII-38 Das ist der Zustand des Samadhi, in dem das Selbst nichts anderes sieht, nichts anderes hört und nichts anderes versteht als Sich Selbst. XIV-12 Dieses essenzielle Selbst im eigenen Innern ist exakt Brahman selbst und nichts anderes. Daher wird der Schüler vom Guru in der relativen Lehre dieser Identität – Ayamatma Brahma1, wie im Atharvaveda beschrieben – zum Zwecke seiner Reinigung unterrichtet. XIV-13 Der im Samaveda2 erscheinende Satz Tat-TvamAsi muss Wort für Wort nachvollzogen und verstanden werden, um die darin enthaltene äußere und tiefere Bedeutung zu erfassen. XIV-14 Das Ungeteilte Nirguna Brahman wird durch das Wort „Tat“ angegeben. Das innere Selbst wird mit dem Wort „Tvam“ benannt, während das Wort „Asi“ die Identität der beiden bezeichnet. XIV-15 Der große Ausspruch „Aham Brahma Asmi“3 taucht im Yajurveda4 auf. Seine Bedeutung wird denjenigen gelehrt, der den Wunsch danach hat, sie zu praktizieren. XIV-16 Ich, der Zeuge des Körpers usw., das felsenfeste Wesen, das attributlose Höchste, bin Brahman, das Erfüllte. Das Wort „Asmi“ bezeichnet die Identität des „Aham“ und „Brahma“. XIV-17 Der Satz „Prajnanam Brahma“5 taucht im Rigveda6 auf. Die Beschreibung seiner Bedeutung besteht für den Zweck der Selbst-Verwirklichung. XIV-18 Das, was den Jiva mit Bewusstsein erfüllt – all das ist nichts als Bewusstsein oder Prajnana. „Brahma“ ist die allesdurchdringende Essenz von Satchidananda. XV-24 Nur dieser Höchste Glanz ist das Höchste Brahman. Nur dieser Höchste Glanz ist das Höchste Glück. 1 2 3 4 5 6
„Dieses Selbst (Atman) ist Brahman“ einer der vier Veden Rigveda, Samaveda, Atharvaveda und Yajur Veda „Ich bin Brahman“ s. o. „Bewusstsein ist Brahman“ s. o.
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Nur dieser Höchste Glanz ist der Höchste Friede. Nur dieser Höchste Glanz ist der Höchste Zustand. XV-27 Das Höchste Licht ist, was Ich bin. Das Höchste Licht ist, was du bist. Du bist das Höchste Licht. Suche daher mit allen deinen Kräften nach diesem Höchsten Licht. XV-40 Indem er den Übeln von Lust, Zorn, Stolz, Gier und Verblendung entsagt, wird der Parivrat1 frei von der Unreinheit. XV-44 Noch niemals wurden Wünsche durch ihre Befriedigung erfüllt. Anstelle dessen nehmen sie noch zu wie das Feuer, in welches geklärte Butter gegossen wird. XV-45 Von demjenigen sagt man, dass er seine Sinne beherrscht habe, der beim Hören, Berühren, Essen, Sehen oder Riechen weder erfreut noch traurig ist. XV-46 Wer nicht empfindet: „Dies ist gut“ und „dies ist nicht gut“, und die Nahrung isst, wie sie auch immer ohne seine Anhaftung daran zu ihm kommt, wer nur das Nötigste spricht und dabei die Wahrheit auf angenehme und angemessene Weise sagt – dieser ist wahrhaftig der „Mensch ohne Zunge“ (im spirituellen Sinne). XV-47 Derjenige ist wahrhaftig geschlechtslos, der seinen Blick weder auf einem neugeborenen Kind, einem sechszehnjährigen Mädchen oder einer hundertjährigen Frau ruhen lässt. XV-48 Wer nur für sein Biksha2 und den Drang der körperlichen Bedürfnisse unterwegs ist und nicht weiter als acht oder neun Meilen wandert, ist wahrlich ein lahmer Mensch. XV-49 Wessen Blick nichts anschaut, ob er nun geht oder steht, und wer den Blick nicht weiter als vier Fuß von seinem Körper ab gerechnet erhebt, ist wahrhaftig ein blinder Bikshu3. XV-50 Wer nach dem Anhören guter oder schlechter Worte – seien sie nun süß oder grob –, die Sorge oder Freude hervorrufen können, gleichgültig bleibt, ist wahrhaftig taub. 1 2 3
Asket Bettelspeise Bettelmönch
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XV-51 Wer wie ein Mensch im tiefen Schlaf mit ruhigen Sinnen verbleibt, obwohl die Objekte der Sinne vor seinen Augen tanzen, während er selbst durchaus fähig zum Genuss wäre, wird als einer bezeichnet, der frei vom Bewusstsein1 ist. XV-54 Ein Brahmin (ein weiser Mensch) sollte Respekt stets wie Gift hassen. Er sollte anstelle dessen wie nach Nektar stets nach Beleidigungen verlangen. XV-55 Wer beleidigt wird, schläft glücklich, steht glücklich auf und bewegt sich glücklich in dieser Welt. Wer jedoch andere beleidigt, verdirbt rasch. XV-57 Man sollte wegen eines zornigen Menschen nicht zornig werden. Man sollte auch dann angenehm reden, wenn man durch Ärger erregt wird. Niemals sollte man ein einziges Wort der Lüge gleich welcher Art sprechen. XV-58 Verankert im Selbst, das Einssein überall erblickend und nur mit dem Selbst als Wandergefährten sollte man über die Erde wandern und nach dem Glück suchen.
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d. h. hier: frei von objektivem Bewusstsein
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Die Essenz der Ribhu Gita Die Ribhu Gita bildet einen Teil des Vishnu Purana1. Darin unterweist der Weise Ribhu seinen Schüler Nidagha in der Vedanta-Philosophie.2
I-19 Oh Brahmin3! Wer hungrig ist, wird satt und zufrieden mit der Nahrung, die er isst. Ich war überhaupt niemals hungrig – wie könnte ich dann zufrieden werden (durch Nahrung)? Weshalb stellst du mir diese Frage (d. h., ob ich mit meiner Mahlzeit zufrieden sei)? I-20 Sobald durch die Tätigkeit der Verdauungsfeuer die Organe der Verdauung ermüdet sind, gibt es da das Auftauchen von Hunger, und sobald das Wasser (im Verdauungssystem) erschöpft ist, gibt es das Auftauchen von Durst. I-21 Hunger und Durst sind die Dharmas4 des Körpers und nicht die meinen, oh Brahmin! Da es für mich keinen Hunger gibt, bin ich stets zufrieden. I-22 Zufriedenheit bedeutet die Ruhe des Verstandes. Beide (Hunger und Durst) sind Funktionen des Verstandes. Ergründe also, zu wem dieser Verstand gehört – diese Person (das Selbst) ist an diese nicht gebunden. I-24 Das Selbst ist allesdurchdringend wie der Raum. Worin sollte dann also die Bedeutung der Frage: „Von wo kommst du, wohin gehst du“ usw., bestehen? I-25 Ich – der ich Das bin – komme und gehe nicht. Ich wohne an keinem einzigen Ort. Du bist nicht du, andere sind nicht andere, ich bin nicht ich. I-27 Was wäre unerfreulich, was wäre schmackhaft für den hungrigen Mann? Das Schmackhafte wird irgendwann zum Unschmackhaften (verursacht Abscheu). 1 2 3 4
eines der wichtigsten achtzehn Puranas (religiöse Erzählungen) Ribhu benutzt die Fragen Nidaghas danach, ob er mit seiner Mahlzeit zufrieden und nun gesättigt sei, zu einer spirituellen Unterweisung. Weiser d. h. hier: das Schicksal
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I-28 Das Unerfreuliche wird erfreulich, und der Mensch hat irgendwann wiederum Abscheu vor dem Erfreulichen. Welche Nahrung wäre denn am Anfang, in der Mitte und am Ende gleichermaßen schmackhaft? I-29 So wie ein aus Lehm gemachtes Haus stärker durch das Verkleiden des Lehms wird, so wird dieser aus Erde gemachte Körper stärker durch die Partikel der Erde (d. h., Nahrung). I-31 Indem er sich dieses bewusst macht, lasse deinen Verstand mit seinen Fragen über das Erfreuliche und Unerfreuliche im Gleichmut ruhen, damit er die Befreiung erlangen möge. I-35 Wisse daher, dass alles Eines ist – es gibt in dieser Welt keine Getrenntheit. All dies ist die Form des Einen Höchsten Selbst, genannt Vasudeva1.
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das innerste Selbst
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Die Essenz der Siddha Gita Die Siddha Gita ist ein Teil des Upashanti-Prakarana des Yogavasishtha. Es handelt sich bei ihr um einen Gesang der vielen Siddhas1 nahe des Palastes von König Janaka2 aus Videha. Die Erweiterung des Bewusstseins in die Unendlichkeit wird durch die Selbstbeherrschung und die Verneinung der Subjekt-Objektbeziehung herbeigeführt. Darin besteht die Essenz der Siddha Gita.
I-9 Die Siddhas sprachen: Der Seher und das Gesehene zermahlen einander. Da gibt es die objektive Wahrnehmung und dann taucht das Individuum ins Höchste ein – daraufhin entstehen dann Gewahrsein und Freude bzw. die Weisheit des Selbst und Seligkeit. Zu diesem Wandellosen Selbst nehmen wir unsere Zuflucht. I-10 Indem wir dem Seher, dem Sehen und dem Gesehenen zusammen mit sämtlichen Vasanas3 entsagen, nehmen wir Zuflucht zum Selbst, welches das Wurzelbewusstsein jenseits jedweder Objektivierung ist. I-11 Wir nehmen Zuflucht zum Selbst, welches das Licht der Lichter ist, welches die Mitte aller Konzepte wie „ist“ und „ist nicht“ darstellt, welches den neutralen Raum zwischen Sein und Nicht-Sein einnimmt. I-12 Wir nehmen Zuflucht zu dieser Wahrheit, in welcher alles ist, von welcher alles ist, von welcher alles ausgeht, zu welcher alles geht, durch welche alles ist, welche alles ist. I-13 Wir nehmen Zuflucht zu diesem Selbst, welches sich selbst stets als „Ich“ in allen erweist, welches mit dem Buchstaben „A“ beginnt und mit „HA“ und dem Punkt „M“ endet (d. h., „AHAM“), welches in allen Formen existiert.
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Wesen mit spirituellen Kräften mythischer König unerwünschte, wiederkehrende Gedankenmuster
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I-14 Diejenigen, die den Gott verlassen, der im Innern der Herzenshöhle wohnt, und nach einem anderen Gott im Außen verlangen, sind wahrhaftig auf der Suche nach Muschelschalen, nachdem sie den Kaustubha1-Edelstein, der in ihrer Hand lag, fortgeworfen haben. I-15 Diese Höchste Frucht (des Selbst) kann nur von demjenigen erlangt werden, der allen Hoffnungen und Erwartungen entsagt und die Wurzeln der giftigen Kräuter von Verlangen und Streben durchhauen hat. I-16 Derjenige ist wahrhaftig ein Esel und kein menschliches Wesen, der trotz seines Wissens über die totale Nicht-Existenz von Glück in sämtlichen Objekten der Welt immer noch hinter diesen herjagt. I-17 Die Schlangen der Sinne, die sich wieder und wieder im Innern erheben und wieder und wieder zischen, sollten mit der Zuchtrute der entschlossenen Unterscheidung gemordet werden – so wie Indra2 die Berge mit seiner Waffe Vajra zerschmettert hat. I-18 Man sollte nach dem heiligen Glück der Stille streben. Wer still geworden ist, beherrscht seinen Verstand sehr leicht. Wer seinen Verstand zurückzuhalten versteht, frohlockt auf immer in der Höchsten Seligkeit der SelbstVerwirklichung.
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göttliches Juwel König der Götter
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Die Essenz der Uttara Gita Die Uttara Gita ist ein Teil des Brahmanda Purana1 und stellt eine Ergänzung der berühmten Bhagavad Gita dar. Sie behandelt Jnana2 und Yoga und damit zusammenhängende Themen. Gaudapada, der Meister Sankaras, soll einen Kommentar zu dieser Gita geschrieben haben. Die Beherrschung des Verstandes geschieht durch Rückzug der Sinne und Atemkontrolle. Der Weise, der in der unsterblichen Weisheit glücklich geworden ist, hat keine Pflichten mehr zu erfüllen. Sein Verstand ist im Zustand des Samadhi eingetaucht, in dem nur noch Reines Bewusstsein existiert. Der Körper ist im Yoga-Sadhana3 eine wertvolle Hilfe und sollte daher niemals misshandelt werden. Der Körper ist Ausdruck des fundamentalen Gewahrseins. Sadhana ist ein nur relativer Prozess und spielt im Zustand des Absoluten keine Rolle mehr. Dem Studium von Büchern sollte nicht zuviel Wert beigelegt werden. Über die Essenz muss ohne Unterbrechung meditiert werden. Das gesamte Universum ist nichts als nur Brahman allein. Darin besteht die Essenz der Uttara Gita.
