Schluß mit deutschem Selbsthaß - Horst Mahler - Franz Schönhuber.pdf

August 8, 2017 | Author: xLL9t | Category: Turkey, Zionism, Politics, Politics (General)
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Fotos: Archiv der Verfasser Mike Moritz

Internationale Standard-Buchnummer ISBN 3 86118 093 6

1. Auflage 2000 © by VGB-Verlagsgesellschaft Berg mbH 82335 Berg am Starnberger See Satz: A. Paclik, Seeshaupt Druck: Graf. Betriebe Ebner, Ulm

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HORST MAHLER PRANZSCHÖNHUBER

SCHLUSSMIT DEUTSCHEM SELBSTHASS Plädoyers für ein anderes Deutschland

VGB- Verlagsgesellschaft Berg mbH BERG

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SCHÖNHUBER: Liebe Lese rinnen, liebe Leser, ich halte es für unser Unterfangen dienlich, Ihnen zunächst unser Rollenverständnis bei diesem Gespräch darzulegen. Es ergibt sich schon aus unseren Berufen und Werdegängen. Herr Mahler ist Jurist, für seine Gegner ein in die Provokation verliebter Pamphletist und Illusionär, für seine Freunde dagegen ein Visionär, der wie kaum ein anderer Zusammenhänge durchschaut hat, die unsere Volkskrankheit, den Nationalmasochismus, erklären. Auch ich hatte als Politiker wie Autor begeisterte Anhänger und erbitterte Gegner. Umstritten sind wir also beide. Ich war zwar lange Jahre parteipolitisch tätig, habe aber auch während dieser Zeit meinen Beruf als Journalist nie aufgegeben. In diesem Gespräch sehe ich mich deshalb in erster Linie als Fragesteller, ohne meinen politischen Standpunkt zu verbergen. Meine politischen Ansichten, die ich in unzähligen Artikeln, Kolumnen und in neun Büchern dargelegt habe, müssen jedoch hier nicht in allen Details wiederholt werden. Größeren Raum sollen dafür die bahnbrechenden und aufsehenerregenden Weltanschauungen, - ich gebrauche dieses "belastete" Wort ganz bewußt meines Gesprächspartners einnehmen. Mit der heute allseits üblichen journalistischen Praxis: "Kurze Frage mit der Bitte um eine kurze Antwort", ist nämlich ein vernünftiges Aufzeigen der Probleme nicht möglich. Sie wissen, verehrte Leserinnen und Leser: Neugierde ist erste Journalistenpflicht. Ich komme dieser Pflicht hier besondes gerne nach, hat doch Horst Mahler nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis mit seinen Ansichten Freund und Feind gleichermaßen überrascht. Hierbei von einem Saulus-Paulus- Wandel zu sprechen, wäre zu vordergründig. Hier heißt es tiefer zu graben. Wir kennen uns noch nicht sehr lange, ein paar Monate. Eine Gemeinsamkeit aber haben schon die Vorgespräche ergeben: Wir betrachten uns als Revisionisten und Tabubrecher. In unserem Gespräch werden gewiß unterschiedliche Positionen erkennbar werden. Sie sollen nach dem Grundprinzip jeder Diskussion abgehandelt werden: Kontroverses kontrovers darzustellen. Da ich glaube, daß Kindheit und Jugend prägende Einflüsse auf 5

die Entwicklungjedes Menschen haben, halte ich es für notwendig aufzuzeigen, woher man kommt, wo die familiären Wurzeln liegen. Ich darf mit der Schilderung meines Elternhauses beginnen: Ich bin also der Sohn eines Metzgermeisters, der 1931 in die Partei eingetreten ist. Ich glaube, nicht so sehr aus ideellen Gründen, sondern er trat der Partei bei, weil sie für die Abschaffung der Schlachtsteuer eintrat. Und das ist ein sehr wichtiger Punkt für einen Metzgermeister. Dann glaube ich, neigte er eher der Strasser-Richtung zu. Er hat sehr viel soziales Empfinden gehabt. Mein Vater war ein sehr offener Mensch, aber auch ein sehr autoritärer Mensch, z. B. mußte ich mich jeden Tag winters wie sommers mit eiskaltem Wasser im Freien waschen. Ich mußte von meinem Heimatort Trostberg in meine Realschule in Traunstein, das sind 24 km, mit dem Rad fahren und 24 km zurück. Das hat zwar meine Waden gestärkt, aber n1ir nicht unbedingt gut getan im Unterricht. Er war ungeheuer leistungsbezogen. Ich war ein guter Sportler. Für meinen Vater war es notwendig, daß ich gewinne. Wenn ich verloren habe, dann empfand er das als eine persönliche Beleidigung. Meine Mutter war völlig unpolitisch, sehr religiös, etwas mystisch, katholisch religiös, aber gleichzeitig nicht verbissen. Sie hätte es sicher auch sehr gerne gehabt, wenn ich dem Wunsch des Pfarrers gefolgt wäre und, wie man hierzulande sagte, auf geistlich studiert hätte. Da hat mein Vater kurz angebunden gebrummt: "Na a Kuttenbrunzer wird mein Sohn net. "Er war durchaus antiklerikal eingestellt, handelte aber gemäß der Liberalitas Bavariae: Leben und leben lassen. Mein bester Freund in der Kindheit war der Sohn des dortigen Kommunisten. Er trug die "Rote Fahne" aus, ich den "Völkischen Beobachter". Gleichzeitig spielten wir in der gleichen Fußballmannschaft, er halbrechts, ich halblinks. Als ich in Dresden in der Oberrealschule war, sie nannte sich Dietrich Eckart-Oberrealschule, hatten wir zwei Juden in der Klasse. Ich weiß noch heute ihre Namen: Kariel und Feuerstein. Mein Vater fand das anständig, daß ich mit ihnen einen guten Kontakt pflegte, meinte aber, nach Hause müsse ich sie nicht unbedingt einladen. Das wär' des Guten zuviel. Er wollte mir zweifellos schulische Schwierigkeiten ersparen. 6

Von meiner Jugendzeit habe ich mich sehr schnell verabschiedet. Ich wollte raus aus diesem kleinstädtischen Milieu, wollte, wie man so schön sagt, etwas werden. Dann kam der Krieg. Ich meldete mich 1942 nach dem Abitur freiwillig zur Waffen-SS- Ich schäme mich dessen nicht. Für mich war und bleibt die Waffen-SS eine politisch mißbrauchte und militärisch verheizte soldatische Elite. Daß dieser Eintritt mein Leben nachhaltig verändern würde, , konnte ich damals nicht ahnen. Die Probleme begannen schon in den ersten Jahren der Nachkriegszeit. Ich konnte kein Studium beginnen, mußte auf mein Spruchkammerverfahren warten. Ich München ging es mir alles andere als gut. Ich hatte teilweise keine feste Bleibe, fast nie Geld und habe immer wieder auf Parkbänken geschlafen. Der Hunger war mein ständiger Begleiter. Das läßt sich heute jungen Menschen schwer vermitteln, selbst nicht den eigenen Kindern. Meine Feinde waren die Polizisten. Sah mich einer auf der Parkbank liegen, schnauzte er mich an, ich solle mich schleunigst verziehen. Mein erstes Feindbild waren also Staatsdiener.

Mit den Eltern und dem jüngeren Bruder Adolf

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MAHLER: Ich hatte meine Probleme mit diesem Staat und der Justiz dieses Staates. Sicher. Bei mir ist das natürlich zeitversetzt und dadurch auch noch ganz anders. Geboren 1936, war ich erst neun Jahre alt. Aufgewachsen bin ich bis dahin in einer schlesischen Kleinstadt, in einer mittelständischen Familie, der Vater war Zahnarzt. Und ich habe halt noch die Erinnerung: es war für mich eine durch und durch heile Welt. Die Eltern, das habe ich nie anders kennen gelernt, waren sehr liebevoll zueinander, aber auch zu uns Kindern. Sie waren für mich der Inbegriff der gütigen Menschen, nicht der Gutmenschen. Irgendwie waren sie auch religiös. Zu jeder Mahlzeit- die Familie versammelte sich um einen ovalen Tisch - wurde ein Dankgebet gesprochen. Vor dem Einschlafen kamen die Eltern an unser Bett. Mit jedem Kind gesondert wurde ein Gebet gesprochen. Aber sie waren voll dabei, überzeugte Anhänger des "Führers". Und jedes Mal, wenn über den Rundfunk der "Führer" AdolfHitler sprach, wurde absolute Ruhe geboten. Die Familie versammelte sich mit den "Dienstmädchen" vor dem "Volksempfänger". Es herrschte absolute Ruhe und Gläubigkeit, Hoffnung - auch sonst im Alltag. Alles das. Und ich durchlief auch diese deutsche Erziehung: Beim Hitlergruß immer die Hacken zusammenschlagen, "Diener" machen. Leitsprüche waren: "schnell wie ein Windhund, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl" usw. Das waren also die Grundmuster, die man vermittelt bekam. Ich glaube, meine Eltern haben nie daran gezweifelt, daß wir den Krieg gewinnen werden. Dann kam plötzlich der Abbruch. Es war alles weg. Ich erlebe das in der Erinnerung so, als sei da eine begeisternde Kraft irgendwie plötzlich weg gewesen. Zugleich erlebte ich an meiner Mutter, die plötzlich mit uns vier Kindern auf der Flucht war, eine bewundernswürdige Tapferkeit. Sie hat um unser Leben gekämpft - und diesen Kampf gewonnen. Sie haben vorhin gesagt, das deutsche Volk sei ein gebrochenes Volk. Ich würde sagen: es war damals erst ein erschöpftes Volk. Gebrochen ist es erst viel später. Lange Zeit war die Erschöpfung der prägende Eindruck, dann der Überlebenskampf, daß man etwas zu essen bekam - satt wurde man nie - , daß man immer ein 8

Dach über dem Kopf hatte, daß man versuchte, in den damaligen Verhältnissen irgendwie zu überleben. Das hat alle Lebensenergien absorbiert. Nach etwa einem Viertel Jahr stieß auch der Vater wieder zur Familie. Er hatte sich - um dem Desaster des Volkssturms zu entgehen - noch in den letzten Kriegstagen freiwillig an die Front gemeldet als Sanitäter. Nach der Kapitulation hat er sich zu uns durchgeschlagen. Die Eltern führten mit uns Kindern natürlich keine Gespräche über die politischen Verhältnisse und was daran so war. Was sie bewegte, konnten wir aus aufgeschnappten Gesprächen, die die Erwachsenen unter sich führten, aus Gesten und Reaktionen uns zusammenreimen. Daraus wurden Versatzstücke meines sich langsam formenden Weltbildes. In der Erinnerung ist nichts, das mich für die Umgebung, in der ich aufgewachsen bin, auf eine innere Ablehnung gegenüber dem Nationalsozialismus schließen ließe. Es wurde auf einzelne "Goldfasane" geschimpft. Es gab im Freundeskreis auch zwei "Edelkommunisten". Sie wurden als Exoten liebevoll geduldet. In meiner Erinnerung leben Menschen, die eine große Hoffnung hatten, die die Deutsche Niederlage als Unglück und nicht als Befreiung sahen. Und ich erinnere mich noch an die Auseinandersetzung mit meiner Mutter - der Vater ist 1949 gestorben -, als ich anfing, Fragen zu stellen und reden wollte. Ich kam aus der Schule nach Hause und erzählte: ich hab das und das gehört und das und das ist passiertich habe die Bilder von den Konzentrationslagern gesehen, die Leichenberge und dann die Bulldozer, mit denen die englischen Besatzer diese Leichen in ein Massengrab geschoben haben. Ich wollte eine Erklärung haben. Meine Mutter reagierte unter Tränen mit einer Mischung aus Entsetzen und Empörung über diese - wie sie sich ausdrückte - "Greuelmärchen unserer Feinde". Sie wollte sich überhaupt nicht darauf einlassen, was mich sehr irritiert hat. Ich habe zu diesem Verhalten nie eine klare Einstellung gewinnen können. Es ging dann soweit, daß mein ältester Bruder - der war schon bei der "HitlerJugend" mit dem Rang eines Bannfeldseberführers - mich einmal ganz fürchterlich beim Wickel genommen 9

MAHLER: Selbstachtung vor uns

und mich als "Nestbeschmutzer" beschimpft hat. Er wollte mich aus der Wohnung rauswerfen. Da ging Mutter schreiend dazwischen: "Nein, das ist mein Sohn!" Es war fürchterlich. Bis dann eines Tages meine Mutter ihren Widerstand aufgab und unter Tränen zugestand: "Ja, es war ein Verbrechen, daß Hitler die Juden umgebracht hat. Er hätte sie lieber in die Mansardenwohnungen stecken sollen, dann wären wenigstens die deutschen Städte nicht zerbombt worden." Wenn ich mir das so in der Rückschau noch einmal vergegenwärtige, bin ich überhaupt nicht in der Lage, meiner Mutter daraus irgendwie Vorwürfe zu machen, sie moralisch in Frage zu stellen. Das ist mir einfach nicht möglich. Sie entsprach in allem, was ich mir unter einem gütigen Menschen vorstelle. Ich war von daher Der Student Horst Mahler nie in der Lage, dieses Bild zu übernehmen, das einem nahe gebracht wurde: daß die Nazis irgendwie von einem anderen Stern waren, irgendwie teuflische Wesen. Für mich waren das immer Menschen, die man auch lieben konnte, die man geliebt hat. Ich empfand es als selbstgerecht, wenn ich mir einzubilden versuchte, daß mir das nicht hätte passieren können. Wie aber war dieser liebenswerte Mensch zu einem so ungeheuerlichen Vorschlag fähig? Was geht in solchen Menschen vor sich? Wir dürfen uns

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die Antwort nicht zu leicht machen. Ich glaube, daß mein Freund Rainer Langhans mit seiner Auffassung richtig liegt, daß wir unser Verhältnis zu unseren Eltern in Ordnung bringen müssen. Wir sollten es uns versagen, mit dieser Pose des Rechthabens und des Verurteilens an diese Zeit und die in ihr lebenden Menschen heranzugehen. Sie haben einen Anspruch darauf, von uns verstanden zu werden. Denn wir wissen nicht, wie wir geworden wären unter diesen Bedingungen, in diesen Zeiten (oder vielleicht weiß ich es doch!). Diese Haltung ist etwas ganz anderes als das, was der Zeitgeist von uns verlangt. Er besteht auf völliger Dämonisierung und Verteufelung der Menschen, die uns das Leben geschenkt, die uns geliebt und gehegt haben. Wir sollen unsere Ahnen bespucken, Vater und Mutter nicht ehren, sondern sie todeswürdiger Verbrechen bezichtigen, sie als Feinde behandeln. Kurz: Wir selbst sollen uns der sittlichen Substanz entledigen, die uns erst zu geistigen Wesen, zu Menschen macht. Ich glaube, es ist an der Zeit, dieses teuflische Wort von der "Tätergeneration" als Seelenmord, als Verbrechen gegen unser Menschsein zu erkennen. Der hier ausgeführte Widerspruch hat mich mein ganzes Leben beschäftigt, bis ich vor etwa zwei Jahren die geistigen Fäden gewiesen bekam, die für mich zu einer Lösung des Rätsels führten. SCHÖNHUBER: Also ich muß noch einen Nachtrag machen. Was in meiner Erziehung wesentlich war, das sage ich nicht als Alibi, sondern als Fakt. Das war das Verhältnis zum Judentum. Ich habe es schon angedeutet. Mein Vater war Viehhändler und Metzger. Und gerade unter den Viehhändlern gab es einige Juden, insbesondere in Bayern. Und mein Vater lernte einen Mann kennen, der hieß Grünhut. Er war Darmhändler und Hauptmann im Ersten Weltkrieg gewesen. Mein Vater dagegen hattetrotz achtjähriger Soldatenzeit und Kriegszeit in zwei Weltkriegen es nur zum Gefreiten in der Artillerie gebracht. Er bewunderte alles, was von der Artillerie kam, darum liebte er auch Marschall Petain. Für ihn war die Artillerie die Krone des Militärs und nicht die 11

SCHÖNHUBER: HitZer hat das Weltjudentum sträflich unterschätzt Infanterie. Und Grünhut hatte das Eiserne Kreuz erster Klasse. Das fand mein Vater bewundernswert. Und er sagte oft im Familienkreis: "Dumm sind's, die Nazis." Diese Worte habe ich noch heute im Ohr. Und auch: "Hätte der HitZer mit den deutschen Juden ein Abkommen getroffen, dann wären viele von denen die ersten gewesen, die den Zustrom der Ostjuden mit ihren Bärten und Schläfenlöckchen verhindert hätten, weil sie darin eine Verstärkung des Antisemitismus sehen. " Das sagten gewiß nicht wenige Juden auch so, vor allem die national eingestellten. Man braucht nur an Rathenau 1 zu denken, der einmal meiner Erinnerung nach angesichtsjüdischer Spaziergänger von "asiatischen 1 Horden auf märkischem Boden" geschrieben hatte. Ich glaube, !fitlers irrationalen Judenhaß kann man nur aus seiner Wiener Zeit heraus verstehen. Damals wimmelte es dort von antijüdischen Pamphleten und Broschüren. Hit/er wollte nicht zur Kenntnis nehmen, daß es viele tapfere jüdische Frontsoldaten gegeben hat, die sich nach Ende des Ersten Weltkrieges für eine Rehabilitierung Deutschlands eingesetzt hatten. Und er hat den jüdischen Einfluß insbesondere in Amerika sträflich unterschätzt.

MAHLER: Ich glaube, daß sich die meisten Deutschen von Amerika und über Amerika täuschen lassen und sich zugleich einer Selbsttäuschung hingeben. Sie sind der Auffassung, daß sehr viele deutschstämmige Amerikaner Gewicht in den Vereinigten Staaten hätten, und daß es von daher nie so schlimm kommen könne, daß die Amerikaner im übrigen ganz nette Leute seien und die Welt ihnen viel zu verdanken habe. Genauer Text des Rathenau Textes: "Seltsame Vision. Inmitten deutschen Lebens ein abgesonderter, fremdartiger Menschenschlag, glänzend und auffallig staffiert, von heißblütigem beweglichen Gebaren. Auf märkischem Sand eine asiatische Horde."

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Die sind immer gutgläubig und lassen sich entsprechend über den Tisch ziehen, sind bis zum Letzten geneigt, immer noch was Positives im Anderen zu sehen. Sie haben nicht erkannt, welche Kräfte gegen Deutschland gearbeitet haben. Das betrifft schon den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg. Erst kürzlich wurde mir ein jüdisches Dokument zugespielt, das sich mit den Hintergründen dieser Entwicklung befaßt. Die Juden- insbesondere in den USA - waren zunächst auf der Seite des Reiches, weil es gegen Rußland angetreten war, wo es den Juden damals sehr schlecht ging. Sie hofften, der militärische Druck auf das Zarenreich würde dort zu einer Revolution und in deren Folge zur Emanzipation der Juden in Rußland führen. Mit Deutschland hatten die Juden damals keine Probleme. Nach der bereits erwähnten jüdischen Quelle seien aber- als England und Frankreich praktisch schon amBoden lagen - Zionisten aus Deutschland, an die Britische Regierung mit dem Anerbieten herangetreten, ihren Einfluß für einen Eintritt der USA auf Seiten der Entente geltend zu machen. Sie hätten dafür die einzige Bedingung gestellt, daß die Britische Regierung in verbindlicher Form den Zionisten ihre Unterstützung für eine Jüdische Heimstatt in Palästina zusage. Tatsächlich hat die Britische Regierung mit der sogenannten Balfour-Erklärung diese Unterstützung zugesagt. Sofort schwenkten die US-Medien um auf einen deutschfeindlichen Kurs. Es wurde der Zwischenfall mit der "Lusitania" arrangiert, nach deren Versenkung durch DeutscheU-Boote die USA dem kaiserlichen Deutschland den Krieg erklärten. In seiner Ausgabe vom 17. Februar 1936 berichtete das Nachrichtenmagazin TIME, daß der kommandierende Admiral der Britischen Heimatflotte, Admiral Earl of Cork and Orrery, der Deutschen Admiralität in einem in London gehaltenen Vortrag bescheinigt hätte, daß der U-Bootangriff auf den unter dem Namen Lusitania als Luxus-Schiff getarnten, mit Munition für die Britische Marine beladenen Truppentransporter nach den Regeln des Seekriegsrechts gerechtfertigt gewesen sei. Die USA waren also Angreifer-Nation. Schon 1934 hatte ein Untersuchungsausschuß des US-Senats unter Leitung des Sena13

tors Gerald. P. Nye nach eingehenden Forschungen festgestellt, daß die Rüstungsindustrie und die Hochfinanz der Vereinigten Staaten für den Kriegseintritt verantwortlich waren. SCHÖNHUBER: Und die deutschstämmigen Amerikaner konnten es nicht verhindern. Sie bildeten keinen monolithischen Block wie die Iren, Italiener oder Polen. Kam später hinzu, daß sich unter den Deutschstämmigen viele Juden befanden, die in der Geschäftswelt und bei den Banken eine große Rolle spielten und Einfluß auf die Regierungen hatten. MAHLER: Die Deutschen Staatsmänner und ihre Berater hatten keine Erfahrung bei der Beurteilung der weitgehend im unsichtbaren Bereich wirkenden monetären Kraftfelder, die im Zeitalter des Dollar-Imperialismus die Völkerschicksale und die Frage von Krieg und Frieden entscheiden. Hier hatten die Briten eindeutig die besseren Möglichkeiten, denn die "Londoner City", die Britischen Pressekonzerne und Banktrusts, hat in der Praxis das ausgebrütet, was heute in den Arsenalen der Ostküste der USA als Herrschaftstechniken für den Feldzug zur Eroberung einer unangefochtenen Weltherrschaft zur Verfügung steht. Ihr Kern sind Finanzkredite als Erpressungsmittel , Täuschung, Lüge und Heuchelei. Überhaupt bestand im Deutschen Kaiserreich kein Problembewußtsein darüber, daß mit dem Eintritt der Massen in die Geschichte und mit der Entwicklung des Kapitalexports und des Weltfinanzsystems ganz neue Formierungskräfte in das geostrategische Geflecht der Nationen und Einflussphären eingriffen. Was wir heute - ohne das leiseste Verständnis für das Wesen der Sache - als "Demokratie" kanonisiert haben, ist nichts als eine gigantische Manipulationsmaschine, die weltweit von nur wenigen Eingeweihten virtuos dirigiert wird.

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r MAHLER: Roosevelts pathologischer Deutschenhaß Schwer einzuschätzen waren auch die Auswirkungen des fast schon pathologischen Deutschenhasses, den Franklin D. Roosevelt in die Weltpolitik einbrachte. Die Deutschen, die arglos waren, haben das überhaupt nicht auf sich beziehen können. Auch deshalb haben sie die Situation völlig falsch eingeschätzt. Sie haben sicherlich auch die wirtschaftlichen Potenzen der Vereinigten Staaten nicht richtig erkannt. Über diese Fragen sollten wir unbefangen reden. Man muß vor allen Dingen darüber reden dürfen. Dann wird sehr schnell deutlich werden, daß zwischen Roosevelts Entschluß, das Deutsche Reich restlos zu zerstören und für immer aus der Geschichte zu entfernen, einerseits und den mit dem Namen "Auschwitz" assozüerten Ereignissen andererseits ein Ursachenzusammenhang nicht besteht. Unbestreitbare historische Quellen belegen das. Es muß nur eben auch in das Bewußtsein der Deutschen eindringen, damit sie wieder Mut haben zu sagen: "Das an uns verübte Unrecht hat uns nicht umgebracht. Wir sind noch da und wir haben Interessen, für die wir stehen, die wir auch geltend machen. Und wir fordern Wiedergutmachung!".

SCHÖNHUBER: Wir sollten auch nicht vergessen, daß der barbarische Morgenthau-Plan, der Deutschland zu einem verstepptenAgrarlandmachen wollte, nichts anderes als den Versuch einerorganisatorischen Umsetzung der Vorstellungen Roosevelts bedeutete. Die Deutschen sollten für immer von der Gnade der Sieger abhängig bleiben, auch für immer stigmatisiert. Manche amerikanische Deutschenhasser wie der wirre "Denker", namens Kaufmann, forderten gar eine Sterilisierung der Deutschen. Daß der Morgenthau-Plan scheiterte, verdanken wir nicht zuletzt den Russen. Es war nicht nur der Widerstand eines nicht unbeträchtlichen Teiles der amerikanischen Öffentlichkeit gegen diese altte15

stamentarische Vergeltungspolitik, weitsichtige amerikanische Militärs und Politiker sahen die Gefahren eines weiteren Vordringens der Russen und begannen vorsichtig, den Deutschen eine neue Rolle zuzuweisen. Deutschland sollte zum Ostwall gegenüber den Ostblockstaaten ausgebaut werden. Deshalb hat manjenseits des Ozeans die deutsche Wiederbewaffnung durchaus begrüßt.

MAHLER: Das Erste muß sein, daß wir die über uns verbreiteten Lügen nicht auch noch selbst weitererzählen und auch nicht mehr an sie glauben. Vielleicht erlebe ich es noch, daß die "Glatzen" die Baseballschläger in die Ecke stellen und beginnen, ernsthaft für Deutschland zu kämpfen, indem sie die Geschichtswerke von Hamilton Fish, "Der zerbrochene Mythos", Dirk Bavendamm, "Roosevelts Krieg", Giselher Wirsing, "Der maßlose Kontinent", 1942, Karl Helfferich, "Der Weltkrieg", 1925 und Hjalmar Schacht, "Das Ende der Reparationen", 1931, zur Hand nehmen und studieren - ich sage: studieren, das ist mehr als nur lesen-, um daraus wirksame Waffen gegen die Lügen unserer Feinde zu gewinnen. Das Zweite muß sein, daß wir genügend Phantasie aufbringen, um uns vorstellen zu können, welch ungeheuren geistigen Energien wir in unserem Volke freisetzen können, wenn wir den Lügenbann von seiner Seele sprengen. Wir haben uns ja einreden lassen, daß es "der Masse" der Deutschen nur auf die drei Fs: "Fressen, Ficken, Fernsehen" ankomme und mit unseren Landsleuten deshalb nichts los sei. Wer das glaubt, irrt sich schrecklich. Der sieht in den Gesichtern der Deutschen nicht die tiefe Niedergeschlagenheit. Oder wenn er sie schon bemerkt, denkt er nicht über die Ursachen und Bedingungen dieser Niedergeschlagenheit nach. Die 3 Fs sind nur Betäubungsmittel, die den Seelenschmerz unseres Volkes lindern. Sie bringen keine Heilung. Unser Volk wird die Schmerzlinderungsmittel beiseite lassen, wenn es die Mittel erkennt, die die Heilung bringen. Die Volksrevolutionen, die Geschichte gemacht haben, sind nie aus dem Leid der Entbehrung, sondern stets aus der Empörung über das erlittene Unrecht, aus dem Entschluß, die Anerkennung als Person zu erzwingen, 16

entstanden. Man muß groß über das Volk denken, das große Taten voJJbringen wird. Wir sollten das ganze Land mit Studienzirkeln zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, speziell der Deutschen Geschichte, überziehen und über das elektronische Weltnetz mit den revisionistischen Historikern in den USA, in Großbritannien, in Frankreich, in Polen, in Rußland, in Japan,jn China, in Israel und in den Arabischen Ländern vernetzen. Diese Gruppen können - mit viel Spaß -eine Geschichtswahrheits-Guerilla aufbauen und überall: in Bürger- und Parteiversamrnlungen, in Vortragsveranstaltungen, in Schulen und Universitäten, in Parlamenten und in Ausstellungen organisiert die Tatsachen- und nur die Tatsachen - sprechen lassen und mit Witz und Humor die Debatte über sie erzwingen. Die Deutschen können hier von den 68ern lernen! Die Wahrheit wird über die Lügen triumphieren. Da bin ich mir sicher. Denn die Lüge ist nur am Anfang stark- und um so stärker, je unglaublicher die Annahme ist, daß es sich um eine Lüge handelt. Das ist aber zugleich ihre Schwäche. Aus ihrem Gebäude wird Stein um Stein herausgebrochen. Nie kehrt ein herausgebrochener Stein an seine ursprüngliche Stelle zurück. Reparaturen sind unmöglich. Schließlich stürzt das Ganze - von der Schwerkraft seiner Bauteile niedergezogen - wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

SCHÖNHUBER: Sie wissen genauso wie ich, daß Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg eine Schutzmachtstellung angenommen, man könnte auch sagen, sich angemaßt hat. Es ist Ihnen doch sicher auch bewußt, daß heute alles, was als antiamerikanisch ausgelegt werden kann, sofort die Schlapphüte auf den Plan ruft. MAHLER: Ich bin zum ersten Male 1962 mit einem Strafbefehl geehrt worden, weil ich während der Kubakrise zusammen mit ein paar Freunden auf dem Kurfürstendamm am Kranzler-Eck ein Transparent entrollt hatte, auf dem stand: "Die Kubakrise gefährdet den Weltfrieden". Nur das. Es galt damals in Berlin noch

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MAHLER: Wir haben einen Freiheitskampf zu führen Besatzungsrecht, eine Verordnung 511 der alliierten Kommandantur, die jegliche Kritik an den Besatzungsmächten unter Strafe stellte. Und das ist in etwa im Bewußtseinsstand des Zeitgeistes so geblieben. Man ist sicherlich schon verfassungswidriger Umtriebe verdächtig, wenn man in dieser Weise kritisch auf eine Siegermacht schaut. Aber das sollten wir uns nicht ausreden lassen. Diese Kritik ist auch für die Siegermacht wichtig, damit sie ihre Möglichkeiten realistischer einschätzen kann. Ihre Politik muß nämlich eine andere werden, wenn sie nicht untergehen will. Und wenn sie das zum Verbrechen erklären und uns dafür einsperren, ist auch das gut. Die Wahrheit können sie nicht einsperren. Das Martyrium ihrer Apostel verleiht ihr Flügel. Im Freiheitskampf muß man diese Risiken auf sich nehmen. Die Elterngeneration hat für Deutschland viel viel größere Gefahren in Kauf genommen und Opfer gebracht. Ein bißeben können auch wir uns anstrengen. Wenn wir aber diesen Kampf nicht führen, sollten wir uns gleich hinlegen und sterben. SCHÖNHUBER: Das sollten wir natürlich nicht. Aber bei Ihren Ausführungen haben Sie einen Punkt übersehen, den ich für sehr wichtig ansehe. Das ist die sprachliche Durchdringung durch Amerikanismen. Wenn Sie heute mit dem Auto fahren und das Radio eingeschaltet haben, dann können Sie manchmal das Gefühl haben, Sie fahren zwischen Chicago und Milwaukee. Dieses "Franglais", wie die Franzosen es nennen, diese Amerikanisierung unserer Sprache hat auch unser Denken verändert. Es gibt heute Ausdrücke, mit denen meine Generation überhaupt nichts mehr anfangen kann. Auch dadurch vertieft sich der Graben zwischen den Generationen, also der älteren zu den jüngeren Generationen. Auch das ist gewollt. Das Gesetz der Eroberer läuft seit Jahrhunderten nach dem gleichen Muster ab. Erst ging's um 18

SCHÖNHUBER: Miss- Wahlen in Osteuropa sind Vorstufen der Prostitution Weidegründe, heute Absatzmärkte, dann um die Eroberung der Frauen und letztlich um Durchdringung der Sprache durch die der Sieger. Ich erinnere an das Vordringen der Türken. Sie kamen aus kargen asiatischen Gebieten, sahen in Europa überall wunderbare Weidegründe und reiche Städte. Dann kam die Demütigung der Frauen der unterlegenen Gegner. Nach dem Zweiten Weltkrieg machten es die Amerikaner kaum anders. Ich denke an die weibliche deutsche Filmprominenz, die scharenweise zu den amerikanischen Besatzungsoffizieren, vor allem den jüdischen überlief, um wieder spielen zu können. Der Übergang von den braunen Betten zu den amerikanischen war fließend. Ich habe diese Zeit selbst erlebt. Hand in Hand damit ging die Amerikanisierung der Sprache. Nicht nur in Deutschland. Vor zwei Jahren war ich in der Ukraine, auch hier haben sich Coca Cola und McDonalds festgesetzt und beherrschen das Bild vieler Städte. Und auch mit Misswahlen wird das Land überschwemmt. Das sind die Vorstufen zur Prostitution. Aus dem Osten kommen ja die frischen, bildschönen jungen Mädchen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in den geilen,von der Genußsucht geprägten Westen und landen in den Bordellen.

MAHLER: Da gab es ja neulich den Bericht im "SPIEGEL" darüber, was sich bei den Models abspielt. SCHÖNHUBER: Unerhört. Dagegen haben wir zu Felde zu ziehen. Da sind Sie, Herr Mahler, sicher eine Speerspitze in diesem Kampf, weil sie manchmal bewußt überpointiert und überspitzt formulieren, aber dadurch Tabus durchbrechen und Probleme sichtbar machen. Ich habe aufdiesem Gebiet selber manchmal Probleme.

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MAHLER: Der Globalismus bedeutet ein Todesprogramm Ich habe ja jahrelang im Establishment gelebt und da gehen einem bestimmte Verhaltensweisen in Fleisch und Blut über. Ob man will oder nicht. Es entsteht eine Sperre, die dazu dient, sich genau zu überlegen, was man noch sagen kann und was nicht. Alibisätze sind die Folge. Zum Beispiel: Ich habe ja nun wirklich nichts gegen die Juden und bin wahrlich kein Antisemit, aber der Friedmann ... Also es müßte Schluß sein mit diesenAlibisätzen. Ich gebe gerne zu, daß auch ich hier einen Nachholbedaif habe.

MAHLER: Übrigens ist das noch mal ein Pfund, mit dem die 68er wuchern könnten. Die haben ja damals auf sehr theoretischer Grundlage diese Erscheinung, die Sie hier gerade in die Debatte geworfen haben, untersucht. Sie haben den amerikanischen Kulturimperialismus benannt, diesen American way of life, seine Auswirkungen. Sie haben den Konsumterror, das Abrichten der Menschen zu Konsumtierchen, seziert, jene Strategie, mit der man um des Profites Willen ständig neue Bedürfnisse weckt, gänzlich unvernünftige, Zerstörerische Bedürfnisse. Alles das haben wir schon damals als Teil einer Weltmachtstrategie erkannt. Daß wir damit richtig lagen, hat unlängst kein geringerer als Zbigniew Brzezinski, der während der Amtszeit von Jimmy Carter einflußreichste Berater des US-Präsidenten, bestätigt. In seinem Buch "Die einzige Weltmacht" (sehr lesenswert!) beschreibt er genau, wie die Medien, die Werbung, die Bildungseinrichtungen usw. eingesetzt werden, um im Herrschaftsinteresse der USA weltweit die Menschen auf den American-way-of-life zu fixieren, um die kulturelle Identität der Völker, in der die USA eine gefahrliehe Gegenmacht sehen, auszulöschen. Mit raffinierten "wissenschaftlichen" Methoden haben sie herausgefunden, wie man ein Volk mit unblutigen Operationen wehrlos macht. Voller Stolz 20

erklärt uns Brzezinski, daß wir die Ehre hätten, "tributpflichtige Vasallen der USA" zu sein. Als er in Wien auf einem Podium diese These auch bezüglich der Österreicher wiederholte, wurde er vom Österreichischen Außenminister sanft berichtigt: "Aber Herr Brzezinski, wir sind doch Partner!" Worauf dieser erwiderte: "Na gut, dann sind Sie eben tributpflichtige Partner." Die Ostküste weiß, worauf es ankommt: daß sie als Weltmacht den Freihandel braucht. Freihandel ist übersetzt die Zerstörung der Volkswirtschaften, ist Grenzenlosigkeit des Kapitalverkehrs, ist das Niederreißen aller das Leben in einem geordneten Wirtschaftsraum sichemden Strukturen. Freihandel in seiner schon von Karl Marx vorausgesagten Vollendung ist das, was man heute beschönigend als "Globalismus" feiert. Das ist in Wahrheit ein Todesprogramm. Sie fragen, wo eine Gegenkraft sichtbar werde. Diese Kraft liegt im Geist und in der Organisation eines Volkes als solidarischer Gemeinschaft. In ihr dient die Wirtschaft dem Leben des Volkes und damit auch dem Einzelnen. Heute ist es umgekehrt: Alles dient der Wirtschaft. Im System des Freihandels ist der Mensch nur soweit noch etwas wert, wie er für das Profitsystem funktioniert, indem er für die privaten Kapitaleigentümer Mehrwert schafft. Dieses Verhältnis bezeichnete Karl Marx als Ausbeutung. Ausbeutung in diesem Sinne ist heute ein allgemeines Verhältnis: die furchtbare Herrschaft Mammons, unter der sich alle persönlichen Beziehungen der Menschen untereinander letztendlich in Geldverhältnisse auflösen, wo alle Werte dem Wert des Geldes geopfert sind und die Natur am Marterpfahl stirbt. Wer als Ausbeutungsobjektnichts taugt, ist eine überflüssige, eigentlich nicht mehr berechtigte Existenz. Der wird zum gesellschaftlichen Problem, und durch unterschiedliche Verfahren als solches entsorgt in der unwürdigsten Weise, indem man ihn fürs Nichtstun bezahlt - was allerdings nur noch solange funktionieren wird, wie das "soziale Netz" noch halbwegs hält. Ich vertrete die Auffassung, daß die Volksgemeinschaft die Wirtschaft in ihrem Bereich als Volkswirtschaft so ordnen muß, daß alle, die zu diesem Volk gehören, in ihrem Lebensraum, in 21

ihrer Heimat ihr Auskommen haben durch ein Einkommen aus sinnvoller Tätigkeit, also aus eigener Kraft ihre Lebensbedürfnisse befriedigen können. Wenn und soweit die Marktwirtschaft das nicht zu leisten vermag, wird sie nicht - wie im Sozialismus bzw. Kommunismus - abgeschafft, sondern auf allen gesellschaftlichen Ebenen durch die Eigenwirtschaft ergänzt. Die Arbeitslosen, die das Marktsystem - wie Karl Marx gezeigt hat - notwendig produziert, wechseln zwanglos über in den Sektor der Eigenwirtschaft Auf staatlicher, regionaler und kommunaler Ebene wird es einen freiwilligen Arbeitsdienst geben. Die Dienstier werden in Herstellungseinrichtungen tätig, in denen die Gebrauchsgüter für den staatlichen, regionalen und kommunalen Eigenbedarf - später auch für den individuellen Eigenbedarf- hergestellt bzw. entsprechende Dienstleistungen erbracht werden. In dieser Parallelbe-_., schäftigungswelt wird es einerseits nur ein wesentlich geringeres Arbeitsentgelt für die Leistung geben, andrerseits werden dort Tätigkeits- und Beziehungsformen verwirklicht, die die Arbeit im Sinne einer entfremdeten, lohnorientierten Betätigung der Arbeitskraft überwinden. Dort werden auch die älteren Volksgenossen, die noch rüstig genug sind und "dabei bleiben wollen" eingegliedert bleiben. Das unwürdige Rentnerdasein ist überwunden. Es werden wirklich nur noch diejenigen der Fürsorge durch die Gemeinschaft bedürfen, die wegen körperlicher oder geistiger Schwäche sich nicht selbst erhalten können. Wegen dieser Vorzüge wird die Eigenbedarfswirtschaft langfristig die Marktwirtschaft dadurch aufheben, daß sich niemand mehr findet, der in ihr arbeiten will. In diesem Sinne ist die Volkswirtschaft ein System des Wettbewerbs der Systeme. Ich bin also dafür, den Sozialstaat als eine menschenunwürdige Einrichtung zu liquidieren und eine solidarische Volksgemeinschaft an dessen Stelle zu setzen. SCHÖNHUBER: Wobei Sie auf den Arbeitsdienst hingewiesen haben, der übrigens keine nationalsozialistische Erfindung ist, sondern die Erfindung eines sehr klugen Wiener Juden. Die Kibbuzim sind nichts anderes als Arbeitsdienst.