I-7 Der gesegnete Lord sprach: Wer im Gehen und Stehen zu allen Zeiten durch ausgedehnte Praxis seinen Atem beherrscht, wird tausend Jahre lang leben. I-17 Die weise Person sollte nach dem Studium all der Bücher und nach dem Erwerb des nötigen Wissens und der Weisheit sämtliche Schriften wie leere Getreidehülsen, aus denen die Körner herausgeschlagen wurden, verwerfen. I-19 So wie es einen, der süßen Nektar gekostet hat, nicht mehr nach Wasser verlangt, so hat derjenige, der Brahman kennen gelernt hat, keinen Nutzen mehr von den Veden. 1 2 3
eines der achtzehn Puranas (religiöse Erzählungen) Weg der Erkenntnis spirituelle Praxis des Yoga
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I-20 Ein Yogi, der zufrieden mit der unsterblichen Weisheit geworden ist und alles getan hat, was zu tun war, hat keinerlei Pflicht gleich welcher Art mehr zu erfüllen. Falls es eine solche für ihn geben sollte, kann er nicht Kenner der Wirklichkeit genannt werden. I-29 Wessen Verstand wie der hingedehnte Himmel und frei von allen Wünschen ist, und wer das unbewegte Sein kennen gelernt hat, wird als einer im Zustand des Samadhi bezeichnet. I-30 Wer lange Zeit wie im Himmel gelebt hat und durch die yogische Praxis trunken von der Essenz des Nektars geworden ist, lebt auf immer in der Seligkeit des Samadhi, die sogar den Tod zerstört. I-31 Im Zustand des Samadhi erfährt man das Selbst, welches nichts Höheres, nichts Niedrigeres, nichts in der Mitte und überhaupt nichts irgendwo sonst kennt (weil es alles ist). I-34 Im Zustand des Samadhi erfährt man das Selbst, welches Fülle oben, Fülle unten, Fülle in der Mitte und Fülle überall ist, denn es allein ist alles. I-36 Die gesegnete Person, rein im Herzen und meditierend über das makellose Eine als „Ich bin das Eine, dieses Alles“, erlangt das Höchste. I-46 Der Raum ist das Vakuum, weil er sich als reine Leere dahindehnt. Das (Brahman) durchdringt den Raum. Die Qualität des Raumes ist der Klang. Das Klanglose Eine ist Brahman. I-47 Die Menschen gewahren durch Zurückhalten der Sinne das Selbst im Körper. Falls der Körper nicht gesund erhalten und beschädigt wird – wie kann dann der Intellekt noch existieren, und wie kann ohne Intellekt Erkenntnis erlangt werden? I-52 So lange man die Wahrheit nicht verwirklicht hat, sollte man die Selbstbeherrschung praktizieren. Sobald die Wahrheit dann erkannt wurde, sieht man überall nur noch das Eine. I-54 Der Körper ist von äußerster Unreinheit und kann als solcher nicht gereinigt werden. Das Selbst ist auf immer rein und benötigt keine Reinigung. Da du diesen gewaltigen Unterschied zwischen beiden kennst – wessen Reinigung vollziehst du da nun?
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II-2 So wie sich Wasser mit Wasser, Milch mit Milch und geklärte Butter mit geklärter Butter vermischt, so vermischt sich – ohne dass es da die leiseste Unterschiedenheit gäbe – die individuelle Seele mit der Höchsten Seele in der Wahrheit. II-5 Sobald die Person durch die Weisheit entflammt wird, wird ihr Intellekt zu einem Teil Brahmans selbst, und ein solcher Weiser verbrennt dann die Bindung des Karma mit dem Feuer der Erkenntnis des Brahman. II-8 An welchem Ort und unter welchen Bedingungen auch immer der Jnani1 stirbt – er taucht ins Sein ein und wird wie der allesdurchdringende Raum. II-37 So wie der Raum im zerbrochenen Krug als der ursprüngliche, weite Raum weiterexistiert, so existiert der Jiva2, sobald seine Verkörperung zerbrochen ist, als das ewige Unendliche weiter. II-38 Wer die Wahrheit kennt, dass das (individuelle) Selbst nur wie der Raum innerhalb des Kruges und der jederzeitigen Auflösung unterworfen ist, gelangt in den Selbst-existierenden Zustand, der durch Weisheit erlangt werden kann. Daran besteht nicht der geringste Zweifel. II-40 Tausende von Sünden, wie sie durch das Töten von Brahmanas3, und hunderte von Sünden, wie sie durch das Morden von Embryos entstanden sind, werden durch diesen Yoga der Meditation wie vom Feuer verzehrter Brennstoff verbrannt. II-41 Wer sogar nach dem Studium der vier Veden und der Dharma-Shastras4 immer noch nicht realisiert hat: „Ich bin Brahman“, der ist wie ein in ein erlesenes Getränk getauchter Löffel (der dessen Geschmack nicht zu kosten vermag). II-42 Ein mit Sandelholz auf seinem Rücken beladener Esel kennt nur das Gewicht, aber nicht den Duft seiner Last. So trägt auch einer, der nur die zahlreichen Bücher studiert, aber nicht deren Essenz erfasst hat, nichts als die Lasten des schriftlichen Vermächtnisses mit sich herum.
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Wissender individuelle Seele Brahman-Priester antike Rechtsbücher
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II-43 So lange es da keine Erkenntnis der Wirklichkeit gibt, wandert man zu den heiligen Plätzen der Pilgerschaft, nimmt heilige Bäder, vollführt zahlreiche wohltätige Akte, achtet auf Reinheit und praktiziert Buße und Opfer zum Erlangen des Glücks. II-45 Die Kühe sind verschiedenfarbig, aber ihre Milch ist stets von gleicher Farbe. Ähnlich dazu ist Weisheit immer von derselben Natur, obwohl die Körper wie die bunten Kühe von unterschiedlicher Natur sind. II-46 Nahrung, Schlaf, Furcht und Geschlechtsverkehr sind sowohl wilden Tieren als auch Menschen gemeinsam. Nur bezüglich der Erkenntnis gibt es einen Unterschied zwischen beiden. Personen, die keine Erkenntnis besitzen, sind nur wilde Tiere. II-47 Am Morgen folgt man dem Drang der körperlichen Bedürfnisse, am Mittag dem Essen und Trinken und in der Nacht den ehelichen Bedürfnissen oder dem Schlaf. (Beides hat man mit den wilden Tieren gemeinsam.) II-51 Wird der Verstand getötet und zum Nicht-Verstand, dann wird Dualität nicht mehr wahrgenommen. Die Zerstörung des Verstandes bedeutet die Erlangung des Höchsten Zustandes. III-1 Die Schriften sind nicht zu überblicken. Das Wissen ist grenzenlos. Die Zeit ist knapp. Die Hindernisse sind zahllos. Folglich muss aus allem nur die Essenz entnommen werden – so wie der Schwamm die Milch durch Abtrennung des Wassers trinkt. III-2 Die Puranas, das Mahabharata1, die Veden, die verschiedenen Schriften, die Bindung des Samsara in der Gestalt von Söhnen, Ehefrauen usw. sind samt und sonders Hindernisse in der Praxis des Yoga. III-3 Dies ist die Erkenntnis – dies muss erkannt werden. Dies ist, was du zu wissen wünschtest. Auch wenn du tausend Jahre lang leben würdest, könntest du das Ende der Schriften und Bücher nicht erreichen. III-4 Das Leben ist äußerst unsicher. Nur das Unverderbbare Sein („seiend sein“) muss erkannt werden. Nimm, indem du sämtlichen Schriften und Büchern entsagst, deine Zuflucht zu dem, was die Wahrheit ist. 1
indisches Nationalepos
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III-5 Alle Dinge dieser Erde versammeln sich in der Zunge und den Genitalien. Sobald Zunge und Genitalien aufgegeben worden sind – worin bestünde dann noch der Nutzen dieser Erde? III-7 Für die Brahmins ist Gott im Feuer, für die Heiligen im Herzen, für die Dummköpfe in ihren Götzenbildern, und für die gleichmütigen Menschen ist er überall. III-9 Wohin auch immer der Verstand wandert, dort erblickt er stets nichts anderes als die Höchste Wahrheit. Da und dort – überall – existieren das Absolute und das Brahman. III-15 Wo auch immer die Yogis sich aufhalten – wenn auch nur eine Sekunde lang –, dort befinden sich Kurukshetra1, Pravaga2 und der Naimisha-Urwald3. III-16 Die spirituelle Kontemplation des Selbst – auch nur für einen Augenblick oder für sogar weniger als diesen Zeitraum – ist verdienstvoller als Abertausende und Abermillionen von Opfern. Nur die Meditation ist das Höchste. III-17 Der Yogi sollte durch das Feuer des Brahma-Jnana4 Tugenden und Untugenden, Freund und Feind, Glück und Leid, Erfreuliches und Hassenswertes, Gutes und Schlechtes, Ehre und Schande, Lob und Tadel verbrennen. III-19 Der Yogi, der Moksha5 zu erlangen wünscht, sollte mit demselben Blick die als Biksha erhaltene Nahrung zur Erhaltung des Körpers, die Kleidung zum Schutz vor Kälte, Steine und Gold, schöne Ess-teller und eine Reismahlzeit unterschiedslos und ohne einen Sinn der Bevorzugung betrachten.
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historisches Schlachtfeld aus der Bhagavad Gita bzw. dem Mahabharata Zusammentreffen der fünf heiligen Flüsse Indiens im Mahabharata erwähnter Wald im Altertum Brahman-Erkenntnis spirituelle Befreiung
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Die Essenz der Vasishtha Gita Diese Gita ist Bestandteil des Nirvana-Prakarana des Yogavasishtha. Der Weise Vasistha unterweist Rama in den ewigen Wahrheiten. Die Substanz des Samsara besteht darin, dass er gänzlich unwahr1 ist. Es liegt nicht der geringste Sinn darin, ihm auch nur einen Moment lang Glauben zu schenken. Die Gestalt der Welt ist unwirklich – die innerste Essenz der Welt ist das Unendliche Brahman. Im Bewusstsein, des Nicht-Selbst, welches aus der Täuschung geboren ist, herrscht der Kummer. Das höchste Glück kann durch die Gewissheit des Ewigen Seins erlangt werden. All dies hier ist nichts als nur das Brahman, welches in Brahman und durch Brahman erscheint. Die Ursache für die Bindung liegt in der Liebe für das Leben. Das Leben im Brahman bedeutet Unsterblichkeit. Diese Gita wendet sich an diejenigen, die die höchste Art des Jnana-Yoga2 praktizieren.
I-3 Sri Vasishtha sprach: Wer die Schleier abgeworfen, alle Wünsche und Bestrebungen befriedet und angefüllt mit der Höchsten Unsterblichen Essenz ist, erstrahlt als das Höchste Sein Selbst. I-7 Die Freuden des Himmels sind wie das Liebäugeln mit dem Sohn der unfruchtbaren Frau im Traum. Diese Welt, die wir erfahren, ist gänzlich inexistent. I-9 Worin sollte der Zweck des Lebens bestehen, da doch das gesamte Spiel des Samsara eine Unwirklichkeit darstellt? Svarga3 und Moksha4 sind beides nur bloße Worte – wie die Söhne der unfruchtbaren Frau.5 1 2 3 4 5
d. h., die Objekte darin sind gänzlich unwirklich; der Samsara ist eine falsche Welt Yoga der Erkenntnis himmlische Welten, die auf und über dem Berg Meru existieren sollen spirituelle, endgültige Befreiung d. h., Svarga und Moksha sind selbst nur Teil des Samsara
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I-16 Alles ist in der Tat nichts als eine große Täuschung und nichts anderes. Es gibt weder Traum noch Tiefschlaf. Es gibt weder Himmel und Hölle noch Befreiung. Die Wahrheit ist, dass alles der Friede der Ewigkeit ist. I-17 Sobald die Täuschung durchschaut ist, wird sie gleichzeitig als inexistent erkannt, denn sie besitzt keinerlei reale Substanz. Wie könnte Silber in Perlmutter sein? Es ist absolut irreal. I-20 Im Zustand des Nicht-Selbst gibt es großen Kummer und Leiden. Im Zustand des Selbst gibt es den absoluten Frieden. Wisse dies mit der Hilfe der Unterscheidung und tue dann, wie es dir beliebt. I-25 Die Gestalt der Welt ist ein unwirkliches Bild. Es ist nur Brahman, der in Brahman erscheint. Diejenigen, die an diese Traumwelt glauben, sind selbst nur verträumte, unwirkliche Menschen. I-27 Dein absolutes Brahman-Bewusstsein existiert ebenso auch in mir, dieses Friedvolle –, hingedehnt wie der Raum. Es erscheint als etwas Verschiedenes wie die bewegte Luft von der unbewegten verschieden scheint, wie der Ozean Wellen hat, obgleich da in Wirklichkeit nur Eines ist. I-28 Ich bin das Ewige Sein für diejenigen, die Mich kennen. Denjenigen jedoch, die sich im Traum befinden, erscheine Ich wie ein Traum. Diese wiederum sind inexistent für Mich – wie die Traumobjekte einer träumenden Person. I-29 Mein Umgang mit anderen Personen ist in Wahrheit nur Brahman, der in Brahman erscheint. Lass die Leute nur immer über das, was sie wahrzunehmen glauben, fantasieren. Genug – genug von diesem objektiven Erfahren! I-35 So wie die Traumerfahrungen für einen wachen Menschen nichts als Märchenerzählungen sind, so ist es das große Spiel der Welt für eine Person mit der rechten Unterscheidung. I-36 Durch die Praxis des Yoga erlangt man diesen Ewigen Zustand. Dann erkennt man, dass das Ego nicht ist, dass Samsara nicht ist – nur die Ewige Stille verbleibt. II-3 Sobald es da die Verankerung in der essenziellen Natur des Selbst, im Ewigen Frieden, gibt, verschwindet
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das gesamte wahrnehmbare Universum so, wie der Traum im Tiefschlaf untergeht. II-4 Die Vergnügen sind die großen Krankheiten des Samsara. Die Verwandten sind die starken Taue, die jemanden an den Samsara binden. Der Erwerb von Reichtum dient nur der Selbstzerstörung Ruhe daher im Selbst durch das Selbst. II-5 Die Schöpfung ist der Natur der Realität entgegengesetzt. Wahrheit ist die Identität – gesegnet auf ewig. Lebe in der Gewaltigen Realität. Sei ruhig. Leide nicht länger in diesem Samsara. II-6 Ich erfahre nicht das individuelle Selbst. Ich nehme überhaupt nichts wahr. Ich unterliege nicht der WeltIllusion. Ich habe in den Frieden Brahmans eingegangen. Ich bin selbst das leidlose Brahman. II-9 Wer in Brahman zentriert ist, kennt keine Schöpfung. Wer in den Mühen der Schöpfung zentriert ist, kennt Brahman nicht. Der schlafende Mensch kennt den Traum nicht. Der träumende Mensch kennt den Schlaf nicht. III-20 So wie die durch Einbildungskraft geschaffene Stadt nicht getrennt von der Einbildung existiert, so ist diese Welterscheinung nicht verschieden von der Höchsten Wahrheit. IV-3 So wie Luft ohne eine irgendwie geartete Ursache zu Wind wird, so ist dieses Universum die ursachelose Bewegung der Strahlen des Ewigen Bewusstseins. IV-5 So wie das Strahlen auf natürliche Weise dem Kristall innewohnt, so erstrahlt das Reine Bewusstsein des Unendlichen Seins als diese Welt. IV-16 Der Unterschied zwischen dem Universum und Brahman ist selbst eine Unwirklichkeit. Das Eine Sein kann nicht zwei werden, weil da nur dieses Großartige Unendliche Bewusstsein existiert. IV-21 Wie der Raum ist auch dieses gesamte Universum reine Leerheit. Es ist dem Einen Allesdurchdringen Reinen Sein des Bewusstseins überlagert. IV-23 Wie könnte der Raum zum Nicht-Raum werden? Einen zweiten Raum gibt es nicht. Im Unendlichen Bewusstsein erstrahlt das Universum als Glanz oder Licht.