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MAHLER: Das deutsche Arbeitsdienstmodell ist auch von Franklin D. Roosevelt im Rahmen des New Deal kopiert worden. Das muß man einfach mal wieder in Erinnerung rufen: viele Elemente der nationalsozialistischen Wirtschaftsordnung sind vom Roosevelt'schen "Gehirntrust" als New Deal in die USA importiert worden, allerdings ohne die Volksgemeinschaft, weshalb der New Deal auch nicht funktioniert hat. Die USA werden vom Amerikanischen Mythos - "jeder handelt auf eigene Faust und bringt es dadurch vom Tellerwäscher zum Millionär" - verschlungen werden. Wir werden da noch fürchterliche Sachen erleben. Nach dem calvinistisch-jüdischen Grundkonsens steht nur der Gewinner in der göttlichen Gnadensonne. Für die Verlierer ist in dieser Gesellschaft kein Platz. Schon heute vegetieren über eine Million USBürger - meistens Farbige - in Gefängnissen. Es werden immer mehr Gefängnisse gebaut. Immer mehr Menschen werden in den USA hingerichtet. Keiner weiß, wo das mal enden wird. Wir müssen da was dagegensetzen.

SCHÖNHUBER: Aber was? Diese Frage treibt mich um. Von den Parteien, auch den nationalen, ist wenig zu erwarten. Sie unterliegen zwei Strömungen, sowohl national wie auch internafinal. Die eine Strömung ist die verhängnisvolle, von den Streitigkeiten der Vergangenheit diktierte. Die Nationalisten der historisch zerstrittenen Liinder gleichen da bissigen Hunden. Die andere Richtung ist die Einstellung zum Amerikanismus. Die ist aber nicht einheitlich. So hat die postfaschistische Alleanza Nationale des Herrn Fini, der wirklich ein übler Bursche ist, eine zeitversetzte Kopie des Überläufers im Zweiten Weltkrieg, Marschall Badoglio, sich stets gemeinsam mit seinem Spießgesellen Berlusconi um die Gunst der Amerikaner bemüht. Die Alleanza akzeptierte den NATO-Überfall auf Serbien. Hier mögen auch noch historische Reminiszenzen eine Rolle gespielt haben, die Schwäche der italienischen Armee im Kampf gegen die Tito-Partisanen und deren grausame Rache an den Eindringlingen. Selbst Le Pen brauchte eine geraume Zeit, sich vom Amerikanismus zu lösen. Aufgrund der

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antikommunistischen Grundhaltung des Front National während des "Kalten Krieges", sah Le Pen in den Amerikanern ein Bollwerk im Kampf gegen den Bolschewismus. Deshalb war Le Pen auch sehr stolz, daß er zu einem Kongreß der Republikaner eingeladen und Ronald Reagan vorgestellt wurde. Meiner Forderung nach einem NATO-Austritt brachte er alles andere als Sympathie entgegen. Heute ist der Front National antiamerikanisch geprägt und verurteilt ohne Einschränkung den NATO-Schlag auf Serbien. Generell glaube ich, daß die europäischen Rechtsparteien mit Ausnahme der Serbischen Radikalen Partei unter ihrem charismatischen Führer, Dr. Seselj und dem Vlaams Blok sich in einer tiefen Krise befinden. Sie spielen auf der iberischen Halbinsel keine Rolle mehr, nicht mehr in Griechenland und schon gleich gar nicht in Skandinavien. Etwas undurchsichtig ist die Lage in den baltischen Ländern. Da sind die Übergänge zu konservativnationalen Parteien fließend. So paradox es klingen mag: Russlands Rechte sind die Linken und Ultralinken, also auch die Kommunisten. Der Politclown Schirinowski hat mehr oder minder ausgespielt. Die Schweizer Rechten unter Bioeher und die Österreichischen unter Haider lasse ich mal außen vor. Sie wollen ja keine Rechten sein. Und der Erfolg der serbischen undflämischen Rechten ist dadurch erkärlich, daß sie genau Zielvorgaben haben. Sie sind Volkstumskämpfer. Dr. Seselj istfür ein Großserbien und die Flamen sind für eine Zerschlagung des belgischen Staates: Flandem den Flamen. Zu den deutschen Rechtsparteien fällt mir wenig ein. Sie sind politisch kaum noch vorhanden und könnten von den kommenden Generationen als Sperrmüll entsorgt werden. MAHLER: Ich glaube, diese Rechtsparteien, über die Sie gerade gesprochen haben, sind gekennzeichnet durch den Mangel, daß sie das Parteienprinzip verinnerlicht haben und es gar nicht wirklich überwinden wollen. In Deutschland gibt es nur eine Rechtspartei, - die ich nach dem gebräuchlichen Zuordnungsverfahren übrigens für eine "linke" Partei halte - die anders zu beurteilen ist. Das ist die NPD. Sie ist auch eine Partei- zweifellos. Aber sie bedient sich der Parteiform lediglich aus taktischen Gründen. Ihre Kritik am 24

MAHLER: Landnahme schon im Kreißsaal Parteienstaat ist fundamental. Ich bin gespannt, ob sie sich mit diesem Widerspruch in sich weiterentwickeln kann. Ich vermute, daß sie dieser Spagat zerreißen wird. Und ich bin mit Ihnen der Auffassung, daß von den Rechtsparteien, die dem Parteienprinzip verhaftet bleiben, nichts zu erwarten ist. Gegenwärtig erleben wir in diesem Spektrum einen Boom von Parteigründungsinitiativen. Nach dem Wahlerfolg von Haider will jeder eine Deutsche FPÖ als Sammlungspartei gründen. Es ist zum Lachen. Aber es wird eine Bewegung aus dem Zentrum der Gesellschaft hervorgehen. Der Boden dafür ist bereitet. Wir haben ein drängendes Problem, dessen Konturen von Tag zu Tag klarer ins Bewußtsein der Deutschen treten: das ist die Überfremdung, insbesondere durch muslimische Völker, die sich mehr und mehr zu einer Umvolkung auswächst. Die meisten haben sich damit nur noch nicht befaßt. Sie wissen noch nicht, daß wir aufgrund der demographischen Entwicklung tatsächlich Gefahr laufen, innerhalb von nur 30 bis 50 Jahren zu einer Minderheit in unsrer Heimat zu werden. Wenn das begriffen wird, ist kein Halten mehr. Wir Deutschen haben immer weniger Geburten zu verzeichnen und es kommen immer mehr Fremde in unser Land. Und die Fremden, die hier schon sind, bekommen Kinder wie die Karnickel. Die Landnahme findet heute im Kreisssaal statt. Selbst, wenn wir die Grenzen dicht machen, werden wir majorisiert werden. Die Fremden brauchen gar nicht erst über die Grenze zu kommen. Ihr Anteil an der Wohnbevölkerung wird durch die, die schon da sind, ständig wachsen und politisch an Gewicht gewinnen, während wir eine ganze Weile noch schrumpfen werden. Daß die Deutschen weniger werden, ist ja gar nicht schlecht. Wir sind ja sowieso viel zu viele Menschen auf der Erde. Wir können

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auch mit 40 Millionen Deutschen unser wunderschönes Land hegen und pflegen. Die Umweltbelastung würde spürbar abnehmen. Ich sehe keinen Grund zu verzagen. Wenn der Crash der Weltfinanzen ausbleibt, wird die hier angesprochene Überfremdungsdynamik die Deutschen - und auch die anderen Europäer - in Bewegung bringen. Der Umbau unseres Gemeinwesens bringtwie eine Blinddarmoperation - notwendig viele unangenehme Begleiterscheinungen mit sich. Man begibt sich immer erst dann unter das Messer des Chirurgen, wenn der Leidensdruck so groß ist, daß der Heilungsschmerz dagegen als das geringere Übel erscheint. SCHÖNHUBER: Kreuzberg ist die viertgrößte türkische Stadt auf europäischem Boden.

MAHLER: Was das bedeutet an Realität, da sind ja selbst die Leute, die gar nicht genug Fremde hereinlassen können, langsam genervt. "So haben wir uns die multikulturelle Gesellschaft nicht vorgestellt", heißt immer öfter- jetzt sogar auch in Berichten der "taz". Wenn die türkischen Machos die deutschen Frauen anmachen in einer Weise, wie die das gar nicht mehr gewöhnt sind und das auch nicht akzeptieren, wird diese kulturelle Fremdheit zu einem Gift. Man ertappt sich dabei, wie man jetzt mehr als sonst auf alles Fremde mit Gereiztheit reagiert. Langsam steigt Wut auf. Das Lebensgefühl wird dumpfer. Bilder von Aufruhr und Vertreibung besetzen die Tagträume. Der Frieden des Wohnbereichs ist in Gefahr. Wenn es bei der Lösung dieses Problems menschlich zugehen soll, dann muß das jetzt auf die Tagesordnung gesetzt werden. Die Menschen müssen darüber reden dürfen, ohne Angst haben zu müssen, daß sie sofort mit der Auschwitzkeule erschlagen werden, wenn sie das auch nur ansatzweise thematisieren. SCHÖNHUBER: Da gerade von den Türken die Rede ist, möchte ich noch einen wesentlichen Punkt anführen, der beweist, wie das deutsche Volk bewußt verdummt wird, oder besser gesagt, im

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SCHÖNHUBER: Die deutschen Wurzeln werden ausgerissen Unklaren über mögliche traditionsbedingte und religiöse Konflikte im Zusammenleben mit ihnen gelassen wird. Ich möchte auf das Problem der Ehen zwischen Türken und Deutschen eingehen. Meine Frau ist Juristin. Sie war einige Zeit Türkeibeauftragte der christ-sozialen "Hanns Seidel-Stiftung", war mehrmals und für längere Zeit in der Türkei und hat sich besonders mit dem Problem der deutschen Frauen beschäftigt, die Türken geheiratet hatten. Von guten Ausnahmen abgesehen, die die schlechte Regel bestätigen, traf sie auf Probleme, die in den deutschen Medien gerne mit einem moralischen Schleier umgeben werden, der dem deutschen Schuldkomplex entspringt. Deutsche Frauen lernen Türken in Deutschland als Studenten, Austauschstudenten an Universitäten kennen, die sich bewußt westlich-modisch kleiden, aufgeschlossen für europäische Vorstellungen geben und gerne ihre toleranten Seiten hervorkehren. Nun wird geheiratet. Und ab geht's in die Türkei. Und zwar nicht nur in die Großstädte wie /zmir oder Istanbul, sondern auch in anatolische Dörfer. Und jetzt zeigt sich die Kehrseite der Medaille. Und die Frauen fallen aus dem Himmel des Verliebtseins in die Hölle der Realität. Eine davon betroffene Schriftstellerin hat die Situation einmal wahrheitsgetreu beschrieben. Das paßte nicht in das Klischee der deutschen Medien. Nicht selten zeigte sich jetzt der charmante und weltläufige Türke als ein Despot, der unter Umständen sogar verschwiegen hatte, daß er bereits eine, vielleicht sogar zwei Frauen hat, die ihm nach muslimischem Ritual, den sogenannten Imam-Ehen, angetraut worden waren. Die Familie verlangt von der europäischen Frau die völlige Unterwerfung unter die Dominanz des Mannes und die Ablegung europäischer Sitten. Jede Auflehnung wird brutal gebrochen. Und die Erziehung der Kinder erfolgt "türkisch". Die deutschen Wurzeln werden ausgerissen.

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MAHLER: Da braucht man gar nicht in die Türkei zu gehen. Das vollzieht sich hier auch in den Ghettos der Großstädte. Wurde die Ehe einer Deutschen mit einem Türken noch in relativ klaren Verhältnissen mit deutscher Dominanz geschlossen, ändert sich die Lage der Frau dramatisch, wenn das Ehepaar jetzt in ein türkisches Ghetto- in Berlin nach Kreuzberg oder in den Wedding - zieht. Plötzlich findet sich die Deutsche Frau in der Türkei wieder. Das Verhalten ihres Mannes ändert sich radikal. Er gerät - bewußt oder unbewußt - unter die Kontrolle seiner türkischen Umgebung mit ihren kultischen Erwartungshaltungen. Der Islam ist nicht die Privatsache der Muslime. Der Ehemann muß in der muslimischen Umgebung sein Gesicht wahren. Er muß nun dafür sorgen, daß sich seine Frau genau so verhält, wie sich im türkischen Kulturkreis Frauen eben zu verhalten haben, wenn sie dazugehören wollen. Ständig ist der Mann der Gefahr ausgesetzt, durch das andersartige Verhalten seiner Frau in der türkischen Gemeinde in sozialen Verruf zu geraten. Der Frau bleibt nur die Alternative: Anpassung oder Flucht. Und wenn sie das im Kreis ihrer Deutschen Freunde thematisiert, dann heißt es: "Du bist ja eine Rassistin" und "Schämst du dich denn nicht." "Du mußt doch Verständnis haben." "Du siehst das nur so." Das ist eine schlimme Unterdrückung. Diese wird von der politischen Klasse ignoriert oder gar geleugnet. Ich habe das Interview von Heinrich Albertz gelesen, das er kurz vor seinem Tode gegeben hatte. Er räumte ein zu wissen, daß "bis auf ganz wenige", er betonte das durch Wiederholung, "bis auf ganz wenige", die meisten Deutschen erwarten, "daß die Brüder wieder zurückgehen", die Ausländer, die Türken, die Asylbewerber. Und er fuhr sinngemäß fort: "Aber wir dürfen da keinen Schritt zurückweichen. Das Asylrecht darf um kein Jota beeinträchtigt werden." Ja, was macht der denn? Ist er ein demokratischer Politiker, der den Willen seines Volkes zur Geltung zu bringen hat? Oder ist er ein Vasall, der seine Aufgabe darin sieht, den Willen seines Volkes zu unterdrücken und zu verfälschen? Die in den Parteien des Machtkartells versammelte politische

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MAHLER: Wir haben auch die Möglichkeit Verbündete in Israel zu finden Klasse übt Verrat am Deutschen Volk. Das wird nicht vergessen werden. SCHÖNHUBER: Ich weigere mich auch nachzuvollziehen, was der Bundespräsident Rau gesagt hat, daß Kind und Kindeskinder, dritte - vierte Generation, quasi unverbrüchlich und ohne Kritik an Israel geschmiedet werden müssen, nur weil er das als seine zweite Heimat ansähe. Ich achte ja den israelischenAujbauwillen. Ich .finde, man soll auch einen Unterschied machen zwischen dem internationalen Judentum und den Israelis. Das ist nicht das gleiche. Was dort unten geschieht, ist bewundernswert in manchen Bereichen. Es hat sogar das Erscheinungsbild geändert. Das ist ein kriegerisches Volk geworden, das sich niemals mehr auf eine Schlachtbank führen läßt. Wie denken Sie darüber? MAHLER: Der israelische Staat ist der Untergang des Judaismus in seiner säkularen Form des Mammonismus. An Israel wird diese jüdische Vergötzung des Geldes zugrunde gehen, denn Israel wird auch nur als eine sich selbst bewußte Volksgemeinschaft überleben. Die Kibbuz-Bewegung war davon nur eine Vorform. SCHÖNHUBER: Sind sie Hoffnungsträger bei uns, die Israelis? MAHLER: Ja. Wir haben die Möglichkeit, Verbündete in Israel zu finden. Diejenigen, die die Gefahr der Islamisierung Deutschlands und Europas rechtzeitig erkennen. Ein islamisiertes Europa ist eine unmittelbare Bedrohung Israels. Ein Bündnis mit islamischen Ländern gegen Israel wäre die falsche Option. Wir werden der kulturellen Konfrontation mit dem Islam nicht entgehen. Die islamischen Staaten sind deshalb auf absehbare Zeit potentielle Feindstaaten der Europäischen Natio-

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MAHLER: Die guten Deutschen sind die Auschwitz-Deutschen nen. Den ersten handfesten Krach werden wir mit der Türkei haben, wenn wir daran gehen, die bei uns lebenden Türken - wie das Altbundeskanzler Helmut Kohl schon 1982 gefordert hat - in ihre Heimat zurückzuschicken. SCHÖNHUBER: Aber die entscheidende Frage ist und bleibt, hat das geschwächte und ausgeblutete Europa noch die Kraft, sich zwischen den Blöcken zu behaupten oder dem Islam zu widerstehen? Ich hoffe und wünsche es, kann aber meinen Skeptizismus nicht verhehlen. Und was die kulturelle Integration angeht...

MAHLER: Ich weiß gar nicht, was damit gemeint ist, was die kulturelle Integration heißen könnte. Es gibt Assimilation. Das gab es immer schon. Es gab immer schon im Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz die Möglichkeit, einzelne Fremde über den Weg der Assimilation als Deutsche aufzunehmen. Die naturalisierten Deutschen hat es immer gegeben. Also wenn man mal diesen Begriff "Kraft zur Assimilierung" akzeptiert, dann kann ich türkische Jugendliche zitieren, denen in der Schule von ihren Deutschen Lehrern gesagt wurde, daß sie jetzt Deutsche seien: "Wieso? Wollen wir das? Die Deutschen sind doch nichts. Die haben keinen Glauben. Die haben keinen Gott. Ich bin Türke, und das erfüllt mich mit Stolz. Was erwarten sie von mir? Ich bleibe Türke! Aber wenn sie mir einen deutschen Paß geben, na gern." Aber die lachen auch über uns. Sie halten uns für verrückt. Sie sagen: In der Türkei könnte das, was hier abläuft, nie geschehen. Kein Türke wäre bereit, seine Heimat fremden Völkern zu überlassen. Ja, sie nutzen die Möglichkeiten, die wir ihnen geben und lassen. Aber sie haben überhaupt keine Neigung, so zu werden wie wir. 30

Sie werden schließlich die "guten Deutschen" sein und wir sind die "Auschwitzdeutschen." SCHÖNHUBER: Wie wollen Sie dem begegnen?

MAHLER: Also das kann ich nur subjektiv beantworten. Ich war ja sehr intensiv engagiert und involviert in das, was man die 68er Bewegung nennt, auch in deren ideologische Konstrukte. Während der Haftzeit habe ich mich mit grundlegenden Schriften dieser ideologischen Bewegung, auf die sie sich auch berufen, befassen können, mit Marx, aber eben auch entscheidend mit Hegel. Marx beruft sich ja sehr stark auf Hegel. Dabei ist mir klargeworden, daß dort unsere Kraft ist. Wir nehmen uns anders wahr, wenn wir diesen philosophischen Gedanken der Volksgemeinschaft aufgreifen. Deswegen: Schönhuber sagt ja auch, "Wir sollten Hegellesen." Das bedeutet nicht, daß jeder Bürger jetzt ein Regelstudium absolvieren muß. Aber die Eliten, wenn sie's denn sein wollen, werden sich intensiv damit befassen müssen. Wir brauchen diese am Hegeischen Denken - und in Kombination damit: an der Marx'schen Kritik des Mammonismus- geschulte geistige Elite. In diesem Denken ist die Kraft vorhanden, die eine Neue Welt erbauen wird. Diese Kraft habe ich an mir selbst wahrgenommen, wie es durch sie möglich wird, Positionen wieder zu erringen, die vorher völlig außerhalb jeglicher Betrachtung lagen. SCHÖNHUBER: Herr Mahler, Hege[ hat auch was anderes gesagt. Wenn ich mich jetzt richtig erinnere, daß nämlich jedes Volk oder jede Nation nur einmal eine große Chance hat und diese nicht mehr wiederholbar ist. Das hat die Geschichte bewiesen. Es gab kein zweites Römisches Reich. Es gibt jetzt kein zweites englisches Weltreich. Was die Regenerierbarkeit Deutschlands angeht, bin ich skeptischer als Sie. Insofern bin ich zwar auch ein Hegelianer. Aber ich komme von einer anderen Richtung auf ihn zu, wie jetzt Sie vielleicht. Sie setzen andere Wertungen, andere Gewichtungen. 31

MAHLER zu Hegel: Jedes Volk, das eine geschichtliche Bedeutung erlangt, steht für ein geistiges Prinzip

MAHLER: Aber Sie bestätigen das eigentlich, denn: Deutschland hatte seine Zeit noch nicht. Das Deutsche Zeitalter liegt noch vor uns.

SCHÖNHUBER: Das ist eben die Frage. Schauen Sie, wir hatten ein unglaublichen Aufschwung. Wir gewannen den 70er Krieg. Vorher gewannen wir, das heißt die Preußen, gegen die Österreicher und noch vorher gegen die Dänen. Und wir schufen das von Ihnen nicht jetzt zitierte, seit 1871 existierende Deutsche Reich mit einem Kaiser unter Bismarck. Und dann, in einem mörderischen Kampf im Ersten Weltkrieg widerstanden ja die Deutschen praktisch der ganzen Welt mit einer Tapferkeit der deutschen Soldaten, die unvergleichlich ist, aber umsonst: Das war vielleicht schon der zweite Versuch. Und der dritte Versuch war HitZers großgermanisches Reich, ein hybrides Unterfangen. MAHLER: Also erstens: Vielleicht vertiefen Sie das etwas. Dann würden wir nämlich zusammenkommen. In der Tat, er hat gesagt, da ist nur einmal die Chance. Jedes Volk, das eine geschichtliche Bedeutung erlangt hat, steht für ein bestimmtes geistiges Prinzip, in dem eine bisher nicht dagewesene Stufe in der Entwicklung des Bewußtseins der Freiheit verwirklicht ist. Das spezifisch Deutsche, das ist das, was in der deutschen Philosophie an Freiheit herausgedacht ist. Insbesondere in der Regelsehen Philosophie. Was die Deutschen Philosophen mit ihren Werken vorgelegt haben, ist aber erst das Samenkorn der Neuen Welt, die Eichel. Daraus muß jetzt die Deutsche Eiche hervorwachsen. Die von Ihnen aufgezählten Stadien, die der Keimling bisher durchlit32

ten hat, wurden realisiert im Erdreich der Alten Welt, die ihm hier vielfaltige Widerstände entgegengesetzt und ihn dadurch deformiert hat. Das Leben des Hegeischen Begriffs verläuft genau nach diesem Gleichnis: Das Neue ist zunächst nur die schlichte V erneinung des Alten. Aber gerade dadurch hat das Neue auch das Alte noch an sich, dieses ist daher noch nicht überwunden. Das Alte mobilisiert die ihm noch verbliebenen Kräfte gegen das Neue, um sich in der Macht zu erhalten. In diesem Kampf droht das Neue zu unterliegen. Dazu kommt es aber nicht, weil das Alte, um sich zu behaupten, im Endstadium seines Siechtums selbst Anleihen bei dem Neuen macht, dessen wesentliche Momente als seine eigenen ausgibt, wodurch es seine Legitimation endgültig einbüßt. Jetzt erst trägt das Neue den endgültigen Sieg davon. Das Alte tritt endgültig ab. Hegel sagt: erst als Negation der Negation erlangt das Neue affirmatives Sein, das in sich ruht. Wir erleben gegenwärtig, daß sich das Neue aus seiner scheinbaren Niederlage gerade erst erholt. Der Amerikanismus als die letztgültige Gestalt des Jüdischen Prinzips der Trennung des Menschen von Gott, des Individuums von seinem Gemeinwesen, damit der Vemeinung der Volksgemeinschaft, ist noch vorhanden. Diese Gestalt ist jetzt geistig zu überwinden. Hegel meint, das Unwiederholbare und Einmalige bestehe darin, daß ein Volk sein Prinzip voll ausarbeitet und als eine Welt zur Darstellung bringt. Erst wenn diese Welt steht, hat es seine historische Aufgabe erfüllt. Das Deutsche Prinzip ist das Selbstbewußtsein des Begriffs, in dem jeder Teil des Ganzen auch das Ganze selbst ist (in jüngster Zeit sind uns die geklonten Kälber und Schweine als Bild dieses Verhältnisses geschenkt worden: jede Körperzelle ist der Ganze Körper und kann als solcher auch zur Erscheinung gebracht werden). Jeder Mensch ist als endlicher Geist ein Teil des absoluten Geistes, der als das Ganze alle Teile in sich durchdringt und beseelt. So ist jeder endliche Geist (Mensch) selbst das Ganze, also Gott und sein konkretes Dasein als Volk. Dieser Gedanke kommt langsam zu Bewußtsein. Die Gemeinschaft ist so wichtig wie der Einzelne und umgekehrt ist der Einzelne so wichtig wie die 33

Gemeinschaft. Das ist die Freiheit, die sich für den Einzelnen im Ganzen verwirklicht. Ich sagte: Das Neue hat als schlichte (erste) Verneinung des Alten dieses eben darum noch an sich. Im Hitlerismus zeigte sich dieses Verhältnis darin, daß die Volksgemeinschaft noch nicht als "spekulativer Begriff" , als Geist, gefaßt war, sondern als etwas Naturhaftes, durch biologistisch aufgefaßte Rassemerkmale Bestimmtes. Die Folge davon war, daß die Überwindung des Alten, des Jüdischen Prinzips (Trennung von Gott und Mensch) und des darin wurzelnden "wissenschaftlichen" Weltbildes, nicht als ein geistiger Prozeß verstanden wurde, sondern als chirurgischer Eingriff in das Biosubstrat des Deutschen Volkes, aus dem der Jüdische Mensch ausgemerzt werden sollte. Das war das Verhängnis. Was das "wissenschaftliche" Weltbild mit dem Jüdischen Prinzip (Trennung von Mensch und Gott) zu tun hat, sollte ich vielleicht erläutern: Das "wissenschaftliche" Weltbild kommt ohne Gott aus. Es macht sich anheischig, alles erkennen zu können, ohne auf den Gedanken zurückgreifen zu müssen, daß Gott ist. Es ist damit die gedanklich und real durchgeführte Trennung des Menschen von Gott. Francis Bacon hat im 13. Jahrhundert das Programm formuliert. Die empirischen Wissenschaften sollten die Kräfte der Natur bändigen, um durch deren Indienstnahme das "regnum hominis"- das Reich des Menschen- zu errichten. Genau das ist geschehen. Nur ist das Reich des Menschen nicht das auf die Erde geholte Paradies, wie Bacon meinte, sondern die Hölle. Blaise Pascal verdanken wir den Hinweis, daß das "wissenschaftliche" Weltbild auch eine Religion ist- eine Anti-Religion. Denn sowenig wir beweisen können, daß Gott ist, sowenig ist das Gegenteil, daß Gott nicht ist, beweisbar. Der Grund dafür liegt darin, daß Gott dem Begriffe nach das schlechthin Unbeweisbare ist. Beweisen nämlich heißt: Aus einer als gültig erkannten Tatsache A durch logisches Folgern auf eine Tatsache B zu schließen, die dadurch gleichfalls als gültig anerkannt werden muß. B hängt also von A ab. Nun ist dem Begriffe nach Gott das Absolute, d.h. von nichts abhängig, das nicht er selbst ist. In ihm läßt sich also 34

das für einen gültigen Beweis vorausgesetzte Abhängigkeitsverhältnis zwischen A und B nicht herstellen. Daß Hitler versucht hat, im Kampf gegen die Alte Welt ein biologistisch-also naturwissenschaftlich- bestimmtes Menschenbild mit Terror und Gewalt und Menschenvernichtung zu verwirklichen, ist ein Widerspruch in sich und mußte die Volksgemeinschaft in jene Niederlage führen, aus der es fast keine Erholung mehr gab. Und das ist die Lehre, die wir aus dieser Entwicklung zu ziehen haben: daß die Belebung des Gedankens der Volksgemeinschaft, so wie er auch bei Hegel entwickelt ist, nur in einem rein geistigen Äther möglich ist, frei von allen Vernichtungsvorstellungen und frei vonjeglicher Verneinung anderer Völker.

SCHÖNHUBER: Da muß ichjetzt wirklich, wie man das so als guter Deutscher tut, mit Goethe oder in diesem Falle auch mit Faust antworten "Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube." MAHLER: Mir eben nicht.

SCHÖNHUBER: Ja, das ist der Unterschied. Es sind ja Reiche entstanden, ohne daß wir von ihnen Notiz genommen haben. Napoleon hat mal gesagt "Laßt China schlafen." In einer Vorahnung, was dortfür Kräfte stecken. China ist erwacht. China ist jetzt die zweite Weltmacht, hat eine unglaubliche Expansion, hat ein intellektuelles Potential, hat ein militärisches Potential. Jetzt stellen Sie sich das kleine ausgeblutete, erschöpfte deutsche 60-Millionen- Volk vor. Glauben Sie denn, daß da noch einmal es denkbar ist, daß dieses Volk Mitteleuropas, auch biologisch erschöpft, wie ich meine, die Chance hat, ein Reich in dem Sinne, wie es Hege/ gemeint hat, zu werden? MAHLER: Ich meine es nicht als Imperium so wie das römische Imperium, sondern als eine geistige Macht -, allerdings eine Macht, die - zum Beispiel - sich jetzt auch auf China erstreckt. Die Chinesen sind ja im 20. Jahrhundert aus ihrem Geschichts35

schlummererwacht mit dem Bedürfnis nach Freiheit als Nation, aber auch - das liegt in der von Marx geprägten kommunistischen Ideologie - mit dem Bedürfnis nach Freiheit für den Einzelnen. Das ist ja vielleicht überhaupt die positive Leistung der kommunistischen Bewegung in China, daß die Chinesen jetzt auch den Wert des Menschen erkennen, des Individuums und die personhafte Berechtigung jedes einzelnen. Das hier dargestellte Prinzip der Volksgemeinschaft hat jetzt doch auch für sie Ausstrahlungskraft Sie werden das jetzt - auf ihre Weise - übernehmen und in ihre Kultur integrieren. Das eröffnet die Möglichkeit des friedlichen Ausgleichs mit allen anderen Völkern. Die Chinesen sind ja von Hause aus immer relativ friedlich gewesen. Sie waren das Reich der Mitte. Sie haben nie irgendwelche Eroberungszüge über diese Mitte hinaus unternommen. Warum sollen sie jetzt mit ihrer Volkskraft ein Terrorregime, ein Unterdrückungsregime weltweit etablieren wollen? Mit denen kommen wir, glaube ich, sehr viel besser aus als mit den Ostküstenkräften der USA. SCHÖNHUBER: Die Frage bleibt im Raum: Gibt es bei uns noch Elemente, die letztlich auch eine gewisse Sprengkraft gegen den Materialismus der Amerikaner hätten? Noch sind wir einsame Rufer in der Wüste. Wo sind Quellen, aus denen wir schöpfen können? Oswald Spengler fällt mir in diesem Zusammenhang ein.

MAHLER: Genau das ist es. Und die Aufgabe besteht eben darin, das innere Reich zu einem äußern zu machen, genau mit diesem Selbstverständnis. Es kommt wirklich darauf an, daß wir uns anders erfassen als bisher. Wer sind wir? Das ist die entscheidende Frage. Alles das, was heute als Dekadenz in Erscheinung tritt, führt uns vor Augen, daß wir so, wie wir jetzt sind, nicht bei uns selbst sind. Wir sind verloren, wir schmoren in der Hölle, wenn wir meinen, wir können als Einzelwesen mit unseren Ellbogen uns ein Leben sichern und ein Leben zufrieden führen, wenn wir nicht die Rückbindung in das Ganze haben. Und das ist genau die Situation. Diese Zivilisation des Amerikanismus ist am Ende. 36

SCHÖNHUBER: Bukarest 1953 -Mein Damaskus-Erlebnis Darüber reden wir den ganzen Tag. Das begreifen heute auch ganz einfache Leute, die sich nie mit Philosophie befaßt haben. Die Aufgabe der intellektuellen Schichten unseres Volkes ist es, diesen Gedanken weiter zu entwickeln. Natürlich ist die Einzelperson immer Mittelpunkt der Welt. Jeder ist sein Mittelpunkt. Das sagt auch schon die Relativitätstheorie der Physik. Aber wir sind Mittelpunkt nur als Teil, als Atom eines Ganzen, unsere ganze Lebenskraft, unsere ganze Seinsweise, wie wir fühlen, wie wir denken, wie wir lieben, wie wir fürchten und lachen, ist bedingt durch einen Geist, der als Volksgeist konkret vorhanden ist, der uns trägt, in den wir hineingeboren werden. Darüber entscheiden wir nicht. Das ist das, was wir mitbekommen, wie die Mutter uns die Sprache beibringt, welche Anklänge mit einem Wort - positiv oder negative - verknüpft sind. Alles das sind Dinge, über die wir nicht entscheiden. So sind wir Kinder unserer Zeit, in die wir hineingeboren werden, und Glieder des Volkes, das diese Kultur und diese Art zu leben und das Leben zu erleben aus sich herausgearbeitet hat. SCHÖNHUBER: Also mir liegt schon eine ganze Zeit eine Frage aufder Zunge: Wie und wann kamen Sie zu Ihrenjetzigen Erkenntnissen? Gab es so etwas wie ein Damaskus-Erlebnis? Ich hatte mein Damaskus-Erlebnis 1953 in Bukarest bei den kommunistischen Weltjugendfestspielen. Bis dorthin glaubte ich auch an bestimmte Heilsideen marxistischer Provenienz, von mir aus sogar kommunistischer Provenienz, bis ich die Realität sah in Bukarest zwischen Schein und kommunistischem Sein. Auf der einen Seite verfressene Bonzen, das muß man so deutlich sagen, auf der anderen Seite ein hungerndes und unterdrücktes Volk. Von dem Zeitpunkt an war ich, sollte ich jemals anfällig gewesen sein, geheilt. Wie war das bei Ihnen? Damals 68 standen wir sicher 37

nicht auf der gleichen Barrikade, sondern wir standen auf unterschiedlichen Seiten, ich will nicht sagen gegnerischen Seiten. Da würde ich übertreiben. Aber ich würde nicht sagen, daß wir gemeinsam durchs Brandenburger Tor damals marschiert wären. Wo war nun Ihr Damaskus-Erlebnis? Wo warder Punkt, wo sich Mahler von seinen früheren Überzeugungen löste, zumindest zu einem Teillöste?

MAHLER: Ich habe so meine Schwierigkeiten, diesen Begriff auf mich zu beziehen. Ich habe nichts als "Damaskus-Erlebnis" in Erinnerung. Klar: wenn sich Erfahrungen türmen und die Umstände sich radikal verändern - Zusammenbruch des Sowjetblocks - findet man sich plötzlich in einer ganz veränderten Umgebung wieder, in der man lebt und denkt. Wenn ich so etwas wie ein DamaskusErlebnis gehabt habe, dann in der Haft bei der Lektüre von Hegel. An ihm ist mir klar geworden, daß die Lösungskonzeption, die Marx, insbesondere aber Lenin, aus der marxistischen Analyse der bürgerlichen Gesellschaft abgeleitet haben, einseitig und abstrakt negativ ist und deshalb dem Wesen des Menschen nicht entspricht und deshalb in die Katastrophe führen mußte. Es kann nach der Hegeischen Logik nicht sein, daß man ein Moment des widersprüchlichen gesellschaftlichen Prozesses, hier die Klasse der Produktionsmitteleigentümer durch Revolution - gewaltsam - gesellschaftlich liquidiert, d. h. ihnen das Eigenturn an den Produktionsmittel nimmt, um sie in gesellschaftliches Eigenturn zu verwandeln, in der Annahme, das könnte funktionieren. Das ist im Hegeischen Sinne eine abstrakte Negation, etwas das in der Wirklichkeit nicht funktionieren kann. Und das hat sich historisch gezeigt. Bei Hegel lösen sich Gegensätze anders. Die widersprüchlichen Momente finden danach eine Bewegungsforrn, in der jedes Moment sich erhält und der Widerspruch das Ganze nicht zerstört. Genau das ist in der Vorstellung von einer Volkswirtschaft, die von einer sich selbst bewußten Volksgemeinschaft getragen und geordnet wird, enthalten: freies Unternehmertum, in diesem Sinne produktiver Kapitalismus ja, soweit wie möglich. 38

Ein Mädchen aus seinem )Haremc soll Mahler an die politische Polizei verraten haben

Zwei Kriminalbeamte führen die MahlarGenossin Brigitte Asdonk ab. Auch sie ging in die Falle

Festgenommene Monika Berberich

Festgenommene lngrid Schubert

Horst Mahlers schwarze Per ücke, seine spanische 9-MI//imeterPisto/e vom Typ »Liama« Especial mit Magazinen und Patronen

Aus "stem"-Dokumentation zum Fall Mahler

Kaufhausbrandstifterin Enßlin vor ihrer Flucht in einem Sexfilm

Flüchtling Mahler

Flüchtling Meinhof

Flüchtling Baader

Hawatmeh-Freischätler, die die Flüchtlinge aufgenommen haben »Wir hatten noch nie so gesprächige Gäste«

Und dort wo er versagt oder die sittlichen Grundlagen des Gemeinwesens beschädigt, greift die Gemeinschaft ein und sichert die Lebensgrundlage ihrer Mitglieder über freiwilligen Arbeitsdienst, Eigenwirtschaft usw. Aber ist diese Einsicht ein Damaskuserlebnis? Bin ich vom vermeintlichen Verfolger der "Rechten" zum Apostel ihres Glaubens geworden? Ich kenne die fatale Neigung, immer Recht behalten zu wollen. Die ist bei den "Rechten" ebenso ausgeprägt, wie bei den "Linken". Dieser Impuls verwandelt gedankenlos jedwede Hinwendung eines ausgewiesenen "Linken" zu einem notorischen "Rechten" für diesen in eine Bestätigung, daß er historisch Recht behalten und der "Linke" daskrafteines "Damaskus-Erlebnisses" endlich eingesehen habe. Nun, ich will niemandem diese Freude nehmen. In meiner Selbstwahrnehmung allerdings stellt sich dieser Prozeß als Ausdruck des Aufeinanderwirkens der in beiden Positionen "rechts/links"- gleichermaßen waltenden Widersprüche dar. Verrückt wird das Ganze allerdings dann, wenn sich die Anhänger des "linken" Lagers die durchaus schmerzhafte Wahrnehmung dieser Dialektik dadurch ersparen wollen, daß sie den grüblerischen Genossen verstoßen, indem auch sie in ihm jetzt einen Apostel des "rechten" Glaubens sehen und entsprechend verketzern. Beiden fehlt der Gedanke, daß ich mich zwischen alle Stühle gesetzt haben könnte und das genau der Ort ist, an dem sich die Deutschen, die es noch sein wollen, demnächst versammeln werden.

SCHÖNHUBER: Gut. Jetzt habe ich aber noch eine weitere mich persönlich tangierende Frage oder auch Sie. Ich habe in meiner Entwicklung, insbesondere bei meinem Sturz keine Solidarität erfahren von meinen ehemaligen Kameraden, oder Kollegen. Haben Sie während Ihrer Haftzeit eigentlich Solidarität von Ihren ehemaligen Mitstreitern erfahren? MAHLER: Ja, aber nur bis zu dem Punkt, wo ich angefangen habe, sie zu kritisieren. Das ist aber eine Erfahrung, die wir in jenen 41

MAHLER: Persönliche Beziehungen liefen bei den 68ern über ideologische Gleichspurigkeit MAHLER: Mit Schily gab es keine Differenzen turbulenten Zeiten immer wieder machen mußten: Freundschaften, persönliche Beziehungen liefen im Kreis der 68er immer über ideologische Gleichspurigkeit. Und wenn man aus der Spur gesprungen ist, war man auch aus den menschlichen Beziehungen raus. Das hat zunächst erst mal weh getan, hat dann aber auch zu einem Erkenntnisprozeß geführt. Na ja, damit bin ich irgendwie umgegangen. SCHÖNHUBER: Aber ich habe, glaube ich, von Ihnen eifahren, daß z. B. Ihr ehemaliger Kompagnon Schily sich eigentlich, ich sag mal in Anführungszeichen normal verhalten hat. MAHLER: Also Otto Schily war ja nicht in dem Sinne Genosse. Wir rechneten ihn zu den "liberalen Scheißern". Das war unser Ausdruck für jene "bürgerlichen Elemente", die am Kapitalismus festhalten, ihm allerdings "ein menschliches Antlitz" verleihen wollten. Aber wir mochten ihn sehr. Und er hat sich absolut loyal verhalten. Wir hatten ein sehr gutes freundschaftliches Verhältnis. Aber er stand nicht in der Loyalität eines Gesinnungsgenossen, weil er offen eine andere Position, eine liberalistisch-bürgerliche vertreten hatte, uns auch immer kritisiert hat, aber freundschaftlich. Da war es möglich, Beziehungen menschlicher Art aufzubauen, die dann eben nicht gefährdet waren, als sich herausgestellte, daß ich das Konzept der RAF nicht weiter mittragen wollte. Er war nach wie vor ein engagierter Verteidiger und ein zuverlässiger Freund. 42

SCHÖNHUBER: Das gilt bis heute?

MAHLER: Das gilt bis heute. Wir haben jedenfalls keine persönlichen Differenzen gehabt. SCHÖNHUBER: Anders bei Schröder, ja?

MAHLER: Nö, wir haben auch keine Differenzen gehabt. Wir haben nur keinen Kontakt mehr. Ich habe auch jetzt keinen Kontakt zu Schily. Das hat sich so ergeben. Aber wir haben uns nicht gestritten und ich habe ihm im Persönlichen nichts vorzuwerfen. Ich weiß nicht, ob er mir was vorzuwerfen hätte. Er ist jedenfalls ein arme Sau. Er kann sich nicht erlauben, zu sagen, was er denkt. Da bin ich besser dran: ich sage, was ich denke und jeder kann meine Gedanken kontrollieren- durch Nachvollzug.

Otto Schily als Verteidiger im HorstMahler-Prozess 1969. Im Vordergrund Axel Springer als Zeuge.

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SCHÖNHUBER: Wir sollten uns an dieser Stelle über Begriffe wie "Vision" und "Utopie" unterhalten. Wie sah Ihre Vision konkret aus? MAHLER: Wir hatten ja eine Vision: die Vorstellung einer sozialistischen Gesellschaft, die zum ersten Mal eine menschliche sein sollte. "Utopie" ist hier der treffendere Ausdruck. Heute bin ich ein scharfer Kritiker dieses Denkortes "Utopie". Utopie heißt ja "nirgendwo". Im Arsenal einer politischen Bewegung ist die Utopie etwas Bedrohliches. Sie rechtfertigt die schlimmsten Verbrechen. Sie heischt nach Unterwerfung der Gedanken und Gefühle. Als Ort ist sie das selbstgewählte Gefängnis, ein Vorschein der in ihr schlummernden künftigen Despotie. Dieser Utopismus hat ja auch 1968 ziemlich tiefe Spuren hinterlassen. Viele SDSler haben sich umgebracht. Allgemein: Die Utopie vergewaltigt die Gegenwart und die in ihr Lebenden. Vor ihr erscheint alles, was ist, als nicht wert, daß es ist. Im vor-utopischen Sein ist alles Leben verfehlt, das sich nicht dem utopischen Streben verschreibt. Mench oder Schwein, ein Drittes gibt es nicht auf dem Weg nach Utopia. Das war die Losung der RAF. Ich habe heute ein ganz anderes Verhältnis zum Leben. Darüber sprach ich bereits. Ich betrachte es nicht als ein Versprechen oder als die Verheißung irgendeiner Erlösung. Das Leben bedarf keiner Rechtfertigung. Und als Lebender bedarf ich keiner Erlösung. Ich genieße das Leben als Aufgabe und Herausforderung. Mir ist Leben eine ewige Aufgabe und Herausforderung, das zu werden, was ich an mir schon immer bin: Mensch als Ebenbild Gottes. Das ist keine Vision, sondern eine Tatsache. Das ist vielleicht im persönlichen Bereich die wichtigste Differenz zum Amerikanismus. Dessen höchster Wert ist "the pursuit of happiness" (das persönliche Streben nach Glück). Das Glück aber reitet immer auf dem Rücken der Akte (Max Scheeler). Wer es zum Ziel erklärt und danach strebt, wird mit Sicherheit unglücklich. Jeder kennt dieses Verhältnis: Wenn ich mich zum Schlafen niederlege mit dem Gedanken: "Du mußtjetzt einschlafen", verscheuche ich den Schlaf. 44

Und was wären Visionen anderes als Zielbestimmungen des Strebens nach Glück? Utopismus bzw. Visionarismus in der Politik sind Gedankenmanipulatoren erster Ordnung und als solche Werkzeuge der Demokratie, die - ich sagte es bereits - auf Täuschung, Lüge und Korruption gegründet ist. Ich sage: jeder Mensch ist ein Gehilfe Gottes im Prozeß der Bewußtwerdung Gottes, wer er ist. Darin liegt das Glück. Von kirchlicher Seite ist mir deshalb Gotteslästerung vorgeworfen worden. Darauf erwidere ich: Diejenigen, die meinen, Gott wenn es ihn gibt - sei von Anfang an vollkommen und fertig, der lästert Gott: denn dann wäre die Welt nur ein Spiel, um dem Alten die Langeweile zu vertreiben. Er könnte es auch lassen. Auschwitz, Dresden, Hiroshima- ein Zeitvertreib Gottes? Mir wird dann auch entgegengehalten, Gott sei im Anfang sehr wohl schon der Vollendete, Alleswissende, allerdings habe sich der Mensch im Sündenfall von Gott abgewendet. Das gottlose Tun des Menschen sei nur das Böse, Gott hingegen ist nur gut. Dem Menschen könne aber vergeben werden. Die Sache hat nur einen Haken: Der Mensch ist damit nicht als notwendig gesetzt, seine Existenz nicht gerechtfertigt . "Wozu Mensch überhaupt?" (Nietzsche). Also wäre er doch nur ein Zeitvertreib für Gott. Und wäre dieser nicht der Ohnmacht überführt, da er die unschuldigen Kinder in Dresden und Hiroshima vor dem Bösen Treiben der Sünder nicht schützen konnte? Oder wollte er das nicht? Gott hätte zudem grob fahrlässig gehandelt, indem er den Menschen mit eben diesem Mangel erschaffen hätte, über Unschuldige mit Mord und Totschlag, Folter und Erniedrigung herfallen zu können. Müßte man ihn nicht für seine sündhaften Geschöpfe in Haftung nehmen? Wäre Gott im Anfang vollkommen, hätte er den Sündenfall des Menschen vorausgesehen und - weil er nur gut sei - von seiner Schöpfungstat Abstand genommen, um Auschwitz, Dresden und Hiroshima zu verhindern. usw. usf. Gott ist selbst in sich dieser qualvolle Prozeß, daß er sich als Welt auseinanderlegt, um in ihr sich selbst zu erkennen. Und wir sind 45

als geistiges Moment dieser Welt bestimmte Gedanken Gottes oder Gott-Atome. Als solche sind wir frei, das zu wählen und zu sein, und das zur Existenz zu bringen, was Gott eigentlich nicht ist. Das ist das Böse. Und indem wir es verwirklichen, wird es uns als das Böse, als Verneinung unseres göttlichen Wesens, bewußt, denn in diesem Augenblick des Abfalls von Gott spricht das Gewissen - die Stimme Gottes - zu uns. So erscheint das Böse oder das Teuflische in der Welt als die Kraft, an der sich Gott zu sich selbst abstößt. Das Böse ist das Abstoßende. So kennen wir es. Und in diesem Prozeß finden wir uns. Jeder hat die Stimme des Gewissens in sich. Das Glück ist dann die Erfahrung, daß wir in unserem Handeln (die Scheler' sehen Akte) der Versuchung widerstanden haben und bei uns selbst angekommen sind. Gott ist also nicht von Anfang an fertig. Er ist zwar schon im Anfang Alles (Alpha et Omega). Aber Alles ist noch eingehüllt und noch nicht im Selbstbewußtsein Gottes vorhanden, noch nicht erkannt. Er ist es schon, aber er weiß es noch nicht von sich. Was an sich ist, muß aber auch für sich werden (Regel). Zeit und Raum sind- wie jetzt auch die relativistische Physik erkannt hat- an sich das Nichtige. Kant hatte das auf andere Weise schon vorher herausgefunden. Nach ihm hat es Regel noch tiefer einsichtig gemacht. Merkwürdigerweise singen davon auch schon die Psalmen: "Vor Dir sind zehntausend Jahre wie ein Tag." Hier bewegen wir uns auf dem Boden der Geschichte, die ja der Fortschritt des Geistes (Gottes) im Bewußtsein der Freiheit ist. Und Politik ist Geschichte im Werden. Durch die Geschichte erkennt der Geist, daß nur er ist und er zugleich Alles ist, also nicht von einem Anderen abhängt, der nicht auch er selbst ist. In der Denkform "Visionen" bzw. "Utopie" liegt, daß die Welt nicht so sein soll, wie sie ist. Und das ist der Irrtum. Die Welt ist das Dasein der Vernunft. "Die Vernunft ist wirklich und das Wirkliche ist vernünftig." (Regel) Angesichts des in der Welt vorfallenden Grauens, ist dieser Satz vom Härtesten, was sich das Denken zumuten kann. Aber in ihm liegt nach Auschwitz der Schlüssel zur nationalen Befreiung der Deutschen.

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SCHÖNHUBER: Ich bin für die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht SCHÖNHUBER: Also das ist eine hoch interessante philosophische Erklärung. Ich hätte da Probleme, weil ich sehr atheistisch geprägt bin und mit der Existenz Gottes per se Schwierigkeiten hätte. Aber das würde zu einem langen, langen Streitgespräch führen. MAHLER: Ein bißchen sollten wir darüber streiten.

SCHÖNHUBER: Mit unterschiedlichen Visionen. Ich habe eine vielleicht nachvollziehbare Vision. Das ist der, ich nenne es mal so, der Gesinnnungspazifismus. Ich erinnere mich an eine Zeit, in der Franz Josef Strauß gesagt hatte: "Wer je wieder einen Schießprügel in die Hand nimmt, dem gehört der Arm abgeschlagen," oder er hat gesagt: "Dem soll der Arm abfallen. "Aber das läuft nahezu aufs Gleiche hinaus. Ein paar Jahre später war er Verteidigungsminister und ich weigerte mich, als Reporter im Bayerischen Rundfunk von einer Schießveranstaltung zu berichten. War ein bißchen blauäugig. Ich hatte die Haltung von Strauß verinnerlicht, wußte damals noch nicht, daß in der Politik das Wort vonAdenauer gilt: "Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern." Mich dagegenfaszinierte Bertha von Suttners Satz: "Die Waffen nieder!" Das gilt im globalen Maßstab für mich noch heute. Ich weiß, daß dies eine Illusion ist, kenne auch die Gefahren dieser Haltung und versuche ihnen durch einen konkreten Vorschlag zu begegnen, die nicht nur meine, sondern auch die Gewissenskonflikte vieler Menschen in diesem Lande lösen könnte. Also, sagen wir es offen: Ich binfür die Abschaffung der Allgemeinen Wehrpflicht. Wenn schon nach heutigen Zwängen es immer noch ein Militär geben muß, dann votiere ich für ein Berufsheer. Wer Söldner ist, der weiß warum. Er entscheidet sich für andere Krite-

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SCHÖNHUBER: Gerechte Kriege gibt es nur für Sieger rien. Für ihn zählt nicht das Gewissen, sondern eine professionelle /..jjsung der ihm übertragenen Aufgaben. Und dafür trainiert er. Töten gehört zum Geschäft. Der Söldner muß allerdings einer starken politischen Kontrolle unterwoifen werden. Deshalb halte ich die ganzen Auseinandersetzungen, wie die um die Wehrmachtsausstellung,für sekundär. Aber um Mißverständnisse auszuschalten: auch ich wende mich aufs Schäifste gegen die Kriminalisierung der Wehrmacht und der Waffen-SS. Aber es geht nicht allein darum, auf welcher Seite mehr oder weniger Schuld zu finden ist; wir sollten sagen; schuld ist der Krieg an sich. Die Kriege sind's, die geächtet werden müßten. Für mich gibt es keinen gerechten und keinen ungerechten Krieg. Es gibt nur Kriege. Den gerechten Krieg nehmen immer die Sieger für sich in Anspruch. Nach der Geschiehtschreibung in ihren Ländernführten die Muselmanen gerechte Kriege, aus europäischer Sicht die Christen. Und jeder berief sich auf seinen Gott oder seinen Propheten. Übrig blieb und bleibtjedoch die Fratze Krieg schlechthin. Diese Deutung ist natürlich sehr umstritten, besonders bei den deutschen Rechten. Die können damit kaum etwas anfangen. Ihre Ablehnung erstreckt sich vom Vorwuifdes Defaitismus bis hinzum Verrat. Mich stört das nicht. Ich glaube, daß die Vision eines einzelnen Menschen zur Realität einer Gesamtheit werden kann. Man denke neben anderen herausragenden Persönlichkeiten an Gandhi. Letztlich wurde das britische Weltreich durch den von ihm proklamierten gewaltlosen Widerstand entscheidend geschwächt. Gandhi sagte an die Adresse der Kolonialherren: Für mich gibt es Euch nicht mehr. Ihr seid für mich Luft. Aber als die Engländer ihn einsperrten, da wurde aus dem gewaltlosen Widerstand ein gewalttätiger, dem die Engländer wiederum nur durch den Einsatz von Gewalt Herr werden konnten. Dies setzte sie in den Augen der Weltöffentlichkeit ins Unrecht. Der gewaltlose 48

Widerstand hatte also Früchte getragen. Hätte es Gandhi nicht gegeben, wäre wahrscheinlich die Befreiung Indiens erst lange Zeit später erfolgt. Bemerkung am Rande: Während Hitler den Zerfall der britischen Kolonialherrschaft bedauerte, zeigte anläßlich eines Rom-Besuches von Gandhi Mussolini offene Sympathie für den Inder. Aber, was ich immer mehr in mir selbst entdecke, ist, daß ich unterschiedlichen Einflüssen unterliege. Es fällt mir nicht leicht, sie zu bündeln. Mein Weltbild ist nicht zementiert. Es unterliegt Schwankungen. Also ich habe nicht das, was offensichtlich Sie haben, eine 100% gefestigte Weltdeutung. Das ist faszinierend. Es mag Ihnen viel Ärger einbringen, aber es hat meinen Respekt. Vielleicht ist das Ganze auch eine Mentalitätsfrage. Was steht bei dem einen im Vordergrund, was bei dem anderen? Ich bin irdischen Genüssen sehr zugetan. Ich esse gern und gut und habe ein starkes Harmoniebedürfnis. Dies kann ein Hindernis bei der Bewältigung schwerer Aufgaben sein. In der Konzilianz steckt schon eine gewisse politische Schwäche. Die meisten der ganz großen Menschen hatten einen unerschütterlichen Glauben an sich selbst, pflegten eine spartanische Lebensführung. Denken Sie anMohammed. Die Einführung des Ramadans, der Fastenzeit, war übrigens nicht nur eine religiöse oder politische Angelegenheit, sondern auch eine geistige und gesundheitspolitische. Diese Einstellung habe ich nicht. Darum bin ich Ihnen gegenüber in dieser Frage in der Hinterhand. Am Rande darf ich allerdings zur Beruhigung meines Gewissens bescheiden anmerken, daß es unter großen Persönlichkeiten auch ausgesprochene Epikuräer gab, wie zum Beispiel Cäsar, die französischen Könige Heinrich IV. oder Ludwig XIV. Vergessen wir auch Bismarck nicht, einen großen Völlerer vor dem Herrn. Sie sind mir lieber als die Müslifresser oder Kohl-Fanatiker. Namen möchte ich mir ersparen. Der kundige Leser weiß, welche Leute gemeint sind. Ich kann meine Visionen nur auf zwei Wünsche verengen: Nie wieder Krieg, dafür soziale Gerechtigkeit. Ich weiß, daß jetzt nicht wenige Leser sagen werden, da macht er es sich zu einfach. Und dieser Einwand ist nicht so leicht vom Tisch zu wischen. Aber Visionen

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dülfen sich zuweilen der Rationalität entziehen, und selbst, wenn sie eine Schwäche beinhalten sollten, ist es allemal besser, sich dazu zu bekennen, als sich in heroische Allgemeinplätze zu flüchten. MAHLER: Ich finde das ist eine sehr gefährliche Vision, die Sie haben. Erinnern Sie sich an den zitierten Satz von Max Scheler. Der ist hier abzuwandeln in den Satz: "Wer auszieht, um den ewigen Frieden zu erlangen, wird Opfer des Krieges werden." Ich sage, und das ist wiederum dialektisch, "si vis pacem para bellum" (willst du Frieden, bereite dich auf Krieg vor). SCHÖNHUBER: Mein Pazifismus wendet sich genau dagegen. Gegen die Vorbereitung eines Krieges. Damit ist Herrschaftsansprüchen Tür und Tor geöffnet. Daß ich mich hier auf der Linie der PDS bewege, stört mich nicht. Und stellen Sie sich doch den Krieg von heute oder morgen vor. Das ist nicht m,ehr der Krieg der Schwerter, wo man das Weij3e im Auge des Gegners sieht. Der persönliche Mut spielt eine immer geringere Rolle. Es wäre ein Knopfdruckkrieg. Da sitzt einer, ein Mathematiker oder Physiker, weit weg von der sogenannten Front, drückt auf einen Knopf und viele Menschen sterben. Der NATO- Übelfall auf Serbien wird waffentechnisch nicht das letzte Wort sein. Ich hätte mir gewünscht, die ehemaligen "Friedensapostel'', von Scharping bis Fischer, hätten den Spruch ihrer einstigen linken Mitstreiter befolgt: Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin. Und die sogenannte moralische Berechtigung für Kriegseinsätze ist nichts anderes als die Verschleierung imperialer oder territorialer Raubzüge. Oder die Ausschaltung eines sperrigen Widersachers, zum Beispiel bei der Verteilung von Ölressourcen. Denken Sie an den mörderischen Übelfall auf den Irak. Wer den Anordnungen des Weltpolizisten Amerika nicht nachkommt, muß eben mit Strafen rechnen.

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MAHLER: Der Krieg ist nicht verschwunden MAHLER: Der Krieg ist eine schwere Katastrophe, gerade mit dieser Waffentechnik Aber wir meinten ja, seitdem die Atombombe in der Welt ist, sei der Krieg abgeschafft. Das Gegenteil ist richtig. Der Mensch ist intelligent genug, sich Kriegstheater unterhalb der atomaren Schwelle zu wählen. Es hat in der Zeit seit 1945 Hunderte von Kriegen gegeben mit Millionen und Abermillionen von Kriegstoten. Der Krieg ist nicht verschwunden. Der Krieg ist jetzt sogar nach Europa zurückgekehrt. Der Krieg wird als Fortsetzung der Politik so geführt, daß er noch Sinn macht. Er ist noch nicht geführt worden mit Atomwaffen, obwohl es heißt, "der Hitler von Serbien" sei eingeknickt, nachdem man mit einer Atombombe auf Belgrad gedroht hätte. Ich weiß nicht, ob es stimmt. Ich halte es eher für unwahrscheinlich. Ich meine, die Amerikaner hätten sich damit selbst in die Luft gesprengt. Deswegen glaube ich nicht, daß sie damit gedroht haben. Aber diese Kriege werden geführt und diese Kriege kommen auf uns zu als ethnische Kriege beispielsweise, auf unserem Territorium. Und damit das nicht stattfindet, muß man stark sein, man muß sich darauf vorbereitet haben, weil dann potentielle Feinde am allerwenigsten in die Versuchung kommen, es mit uns zu versuchen. SCHÖNHUBER: Moment. Da muß ich jetzt etwas einwerfen. Wenn ich vorhin sagte, Bundeswehr weg. Berufsarmee ja, dann hat auch diese Berufsarmee keinen globalen Auftrag. Es daif nie wieder ein deutscher Soldat außerhalb der deutschen Grenzen kämpfen. Was ich bejahe, ist natürlich die Verteidigung der Grenzen unseres Landes. Da liegen wir wieder ähnlich. Aber das, wovor ich Angst habe, ist die militärische Globalisierung. Und in diese Globalisierung, in die wir wirtschaftlich schon tief hinein gedrängt worden sind, in diese Globalisierung werden wir auch 51

militärisch hinein gedrängt. Unsere Leute müssen plötzlich nach Mogadischu eilen und demnächst weiß der Teufel wohin, vielleicht nach Tschetschenien oder wo auch immer. Deshalb sage ich, jeder Einsatz ist letztlich nicht mehr als der erste Schritt. Die nächsten Schritte ergeben sich aus diesem Anlaß. Und deshalb meine ich, dieser Gesinnungspazifismus ist ja kein Pazifismus der Feigheit. Ich habe mein Eisernes Kreuz bei der Waffen-SS ja nicht wegen Feigheit, sondern wegen Tapferkeit bekommen. Und bei der Waffen-SS waren die Ordenskriterien streng. Das ist ein Pazifismus der Überzeugung, zumal ich einfach glaube, daß Kriege in der heutigen Zeit, wenn sie immer weiter vorangetrieben werden, letztlich doch die Atombombe auslösen. Ich garantiere Ihnen, daß die Russen heute bereit wären, wenn sie sich bedrohtfühlten, dann auf den Knopf zu drücken.

MAHLER: Ja ja, das geht ja soweit, daß die russische Sektion der weltweiten Organisation "Ärzte gegen Atomwaffen" jetzt für den atomaren Erstschlag als Recht Rußlands eintritt, seine nationale Würde gegen die NATO-Provokationen zu verteidigen, weil die konventionellen Streitkräfte dieser großen Nation wegen des allgemeinen Verfalls dazu nicht mehr in der Lage sind. SCHÖNHUBER: So ist es!

MAHLER: Das ist eine gefahrliehe Entwicklung. Und ich sage ja, es kommt alles darauf an, diese Entwicklung zu verhindern. Das wird man mit einem Berufsheer nicht alleine schaffen. Man braucht immer einen Kader von Berufssoldaten, die also auch ein hoch qualifiziertes Handwerk erlernen. Aber die Breite der Verteidigungskraft, gerade wenn das Schwergewicht auf der Verteidigung des Territoriums, also defensiv gelegt wird, muß die Wehrhaftigkeit eines Volkes insgesamt in der Breite entwickelt sein. Der allgemeine Gesichtspunkt ist, daß der persönliche Einsatz zur Verteidigung des Volkes und der Heimat keine Dienstleistung sein kann, weil er die höchste Äußerung des Gedankens der Volksgemeinschaft ist. Wenn wir den Krieg zu einem Job machen,

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werden wir demnächst marodierende Söldnerhaufen in unserem Land haben. Und irgendein hergelaufener Kondottiere wird die Macht im Staate an sich reißen.

SCHÖNHUBER: Gut. Aber dann muß ich das noch verdeutlichen, was ich unter Gesinnungspazifismus verstand und verstehe. Gesinnungspazifismus bedeutetfür mich, daß es ein Verstoß gegen Ethik, Gesinnung, Anstand und Würde war, daß zu einem Zeitpunkt, wo die deutschen Soldaten des Zweiten Weltkrieges als Verbrecher diffamiert werden, die Söhne in den Serbieneinsatz geschickt worden sind. Das ist eine würdelose und zutiefst zu verachtende Haltung. Ich finde es unerhört, daß Leute wie Fischer, Scharping, Schröder, die übrigens nie gedient haben, junge Menschen ins Feuer schicken. Das kommt noch dazu. Das sind wieder die berühmten weißen Jahrgänge, die in der Lage sind, der Weltmeinung zu folgen, ein Volk in einen Krieg zu treiben. Das will ich nicht mehr haben. Und deshalb ist bei mir bei dem Wort Gesinnungspazifismus das Wort Gesinnung in dicksten Lettern geschrieben. Und das Wort Pazifismus in geringeren als die Folgewirkung. Aber ich habe den Krieg kennengelernt. Und ich kam heraus, und das mag man mir abnehmen oder nicht, da habe ich mir gesagt, so ein Wahnsinn nie wieder. Die Zerstörungen, die ich in Berlin und Kiel gesehen habe, bleiben für mich ein Menetekel. In Kiel gab es Fälle von Kanibalismus aus Hunger. Ich akzeptiere, und ich kann es auch nachvollziehen, daß Sie fordern, ein Volk muß sich wehren. Aber nicht wegen einer Ideologie, menschlicher Hybris oder geschäftlicher Interessen, sondern nur bei einer Bedrohung seiner Existenz. Wehren muß sich ein Volk vor allem gegen Angriffe auf das Volk selbst, gegen "Volksvertreter", die das zulassen oder in fremdem Auftrag handeln. Und wer in der Rüstungsindustrie arbeitet, muß wissen, daß dies Fabriken des Todes sind. MAHLER: Dann muß es sich aber auch wehren können, d. h. es muß sich die Fähigkeit zur Verteidigung antrainieren, bevor es zu spät ist. 53

SCHÖNHUBER: Dafür ist aber doch eine gut trainierte Berufsarmee viel geeigneter. Das wären dann richtige Profis. Sie wären widerstandsfähiger als manche eingezogenen Schlaffis, die von Seelsorgern und Psychologen betreut werden müssen. Die es als Zumutung empfinden, wenn sie hundert Kilometer von Zuhause weg kaserniert werden.

MAHLER: Nein. Die Territorialverteidigung mit diesen modernen Kleinstwaffen, wo man auf dem Rücken eines Mannes eine Flugabwehrrakete transportieren kann, die die Flugzeuge auch tatsächlich vom Himmel holt, - erfordert die Territorialarmee. Eine flächendeckende Verteidigung mit den Zügen eines Guerilla- Krieges kann man nur mit den wehrfähigen Männem aus dem Territorium aufbauen. Soviele Männer, die dafür gebraucht werden, können nicht als stehendes Söldnerheer vorgehalten werden. Das würde auch viel zu teuer. Ein ähnliches System wie in der Schweiz wird es sein. Die Wehrmänner werden nach der Grundausbildung in das Zivilleben entlassen aber regelmäßig zu Übungen einberufen. Ansonsten gehen sie ihrem zivilen Beruf nach. Das wird eine Form der Wehrhaftigkeit sein, die uns das Gefühl haben läßt: "Sie sollen es nur wagen! Wir werden sie vernichten!" Ohne dieses im Volke verwurzelte Gefühl der eigenen Wehrhaftigkeit ist alle Verteidigungsanstrengung vergeblich. Das ist genau der Punkt. Wir haben diese Diskussion gehabt: wie ist der Jugoslawienkrieg von der NATO überhaupt zu gewinnen? Gehen sie mit Bodentruppen rein oder nicht? Aus der Luft läßt sich nicht alles erreichen. "Der Verrückte von Belgrad" ist immer noch an der Macht. Bleibt er an der Macht, wird er in spätestens zehn Jahren den Krieg gegen die NATO gewonnen haben, was für Buropa gar nicht so schlecht wäre. SCHÖNHUBER: Wie werden in Zukunft Konflikte beschaffen sein, sind es ethnische Streitigkeiten, sind es Stammeskriege oder sich ausweitende Bürgerkriege?

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MAHLER: Wir haben vor uns eine Periode ethnischer Konflikte MAHLER: Beides. Ich würde sagen beides. Sicher, der Krieg wandelt sich entsprechend der Situation, was mit Kriegen jetzt erreicht werden soll und erreicht werden kann. Und wir haben vor uns eine Periode ethnischer Konflikte. Und es wird ein ganz anderer Krieg sein, als man sich ihn so vorstellt. Andererseits ist aber auch immer die territoriale Integrität gleichzeitig in Gefahr, weil dann irgendwie eine Supernacht oder eine Hypermacht eine solche Auseinandersetzung als Vorwand wählen würde, um hier mit Truppenpräsenz einzugreifen und zu sagen: so geht' slangund nicht anders rum. Wir haben die Feindstaatenklausel in der Charta der Vereinten Nationen. Und wir haben in dem Nachrichtenmagazin TIME, Spezialausgabe zum Jahreswechsel 1998/99, ein Szenarium mitgeteilt bekommen, mit dem NATO Bombenangriffe auf Magdeburg, Schwedt und Frankfurt/Oder schon angedacht sind als Eingreifaktionen der NATO im Falle ethnischer Auseinandersetzungen auf deutschem Boden, die man ja - wie die Kurdenkrawalle zeigen - schon heute beliebig auslösen kann. Der CIA verfügt auf diesem Gebiet über spezielle Erfahrungen und Fertigkeiten. Bedenkt man, daß Publikationen dieser Art in den Medien, die - wie das zitierte Nachrichtenmagazin - weltweit als Sprachrohr der OS-Ostküste gelten, wohl nie "mal nur so" erscheinen, kann kein Zweifel daran bestehen, daß hier eine deutliche Warnung an die Deutsche Adresse ausgesprochen worden ist. SCHÖNHUBER: Ich bin der Auffassung, da müßte man auch in militärischen Kategorien denken. Ich glaube, es droht kein militärischer Angriff auf deutschen Boden. Auch die Türken werden uns nicht von außen her bedrohen. Sie werden von innen her versuchen, durch bürgerkriegsähnliche Aktionen die Sicherheit der Bundesrepublik zu gefährden. Um dies zu verhindern, bedarf es auch starker Polizeikräfte. Da nützt weniger eine Bundeswehr

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in der vorliegenden Fonn, die Bundeswehr ist weit überschätzt. Im kürzlich veröffentlichten Bericht der Wehrbeauftragten war ja zu lesen, es herrsche Zynismus und Frust in ihren Reihen. Die Soldaten "reißen" halt, wie wir früher in der Landsersprache sagten, ihren Dienst ab, ohne große Motivation. Ein Soldat aber, der seinen Dienst als Beruf empfindet, der ist gern Soldat und tut alles, um in seinem Beruf zu bestehen. Er würde jederzeit einsatzbereit sein, sollte es zu einer Bedrohung unseres Staates kommen, was gar nicht so utopisch ist. Die Türken beispielsweise versuchen die innere Ordnung unseres Staates zu zerstören. Fazit: Die Berufsarmee hätte eine weitaus größere Kampfkraft als die Bundeswehr.

MAHLER: Die Bundeswehr dürfte überhaupt keine Kampfkraft haben. SCHÖNHUBER: Aber das entspricht doch meiner These.

MAHLER: Nein. Das entspricht eben nicht Ihrer These. Ich glaube, daß man ein viel ernsteres Szenarium annehmen muß, wo Polizeikräfte und Polizeitaktik am Ende sind. Wir müssen mit Häuserkampf rechnen. Das ist eine militärische und keine polizeiliehe Aktion. SCHÖNHUBER: Herr Mahler, als Soldat, der Häuserkämpfe mitgemacht hat, sage ich Ihnen, das alles ist eine Frage der Ausbildung. Wenn man schon in kriegerischen Vorstellungen denkt, die, wie Sie wissen, meines Erachtens der Vergangenheit angehören sollen, sage ich Ihnen, Häuserkämpfe sind erlernbar, für Soldaten wie Polizisten gleichermaßen. Ich erinnere an die schrecklichen Erfahrungen, die nicht nur Soldaten, sondern auch Polizeikräfte und HitZerjungen bei der Verteidigung Breslaus und Berlins machen konnten. Welche These stellen Sie diesen Erfahrungen entgegen?

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MAHLER: Es gibt auch im Völkerrecht keine Verträge zu Lasten Dritter MAHLER: Die Berufsarmee wird gar nicht groß genug sein. Wir müssen Reservekräfte haben. Es ist eben auch die grundsätzliche Frage, welche geistige Bedeutung hat die Wehrmacht für ein Gemeinwesen: Ich meine es gehört zu einem gesunden Selbstbewußtsein in der Bevölkerung die unmittelbare Erfahrung der eigenen Wehrhaftigkeit. Das soll nicht wieder entrückt werden in einen arbeitsteiligen Prozeß, so daß der Bürger gar keine Vorstellung hat, was Kampfeinsatz bedeutet, was Kampfkraft bedeutet, was Kampforganisation ist. Das alles muß er mal als Soldat erfahren haben, um dann auch seine Kräfte einschätzen zu können und danach seine Bereitschaft entwickeln, notfalls - zur Verteidigung dessen, was ihm lieb und teuer ist- tatsächlich bis zum Äußersten zu gehen. Das kann man nicht einer Berufsarmee übertragen. Wenn diese nicht in ein wehrkräftiges Volk eingebettet ist, wird in ihr Söldnermentalität einreißen. Die Gefahr eines militärischen Staatsstreiches wäre wesentlich größer. Haben wir nur ein Berufsheer, so ist das der letztlich entscheidende Machtfaktor. Es kann korrumpiert und dann auch mißbraucht werden. SCHÖNHUBER: Würden Sie eine Berufsarmee, würden Sie eine Bundeswehr, so wie ich sie fordere, aus der NATO ausgliedern wollen oder nicht? MAHLER: Ja. Wir sind vielleicht noch gar nicht darauf vorbereitet, diese Frage zu behandeln. Ich gehe ja davon aus, daß unsere politische Aufgabe darin besteht, das Deutsche Reich wieder handlungsfähig zu machen und eine Deutsche Verfassung gemäß Art. 146 Grundgesetz zu schaffen. Das Deutsche Reich ist durch die Verhaftung der Reichsregierung unter Großadmiral Dönitz am 23. Mai 1945 handlungsunfähig geworden. Es ist aber nach einhelliger Ansicht, die auch 57

das Bundesverfassungsgericht teilt, als Staats- und Völkerrechtssubjekt nicht untergegangen. Am NATO-Vertrag, am EG-Vertrag usw. usf. ist das Deutsche Reich nicht beteiligt, also auch nicht gebunden. Denn auch im Völkerrecht gilt der Grundsatz, daß Verträge nicht wirksam zu Lasten Dritter geschlossen werden können. Nach Wiedererlangung seiner Handlungsfähigkeit wird das Deutsche Reich entscheiden, welche Verträge es übernimmt und welche nicht. Und eine Bundeswehr, die keinen eigenen Generalstab hat, die eingebunden ist in eine Befehlsstruktur, die fremdbestimmt ist, wird es im Deutschen Reich nicht geben. Das wäre Hochverrat. SCHÖNHUBER: Gut. Jetzt muß ich aber gegen mich selber argumentieren. Ich bin mir natürlich der Gefahren meiner Forderung "Deutschland raus aus der NATO" durchaus bewußt. Wenn alle Staaten um uns herum in der NATO bleiben, was zu befürchten ist, dann sind wir eine kleine Insel mit einer Bundeswehr, einer Bundeswehr, wie Sie sie sehen und sie wollen. Aber was hat die dann überhaupt nochfür ein Gewicht? MAHLER: Die NATO sollte dann kein Gewicht haben. SCHÖNHUBER: Nein. Wo ist dann das Gewicht der Bundeswehr? MAHLER: ... oder deutschen Verteidigungsstreitkräfte. SCHÖNHUBER: Oderderdeutschen Verteidigung. Wiesolldie aussehen? MAHLER: Das ist natürlich dann die Sache der Politik, und die darf ja nicht hirnrissig sein. Ich glaube nicht, daß die anderen Europäischen Länder in der NATO bleiben, wenn Deutschland nicht in der NATO ist. Rußland wird in Europa und für Europa eine wichtige Rolle zu spielen haben. Allein das schließt die Fortexistenz der NATO aus, denn 58

diese ist und bleibt ein Militärblock, der gegen Rußland gerichtet ist. Wir brauchen eine Achse Paris-Berlin-Moskau gegen die amerikaDisehe Übermacht. Die Möglichkeit, sich dann aus der gegebenen Struktur herauszuwinden, hängt natürlich von der künftigen Entwicklung ab. Der NATO-Block wird entscheidend geschwächt sein, sobald das Weltfinanzsystem zusammenbricht; wenn die Spekulationsblasen platzen. Und das kommt. Alle Fachleute sind sich darin einig. Man weiß nur nicht, wann der Crash eintritt. Dieser Zusammenbruch wird schlimme Folgen haben. Die schlimmste für die US-Ostküste wird sein, daß die Basis des Dollar-Imperialismus zerschlagen ist. Dieser beruht auf dem Dollar als Leitwährung, auf dem ungehinderten Austausch von Waren, Dienstleistungen und Kapital auf dem Weltmarkt, auf der Zahlungsfähigkeit der Schuldnerländer. Alle diese Bedingungen werden in der kommenden Weltwirtschaftskrise untergehen. Danach bleiben den USA nur noch ihre militärischen Mittel. Die sind höchst begrenzt- auch wenn heute noch alle Welt vom Gegenteil überzeugt ist. Der moralische Faktor, der für den Einsatz militärischer Optionen den größten Stellenwert hat, geht in der Krise des Amerikanismus gegen Null. Die USA sind ein Koloß auf tönernen Füßen. SCHÖNHUBER: Gut,jetzt möchte ich tiefer schüifen. Sagen wir mal, meine Forderung "raus aus der NATO" ist nicht ohne Gefahr. Aber wenn der Weg so geht, wie Sie es skizziert haben, Berlin-Paris-Moskau, wobei ich Paris als einen sehr unsicheren Faktor ansehe, zumindest unter den gegebenen Verhältnissen ...