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IV-25 Die wahre Gestalt dieses Samsara ist die Friedhofsruhe. Er ist wie der fruchtlose Kampf von einem, der Dinge zu erblicken glaubt, während seine Augen geschlossen sind. IV-41 Es gibt da kein Objekt der Wahrnehmung. All dies hier ist folglich unbeschreibbarer, ewiger, seliger, körperloser, universumsloser und absoluter Friede, der lediglich als solcher erscheint. IV-51 Es wird Befreiung – die nach dem Durchschauen der Illusion dieser Welt erlangt wird – dann genannt, wenn der Verstand von sämtlichen Eindrücken gereinigt und sämtliches objektives Sein essenzlos geworden ist. V-2 Darin besteht das Kennzeichen desjenigen, der sich vom Fieber der Unwissenheit erholt hat, dessen Selbst durch Erkenntnis abgekühlt ist und der den Wassern der Vergnügen keinen Geschmack mehr abgewinnen kann. V-3 Kenne das als den Zustand des Nirvana, worin das Bewusstsein des „ich“ (Individualität) verlorengegangen ist. Genug von all dem Scheinwissen, den bloßen Taschenspielertricks der Worte und den gekünstelten Ausdrucksweisen! V-9 Nimm friedlich deine Zuflucht zum Wahrem Sein, in dem sich sämtliche objektiven Wünsche auflösen, in dem Ja und Nein keinerlei Bedeutung mehr haben, in dem Wandel und „anderes“ nicht existieren. V-13 Lebe ohne Sorge im Nandana-Wald1 der Seligkeit des Nirvana, koste die erlesene Essenz, existiere als das Unendliche Bewusstsein. V-17 Die illusorische Welt, die wie die am Himmel erblickte Stadt ist, taugt zu nichts anderem als nur zu deiner Bindung und schließlichen Zerstörung. Was macht dich, der du in dieser Illusion lebst, also so stolz? Schmerzen kommen in der Gestalt von Freuden auf dich zu. All dieses dient nur deiner Selbstzerstörung – sei wachsam! VII-14 (Die befreite Seele) schaut ihre abertausende Söhne, Frauen, Besitzstände, Freunde, Reichtümer und alles andere wie bloße Traumobjekte aus einem längst vergangenen, alten Leben an. 1
Indras, des Götterkönigs, leidloser Wald
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VII-16 Sie lacht nur über diesen Stromes mit all seinen aufgewühlten, Wellen und seinem Schaum, und täuschend und trunken machend Gestaltungen ist.
Fluss des Samsaravielfach brechenden wie dies alles so in seinen vielerlei
VII-17 Wer in diesem Leben wie ein Leichnam ist und sich selbst im wunderbaren Zustand der Verwirklichung verwurzelt hat, besitzt nicht das geringste Bewusstsein von irgendetwas in dieser Welt – nicht einmal von den begehrtesten Dingen wie Frauen, Geld und Ruhm. VII-20 Einen solchen peinigt das Betrachten der weltlichen Aktivitäten, Geschäfte und Vergnügungen – wie ein schlafender Mensch sich gepeinigt fühlt, der gewaltsam geweckt wurde. VII-36 Wer völlige und äußerste Substanzlosigkeit in allen Objekten zu erblicken vermag, ist einer, in dem die Weisheit aufgedämmert ist. Derjenigen Person, die noch nicht zur Weisheit erwacht ist, steht die Macht zur Entsagung der Objekte nicht zur Verfügung. VII-46 Innere Sammlung bedeutet erlesene Wunschlosigkeit gegenüber Objekten. Wer diesen Stand der Versunkenheit erlangt hat, ist derjenige, dessen Göttlichkeit unter den Menschen wir unsere Grüße entbieten. VII-47 In wem die Leidenschaftslosigkeit gegenüber den Objekten den höchsten Gipfelpunkt der Vollkommenheit erlangt hat, dessen Meditation vermöchten nicht einmal die Götter und Dämonen – und noch nicht einmal Indra selbst – Hindernisse in den Weg zu legen. VII-48 Praktiziert Vajra1-artige Meditation durch äußerste Leidenschaftslosigkeit gegenüber den Objekten. Wenn die Verschiedenheiten erst einmal durch die Erkenntnis annulliert worden sind – worin sollte dann noch der Nutzen anderer Meditationen, die nur wie Stroh sind, bestehen? IX-49 Wohlstand und Frauen sind vergänglich wie Schaum auf dem Wasser. Welcher weise Mensch würde
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d. h.: „diamantenhart“; es ist eine Waffe und ein Zepter zugleich mit unzerstörbaren Eigenschaften der Härte und Strahlkraft
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wohl Vergnügen in ihnen suchen, die wie der Schatten unter der Haube einer giftigen Schlange sind? IX-50 Wer um die Wertlosigkeit all der angehäuften weltlichen Objekte und des Wohlstands weiß und trotzdem noch an ihnen interessiert ist, ist wie ein dummes Vieh unter den Menschen und sollte von allen gemieden werden. X-22 Gott ist nicht fern und nicht schwer zu erlangen. Der Große Gott ist das eigene Selbst, welches der Ozean der Unendlichen Erkenntnis ist. X-23 Wir werfen uns nieder vor diesem Selbst, welches alles besitzt, von welchem alles ausgeht, welches selbst alles ist, welches überall ist, welches im Innern und allesdurchdringend ist, welches ewiglich und die Seele von allem ist. XI-20 Die Wesen besitzen in Wahrheit weder einen Körper noch eine Form des Nicht-Seins. Folglich existiert auch der Verstand nicht. Was bleibt, ist schieres Sein, das ihre wahre Natur ist. XI-43 Der erleuchtete Weise ruht im Selbst stets in einem Zustand des Gleichgewichts – selbst wenn es glühende Kohlen vom Himmel regnen, die Stürme der Apokalypse blasen oder die Erde in den Weltraum geschleudert werden sollte. XIII-2 Das Absolute ist ewiges Bewusstsein und selbst keine Ursache von irgend etwas, es ist auch keine Wirkung von irgend etwas. (Daher gibt es Schöpfung nicht.) XIII-3 Da es niemals so etwas wie eine Schöpfung gegeben hat, macht dies selbstverständlich auch sämtliche Jivas1 und Kreaturen inexistent, denn es gibt da keinerlei Ursache, aus der sie als Wirkung hervorgegangen sein könnten. XIII-4 Nichts hier wurde jemals geboren, nichts hier stirbt jemals. Die Themen der Unterweisungen und der Zweck all der Lehren sind alle nichts als ein Spiel der Worte und der Klänge. XIII-8 Hier existiert gar nichts als ein externes Objekt. Nur das Eine Bewusstsein erscheint als etwas Äußeres.
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individuelle Seelen
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Sämtliches objektives Sein wächst aus dem inneren Bewusstsein heraus wie der Baum aus dem Samen. XIII-9 Das gesamte Universum existiert innerhalb des eigenen, höchsten Bewusstseins – so wie man Fruchtstände am Bananenbaum sieht. XIII-10 Das gesamte Universum ist der Duft des Bewusstseins. Das Unendliche, welches sowohl innen wie auch außen ist, erscheint als solches in Raum und Zeit. XIII-26 Sobald die Erkenntnis aufdämmert, verschwinden die Fesseln der irdischen (körperlichen) Bindung in den drei Welten so, wie ein Kind sich von seiner Furcht befreit fühlt, nachdem es darüber aufgeklärt wurde, dass sich kein Gespenst im Hause befindet. XIV-5 Dieser gewaltige Fehler der objektiven Wahrnehmung hat den Charakter einer gewaltigen Unwissenheit. In Wahrheit existiert sie jedoch überhaupt nicht, denn der Fluss in der Luftspiegelung enthält kein Wasser. XV-6 Wenn Brahma, Vishnnu und Siva zum Zeitpunkt der großen Auflösung nur noch dem Namen nach existieren, wenn Namen und Formen für immer verschwunden sind, dann ist das, was verbleibt, diese Reine Wahrheit. XV-9 Von dieser Essenz des Bewusstseins kann man weder sagen, dass sie existiere noch dass sie nicht existiere, denn ihrem Wesen nach ist sie vollkommene Stille. XV-20 Aus der Fülle setzt sich die Fülle fort. In der Fülle erstrahlt die Fülle. Die Fülle allein verbleibt, wenn die Fülle aus der Fülle entnommen wurde.
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Verschiedene Gitas
Die Essenz der Baka Gita Dies ist eine Unterhaltung zwischen Indra, dem König der Götter, und dem Weisen Saka, der viele Kalpas (Zeitalter) lang lebte. Indra befragte diesen Weisen nach den Erfahrungen seines langen Lebens. Der Weise gab daraufhin eine Beschreibung des traurigen Zustandes der Welt, wie eine Person, die lange lebt, diesen im Laufe der Zeit zu sehen bekommt. Diese Gita ist im Mahabharata1 enthalten.
18. Baka Rishi sprach: Diejenigen, die lange Zeit leben, erfahren all die Schmerzen, wie sie im Kontakt mit hassenswerten Objekten, durch den Verlust der Lieben und in der Gesellschaft der Ruchlosen entstehen. 19. Söhne und Ehefrauen sterben. Auch Verwandte und Freunde gehen dahin. Feinde tragen großen Kummer heran. Wie könnte es eine größere Trauer als über all dies geben? 20. Ich vermag kein größeres Leid in dieser Welt zu erblicken als eine der Armut ausgelieferte Person, die von anderen misshandelt wird. 21. Niedrig gesinnte Menschen steigen zu höchsten Ehren auf. Leute in herausgehobenen Stellungen stürzen in äußerste Armut hinab. Wiederholt gibt es da Verbindung und Trennung. All dieses erblicken diejenigen, die lange leben. 23. Götter, Dämonen, Gandharvas2, menschliche Wesen, Schlangen, Kobolde – alle diese erleiden die unglücklichen Wechselfälle des Lebens. Kann es größeres Leid als das geben?
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indisches Nationalepos Himmelswesen
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24. In hochgestellten Familien geborene Leute leiden unter den Herabsetzungen derjenigen aus niedrig gestellten Familien. Die Reichen misshandeln die Armen. Kann es etwas Erbärmlicheres als das geben? 25. Überall in der Welt beobachtet man den Sieg der Ungerechtigkeit und Ironie des Schicksals. Unwissende Menschen sind zufrieden, während kluge und gebildete Menschen viel erdulden müssen. Das menschliche Leben ist zerrissen durch großen Schmerz und große Trauer.
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Die Essenz der Bhikshu Gita Diese Gita taucht im elften Skandha des Srimad Bhagavata1 auf. Lord Sri Krishna erzählt Uddhava als eine Veranschaulichung die Geschichte vom gierigen Brahmin2, der später zu einem Weisen wurde und mit großer Gefasstheit alle Beleidigungen und Kränkungen der Welt ertrug. Dieser Brahmin singt ein Lied, das als Refrain die Methode zur Beherrschung des Verstandes enthält.
43. Der Brahmin sprach: Weder diese Leute noch die Götter, das Selbst, die Sterne, das Karma oder die Zeit sind der Grund meines Glücks und meines Elends. Es ist der Verstand, der die wahre Ursache dafür ist, weil er das wirbelnde Rad des Samsara in Bewegung setzt. 46. Wohltätigkeit, Pflichtbewusstsein, Zurückhaltung, Brauchtum, Studium der Veden, Rituale und Vratas3 - sie alle geschehen nur für den Zweck der Beherrschung des Verstandes, denn das Gleichgewicht des Verstandes ist der höchste Yoga. 47. Was hat einer, dessen Verstand gesammelt und heiter ist, mit Wohltätigkeit und anderen ähnlichen Akten zu tun? Wenn die Wohltätigkeit usw. den Verstand eines Menschen nicht zu zügeln vermag, sondern dieser sogar noch an Schlechtigkeit zunimmt – welcher Sinn sollte dann in solchen Handlungen liegen? (d. h., gar keiner) 48. Die Sinne und die sie beherrschenden Götter befinden sich unter der Kontrolle des Verstandes, während der Verstand nicht unter der Kontrolle von irgendjemand sonst steht. Dieser machtvolle Gott namens Verstand ist stärker als das Stärkste. Wer den Verstand unter Kontrolle gebracht hat, ist folglich der König der Götter. 49. Da gibt es Leute, die diesen unsichtbaren Feind mit all seiner unwiderstehlichen Macht, der die vitalen 1 2 3
einer der wichtigsten indischen Klassiker, der vom Leben und den Taten Krishnas erzählt Brahman-Gelehrter religiöse Zeremonie zum Zweck der Bittstellung an die Götter
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Lebenskräfte unterminiert, nicht erobert haben und doch nutzlosen Hader mit anderen anfangen, und die auch noch töricht genug sind, sich fortgesetzt Freunde und Feinde zu machen und andere zu missachten. 50. Indem sie diesen Körper, der eine schiere Schöpfung des Verstandes ist, mit dem Selbst verwechseln, sich in ihrer Sinneswahrnehmung blenden lassen und falsche Ideen über „ich“, „meins“, „ich bin dies“ und „er ist jemand anderes“ usw. hegen, wandern die Menschen ziellos im ungeheuren Dickicht der Finsternis umher. 51. Lass den Körper die Ursache der Vergnügen und Schmerzen sein (nehmen wir diese falsche Position einmal als wahr an) – was hat all dies mit dem Atman zu tun? Solche Beziehungen bestehen lediglich zwischen zwei Körpern, die beide nur Brocken aus Lehm sind. Wem sollte einer, der sich mit seinen eigenen Zähnen auf die eigenen Lippen beißt, dafür böse sein? 53. Falls das Selbst als die Ursache des Glücks und Elends angesehen werden müsste, gäbe es da wahrlich keinen Schaden durch Dritte. Gäbe es da aber einen Dritten, dann muss dieser notwendigerweise unwirklich sein. Wie könnte es dann aber einen Anlass zum Ärger geben? Gibt es also keine Ursache dafür, dann gibt es auch weder Freude noch Leid. 57. Auf keine Weise, an keinem Ort und durch keine wie auch immer geartete Ursache könnte man den Angriff der Gegensatzpaare auf dieses Höhere als das Hohe (Selbst) zurückführen, sondern dieser stammt stets vom Ego, der Ursache des Samsara. Wer diese Wahrheit erkannt hat, fürchtet nichts mehr.