MAHLER: Die werden sich auch ändern. Die Franzosen haben ähnliche Probleme wie wir. SCHÖNHUBER: ... wie steht es dann mit einer möglichen Neutralität Deutschlands?

MAHLER: Deutschland ist dann nicht neutral. Deutschland ist Partei. 59

SCHÖNHUBER: Partei von wem?

MAHLER: Wir haben einen Weltherrschaftsblock. In dem sind wir- wie uns das Zbigniew Brzezinski freundlicherweise bestätigt hat - tributpflichtige Vasallen der OS-Ostküste. Aus dem scheren wir durch eine höchst aktive Politik aus. Wenn die Welt, wenn Deutschland am Hungertuch nagt, werden wir sagen: bis hierher und nicht weiter und jetzt machen wir es neu. Die anderen Europäischen Nationen werden mitziehen, denn sie brauchen dann Deutschland und nicht die USA. SCHÖNHUBER: Das hieße also zu Ende gedacht: Wir schlössen uns einem Block, ich wiederhole nochmal, Berlin-Paris-Belgrad-Moskau, möglicherweise China an. Dann greift das Neutralitätsprinzip nicht mehr. Dann wäre ich bereit, zu sagen, wir Deutschen, wir verlassen diesen unseligen Block, vereinfacht ausgedrückt, den Westblock und suchen eine Verbindung in einer Blockbildung, die sich ausdrücklich gegen eine weitere Weltherrschaft oder eine Festigung der Weltherrschaft der Amerikaner wendet. Dann kommen wir wieder in eine ähnliche Situation.

MAHLER: Sie wissen ja, daß in Rußland starke Überlegungen in diese Richtung gehen. Ich habe gerade neulich wieder die Rede von Alexey Mitrofanow gelesen, die er 1997 ohne Widerspruch unter viel Beifall in der Duma gehalten hat. Er war damals der Vorsitzende des geostrategischen Arbeitsausschusses der Duma.Er hat genau das einfordert und ausgeführt, daß diese Achse die einzige Chance sei, a) den Weltfrieden zu erhalten und b) die Würde und den Selbstrespekt der großen Nationen zu bewahren. Und er ist für die Rückgabe der Deutschen Ostgebiete und ElsaßLothringens an Deutschland eingetreten. SCHÖNHUBER: Darüber kann man diskutieren und es ist bezeichnend, daß eine solche Diskussion nicht in einem deutschen, sondern in einem russischen Parlament stattfindet. Gleichwohl zähle ich Grenzverschiebungen nicht zu den aktuellsten und wich-

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SCHÖNHUBER: Die Ökologie als wichtiger Faktor tigsten Themen unserer Zeit. Grenzen verlieren ja immer mehr ihren trennenden Charakter. Und das ist gut so. Damit komme ich zu dem, zumindest aus meiner Sicht wichtigsten Thema, einem wahrhaft grenzüberschreitenden, zur Ökologie. Die Grünen haben sich aus Gründen der Machterhaltung von diesem Thema inzwischen verabschiedet. In die entstandene Lücke müssen wir Patrioten hineinstoßen, aber nicht allein aus parteipolitischen Gründen, sondern vor allem aus Gründen der Verantwortung gegenüber unserem Volk. Es handelt sich um eine Frage des Überlebens. Selbstverständlich sind wir hier auf eine internationale Zusammenarbeit angewiesen. Das Wasser von Flüssen ändert ja nicht seinen Reinlichkeitsgrad, wenn es Grenzen passiert. Wir sollten aber unsere größere Finanzkraft gegenüber schwächeren Anreinerstaaten einsetzen und eine wirtschaftliche Hilfe von ökologisch notwendigen Verbesserungen abhängig machen, die für uns wichtig sind. Das gilt beispielsweise gegenüber Tschechien. Wir sollten die wahren Schuldigenfür die immer bedrohlicher werdenden Umweltschäden an den Pranger stellen. Das gilt vor allem für die Amerikaner, die aus rein ökonomischen und gewinnmaximierenden Gründen die größten Bremser im Umweltschutz sind. Das gilt aber auch für Südamerikanische und afrikanische Potentaten, die Gelder aus der Entwicklungshilfe lieber in ihre eigenen Taschen stecken, statt sie in lebenswichtige landwirtschaftliche Projekte zu investieren. Hier sollte das leninistische Prinzip angewendet werden: Vertrauen ist gut, Kontrolle besser. Umweltschutz hat aber auch mit ungebremster Zuwanderung zu tun. Wir sind ein dichtbesiedeltes Land. Der Boden ist nicht beliebig vermehrbar. Immer mehr Deutsche ziehen weg. Nicht nur aus Problemgebieten, weil sie den Druck von Menschen aus anderen Kulturkreisen und Mentalitäten nicht mehr aushalten, sondern auch aus ländlichen Gebieten. Das Bauernsterben geht

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um. Unter anderen ziehen Türken ein und Großfamilien rücken nach. Sie haben ein anderes Verhältnis - eigentlich überhaupt keines - zur Umwelt. Man sehe sich in den türkischen Slums, die "Gece Kondus", die sogenannten "über Nacht gebauten Häuser" an, Stätten einer Umweltverschmutzung, wie man sie sich schlimmer nicht vorstellen kann. Und an manchen Tagen stinkt die Bucht von Izmir wie eine Kloake und die Farbe des Wassers sieht dementsprechend aus. Reines Wasser findet sich vor allem in den Pools der Luxushotels. Ich weiß, daß man mit solchen Hinweisen gegen den Zeitgeist verstößt, aber das stört mich nicht. Natürlich ist mir auch bewußt, daß die Zeit nicht stehen geblieben ist, daß Rousseaus "Retour a la nature" mit dem heutigen technischen Fortschritt in eine vernünftige Beziehung gebracht werden muß. Wir leben nicht mehr in der Postkutschenzeit. Damals waren beispielsweise die Alleebäume an den Rändern der Landstraßen eine wahre Augenweide, schattenspendend und wohltuendfür die Nerven. Für die heutigen Auto- und Motorradfahrer sind es zuweilen Todesfallen. Hier müssen sorgfältige Güterahwägungen vorgenommen werden. Übrigens, man kann über die NS-Zeit viel Negatives sagen, aber die der Landschaft angepaßten Autobahnen können als vorbildlich angesehen werden. Interessant in diesem Zusammenhang, daß in der Frühzeit des Nationalsozialismus, in seiner linken Periode, der Umweltschutz schon einen hohen Stellenwert hatte. In einer der ersten Ausgaben warnte der "Völkische Beobachter" vor einer Zubetonierung der Landschaft. Ich fasse zusammen: In der Umweltfrage stehen die Zeichen auf Sturm. MAHLER: Nicht nur für unser Volk. In der ökologischen Krise wird die Wasserknappheit wahrscheinlich die Führungsrolle übernehmen und das schon sehr bald. Angesichts der Bevölkerungsexplosion müssen wir weiterhin mit Wanderungsdruck und den ökologischen Konsequenzen dieses Wanderungsdruckes rechnen. Da müssen wir uns wirklich überlegen, wie wir das politisch in den Griff bekommen wollen.

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SCHÖNHUBER: Sie denken an die Versteppung z. B.

MAHLER: Ja. Und das hat aber mit Globalisierung was zu tun, so wie sie heute sich darstellt. Die wird ja ideologisch geschönt. In Wirklichkeit ist sie ein Todesprogramm. Unter diesem Banner versucht man jetzt eine bürokratische Wasserkopfweltregierung unter der Fuchtel der amerikanischen Ostküste zu etablieren. Das wird nicht gehen. Wenn wir im Deutschen Reich eine freiheitliche Ordnung aufrichten, die anderen großen Europäischen Nationen das Gleiche tun, wenn die Regierung also mit den Menschen, die es angeht, über ihre Probleme endlich offen redet und sie nicht desinformiert, täuscht und so manipuliert, wird die Intelligenz der Menschen, die an einem würdigen Leben, nicht aber an den Profiten für die OS-Ostküste interessiert sind, die Wege finden, die aus der Gefahr des Untergangs herausführen. Wir begreifen, daß der wohlverstandene Egoismus immer auch das Leben der anderen Völker und Nationen einschließt. SCHÖNHUBER: Aber auch die Intelligenz ist länderübegreifend. Das kann nicht allein die deutsche Intelligenz sein, die das quasi schafft.

MAHLER: Aber es gibt ja jede Menge internationale Gremien. Die hat es immer gegeben. Die haben immer auch partiell Probleme lösen können. So, wie die Probleme jetzt auf uns zukommen und nach Lösung schreien, werden wir diesen internationalen Ausgleich durch Verhandlungen zwischen souveränen Nationen herbeiführen. Ein nur gemeinschaftlich zu lösendes Problem konsensmäßig lösen, muß auch bedeuten, daß dann einzelne, die sich aus diesem Konsens ausklammern wollen zu Lasten aller, in irgendeiner Weise bestraft werden- Boykott und bis hin zu militärischer Intervention. Das ist eine Kriegsursache, die muß man einfach sehen. Es geht um das Überleben der Menschheit. SCHÖNHUBER; Und das erklärt auch, warum ich der Ökologie diesen Stellenwert beimesse. 63

MAHLER: Das Prinzip der Volkswirtschaft gegen das Prinzip der Globalisierer MAHLER: Wir müssen uns klarmachen, daß Mammon den Staat gefangen hält; daß die Sonderinteressen sich das Allgemeine gefügig gemacht haben. Fast täglich treten krassere Formen dieses Tatbestandes hervor. Unter der Herrschaft Mammons gelten alle Bestrebungen zur Herausbildung einer Weltregierung der Maximierung und Sicherung des Profits. Profitmaximierung aber ist die Hauptursache der Naturzerstörung. Die Krise der Natur, die an den Staatsgrenzen nicht halt macht, ist die Flammenschrift, die uns mahnt, in allem, was wir tun, als Teil stets das Ganze zu bedenken. Den Völkern ist in ihrer Vielfalt die Erde nur zu treuen Händen und als ein Ganzes zur Nutzung überlassen. Die Lebenden sind die Treuhänder der künftigen Generationen. Ebenso sind die privaten Eigentümer der Produktionsmittel, deren die Gemeinschaft zur Erhaltung des Lebens bedarf, nur Treuhänder der unsterblichen Volksgemeinschaft. Das Denken, das sich das Ganze gegenwärtig hält, ist der Staat. Er muß zuallererst aus den Fesseln der Sonderinteressen frei geschlagen werden, damit er wieder zu der Macht wird, die das Allgemeininteresse gegen die Widerstände der Sonderinteressen hochhält und durchsetzt. Dann wird man vernünftig denkendeund argumentierende Völker und Nationen haben, die dann auch miteinander konferieren und das gemeinsame Vernünftige suchen und realisieren, weil das Privatinteresse dann nicht mehr der entscheidende Faktor ist, der jeden vernünftigen Konsens vereitelt. Die Befreiung des Staates aus der babylonischen Gefangenschaft der gesellschaftlichen und privaten Sonderinteressen ist die erste und wichtigste Tat zur Rettung der Natur. Erst durch diese 64

Tat wird die Abwendung der ökölogischen Katastrophe zum Mittelpunkt der Staatsraison. Alles weitere wird sich finden. Es ist müßig über Einzelheiten einer effektiven Umweltpolitik zu spekulieren. Der Staat, wie er hier bestimmt ist, hat sein Dasein im Allgemeinen Stand (der gehobenen Beamtenschaft), dessen besonderes Interesse die Wahrung des Allgemeininteresses ist. Der ist in Deutschland - aber nicht nur hier - fast vollständig untergegangen. Er muß schnellstens wiederhergestellt werden. Zu diesem Zweck werden wir- sie werden mir das als Bayer hoffentlich verzeihen an der Preußischen Tradition anknüpfen, am Preußischen Beamtenethos. Mich fasziniert die Art und Weise, wie im Alten China der Beamtenstand gebildet wurde. Wir sollten prüfen, was wir davon - selbstverständlich in zeitgemäßer Form - übernehmen können. SCHÖNHUBER: Das zeigt sich gerade im Verhältnis zur Ökologie. Parteien in der heutigenForm sind angewiesen aufLobbies. In Bayern darf die CSU die Bergbauern und die Tourismusverbände nicht vergraulen, in Nordrhein-Westfalen die SPD nicht die Kumpels. Und die Rüstungsindustrie, die zu den schlimmsten und bedenkenlosesten Umweltsündern gehört, wird geschont, weil man gerne die Hand aufhält, wenn es um Schmiergelder geht, wie die Affären der letzten Monate beweisen. Und Bundeskanzler Sehröder entwickelt sich immer mehr zum PR-Mann der Autoindustrie. Die CDU kämpft mit allen Mitteln um den Erhalt der Atomkraft, wobei ich an dieser Stelle nicht verhehlen möchte, daß ich ein ausgesprochener Atomkraftgegner bin. Und weil wir gerade bei den Parteien sind, möchte ich noch eins draufsetzen: Ich bin für eine strikte Trennung von Politik und Religion. Ich halte die parteipolitische Usurpation christlicher Dogmen auchfüreine Art geistiger Umweltverschmutzung, schon allein deshalb, weil gerade christliche Politiker gnadenlose Vernichtungskriege gegen Andersdenkende führen.

MAHLER: Ich bin für ein Verbot der Parteien. 65

SCHÖNHUBER: Haiders Gratwanderung SCHÖNHUBER: Das bedaif einer Erklärung. Ein Verbot ist keine Lösung. MAHLER: Was halten Sie vom Modell Haider?

SCHÖNHUBER: Also zunächst einmal ist das Modell Haider für mich keine Lösung und es ist nicht übertragbar auf die Bundesrepublik. Die FPÖ war von Anfang an eine mehr oder minder etablierte Partei, die allerdings durch die Aktivitäten Haiders stark an Bedeutung gewonnen hat. Das ist unbestritten. Der Eifolg Haiders ist jedoch nicht allein sein Verdienst, er verdankt ihn auch dem immer dichter gewordenen Parteienfilz von SPÖ und ÖVP. Er hat dazu geführt, daß die Österreichische Politik verrottet ist und einen Protest zwingend herausforderte. Die Folge ist die schwarz-blaue Koalition, also von Haiders Freiheitlichen mit der Österreichischen Volkspartei. Und ich versiehe Ihnen, Herr Mahler, das wird dazu führen, daß es noch nie eine so fromme und ängstliche Regierung gegeben hat, wie es die derzeitige sein wird. Sie wird permanent unter der Angst leiden, etwas zu tun, was die aufgehetzte Weltöffentlichkeit übelnehmen könnte. Tenor: Wir sind ja gar nicht so bös, und der Haider wird schön in Kärnten bleiben. Jetzt werden die Österreichischen Sozialdemokraten sogar eher Österreichische Belange vertreten können, als die Schüssels und Haiders. Darüber hinaus ist die FPÖ keine Volksbewegung, sondern eine Partei wie jede andere auch. Der Inhalt istfast der gleiche, sie hat nur eine bessere Verpackung. Und Haider ist der beste Verpackungskünstler der Alpenrepublik. Haider ist ein ausgesprochener Parteimensch Er hätte auch in einer anderen Partei Karriere gemacht. Es amüsiert mich nachgerade, wie sich selbsternannte Haiderles, Gruppen und Grüppchen in der Bundesrepublik um eine Art von Haidersehen Lizenzrechten balgen.

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Sie kommen mir wie abgemagerte Hunde vor, die sich aufjeden hingeworfenen Knochen stürzen und glauben, damit wieder zu Kräften zu kommen. Das schmeichelt zwar der Eitelkeit Haiders, aber sollten sie ihm zu nahe kommen, dann wird er "kusch" rufen und sagen, mit euch habe ich nichts zu tun. Darin hat er Übung. Aber was will Haider wirklich? Ich weiß es trotzmancher Gespräche, die ich mit ihm in Straßburg und Brüssel in freundschaftlicher Form führen konnte, bis heute nicht. Er, der zunächst für ein deutsches Österreich eintrat, sich gegen eine "Umvolkung" verwahrte, die Treue der Waffen-SS-Kameraden und die NS-Beschäftigungspolitik lobte, will beialldiesen Aussagen nur mißverstanden worden sein, oder entschuldigte sich unverbindlich. Seine Anhänger machtenalldiese Schlenker mit. Nichts ist ja erfolgreicher als der Erfolg. Das wird sich ändern, wenn der Erfolg ausbleibt. Dann wird ein anderes Polit-Sprichwort greifen: "Der Sieg hat viele Väter, die Niederlage nur einen." Typisch für den Haidersehen Zick-Zack-Kurs ist auch sein beständiger Wechsel an sogenannten Vorbildern. Erst hat er den Herrn Stoiber zu seinem Vorbild erklärt, der zeigte ihm sofort die kalte Schulter und ließ verlauten: Um Gotteswillen, mit dem nicht. Dann kam der gute Helmut Schmidt dran. Auch der wollte von Haider nichts wissen, verständlich. Das konnte er seinen Österreichischen Genossen doch nicht antun. Jetzt ist der gute Jörg bei Tony Blair gelandet, einem ausgesprochenen At/antiker und Erfüllungsgehilfen der Amerikaner. Gegenüber anderen Rechten in Europa hat Haider die Abgrenzungshysterie bis zum Exzess getrieben. Dabei sind die Thesen zur Ausländerfrage beispielsweise zwischen Haider und Le Pen fast identisch. Trotzdem trat der Kärntner dafür ein, daß dem "manifesten Rassisten", wie er Le Pen perfiderweise nannte, das Abgeordnetenmandat im Europaparlament abgesprochen werden sollte. Auch mit den "Rassisten" vom Vlaams Blok, wie bereits gesagt, will er nichts zu tun haben. Und mit dem Schweizer Bioeher auch nichts. Dafür um so mehr mit den Amerikanern. Nicht umsonst hängt das Sternenbanner in seinem Büro. Und er hat sich mit Herrn Sichrovsky einen bekannten Nazi-Verfolger geholt. Böse

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·Zungen sprechen von einem Hofjuden, der ihm die Tore zum amerikanischen Establishment öffnen sollte. Genützt hat es ihm nichts. Anders als Haiders Verhalten zu anderen Führern rechter europäischer Parteien schlugen diese nicht in die gleiche Kerbe ihm gegenüber. Sie hielten sich mit kritischen Äußerungen zurück. Sie wollten seinen Aufstieg nicht gefährden, glaubten, daß die Ausfälle nur taktisch bestimmt wären und hofften auf eine spätere Einigung. Ich hegte diese Hoffnung nie. Ich bewunderte seinen Einfallsreichtum, sein rhetorisches Geschick, mehr jedoch nicht. Ich glaube, die Furcht Europas vor ihm ist übertrieben. Man sollte ihn nicht dämonisieren, denn im Grunde ist er ein Cunctator, ein Zauderer. Seine große Zeit düifte vorbei sein. Wer Rückzüge taktisch begründet oder begründen läßt, entschärft die Bedrohung. Außerdem ist es eine alte Eifahrung, daß sich ehrgeizige Kräfte in einer Partei sehr schnell verselbständigen, wenn der Chefweg ist. Noch ein Wort zur dubiosen Haltung der CSU gegenüber Haider, den der verstorbene bayerische Ministerpräsident Max Streibl einst einen Hoffnungsträger auch für die CSU nannte. Dr. Hans-Jochen Vogel, gewiß nicht mein Freund, brachte sie auf den Punkt. Laut "Münchner Merkur" vom 29.03.2000 sagte er auf einem Podiumsgespräch über europäische Rechtsparteien: Ich kann nicht nachvollziehen, warum sich die CSU nicht deutlicher distanziere. Republikaner-Chef Schönhuber hat man mit aller Schäife ausgegrenzt und isoliert. Warum nicht Haider? MAHLER: Apropos Blair. Ich hab gerade vorgestern in der Zeitung gelesen, daß er jetzt völlig umgeschwenkt ist und diese europafeindliche oder ablehnende Haltung als einen historischen Fehler bezeichnet hat. Er kritisiert Maggie Thatcher ganz grundsätzlich und sagt, die Zukunft Großbritanniens liege natürlich in Europa. Was dahinter steckt? Wir werden sehen. Diese ganze europäische Konzeption ist nach meiner Auffassung die Hauptstrategie der USA, Buropa als selbständigen Faktor auszuschließen und Buropa transatlantisch als Vasallengebiet zu vereinnahmen.

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Und ich glaube, es wird deutlich, daß die Engländer jetzt auch dies wahrnehmen und erkannt haben. SCHÖNHUBER: Insofern ist die Achse Haider-Blair gar nicht so abwegig. MAHLER: Eben. Das ist die Funktion gerade solcher Parteien. Und Haider als Chef der Freiheitlichen ist Teil dieses Parteiensystems. Zwar sagt er immer wieder, er wolle das Parteiensystem überwinden. Darauf gebe ich nichts. Hausleitner, ein ehemaliger enger Mitarbeiter von ihm, plaudert aus der Schule. Er sagt, Haider übe "fraktale Kommunikation". Das heißt soviel, daß er für jeden etwas sagt, ohne Rücksicht darauf, daß es absolut widersprüchlich ist. Aber wem es auffallt, dem wird das irgendwie kurz "erklärt" und dann geht man darüber hinweg. Wichtig ist nur, daß sichjeder bei ihm aufgehoben fühlt, damit er ihm die Stimme gibt. Das ist dieses typische Manipulationselement, was auch den Populismus mit ausmacht. Es geht nicht um grundsätzliche Klärung. Haider macht sich so zur Karikatur des Parteiensystem. SCHÖNHUBER: Haider sagt, es ginge im Grunde nur noch um Einzelfragen. Die Wirklichkeit ist widersprüchlich, also muß ich auch widersprüchlich sein. MAHLER: Das ist die totale Umkehrung des Hegeischen Denkens. Regel hat ja in seiner Habilitationsschrift- allem voran- den Satz aufgestellt: "Der Widerspruch ist das Kennzeichen der Wahrheit und die Widerspruchsfreiheit das Kennzeichen der Unwahrheit." Dieser Satz kennzeichnet die kopernikanischeWende in der Philosophie, die ja bisher immer davon ausging, das Denken müsse widerspruchsfrei sein, um gültig zu sein. Aber so sieht ja Haider die Widersprüchlichkeit nicht, sondern er löst das Ganze in Teile auf, ohne danach noch das Ganze im Blick zu haben. Und das ist natürlich genau die Fortsetzung - bis ins Extrem - dessen, was wir haben. Das Ganze wird zum Wahngebilde erklärt. Ich habe mit Professoren der Politikwissenschaft auf Podien gesessen, 69

MAHLER: Deutsche Philosophie war immer politischer Kampf die dann mit aller Unschuld doziert haben: "Volk und Nation, das sind Phantasmagorien". Die wollen uns ausreden, daß es das Ganze gibt und die wollen uns vergessen machen, daß wir immer nur als Teil eines Ganzen in Freiheit und Selbstachtung existieren können. Und deswegen glaube ich auch, wir haben nicht tagespolitische Themen aufzugreifen, sondern wir müssen diese grundsätzliche Differenz im Denken deutlich machen und die Auswirkung auf unser politisches Sein aufzeigen, um ein neues Denken einzufordern, wo man vom Ganzen her denkt und die Freiheit des einzelnen als höchstes Gut vom Ganzen her bestimmt. Dieses also nicht leugnet, nicht zum Wahngebilde erklärt. Wir müssen fühlen und nicht nur abstrakt wissen, daß wir dem Ganzen verantwortlich sind und nur dann frei sind, wenn wir das Ganze wollen. Ich bin erst dann frei, wenn ich nicht von einem fremden Willen bestimmt bin, sondern von einem Willen, der aus mir heraus entsteht, mit meiner Überzeugung untermauert ist. Und wenn ich einsehe, ich kann nicht als dieser Einzelne, dieses vereinzelte Individuum, als vereinzelter Einzelner existieren, sondern immer nur in einem Ganzen, in dem ich meinen Schutz, meine Sicherheit und mein Anerkanntsein als Rechtspersönlichkeit erfahre, habe ich ein ganz anderes Leben. Darin ist Politik auch anders möglich. Und darum: dieses Bewußtsein zu schaffen, das ist die Hauptaufgabe der Politik. Das hat natürlich auch etwas mit Philosophie zu tun. Philosophie, insbesondere deutsche Philosophie, war immer politischer Kampf. Man muß sich mal vergegenwärtigen, daß Fichte Philosophie unter der napoleonischen Fremdherrschaft gelehrt, seine "Reden an die deutsche Nation" im Angesicht französischer Erschießungskommandos gehalten hat. Welcher Philosoph heute ist denn bereit ...

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SCHÖNHUBER: Ja, gibt es denn überhaupt noch Philosophen in Deutschland?

MAHLER: Nein. SCHÖNHUBER: So ist es, aber es müssen ja nicht immer gleich philosophisch begründete Aktionen sein, um wenigstens Anstöße für eine Wendung zum Besseren zu erzielen. Ich habe ja verschiedene Versuche unternommen. Meine erste Tat, andere sagen Untat, war die Veröffentlichung eines Buches- "Ich war dabei"-, das zumindest den Versuch unternommen hat, Geschichte erfahrund erlebbar zu machen. Das war keine philosophische oder wissenschaftliche Abhandlung. Imerhin hat dieses Buch etwas bewirkt und einige braune Überlebenskünstler aus der Deckung herausgetrieben Wofür sie mir böse waren. Der zweite Versuch war, daß ich mich an einer Parteigründung beteiligt habe. Schon damals aber war mir klar, wie ungeheuer schwierig es ist, eine patriotische Partei zu gründen. Der eine Parteifreund gab sich als National-Liberaler zu erkennen. Von dieser Gattung hielt ich nicht viel. Ich denke stets an den berühmten, ins Londoner Exil getriebenen Zarengegner Alexander Herzen, der den Liberalismus als tödlichen Schanker seiner Zeit beschrieben hat. Ein anderer Parteifreund wollte nur seine NSNostalgie befriedigen. Er meinte, man müsse jetzt Klartext reden und bekennen, der HitZer wäre so schlecht nicht gewesen. Der ging wieder, wenn ihm in den Ortsverbänden die Parteifreunde sagten, seinen Schmarrn wollten sie nicht länger hören. Dann kamen die ehemaligen Sozialdemokraten, meistens enttäuschte SchumacherAnhänger. Das waren die Besten. Am wenigsten konnte ich mit den sogenannten "Wertkonservativen" anfangen, die waren mir zu verblasen und hatten fürchterliche Angst, auf die Straße zu gehen: Ein anständiger Bürger tut das nicht. Es waren keine kämpferischen Citoyens, sondern satte Bourgeois. Die Parteigründung kann als gescheitert betrachtet werden. Es hat sich dabei gezeigt, daß dieser Staat jedes Pflänzchen niedertritt, das nicht in die etablierte Polit-Landschaft paßt. Es gibt in keinem 71

anderen demokratischen Land eine vergleichbare Organisation wie den Verfassungsschutz. Für diesen zählen keine Argumente. Die Schlapphüte haben eine vorgefertigte Meinung. Und sie haben Druckmittel. Es gelang ihnen, die Partei von innen heraus zu unterhöhlen. Mir hat einmal ein hoher bayerischer Beamter in einer Zeit, in der ich noch Träger der höchsten bayerischen Auszeichnung, des Bayerischen Verdienstordens, war, gesagt: "Herr Schönhuber, Sie sind ein blinder Tor. Sie lassen Protokolle von Ihren Vorstandssitzungen anfertigen, die ihre Vorstandsmitglieder acht Tage später bekommen. Derbayerische Innenminister Beckstein hat sie bereits am nächsten Tag. Haben Sie noch nie etwas von Wanzen gehört?" Man hat eine solche Gruppierung von innen heraus unterwandert und zersetzt. Und das Resultat können Sie heute sehen. MAHLER: Sie sehen aber auch, was eine Volksbewegung aus solchen Sicherheitsdiensten macht: eine Pappmacbe-Puppe. Das haben wir 1989 in der DDR gesehen.

SCHÖNHUBER: Aber noch ist es noch nicht soweit. MAHLER: Es ist das Fehlen einer massenhaften Bewegung der Menschen, die sich das nicht mehr gefallen lassen. Aber die wird kommen. Mich würde übrigens interessieren, wo Sie eine größere Wirkung erzielten, als Publizist oder Politiker?

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SCHÖNHUBER: Sicher erzielte ich als Journalist und Buchautor eine anhaltendere Wirkung, denn als Parteiführer. Das bemerke ich auch an den noch heute auftretenden Reaktionen. Die Menschen sprechen mich weniger aufdie Partei an, die völlig aus ihrem Gesichtskreis verschwunden ist, dafür aber auf zwei Punkte meines beruflichen Schaffens. Da ist zum einen die Sendung "Jetzt red'/" (Jetzt rede ich), die wohl populärste Sendung, die im Bayerischen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Das war und ist noch eine Wirtshausdiskussion, in der ich als Moderator wirkte. Man könnte sie als eine Art kommunal-politischen Stammtisch bezeichnen, in dem die jeweils angesprochenen Minister und Staatssekretäre auf die im Publikum aufgewoifenen Fragen antworten mußten. Das Ganze war sehr folkloristisch und bayerisch aufgezogen. Die Lust am "Komödie-Spüin ", am Kömödienspiel, eine gewissen Theatralik gehört nun einmal zur bayerischen Politik. Der zweite Punkt war das Erscheinen meines Erinnerungsbuches "Ich war dabei". Über dieses Buch wird noch heute kontrovers diskutiert. Diese zwei unterschiedlich zu gewichtenden Vorgänge und Erscheinungsformen erleichterten mir auch den Start als Parteivorsitzender. Sie trugen entscheidend dazu bei, daß die Partei aus dem Stand im schwarzen Bayern bei der Landtagswahl 1986 auf drei Prozent kam. Aber auch wenn das Experiment Republikaner gescheitert sein sollte, so nehme ich doch für mich in Anspruch, daß ohne die Anfangseifolge der Partei, vor allem nach dem Einzug in das Europa-Parlament, es in der Bundesrepublik nie zum sogenannten Asyl-Kompromiß, also zum Versuch der Eindämmung der Asylantenströme gekommen wäre. Außerdem waren wir es, die den Gedanken an die Wiedervereinigung wachgehalten hatten. Damals sprach Helmut Kohl noch davon, die Wiedervereinigung stünde nicht auf der Tagesordnung der Weltgeschichte, "Gechichte ", wie er zu sagen pflegte. Wir hatten dafür gesorgt, daß sie nicht abgesetzt wurde. Im Ausland wurde dieser Vorgang aufmerksam registriert. Wie man weiß, nahm ich bei den Telefon-Abhöraktionen der DDR einen Spitzenplatz unter den westdeutschen Politi73

SCHÖNHUBER: Der patriotische Ruck, der beim Fall der Mauer durch das Land ging, ist längst veiflogen kern ein. Aber dann übernahmen die Kopisten die Vorstellungen des Originals. Und jene CSU-ler, die sich jahrzehntelang am Schluß ihrer Veranstaltungen mit dem Lied "Gott mit Dir, Du Land der Bayern" begnügt hatten, sangen plötzlich aus vollem Hals das Deutschlandlied. Ich halte es deshalb für besonders tragisch, daß ausgerechnet wir, die wir unentwegt die Beseitigung der Mauer gefordert hatten, von ihrem Einsturz politisch erschlagen wurden. Wir waren zum Störfall geworden. Das Ausland sollte beruhigt werden. Die Antifa-Keule wurde zu einer wirksamen Waffe. Mir wurde als EU-Parlamentarier die Einreise in die Übergangs- DDR verwehrt, Kohl und Schäuble hatten nichts dagegen. Dies paßte in ihr Spiel, das vonFoulsgegenüber wahren Patrioten begleitet war. Ich sage das alles nicht wehleidig, ganz im Gegenteil: Ich bin stolz auf unseren Anteil, im Rahmen des Möglichen zu einer, wenn auch kleinen positiven Änderung in unserem Land beigetragen zu haben.Aber der patriotische Ruck, der beim Fall der Mauer durch das Land ging, ist längst verflogen. Die Amerikaner haben dafür gesorgt, daß wir nach der Befreiung eines Teils unseres Vaterlandes vom sowjetischen Joch nicht auf den Gedanken kämen, nun auch das Ganze aus der Gängelung durch die Ostküste zu lösen. Womit wir wieder beim Generalthema wären. Trotz allem, es waren bemerkenswerte Erfolge, die den Etablierten das Fürchten lehrten. Das ist nicht zu bestreiten, aber sie waren nicht dauerhaft. Um die Erfolge auszubauen, fehlten das intellektuelle Potential und auch die ökonomischen Möglichkeiten. Von der Stigmatisierung ganz zu schweigen. Und dann kommt etwas hinzu, das gerade für patriotische Parteien eine ganz große Gefahr darstellt, das ist die Stellung der Beamtenschaft. Sollte ich jemals wieder eine Partei gründen, was aber bei meinem Alter nahezu auszuschließen ist, dann würde ich den Beamten empfehlen,

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SCHÖNHUBER: Man braucht eine Kaderpartei

führende Positionen zu meiden. Ich weiß, wovon ich rede. Wird ein Beamter, sagen wir mal, Bezirskvorsitzender, kann man Gift darauf nehmen, daß einige Zeit später ein Schlapphut auftaucht. Und die Gespräche verlaufen dann in etwa so: Eigentlich stehen Sie ja kurz vor einer Beförderung. Aber das ist jetzt problematisch. Sie sind in einer verfassungsfeindlichen Partei. Muß das sein? Oder könnten Sie sich vorstellen,für uns zu arbeiten? Dann kommt die Ehefrau, die vorher auch von einem Veifassungsschützer aufgesucht worden war und lamentiert: Du mit Deinen komischen Patrioten. Davon kann man nicht runterbeißen Und was wird aus Deiner Beförderung, der Gehaltsaufbesserung, diese könnten wir gerade jetzt gut brauchen, denk' an den Kredit, den wir für den Kauf des neuen Autos aufgenommen haben. Und was wird aus den Kindern? Am Ende wirst Du gar entlassen. Das ist kein Horrorszenario, das ist nachprüfbare Realität. Der angesprochene Mann wird sich in 90 Prozent der Fälle für sein persönliches Fortkommen oder für die Sicherheit seiner Familie entscheiden. Er wird in erster Linie Staatsdiener und dann erst Parteimann sein. Das habe ich zu spät erkannt. Und ich hatte den Veifassungsschutz zunächst unterschätzt. Ich hielt solche Methoden für nicht möglich. Auch nicht finanzielle Angebote von 2000 - 3000 Mark. Um für eine Partei einen Verteidigungsring aufzubauen, muß man zu unkonventionellen Methoden greifen und Organisationsstrukturen aufbauen, die ein Eindringen der Schlapphüte erschweren. Letztendlich bekommt die Partei einen Charakter, der dem einer Kaderpartei nicht unähnlich ist. Die hier gewonnenen Erkenntnisse und Überlegungen müssen dann in die Partei hineinwirken Massen sind formbar. Sie bestehen in der Regel aus BILD-Zeitungslesern und Fernsehkonsumenten Der damit zunehmenden Verblödung muß durch gezielte Aufklärungsarbeit entgegengewirkt werden. Das Wort von der Basis-Demo-

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kratie ist reine Augenwischerei. Das hatte schon Schiller richtig erkannt: "Vernunft ist wenigen nur gegeben!" Und Bismarck wird der Satz zugeschrieben: Vox Populi-Vox Rindvieh. Zudem glaube ich, daß Mussolini mit seinem Ausspruch recht hat: "Männer machen Geschichte!" Ich weiß, daß solche Aussagen meinen Stammplatz in den Verfassungsschutzberichten zementieren. Macht nichts, heutzutage gilt ja alles als verfassungsfeindlich, was gegen den etablierten Stachel löckt. Und das in einem Staat, der mehr und mehr den Gesetzen der Mafia oder Camorra zu folgen scheint, denn der Rechtsstaatlichkeit. Weist man auf Fehlverhalten von etablierten Politikern hin, wird dies als eine verfassungsfeindliche Verächtlichungsmachung der Repräsentanten des Staates angeprangert. Man sollte auch über eine Änderung des Parteiengesetzes nachdenken.