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Die Essenz der Gopi Gita Die Gopi Gita ist ein Teil des zehnten Skandha des Srimad Bhagavata1. Während des Rasa-Lila2 verschwand Lord Krishna plötzlich aus der Sicht der Gopis3, um ihnen eine Lektion zu erteilen. Die Gopis erlitten die Qualen der Trennung vom Lord und gaben den Empfindungen ihres Herzens in majestätischen und bewegenden Worten Ausdruck. Diese Gita ist bis obenhin angefüllt mit der höchsten Art der Hingabe an den Göttlichen Herrn.
1. Die Gopis sprachen: Oh du Geliebter! Durch Deine Geburt erstrahlt dieser Vraja4 auf das Vorzüglichste – gewiss hat Lakshmi5 hier für alle Zeiten ihre Wohnung genommen. Bitte zeige Dich uns! In allen Richtungen sind wir, die Geschöpfe, die in Dir leben, unterwegs, um Dich zu suchen. 2. Oh Herr des Glücks! Oh Bringer der Gnaden! Wir sind Deine dankbaren Dienerinnen. Ist diese Enttäuschung nicht wahrhaftig todbringend für uns, nicht Deine Augen zu sehen, wie sie den Glanz der innersten Blütenblätter des voll erblühten Lotos in einem See zur Zeit des Frühherbstes überschatten? 4. Wahrhaftig bist Du nicht der Sohn der Gopika (Yasoda6). In der Tat bist du das Zeugenbewusstsein in den Herzen aller verkörperten Wesen. Du, der Du von Brahma angebetet worden bist, oh Freund, bist in der Familie der Sattvatas7 erschienen, um das Universum zu stützen.
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einer der wichtigsten indischen Klassiker, der vom Leben und den Taten Krishnas erzählt „Tanz der göttlichen Liebe“ Hirtenmädchen, die Verehrerinnen Krishnas das heilige Land Krishnas Göttin des Glücks und der Schönheit Ehefrau Nandas in den mythischen Erzählungen der Puranas antike indische Dynastie
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5. Oh Vornehmster der Vrishnis1! Lege auf unsere Häupter Deine gandenreiche lotosgleiche Handfläche, die denjenigen Furchtlosigkeit (Erlösung) schenkt, die Zuflucht vor diesem schreckenerregenden Samsara suchen – diese Deine Hand, mit der Du Dich Lakshmi anvermählt hast, und die alle Wünsche gewährt, oh Geliebter! 6. Oh Lord, der Du alle Beschwernisse der Leute von Vraja beseitigst! Oh du Held! Oh geliebter Lord, dessen Lächeln den Stolz Deiner Verehrer zerstört! Oh du Freund der armen Frauen! Sei so gut, Dich unserer anzunehmen, Deiner Dienerinnen, und zeige uns erneut Dein lotosgleiches Antlitz. 7. Deine Lotosfüße vertreiben die Sünden derjenigen, die sich vor Dir niedergeworfen haben. Sie sind im Herzen derer, die vom Gras leben (Kühe und Asketen). Sie sind die Heimstatt Lakshmis. Sie zertrampeln die Haube der Schlange (Kaliya2). Mögest Du sie auf unsere Brust setzen und dadurch den Schmerz unserer Herzen heilen. 9. Der Nektar Deiner Erzählungen ist das wahre Leben der Traurigen. Hoch gepriesen werden sie von den Weisen, sie sind die Vertilger der Sünden, sie sind herrlich anzuhören, sie sind wohltuend und erbaulich, sie geben in der Überfülle denjenigen, die von ihnen singen und sie auf der Erde feiern. 10. Oh Lieber! Dein Lächeln, Dein liebevoller Blick, Deine Haltung, über die zu meditieren glücklich macht, Deine geheimen Versprechungen, all dieses dringt tief in unsere Herzen ein, und – oh Listiger – wühlt uns auf. 13. Oh Geliebter! Du Bringer des Glücks, der allen Kummer beseitigt! Bitte setze auf unsere Brust Deine gesegneten, lotosgleichen Füße, die von Brahma angebetet werden, über die in den Zeiten der Trauer meditiert wird, die der Schmuck der ganzen Erde sind, die alle Wünsche derjenigen erfüllen, die sich vor ihnen niedergeworfen haben. 14. Oh du Heroischer! Gib uns den Nektar Deiner Lippen, der die Freude der Liebe vergrößert und unsere Sorgen entwurzelt, dessen man sich im herrlichen Kuss der 1 2
antiker Clan, der seine Abstammung auf Vrishni, einen Abkömmling Yadus (ein Clan aus den Erzählungen des Rigveda), zurückführte Name einer giftigen Schlange in der Hindu-Mythologie
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erklingenden Flöte erfreut, und der die Menschen alle ihre Wünsche vergessen macht. 15. Sobald Du uns am Tage verlässt und in die Wälder gehst, wird ein Augenblick für uns, die wir Dich nicht länger erblicken, zu einem Zeitalter. Wie ruchlos ist doch dieser Brahma, der Erschaffer der Augenlider, der den Anblick deines verzaubernden Antlitzes, geschmückt mit lockigem Haar, unseren Blicken entzieht. 17. Der Gedanke an deine vielversprechenden Geheimnisse, Dein von Leidenschaft leuchtendes, lächelndes Antlitz und seine liebevollen Blicke, und an Deine breite Brust, die die Wohnung Lakshmis ist, befeuern in jeder Sekunde unser heißes Verlangen und machen unsere Herzen ruhelos. 18. Oh Du Geliebter! Dein Anblick setzt allen Sünden derjenigen, die in Vraja leben, ein vollständiges Ende. Er ist ein Segen für das gesamte Universum. Gewähre uns, die wir nur Dir in unseren Herzen zujubeln, wenigstens ein Geringes dieses Balsams, der sicherlich alle Schmerzen in den Herzen Deiner Dir Hingegebenen auslöschen wird. 19. Oh Teurer! So du wanderst in den Wäldern mit diesen gnadenreichen, lieblichen Lotosfüßen, die wir, um sie nicht leiden sehen zu müssen, sehr sanft auf unsere harten Busen setzen; die wir, deren Leben nur in Dir lebt, uns in der Seele quälen, diese Füße auf der steinigen Erde gehen sehen zu müssen.
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Die Essenz der Hamsa Gita Die Hamsa Gita ist eine Unterhaltung zwischen Lord Vishnu in der Gestalt eines Schwans und den Söhnen Brahmas. Sie taucht in den Unterweisungen Sri Krishnas an Uddhava auf. Diese Gita erachtet die Welt als eine Illusion und den Atman als die dauerhafte, einzige Wirklichkeit.
20. Der gesegnete Lord sprach: Als sie Mich erblickten, kamen sie herauf, warfen sich Mir zu Füßen und fragten, mit Brahma als ihrem Sprecher: „Wer bist Du?“ 21. Höre nun, oh Uddhava, was diese Weisen, die eifrig nach der Wahrheit verlangten, von Mir darüber zu hören bekamen. 22. Wenn es aber keine Unterschiedenheiten in der Wesensnatur des Atman gibt, wie könnte dann, oh Brahmins, eine solche Frage gestellt werden, und worauf sollte Ich meine Antwort gründen? 23. Sollten wiederum alle fünf Bhutas (Elemente) von ein und derselben Substanz sein, wäre deine Frage „Wer bist Du?“ nur eine Abfolge von Wörtern ohne Sinn. 24. Begreife, dass alles, was vom Verstand, der Rede, dem Sehen oder irgendeinem anderen Sinn erfasst wird, Ich Selbst bin und nichts anderes als Ich Selbst. 25. Oh liebe Kinder! Die Objekte treten in den Verstand ein, woraufhin dieser sich in die Objekte verwickelt. Beides zusammen bildet wiederum den Körper des Jiva1, der Ich Selbst bin. 26. Der Jiva, der sich selbst als Mich erkennt, sollte dem in die Objekte verwickelten Verstand entsagen, indem er sich ihm und auch den aus dem Verstand geborenen Objekten beständig zuwendet2.
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individuelle Seele unklare Textstelle, gemeint möglicherweise: Entsagen des Verstandes durch Ergründung seiner selbst und seiner Produkte
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29. Wer erkennt, dass diese Bindung das Ergebnis des Egoismus in der Beziehung zum Atman und selbst unwirklich ist, sollte Leidenschaftslosigkeit entwickeln, seinen Stand in Turiya1 nehmen und sich selbst vom Kummer des Samsara befreien. 30. So lange das Empfinden von Unterschieden nicht aus dem Sinn des Menschen, der Unterschiede in den Dingen zu sehen vermeint, verschwindet – trotz seiner vernünftigen Überlegungen und logischer Betrachtung –, muss er wahrhaftig als unwissend angesehen werden; wie ein Mensch, der im Wachen schläft und im Traum wach zu sein glaubt. 31. Da außer dem Atman kein anderes Ding Wirklichkeit besitzt, sind die Idee der Unterschiedenheit, die durch die Dinge hervorgerufen wird, und die verschiedenen Modifikationen und Ursachen dieser Unterschiede sämtlich unwirklich wie Traumwahrnehmungen. 32. Da ist nur dieser eine Atman, der sich im Wachen mit der Hilfe der Sinne dieser äußeren, vergänglichen Objekte erfreut, der im Traum ähnliche innere Objekte erfährt, und der sich im Schlaf von allen diesen zurückzieht, da er sich schließlich in diesen drei Zuständen seiner Identität als der Herr der Sinne erinnert. 33. Nachdem du also die Wahrheit ergründet und zu der Überzeugung gelangt bist, dass die drei Zustände des Verstandes von den Gunas2 und durch Meine Maya3 in Mir erzeugt werden, und da du nun mit der Hilfe der Empfehlungen der Weisen und der scharfen Worte der Weisheit den Egoismus entwurzelt hast, der die Ursache aller Zweifel ist, meditiere nun über Mich. 34. Man sollte erkennen, dass die gesamte Welt nur die verrückte Täuschung und der Tanz des Verstandes ist und eine nur scheinbare Wirklichkeit besitzt, dass sie verderblich und unzusammenhängend wie der geschwungene Feuerbrand4 ist, dass es nur das Eine 1 2 3 4
„vierter“ Bewusstseinszustand, der über Wachen, Träumen und Tiefschlaf steht die drei Gundqualitäten des Universums der Trägheit, Erregung und Ausgeglichenheit Täuschung, die in der Überlagerung der Wirklichkeit durch etwas Unwirkliches besteht der geschwungene Feuerbrand erzeugt die Illusion eines Lichtkreises
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Bewusstsein ist, welches als das Viele erscheint, und dass die von den Gunas erzeugten, verschwommenen Verschiedenheiten auf dreierlei Art illusionär sind. 35. Nachdem man das Auge von der sichtbaren Welt zurückgezogen und sich vom Verlangen nach etwas abgewandt hat, sollte man ohne Bestrebungen und Pläne still verbleiben und in der Seligkeit der SelbstVerwirklichung ruhen. Sollte dann die Welt gelegentlich als real erneut auftauchen, wird dies keine Täuschung mehr verursachen, denn sobald sie einmal als irreal erkannt wurde, klingt sie als Welt nur noch in der Erinnerung nach. 36. Wer auf diese Weise Weisheit erlangt und seine essenzielle Natur verwirklicht hat, erblickt den vergänglichen Körper nicht mehr, ob er nun bewegungslos oder bewegt ist oder fällt, ob er vom Karma beherrscht wird oder es losgeworden ist – wie eine Person, die trunken vom Alkohol ist, nicht mehr erkennt, ob sie noch Kleidung trägt oder nicht. 37. Der Körper, der unter der Kontrolle der Mächte des Karma steht, dauert so lange an, bis seine Ursache, das Karma, erschöpft ist. Das Individuum, welches in SamadhiYoga versunken ist und das Überbewusstsein erlangt hat, sucht nicht länger Zuflucht in der Welt, die wie ein Traum ist.
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Die Essenz der Jivanmukta Gita Dies ist eine Gita, die die Natur des Jivanmukta 1 erläutert. Ihr Verfasser soll der Weise Dattatreya sein.
2. Derjenige wird Jivanmukta genannt, der mit derselben Sichtweise auf das Eine Unendliche blickt, wie dieses im Jiva2, in Siva und in allen Wesen wohnt. 3. Derjenige wird Jivanmukta genannt, der sieht, wie das Eine Brahman, welches Wohnung in allen Wesen genommen hat, die ganze Welt erleuchtet wie die Sonne. 4. Derjenige wird Jivanmukta genannt, der durch die Erkenntnis des Selbst verwirklicht hat, dass das Eine als das Viele erscheint – wie der Mond, der in verschiedenen Wassergefäßen widergespiegelt wird. 5. Derjenige wird Jivanmukta genannt, der, indem er das Eine Brahman in allen Wesen existierend sieht, nirgendwo Unterschiede wahrnimmt. 10. Derjenige wird Jivanmukta genannt, der alles erfüllt vom Einen Bewusstsein sieht, das der Herrscher aller und allgegenwärtig wie der Raum ist. 11. Derjenige wird Jivanmukta genannt, der, indem er den Jiva als identisch mit Siva (Brahman) und als im Außen existierend erkennt, keinerlei Streit mit welchem Wesen auch immer anfängt. 12. Derjenige wird Jivanmukta genannt, der weiß, dass das Selbst, der Guru und das Universum der fleckenlose Äther des Bewusstseins sind, und das nichts zu irgendeiner Zeit kommt oder geht. 15. Derjenige wird Jivanmukta genannt, der weder Bindung noch Befreiung an sich trägt und dessen Verstand auf immer seine Freude an der Praxis der Meditation hat. 16. Derjenige wird Jivanmukta genannt, der an der Essenz der Seligkeit Brahmans teilhat und auf immer darüber frohlockt, dass er frei von Gewohnheiten, Naturkräften usw. ist. 1 2
des im Leben spirituell Befreiten individuelle Seele
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19. Derjenige wird Jivanmukta genannt, der die Zustände von Wachen, Träumen und Schlafen transzendiert hat und im Ewigen Bewusstsein der SelbstIdentität verankert ist. 20. Derjenige wird Jivanmukta genannt, der erkannt hat, dass sein Sein das Reine Bewusstsein ist, welches sämtliche Wesen wie die auf der Schnur aufgereihten Perlen verbindet, und der sein Sein als das attributlose Brahman sieht. 23. Derjenige wird Jivanmukta genannt, dessen Verstand den höchsten Yoga praktiziert, der im Innern allem entsagt hat, während er im Außen wie leblos erscheint, und der alles Äußere und Innere aufgegeben hat.