MAHLER: Gegenwärtig ist schon die Mehrheit der wahlbe. rechtigten Bürger in der Bundesrepublik Deutschland - davon kann man wohl ausgehen- der Auffassung, daß "diese Parteien" - und damit ist das Parteiensystem gemeint - die Probleme nicht mehr packen. "Die kriegen's nicht geregelt!" - heißt es immer häufiger. Die Antwort auf Ihre Frage: was ist zu tun? kann nicht sein, daß jenes abgewirtschaftete Parteiensystem wiederzubeleben wäre. Wenn Parteien des "rechten" Spektrums das versuchen sollten, wären sie das "Letzte Aufgebot des Systems". Und genau als das müßte man sie behandeln. "Tun" im Sinne Ihrer Frage wäre ja die Umsetzung eines Gedankens, eines Konzepts, eines Planes in die Wirklichkeit. Wie wär' s denn, wenn man zuerst einmal nach dem Gedanken fragte, der hier umgesetzt werden soll? Vielleicht ließe sich auf diesem Wege die Antwort finden. Mir ist in den letzten Tagen einer dieser jetzt so zahlreich verteilten Aufrufe zur Gründung einer "Partei aller Patrioten" in die Hände gekommen. Toll, was da drin steht. Doch alles nur Leerformeln, die man auf den gemeinsamen Nenner bringen kann:

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MAHLER: Der Staat befindet sich in der babylonischen Gefangenschaft der Parteien wir müssen es diesmal richtig machen, wir müssen es gut machen, und wir müssen uns einig sein. Amen! Wer will da schon widersprechen? Doch ist das alles nur Blödsinn. Wie könnte eine Armee die Schlacht gegen einen mächtigen Feind gewinnen, wenn der Feldherr seinen Truppen nur mit auf den Weg gibt: "Nun siegt mal schön!" Das ist jämmerlich. Da ist kein einziger Gedanke, der zur Wirklichkeit drängt. Jeder denkt sich bei diesen Leerformeln was anderes. Der Eine marschiert nach Norden, der Andere nach Süden. Der Dritte nach Westen ... na und so weiter. Vielleicht setzen die "Strategen" darauf, daß sich der Feind bei diesem Anblick tot lacht. Das wäre freilich ein unerwarteter Sieg. Die Herren Parteigründer sollten sich doch einmal darüber aussprechen, was sie für das Problem halten. Uns wird auf allen Kanälen gepredigt, es komme alles auf die Wirtschaft an. Diese werde von Sachzwängen geleitet, denen wir uns nicht widersetzen könnten. Wir könnten nur versuchen, im Strom dieser Sachzwänge möglichst zügig voranzukommen, um die Nase vorn zu haben. Der "Wirtschaftsstandort Deutschland" müsse nach vorn gebracht werden. Wie verhalten sich die Parteigründer dazu? Sind sie nur die Neunmalklugen, die besser in diesem System Bescheid wissen, es gar nicht anders, sondern nur eben besser machen wollen? Ich sage: diese Rede von vermeintlichen Sachzwängen ist eine Religion oder besser: eine Anti-Religion, ein negativer Gottesglaube. Die vermeintliche Allmacht der Wirtschaft ist die Parallele zur Allmacht Gottes - nur dieses "Wirtschaft" genannte System ist ein uns nicht freundlich gesonnener Gott, ein Gott, der nicht befreit, sondern uns in Fesseln schlägt, uns zerstört: die Natur, die ganze Menschheit. Jeder, der es wissen will, kann wissen, daß 77

dieses System zerstörefisch wirkt, den Völkern Tod und Verderben bringt. Was bedeutet da die Rede von vermeintlichen "Sachzwängen"? Sie will uns einreden, daß es kein Entrinnen, keine Rettung, keinen Ausweg gibt. Nicht jene Rede ist absonderlich, sondern der Umstand, daß sie in unserem "aufgeklärten Zeitalter" noch von sehr vielen geglaubt wird. Es gibt keine Sachzwänge, die stärker sind als der Geist, die Vernunft, die menschliche Intelligenz. Wer uns .mit Sachzwängen kommt, beleidigt uns, weil er uns unsere Geistigkeit streitig macht. Wenn man an dieser Stelle beginnt, darüber nachzudenken: was ist notwendig, um das Gemeinwesen wieder politikfähig zu machen, um es zu befähigen, diese Sachzwänge zu durchbrechen und eine im Sinne der Erhaltung des Lebens förderliche Politik durchzusetzen, dann kommen wir auf zwei Bereiche, aus denen heraus alle Erscheinungen unserer politischen Welt wachsen: der eine Bereich ist die Religion, der andere die Ordnung der Dinge, hier der Einrichtungen, durch die unser Gemeinwesen handelt und dadurch als politisches Subjekt vorhanden ist. Wohlgemerkt: als Religion wird hier auch jener Komplex von Annahmen bezeichnet, der uns zu erklären scheint, wie "die Wirtschaft" aus sich heraus "funktioniert", d.h. ohne daß ein politischer Wille ihren Lauf bestimmt. Noch deutlicher: Die uns von "Experten" übergestülpten Theorien von den Sachzwängen sind religiöse Dogmen. Sie sind als "Wissenschaft" getarnte Gedankenfallen. Durch gründliches Nachdenken erkennen wir, daß die Ordnung der Dinge auf bestimmte Weise mit der Religion zusammenhängt - mit ihr eine Einheit bildet: Wenn ich nämlich das Ganze für ein Wahngebilde halte (Anti-Religion des Atheismus) , kann ich natürlich nicht vernünftig über das Ganze nachdenken und über die Form, in der das Ganze ein handlungsfähiges, in diesem Sinne Freiheit verwirklichendes Gebilde wird. Mir fehlt dann der Gedanke der Freiheit. Weil ich glaube, Sachzwängen ausgeliefert zu sein, bin ich unfrei. Die Parteien verkörpern dem Begriffe nach und folglich auch

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in der Praxis immer Sonderinteressen der verschiedenen gesellschaftlichen Fraktionen. Jede Fraktion schreibt ihr Sonderinteresse als Allgemeininteresse auf ihre Fahnen. Was im Parteienstaat Ietztenendes als "Politik" herauskommt, ist immer "ein fauler Kompromiß", den eigentlich niemand will und in dem das Allgemeinwohl nicht vorkommt. Oder schlimmer noch: Im Hintergrund agiert das Große Geld. Durch personelle Verflechtungen, durch die von ihnen beherrschten Medien, durch des Heer der "Lobbyisten", durch Bestechung der Politiker usw. usf. greifen sie- um ihre Interessen durchzusetzen - gleichermaßen auf alle Parteien zu, die letztlich dann für die "Wähler" nur einen Schaukampf aufführen. Diese Erkenntnis ist - mehr oder weniger deutlich inzwischen im zeitgeistliehen Weltbild angekommen. Doch was folgt daraus? Nichts! Die Hälfte der Wähler geht weiterhin wählen, die Parteien verteilen weiterhin die Pfründen unter sich, die Probleme des Gemeinwesens werden weiterhin nicht gelöst, weil das Parteienkartell dazu nicht in der Lage ist. Was fehlt ist eine klare Vorstellung davon, was an die Stelle treten soll. Man kann ein ausgelebtes Modell nicht "abschaffen" und dann ist da gähnende Leere. Das Alte Regime verschwindet erst, wenn das Neue sich in verlockender Gestalt zeigt. Wir müssen also, wenn wir politikfähig werden wollen, für alle nachvollziehbar und verständlich darstellen: wie kann das Gemeinwesen anders geordnet werden, so daß die Sonderinteressen unter das Allgemeine gebeugt sind? Welche "patriotische" Partei, welche Gründungsinitiative tut das schon? Sie alle sind Holz vom Stamm des Parteienstaates. Auch die NPD ist in dieser Hinsicht im wahrsten Sinne des Wortes nichtssagend. Allen gemeinsam ist die unausgesprochene Behauptung gegenüber dem Wähler: "Ihr müßt uns nur an die Macht bringen, dann werden wir' s euch schon richten." Und es gibt viele aufrechte Deutsche, die tatsächlich glauben, das sei schon ein Erfolgsprograrnm. Was also ist zu tun, damit unser Gemeinwesen gegenüber den gesellschaftlichen Sonderinteressen, insbesondere gegenüber dem Großen Geld, politikfähig wird?

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Indem wir versuchen, diese Frage zu beantworten, treiben wir eine Politik zur Erlangung der Politikfähigkeit Sie ist die einzige Politik, die mir sinnvoll erscheint. Das ist für mich der Prüfstein für die sich gerade in diesen Tagen zahlreich aufdrängenden Gründungsinitiativen im Revier der heimat- und reichstreuen Gruppen. Diese werden sich vermutlich im Handumdrehen in den Chor der Abgrenzer gegen "den Narrensaum des Rechtsextremismus" einreihen. Also "im Westen nichts Neues". Die Antwort auf die gestellte Frage setzt nämlich voraus, daß man laut über Gegenstände nachdenkt, über die in diesem Lande nicht laut nachgedacht werden darf, ohne sofort mit dem Würgeeisen der "political correctness" zum Schweigen gebracht zu werden. Dieser Gefahr wollen sich die Herrn Parteigründer, soweit ich sie kenne, unter keinen Umständen aussetzen. Die wollen nur "anständige und ehrliche Demokraten" um sich versammeln. Nur: Wer anständig und ehrlich und ein "Demokrat" ist, das bestimmt der Feind. Die Herren Parteigründer übernehmen dessen Definitionen und unterwerfen sich damit seiner Macht. Es bestehen schon überall im Lande informelle Gruppen, die fernab von allem Ehrgeiz, eine Partei zu sein, sich mit den wirklich wichtigen Fragen beschäftigen. Es werden immer mehr. Täglich kommen neue hinzu. Sie sind dabei, zu lernen, wie das elektronische Weltnetz und die ihnen anverwandten Medien als Waffe im nationalen Befreiungskampf genutzt werden können. Die Vernetzung dieser Gruppen macht Fortschritte. Der Verfassungsschutz ist hier machtlos und ratlos. Ich erinnere, was ich hier über den Aufbau einer Geschichtswahrheits-Guerilla gesagt habe. Wenn sie - was ich hoffe - entsteht, wird sie unsere Feinde an der schwächsten Stelle treffen und sie mit den Waffen des Geistes niederringen. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich für ganz offene Strukturen. Der Geheimdienst ist sowieso überall zur Stelle. Ich bin sehr dafür, daß die Schlapphüte unsere Gedanken in allen Einzelheiten kennenlernen, analysieren und im Staatsapparat verbreiten. Dort sind auch Deutsche anzutreffen, die es noch sein wollen, und ich verraue auf "das Zeugnis des Geistes", d.h. auf deren innere 80

Zustimmung. Klandestine Gruppen sind leichter zu zerstören.

SCHÖNHUBER: Eine Kaderpartei muß nicht eine klandestine sein. MAHLER: Gut. Aber Sie haben vorhin Andeutungen gemacht: "Die" wissen es immer schon vorneweg und das müßte eigentlich aufhören. Dann habe ich Sie mißverstanden.

SCHÖNHUBER: Ich glaube, hier muß ich meine Vorstellung präzisieren. Das Nachdenken über eine Kaderpartei bedeutet ja nicht, daß die Basis der Partei grundsätzlich von einer Willensbildung ausgeschlossen sein soll. Sie soll nur vor Drangsalierung durch staatliche Organe geschützt werden. Die Spitze muß heute nach dem historischen Vorbild des wackeren Schweizer Soldaten Winkelried im Kampf gegen die Österreicher im Jahre I386 alle Speere aufsich ziehen, um derBasiseine Gasse zu schlagen. Dafür müssen allerdings die Spitzenkräfte bereit sein, für ihre Ideen notfalls ins Gefängnis zu gehen. Ich wollte durch Hinweise auf die Tätigkeiten des Verfassungsschutzes, der immer mehr in patriotische Bewegungen eindringt, auf die Gefahren aufmerksam machen, daß, vergröbert ausgedrückt, wenn mehr als zwei, drei oder vier Menschen zusammensitzen, der Verfassungsschutz mit am Tisch sitzt. Je weiter man nun die Aufgaben nach unten delegiert, den Personenkreis erweitert, um so größerwirddie Möglichkeitfürden Verfassungsschutz, das geheime Netz zu erweitern. Wenn Sie nun Parteimitglieder haben, die nicht unbedingt mit großer Intelligenz gesegnet sind, oder unter ökonomischen Zwängen leiden, um so anfälliger werden sie für die Lockrufe der Schlapphüte. Ich weiß, daß diese Aussagen durchaus zu meinen Lasten interpretiert werden können. Aber aus Erfahrung kann ich nur sagen, daß zu geistigen Auseinandersetzungen auch organisatorische Absieherungen gehören, und daß eine Partei in der Masse Flugsand ist. Nach der Berlin- Wahl im Jahre I989, die den Republikanern mit 7,5 % der Stimmen einen sensationellen Einzug in das 81

Abgeordnetenhaus bescherte, hielten wir uns für die größten, glaubten, daß uns bald ganz Deutschland gehöre. Nach der Europawahl, bei der wir zur zweitstärksten europäischen Rechtsgruppierung wurden, vor dem MSI und hinter dem Front National, da glaubten wir, die allergrößten zu sein. Dann kam der erste Rückschlag und schon war der ganze Enthusiasmus beim Teufel. Er hatte sich allein auf den Erfolg gestützt. Und dann brachen plötzlich Streitigkeiten aus, die vom Rausch des Erfolges zugedeckt gewesen waren. Da waren wir auf einem Spreedampfer zusammengekommen, feierten feucht-fröhlich, vor allem feucht, und sangen immer wieder das Deutschlandlied. In allen drei Strophen, versteht sich. Nach ein paar Wochen, angestoßen durch den Infiltrationsmechanismus, setzten erst kleinere Auseinandersetzungen ein, das ist, wie wenn Sie einen Stein ins Wasser werfen. Aus kleineren wurden größere Auseinandersetzungen. Personelle Querelen wurden zu Richtungsstreitigkeiten hochstilisiert. Auch der Bundesvorsitzende geriet in die Strudel. Plötzlich war zu hören, ja der Schönhuber, unser Franz, mag ja ein toller Massenredner sein, der zehntausend Menschen auf die Beine bringen kann, aber er war halt bei der Waffen-SS, trug den Totenkopf auf seiner Mütze. Das kann auch zum Totenkopf der Partei werden. Manche Juden vergessen nichts usw. Wandelbar ist eben des Volkes Gunst, dachte ich und suchte in der Geschichte nach Beispielen, wie man es besser machen könnte. Und fand das überzeugendste Beispiel in der russischen Geschichte. Nichts hat mir mehr imponiert als der Kampf, den die russischen Anarchisten gegen das Zarentum geführt hatten. Auch das waren geheime Gruppen, ausgestattet mit einer unwahrscheinlichen Opferbereitschaft und Zusammengehörigkeitsgefühl. Auch aus diesen Gruppen kamen Anstöße, die später zum Ausbruch der Oktoberrevolution führten, wobei allerdings dann alle idealistischen Ansätze mij3braucht wurden. Man stelle sich vor: In den 90 Tagen, die die Welt erschütterten, also der Machtübernahme durch den Bolschewismus, hatte die Partei 5 bis 6000 Mitglieder. Und die beherrschten das Riesenreich mit 180 Millionen Menschen. Warum: Weil sie im Untergrund die Gesetze der Geheimhaltung und Irrefüh82

rung der Staatsmacht kennengelernt hatten. Jetzt, selbst Staatsmacht geworden, wendeten sie ihre Eifahrungen gegen die Widersacher an und erklärten sie kurzerhand zu Reaktionären. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Ich betrachte die Oktoberrevolution als ein Verhängnis für die gesamte Menschheit. Das kann aber nicht bedeuten, daß man aus ihrem Zustandekommen nicht Lehren für die Gegenwart ziehen kann.

MAHLER: Das ist schön, daß wir das jetzt auf diesen Punkt gebracht haben. Ich gehe von einem ganz anderen Szenario aus. Es war eine Bedingung des Scheiterns der nationalsozialistischen Bewegung, daß sie als Bewegung den Staat erobert hat- mit einem starken Schub von unten - und über die Partei der Bewegung diesen Staat dann geleitet hat. Diese Bewegung war ungeachtet ihrer Mächtigkeit immer nur Teil des Ganzen. Als Teil hat sie sich aber zum Ganzen erklärt, was gleichbedeutend ist mit einer Bürgerkriegserklärung gegen die anderen Teile. Daraus sollten wir Lehren ziehen. Es geht nicht darum, irgendeine Partei an die Macht zu bringen, die dann die Politik macht. Sie könnte sich wiederum nur an der Macht halten, wenn sie zu ähnlich diktatorischen Maßnahmen greifen würde wie damals Adolf Hitler. Die Volksbewegung wird kommen. Die Ungeduld der Bürger mit dem Parteiensystem wächst. Irgendwann zündet der Funke. Und dann werden die Menschen wie 1989 auch massenhaft auf der Straße sein. Aber diesmal liegt - anders als 1989 mit der Bundesrepublik als Auffangstellung - kein fertiges Angebot im Schaufenster. Die Bewegung, von der ich hier spreche, wird um so eher kommen, je klarer wir Vorstellungen, wie die künftige Ordnung unseres Gemeinwesens aussehen sollte, in die Diskussion bringen. Für diesen Prozeß wird das elektronische Weltnetz eine entscheidende Rolle spielen. Mit diesem Medium können wir überall diesen gedanklichen Prozeß, die Diskussion in Gang bringen: was brauchen wir für eine Ordnung unseres Gemeinwesens, damit die Lebensprobleme in Freiheit und Würde gelöst werden können, nicht durch Diktatur und Blut, sondern durch Einsicht und vernünftige Entscheidung? Es geht nicht darum, eine Regierungs83

partei zu sein, sondern einzig und allein eine Volksbewegung dahin zu bringen, eine Nationalversammlung zu fordern, die dann über "Runde Tische" auch von den Parlamentariern, wie sie heute sind, beschlossen werden wird. Das Gesetz zur Einberufung der Nationalversammlung darf aber nicht von den bestehenden Parteien bzw. ihren Bundestagsfraktionen formuliert werden. Diese Aufgabe ist von den Sprecherräten der Volksbewegung zu bewältigen. Und in dieser Nationalversammlung wird dann dem Deutschen Reich die Ordnung gegeben, die eine am Gemeinwohl orientierte Politik möglich macht. Die Nationalversammlung wird darüber zu befinden haben, ob die Reichsordnung dem Wahlvolk zur Annahme vorzulegen ist oder nicht. Meine Vorstellung, wie die Reichsordnung in ihren Grundzügen beschaffen sein sollte, habe ich über das elektronische Weltnetz in der "Werkstatt Neues Deutschland" - daselbst im Werkstück Nr. 1 zur Diskussion gestellt. Dort sind auch die Entwürfe von Johannes P. Ney und Reinhold Oberlercher einzusehen.

SCHÖNHUBER: Gut. Aber jetzt sagten Sie selber ein Wort, das die Russen übernommen haben, nämlich die Anarchisten, die ja auch sehr unterschiedlich aufgefächert waren. Einige nannten sich Norodniki, Völkische. Also Volksbewegung. Und diese Volksbewegung ging von kleinen Einheiten aus. Und Sie sagten etwas, was unbedingt in das Gespräch hineingehörte, sonst hätten wir einen Fehler begangen und mehr als einen Fehler. Das ist jetzt die Rolle vom Internet. Das ist überhaupt unsere große Chance. Das ist die Chance jener Leute im kleinen Kreis, die sich austauschen. Das können Sie von den Massen nicht verlangen. Und wir müssen den Massen Vorgaben leisten. Warum machen Sie eine Hornepage? Warum mach' ich eine Hornepage? Weil wir die Gedanken in die Bevölkerung hineintragen wollen. Aber das bedeutet nicht unbedingt, daß ich jetzt eine Massenbefragung mache oder eine Basisbefragung mache. Das macht Mahler, weil Mahler es für richtig hält. Und das macht Schönhuber, weil es Schönhuber für richtig hält. Könnte man fast als theoretische Vorstufe zu einer Art Kaderpartei betrachten. Im übrigen wird 84

das Internet unsere beste Waffe in der Zukunft sein. MAHLER: Initiativen. Und bei mir kommen "die Massen" nicht mehr vor. Das "Zeitalter der Massen" lassen wir hinter uns. "Masse" in diesem Sinne ist das, was nur Gegenstand von Meinungsmanipulation und/oder Unterdrückung, aber nie ein politisches Subjekt sein kann. In der Revolution- insbesondere wenn sie friedlich verläuft- entsteht ein "multiples Subjekt" - eine im Raum zerteilte, vielgesichtige Gesamtperson, ähnlich wie wir sie 1968 an den westdeutschen Universitäten, die Schauplatz der Revolte waren, hatten. Damals lebte diese Gesamtperson der Revolte in den studentischen Vollversammlungen, die stets von einem aktiven Kern vorbereitet, durchgeführt und verstetigt wurden. Aus diesen Vollversammlungen gingen Ausschüsse hervorin Berlin der "Zentrale Ausschuß der ausserparlamentarischen Opposition"- die Autorität hatten, als Sprachrohr der Revolteure fungierten und zu jederzeit an jedem Ort zur Versammlung der Teilnehmer an der Revolte aufrufen konnten. Sie bildeten eine Art revolutionäre Regierung. In den Vollversammlungen konnte sich

Teach-in in der Berliner Universität

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jeder einbringen- auch universitätsfremde Personen. Die Vollversammlungen und die aus ihnen hervorgehenden Ausschüsse waren handelnde Personen, keine Masse mehr. Eine Volkserhebung ereignet sich stets in einer eigenartigen gefühlsmäßig aufgeladenen geistigen Atmosphäre, in der gemeinsame Denkakte möglich sind. Es ist erstaunlich, wie schnell sich ein übereinstimmernder Wille der Vielen herausschält, der auch noch nach Jahren als "überwiegend vernünftig" beurteilt wird. Weder die Erhebung der Studenten 1968 noch die Erhebung der Mitteldeutschen 1989 bedurfte der Parteien. Im Gegenteil: Parteien oder parteiähnliche Kräfte behindern die Spontaneität der revolutionären Kräfte, auf die alles ankommt und von der alles zu erwarten ist. Auf dem Höhepunkt der Studentenrevolte hat sich deshalb der SDS, der in der vorrevolutionären Phase der ideologische Motor der entstehenden Bewegung war, selbst aufgelöst. Ich habe es erlebt, wie sich 196711968 die vorher gänzlich unpolitischen Studenten in Studienzirkeln einfanden und sich heißhungrig auf die revolutionäre Literatur stürzten. Infolgedessen bildete sich innerhalb kürzester Zeit ein Fundus von wohldurchdachten Anschauungen, die jederzeit die Grundlage für die Beratungen einer verfassunggebenden Versammlung hätten werden können. Diese relative Einheitlichkeit der Anschauungen endete dann erst, als die revolutionäre Flut - nicht zuletzt deshalb, weil der Staat immer stärker sein Machtmonopol geltend machte - abzuebben begann. Als das spürbar wurde, stellte sich die Frage, wie dieses Machtmonopol zu brechen sei. Die Studenten - als eine weitgehend isolierte gesellschaftliche Minderheit- konnten darauf keine angemessene Antwort geben. Folglich griffen sie auf Antworten zurück, die andere - meist ausländische - Revolutionäre in nicht vergleichbaren Situationen gefunden hatten. Das bewirkte dann den Zerfall der Studentenbewegung. SCHÖNHUBER: Wir brauchen die Masse, um unsere Vorstellungen verwirklichen zu können. Deshalb brauchen wir uns aber keine Vorgaben durch Basisresolutionen machen zu lassen. Die

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SCHÖNHUBER: Ja zum elitären Denken sollten von uns ausgehen. Und so überzeugend sein, daß sie jedem Einspruch standhalten. Das mag elitäres Denken sein, aber ohne Eliten kommt ein Volk nicht aus. Rettung kommt nur über ein permanentes, ruhiges Nachdenken. Wir sollten dem Mediendruck widerstehen, aus der Hüfte schießen zu müssen, nur um dadurch Eingang in die Berichterstattung zu finden. Dieses Nachdenken muß in kleinen Zirkeln beginnen, abseits des medialen Lärmes und Getöses. Wirklich gute und aufsehenerregende Gedanken werden auch bis in die Universitäten vordringen und auch bei jenen intellektuellen Schichten Fuß fassen, die das herrschende System ebenfalls ablehnen, nur nicht wissen, wem sie sich anschließen sollen. Es wird dann auch wieder eine literarische Szene geben, die bis jetzt eine Domäne der Linken ist. Wir müssen die Menschen aufregen. Den Anfang machen wir gerade. MAHLER: Aber damit ....

SCHÖNHUBER: Damit sind wir uns doch im Bemühen um eine fundamentale Opposition einig. Aber darüber wird auch innerhalb der rechten Parteien kontrovers diskutiert, zum Beispiel bei den Republikanern. Aber sie tun sich schwer, weil sie keine Vorgaben haben, weil sie allein gelassen sind. Es sind hin und her gerissene Menschen. Es sind, wie wir vorhin besprochen haben, Menschen, die Zwängen ausgesetzt sind. Die sich von einer bürgerlichen Ängstlichkeit nicht lösen können. Das muß man verstehen. Sie wollen nicht ausgegrenzt sein. Sie wollen dazugehören, eine gewisse animalische Wärme verspüren: Gruppengefühl, Cliquengefühl, Kegelclub oder was auch immer. Eine Umgestaltung kann nur von Menschen kommen, die innerlichfrei sind. Die nicht erpressbar sind, die die richtige Umgebung haben. Denen kann man nicht die Frau oder die Kinder an den Hals schicken, um sie umzustimmen. Die sind frei und sie pfeifen

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MAHLER: Es müssen frische Kräfte kommen auf gesellschaftliche Ausgrenzung. Und deshalb könnte es sein, daß auf die Dauer die NPD erfolgreicher sein wird als die betulichen Republikaner. Vor allem bei der Jugend findet die NPD größeren Anklang. Ich selbst würde mich in dieser Partei zwar nicht heimisch fühlen, nicht allein wegen ihres martialischen äußerenAuftretens, das meiner Meinung nach kontraproduktiv ist. Nein, ich lehne die Theorie vom deutschen Blut, also die Blutstheorie kategorisch ab. Aber die sozialen Ideen der NPD, ihr entschlossenes Nein zum Kapitalismus und ihr kämpferischer Patriotismus nötigen mir schon Achtung ab. Doch ob sich diese Entwicklungen in diesen Parteien noch vollziehen werden, in dem Sinne, wie Sie es haben wollen oder vielleicht auch ich, daran wage ich generell zu zweifeln. Ich glaube, daß eigentlich die rechten Parteien, so wie sie sich jederzeit darstellen, schon fast verbrannt sind. Das ist ein bitteres Resümee, aber alles andere wäre gelogen.

MAHLER: Also es gibt sicherlich einige wesentliche Impulse, die sie in diese kommende, sich entwickelnde Bewegung reingeben. Das muß man auch immer wieder betonen, schon um diese Verteufelung der Rechten zu durchbrechen. Man muß aber auch wissen, daß diese Kräfte in gewisser Weise historisch verbraucht sind. Seine Hoffnung darauf zu gründen, das hieße, glaube ich, auf Sand bauen. Es müssen frische Kräfte kommen, von denen wir aber noch gar keine Vorstellung haben. Und was empfehlen wir? Es ist so vielleicht nicht richtig formuliert. Was geben wir für ein Beispiel? Sie haben es völlig auf den Punkt gebracht: Es müssen freie Geister sein, die nicht zu erpressen und nicht zu korrumpieren sind. Die nicht in der Furcht leben, geächtet zu werden. Und die ihren Kopf in Bewegung setzen und darüber einen Zusammenhalt untereinander herstellen. Man könnte sagen ein Deutscher Orden oder so ... Aber soweit würde ich gar nicht gehen. Was wir jetzt 88

Horst Mahler während einer Podiumsdiskussion

machen ist: wir beleben gerade das "Deutsche Kolleg" wieder, das schon vor ein paar Jahren, nach der Wende, ins Leben gerufen worden ist, um eben diese Anstrengung des Begriffs zu unternehmen, mit Leuten, von denen wir uns überzeugen, daß sie in diesem Sinne frei sind. Sie mögen ganz andere Auffassungen haben. Aber diese müssen frei ausgetauscht werden und bewegt werden. Was hier zunächst in einer kleinen Gruppe sich vorbereitet, wird ähnlich einem Schneeballeffekt - wachsen, sich verzweigen und vernetzen. Der unscheinbare Quellgrund revolutionärer Ideen sind stets kleine Zirkel, in denen das Neue Denken keimt. Es muß dort vorgedacht sein, was sich in der historischen Situation zu einer kräftigen Pflanze entwickelt, sich zu handhabbaren Konzepten verdichtet. Auf diesem Weg - und wohl auf keinem anderen - kommen wir zu einer Ordnung des Gemeinwesens, die erst wieder Politik ermöglichen wird. Zu allererst sind dann die Mißstände zu beseitigen, die die Revolution veranlaßt haben. Wahrscheinlich wird das die Überfremdung sein, die nichts anderes ist als die Auslöschung des Deutschen Volkes von innen her, Völkermord. Wir müssen schnellstens auf das Bildungssystem zugreifen, das ja heute bis ins Mark deutschfeindlich ist. Hier haben die Feinde Deutschlands ihre wichtigste Festung errichtet. Die Generalstabsarbeit für diesen Bereich der Besatzungspolitik hat die "Frankfurter Schule" im US-Amerikanischen Exil geleistet. Theodor Wiesengrund Adorno und Max Horkheimer, beides Juden, haben sich lange vor dem Erscheinen Daniel Goldhagens anheischig gemacht, die Geschichte der Deutschen, die sie auf eine Abfolge von Gewalttätigkeiten reduzieren, aus ihrer vermeintlichen sexuellen Verklemmtheit herzuleiten. Von hier geht der zentrale Angriff auf die Grundlagen jeder Gesittung aus. In unseren Schulen, die vom Geist der Frankfurter zersetzt sind, werden die Deutschen ihrem Volke entfremdet und zu Deutschfeinden abgerichtet. Das muß sofort aufhören. Es liegt aus der Feder von Reinhold Oberlercher der Entwurf für ein "1 00 Tage-Programm" vor. Wenn man das liest, erschrickt man zunächst. Aber Oberlercher hat den richtigen Einstieg gewählt. Er sagt: "Das ist mein

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Vorschlag. Wenn er euch nicht gefällt, macht einen besseren!" Dann beschäftigt man sich damit und plötzlich fragt man sich: ja, warum eigentlich nicht? Wenn das organisierte Verbrechen: Rauschgiftschmuggel, die Verseuchung der Jugend mit Rauschgift, Prostitution, Menschenhandel, Waffenschieberei, Korruption diese Ausmaße annimmt wie gegenwärtig, dann ist das staatliche Machtmonopol und damit die Rechtsordnung als ganze in Frage gestellt. Die Eindämmung dieser Erscheinungen auf ein verträgliches Maß wird zur Überlebensfrage für das Gemeinwesen. Das ist ein kriegsähnlicher Zustand. Der Staat wird zu seiner Erhaltung möglicherweise quasi kriegerische Mittel dagegen einsetzen müssen. Das ist hart. Für eine Übergangszeit müssen wir es hinnehmen, sonst können wir uns nicht retten. Und das konkret zu diskutieren, jetzt schon: welche Maßnahmen werden es sein müssen? Das ist wichtig. Wir müssen uns auch gewissermaßen abhärten, d. h. den Gutmenschen in uns ersticken. Der ist so kreuzgefährlich, weil er jegliche praktische Lösung unserer politischen Probleme unmöglich macht nach der Devise: "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß!" SCHÖNHUBER: Lassen Sie es, Herr Mahler. Wir beide sind abgehärtet. Wir sind durch ein Stahlbad gegangen. Das passiert anderen nicht. Insofern werden wir eine andere Rolle spielen. Das wird keine irgendwo fixierte parteipolitische sein. Und darin sehe ich auch den Hauptsinn dieses Gespräches. Ich würde mit Ihnen noch mitgehen bei der Forderung nach einer National- Versammlung. Das würde bedeuten einen anderen Bundestag als den, den wir jetzt haben. Wichtig wird dann sein, was die Nationalversammlung als Ergebnis beschließt. Da kann es durchaus sein, daß Mahler und Schönhuber nicht unbedingt in der gleichen Formation stehen. Es kann sein, daß Mahler Vorschläge einbringt, die ich ablehne. Es kann sein, daß ich Vorschläge anbringe, die Mahler ablehnt. Aber entscheidend ist, daß innerhalb oder außerhalb einer deutschen Nationalversammlung die Mahlers und die Schönhubers die Chance bekommen müssen, das Wort zu ergreifen, sich zu artikulieren, Position zu beziehen. Wirklichfreie Dis91

SCHÖNHUBER: Mahler in die Fernsehrunden kussionen müßten in den Medien möglich sein. Es ist doch ein Schwachsinn, daß ein "vertalkter" Medienverbund immer die gleichen Leute bringt, den Peter Glotz, den Reiner Geißler, den Guido Westerwelle, den Gysi, Friedmann und die rattern dann das runter, was man von ihnen schon x-mal gehört hat. Warum sollte da in Zukunft kein Mahler sitzen, der provozierend und ohne parteipolitische Rücksichtnahme eine wirklich befruchtende Diskussion in Gang bringen könnte. Bei mir hatte man einige Versuche unternommen, und, da sie den von den Veranstaltern gewünschten Erfolg nicht brachten, hieß es: Zurück in die Schweigespirale. Gäbe man uns eine Chance, würde wieder Spannung in die Politik kommen und die Dampfplauderer gingen k.o. Bisher ist die Politik nichts anderes als eine mediale Kasper/veranstaltung, die zuweilen an Peinlichkeit nicht zu überbieten ist. MAHLER: Das wäre die Machtbarriere. Das ist ja bewußt so, wie das Brzezinsk:i bestätigt-. Das sind die Pfeiler der OS-amerikanischen Weltherrschaft: daß es so läuft und nicht anders. Die Frage lautet, wie diese Machtverhältnisse sich ändern. Die Medien kommen durch eine Volksbewegung in eine Zwickmühle: Kommt das Volk erst mal in Bewegung, müssen sie darüber berichten, um sich nicht selbst vom Markt zu katapultieren. Berichten sie falsch, werden sie - wie 1968 Axel Springer - als Feind kenntlich und als solcher bekämpft. Berichten sie aber halbwegs an den Tatsachen entlang, verstärkt das die Bewegung.

SCHÖNHUBER: Und sie werden es auch, weil sie anpassungsfähig sind. MAHLER: Natürlich.

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SCHÖNHUBER: Um das anzuprangern, sitzen wir ja hier. Ich hab' bis vor einem halben Jahr mir nicht vorstellen können, daß wir gemeinsam an diesem Tisch sitzen werden. Wir kannten uns vorher nicht persönlich. Was wir voneinander wußten, oder zu wissen glaubten, erfuhren wir über die Medien oder von Freunden, von denen manche in Anführungszeichen zu setzen sind. Wir sind Experten bei diesem Thema. Gerade weil wir Gezeichnete sind, die den Schritt vom Wege bewußt vollzogen haben und uns deshalb vor der sogenannten Gesellschaft nicht mehr zu fürchten brauchen. Deshalb eröffnen wir ein neues Diskussionsforum und ladenjeden ein, der keine Berührungsängste hat, daran teizunehmen. Ieh bin überzeugt davon, daß wir von rechts wie links Zulauf bekommen. MAHLER: Dazu kann ich nur sagen: ich hatte immer ein viel entspannteres Verhältnis zu dem, was sich als "Deutsche Rechte" von Anfang an bis heute dargestellt hat, weil wir in Systemzusammenhängen gedacht haben. Für diese hatten "die Rechten" nach

Der NPD-Vorsitzende Adolf von Thadden in der Berliner FU. Ganz rechts Erich Kuby, neben von Thadden Peter Furth.

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1945 in Deutschland keine Bedeutung mehr. Warum- also- hätten wir sie bekämpfen sollen? Das hätte nur vom Hauptfeind-vom US-Imperialismus - abgelenkt. Und - wie ich bereits geschildert habe- waren "Nazis" für mich keine Monster. Ich war nicht fähig sie zu dämonisieren. Und dann als dritte Überlegung: Gefährlich wären mir "die Rechten" vielleicht erschienen, wenn sie sich als eine politische Druckformation dargestellt hätten, die die Interessen des ausgreifenden Deutschen Monopolkapitals hinter sich hat. Das war aber offensichtlich nicht der Fall. Das Deutsche Kapital, soweit man noch von Deutschem Kapital reden kann, oder gar das Monopolkapital, ist heute antinational und global orientiert, deswegen sind ja die rechten Parteien auch so arm. Sie haben ja kein Geld. Frey hat ein bißchen Geld. Wie er das gemacht hat? Ich weiß es nicht. Aber insgesamt ist diese politische Kraft ohne finanzielle Mittel, und das macht sie eigentlich auch in gewisser Weise vertraut. Diese Mittellosigkeit, die kenne ich ja auch auf der linken Seite. Diese Rechte war niemals der Feind. So komisch das klingt. Das haben sich die Rechten nur eingebildet. In Berlin gab es in den 60em auch nie Zusammenstöße zwischen rechts und links. Mit v. Thadden haben wir in der Universität zwar heftig - aber friedlich und ohne Beleidigungen - diskutiert. Es gab in der Stadt eine Pogromstimmung, gegen den SDS, die der Senat aufgeheizt hat. Biedere Bauarbeiter haben im Anschluß an eine Senatskundgebung, auf der "unsere" Politiker den Amis ausgiebig die Stiefel geleckt hatten, das SDS-Zentrum gestürmt. Das waren keine "Rechten" Wir sind hingegangen und haben uns mit denen unterhalten. Anschließend waren wir uns ziemlich einig. Wir sind befriedet - vielleicht sogar als Freunde - auseinandergegangen. Die waren eben verhetzt. SCHÖNHUBER: Aber so war es bei uns nicht. Bei uns ging die ANTIFA gewalttätig gegen uns vor.

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Bauarbeiter stürmten das SDS-Zentrum in Berlin im Anschluß an eine Senatskundgebung.

MAHLER: Beschimpft sie nicht als Zecken! MAHLER: Wann war das? War das 68?

SCHÖNHUBER: Das war dann bei unserem Einzug in den Berliner Senat, in das Abgeordnetenhaus. MAHLER: Das war wann?

SCHÖNHUBER: 1989. MAHLER: Ja, das war schon der Verfall, die Abfallprodukte dieser 68er Bewegung, die ja jetzt die Systemkritik aufgegeben, die "Demokratie" lieben gelernt und den "American way of death" angenommen hat. Die ist ja nicht mal mehr theoretisch fundiert antikapitalistisch. Sie frönt einem blödsinnigen Ressentiment gegen das "Establishment", ist Mitverdiener an der Holokaustindustrie und mimt "militanten Antifaschismus", weil viele der "alten Kämpfer" jetzt auch Pfründen haben, die sie mit der "Antifa"-Haltung gut verteidigen, aber mit jeder Systemkritik in Frage stellen würden. Und dann gibt es die ganz Jungen, die von ihren Lehrern - meistens resignierten 68ern - verhetzt werden. Sie haben überhaupt keine Vorstellung mehr davon, was 68 war. Das sind die, die in den Straßen: "Nie wieder Deutschland" od~r "Deutschland muß sterben, damit wir leben können." Oder gar "Deutschland verrecke!" blöken, die wissen nicht, worüber sie reden. Ich sage auch immer: die Rechte, auch jetzt insbesondere die NPD, die jungen Leute dort, sollen sich nicht in diese Teile unseres Volkes verbeißen, sie nicht als "Zecken" beschimpfen. Jene sind Verwundete der psychologischen Kriegsführung gegen unser Volk. Wir gehen doch davon aus, daß die Umerziehung unglaublich effektiv arbeitet. Das muß sich doch in einer solchen Jugend zeigen. Dann kann man nicht dieser Jugend die Schuld geben und sie verteufeln.

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Das wäre die Rückkehr in den geistigen und dann auch demnächst in den realen Bürgerkrieg. Genau das ist es, was unsere Feinde bezwecken. Wir sollen uns selbst zerfleischen. Der lachende Dritte sitzt dannjenseits des Atlantik und sagt: "die haben wir im Sack."