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Die Essenz der Kapila Gita Die Kapila Gita ist eine Folge von Unterweisungen der Göttlichen Inkarnation, Kapila, für seine berühmte Brahmavadini1-Mutter, Devahuti. Dieses Gita ist im dritten Skandha des Srimad Bhagavata2 enthalten.
24. Sri Kapila sprach: Wenn der Verstand damit aufhört, aufgrund der Tätigkeit der Sinne Unterschiede zwischen den Objekten im Sinne von wünschenswert und nicht wünschenswert zu machen, wobei die Objekte ihrer Natur nach dieselben bleiben, 25. Dann verwirklicht man das Höchste Selbst mit dem Mittel seines eigenen Selbst als einer, der alles mit gleicher Sichtweise betrachtet, an nichts mehr angehaftet ist und nichts mehr sucht oder meidet. 26. Der Höchste Atman, der höchste Purusha3, der Brahman ist, ist nichts anderes als reines Bewusstsein, das eine, glorreiche Wesen, welches in all den getrennten Objekten als die gesehenen Dinge usw. wahrgenommen wird. 27. Nur darin besteht das erwünschte Ende aller Bestrebungen der Yogis und Yoginis, dass sie sich selbst vollständig von der Anhaftung an die phänomenale Welt befreien und sich anstelle dessen an das Höchste Ziel des spirituellen Strebens anhaften. 28. Es ist nichts als das absolute Bewusstsein als das Nirguna4 Brahman, welches aufgrund der Illusion der pervertierten Sinne als die Dinge, die Klang und andere Eigenschaften besitzen, erscheint. 30. Es ist nur dieses (Brahman), welches der Jiva5 schließlich durch Glauben, Hingabe, beständige Yoga1 2 3 4 5
weiblicher Asket einer der wichtigsten indischen Klassiker, der vom Leben und den Taten Krishnas erzählt Gott-Person eigenschaftslos individuelle Seele
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Praxis, innere Sammlung, Nicht-Anhaftung und Entsagung verwirklicht. 33. So wie die eine Substanz, ausgestattet mit den zahlreichen Qualitäten, durch die Sinne mit ihren verschiedenen Naturen verschieden wahrgenommen wird, so wird auch das eine, glorreiche Wesen auf verschiedene Weise in den verschiedenen spirituellen Pfaden der Schriften beschrieben.
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Die Essenz der Nahusha Gita Bhima, der Bruder von Yudhishthira1, wurde von der Riesenschlange Nahusha in einem Wald gefesselt, und als Yudhishthira nach ihm suchte, forderte Nahusha ihn mit einer Unmasse von Fragen heraus, auf die Yudhishthira Erwiderungen gab. Wiederholt spricht Nahusha zu Yudhishthira auf dessen Fragen hin über den Dharma2. Diese Gita taucht im Mahabharata auf.
I-21 Yudhishthira sprach: In wem Wahrheit, Wohltätigkeit, Vergebung, gutes Benehmen, Mitgefühl, Askese und Nachsicht Wohnung genommen haben, der wird ein Brahmana genannt. I-22 Das, was wert ist, als das Höchste Absolute gekannt zu werden, ist jenseits von Freude und Leid. Weise Menschen, die es erlangt haben, trauern nie wieder. I-25 Ein Sudra3, der nicht die Qualitäten eines Sudra hat, und ein Brahmana, der nicht die Qualitäten eines Brahmana hat, kann nicht ein Brahmana und auch der andere nicht ein Sudra genannt werden. Hinweis: Ein spirituell gesinnter Sudra ist nicht geringer als ein Brahmana, und der lasterhafte Brahmana ist mit einem Sudra gleichzusetzen. I-26 Wo immer der spirituelle Glanz wohnt – dort ist der Brahmana. Wo immer es keinen spirituellen Glanz gibt – dort befindet sich ein Sudra. I-29 Ich bin der Ansicht, dass es keinen Ort gibt, an dem keine Freude und kein Schmerz zu finden sind. I-35 So lange eine Person nicht durch die Veden initiiert worden ist, ist sie wahrlich ein Sudra. Alle diesbezüglichen Zweifel wurden seinerzeit durch Svayambhuva Manu4 beseitigt.
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ein König im indischen Nationalepos Mahabharata Lebenspflichten Bauern, Handwerker und Diener im indischen Kastensystem Sohn von Brahma, dem Weltenschöpfer
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I-37 Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass derjenige, dessen Natur durch die Kenntnis der Veden gereinigt wurde, ein Brahmana ist. II-2 Nahusha sprach: Derjenige geht in die himmlischen Regionen ein, der wohltätig gegenüber den wahrhaft Bedürftigen ist, der eine süß klingende Rede führt, der die Wahrheit spricht und der Gewaltfreiheit verpflichtet ist. II-9 Drei Arten der Geburten werden von den Wesen aufgrund ihres Karmas erworben: Menschliche Geburt, himmlisches Leben und tierische Existenz. II-10 Menschliche Wesen erlangen Svarga (himmlisches Leben), nachdem sie durch Wohltätigkeit, Gewaltfreiheit usw. gereinigt worden sind. II-11 Falls das menschliche Wesen dem Gegenteil dieser tugendhaften Qualitäten folgen sollte, wird es als Tier geboren. II-12 Wer voll von Lust und Zorn ist, wer der Gewalt (Beleidigung) und der Gier hingegeben ist, wird vom menschlichen Status hinabgeschleudert und unter Tieren wiedergeboren. II-25 Der Intellekt ist dem Atman am nächsten und spiegelt dessen intelligente Natur so wieder, wie eine erhitzte Eisenkugel die Eigenschaften des Glühens und Leuchtens des Feuers erwirbt. Der Intellekt hängt vom Atman ab und kann ohne diesen nichts tun. Die Intelligenz des Atmans wird vom Intellekt stets benötigt. II-26 Der Intellekt existiert nur, während er tätig ist, während der Verstand die ganze Zeit über existiert. Der Verstand scheint außerdem im Laufe der Zeit aufgrund der Konditionierung durch die Eigenschaften des Intellekts dieselben Eigenschaften zu besitzen. II-27 Darin bestehen die Qualitäten und Unterschiede zwischen Verstand und Intellekt. Du kennst diese bereits. II-?? Sogar eine sehr intelligente und gewitzte Person wird durch den Wohlstand geblendet. Ich bin der Ansicht, dass alle diejenigen, die in den Freuden des Lebens untergetaucht sind, stets nur Getäuschte sind.
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II-42 Wahrheit, Zurückhaltung, Askese, Wohltätigkeit, Gewaltfreiheit und Verwurzelung in der Tugend sind die Stützen der Menschheit, nicht aber Kaste oder Familie.
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Die Essenz der Narada Gita Dies ist eine Unterhaltung zwischen Lord Sri Krishna und Narada. Sie behandelt die allgemeinen Voraussetzungen eines spirituellen Suchers. Sie hebt die überragende Bedeutung des Guru bzw. des spirituellen Lehrers hervor.
3. Der gesegnete Lord sprach: So lange man den Guru nicht akzeptiert, so lange kann man auch nicht Mukti1 erlangen. Folglich sollte man nach einem Guru suchen, da man andernfalls keine Vollkommenheit erlangen kann. 4. So wie das Haus ohne Beleuchtung darin finster ist, so ist der Schüler ohne den Guru verfinstert. Ohne den geringsten Zweifel daran sollte man Zuflucht zum Guru nehmen, denn mit der Hilfe des Gurus erlangt man die Sehkraft. 5. Ein Mensch ohne Guru ist wie die Nacht ohne Mond, wie der Tag ohne die Sonne, wie eine Armee ohne König oder Befehlshaber. 11. Ein Schiff wird aus Holz gemacht. Ein Guru ist aus Vaishnava-Stoff2 gemacht. Nur er kann zur Befreiung führen. Er ist der liebe Verwandte, der über den Ozean des Samsara führt. 14. Wer die Veden, die heiligen Schriften, die Vaishnavas3 und die Brahmins4 beleidigt, wird sich sechzigtausend Jahre lang als Wurm im Unrat wälzen. 16. Oh Narada! Die Vaishnavas sind mein Körper. Das ist die Wahrheit. Wer sie zurückweist, ist wahrhaftig eine Person aus niedrigem Stand. 22. Wer durch Betrachten eines Ausgestoßenen gesündigt hat, sühnt dies durch Betrachten der Sonne. Aber der Fehler, die Initiation durch den Guru zu versäumen, kann durch nichts anderes beseitigt werden 1 2 3 4
spirituelle Befreiung d. h. hier: aus göttlichem Stoff d. h. hier: die Anhänger Gottes Kenner Brahmans
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als durch das Anhören der Srutis1 aus dem Munde des Guru. 25. Wenn eine Person die Initiation durch den Guru anstrebt und diesen aufsucht, sind ihre Vorfahren sehr erfreut. Nach dieser Initiation werden sie alle die Befreiung erlangen. 27. Tötet eine Person den Elefanten des Verstandes mit dem Speer des Jnana2, dann wird dieser Jnani3 vollständig von allen seinen Sünden befreit. 28. Brahman ist Einer. Die fünffachen Sinne jedoch lassen die Dinge als vielfältig erscheinen. Wer die Sinneswahrnehmung verwirft und Zuflucht zum Einen Brahman nimmt, ist der wahre Sadhu4 in allen drei Welten. 33. Im Kali Yuga5 sind Ganga6, Gita, Vaishnavas, die bräunlich-gelbe Kuh7 und der Name Lord Haris8 das Boot, mit dem man den Ozean des Samsara überquert. 35. Ein solcher Schüler sollte in Ehren gehalten werden, der rein, gutartig und von gutem Benehmen ist, der sich den Wünschen des Gurus gemäß verhält, ein gefestigtes Gemüt hat, voller Liebe für den Guru und frei von Stolz ist. 36. Ein Guru, der die Wahrheit nicht realisiert hat, und ein Schüler, der nicht initiiert und instruiert wurde – diese beiden, oh Narada, wandern in die untersten Höllen.
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heilige Schriften Weisheitserkenntnis Besitzer der Weisheitserkenntnis „heiliger Mann“ „eisernes Zeitalter“, Zeitalter des Materialismus der heilige Fluss Ganges bestimmte Götterbilder in Hindutempeln Name Gottes
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Die Essenz der Pandava Gita Die Pandava Gita stellt eine Sammlung verschiedener Gebete dar, die von verschiedenen Verehrern dem Höchsten Herrn dargeboten wurden. Diese Gita behandelt die höchste Form des Bhakti1 und der Selbsthingabe. Die Strophen sind Bestandteile des Mahabharata2 und der Puranas3.
3. Diese Menschen, die frei von Leidenschaft und angefüllt mit erlesener Weisheit sind und des Göttlichen Guru Narayana in der Meditation gedenken – diese haben wahrlich all ihre Sünden und ihren Verstand verbrannt und trinken niemals wieder die Milch von der Brust ihrer Mütter (d. h., sie werden nicht wiedergeboren). 4. Diese Person namens Narayana ist wahrhaftig der größte Dieb, der jemals hier auf Erden gelebt hat. Auch wenn man nur im Verstand an ihn denkt, stiehlt er restlos alle von den Menschen in vielen Leben angehäufte Sünden. 5. Ich grüße diesen Vishnu, den Herrn aller Welten, den Lotosäugigen, der durch nichts anderes als rechte Taten erlangt werden kann; der mit dem Kaustubha4-Edelstein auf seiner Brust erstrahlt, der gekennzeichnet mit dem Srivatsa5 ist, goldgelbe Seidenkleider trägt und blau ist wie das Firmament. 8. Sogar falls es mein Schicksal sein sollte, gefesselt an die Nase des Todes zur Hölle gehen zu müssen, sogar falls ich als Vogel oder Insekt geboren werden oder als ein Wurm viele Leben lang leben müsste, so lasst mich doch stets Hingabe für den Lord Vishnu haben, der in meinem Herzen wohnt.
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Praxis der liebenden Verehrung Gottes indisches Nationalepos mythische Erzählungen göttlicher Diamant ein anderer Name für Vishnu
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9. Wir werfen uns nieder sogar vor denjenigen, die sich vor Lord Vishnu niederwerfen, dem Yajna-Varaha1, dem Mächtigen und Gewaltigen. 12. Oh Herr! Auch wenn ich in den Körpern von Insekten, Vögeln, wilden Tieren, Reptilien, Feen, Teufeln, Menschen oder irgendwo sonst wiedergeboren werden sollte – bitte segne mich mit fester Hingabe an Dich allein und kein anderes Wesen. 17. Die getäuschte Person, die Vasudeva2 verlässt, beginnt fremde Götter zu verehren. Sie sucht nach einer Quelle auf einer Sandbank des Ganges, um ihren brennenden Durst zu stillen. 20. Ich bin der Sklave des Sklaven des Sklaven des Sklaven des Sklaven von Lord Narayana. Der König regiert die Welt und alle Menschen darin, aber ich bin verschieden von all diesen Männern der Welt. 21. Lasst mich in allen noch kommenden Geburten den Diener des Dieners derjenigen sein, die durch ihre immense Hingabe an Vasudeva ein stilles Gemüt erlangt haben und in Ihm absorbiert sind. 23. Wer auch immer vom Lord, der den Diskus in der Hand hält, dem Herrn der drei Welten, getötet wurde, geht in die Heimstatt Vishnus ein. Sogar der Zorn des Lords ist seinem Segen gleichzusetzen! 28. Oh Lord der Lords! Du allein bist meine Mutter. Du allein bist mein Vater. Du allein bist mein Verwandter. Du allein bist mein Freund. Du allein bist mein Wissen (meine Erziehung). Du allein bist mein Wohlstand. Du allein bist mein Alles. 36. Der Lord sprach: Wer auch immer unaufhörlich meiner gedenkt und ausruft: „Krishna, Krishna, Krishna!“, den erhebe Ich über alle Leiden und Höllen hinaus, so wie der Lotos über das Wasser erhoben wird. 39. Eine Person, die in der Hölle briet, wurde von Yama3 gefragt: „Weshalb verehrst du nicht den Göttlichen Herrn Vishnu, der alle Leiden beseitigt?“ 1 2 3
eine göttliche Gestalt Vishnus Vater Krishnas Gott des Todes
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40. Nachdem er sich durch Tapas4, Meditation und Samadhi in Tausenden von Geburten gereinigt hat, wendet sich der Mensch – gereinigt von allen Sünden – der Hingabe an Lord Krishna zu. 42. So wie die Weltmenschen die intensive Liebe zu den Sinnesobjekten nie verlässt, so soll diese Liebe niemals mein Herz, oh Herr, das in Dir zentriert ist, verlassen. 52. Oh Krishna! Lass den Rajahamsa (den majestätischen Schwan) meines Verstandes nun in die Kammer Deiner Lotosfüße eintreten. Wie kann es das Gedenken Deiner Gegenwart geben, wenn die Kehle beim Schwinden des Lebens durch Schleim, Keuchen und Gallenflüssigkeit verstopft ist? 54. Auf wessen Zungen der gesegnete Name Krishnas wohnt, dessen Abermillionen Sünden werden im Laufe eines Augenblickes zu Asche verbrannt. 60. Ich werfe mich nieder vor den Lotosfüßen Narayanas. Ich führe auf immer die Verehrung Narayanas aus. Ich spreche den göttlichen Namen Narayanas aus. Ich meditiere über die Unsterbliche Wahrheit des Narayana. 62. Es gibt dieses vorzügliche Mantra „Narayana“, diese Formel, die für alle der Bringer von allem ist, und doch ist es immer wieder überraschend, wie die Menschen in die tiefsten Höllen stürzen. 63. Worin bestünde der Nutzen vieler Mantras für denjenigen, der Hingabe an Vishnu besitzt? „Om Namo Narayana“ – dieses eine Mantra genügt, damit einer alles erlangt. 65. Sogar Sünder, die den Namen Haris anrufen, werden von Hari befreit. Sogar bei nur zufälliger Berührung verbrennt das Feuer den, der es berührt. 66. Wer einst die zwei Silben „Hari“ ausgesprochen hat – dieser hat wahrlich seine Lenden gegürtet, um sich in die Richtung seiner Emanzipation aufzumachen. 70. Da ist Zerstörung, da ist großes Übel, da sind Blindheit, Trägheit und Idiotie im selben Moment, in dem Vasudevas nicht gedacht wird. 73. Nachdem ich in sämtliche Schriften eingedrungen bin und sie wieder und wieder studiert und in mir gewälzt 4
Askese, Selbstbeherrschung, Sammlung
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habe, bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass über Narayana alle Zeit meditiert werden sollte. 74. Der Körper mit seinen neun Toren ist voller Übel. Das Wasser des Ganges ist die Medizin. Der Lord Narayana, Hari, ist der Arzt. 75. Die Verehrer machen sich unnötigerweise Sorgen über Nahrung und Kleidung usw. Würde denn dieser das ganze Universum tragende Gott wahrhaftig seine Verehrer vergessen? 80. So wie alle Wasser, die vom Himmel fallen, in den einen Ozean fließen, so gehen alle Niederwerfungen vor den Göttern zu dem einen Lord Vishnu.
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Die Essenz der Rishabha Gita Der Weise Rishabha gibt hier seinen Kindern Unterweisungen. Diese Gita erscheint im fünften Skandha des Srimad Bhagavata1.
1. Rishabha sprach: Dieser Körper ist nicht dafür gedacht, ihn den elenden Vergnügen zu opfern, derer sich sogar die wilden Tiere und die Vögel erfreuen. Die göttliche Pflicht des Tapas2, oh Söhne, kommt dem Menschen zu. Durch diese wird der Verstand zu reinem Sattva3, und aus diesem wiederum erwächst die unendliche Seligkeit der BrahmanVerwirklichung. 2. Die Weisen sagen, dass der Dienst an den Heiligen der Weg der Erlösung sei, und dass die Gemeinschaft mit denen, die den Frauen anhängen, der Weg in die Finsternis sei. Die sind wahrhaftig groß, die den Gleichmut des Herzens besitzen, die friedvoll, frei vom Zorn, freundlich gegenüber allen und gutartig sind. 3. Diejenigen, die als ihr einziges Ziel Liebe für Mich, den Herrn, empfinden, besitzen keine Liebe für Leute, die an die Objekte zur Ernährung des Körpers hingegeben sind, und auch keine für das häusliche Leben, welches aus Ehe, Kindern, Freunden und Besitz besteht. Sie sind zufrieden mit dem, was gerade so für ihre nackte Existenz ausreicht. 4. Ganz gewiss begeht diejenige Person sorglos Sünden, die mit der Belohnung ihrer Sinne beschäftigt ist. Ich denke nicht, dass es richtig ist, wieder und wieder das zu tun, was schon in früheren Geburten Anlass zum Entstehen dieses elenden Körpers, der unwirklich ist, gewesen war. 5. Dieser Verlust des Selbst-Gewahrseins, der der Unwissenheit geschuldet ist, dauert so lange an, wie man 1 2 3
einer der wichtigsten indischen Klassiker, der vom Leben und den Taten Krishnas erzählt Askese, Selbstbeherrschung, Sammlung Harmonie
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die Wahrheit des Selbst nicht ergründet. Der Verstand dauert so lange an, wie es noch Handlungen gibt. Die Bindung dieses dem Tode geweihten Körpers wird durch Handlungen (Karma) verursacht. 16. Die Welt ist von Natur aus blind für das, was wahrhaft gut ist; sie ist angefüllt mit Wünschen und arbeitet ausschließlich nur für das Erlangen weltlicher Objekte. Die unwissenden Menschen, die einander schon für unbedeutende Vergnügen hassen, erkennen diese Quelle endloser Sorgen nicht. 18. Der ist kein Guru, der ist kein Verwandter, der ist kein Vater, die ist keine Mutter, das ist keine Gottheit, der ist kein Gott, der dem Jiva1 nicht den Weg zur Erlösung zeigt. 25. Da ist nichts, was nicht Ich bin, der Ich das Unendliche und höher als das Höchste bin – der Herr des Himmels und der Befreiung. Was haben diejenigen, die Mir hingegeben sind, von anderen zu erwarten, und was hätten sie folglich noch zu bekommen? 26. Oh Söhne! Sämtliche beweglichen und unbeweglichen Wesen sollten von euch immer mit Respekt und gleicher Sichtweise behandelt werden, denn sie sind Meine Heimstatt – darin besteht die wahre Verehrung Meiner. 27. Die wahre Verehrung besteht darin, alles Mir, dem Herrn, zu übergeben, was auch immer vom Verstand, der Rede, dem Auge oder den Sinnen getan wird. Der Mensch, der dies versäumt, kann nicht auf Befreiung vom Schlingenwerk der Zeit hoffen, die die Quelle der schrecklichen Täuschung ist.
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individuelle Seele
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Die Shaunaka Gita Der Weise Shaunaka unterrichtet Yudhishthira, den König, über die Geheimnisse des Lebens der Wesen des Universums. Die Gita besitzt einen herausragenden psychologischen Wert, löst viele spirituelle Probleme und führt sämtliche Übel auf Leidenschaft, Anhänglichkeit, Gier oder Verlangen zurück. Diese Gita taucht im Aranya-Parva des Mahabharata1 auf.
1. Shaunaka sprach: Für den Dummkopf gibt es täglich Tausende von Quellen des Kummers und Hunderte Ursachen der Furcht. All dieses existiert für den Weisen nicht. 2. Weise Menschen verbinden sich nicht mit Tätigkeiten, die das Gute zerstören, die voller Makel sind und sich im Gegensatz zum Guten befinden. 3. Oh König! Du besitzt diese achtfache Weisheit (das Wissen um die achtfachen Glieder des Yoga), die alle Übel, die die Schranken vor der Erlösung darstellen, zerstört; die von der Sruti2 und Smriti3 unterstützt wird. 4. Weise Menschen wie du geraten nicht in Trauer wegen mentaler und physischer Probleme, wegen fehlendem Wohlstand, wegen des Leidens an der eigenen Verwandtschaft, oder wenn sie in großen Schwierigkeiten feststecken. 5. Höre nun – ich werde dir jetzt davon erzählen –, wie der großherzige Janaka in den alten Zeiten diese Verse sang, die den Verstand zum Selbst hinwenden. 6. Die ganze Welt wird von den Leiden niedergezogen, die durch den Verstand und den Körper erzeugt werden. Höre dir nun im Einzelnen und im Allgemeinen an, wie diese Leiden befriedet werden können.
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indisches Nationalepos „gehörte“ heilige Wahrheit „erinnerte“ heilige Wahrheit
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7. Physische Leiden treten aufgrund von vier Gründen auf: Krankheit, Kontakt mit nicht wünschenswerten Objekten, Verblendung und Verlust lieber Besitztümer. 8. Physische und mentale Krankheiten werden geheilt, indem man diesen vier Quellen der Leiden ausweicht und ebenfalls nicht über ihnen brütet. Darin bestehen die zwei Arten des Umgangs damit, mit denen man sich selbst vom Leiden befreien kann. 9. Kluge Ärzte kurieren zuerst die mentalen Leiden, und zwar durch angenehme Rede, durch Anekdoten aus ihrer Praxis, durch Anbieten der Objekte, die sich der Verstand wünscht, und durch physische Vergnügen. 10. Der Körper leidet aufgrund der Sorgen des Verstandes, so wie in einem Topf aufbewahrtes Wasser im Kontakt mit einer erhitzten Eisenkugel zu kochen beginnt. 11. Die mentalen Krankheiten sollten durch Erkenntnis kuriert werden, so wie ein Feuer gelöscht wird, in welches man Wasser gießt. Sobald der Verstand ruhig geworden ist, wird auch der Körper wieder gesund. 12. Die Ursachen mentaler Krankheit sind Liebe und Anhänglichkeit1. Liebe und Anhänglichkeit lassen das Individuum anhaften, woraufhin es schon bald großen Sorgen begegnen wird. 13. Alle Sorgen haben Anhänglichkeit an etwas als ihre Wurzel. Auch alle Furcht wird aus der Anhänglichkeit geboren. Trauer, Heiterkeit, Ermüdung und alle Arten von Schmerzen entstehen aus der Anhänglichkeit. 14. Aus der Anhänglichkeit entsteht die inniglich empfundene Einbildungskraft, und aufgrund der Anhänglichkeit entwickelt sich dann wiederum tiefe Anhaftung an die Objekte der Welt. Beide stellen sich letztlich gegen das, was für den Menschen das Beste wäre. Der eigentliche Guru sämtlicher Probleme ist diese Anhänglichkeit. 15. So wie sogar ein winziges Feuer in der Höhlung eines Baumes zum Schluss den ganzen Baum verbrennt, so verbrennt auch nur ein wenig Anhänglichkeit für die Sinnesobjekte schließlich alle Tugenden und alles Gedeihen. 1
für die Welt
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16. Wem die Sinnesobjekte nur entzogen worden sind, kann nicht als ein Mensch der Entsagung bezeichnet werden. Derjenige jedoch, der im Kontakt mit den Sinnesobjekten deren Makel erkennt und daraufhin echte Leidenschaftslosigkeit ihnen gegenüber entwickelt, ist der Mensch der wahren Entsagung. Er hasst nichts und er giert nach nichts. 17. Folglich sollte man für gar nichts eine Anhänglichkeit entwickeln – nicht einmal für Freunde und nicht für Reichtümer. Die im Innern bereits wohnende Anhänglichkeit sollte durch Erkenntnis beseitigt werden. 18. Die Anhänglichkeit entsteht nicht in denjenigen, die voller Weisheit und selbstbeherrscht sind, die die Kenntnis der heiligen Schriften besitzen, und die alle ihre Pflichten erfüllt haben – so wie Wasser von einem Lotosblatt abperlt. 19. Die Person voller Anhaftung wird nur von der Leidenschaft angetrieben. Sie entwickelt Wünsche, und daraufhin entsteht der Boden für das festverwurzelte Verlangen in ihr. Hinweis: Raga bedeutet das Anklammern an die Liebe. Kama ist der Wunsch nach Besitz, Ichha ist ein Wunsch nach dem Besitz des Objekts nach dem erfolgten Vergnügen, und Trishna ist Übersättigung nach wiederholten Vergnügen. 20. Das sündigste aller Dinge ist die Gier, das Verlangen. Das Verlangen verursacht ewiges Leiden. Das Verlangen ist die Gebärmutter des Lasters und der Motor der Sünde. 21. Das Verlangen ist für die Toren nur schwer zu überwinden – es altert nicht einmal dann, wenn die Person altert. Es ist die große Krankheit, die bis zum Ende des Lebens fortexistiert. Nur durch Entsagung des Verlangens kann einer hoffen, einst das Glück zu erlangen. 22. Das Verlangen kennt weder Anfang noch Ende. Verwurzelt ist es in geheimen Winkeln im Herzen aller Menschen. Es zerstört alle Wesen so schnell wie ein rasendes Feuer. 23. So wie das Holz sich selbst durch das in ihm entstehende Feuer verbrennt, so verdirbt der Dummkopf durch seine eigene Gier.