SCHÖNHUBER: Ich gebe Ihnen recht, was Sie über Bezeichnungen wie "Zecken" sagen. Sie sind kontraproduktiv. Aber bewußt, von der einen wie der anderen Seite herbeigeschriebene Feindbilder gibt es auch im Weltmaßstab. Denken wir an die Diskusionen über Menschenrechte. Ich bin der Meinung, daß Menschenrechte nicht ideologisiert werden sollten und auch nicht okupiert von irgendeinem Land, auch nicht von den Amerikanern, die in ihrem Einflußbereich Menschenrechte permanent verletzen. MAHLER: Menschenrechte gibt es nicht. Dafür aber eine höchst gewinnträchtige Menschenrechtspropaganda. Das britische Weltreich wurde aufgebaut mit dem Christentum als ideologische Basis zur Rechtfertigung des britischen Herrschaftsdranges. Das verfängt heute nicht mehr. Für heutige Zeiten ist von den USA das Sammelsurium vermeintlicher Menschenrechte als Interventionsideologie entwickelt worden. Die schlimmsten Verbrechen lassen sich jetzt damit rechtfertigen, daß man die Menschenrechte verteidigen muß. 1968 war das den "Linken" klar. Auch Joschka Fischer wußte das damals. Die Menschenrechte als eine universell geltende Rechtsordnung, so wie man sich das vorstellt, gibt es nicht. Recht ist der daseiende vernünftige Wille eines konkreten Gemeinwesens, der als solcher auch der vernünftige Wille jedes Volksgenossen ist, der damit zum Rechtsgenossen wird. Das Recht zeigt sich in der Macht, sich gegen einen widerstrebenden Willen zu behaupten und durchzusetzen. Diese Durchsetzungsmacht ist da als organisierte Staatsmacht Man kann es sich als eine unter Hochspannung stehende Stromquelle vorstellen, die das Gemeinwesen mit "Willensenergie" versorgt. Die Rechtsverletzung wäre die Berührung eines stromführenden Kabels. Der dadurch ausgelöste Stromschlag wäre die Sanktion, die den Frevler niederwirft. Es sind immer nur die einzelnen real vorhandenen Völker und 97

Nationen, die eine Rechtsordnung aus sich hervorbringen und in der beschriebenen Weise machtbewährt subjektive Rechte gewährleisten. Die "Menschheit" ist eine Abstraktion - so wie "Obst" eine Abstraktion ist. Sie ist kein konkretes Gemeinwesen, deshalb auch nicht willensfähig. Konkretes Dasein des Obstes sind Äpfel, Birnen, Erdbeeren usw. So ist konkretes Dasein der Menschheit jeweils das bestimmte staatlich verfaßte Gemeinwesen. Die gegenwärtig so vielfach beschworene "Weltgemeinschaft" ist hier nur ein anderes Wort für Menschheit. Sie ist ebenfalls nur eine Abstraktion und deshalb nicht fähig, einen Willen zu haben. Die Menschenrechtspropaganda der US-Ostküste wollte die Welt glauben machen, daß den Vereinten Nationen jene Trägerschaft für eine Menschenrechtsordnung zukomme. Diese Propaganda-Lüge ist spätestens mit dem Angriffskrieg der NATO auf Serbien geplatzt. Die Aggression ist im Namen der Menschenrechte unternommen worden- ohne Mandat der Vereinten Nationen! Deren Charta erklärt militärische Operationen gegen eine souveräne Nation generell für unzulässig, es sei denn, sie erfolgen im Auftrag der Vereinten Nationen oder richten sich gegen Deutschland, das durch die Feindstaatenklauseln als Feindstaat aus dem Schutz der UN-Charta ausgegrenzt bleibt. Das Verhalten der NATO ist der Beweis, daß es den Vereinten Nationen an der Durchsetzungsmacht fehlt, die erst einer Rechtsordnung zum Dasein verhilft. Das, was uns jetzt als "allgemeingültige Menschenrechte" verkauft wird, ist nichts anderes als die Vernichtung der Selbstbestimmungsrechtes der Völker, die Vernichtung der souveränen Nationen - mit Ausnahme der USA. Als Gegenprobe sei folgende Überlegung angestellt: Die in einigen Afrikanischen Ländern - u.a. in Ägypten - noch flächendeckend an kleinen Mädchen durchgeführte Klitorisbeschneidung, eine schwere körperliche Verstümmelung, verletzt das "Menschenrecht" auf körperliche Unversehrtheit. Doch schreitet die "Weltgemeinschaft" dagegen nicht ein. Damit erweist sich dieses "Menschenrecht" als nicht existent. Und so ist es mit allen 98

anderen "Menschenrechten" auch. Kulturell fortgeschrittene Gemeinwesen- insbesondere die Völker des Abendlandes - haben es im Bewußtsein der Freiheit zur Anerkennung der Person gebracht. Die Rechte der Person schliessen alle Freiheiten ein, die einem arglosen Zeitgenossen einfallen, wenn er das Wort "Menschenrechte" hört. Diese Nationen sollten selbstbewußt sich jegliche unter Berufung auf vermeintliche Menschenrechte unternommene Einmischung der US-Ostküste in ihre inneren Angelegenheiten verbitten. SCHÖNHUBER: Und man sieht auch, wie unterschiedlich Menschenrechte angewendet werden. Wenn es beispielsweise um einen rechten Politiker geht, der gegen den etablierten Stachellöckt, dann wird der gnadenlos veifolgt. Für das gleiche Vergehen wird beispielsweise ein ehemaliger kommunistischer Potentat nicht veifolgt. Das istfür meine Begriffe eine ganz einseitige Auslegung der Menschenrechte- hier links, dort rechts- rechts in jedem Fall verfolgen und links in jedem Fall tolerieren. MAHLER: Für den Gebrauch der Eingeweihten sind die Amerikaner ehrlich genug zu sagen, daß sie auf die Menschenrechte immer nur dann zurückgreifen, wenn das im nationalen Interesse der USA liege. Das sind nicht unsere Interessen. Im Gegenteil. Wir haben mit China, wir haben mit Rußland, wir haben mit Serbien das gemeinsame Interesse, diesen Angriff auf die Souveränität der Völker und Nationen abzuwehren. "Unsere" Politiker sind entweder zu blöde, um das zu begreifen, oder zu feige, daraus die gebotenen Schlüsse zu ziehen.

SCHÖNHUBER: Zumal ich noch eines sagen möchte, was die Menschenrechte in gods own country angeht, ich weiß nicht, ob das im Sinne der Menschenrechte ist, daß es heute in Amerika beispielsweise noch die Todesstrafe gibt, und daß auch in Amerika der Mensch in einer Gaskammer vom Leben zum Tode gebracht wird. Abgesehen davon, daß es eine fürchterliche Assoziation ist,

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SCHÖNHUBER: Ich bin gegen die Todesstrafe SCHÖNHUBER: Amerika brachte die Mafia wieder nach Europa möchte ich auch selber sagen, ich bin ein leidenschaftlicher Gegner der Todesstrafe, war es immer, obwohl es in meiner ehemaligen Partei sicher die Hälfte gab, die dem Kopf-ab-Prinzip huldigten. Wie stehen Sie, Herr Mahler, zur Todesstrafe? MAHLER: Ich bin prinzipiell gegen die Todesstrafe. Ich weiß, daß ein starker Staat, also ein im Bewußtsein seines Volkes verankerter Staat, die Todesstrafe nicht braucht. Wenn aber durch einen schwachen Staat die Dinge in Unordnung geraten sind und das organisierte Verbrechen die Lebensgrundlagen des Volkes unterminiert, schließe ich für eine Übergangszeit die Todesstrafe als Kriegswaffe gegen das Verbrecherturn nicht aus. Sie sollte aber in erster Linie dort zum Einsatz kommen, wo sich das organisierte V erbrechen durch Korruption und Einschüchterung unmittelbar am Staat vergreift.

SCHÖNHUBER: Also ich schließe es generell aus. Aber gut, darüber kann man in der Tat diskutieren. Man muß sie ja auch nicht vollstrecken. Mussolini hat die Sache relativ einfach gelöst und deshalb gab es auch keine Mafia während der faschistischen Zeit. Er hat sie alle zusammengepackt und auf eine Insel gesteckt, und dort waren sie quasi isoliert und zur Untätigkeit verdammt. Oder sie gingen nach Amerika und die erste Tat, die die Amerikaner nach der Besetzung Siziliens begingen, war, daß sie die Mafia zurückholten, die Mafiosi zu Bürgermeistern und sogenannten Landräten und Regionalräten machten. Ein Herr Luciano war plötzlich mehr 100

oder minder der Herrscher Siziliens. Das ist ein geradezu fluchwürdiges Vergehen der Amerikaner, daß sie an der Wiederbelebung der Mafia in Europa einen ganz entscheidenden Anteil haben. Auch das gehört zum "american way of life ". MAHLER: Es ist wirklich höchste Zeit, daß wir den Propaganda-Vorhang wegziehen und die geschichtlichen Tatsachen in Augenschein nehmen. Ich glaube, wir kommen dann sehr schnell zu der Überzeugung, daß die Regierenden der Ostküste der USA, die ich überhaupt nicht mit Amerika und der Bevölkerung Amerikas gleichsetze, die Heuchler schlechthin sind.

SCHÖNHUBER: So ist es. MAHLER: Das ist eine verfluchte Truppe, die überhaupt keine Bedenken trägt, die edelsten Gefühle, die im Menschen zum Schwingen kommen, für ihre Zwecke zu mißbrauchen.

SCHÖNHUBER: Das geht weiter "right or wrong- my country ". Das gilt nicht nur für Eng land, das gilt in hohem Maße für Amerika. Entspricht das dem britischen Cant? MAHLER: Dazu kann ich nichts sagen. Ich habe mich damit noch nicht beschäftigt. ..

SCHÖNHUBER: Also ich meine, es entspricht dem britischen Cant, d. h. der Heuchelei als Staatsräson. Ein Inder ist eben anders zu behandeln als ein Engländer in England. Allein das ist eine diskriminierende Art, die die Engländer jahrhundertelang durchgehalten haben und die englische Oberschicht hängt dieser Philosophie noch heute an. Ich möchte noch einmal auf den 68er Komplex zurückkommen. Was waren denn das für zornige junge Frauen und Männer? Was waren ihre Motive, wie waren ihre Charaktere?

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MAHLER: Also, was sie antrieb, das war natürlich ein moralischer Impuls. Und ich möchte das hier gleich relativieren: Bei Hegel ist dieses Phänomen untersucht. Er weist - und das schon sehr früh - darauf hin, daß diese Moralvorstellung, die eine private Moral ist, in der Übersteigerung umschlägt in den Wahnsinn des Eigendünkels. Und das ist es, was ich in der RAP ganz deutlich erfahren habe. Man überhöht seine eigene Moral, so daß man durch sie gerechtfertigt ist, jegliches Verbrechen zu begehen. In uns wirkte die Leuinsehe Formel: "Moralisch ist, was der Revolution nützt, und unmoralisch ist das, was ihr schadet." Für uns war die Revolution das Höchste. Geprägt durch die Umerziehung, waren die 68er höchst anfällig für moralische Kurzschlüsse, zumal ihnen der Zeitgeist das sittliche Fundament, den Glauben an Gott, unter den Füßen weggezogen hatte. Aber auch hier darf man das Positive nicht übersehen, das in den 68em auch gegenwärtig war. Sie waren keine Nihilisten, deshalb auch keine Zyniker. Im Gegenteil: Sie standen gegen den Zynismus der Amerikanischen Ostküste auf. In ihrer moralischen Haltung überlebte Gott, auch wenn ihnen das so nicht bewußt war. Mir selbst ist durch die Schriften des Italienischen Kommunisten Antonio Gramsei und des Österreichischen Marxisten Max Adler klargeworden, daß Marx, der sich selbst für einen Atheisten hielt, und die ihm nachdenkenden "Marxisten", als die sich die 68er ja verstanden, tief religiöse Menschen, von Gott viel tiefer ergriffen waren, als die "Alltagschristen". Deshalb war Karl Marx, ein Jude, auch in der Lage, den Satz aufzustellen, daß sich die Menschheit vom Judentum emanzipieren müsse, wenn sie überleben wolle. Der Judaismus ist seinem Wesen nach die Wirklichkeit des Zynismus. Er stellt das "auserwählte" Volk zu den anderen Völkern nicht in ein moralisches Verhältnis. Diese sind ihm vielmehr nur Nutzvieh. Wo sie sich ihm entgegenstellen, sind sie entweder zu beherrschen oder auszumorden. In jeglicher Moral, die diesen Namen verdient, ist der Gedanke enthalten, daß der Andere um seiner selbst Willen zu achten sei. Die Lenin'sche Abirrung besteht darin, daß die Welt als gottlos verworfen und die Erlösung in dem erst noch zu schaffenden 102

"Reich des Menschen" gesucht wird. Die Bestimmung des Menschen wird darin gesehen, sich für dieses Unternehmen aufzuopfern. In diesem Opfergedanken liegt das weitere, daß der Andere, der im revolutionären Kampf vom Revolutionär getötet wird, gerade in dem ihm auferlegten Opfer die Ehre erfährt, für die Revolution, damit für die Erlösung der Menschheit gestorben zu sem. Der gottvergessene aber noch moralische Mensch ist der "verlorene Sohn". Ihn wird der Ruf erreichen, mit uns für eine politische Gestalt zu sorgen, in der die Sittlichkeit als die Substanz des Staates, des Gemeinwesens wieder erscheint. Der Zyniker dagegen ist der Reiche, der am Nadelöhr dem Kamel den Vortritt lassen muß. Da für ihn das irdische Himmelreich unerreichbar ist, wird er fortfahren, es zu leugnen und die Welt in einen Saustall zu verwandeln. Wir haben heute in der Realität das Gegenteil von einem sittlichen Staat. Wir haben zunehmend mafiotisierte Strukturen im Staat Die Mafia ist ganz oben angekommen. Wir haben bereits verurteilte Staatschefs: Craxi, ehemals Ministerpräsident Italiens, ist im Zusammenhang mit seiner politischen Tätigkeit zu einer vieljährigen Haftstrafe verurteilt worden wegen seiner Verstrickung mit der Mafia. Andreotti, ebenfalls ein ehemaliger Regierungschef Italiens - übrigens mit der längsten Amtszeit -, war mit hohem Verdachtsgrad angeklagt, sich in Mafiamorde verwickelt zu haben. Wir haben den Fall Kohl. Ein Partei- und Regierungschef, der die Finanzen seiner Partei offensichtlich in mafiöser Weise organisiert hat, ohne als christlicher Kanzler etwas dabei zu finden. Wir haben die Mafia eh schon immer in Amerika in den höchsten Rängen der Parteimaschinen und dadurch in der Regierung. Das wird die Herausforderung sein. SCHÖNHUBER: Ein Thema, das auchfür die Bundesrepublik von höchster Aktualität ist.

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MAHLER: Die moralisierte Linke ist wegen ihres moralischen Blicks für die Politik untauglich MAHLER: Es ist natürlich positiv zu sehen, daß man mit dem Anspruch der 68er, es habe im Staate sittlich zuzugehen, den Kampf gegen diese Erscheinungen aufnimmt. Der Beamtenstand muß wieder versittlicht werden. Es muß überhaupt ein Beamtenstand im guten Sinne dieses Wortes erst wieder geschaffen werden. Das kann in der Nachwirkung der 68er-Bewegung lebendig gemacht werden. Andererseits ist dieser moralische Antrieb natürlich auch ein Schub in Richtung Abgrund, weil die Realität nicht mehr wahrgenommen wird, wie sie ist, sondern sie wird immer unter den Verdacht gestellt, etwas ganz anderes zu sein als sie sein soll, d. h. die ganze Geschichte, der erreichte Zustand wird moralisch beurteilt und dann werden die Akteure verurteilt, ohne daß man die Bedingungen, Zusammenhänge sieht: wie ist es dazu gekommen, welche Interessen stoßen aufeinander usw. Das macht uns politikunfähig. Die moralisierte Linke, wenn ich das 'mal so pauschal sagen darf, ist allein wegen ihres moralischen Blicks für eine praktische Politik untauglich. Die Moralapostel in der Regierung waren erst einige Wochen im Amt, als sie sich mit moralischen Argumenten an einem schmutzigen Krieg gegen ein Europäisches Volk beteiligten. Madelaine Albright's Küsse haben den Zyniker erweckt...

SCHÖNHUBER: Ich möchte hier als Interviewpartner noch eine Frage stellen. Ich meine, solche Bewegungen lassen sichauch an Personen messen. Aus meiner Sicht waren dies Dutschke einerseits, dann Baader-Meinhofandererseits. Ich weiß natürlich, daß man geneigt ist, nach dem Grundsatz "De mortuis nihil nisi bene - Über die Toten nichts, es sei denn Gutes, zu reden. Aber hier handelt es sich um Zeitgeschichte und da gelten andere 104

Gesetze. Es würde mich in der Rückblende schon interessieren, wie sie die genannten Personen einschätzen. MAHLER: Also bei Rudi Dutschke ist das hervorstechende Merkmal, daß er trotz oder vielleicht gerade wegen seiner Unscheinbarkeit ein unglaubliches Charisma hatte. Wenn ich ihm so begegnet wäre, es wäre überhaupt nichts an ihm gewesen, was mich hätte fesseln können. Aber wenn er anfing mit seiner merkwürdigen Stimme zu Rudi Dutschke reden, konnte er einen schon in seinen Bann ziehen. Ich hatte mit seiner Art, auf den heutigen Tag bezogen die nächsten Aufgaben aus dem Gang des Weltgeistes zu bestimmen, immer Schwierigkeiten. Bin deswegen auch ab und zu mit ihm aneinander geraten, ganz freundschaftlich. Verblüffend war für mich bei diesen Gelegenheiten die Reaktion der anwesenden jungen SDSler. Ich war ja schon eine etwas ältere Ausgabe- durchschnittlich 10 Jahre älter, als die anderen. Von den Frischlingen bin ich, wenn ich Rudi etwas kritisch anging, ausgezischt worden. Wir haben dessenungeachtet sehr gut zusammengearbeitet. Ich habe ihn verteidigt und habe dann, bevor dieses Experiment der später sogenannten Roten Armeefraktion begann, in London mit ihm eine lange Diskussion über den bewaffneten Kampf geführt. Ich wußte, daß er in dieser Frage kein orthodoxer Leninist war und bewaffnete Aktionen kleiner Gruppen als Fortsetzung dieser Revolte nicht ausschloß. Deshalb bin ich extra zu ihm nach London, wo er vorübergehend Asyl gefunden hatte,gefahren, um diese Frage mit ihm zu diskutieren. Er hat mir dringend von meinem Vorhaben abgeraten, weil die Voraussetzungen für

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Der Vietnamkongress. Im Vordergrund Rudi Dutschke. Links: Gaston SaJvatore, rechts Günter Amend.

einen Erfolg nicht gegeben wären. Das hat er richtig gesehen. Aber es war nicht so, daß er aus moralischen Gründen prinzipiell dagegen gewesen wäre, sondern er war halt auch als moralische Persönlichkeit geprägt von diesem Satz Lenins "Moralisch ist, was der Revolution nutzt." Da hätte er keine Schwierigkeiten gehabt. Er gehörte ja in Berlin, und das wird heute immer wieder verdrängt, zum Kreis derjenigen, die zuallererst die Frage aufgeworfen hatten: müssen wir nicht zu militärischen Mitteln des Kampfes greifen? Ihm schwebte damals eine Anti-NATO-Kampagne vor, bei der durchaus auch Sprengstoff eine Rolle spielen sollte. Er meinte es sei notwendig, in W esteuropa, insbesondere in der Bundesrepublik, den als NATO verkleideten Weltfeind Nr. 1, den US-Irnperalismus, durch militante Aktion für das öffentliche Bewußtsein als Feind zu markieren. Es gab unter seinem Einfluß auch erste Versuche dieser Art. Die sind allerdings an technischem

Horst Mahler verteidigt Rudi Dutschke. Ganz rechts : Uli Preuß

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MAHLER: Andreas Baader hatte auch Charisma Unvermögen der daran beteiligten Studenten kläglich gescheitert. Das war, wenn im Kreis der Eingeweihten die Rede darauf kam, Anlaß für Heiterkeit. Soviel zum Pazifismus von Rudi Dutschke. Ich meine, man tut ihm unrecht, wenn man jetzt versucht, ihn als Pazifisten darzustellen. SCHÖNHUBER: Und die anderen beiden? MAHLER: Andreas Baader ist eine schwer einzuschätzende Persönlichkeit. Auch er hatte Charisma. Aber er war durch einen Sprachfehler behindert. Der führte dazu, daß seine mündlichen Ausführungen immer von Gudrun Ensslin - die beiden waren unzertrennlich - der Gruppe übersetzt wurden, so daß man nie genau wußte, ist das nun Gudruns oder Andreas' Auffassung. Er hatte einen sehr klaren Verstand, erfaßte sehr schnell das Wesentliche, konnte ausgezeichnet logisch denken, war technisch sehr begabt und hatte einen frechen Mut. Die weiblichen Gruppenmitglieder konnte er unbedingt in seinen Bann ziehen. Er war eine geborene Führergestalt mit beschränktem Wirkungskreis. Er hätte nie ein Volkstribun werden können. SCHÖNHUBER: Und Meinhof? MAHLER: Ulrike Meinhof? Ja die war, glaube ich, in lebensgefährlicher Weise in einem moralischen Amoklauf begriffen. Wir haben an ihr erlebt, wenn sie vor dem Fernseher gesessen hat, sich die Frontberichte aus Vietnam, die täglich kamen, anschaute, sah die wie eine Strecke erlegter Hasen zum Zählen aufgereihten erschlagenen Vietnamesischen Bauern. Sie konnte das nicht ertragen. Vor Wut heulend sprang sie auf und schrie: "Das können sie mit mir nicht machen. Ich sitze in einem weichen Sessel und soll 108

mir das ansehen! Die machen mich fertig!" Das wurde bei ihr zum Impuls, irgend etwas dagegen zu unternehmen. Irgendwas, das nicht verschwiegen werden konnte. Es mochte noch so aussichtslos sein. Wenigstens wollte sie- wie sie das in einer Konkret-Kolummne formuliert hatte - dem Lieben Gott Bescheid sagen, daß sie dagegen sei. Das war ein durch und durch existentialistischer Einstieg in den bewaffneten Kampf. Das kann man wohl auch auf die übrigen Gruppenmitgliedern der sogenannten ersten Generation beziehen.

SCHÖNHUBER: Mich würde interessieren, war der Tod der drei in Stammheim Selbstmord oder Mord? Und was hat es mit Ihrer "kanonischen Erklärung" auf sich? MAHLER: Also erstens, ich habe keine sichere Kenntnis davon. Ich bin auch auf die Medien angewiesen. Aber nach bestimmten Kriterien z. B. "cui bono?" - "wem nutzt es?" - und vor dem Hintergrund der Psyche dieser Menschen bin ich der Auffassung, daß es einzig und allein schlüssig und sinnvoll ist zu sagen: es war Selbstmord. Die Entschlossenheit, den eigenen Körper zur Waffe zu machen, war da. Und von Andreas Baader gibt es die klare Aussage - das hat er in einer Diskussion im Ausbildungslager der Al Fatahin Jordanien erklärt- für ihn komme es überhaupt nicht in Frage, lebenslänglich hinter Gittern zu sitzen. Entweder gelinge eine Befreiungsaktion oder er bringe sich um. Die Pareilelen zwischen der Waffen-SS und dem SOS werden in der von Oberlercher verfaßten, von Maschke und von mir mitunterzeichneten "kanonischen Erklärung" thematisiert. Wie sehen Sie das?

SCHÖNHUBER: Das ist eine sehr schwere Frage. Sie ist vielleicht typologisch zu beantworten. Ich habe natürlich in diesem Kreis junge Menschen gesehen, die in ihrer enthusiastischen Art und ihrer kämpferischen Einstellung in der Tat manchen jungen Soldaten und Offizieren der Waffen-SS ähnelten, auch in ihrer Unbedingtheit, auch in ihrem Anspruch. Was Sie vorher gesagt 109

haben über Moral, das galt natürlich auch für Waffen-SS. Auch sie hatte eine Moral, die sie unter allen Umständen durchsetzen wollte. Und sie hatte die gleiche Lust an der Provokation. Was den 68ern die Professoren waren, der Muff unter den Talaren, war für die Waffen-SS der Spießer, die parlamentarische "Schwatzbude", der Kastendünkel. Aber man muß bei diesem Vergleich auch die unterschiedlichen -Zeiten berücksichtigen. Die jungen Leute, die in der Waffen-SS dienten, kamen aus der Weimarer Republik. Sie waren aufgewachsen mit deren sozialen Spannungen. Deshalb spielte die soziale Frage in der Waffen-SS eine große Rolle. Jeder sollte die gleiche Chance haben. In der Tat trug wie zu Zeiten Napoleons jeder Soldat den Marschallstab im Tornister, konnte wegen persönlicher Tapferkeit auch ohne Abitur Offizier werden. Er mußte nicht aus alten Adelsgeschlechtern kommen, wobei man deren Angehörige als Aushängeschilder durchaus benutzte, um dem Ausland gegenüber eine gewisse Reputation nachzuweisen. HitZer und Himmler hatten ja einen gewissen Ade/stick. Aber in der Truppe hielt man die "Monokelfritzen", die aus der Kaiserzeit kamen, für gestrige Krautjunker. Für uns Soldaten der Waffen-SS war es deshalb eine große Genugtuung, daß nach dem Putsch vom 20. Juli /944 auch die Wehrmacht den Hitlergruß anwenden mußte. In einem Punkt aber gab es zwischen der Waffen-SS, besonders ihrer Führung und dem SDS einen grundlegenden Unterschied: Das war die Frage der Rasse, die Frage des Blutes. Hier stand die Waffen-SS den heutigen Ansichten der NPD näher. Aber ich möchte in diesem Zusammenhang noch etwas einflechten, was für mich wesentlich ist und unter Umständen auch Sie tangieren könnte. Ich weiß ja inzwischen, wie Ihre ehemaligen Freunde und Kampfgenossen auf Ihre Aktionen reagiert haben. Im Regelfall wohl wenig freundlich. Ich mußte nach Erscheinen meines Buches "Ich war dabei" zum Teil unerwartete Erfahrungen machen, die vielleicht eine gewisse Ähnlichkeit zu den von Ihnen geschilderten aufweisen. So hoch die Zustimmung im Grunde bei den Lesern generell war, so geteilt war sie bei meinen ehemaligen Kameraden. Die einen hätten mehr an Heldendarstellungen für die Truppe erwartet. Dies nach dem Motto: Wir waren eben doch 110

SCHÖNHUBER: Wer war ein Held? die Größten. Entgegnete ich ihnen, ich hätte ja immer wieder auf die unbestreitbare Tapferkeit hingewiesen, aber wir hätten halt auch Schwächen gehabt, auch unser Ehrenschild weise Flecken auf, dann war die Antwort meist die: Aber darüber schreiben ja unsere Gegner oft genug, warum mußtest Du auch noch darauf hinweisen, hättest es auch weglassen können. Andere, besonders jene Kameraden, die sich inzwischen in der Bundesrepublik wohnlich eingerichtet hatten, raunten, es wäre besser gewesen, Sie hätten das Buch überhaupt nicht geschrieben. Ihnen hat es nichts genützt und uns auch nichts. Sie haben damit nur wieder Gräben aufgeschüttet, die allmählich zugewachsen waren. Jetzt geht die Frage nach der Vergangenheit wieder los. Hier finde ich wieder eine Parallele zu den 68em, die auch gerne gewußt hätten, was ihre alten Herren alles so im Dritten Reich gemacht haben. Den einen ging ich also zu weit, den anderen ging ich zu wenig weit. Und dann kam immer diese fatale Gegenüberstellung. Also wir waren keine Verbrecher, ergo waren wir Helden. Aber es ist nicht so, daß man entweder ein Verbrecher oder ein Held ist. Das ist Krampf. Man muß fragen, wer ist ein Held? Für mich war nicht der ein Held, der in der Waffen-SS beispielsweise aus einem oberbayrischen Gebirgsdorf kam und ein wackerer Prügler war, für den natürlich auch der Nahkampf nichts anderes war, als die Fortsetzung der Wirtshausschlägerei mit anderen Mitteln. Aber ich habe sehrfeinfühlige Leute kennengelemt, nicht so nervenstarke, die ihre Angst überwunden hatten, und das waren für mich eher die Helden als die anderen. Aber um das abzuschließen. Für mich ist und bleibt die WaffenSS eine politisch mißbrauchte und eine militärisch verheizte soldatische Elite. Auch wenn ich die Flecken auf dem Schild nicht übersehen möchte.

MAHLER: Die Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS sind ein Opfer des Zeitgeistes geworden. Es ist eine hervorstechende 111

MAHLER: Es geht darum, den Feind zu respektieren Eigenschaft des heutigen Denkens und Fühlens, die Welt als eine Schwarzweißzeichnung zu sehen: alles ist entweder nur gut oder nur böse. Zwischentöne werden geleugnet. Menschen werden regelrecht verteufelt. Das ist das uralte religiöse Muster des Manichäismus, das im Judaismus aber auch im calvinistischen Puritanismus eine besondere Ausprägung erfahren hat. Schlimmer noch: Der Zeitgeist pauschaliert. Der Nachweis der Einzelschuld wird nicht mehr gefordert. Das Alte Testament mit seinem Ausrottungsdenken, das keinen Unterschied zwischen Schuldigen und Unschuldigen macht, und auch unschuldige Kinder und- ausdrücklich- Säuglinge(!) dem mörderischen Schwert dahingibt, hat das Evangelium völlig verdrängt. Der Zeitgeist hat aber diesen Bezug auf die Antike und das Judentum im Bewußtsein der Zeitgenossen gelöscht. Den meisten Menschen ist es gar nicht bewußt, daß sie damit einer bestimmten Religion huldigen. Es ist eine dem christlichen Abendland absolut fremde Art und Weise, die Menschen zu sehen. Wir sollten das so schnell wie möglich überwinden, denn es macht uns handlungsunfähig. Der Mensch ist alles. Der Mensch und durch den Menschen macht sich die Geschichte. Goethe überraschte Eckermann mit dem Eingeständnis, er könne sich kein Verbrechen vorstellen, dessen er sich nicht für fähig hielte. Und das setze ich geradezu voraus. Jemand, der gar nicht fähig ist, ein V erbrechen zu begehen, kann auch nicht gut und sittlich handeln. Sittlichkeit ist nur in der Überwindung des willkürlichen, also verbrecherischen Willens wirklich. Es macht uns als geistige Wesen, als Dasein der Freiheit aus, daß wir die Möglichkeit haben, uns gegen unser Gewissen zu entscheiden. Diesen inneren Kampf täglich zu führen und für das Gewissen zu gewinnen, das macht die Sittlichkeit einer Person aus. Unser Feind ist von gleichem Geist. Mag er uns noch so bedroh112

lieh sein, er ist als Person zu achten. Und ich habe ja auch - zum Verdruß vieler "Rechter"- geschrieben: "liebet eure Feinde!" Es geht darum, den Feind zu respektieren. Er bleibt natürlich der Feind. Wenn es sein muß, erschlage ich ihn. Wenn ich sage: "liebet eure Feinde!", dann habe ich eben einen Feind, den ich liebe, dadurch, daß ich ihn anerkenne und ihn als eine Herausforderung an mich begreife. Denn ich habe die Möglichkeit, an dieser Herausforderung zu wachsen. In vorgeschichtlicher Zeit hatten die Wilden ihre Feinde "zum Fressen gern". Indem sie ihre erschlagenen Gegner durch den Verzehr des Gehirns symbolisch mit sich vereinigten, meinten sie, sich um die Kräfte und besonderen Fähigkeiten des toten Feindes zu bereichern. An die Stelle dieses Rituals tritt in unserem Kulturkreis die Erkenntnis, daß uns der Feind zur höchsten Anspannung unserer sittlichen Kräfte nötigt und uns dadurch wachsen läßt. Dafür bin ich meinen Feinden auch dankbar. Alles weitere hat J ohann Gottlieb Fichte in seiner Predigt über Feindesliebe gesagt. Das ist etwas, was ich dem Deutschen Volke gerne ins Stammbuch schreiben würde, das sich oft klein und häßlich macht, indem es seine Feinde dämonisiert und übermächtig darstellt, um seine desolate Situation zu rechtfertigen. Das ist nicht die germanische Gesinnung. Der Erinnerungskult, die Holocaustindustrie, die plakatierte Vergangenheitsbewältigungsind Ausdruck einer geistigen Fremdherrschaft, deren Element die Heuchelei ist. Oh, daß die Deutschen doch endlich die Herausforderung erkennten, die darin für sie liegt! Mit jedem Tag liebe ich die Juden mehr, denn der Kampf gegen ihr geistiges Prinzip läßt in mir täglich neue Gedanken aufsteigen, die mir unendlich wertvoll sind und den Feind zuschanden machen. SCHÖNHUBER: In dieser Vergangenheitsbewältigung gibt es natürlich auch einen Punkt, den man nicht unerwähnt lassen darf. Es gibt nicht nur die Gnade der späten Geburt, also für Leute, die gar nicht in die Gefahr gerieten, die Abgründe zu erkennen, die das System damals in sich barg, da sie später geboren wurden. 113

SCHÖNHUBER: Keine Delegierung von Schuld Aber es gibt auch den Zufall und der spielt im menschlichen Leben eine große Rolle. In der Watfen-SS gab es verdiente Frontsoldaten, wirklich gute, anständige Kämpfer, hervorragende, faire Offiziere. Dann passierte es, daß ihnen eine Granate ein Bein abriß. Sie waren also nicht mehr frontdienstfähig. Was machte man da? Man steckte sie als Bewacher in ein KZ. Die wären nie sonst dorthin geraten. Sie sind durch eine Granate dorthin buchstäblich geschossen worden. Was bleibt bei diesen Menschen hängen? Sie waren Bewacher. Verdrängt wird, daß sieBewacher wider Willen waren. Daß sie an sich anständige Soldaten hätten bleiben wollen. Ich erinnere an das Schicksal des letzten Kommandanten des Lagers Dachau, den tapferen Frontoffizier der Watfen-SS Weiß. Ihm wurde bei den Kämpfen in der Normandie ein Bein weggeschossen. Er war also nicht mehr frontdiensifähig. Sein Bemühen, die Situation in Dachau zu verbessern, wurde beispielsweise auch von dem inhaftierten Weihbischof Neuhäusler anerkannt, der die Amerikaner auch darauf hinwies. Es nützte nichts. Weiß wurde gehängt, und da er wegen seinr Verwundung nicht stehen konnte, auf einem Stuhl sitzend. Dieses Wissen gehört auch dazu, weil es in Deutschland eine sogenannte Schuldkette gibt. Und bekanntlich beißen dann den letzten die Hunde: D. h. Wehrmacht anständig, Watfen-SS zwar tapfer, aber nicht ganz so anständig. Das ist ja das Verdikt gewesen der deutschen Generäle. Aber immerhin waren sie Soldaten. Und wer bleibt übrig? Der arme Bursche, der da plötzlich sich als KZ-Wächter wiedeifzndet. Aufden wurde nun alles abgeladen, auch von den eigenen Kameraden der Watfen-SS. Also die Distanzierung, die heute im politischen Bereich eine so große Rolle spielt, die hat damals schon angefangen. Es ist die immer weiter vorangetriebene Delegierung von Schuld. Sie ist heuchlerisch und selbstgefällig.

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MAHLER: Bloß mit dem, was Sie gerade gesagt haben, sind Sie genau in eine Gegenposition getreten, zu dem, was ich hier vertrete. Sie scheinen auch von einer generellen Schuldvermutung auszugehen, die Sie nur im Fall besonderer schicksalhafter Umstände für widerlegt erachten. Unter den Bewachern in den KZs waren aber sicher auch Leute, die noch kriegstauglich waren. Man wird also nicht nur Krüppel dahingestellt haben. Waren die alle schuldig? SCHÖNHUBER: Das stimmt schon. Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Waffen-SS war quasi der vierte Wehrmachtsteil. Das ist unstriftig heute, wird auch von Militärhistorikern so gesehen. Die KZ-Bewacher drin waren aus Neigung oder sagen wir auch aus Sadismus oder...

MAHLER: Oder einfach, weil sie den Marschbefehl bekommen haben. SCHÖNHUBER: Das sind die einen. Aber ich denke an jene, die keine verbrecherische Neigung hatten,für die nur eines zählte, ein anständiger Soldat zu sein. Und die dann plötzlich in eine Rolle gedrängt wurden, die sie im Grunde genommen nicht wollten. Es ist insofern keine Gegenposition.

MAHLER: Ich habe auf dem Höhepunkt der Studenterevolte auch einmal einen SS-Mann verteidigt. Meine damaligen Freunde haben das nicht verstanden. Dieser Mann war Bewacher in einer Nebenstelle des KZs Mauthausen gewesen. Dort haben Häftlinge in Anwesenheit der SS-Bewacher Mithäftlinge mit kaltem Wasser aus einem Schlauch solange bespritzt, bis sie an Unterkühlung gestorben sind. Diesen SS-Mann habe ich vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte vertreten, weil er schon fünf Jahre in Untersuchungshaft zugebracht hatte und immer noch keine Gerichtsverhandlung gegen ihn durchgeführt worden war. Der hat mir so ein bißeben die Welt geschildert, wie er dazu gekommen war. Er war in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. 115

MAHLER: Keine Dämonisierung und Verteufelung politischer Gegner Hatte sich mit Begeisterung freiwillig zur Waffen-SS gemeldet. Soldatischer Gehorsam war für ihn eine Selbstverständlichkeit. Als er den Marschbefehl bekam, hat er sich befehlsgemäß zu dem erwähnten Konzentrationslager begeben. Dort war er Einflüssen ausgesetzt, die ihn in der Rückschau erschauem ließen. Er beschrieb nachvollziehbar den Prozeß der Verrohung, den er durchgemacht hatte. Es wurde für mich deutlich, daß die Wachmannschaften bei der Aufrechterhaltung der Lagerordnung die "Drecksarbeit" gewöhnlichen Kriminellen überlassen hatten, die dieses "Privileg" mit perverser Grausamkeit auskosteten. Ihn plagte das Gewissen und er wollte begreifen, wie er sich mit Mördern gemein machen konnte. Er litt unter der Vorstellung, mit seinem Verhalten den "Ehrenschild" der Waffen-SS besudelt zu haben. Für mich war bei dieser Verteidigung wichtig, meine Überzeugung zu prüfen, daß niemand - und sei seine Schuld noch so groß -als Unmensch abgeschrieben werden dürfe. SCHÖNHUBER: Da gebe ich Ihnen recht. MAHLER: Und eine der schlimmsten Entwicklungen, die die 68er genommen haben, ist eben genau das, daß sie sich heute maßgeblich an der Dämonisierung und Verteufelung politischer Gegner oder vermeintlicher politischer Gegner, aber auch völlig unpolitischer Menschen, die sie für belastet halten, beteiligen. Damit sind sie - wie Marx und Engels das ausdrücken würden zu Lumpenproletariern verkommen. SCHÖNHUBER: Ich möchte dieses Thema abschließen mit einem Hinweis. In den Bewachungsmannschaftgen der KZs gab es ja nicht nur SS-Leute, sondern es stießen im Laufe des Krieges auch Wehrmachtsangehörige, Luftwaffen- und Marinesoldaten 116

dazu. Sie waren nicht mehr kriegsdiensttauglich. Das ist weitgehend verdrängt worden, ähnlich wie die Frage, ob der Nationalsozialismus als eine rechte oder linke Bewegung einzuordnen ist. Ich bin heute noch der Meinung, daß zumindest am Anfang der Nationalsozialismus eine linke Bewegung war, der Faschismus schon früher. Es ist inzwischen in Vergessenheit geraten, daß Mussolini an Kurt Eisner ein Glückwunschtelegramm geschickt hat, einem, wie man damals sagte, Bolschewiken, den dann der rechte Nationalist Graf Arco erschossen hat. Bocksprünge der Geschichte. Mit der Ausschaltung der Gehrüder Strasser und Ernst Röhm war die linke Periode des Nationalsozialismus endgültig zu Ende. Ich kann heute mit dem Iinks-rechts-Geschwafel überhaupt nichts anfangen. Nicht selten steckt ein Kalkül dahinter, wo in einer Gliederung der Weg schneller nach oben geht, links oder rechts. Deshalb hatten Sie recht, wenn Sie fordern, den Iinks-rechtsKonflikt aufzulösen. Schlagt nicht auf jene armen und verhetzten jungen Leute ein, sie können morgen eure Bundesgenossen sein. Im übrigen gab es bereits einmal einen historisch bedeutsamen Versuch, auch aufinternationaler Ebene diesen Konflikt aufzulösen. Es war ein russischer Jude, Karl Radek, der beste Propagandist, den Lenin jemals hatte, der bereits 1923 auf einem Kongreß der erweiterten Exekutive der Dritten Internationale den deutschen Nationalisten ein Bündnisangebot gemacht hat. Er sagte an die Adresse von Albert Leo Schlageter: Ihr und wir sitzen praktisch im gleichen Boot. Ihr und wir haben die gleichen Feinde. Es ist der internationale Kapitalismus, der euch und uns zerstören will. Warumfinden wir keine Brücke? Geht ihr nicht mit uns, seid ihr "Wanderer ins Nichts." Dieser Versuch, der heute gar nicht oft genug erwähnt werden kann, man denke auch an die späteren Aktionen von Ernst Niekisch, scheiterte an den kommunistischen Ultras. Und diese kamen bezeichnenderweise aus Deutschland. Die Hauptgegnerin des Manifestes von Radek war die deutsche Spitzenfunktionärin Klara Zetkin. Die ging fast so weit, Radek auch noch zu einemSympathisantender Faschisten zu stempeln. Also, die Geschichte wiederholt sich nicht in dem Sinne, daß man 117

MAHLER: Es ist Aufgabe der Volksgemeinschaft allen eine Lebensgrundlage zu garantieren und zu schützen heute sagen kann, es gibt vielleicht wieder einenRadekund einen Schlageter. Aber es kann zu ähnlichen Konstellationen kommen. Radek ist in einem bolschewistischen Gulag buchstäblich verreckt, muß man sagen. Schlageter wurde in einem Tribunal, einem unwürdigen Siegertribunal hingerichtet. MAHLER: Geschichte wiederholt sich nicht. Da bin ich völlig einverstanden. Aber der Geist, der in ihr wirkt, ist immer derselbe, der nur in verschiedener Gestalt in Erscheinung tritt. Für Deutschland in seiner heutigen Lage kommt alles darauf an, den Blickwinkel, unter dem das Zeitgeschehen gesehen wird, zu ändern. Das Rechts-Links-Schema ist ein Wahrnehmungsschema des Bürgerkrieges. Ernst Nolte sieht in seinem Werk "Der europäische Bürgerkrieg" das ganze 20. Jahrhundert unter diesem Gesichtswinkel. Der Europäische Bürgerkrieg habe sich schließlich zum Weltbürgerkrieg erweitert. Das ist die Optik der marxistischen Geschichtstheorie (das beziehe ich nicht aufNolte). Sie geht von dem Krieg der Klassen - "der da unten gegen die da oben" - aus. Dieser sei das eigentlich bewegende Moment der Weltgeschichte. Deshalb begrüßte Lenin den Ausbruch des I. Weltkrieges (er soll in Bem vor Freude auf einem Tisch getanzt haben), weil dieser sich nach der Marx'schen Geschichtsformel notwendig in den revolutionären Bürgerkrieg verwandeln würde. Die Geschichte hat ihn- wenn man genauer hinsieht - widerlegt. Kriege sind das Geschäft der Völker. Deutschland ist in zwei aufeinanderfolgenden Kriegen die in Wirklichkeit ein einziger sind - von feindlichen Nationen geschlagen worden. Wie können die Deutschen nur glauben, ihre Feinde hätten ihnen ihren Sieg geschenkt? Wir sind immer noch das besiegte Volk und deshalb auch immer noch ein von den Siegern besetztes Land. Die Besatzung ist allerdings "mediati118

siert", d.h. vermittelt durch ein System sozialpsychologischer Beherrschung (vgl. Brzezinski), kombiniert mit einer Technik, die ich soeben für die KZ-Verwaltung beschrieben habe. Die Sieger haben die Aufrechterhaltung der Ordnung im besetzten Territorium auf Widerruf den "Funktionshäftlingen", den Kapos, überlassen. Im Falle Österreich haben wir anläßlich der Regierungsbeteiligung der FPÖ die Anfänge des Widerrufs erlebt. Wir haben keinen Krieg im Innem - also gegeneinander - zu führen. Wir müssen uns vielmehr von der Fremdherrschaft, d.h. auch von den Funktionshäftlingen befreien: selbstverständlich durch Krieg - aber nicht durch einen Krieg mit den technischen Mitteln der Menschenvernichtung, sondern durch einen Krieg der Gedanken. Dagegen rüstet sich der Feind mit dem Versuch, unser Volk künstlich in Bürgerkriegsfronten zu spalten, damit wir uns untereinander zerfleischen. Deswegen sollten wir uns klarmachen: es geht nicht um Ismen- Marxismus oder Faschismus -oder sonstige Ideologien. Es geht auch nicht um Definitionen, sondern es geht um die konkrete, lebendige Einheit, die wir als Deutsches Volk sind. Diese zu bewahren, das ist Vaterlandsliebe, Treue zum eigenen Volk. Die nationale Aufgabe ist nur zu lösen, wenn zugleich die soziale Frage gelöst wird. Zum Volk gehören durch Geburt immer alle dazu, gleichgültig, welche gesellschaftliche Stellung der einzelne einnimmt. Es ist die Rechtfertigung der Volksgemeinschaft, allen Volksgenossen eine Lebensgrundlage zu garantieren und zu schützen, jedem nach seinemVermögen die Möglichkeit zu geben, für sich selbst und für seine Familie zu sorgen. Wir erleben es heute, daß die Lebensgrundlagen von Millionen und Abermillionen zerstört werden durch das liberalkapitalistische Prinzip. Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus, wie auch bei der NPD, Leute sich heute hinsetzen und die Marxsche Gesellschaftsanalyse nachvollziehen, um zu verstehen, was eigentlich vor sich geht und was der Endpunkt dieser Entwicklung ist. Sie sagen heute - wie in den 60er Jahren die SDS-ler: genau dieses Ende der Kulturen und Nationen darf sich nicht ereignen. Sie suchen Bundesgenossen in allen Schichten des Deutschen Volkes. Sie sind viel eher bereit, ihre Aversionen gegen 119

"Linke" aufzugeben als die "Linken" ihre Aversionen gegen die "Rechten". Das Gespräch wird heute von den "Linken" (noch) verweigert, die sich damit in Widerspruch zu sich selbst setzen. Es sind nur Lippendienste, die sie ihren Prinzipien leisten. Der von Jürgen Habermas gepredigte "herrschaftsfreie Diskurs" ist durch das Denunziantenturn seines Erfinders diskreditiert und schließlich von den Epigonen der 68er im (Selbst)Haß ertränkt worden. Argumente wurden durch Steine ersetzt. Auch so äußert sich der allgemeine Verfall. Doch unsere Gegner auf der "Linken" sind unsere Verbündeten von morgen. Das sollten wir nie vergessen. SCHÖNHUBER: Also hier kann ich nichts hinzufügen. Dabei ist es nicht so, daß wir uns in jedem Punkt einig sein müssen. Es gibt auch unterschiedliche Auffassungen. Doch in diesem Punkt nicht. Auch ich hatte während meiner Zugehörigkeit zu den Republikanern stets gegen die Konservativen in der Partei anzukämpfen. Vor allem gegen die ängstlichen bürgerlichen, oder sagen wir besser bourgeoisen Kräfte. Denen gefiel mein Wahlspruch vom Sozialpatriotismus wenig. Ihr Wortführer, der heutige Bundesvorsitzende Dr. Rolf Schlierer, erklärte später offen, er könne damit nichts anfangen, "Sozialpatriotismus" sei ja auch veifremdet. Hierin hat er sogar recht. Natürlich hätte ich lieber die genauere Bezeichnung "nationalsozial" gebraucht. Aber ich kannte meine Pressekollegen Die hätten schnell aus einem "nationalsozial" ein "nationalsozialistisch" gemacht. Und das wollte ich der Partei ersparen. Aber ein sozialer Patriotismus oder Sozialpatriotismus ist im Grunde genommen das gleiche. Insofern sind wir uns hier einig. Aber gestatten Sie eine Zwischenfrage. Wie haben Sie eigentlich die lange Zeit der Inhaftierung überstanden? MAHLER: Nach meinem Gefühl habe ich sie ganz gut überstanden. Was natürlich mit der Besonderheit dieser Situation zusammenhing: Ich war durch das, was ich vielleicht politische Überzeugung nennen darf, in diese Situation gekommen, hatte mich vorher in der Gruppe intensiv mit allen Möglichkeiten, die jene 120

Form des Kampfes in sich barg, auseinandergesetzt Wir haben uns genau vorgestellt, wie es sein würde und wußten: das Leben und auch der Kampf ist im Gefängnis nicht zu Ende. Wir haben auch die "Kampfaufträge" definiert, die in der Gefangenschaft zu übernehmen sein würden: für Ulrike Meinhof und für mich ging er dahin, noch einmal die Grundlagen der revolutionären Theorie nachzuvollziehen, zu studieren. Die so gewonnenen Einsichten sollten in geeigneter Form an die "draußen" kämpfenden Genossen weitergegeben werden. Und so bin ich dazu gekommen, in der Haft sehr viel über grundlegende Dinge zu lesen. Dabei habe ich etwas entdeckt, das für mich sehr wichtig geworden ist: Karl Marx, der sich in seinen Schriften vielfach auf Hegel beruft, hat dessen Kerngedanken überhaupt nicht verstanden. Der Grund war nicht intellektuelles Unvermögen. Meine erste Erklärung ging dahin, daß er nur die Momente aus der Hegeischen Lehre herausgefiltert habe, die seinem Wunsch nach theoretischer Begründung seiner revolutionären Träume dienlich gewesen seien. Der Grund liegt aber tiefer: Der Hegeische Kerngedanke ist die konkrete Einheit des absoluten Geistes (Gott) und des endlichen Geistes (Mensch). Er ist die Überwindung des Jüdischen Prinzips der Trennung von Gott und Mensch. Ein Jude, der Hegel begreift, hört in diesem Augenblick auf, Jude zu sein. Karl Marx entstammt einer Rabbinerfamilie. Er verstand sich als Atheist. Nun setzt der Atheismus ebenso wie der Judaismus die Trennung von Gott und Mensch voraus. Denn nur wenn der Satz gilt: Gott ist Gott, und Mensch ist Mensch (Trennung von Gott und Mensch = Jüdisches Prinzip) kann der weitere Satz: Gott ist gar nicht, nur der Mensch ist (Prinzip des Atheismus) bestehen. Wem dagegen der Satz gilt: Gott und Mensch ist(!) einundderselbe; Gott und Mensch sind(!) aber auch unterschieden, aber nicht trennbar (Hegelscher Kernsatz), kann weder auf dem Boden des Jüdischen Prinzips noch auf dem des Atheismus stehen. D.h. Marx war auf eine abstrakt negative Weise dem Jüdischen Prinzip verhaftet geblieben. Damit ist zugleich aufgezeigt, daß der Atheismus eine Spielart des Judaismus ist. Die Bedeutung des Judaismus für das "wissenschaftliche" Weltbild habe ich bereits dargelegt (vgl. S. 34). 121

Lenin, der dann den Satz aufgestellt hat: "Man sei nicht in der Lage, auch nur einen einzigen Satz von Marx zu verstehen, wenn man nicht den ganzen Regel gelesen und verstanden hätte", erweist sich als jemand, der von Regel nichts begriffen hat. Er hat das selbst minutiös dokumentiert in seinen Randnotizen zur Regellektüre, die uns erhalten und auch veröffentlicht sind. An ihnen kann man wunderbar aufweisen, daß ihm Regel völlig verschlossen geblieben ist. Und es ist deshalb kein Zufall, daß in seiner Person, in seiner Theorie von Staat und Revolution die marxistische Konzeption eine Zuspitzung erfahren hat, die ins Absurde geht, die das Menschenbild völlig verkehrt. Lenins Ideal war, daß die kommunistische Weltgesellschaft von einer Köchin im Nebenberuf verwaltet werde. Diese Verrücktheit hat sich dann auch in der geschichtlichen Praxis zeigen müssen. Wir müssen jetzt - vielleicht auch über Marx - zurück zur Deutschen Philosophie. Sie sieht das Ganze. Sie zertrennt nicht wie die Naturwissenschaften und betrachtet dann die getrennten Teile, ohne das Ganze noch zu sehen, sondern sie kommt vom Ganzen her und denkt die Teile vom Ganzen her und sagt: jeder Teil ist auch das Ganze. Das ist der Gedanke der Volksgemeinschaft. Der Teil ist berechtigt, denn das Ganze setzt sich aus den Teilen zusammen und ist nicht ohne diese Teile und es ist in diesen Teilen. Das Ganze ist durch sich selbst, und jeder Teil ist durch sich selbst. Das ist das Wesen der Deutschen Philosophie, diese ganzheitliche Betrachtungsweise, die eine ganz andere Logik als die Naturwissenschaft, also auch im Widerspruch steht zum naturwissenschaftlichen Weltbild. Das naturwissenschaftliche Weltbild vergewaltigt das Leben des Einzelnen und der Völker. SCHÖNHUBER: Also wenn ich Sie so hier sitzen sehe, rein in der physischen Wahrnehmung, so muß ich sagen, Sie müssen die Jahre, was Ihre Psyche und vielleicht auch Ihre Physis angeht, relativ gut überstanden haben. Erstens. Aber da stellt sich für mich eine zweite Frage. Wie ist Ihnen denn der Wiedereintritt in die Nöte und Zwänge und Verhältnisse unserer Zeit gelungen? Sie sind Anwalt. War es für Sie sehr schwer, wieder eine Zulassung zu bekommen? 122

MAHLER: Sehröder hat mich als Anwalt verteidigt MAHLER: Je in. Man muß die Zulassung unterscheiden von dem Wiedereintritt in eine bürgerliche Existenz. Es ist erstaunlich, daß ich im Hinblick auf eine bürgerliche Existenz so gut wie keine Schwierigkeiten hatte. Ich hatte dauernde Freundschaften, auch Freundschaften aus dem Kreis der ehemaligen Genossen, und treue Mandanten. Unter den Freunden ragt Manfred Kiernle, ein sehr erfolgreicher Architekt, heraus. Ihm habe ich viel zu verdanken. Er gehörte auch zur Novembergesellschaft Ich hatte also keine nennenswerten Probleme. Günstig wirkte sich der Umstand aus, daß ich schon vor der Studentenrevolte als Anwalt einen ganz guten Ruf hatte. So war ich nach der Wiederzulassung im Jahre 1988 bei den Richtern der Ziviljustiz wohlgelitten, bei den Strafrichtern weniger: Die hatte ich mit meinen Verteidigungen der Studenten zu sehr strapaziert. Nur ganz ganz selten mußte ich das Gefühl haben: "der Richter hat also jetzt was gegen mich, weil ich damals in diese Geschichten verwickelt war". Die meisten Richter hatten ein unverkrampftes Verhältnis zu mir und ich zu ihnen auch. SCHÖNHUBER: Damals hat Sie Sehröder verteidigt, der jetzige Bundeskanzler?

MAHLER: Sehröder war detjenige, der bewirkt hat, daß ich nach Jahren der Isolierung in den Regelvollzug kam. Das hat Sehröder gegen politische Widerstände, die aus der eigenen Partei aber auch aus der CDU kamen, mit den Stimmen der FDP im Berliner Senat durchgesetzt. In einem zweiten Schritt hat er dafür gesorgt, daß ich auch sonst endlich als "Regelfall" behandelt und das Gesetz entsprechend auf mich angewandt wurde insofern, daß ich nach der VerbüBung von zwei Dritteln der Strafe- also nach zehn Jahren - auf Bewährung aus der Haft entlassen wurde. Das war 1980. Ab 123

Gerhard Sehröder als Anwalt des ehemaligen RAP-Terroristen Horst Mahler 1987 vor dem Kammergericht Berlin.

von links nach rechts: Prof. Ulrich Preuß, Prof. Klaus Meschkat, Fritz Teufel, Horst Mahler; im Vordergrund von links nach rechts: Dieter Kunzelmann, Antje Krüger, Ulrich Enzensberger (der Bruder des Großen Enzensberger), alles Mitglieder der "Kommune 1".

1986 bis 1988 hat er meine Wiederzulassung als Rechtsanwalt betrieben und diese gegen den vehementen Widerstand von Rupert Scholz, dem damaligen Berliner Justizsenator und späteren Bundesverteidigungsminister, schließlich beim Bundesgerichtshof mit Pauken und Trompeten durchgesetzt.

SCHÖNHUBER: Aber Sie hatten damals, glaube ich, einen einflußreichen Freund, der heute quasi schon an der Spitze seiner Karriere steht und bald in Karlsruhe sein wird. MAHLER: Sie meinen den Staatsrechtier Professor Dr. Ulrich K. Preuß. Ja, der soll jetzt als Kandidat der Grünen zum Bundesverfassungsrichter gekürt werden. Ihn hatte ich als Hochschulexperten des SDS kennengelernt Später war er bei mir Stationsreferendar. Wir standen uns freundschaftlich nahe. Mir fiel auf, daß meine Kinder ihn sehr mochten. Er ist aber jetzt einer meiner Kritiker aus dem alten Freundeskreis. Allerdings hat er mit mir darüber noch nicht diskutiert. Seine Argumente finde ich nicht überzeugend. Herr Schönhuber, erlauben Sie die Gegenfrage. Sie hatten ja Ihre Krisensituation nach 1983, waren die Freunde ja auch doch nicht mehr so zahlreich wie vorher?

SCHÖNHUBER: Bei mir stellt sich die Situation etwas anders dar: Die Leute, die sich von mir abgewendet hatten, kamen zunächst aus dem politischen Bereich. Man muß sich vorstellen: ich zählte zu dem engsten Freundeskreis von Franz Josef Strauß. Es gab diesen sogenannten Franzensclub, der mehr Einfluß auf die bayerische Politik hatte als die bayerische Staatsregierung selbst. Dort wurden personelle Vorstellungen durchdiskutiert, besser gesagt ausgekungelt und von den Politkern genußvoll über ihre Kollegen in hohen Ämtern hergezogen. Dann kam das Buch. Und aus war's mit der vermeintlichen Herrlichkeit und den verlockenden Karriereangeboten bis hin zum Posten eines Indentanten des Bayerischen Rundfunks. Ich konnte Strauß nicht verdeutlichen, daß ich mit der Bürde des Verschweigens, des Hinnehmens histo125

rischer Verfälschungen nicht weiter leben wollte. Und dann ging ich selbst in die Politik. Und erlebte etablierte Praktiken hautnah. Die Nachfolger von Strauß, insbesondere der jetzige Ministerpräsident Dr. Stoiber machten es sich leicht. Nach den Anfangserfolgen der Republikaner sagten die "Schwarzen", jetzt ist er in Bayern schon bei 15 Prozent, möglicherweise bald bei 20. Da hilft nur noch ein Mittel: Stigmatisierung. Das hat unlängst der CSU-Fraktionsvorsitzende Alois Glück in einer Fernsehsendung quasi offiziell bestätigt. Er sagte, wir haben den Schönhuber stigmatisiert und damit seinen Untergang eingeläutet. Was heißt das? Zu Ende gedacht, heißt stigmatisieren ächten. -Was bedeutet das?- Einen Menschenfür vogelfrei zu erklären, zum Abschuß freizugeben. Hätte ich nicht eine tiefe Trauer ob der Judenmorde in mir, was mir ein begriffliches Gleichsetzen verbietet, dann würde ich schon sagen, daß man damit einer Partei eine Art Gelben Stern aufgedrückt und sie aus dem gesellschaftlichen Leben verbannt hat: Ich darf Ihnen dazu ein Beispiel liefern, wie das in der Praxis aussah, ein Beispiel unter vielen. Eigentlich banal, aber typisch für die Verhaltensweisen der sogenannten

Die Republikaner auf ihrem Höhepunkt: Die Aschermittwoch-Veranstaltung 1994 mit über 10.000 Teilnehmern. Jubelnder Empfang für Pranz Schönhuber. Dann schlug die csu zu.

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Gutmenschen. Es gibt eine bundesweit bekannte evangelische Altenstifteinrichtung. Sie trägt den Namen "Collegium Augustinum ". Hier gehörte meine Frau zum engsten Kreis. Sie war Mitglied des Vorstandes. Die jährlichen Empfänge waren wegen ihrer kulinarischen Genüsse, dem gepflegten Ambiente und stilvoller musikalischer Darbietungen weit und breit geschätzt. Und immer waren wir eingeladen, obwohl der Leitung meine Abneigung gegen Theologen bekannt war. Aber unverdrossen wollte man weiter mit mir Kontakt halten, als ich beimFernsehen in einer einflußreichen Position war. Und dann flatterte uns, wie alljährlich, eine Einladung ins Haus, zunächst ging sie natürlich an das Ehepaar. Meine Frau hat zugesagt. Drei Tage später kam ein Brief Sie sind hochwillkommen, Frau Schönhuber, aber könnten Sie es verstehen, daß es besser wäre, Ihr Mann würde freiwillig darauf verzichten, zu kommen, denn das würde zu einer atmosphärischen Trübung unserer Gesellschaft führen. In dieser Gesellschaft waren lauter Leute, die mir früher das Haus eingerannt haben. Und die plötzlich mich nicht mehr sahen, nicht mehr kannten, ins Schaufenster schauten oder die berühmte Nikotinkrankheit hatten, also sich bücken mußten. Man mag sagen, das sind Details. Man mag sagen, das sind Episoden. Aber aus solchen Details, aus solchen Episoden kann man die gesamte Feigheit unserer Gesellschaft erkennen. Da bedaif es keiner großen theoretischen Erläuterungen. So ist es schlicht und einfach. Und zumAbschluß gehört dazu, daß beispielsweise die Frau des Collegium AugustinumChefs, Georg Rückert, nichts dabei fand, einem Herrn Schalk-Golodkowski, der damals ja gesucht worden ist, Unterschlupf zu gewähren. Der eine, der rechte, duifte nicht erscheinen. Und der andere, der linke, war im Kellergeschoß willkommen. Ich sag nochmal, ich weiß, das sind nur Episoden. Aber sie sind Teil der gesellschaftlichen Ächtung, die man eifahren hat. MAHLER: Ich glaube, das vermittelt sich auch nur über Episoden. Durch sie wird ein Allgemeines, das man nicht zählen und nicht wiegen kann, wahrnehmbar durch das geistige Echo, das sie in uns auslösen. Ich habe ja vorhin von dieser Schwarzweiß-Sicht 127

MAHLER: Strukturen, die im Mittelalter Scheiterhaufen hervorgebracht haben

gesprochen. Das erweist sich hier. Ich habe das als eine religiöse Abirrung gekennzeichnet. Wir erleben - wie Sie das gerade geschildert haben- eine sanfte totalitäre Diktatur, die als solche nicht erkannt ist. Der Zeitgeist ist ein Despot. Zwar ist er etwas Überpersönliches, aber er wird durch raffinierte ingenieurmäßig konzipierte Sozialtechniken gehegt und gepflegt. Günter Rohrmaser hat ihn kürzlich als Gas beschrieben, das uns umgibt und das wir ständig mit schlimmen Konsequenzen für unser Bewußtsein einatmen. Ich will dieses Bild ausbauen: Wir befinden uns in einer Traglufthalle, angefüllt mit diesem Gas. Eine Plastikplane wölbt sich über uns, schließt uns ein. Als Gewölbe wird die Plane aber durch einen von außen gesteuerten stetigen Gaststrom in einem dynamischen Gleichgewichtszustand erhalten, so daß die Plane uns nicht begräbt, aber auch nicht davonfliegt. . Der Gasstrom zur Stabilisierung dieses Gebildes wird über ein komplexes Röhrensystem von den Medien, den Kultur-, Bildungsund Forschungseinrichtungen unter die Plane geblasen. Dieses Gas ist geruchlos. Wir halten es deshalb für reine Atemluft und merken so gar nicht, daß wir dauerhaft vergiftet werden. Die Mixtur des Gases wird vermittels der direkten oder indirekten finanziellen Abhängigkeit der erwähnten Weltbildagenturen von den Interessen der Sachwalter der- insbesondere an der US-Ostküste - aufgehäuften Finanzmassen bestimmt. Diese reflektieren das gänzlich abstrakte Geldvermehrungsinteresse und die daraus abgeleiteten geostrategischen Wunschvorstellungen der Geldfürsten. Dieses System der Geldabhängigkeit hat in sich eine raffinierte sozialpsychologische Hinrichtungsmaschinerie ausgebildert. Die von der veröffentlichten Meinung Verurteilten werden nicht als körperliche Wesen vom Leben zum Tode befördert, sondern ihr ätherischer Sozialleib, ihre wirtschaftlichen, beruflichen und geselligen Beziehungsfelder, wird zerstört. In Extrem128

fällen schafft der Betroffene sich dann selbst aus der Welt. Das ist so, als ob wir an Aussatz litten. Das ist im Grunde genommen die gleiche Struktur, die im Mittelalter die Scheiterhaufen hervorgebracht hat. Die Verteufelung von Menschen wird stets als Unterdrückungsinstrument eingesetzt. Solange diese Technik wirkt, können die Geldfürsten eine offene- und dann auch blutige - Diktatur vermeiden und dadurch ihre Herrschaft verlängern. Ob das ein Vorzug ist, wage ich zu bezweifeln. Die s~f!~ J::>!kta!ur läßt den .feind im_ Verborgenen. Wie will man ihn bekämpfen? Er muß sichtbar gemacht werden. Gelingt uns das nicht, dann wird das Deutsche Volk aus der Geschichte verschwinden. Es wird dann von der Zeit besiegt werden: die schleichende Umvolkung schreitet dann ungestört fort, erreicht _______ .. -------- ... den Punkt, von dem aus keine Rückkehr nach Deutschland mehr möglich ist. .1 Meine Beschäftigung mit der US-Amerikanischen Gesellschaft vermittelt mir schon ein recht deutliches Bild von diesem Feind. i ' Er ist ein relativ kleiner Kreis von skrupellosen Machtmenschen, I~ ,,, die die Macht des Geldes verkörpern, die dadurch unangreifbar sind, vor nichts zurückschrecken und den politischen Apparat der USA und ihrer Vasallen fest in der Hand haben. Sie machen die Präsidenten, die Kanzler, die Ministerpräsidenten und die Gesetze. Sie stützen sich auf das Militär, die Polizei und die Mafia. Wenn sie sich auch untereinander Konkurrenzkämpfe liefern, das Geschäft des Machterhalts betreiben sie als Gemeinschaftsunternehmen. Eine juristische Betrachtungsweise würde sie als Schwergewichte des organisierten Verbrechens einstufen. ,

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SCHÖNHUBER: Das war sozusagen die theoretische Unterfütterung dessen, was ich als Episode erklärt habe. Jetzt aber kommen wir zu einer grundsätzlichen Frage. Sie, Herr Mahler,fordern die Abschaffung des Parteiensystems. Aber was machen wir, solange es noch besteht?

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MAHLER: Ja. Ich begreife es nicht als einen Kotau vor dem Zeitgeist, wenn ich sage: es kommt alles darauf an, auf eine friedliche Veränderung der politischen und der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik und darüber hinaus in Europa zu orientieren. Diese Ausrichtung der Bewegung setzt eine klare Vorstellung davon voraus, mit welchen Schritten, in welchen Formen, mit welchen Inhalten und Losungen dieses Ziel erreicht werden kann. Die Frage ist zu beantworten, wie diese Entwicklung im gegebenen institutionellen Rahmen, den das Grundgesetz faktisch vorgibt, vor sich gehen kann. Wir haben eine solche Entwicklung 1989 in Mitteldeutschland erlebt durch das Aufbegehren der Menschen, die dann auch auf die Straße gegangen sind und alle Angst vor dem Staatssicherheitsdienst hinter sich gelassen haben. Sie haben die "Runden Tische" erzwungen und Einfluß genommen auf die politischen Statisten des Systems. An diesen Runden Tischen sind die Gesetze ausgearbeitet worden, die dann die Volkskammer beschlossen hat. So kann es jetzt auch in der erweiterten Bundesrepublik Deutschland gehen. Einfach dadurch, daß die Bürger unruhig werden, nach Veränderung drängen, auf die Straße gehen, Runde Tische - übedereher nennt sie "Eckige Tische"-, erzwingen, ist der Weg für eine friedliche Veränderung freizumachen. Die Form, in der sich diese vollzieht, ist im Grundgesetz selbst mit Artikel 146 vorgegeben. Der besagt, daß das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland an dem Tage außer Kraft tritt, an dem eine vom Deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossene Verfassung in Kraft tritt. Die Runden Tische werden also für ein Gesetz zur Einberufung einer Deutschen Nationalversammlung sorgen, die die neue Reichsordnung zu beraten und zu beschließen haben wird, nach eigenem Gutdünken aber auch als Entwurf dem Deutschen Volk in einer Urabstimmung zur Annahme vorlegen kann. Das denjeweiligen Bundestag bildende Parteienkartell wird sich dem nicht widersetzen. Die Parteivertreter- vor die Wahl gestellt, den Willen des Volkes im Blut zu ersticken oder den Weg für eine Nationalversammlung freizumachen- werden sich für Letzteres entscheiden, weil sie die Blutschuld fürchten. Und in diesem Sinne 130

MAHLER: Mir schwebt ein Block der Deutschen vor MAHLER: Ich fordere eine deutsche Nationalversammlung sage ich: nutzen wir zur Y()rl;lereitung auf die V.:olkserhebung die gegebene Struktur, auch die Parteien! Aber das Zentrum muß eine parteiübergreifende Initiative sein, die sich ohne irgendwelche Parteigrenzen zu einer alle Schichten des Volkes umfassenden Volksbewegung auswachsen kann. Mir schwebt vor ein "Block der Deutschen", in den alle reichstreuen Parteien ihre Möglichkeiten einbringen können, und der darüber hinaus offen ist für alle Deutschen, die sich wenigstens in dem einen entscheidenden Punkt einig sind: daß die Deutsche Nationalversammlung einberufen werden soll. Und welcher Deutsche könnte da was dagegen haben? Es ist für mich denkbar, daß dieser Block , ohne damit seine Eigenständigkeit aufzugeben, aus sich heraus eine Partei als parlamentarische Filiale entwickelt, die sich schon an den nächsten Bundestagswahlen beteiligen könnte. Der einzige Programmpunkt dieser Partei wäre die Nutzung der parlamentarischen Bühne für den Gedanken der Deutschen Nationalversammlung. SCHÖNHUBER: Gut. Im Grunde genommen schwebt Ihnen etwas vor, was Gorbatschow in der Sowjetunion versucht hat und woran er gescheitert ist, nämlich einen Umbau, denn Peristroika heißt ja nichts anderes als etwas umbauen. Dieser historische Versuch ist gescheitert. Die Sowjetunion ist zerbrochen. Es gibt also jetzt Teilstaaten, die miteinander im Kriege liegen mehr oder minder. Das ist ein Beispiel, wie es einen Versuch geben kann, der sich Peristroika nennt. Und Deutschland, das ja nach Ihrer Auffassung den umgekehrten Weg gehen soll? Was heißt Abschaffung der Parteienherrschaft? Wenn Sie damit das Wort Herrschaft in

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erster Linie meinen, gehe ich mit, denn wie die Parteien sich derzeit aufführen und handeln, ist es nichts anderes als die Zementierung ihrer jeweiligen Herrschaften mit allen Mitteln, erlaubten und unerlaubten. Ich finde es auch richtig und gut, wenn es gelänge, die Patrioten zusammenzubringen in einem Block. Aber was wie soll ds gehen? Fangen wir bei der Namensgebung an. Sagen wir "Deutscher Block" oder ... MAHLER: oder "Block der Deutschen".

SCHÖNHUBER: Oder Block der Deutschen. Dann kann ein anderer sagen "Block der Deutschen" d. h. BDD. Was ist das? Das ist im Grunde doch auch wieder eine Partei, denn dem Block der Deutschen wird sich ein anderer Block .. MAHLER: Sicher. Sie haben allerdings etwas mißverstanden. Ich habe ja gesagt: im Interesse eines friedlichen Übergangs müssen die vorhandenen Strukturen - wie von mir beschrieben genutzt werden. Das ist dann natürlich auch - aber nicht nur - eine Parteistruktur. Die parlamentarische Filiale wird eine Partei sein, deren einziges Ziel die Abschaffung des Parteienstaates sein wird.

SCHÖNHUBER: Gut und recht. Aber ich bin noch immer nicht zufrieden mit Ihren Ausführungen. Da möchte ich insistieren. Also wenn nach konventioneller Betrachtungsweise der "Block der Deutschen " rechts ist ... MAHLER: Nein, er ist vaterlandsliebend, volkstreu, ja ...

SCHÖNHUBER: Das sagen Parteivertreter auch. Also Herr Mahler, jetzt müssen Sie mir erlauben, daß ich die Dinge vielleicht vereirifacht oder auch verkürzt darstelle. Hier sagten Sie "Block der Deutschen". Als Reaktion wird es sicher eine Art Block der Antideutschen, Block der Europäer, Block der Weltbürger oder wie immer die heißen mögen, geben. Dann kann es auf dem Wege zu einer Nationalversammlung eine Art Kräftemessen geben. Es 132

ist doch dann die Frage, wer wo sitzt und mit wie vielen Leuten sitzt er dort. Da können meinetwegen dann 70 % aus dem "Block der Deutschen" sitzen, das würde die Sache sehr vereinfachen, und 30 % von den anderen. Aber es kann auch umgekehrt sein. All das geht nur über Wahlen. Dann sitzen Vertreter der jeweiligen Blöcke in dieser Nationalversammlung. Für was werben die, was tun die? Diese Nationalversammlung strebt Gesetze an, neue Gesetze und insbesondere eine neue Verfassung. Sehe ich das richtig?

MAHLER: Eine neue Verfassung - ich ziehe die Bezeichnung "Reichsordnung" vor - aber auch eine ganze Reihe von anderen Gesetzen als Notmaßnahmen zur Sicherung des Deutschen Reiches, seiner Reichsbürger und seiner Volkswirtschaft. SCHÖNHUBER: Aber bis dorthin wird es ein Ringen um diese Gesetze zwischen den einzelnen Blöcken geben. Sie sagen Blöcke, ich glaube, es sind nichts anderes als umbenannte Parteien. Ich kann eines nicht nachvollziehen oder ich tue mich sehr schwer. Was soll nun konkret an die Stelle der Parteien treten, denn irgendwo wird ja auch gewählt? Wie soll sich das allein aufeinem Wahlzettel darstellen? Von dem müssen wir immer ausgehen im praktischen Vollzug von Politik. Das kann ich nicht verstehen und andere gewiß auch nicht.

MAHLER: Das ist ein sehr weitläufiges Thema. Dazu gibt es die Skizzen und Vorschläge für eine neue Reichsordnung oder Reichsverfassung - wie man es nennen will, das wird sich zeigen -, die im elektronischen Weltnetz (Internet: http://www.werkstatt-neues-deutschland.de) nachzulesen uriif ·doiT auch· für den Druckabzurufen sind. Das muß im einzelnen diskutiert werden. Ich sehe deutlich zwei Stadien: Einmal, aufsetzend auf der gegebenen im Grundgesetz festgeschriebenen Struktur, den "Block der Deutschen", der den vorhandenen Unterschied und Gegensatz im De~tschen Volk als politische Auseinandersetzung endlich sichtbar macht und damit befreit, für einen Dialog öffnet, indem man sagt: es gibt Deutsche, die wollen noch Deutsche sein. 133

Ich bin überzeugt, daß die überwiegende Mehrheit der Deutschen so denkt. Diese kommt nur nicht zu Wort. Die "sanfte" Diktatur, die das verhindert, haben wir beide hier schon ausführlich dargestellt. Es gibt aber auch Menschen, die tatsächlich - aus welchen Gründen auch immer - der Auffassung sind: "Deutschland muß sterben, damit wir leben können". "Nie wieder Deutschland!" Die Trennungslinie muß endlich sichtbar werden. Dieser Prozeß wird -wie bereits beschrieben- zur Deutschen Nationalversammlung führen. Das zweite Stadium, das jetzt schon beginnt mit der Diskussion über die künftige Reichsordnung, ist die Ausarbeitung einer Gestalt unseres Gemeinwesens, die Politik zurWahrungdes Gemeinwohls erst wieder zu ermöglichen hat. Was das heißt, ist in mehreren Schritten einzugrenzen. Zuerst ist zu betrachten, was wir haben - ohne ideologische Scheuklappen. Ich habe bereits das demokratische Prinzip als solches kritisiert und aufgezeigt, daß es notwendig zu einem System der Täuschung und Korruption, letztlich zur Beherrschung des Staates durch das organisierte Verbrechen führt. Diese aus dem Regelsehen Begriff abgeleitete Schlußfolgerung wird durch die Entwicklung der OSAmerikanischen Demokratie als dem Prototyp der demokratischen Gesellschaft, ebenso aber durch entsprechende Verläufe in den übrigen demokratisch strukturierten Staaten bestätigt. Überall sind es die Parteien, die als politische Agenturen gesellschaftlicher bzw. privater (letzteres insbesondere in den USA) Sonderinteressen die Staatsmaschine denaturieren und zu einem Instrument der Ausplünderung der Bevölkerung herabwürdigen. Die notwendige Änderung besteht hier darin, daß den organisierten Sonderinteressen der Zugriff auf die Staatsmaschine entzogen wird. Darauf zielt das von mir geforderte Verbot der politischen Parteien. Selbstverständlich wird in einem freiheitlichen Gemeinwesen die Organisierung von Sonderinteressen erlaubt sein. Derartige Organisationen nehmen aber einen berufsständischen bzw. gewerkschaftlichen Charakter an, d.h. sie strukturieren die Gesellschaft aber nicht die Volksgemeinschaft und deren Willensorgane. 134

Die durch die politischen Parteien vermittelte Auslese der für den Staat handelnden Personen ist eine Negativauslese. Kompetenz und Charakterfestigkeit werden diskriminiert, Einfalt, Bestechlichkeit und Gesinnungslumperei bevorzugt. Das gilt es umzukehren. Die Demokratie hat nicht vermocht, einen Allgemeinen Stand hervorzubringen, dessen besonderes Interesse die verantwortliche Leitung des Gemeinwesens ist. Diese Lücke ist vordringlich zu schließen. Nicht die "vornehme Geburt" prädestiniert für diesen Stand; vielmehr soll er von den Begabtesten des Volkes gebildet werden. Diese sind besonders zu fördern und frühzeitig in besonderen Bildungsgängen auf die Laufbahn vorzubereiten. Eine Versammlung der Besten dieses Standes benennt geeignete Kandidaten für die durch Volkswahlen zu besetzenden Ämter, auch für das Amt des Staatsoberhauptes. SCHÖNHUBER: Da kommen Sie aber in die Nähe von Othmar Spann.