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24. So wie alle lebenden Wesen in sich die Drohung des Todes tragen, so sind die Reichen vom König, von Überschwemmungen, vom Feuer, von Dieben und sogar von ihren eigenen Verwandten bedroht. 25. So wie Vögel Fleisch in der Luft, Wölfe Fleisch auf der Erde und Fische Fleisch im Wasser verzehren, so wird der reiche Mann überall verzehrt. 26. Nur der Wohlstand ist die einzige Ursache allen menschlichen Elends. Sogar wenn Reichtum für gute Zwecke verwendet wird, bringt er den Menschen kein dauerndes Glück. 27. Folglich dient sämtliches Streben nach Reichtum nur der zunehmenden Verwirrung des Verstandes, der Anstachelung des Geizes, dem Stolz, dem Hochmut, der Furcht und dem Zorn. 28. Weise Menschen wissen, dass der Kummer aller menschlichen Wesen dem Streben nach Reichtum, seiner Bewahrung und seiner Vergrößerung zu verdanken ist. 29. Für das Ziel der Reichtumerwerbs erleiden die Menschen große Qualen und begehen Morde. Ist der Reichtum dann gegangen, leiden sie wieder neue Schmerzen, weil sie ihr Gedeihen dem Feind Wohlstand anvertraut haben. 30. Reichtum wird nur unter vielen Qualen erworben. Sein Verschwinden ist für den Menschen daher so entsetzlich, dass er nicht einmal daran zu denken wagt. Narren wie diese sind niemals glücklich. Nur weise Menschen erwerben echtes Glück. 31. Ein Ende der Gier gibt es nicht. Zufriedenheit ist folglich der bester Weg zum Glücklichsein. Nur die Zufriedenheit wird daher von den Weisen als das erlesene Ziel erachtet. 32. Vergänglich sind Jugend, Schönheit, Leben, Besitz und Reichtümer, Herrschaft und das Zusammensein mit den Lieben. Ein weiser Mensch sollte niemals nach solchen Dingen trachten. 33. Sämtlichen Besitztümern sollte folglich entsagt werden. Alle Schmerzen, wie diese wiederum aus der Entsagung entstehen, sollten tapfer ertragen werden. Gibt es denn irgend jemanden, der reich ist und gleichzeitig frei
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von Sorgen? Daher preisen alle rechtschaffenen Menschen die Aufgabe der Habsucht und die Entsagung. 34. Auch wenn jemand Reichtum nur für den Zweck rechtschaffener Taten aufzuhäufen wünscht, wäre es immer noch besser für ihn, mehr Leidenschaftslosigkeit zu entwickeln. Anstatt die Hände nach der Berührung von Unrat zu waschen, ist es besser, ihn gar nicht erst zu berühren. 35. Oh Yudhishthira! Entwickle daher keine Wünsche nach irgend etwas. Wenn du ein rechtschaffenes Leben zu führen wünscht, dann entsage aller Liebe zum Wohlstand.
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Die Essenz der Sruti Gita Die Sruti Gita ist Teil des zehnten Skandha des Srimad Bhagavata1. Es handelt sich bei ihr um ein Gebet der Srutis2 an den Lord Narayana in Seiner Heimstatt des Sveta Divipa. Das Gebet beinhaltet die sublime Philosophie des Vedanta und legt dessen Prinzipien im Geist der Veden und Upanishaden dar.
25. Die Srutis sprachen: Diejenigen, die meinen, dass das Sein aus dem NichtSein geboren sei oder der Atman stürbe oder es viele und verschiedene Wesen gäbe oder Rituale substanzielle Früchte tragen würden, lehren andere nur ihre eigenen Missverständnisse. Die Idee der Verschiedenheit, nämlich dass der Purusha3 aus den drei Gunas4 bestünde, geht auf die Unwissenheit bezüglich von Dir (des Höchsten Herrn) zurück. Eine solche Verschiedenheit ist weder in Dir noch existiert diese Unwissenheit in Dir, der Du Absolutes Bewusstsein bist. 26. Der Verstand, der die drei Gunas erzeugt, die als wirklich erscheinen und doch unwirklich sind, wird Dir überlagert. Diejenigen jedoch, die den Atman kennen, betrachten all dies als Sat bzw. wirkliches Sein, als den Atman Selbst, denn diejenigen, die auf der Suche nach Gold sind, lehnen seine Modifikationen in der Gestalt von Schmuckstücken nicht ab, da auch diese Gold sind. Dieses gesamte Universum ist der Atman, da Er es gemacht hat und in ihm ist. 27. Nur diejenigen, die Dich hingabevoll als die einzige Quelle aller Wesen verehren, überwinden den Tod und stellen ihre Füße auf den Kopf des Todes. Diejenigen jedoch, die sich von Dir abwenden – auch wenn sie Gelehrte sein mögen –, hältst Du im Samsara gefangen, 1 2 3 4
einer der wichtigsten indischen Klassiker, der vom Leben und den Taten Krishnas erzählt heilige Schriften Gott-Person die drei Grundqualitäten des Universums: Erregung, Trägheit, Gleichgewicht
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wie man Vieh durch Kommandos festhält. Nur diejenigen, die Dir hingegeben sind, schwelgen schließlich in Reinheit, aber nicht diejenigen, die ihre Gesichter von Dir abgewendet haben. 31. Weder Prakriti1 noch Purusha oder beide zusammen können die Ursache des Jiva2 sein. Die Jivas treten wie Blasen auf dem Wasser ins Dasein, sie verschwinden mit all ihren Namen und verschiedenen Eigenschaften schließlich wieder in Dir – wie die Flüsse im Ozean verschwinden und alle Geschmacksrichtungen zu Honig werden. 33. Diejenigen, die das unregierbare Pferd des äußerst schwankenden Verstandes nur durch Fesselung der Sinne und des Atems zu beherrschen trachten, ohne dabei nach der Hilfe der Füße eines Gurus zu suchen, mühen sich nur vergeblich und auf schmerzhafte Weise ab und fahren fort, in endlosen Qualen zu leben. Sie sind wie Händler, die sich nicht um einen Navigator für ihre Schiffe auf hoher See bemüht haben. 36. Das Argument mancher, dass dieses Universum real sei und sich aus dem Realen heraus entwickelt habe, ist irreführend und widerspricht der logischen und genauen Prüfung der Fakten. Manchmal wird dieses Argument übertrieben, dann wieder ist es gänzlich falsch. Das Universum kann nicht gleichzeitig real und falsch sein. Für den Zweck des weltlichen Lebens wird es zugestandermaßen als eine Illusion bezeichnet. Diese törichten Menschen, die die Wahrheit nicht erkennen, führen Reden und verwenden die Sprache einer endlosen, blinden Tradition, die angefüllt ist mit Missverständnissen, von denen sie fortgesetzt irregeführt werden. 37. Dieses Universum hat weder am Anfang existiert noch hat es ein zukünftiges Dasein. Es ist nur dieses unwirkliche Universum in der Mitte, welches Dir überlagert wird, der Du die Eine Essenz bist. Daher wird es in den verschiedenen Gestaltungen der Materie, d. h., Gold, Natur usw., gesehen und als Überlagerung bezeichnet. Diese substanzlose Fantasie namens Universum erachten die Unwissenden als wirklich.
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(physische) Natur des Universums individuelle Seele
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41. Sogar die über die Himmel herrschenden Götter vermögen Deine Grenzen nicht zu erkennen, da Du grenzenlos bist. Du Selbst wirst niemals begrenzt, in Dir wohnen die unendlich vielen Eier der Universen (der Kosmen) zusammen mit all ihren verschiedenen Hüllen; sie bewegen sich darin wie Staubteilchen in der Luft, getrieben vom Rad der Zeit. Die Veden sprechen zum Zwecke Deiner Glorie von Dir nur in der Form der Negation von allem anderen (denn sie können nicht beschreiben, was Du wahrhaftig bist).
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Die Essenz der Venu Gita Die Venu Gita ist ein Teil des zehnten Skandha der Srimad Bhagavata1. Als Sri Krishna im Wald war und die Kühe hütete, begannen die Gopis2 Seine Glorie in sehr gefühlvollen Worten zu beschreiben. Diese Gita enthält eine Beschreibung der wunderbaren Wirkungen, die die Stimme der göttlichen Flöte auf diejenigen hatte, die sie hörten. Alle scharten sich um Sri Krishna und verharrten in einem Zustand der Sammlung und Konzentration.
2-3 Die Gopis sprachen: Oh Gopis, als Mukunda Seine Wange Seinen linken Arm näherte und mit tanzenden Brauen Seine sanften Finger an die Löcher der Flöte legte, diese an Seine Lippen setzte und sie mit Seiner Stimme erfüllte, da fuhren himmlische Frauen zusammen mit ihren Gemahlen auf Luftkutschen im Himmel herbei, hörten diese Musik in Verzückung an und erröteten, da sie ihre Herzen von den Pfeilen Amors getroffen sahen. Sie standen verwirrt und ahnungslos darüber, dass sich ihre Lendenkleider gelöst hatten. 4-5 Oh welche Freude! Welches Wunder! Frauen, hört dies an! Wenn mit einem Lächeln wie Perlenkränze und Blitzesstrahlen, wie diese unentwegt aus seiner Brust hervorgehen, dieser Sohn des Nanda süß die Flöte erklingen lässt und die Bekümmerten entzückt, dann versammeln sich in Haufen, sogar von weit her, die Stiere aus Vraja, die Hirsche und die Kühe und lassen ihre Herzen von der Musik der Flöte betören. Sie stehen da, noch mit halbgekautem Gras zwischen ihren Zähnen, und lauschen mit aufgestellten Ohren wie im Tiefschlaf oder wie gemalte Tiere. 10-11 Wenn Er mit dem reizenden Tilaka3 auf Seiner Stirn die köstliche und helle Musik der Bienen, die trunken
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einer der wichtigsten indischen Klassiker, der vom Leben und den Taten Krishnas erzählt Hirtenmädchen Segenszeichen der Hindus
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vom Tulasi1-Honig des göttlichen Duftes der Vanamala2 sind, beantwortet und auf Seiner Flöte spielt, dann werden die Herzen von Sarasa, Hamsa und den Vögeln des Sees zu dieser bezaubernden Musik hingezogen. Mit vollkommen beherrschtem Verstand – was für ein Wunder! - suchen sie Hari auf, schließen ihre Augen und kontemplieren Ihn in perfekter Stille. 14-15 Oh Yashoda3, als dein Sohn, der Wissende in all den verschiedenen Spielen der Gopas, die Flöte an Seine herrlichen Lippen setzte und Seine reichen, vollkommenen und nur ihm eigenen Töne erklingen ließ, da suchten Ihn die mächtigen und weisen Götter Indra, Siva und Brahma und viele andere auf und lauschten dieser Musik mit in Verehrung versunkenem Kopf und Herzen, wie diese so herrlich und vielfältig anzuhören war, und sie standen verwirrt, wie sie deren wahre Natur erkannten und aufnahmen. 18-19 Als Er, geschmückt mit Perlenketten und Girlanden von Tulasi mit auserlesenem Duft, an manchen Orten Seinen Arm auf die Schulter Seines geliebten Dieners sinken und die Vendu4 singen ließ, während er die unter seiner Aufsicht befindlichen Kühe zählte, folgten die weiblichen Gefährten der Hirsche mit von den Klängen der Krishna-Flöte verzauberten Herzen dem Herrn der Unendlichen Erlesenheit und sind immer noch, ihre Heimkehr vergessend, bei Ihm wie die Gopis, die aller Anhänglichkeit an ihre Heime entsagt hatten. 26. Sri Suka sprach: Auf diese Weise sangen die so sehr gesegneten Frauen von Vraja, oh König, von den spielerischen Aktivitäten Krisnas und verbrachten verzaubert den Tag mit einem Herzen und Verstand, die Ihm hingegeben waren.
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ein Duftholz wörtl.: Girlande aus Waldblumen Mutter Krishnas Bambusflöte
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Die Essenz der Vyadha Gita Die Vyadha Gita ist eine Predigt eines rechtschaffenen Jägers, der seinen Eltern mit großer Hingabe diente und dabei seine Pflichten erfüllte, die im Töten der Tiere und dem Servieren ihres Fleisches bestanden. Der Weise Kaushika wird darüber belehrt, wie eine Person Seligkeit dadurch erlangt, indem sie ihrem eigenen Dharma1 folgt. Die Gita behandelt die allgemeinen Grundsätze zur Selbstreinigung und spirituellen Erhebung. Diese Gita taucht im Mahabharata2 auf.
1. Dharma-Vyadha sprach: Zuerst entsteht die mentale (psychotische) Tätigkeit zum Zweck der objektiven Wahrnehmung. Daraufhin entstehen Lust und Zorn in den Wesen. 2. Zur Erfüllung des Endzwecks schließlich beginnt das Individuum mühselige Tätigkeiten auszuüben. Dann beginnt es sich der Sinnesobjekte, der schön anzusehenden und angenehm duftenden Dinge usw. zu erfreuen. 3. Die Folge davon ist Anhaftung und endlich Hass. Diesen beiden folgen dann Gier und Verblendung. 4. Wer von Gier erfüllt ist und von Liebe und Hass gehetzt wird, kann seinen Verstand nicht in Richtung des Dharma lenken. Oder er entspricht dem Dharma mit Hochmut (als ein Heuchler). 5. Auf diese Weise hängt er dem Dharma mit betrügerischer (unechter) Gesinnung an. Mit dieser falschen Gesinnung verlangt es ihn dann nach Reichtum. Ist dann eine Masse von Reichtum durch Unehrlichkeit angehäuft, will der Verstand nur noch daran seine Freude haben und beginnt damit, Sünden zu begehen, auch wenn ihn Freunde und weise Menschen davon abzuhalten versuchen.
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Lebenspflichten indisches Nationalepos
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6. Er führt die Srutis1 nur dem Worte nach im Munde und führt eine Lebensweise, die dem Gesetz der Srutis entgegengesetzt ist. Er ist versunken in den dreifachen Lastern, geboren aus dem Übel der Anhaftung. 7. Er denkt an sündige Dinge, spricht von sündigen Dingen und begeht sündige Handlungen. In einem solchen, der unrechtschaffenen Handlungen hingegeben ist, ersterben sämtliche edlen Tugenden. 8. Solche sündigen Menschen befreunden sich mit denen, die ähnliche Eigenschaften sündiger Natur besitzen.Dadurch erleiden sie alle zusammen großen Kummer und begegnen sogar noch in der jenseitigen Welt dem Gram. 9. Das ist die Beschreibung der sündigen Person. Nun höre von der Befolgung des Dharma. Der Rechtschaffene sieht mit der Hilfe seiner Klugheit alle Laster und Übel voraus. 10. Der Rechtschaffene ist im Glück und Unglück immer gut aufgehoben. Er dient den Heiligen. Aufgrund der Gemeinschaft mit Heiligen entwickelt er einen Verstand, der sich im Dharma verankert. 12. Dieses Universum, diese ganze Welt ist das ewige Brahman – schwer zu erlangen –, welches als all die mächtigen Elemente erscheint. Das Universum ist nichts anderes als Das. 15. Die Eigenschaften von Tamas erzeugen Verblendung. Rajas ruft Erregung hervor. Sattva ist die vorzuziehende Eigenschaft, weil sie von der Natur des Lichts und Reinheit ist. 16. Wer von der Avidya2 erfüllt ist, ist ein Idiot – schläfrig und fühllos. Seine Sinne sind unbeherrscht, er ist irregeführt, verärgert, lethargisch und faul. 17. Redegewandt, raffiniert bei der Ausübung der Arbeit, angesehen, missgünstig, voller Wünsche, stolz und egoistisch ist die Person mit den Eigenschaften von Rajas. 18. Licht, intelligent, mutig, wunschlos, neidlos, frei vom Zorn, äußerst weise und selbstbeherrscht ist die Person mit den Eigenschaften von Sattva. 1 2
heilige Schriften Unwissenheit bezüglich seines eigenen Selbst
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Die Essenz der Yudhishthira Gita Die Yudhishthira Gita ist eine Unterhaltung zwischen Yudhishthira1 und einem Yakhsa2, der auf einem Baum sitzt und alle Söhne Yudhishthiras ihres Verstandes beraubte. Diese Gita erscheint im Mahabharata. Der Yaksha stellt viele schwierige Fragen, die Yudhishthira wiederum prompt beantwortet. Danach erlangen alle seine Brüder ihre Verstandeskraft zurück. Diese Gita behandelt die elementare Ethik als das feste Bett der Tugenden und des göttlichen Lebens. III-48 Yudhishthira sprach: Durch das Studium der Srutis3 wird man ein Srotriya4.Durch Tapas5 erlangt man das Höchste. Durch Zurückhaltung wird man zum Zweitlosen. Man wird weise, indem man den Älteren dient. III-50 In Svadhyaya (Studium der Veden) besteht die Gottgleichheit der Brahmanas. Buße ist ihre göttliche Tugend. Tod ist die Natur des menschlichen Wesens. Die Beleidigung der Veden und Brahmanas ist die Natur der ruchlosen Leute. III-70 Geschick und Vollkommenheit sind die einzige Ursache des Dharma. Wohltätigkeit ist die einzige Ursache des Ruhmes. Wahrheit ist die einzige Ursache des Himmels. Gutes Betragen ist die einzige Ursache des Glücks. III-72 Der Sohn ist das Selbst des Mannes. Die Frau ist die von Gott an seine Seite gegebene Freundin. Sein Leben bestimmt der Regen. Wohltätigkeit ist seine Zuflucht. III-74 Das Beste für erfolgreiche Menschen sind Vollkommenheit und Geschick. Der größte Reichtum besteht in der Kenntnis der Veden. Der beste Gewinn ist gute Gesundheit. Das größte Glück ist die Zufriedenheit. 1 2 3 4 5
im Mahabharata, dem indischen Nationalepos, der älteste Sohn von König Pandu und Königin Kunti Naturgeist heilige Schriften Brahmane, der die Schriften praktiziert und lebt und nicht nur theoretisch kennt Askese, Selbstbeherrschung, Sammlung
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III-76 Mitgefühl ist die beste Tugend. Die Praxis der drei Veden erbringt stets die gewünschte Frucht. Durch Beherrschung des Verstandes werden die Menschen frei vom Kummer. Gute Menschen werden nicht untreu. III-78 Durch Tilgung des Stolzes wird man glücklich. Durch Aufgabe des Zornes überwindet man die Sorgen. Durch Überwinden der Leidenschaft gedeiht man. Durch Entsagen der Gier wird man fröhlich. III-80 Zum Zweck des Erwerbs von Tugend ist man wohltätig gegenüber den Brahmanen, für den Zweck des Ruhmes gibt man den Tänzern und Schauspielern, für den Zweck der Ernährung gibt man den Dienern und den Königen gibt man zur Abwendung von der Furcht vor ihnen. III-82 Die Welt ist eingehüllt in Finsternis. Es gibt kein Licht, wo es nur Dunkelheit gibt. Aus Gier werden die Freunde verlassen. Durch schlechte Gesellschaft verliert man den Himmel. III-84 Eine in Armut gestürzte Person ist tot. Ein Land ohne König ist tot. Ohne das vedische System praktizierte Riten sind tot. Opfer ohne Gaben an Dakshina1 sind tot. III-88 Die Erfüllung der eigenen Pflichten ist Tapas. Die Beherrschung des Verstandes ist Zurückhaltung. Tapferkeit ist Ertragen der Gegensatzpaare. Scheu ist Abstand halten von bösen Taten. III-90 Erkenntnis der Wirklichkeit ist Weisheit. Ruhigsein bedeutet das friedvolle Dasein des Gemüts. Mitgefühl ist der Wunsch, dass alle glücklich sein mögen. Geradlinigkeit ist Stetigkeit des Verstandes. III-92 Zorn ist der am schwierigsten zu besiegende Feind. Gier ist wie eine endlose Krankheit. Ein Heiliger ist der Freund aller Wesen. Ein gnadenloser Mann ist ein Schuft. III-94 Die Unwissenheit über den Dharma Verblendung. Stolz ist Selbstbetrug. Lethargie Verweigern des Dharma. Gram ist Ahnungslosigkeit.
ist ist
III-96 Stetigkeit ist verwurzelt sein im eigenen Dharma. Mut ist Zurückhaltung der Sinne. Baden ist das Reinigen 1
im antiken vedischen System das nach Opferfeiern gezahlte Honorar der Priester
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des Schmutzes des Verstandes. Wohltätigkeit ist der Schutz aller Wesen. III-98 Der Kenner des Dharma ist ein weiser Mensch. Ein Atheist ist ein Idiot. Wunsch ist die Ursache des Samsara. Neid ist das Brennen des Herzens. III-100 Egoismus ist große Unwissenheit. Stolz ist Befolgung des Dharma zum Zwecke der Bewunderung durch andere. Gott ist die Frucht der Wohltätigkeit. Das Beleidigen anderer ist niedrige Gesinnung. III-104 Wer einen armen Brahmana, der Bhikshu1 benötigt, zum Essen einlädt und dann fortschickt und zu ihm sagt: „Es gibt hier kein Bhikhsa, geh weg“, wandert in die ewigen Höllen. III-106 Auch wenn einer mit Reichtümern aller Art, erworben durch Gier und Vergnügen, gesegnet sein mag – wenn er die Wohltätigkeit verwirft und sagt: „Hier gibt es nichts“, dann wandert er in die ewigen Höllen. III-116 Täglich sterben die Wesen und gehen ein in die Heimstatt Yamas2. Und doch denken alle anderen, sie seien unsterblich. Gibt es etwas Wunderbareres als das? III-117 Logik ist irreführend. Die Srutis widersprechen einander. Es gibt keinen Weisen, dessen Meinung nicht von derjenigen anderer Weiser abweicht, und der als Autorität anerkannt werden könnte. Das Geheimnis des Dharma ist verborgen in der Herzenshöhle. Dies ist daher der Pfad zu Ihm, den die Großen gewandert sind. III-121 Diese Person besitzt sämtliche Reichtümer, die dieselbe im Glück und Unglück, in Freud und Leid, in der Vergangenheit und Zukunft bleibt.
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Bettelspeise Gott des Todes
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Die Essenz der Moksha Gita 1. Grüße an Sat-Chid-Ananda1, Para-Brahman2, den gloriosen, ersten Lehrer, der selbststrahlend, ewiglich, unteilbar, rein, makellos, wunschlos, eigenschaftslos, zeitlos, raumlos, wandellos, anfangslos und endlos ist. 2. Diese letzte Wirklichkeit, welche die Stütze dieser Welt, des Körpers, des Prana3, von Verstand und Sinnen ist, welche die Gebärmutter der Veden ist, welche allesdurchdringend und allgegenwärtig ist, welche farblos, geruchlos, geschmackslos, namen- und formlos ist – diese erstrahlt auf ewig. 3. Dieses unbeschreibbare, erlesen Prinzip, welches unvergänglich, ungeboren, alterslos, furchtlos, bewegungslos, Eines ohne ein Zweites, uralt und unendlich ist – dieses allein existiert. 4. Was weder kurz noch lang, weder dieses noch jenes, weder schwarz noch weiß, weder dick noch dünn, weder gut noch schlecht ist – dieses sollte als Brahman erkannt werden. 5. Brahman ist verschieden von den groben, subtilen und kausalen Körpern. Es ist die Seele aller. Er ist der Innerste Herrscher aller. Er ist auf ewig frei- Er ist ohne Tätigkeiten und ohne Bewegung. 7. Brahman kann nicht bestimmt werden. Brahman bestimmen bedeutet Ihn verleugnen. Die einzig angemessene Beschreibung Brahmans ist eine Folge von Negationen. Das ist der Grund, weshalb die Upanishaden erklären: „Neti, neti“ - „nicht dies, nicht dies“. 8. Maya ist unbeschreibbar (Sat-Asat Vilakshana4 Anadi5 Bhava Rupa6 Anirvachaniya). Sie ist weder Sat (Sein) noch Asat (Nicht-Sein). Maya ist Anadi Santam7. Sie ist anfangslos, hat aber ein Ende für den Weisen, der das 1 2 3 4 5 6 7
„Sein-Bewusstsein-Seligkeit“ „Höchstes Brahman“ Lebens“wind“ verschieden von Sein und Nicht-Sein anfangslos formlos Maya (Illusion), die aufhört, nachdem Brahman erreicht wird
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Selbst verwirklicht hat. Maya ist Suddha-Sattva bzw. reines Sattva. 9. Wer die Erkenntnis des Selbst erlangt und Maya, die illusionenschaffende Macht, überwunden hat, weiß als einziger, was Maya ist, wie sie entsteht und wie sie zerstört wird. 10. Avidya1 ist Malina-Sattva2. Sie ist das begrenzende Attribut des Jiva3. Sie ist das Karana-Sarira4 der individuellen Seele. Avidya ist Anandamaya-kosha5. 11. Diese Avidya schwindet, sobald man die Erkenntnis des Selbst erlangt. Es ist die Zerstörung der Avidya, die zum brahmischen Thron wird. 12. Dieses Universum der Namen und Formen hat seinen Ursprung in der Unwissenheit. Aufgelöst wird es durch die Erkenntnis des Selbst. Dieses vom Selbst verschiedene Universum ist unwirklich wie ein Traum. Es wie ein Trugbild. 13. Der Verstand besitzt die Macht zur Erschaffung und Auflösung des gesamten Universum im Moment eines Augenzwinkerns. Töte diesen Verstand durch Vichara (Ergründung), die Zerstörung der Vasanas6 und die Beherrschung seiner Schwankungen. 14. Der einzige Feind des Atman ist der schwankende Verstand. Der Verstand mit all seiner Kraft dieses Schwankens erzeugt die zahllosen Vasanas und Samskaras7. Zerstöre diese ständig fluktuierende Kraft des Verstandes durch beständiges Brahma-Vichara8. 15. Brahman wird nicht aufleuchten, so lange die Dualität des Verstandes nicht beseitigt ist. Zerstöre daher die Dualität. Brahman wir dann in Seiner unverdorbenen Glorie erstrahlen. 16. So wie Gold durch Erhitzen im Feuer gereinigt wird, so wird auch der Verstand durch das Feuer der Meditation gereinigt. 1 2 3 4 5 6 7 8
Unkenntnis des eigenen Selbst andere Bezeichnung bzw. Beschreibung der Maya individuelle Seele „Wonnekörper“ „Wonnehülle“ unerwünschte, ständig wiederkehrende Gedankenmuster „Gedankensamen“ Ergründung des Selbst
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17. Verstehe die rechte Bedeutung des „Tat Tvam Asi“Mahavakya. Die Erkenntnis bezüglich der Identität der individuellen Seele mit der Höchsten Seele, wie jene aus Mahavakyas wie „Tat Tvam Asi“ („Das bist Du“) hervorgeht, ist das Mittel der Befreiung. 18. „OM“ ist das Symbol Brahmans. Es ist ein machtvolles Wort. Es ist die Heilige Silbe. Es ist die Essenz aller Veden. Es ist das Boot, welches dich ans Ufer der Furchtlosigkeit und Unsterblichkeit trägt. Meditiere über „OM“ mit Bhava1 und Verstehen der Bedeutung. 19. Wenn du Brahman zu erlangen wünschst, sollten alle Wünsche nach Objekten verschwinden. Je mehr dieser Objekte du aus deinem Umkreis entfernst, umso mehr wird die Fülle Brahmans in dir erstrahlen. 20. Du bist nicht dieser sterbliche Körper. Du bist nicht der schwankende Verstand. Du bist nicht die Sinne. Du bist nicht der Intellekt. Du bist nicht der kausale Körper. Du bist das Allesdurchdringende Unsterbliche Brahman. Verwirkliche dies und sei frei. 21. Du bist der Prajnana-Ghana-Atman (Verkörperung der Weisheit). Du bist das Chidghana-Brahman (Masse des Bewusstseins). Du bist Vijnana-Ghana Purusha (Masse der Erkenntnis). Du bist Ananda-Ghana Atman (Masse der Seligkeit). Verwirkliche dies und sei frei. 22. Du bist Akhandaikarasa-Brahman (die eine, homogene Essenz). Du bist Chinmatra-Purusha (reines Bewusstsein). Du bist die makellose, leidenschaftslose, geschlechtslose und körperlose Seele. Verwirkliche dies und sei frei. 23. Dieses Höchste Brahman, welches das Unsterbliche Selbst aller ist, welches das anfangslose Wesen ist, welches das Unbewegte und Unendliche ist, welches jenseits des Verstandes und der Sprache ist – dieses Brahman bist du. Verwirkliche dies und sei frei.
OM TAT SAT
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Andacht
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