MAHLER: Das ist mir völlig wurscht, in wessen Nähe ich damit rücke. SCHÖNHUBER: Das sag ich ja nicht negativ. Ich halte ja sehr viel von Othmar Spann, vom ständestaatliehen Denken. Das ständestaatliche und das kooperative Denken waren ja auch die Trägerschaften des Anfangsfaschismus Mussolinis.

MAHLER: Es sind sehr viele Elemente, die müssen wir uns einmal ansehen und prüfen: was ist davon brauchbar und was nicht? SCHÖNHUBER: Das ist einer der Punkte, wo wir uns so schwer tun in dieser Situation. Es ist eine Begriffsdefinition. Wenn ich das zu Ende denke auf meine Art, was Sie sagen, dann wird dieser Block der Deutschen quasi die deutsche Zukunft bestimmen. Aber damit er das kann, muß dieser Block der Deutschen absolut 135

tonangebend sein. Und er muß die Mehrheit schaffen. Aber es könnte ja sein, daß dieser Block der Deutschen, z. Zt. habe ich meine Zweifel, ob er die Mehrheit haben könnte oder sollte, es nicht schafft? Wenn er unterliegt, was macht dann der Deutsche Block und was machen die anderen? MAHLER: Ich glaube, daß Sie in einem mathematischen politischen Weltbild gefangen sind. Es geht nicht nach dem Zählen von Stimmen, sondern es geht nach dem Ausdruck des Volkswillens in der ursprünglichsten Form. Wir haben ja noch keine Nationalversammlung. Wir haben noch kein Gesetz dahin. Und wir haben noch keine Reichsordnung.

SCHÖNHUBER: Aber diesen Willen muß doch das Volk zum Ausdruck bringen durch Wahlen. MAHLER: Nein, nicht durch Wahlen.

SCHÖNHUBER: Durch was dann? MAHLER: J egliehe Wahl im Parteienstaat ist eine Verfälschung des Volkswillens. Die Mechanismen, die das bewirken, habe ich hier schon skizziert. Wie es gehen kann, haben uns unsere Mitteldeutschen Landsleute 1989 vorgeführt. Das Volk in Bewegung wirkt auf die gewählten Vertreter, nicht nur auf den Block der Deutschen, sondern auch auf die Abgeordneten von der SPD, der Grünen, der CDU, der FDP und der PDS. Sie werden so sein, wie damals die Blockflöten, die alle im Sinne der Runden Tische gestimmt haben, weil sie wußten: wenn wir das nicht vollziehen, diesen legitimen und als legitim erkannten Willen des Volkes, sind wir verantwortlich für das dann folgende Blutbad. Dieser Gedanke wird auch die anderen, die wir noch nicht zu dem Block der Deutschen zählen können, dazu bringen, das zu tun, was für jeden aufrechten und gerade denkenden anständigen Menschen das Selbstverständlichste ist: daß ein Volk sich eine Nationalversammlung schafft, die Autorität hat, eine Verfassung in Kraft zu 136

setzen. Wer will das bestreiten? Der macht sich doch sofort kenntlich als Feind des Deutschen Volkes. SCHÖNHUBER: Aber ohne Wahlen geht es nun einmal nicht. MAHLER: D. h. wir haben den Block der Deutschen über seine parlamentarische Filiale dann auch im Bundestag, um dort ein Sprachrohr für die Volksbewegung zu sein, also für die "Leipziger Montagsdemonstration" beispielsweise, um die anderen im Bundestag vertretenen Parteien unter einen gedanklichen Zwang zu setzen: "wir müssen jetzt auch diesen Weg aufmachen für eine Nationalversammlung, sonst erscheinen wir als die Verräter. Und das wollen wir auch nicht sein". Die Parteiverteter haben noch einen Anspruch gegen sich selbst. Ob das nun der Schily ist oder der Ströbele oder der Sehröder usw. Das sind ja keine Unmenschen. Sie wollen nicht das Blutbad. Also werden sie schließlich auch die Nationalversammlung wollen. Und dann werden wir die auch haben. Nun ist die Frage: wer kommt in die Nationalversammlung? Ich habe mir das gerade mal angeschaut, 1848 war das Elend der Nationalversammlung vorprogrammiert, denn es sind mehrheitlich die Gegner der Verfassungsbewegung in die Nationalversammlung lanciert worden. Die entscheidende Frage ist also: wie setzt sich die Nationalversammlung zusammen? SCHÖNHUBER: Die Abgeordneten müssen gewählt worden sein. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Alles andere ist bar jeden Realitätssinns. Sonst riecht die Sache nach Diktatur. Also sind sie gewählt worden? MAHLER: Formal gewählt schon. A~er die Vorauswahl der Kandidaten war das Entscheidende. Die Parteien dürfen dabei keine Rolle spielen. Ich denke eher schon an Bürgerinitiativen, dann denke ich an die Strukturen, die in einer solchen Phase entstehen, wie sie 1848 im ganzen Land und 1968 an den Universitäten entstanden sind. Auf diesem Wege werden tatsächlich 137

MAHLER: Aber die Guillotine lassen wir in der Garage kompetente Beauftragte in die Nationalversammlung entsandt werden, die in der Debatte stehen, die ihre eigene Position kenntlich gemacht haben, von denen man also erwarten kann, daß sie auch in der Nationalversammlung so votieren werden. Und dann werden wir abwarten, was rauskommt SCHÖNHUBER: Aber hierzu muß ich anmerken, das erweckt in mir auch Erinnerungen an die französische Assemblee Nationale, also an die Nationalversammlung. Auch da gab es, zumindest am Anfang, einen Block hier und einen anderen dort. Links saßen die "vom Berg", also die Jakobiner und auf der gegenüberliegenden Seite die Girondisten. Stimmt doch? MAHLER: Aber die Guillotine lassen wir in der Garage. SCHÖNHUBER: Nein, damit lasse ich mich nicht abspeisen. Kein vernünftiger Mensch will die Wiederkehr des Fallbeils. Es hat genug Unheil angerichtet. Aber es stand nicht gleich am Anfang der Revolution. Da begnügte man sich noch mit den Laternen. Auch verwerflich und obendrein zweckentfremdet. Doch die Revolution hat gerade patriotische Kräfte freigesetzt. Sie hat unter der Führung des Jakobiners Carnot, einem Militärtechniker hohen Grades, ein Volksheer geschaffen, das die rückständigen und verzapften Armeen des imperialen Europas zum Teufel jagte. Doch richtig ist auch, am Ende saßen in der Nationalversammlung nur noch die Jakobiner, deren Diktatur dann von einer anderen abgelöst wurde, der Napoleons. Also mit den Blöcken ist es so eine Sache. Gibt's mehrere, will bald einer die anderen eliminieren. Daher meine gewisse Skepsis. Aber ich würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

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MAHLER: Bloß: wir haben gerade festgestellt, die Geschichte wiederholt sich nicht. Aber man gewinnt Erkenntnisse. SCHÖNHUBER: Ja, man gewinnt Erkenntnisse. Und die Erkenntnisse, die ich meinetwegen hier gewinne, daß ich auch die Gefahren aufzeige, die auf diesem Wege am Rande lagern. MAHLER: Es gibt keinen Weg ohne Gefahren. SCHÖNHUBER: Sicher, aber das kann keinen Verzicht auf Hinweise aub Gefahren bedeuten. Ich sehe eine ganz besondere Gefahr darin, das Parteiensystem nach amerikanischem Muster zu definieren, also es im europäischen Sinne zu eliminieren. Es gibt in Amerika die Demokraten und die Republikaner. Das sind auch Blöcke. Es sind keine Parteien im europäischen Sinn. Sie sind nur noch bloße Interessenverwalter ohne tiefgreifende programmatische Unterschiede. Weit entfernt sind wir in Deutschland von diesem Zustand nicht. Überall wird ja globalisiert, mondialisiert, amerikanisiert. Warum sollte diese Entwicklung vor den Parteien halt machen? MAHLER: Um Gottes Willen, bloß nicht. SCHÖNHUBER: Nunja, ichsag_te "sollte". Ich stelltedasGanze in Frage. Ich will solche Parteien ja auch nicht. Aber ich muß noch einmal auf die Namensgebung zurückgreifen. Ist es nicht so, wenn der Block sich nicht mehr als Partei versteht, aber wie eine solche zu handeln genötigt ist, dies dann nichts anderes als nur eine Frage der Etikettierung darstellt? MAHLER: Da hab ich überhaupt kein Problem. Es geht nicht um Namen. Es geht um die Sache, was hinter dem Namen steht. Und da bin ich Ihnen einen Schritt entgegen gekommen. Ich habe gesagt, wir haben noch das Parteiensystem. Und wir müssen in der Auslaufphase dieses Modells uns wieder einer parteiförmigen Struktur, nämlich einer parteiförmigen parlamentarischen Filiale 139

MAHLER: Demokratische Urwahl des Staatsoberhauptes

dieses Blockes, bedienen. Diese parteiförmige Filiale beteiligt sich dann an der BundestagswahL Sie bekommt dann nicht gleich alle 50 oder 60 %, sondern sie erreicht vielleicht, wenn es gut geht, 15 %. Ich meine es ist ein Potential von 30 %, das wird sich aber nicht gleich ausschöpfen lassen. Das ist insofern genau das gleiche in grün, was wir hatten. Nur dieser Block, der beschäftigt sich nicht mit W ahlprogrammen, macht nicht diese betrügerischen Versprechen, mit denen die Parteien versuchen, die Stimmen zu kaufen, sondern er hat nur dieses eine Ziel: wir sind die VerfassungsparteL Wir wollen dem Deutschen Volk zu seinem Rechte verhelfen, wie es in Artikel 146 Grundgesetz angedacht ist. Wir wollen die Nationalversammlung, die allein die Autorität hat. Und wir lassen uns nicht auf die Frage ein, wie das Rentenproblem zu lösen ist, wie die Arbeitslosigkeit zu beseitigen ist. Wir wissen nämlich und das haben wir vielleicht den anderen voraus-, daß Politik zur Lösung dieser Probleme, der Lebensfragen unseres Volkes, erst wieder möglich sein wird in einer anderen Struktur, wo der Staat aus der babylonischen Gefangenschaft der Parteien, befreit ist. Was das im einzelnen heißt? Wir haben dazu Vorschläge gemacht und setzen das auch noch fort. Sie sind im elektronischen Weltnetz abrufbar, in der "Werkstatt Neues Deutschland" (http://www.werkstatt-neues-deutschland.de) Dort sind auch die Verfassungsentwürfe zur Diskussion gestellt. Man mag bessere Vorschläge an deren Stelle setzen, aber niemand wird mehr behaupten können, daß wir die Antwort auf die Frage: Was kommt nach dem Parteienstaat? schuldig bleiben. Dort ist auch aufgezeigt, wie durch Urwahl das Staatsoberhaupt berufen wird. Wie immer man das nennt. Oberleeher sagt in seinem Entwurf nur "Staatsoberhaupt". Das ist ein Funktions begriff. Ich meine, wir sollten das Oberhaupt des Deutschen Reiches wieder "Kaiser" nennen. Schon deshalb, weil US-Präsident Woodrow Wilson in Mißachtung seiner von 140

ihm selbst verkündeten 14 Punkte die Deutschen 1918 gezwungen hat, ihren Kaiser ins Exil zu schicken und als Staatsform die parlamentarische Republik anzunehmen. Ich weiß, viele werden sagen: "Du machst Dich damit lächerlich." Ich habe mich mit dieser Möglichkeit gründlich auseinandergesetzt Meine Überlegungen dazu habe ich in der Werkstatt Neues Deutschland veröffentlicht. Ich sage: die Deutschen haben Anspruch auf ihren gewählten Kaiser. Das ist bewußt der Bruch mit der Denk- und Sprechweise der Modeme. Ich bin dafür, daß man die Modeme endlich einer gründlichen Kritik unterzieht, ihr den Heiligenschein nimmt. Meinen Standpunkt dazu habe ich in Thesenform in der schon mehrfach erwähnten "Werkstatt Neues Deutschland" zusammengefaßt. Es würde zu weit führen, dieses Thema hier zu vertiefen. Der Ausdruck "Präsident" ist mir zuwider, weil er unweigerlich Gedankenverbindungen zum Staatsoberhaupt der USA herstellt. Außerdem ist es ein Fremdwort. "Kaiser" ist keines mehr, das kommt zwar von "Cäsar", das ist der Name eines römischen Herrschers, aber derNameist eingedeutscht und hat im Deutschen Volk eine ganz bestimmte, auch mythische Bedeutung. Ich halte sehr viel von der Mythologie. Im Mythos wirkt der Geist im Element des sinnlichen Bewußtseins, ehe er sich zur Klarheit des Gedankens durchringt. SCHÖNHUBER: Mit dem Mythos habe ich meine persönlichen Schwierigkeiten, obwohl ich weiß, daß Sie mit Alfred Rosenbergs "Mythus des 20. Jahrhunderts" nicht das geringste zu tun haben. Aber ich glaube, Dialogfähigkeit bedeutet im Detail oder grundsätzlich in bestimmten Bereichen auch die Bereitschaft, Konzessionen machen zu können. Es gibt ja niemanden auf der Welt, der für sich beanspruchen kann, er sei im Besitz der alleinigen Wahrheit, sieht man von dem Unfehlbarkeitsanspruch des Papstes ab, der auch eine Anmaßung ist. Resumee an dieser Stelle: Wir unterscheiden uns nicht nur in der Marginalie der Namensgebung, sondern grundsätzlich in der Block/Parteienfrage. Konkret: Wenn Sie keine Parteien mehr haben wollen, wie definieren Sie dann die Aufgaben der Blöcke? Hier erzielten wir keine Einigung. 141

SCHÖNHUBER: Ich bin skeptisch Sie setzen das Potential eines "Deutschen Blocks" bei 15 Prozent an. Jch halte diese Zahl für übertrieben. Man müßte zuniichst kleinere Brötchen backen. Man könnte schon froh sein, wenn ein solcher Block über fünf Prozent käme, um sich artikulieren zu können.

MAHLER: Ja, wenn Sie von einer Situation ausgehen, so wie wir sie heute haben. Aber ich rechne damit, daß das sich sehr schnell ändern kann. Für mich ist eine schockartige Verschlimmerung der Zustände am wahrscheinlichsten. Die Spekulationsblase auf den Finanzmärkten, die Staatsschuld, die äußere und innere Verschuldung der USA sowie die Arbeitslosigkeit in Europa haben Ausmaße erreicht, die nicht mehr ausgesteuert werden können. Der alsbaldige Zusammenbruch der Weltwirtschaft hat von allen Möglichkeiten die größte Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung für sich. Im SPIEGEL stand es vor kurzem: Wir wissen nicht, wann der Crash kommt, ob in zwei Wochen, in zwei Monaten oder zwei Jahren, aber er kommt. Wenn er da ist, werden sich die Deutschen die Augen reiben und fragen: in welcher Welt leben wir eigentlich, es ist nichts mehr so wie vorher? Wenn das Bankensystem zusammengebrochen ist, dann werden die Menschen realisieren, daß ihre Ersparnisse, ihre Alterssicherung, alles weg ist; daß es jetzt ums nackte Überleben geht. Und das ist eine Situation, in der die Gedanken in Bewegung kommen. SCHÖNHUBER: Eine letzte Frage dazu: Angenommen wir hätten in zwei Jahren Wahlen undfür den "Block der Deutschen" gälte als einziger Programmpunkt "Wahl einer deutschen Nationalversammlung". Ist das so gemeint?

MAHLER: Ja. SCHÖNHUBER: Ich glaube nicht, daß das reichen würde.

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MAHLER: Der Mensch hat nicht der Wirtschaft zu dienen, sondern die Wirtschaft dem Menschen MAHLER: Das muß reichen, denn sonst sind wir wieder programmiert auf Volksbetrug.

SCHÖNHUBER: Ich nehme zur Kenntnis, daß Sie sagen, das ist a) der einzige Punkt und b) zudem der attraktivste. Bei der heutigen Verfaßtheil der Deutschen glaube ich allerdings nicht, daß dies besonderen Anklang finden wird. Man wird es als utopisch, sogar als "spinnert" abtun. Die Menschen wollen konkrete Angaben, wie sich ihr Leben verbessern ließe. Der heutige Mensch ist halt in erster Linie Vertreter seiner eigenen Interessen. Er ist zum Egoismus erzogen worden. Aber auch Menschen, die über die Ränder eines Stammtisches hinaussehen, werden sagen, gut und schön, Herr Mahler, Herr Schönhuber, was Sie da für Zukunftsvisionen haben, die sollen Sie auch weiter vertreten, aber haben Sie auch Rezepte zur Überwindung der Arbeitslosigkeit? Sehen Sie, mein Sohn istjetzt schon seit Jahren arbeitslos. Was sagen Sie ihm? Wie soll Deutschland im europäischen Bereich angesiedelt werden? Diese Fragen würden auf uns zukommen. Da genügt nicht der Hinweis auf eine lichtere Zukunft. Brecht hat leider recht: "Erst kommt das Fressen, dann die Moral.", auch die politische. Das sind Erfahrungen, die ich während meiner aktiven Zeit als Parteiführer gemacht habe. Ich gebe zu, sie stehen mir im Wege, wenn es um weitreichende ideologische Planungen geht. Aber bei dem Lernprozeß mache ich Fortschritte. MAHLER: Na ja, Herr Schönhuber, ich hab das eigentlich schon gesagt. So, wie die Republik heute verfaßt ist, mit diesen Parteien und mit diesem Parteiensystem, ist die politische Klasse nicht in der Lage, selbst bei bestem Willen nicht, die Arbeitslosigkeit, die 143

Frage der Überfremdung, die Rentenreform usw. anzupacken und eine wirklich überzeugende Politik zu machen. Es bedarf der Veränderung unserer politischen Struktur: daß das Sonderinteresse zurückgedrängt wird, daß nicht länger der Mensch der Wirtschaft dient, sondern die Wirtschaft der Volksgemeinschaft und damit auch den Menschen. Ich habe auf all diese Fragen, die man mir da stellt, persönlich als Horst Mahler eine Antwort. Aber ich sage: wir vereinen uns auf dem gemeinsamen Nenner, den wir haben. Andere mögen in der Frage der Arbeitslosigkeit, in der Frage der Überfremdung andere Auffassungen haben, das soll uns nicht trennen bei der Verfolgung des Zieles, eine Nationalversammlung herbeizuführen. SCHÖNHUBER: Mir wäre es lieber, Sie würden Ihre sehr gute Argumentationskette über Arbeitslosigkeit und ihre Überwindung den Menschen nahebringen, denn das, was Sie da gesagt haben, auch mit der Parallelgesellschaft, das ist sehr überzeugend. Das werden die Leute ja annehmen. Warum sollte man diese wesentlichen, auchfür eine Wahl notwendigen Probleme, nicht in einem Programm ansprechen, das letztlich als Ziel die Nationalversammlung hat und die Änderung der Veifassung usw. Aber wir müssen zunächst mit dem realen Menschen rechnen, der ganz reale Bedürfnisse hat, der ganz reale Forderungen hat, für den ist das Ziel allein etwas nebulos. Da kann er sich zu ...

MAHLER: Ja, das was Sie gerade als Einwand formuliert haben, macht mir klar, wo man eine notwendige Unterscheidung anbringen muß. Natürlich wird man die Notwendigkeit, daß die Deutschen endlich eine Nationalversammlung brauchen, einsehbar machen mit dem Argument: so wie die Republik heute verfaßt ist, sind die Lebensfragen Arbeitslosigkeit und Rentenfrage nicht zu lösen. Dann wird man natürlich sagen: deshalb brauchen wir eine Nationalversammlung. Aber da wird man auch sagen, was konkret dann anders gemacht werden könnte. Ich habe bereits auf das Hundert-Tage-Programm von Reinhold übedereher hingewiesen. Man muß wissen, was man will. Und dann muß man sich 144

MAHLER: Asylrecht ist das Todesprogramm für das deutsche Volk! überlegen, was das für Konsequenzen hat. Und dann soll man auch konsequent handeln, denn nur konsequentes Handeln gestaltet die Politik so, wie man es sich vorstellt. Nur ein Beispiel: Die Arbeitslosigkeit und die Überfremdung sind zwei Probleme, die miteinander zusammenhängen. Kohl hatte das 1982 schon erkannt. Auch mit Rücksicht auf die Arbeitsplatzsituation hat er damals erklärt: "Wir haben zu viele Türken im Land. Die Türken müssen zurück." Helmut Schmidt hat 1992 in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau gesagt: "es ist ein Wahnsinn, was wir hier machen mit der Asylpolitik. Das kann keinem Volk auf Dauer zugemutet werden, auch dem Deutschen nicht, daß die Fremden in die Deutschen Wohnquartiere kommen, auf die Schulhöfe ... Was hindert uns, - so fragt er - die Asylanten, die Asylsuchenden in Lagern unterzubringen, solange ihr Verfahren läuft und dann sie auch wieder zurückzuschicken, wenn sie nicht anerkannt werden." Das, was jetzt aus dem Asylrecht geworden ist, ist ein Todesprogramm für das Deutsche Volk. Da wird man offen darüber reden. Ich bin absolut dagegen, den Leuten was zu versprechen, wo man sicher sein kann, man kann es nicht halten. Man muß die Menschen respektieren, d. h. in erster Linie ihren Anspruch auf Wahrheit erfüllen. Ich kann mir eine Politik mit Lügen gegenüber dem eigenen Volk nicht vorstellen. Dann sag ich auch: Das wird sich zeigen, das weiß ich noch nicht. Das müssen wir gemeinsam beratschlagen." Das ist viel produktiver, als wenn ich mich hinstelle und sage: "Ich hab ja für alles eine Lösung, Ihr müßt mich nur wählen, dann wird alles gut." Wir werden die Grundlagen diskutieren und dann auch die grundsätzlichen Lösungen dieser Probleme benennen und sagen: "Wir stellen uns das so vor, das Problem muß noch studiert werden, wir brauchen dazu die Informationen, die nur die Regierung in ihren Panzerschränken hat" usw.

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SCHÖNHUBER: Green card- eine Beleidigung für deutsche Arbeiter SCHÖNHUBER: Wir könnten uns annähern, wenn ein Block der Deutschen nicht einbeinig wäre. Sie haben eben selbst Lösungsansätze zur Überwindung der Arbeitslosigkeit angedacht und Zusammenhänge aufgezeigt. Sie wollen den Kampf gegen die Überfremdung aufnehmen und reißen den Gutmenschen die Maske vom Gesicht. D 'accord! Wir sind uns auch einig, daß wir unsere Vergangenheit so darstellen müssen, wie sie war, und nicht durch eine Interpretation aus heutiger Sicht ersetzen. Erst Fakten, dann Interpretationen. Es stimmt auch, wenn Sie sagen, lösen wir das Problem der Überfremdung, kommen wir auch einer Überwindung der Arbeitslosigkeit der Deutschen näher. Aber dies sollte nicht so geschehen, wie es der Herr Sehröder heute macht, indem er aus Asien ein paar Tausend Computer-Experten einfliegen läßt, weil wir zu doof oder zu blöd sind. Das ist eine Beleidigung der deutschen Arbeiter und eine Begünstigung der Unternehmer, die aus dieser Situation Honig saugen werden. MAHLER: Ist auch ein Armutszeugnis ftir das deutsche Bildungssystem. Überhaupt benimmt sich die Regierung wie ein Handelsvertreter. Sie vertritt die Interessen des "Wirtschaftsstandorts Deutschland". Was ist das? Wo bleiben die Menschen, die hier ihre angestammte Heimat haben? Es geht um die Heimat der Deutschen. Das Deutsche Volk in seiner Eigenart auf Deutschem Boden zu erhalten, ist oberstes Ziel der Deutschen Politik. Wenn unser Volk schrumpft, darf das nicht heißen, daß wir unsere Heimat anderen Völkern anzubieten haben. Auch 50 oder 40 Millionen Deutsche - statt bisher 80 Millionen - wollen in unserem wunderschönen Land in Deutscher Umgebung unter sich sein. Wenn unser Bildungssystem nicht mehr die Fachleute hervorbringt, die wir benötigen, dann muß sich etwas am Bildungssystem ändern. Das geht aber nur, wenn sich das Regierungssystem ändert. 146

SCHÖNHUBER: Hat das Volk die Regierung, die es verdient? MAHLER: So ist es. In dieser Erkenntnis liegt auch die Rückbeugung des Problems auf einen selbst. Diejenigen, die sich als unsere Regierung aufspielen, sind heute eine negative Auslese dadurch, daß sie in einem System aufgestiegen sind, dessen Prinzip die Korruption und das darüber hinaus gegen unser Volk gerichtet ist. Wer sich an dieses System verkauft, gibt sein Erstgeburtsrecht als Deutscher dahin für ein Linsengericht, das Feindmächte für den Verrat am Deutschen Volk darbieten. Dieses Volk läßt sich im Wohlstandstaumel diesen Verrat noch gefallen - aber nicht mehr lange. Überall regt sich Widerstand. Der ist erst nur indirekt wahrnehmbar: in den hysterischen Ausbrüchen "unserer" Politiker und der Medien über die steigende Flut vermeintlich rechtsextremistischer Umtriebe. Unser Volk beginnt, sich wieder Gedanken über seine Lage zu machen. Aber immer noch gilt: Die meisten motzen nur. Das ist die Haltung des Pöbels. Es kommt darauf an, den Pöbel wieder in eine Volksgemeinschaft zu überführen. Das Pöbelhafte, das jetzt triumphiert, ist nur eine Oberflächenerscheinung des tiefreichenden gesellschaftlichen Verfalls. Es wird von unserem Volke abfallen und der Volksgenosse und Staatsbürger wieder zum Vorschein kommen, wenn die hinter dem Horizont lauernde Not unseres Volkes eine besser wahrnehmbare Gestalt annimmt- z.B. durch einen Zusammenbruch der globalen Finanzmärkte.

SCHÖNHUBER: Es geht nur noch um eine Kritik am System. Wenn man sich scheut, von einer Systemkritik zu sprechen, hat man praktisch schon seinen Platz in der Politik verloren, jede Aussicht auf Besserung verspielt. Denn dann geht's nur noch um Details. Und Sie wissen, die Marxisten haben einen Spruch, z. B. in der Kommunalpolitik: "Jede Stärkung im Detailführt zu einer Verfestigung des Ganzen." Also selbst wenn ein Vertreter einer patriotischen Partei einen guten kommunalen Ansatz hat, dann kassieren den Erfolg die Etablierten, weil sie halt die Stärkeren 147

SCHÖNHUBER: Wer die Vergangenheit nicht bewältigt, hat keine Zukunft sind und in den Medien die Verankerten sind. Und letztlich geht es auch darum, die Vergangenheit ehrlich zu bewältigen. Ich habe da eine sehr bizarre Theorie. Der Hoffnungsschimmer besteht für mich darin, daß es zu einer Allianz gekommen ist oder zu kommen scheint zwischen den Großvätern und den Enkeln gegen die umerzogenen Söhne. Wenn man die Großväteraktiviert und sagt, erzählt mal, wie es war und wie es sein könnte, dann werden die Enkel zuhören. Insofern setze ich auf die Enkelgeneration, konkret gesagt auf die jungen Menschen. Und das zeigt sich ja auch, daß die jungen Menschen von heute nicht mehr bereit sind, wie die Mitte/generation, die umerzogene, alles hinzunehmen, was man ihnen vorplappert. Grundsätzlich gilt der Spruch: Wer die Vergangenheit nicht bewältigt, hat keine Zukunft.

MAHLER: Meine Hoffnung ist unerschütterlich, weil mir das Rettende zur Gewißheit geworden ist. Denn: Indem ich etwas als schlimm und gefährlich empfinde, wirkt in mir- wie in allen anderen, die ebenso empfinden - schon ein Bild des Besseren, das die Not wenden und an die Stelle des Vorhandenen treten will. In dieser Einsicht in die Notwendigkeit liegt die Kraft, die unser Volk vom Abgrund zurückreißen wird. Diese Kraft liegt in uns - in jedem von uns - als der Geist, der uns beseelt. Wenn er zu sich selbst findet, ist nichts, was ihm widerstehen könnte. Die materiellen Kräfte, die unsere Existenz bedrohen, gehen aus bestimmten geistigen Kräften hervor: aus dem Mammonismus. Dieser ist die extreme, ja geradezu tödliche Veräußerlichung unseres Wesens. Das wird jetzt erkannt, weltweit. Im Zusammenbruch des mammonistischen Systems erfolgt die Rückbesinnung auf uns selbst, auf die Frage: Wer bin ich? In der Antwort liegt, 148

MAHLER: Finale Krise des Systems daß wir nicht länger Götzendiener des Goldenen Kalbes sein können. Wir werden den Tanz von 1929/1933 noch einmal durchleiden - dank der Katastrophe von 1941 bis 1945 diesmal mit einem glücklichen Ausgang. SCHÖNHUBER: Also, ich werde jetzt etwas sagen, was den Rechten nicht so sonderlich schmeckt. Zunächst einmal gehe ich davon aus, daß in der heutigen Zeit der Historiker Treitschke nicht recht hätte, als er damals meinte, am deutschen Wesen würde die Welt genesen. So sind wir nicht verfaßt, derzeit. Ich glaube auch, daß die zwei Weltkriege zu einem schweren Substanzverlust geführt haben in unserem Volk. Aber das ist nicht das Entscheidende. Also ich meine so, man muß die Menschen so nehmen wie sie sind, man soll sie weder dämonisieren noch idealisieren. Es ist so, daß in einem guten, menschlichen System man die menschlichen, guten Eigenschaften aktivieren kann, gestalten kann. In einem schlechten System ist das Gegenteil der Fall. Ich möchte hier ganz kurz, weil Sie, Herr Mahler, von Ihrer Betroffenheit sprachen, und ich, historisch gesehen, von meiner,folgendes anmerken. Ich habe die Waffen-SS als Elite erlebt. Nicht kritiklos, aber sie ist und bleibt für mich eine politisch mißbrauchte und militärisch verheizte soldatische Elite. Aber, und das ist mein Eindruck, sind die Deutschen ungeheuer tapfer im kriegerischen, im militärischen Sinne, doch in punkto Zivilcourage hinken sie anderen Völkern hinterher. Ich wundere mich noch heute, wie einfach manchen als BitZerverehrer bekannten Leuten der Übergang zu den neuen Herren gelang. Wie aus Leuten, die bei der NAPOIA, der nationalpolitischen Erziehungsanstalt waren, dann plötzlich und sozusagen über Nachttreue Staatsdiener und Vorzeigedemokraten geworden sind. Vielleicht sollte ich hier ein paar Namen nennen, damit die Leute wissen, wovon ich rede. Ich denke an Hanns-Martin 149

Schleyer, ehemals SS-Ojfizier, heute gibt es Hallen, die nach ihm, der in der Bundesrepublik ein bedeutender Wirtschaftsführer geworden war, benannt wurden. Das ändert selbstverständlich nichts an meiner Verachtung und Verurteilung seiner Ermordung. Es gab in Nordrhein-Westfalen einen SPD-Minister, einen Kultusminister gar, der war bei der Waffen-SS. Sein Name Jürgen Girgensohn. Sein Parteifreund Günther Samtlebe, Offizier der Waffen-SS, war lange Jahre Oberbürgermeister von Dortmund und überbot sich in antifaschistischen Bekundungen. Dann fällt mir der Name eines weiteren "Genossen" ein, der des einstigen NAPOLA-Absolventen, Soldaten bei der SS-Leibstandarte Adolf HitZer und späteren Vorstandssekretär beim DGB, Richard Becker, der befragt, warum er dies verschwiegen hatte, antwortete: "Man hätte mich ja nirgendwo drangelassen, hätte man von meiner SS-Mitgliedschaft gewußt." Außerdem verriet er, er habe Angst gehabt, seinem jüdischen Chef Ludwig Rosenberg in die Augen zu schauen, wenn er seine SS-Vergangenheit gebeichtet hätte. Becker brachte es bis zum Intendanten des Deutschlandfunks. Aber die Wendehälse gab es nicht nur bei der SPD. Ich erinnere an das CDU-Mitglied und Chefredakteur des "roten" WDR, Theo M. Loch. Auch er bei der Leibstandarte und Offizier gewesen. Als ich ihn nach einem schrecklichen Kommentar gegen die Waffen-SS und mich aus dem WDR anriefund mich beschwerte, da sagte er lediglich: "Warum mußten Sie das Ganze wieder aufrühren, es schadet doch nur uns allen." Mit anderen Worten, wir haben doch ganz gut gelebt in der Camouflage. Auch der ehemalige Schatzmeister der CSU, Karl Heinz Spielker, war Offizier der Waffen-SS und sogar für Rassefragen mit zuständig, brachte es in der Industrie zu einflußreichen Posten. Mir geht es nicht darum, diese Leute bloßzustellen, aber ihre Feigheit gehört zum System der Bundesrepbublik. Da lobe ich mir den CSU-Minister "Jonny" Klein, der machte keinen Hehl aus seiner "NAPOLA-Zeit" und sagte nur einmal scherzhaft zu mir: "Du scheinst der einzige gewesen zu sein, der in der Waffen-SS war." Sein NAPOLA-Kollege, der ehemalige Chefredakteur der liberalen "Zeit", Theo Sommer, mutierte dage150

gen zum Bewältigungsapostel. Die Bundeswehr fällt mir ein. Als der schändlich behandelte General Kießling während seines Aufenthaltes im Münchner Krankenhaus der Bundeswehr mich in meiner Wohnung besuchte und mir und meiner Familie seine Enttäuschung über die Haltung mancher Offiziers- "Kameraden" zum Ausdruck brachte, fragte ich ihn, ob es denn in der Bundeswehr höhere Offiziere gegeben habe, die bei der Waffen-SS waren, da nannte er drei Generäle. Ich entdeckte später einen vierten. Er war kurzfristig Mitglied der Republikaner gewesen. Ichfrage mich noch heute, wie konnten die Leute dies aushalten in einem Umfeld, in dem die ehemaligen Kameraden geächtet waren?

MAHLER: Der kleinste Widerspruch hätte sofort zur Folge gehabt, daß diesen Leuten ihre Vergangenheit vorgehalten wird und dann wären sie draußen. Das System braucht diese Kreaturen, um so zu funktionieren, wie es funktioniert hat bis jetzt. Und jetzt kommt es in seine finale Krise. Man muß diese Heuchelei mal auf sich wirken lassen: Wie konnte denn ein Schleyer als hoher SS-Offizier, der an der Ausraubung von Böhmen und Mähren führend beteiligt war, nach dem Zusammenbruch innerhalb von fünf Jahren aufsteigen zur Nr. 1 der deutschen Industrie? SCHÖNHUBER: Wie konnte ein Herr Adenauer einen Herrn Globke nehmen?

MAHLER: Das ist die menschliche Frage. Aber das ist doch interessant, daß Sie hier sagen, ja, ja, aber so ist die Bundesrepublik konstruiert worden. Man hat sich diese belasteten Menschen genommen, weil sie erpreßbar sind. SCHÖNHUBER: So ist es.

MAHLER: Das sind Handlanger der Besatzungsherrschaft Die Sieger haben sich dieser Leute bedient, um die Vasallität der Bundesrepublik zu zementieren bis auf den heutigen Tag, ohne 151

selbst in Erscheinung treten zu müssen. Sie hätten genau den Zeitpunkt bestimmen können - so sagten Sie in einem Gespräch - zu dem das System Sie fallen lassen würde, nämlich als vonjüdischer Seite gefordert worden war, daß Sie aus dem Medienbetrieb auszuscheiden hätten. Darin zeigen sich Machtstrukturen und Machtverhältnisse, die für uns bestimmend sind. Dort ist tatsächlich eine eigentlich nicht faßbare, aber um so wirksamere Macht etabliert. Und wir müssen uns überlegen, wie wir uns zu dieser Tatsache verhalten wollen.

SCHÖNHUBER: Das ist richtig. Und es ist eine Frage des Zeitpunkts. Die Deutschen von damals, von 1945, sind nicht mehr zu vergleichen mit den Deutschen von heute. Ein Beispiel. Ich war Kriegsgefangener in Schleswig. Wir waren von den Engländern kaserniert. Es gab aber nur einen relativ kleinen Zaun, der uns von der Bevölkerung trennte. Jeden Tag standen die Frauen dort und warfen uns Pakete hinein und suchten Gespräche. Und ich muß zur Ehre der Engländer sagen, sie waren human genug, daß sie das also quasi treiben ließen. Das wäre unvorstellbar, daß die umerzogenen Deutschen von heute so handeln würden. Es war in der unmittelbaren Nachkriegszeit auch noch möglich, bestimmte Dinge auszudiskutieren. Ich kann mich erinnern, Hans Werner Richter, der Gründervater von der Gruppe 47, stand auf einem ganz anderen politischen Standpunkt als ich. Aber wir konnten miteinander freundschaftlich diskutieren. Wir konnten auch noch miteinander streiten, ohne daß der eine den anderen gleich mit der Auschwitz-Keule kaputt- oder totgeschlagen hat. Insofern glaube ich, daß die jahrzehntelange Umerziehung tatsächlich die Deutschen umerzogen hat und es kommt noch ein weiteres dazu. Übergangslos sind Millionen Deutsche in der DDR von einer braunen Diktatur in eine rote Diktatur geglitten. Also, erst haben sie das Hit/er-Reich erlebt und dann haben sie das "Ulbricht- und Honecker-Reich" erlebt. Ein halbes Jahrhundert drangen auf die Deutschenfremde und sie demütigende Einflüsse ein. Und das Resultat sehen wir heute in den Medien, in der Politik und wo auch immer. 152

MAHLER: Haben Sie jetzt nicht zwei Dinge, die nicht zusammenpassen, zusammengebracht? Gerade, daß der Teil unseres Volkes, der in der sowjetischen Besatzungszone lebte, von der Umerziehung so nicht betroffen war, ist für mich eine große Hoffnung. Unsere Mitteldeutschen Landsleute sind innerlich nicht so stark deformiert wie wir, die wir diesen Prozeß mit allem psychologischen Raffinement durchlaufen haben, ohne daß wir uns das überhaupt klargemacht haben, was mit uns passiert. Auch deswegen tritt jetzt in Erscheinung, daß es trotz Vereinigung dieser beiden Teilstaaten des Deutschen Reiches wir noch zwei mental unterschiedlich strukturierte Bevölkerungen sind, die ein Volk bilden. Dieser Prozeß ist hoch interessant. Wir werden es erleben, daß die Menschen in der ehemaligen DDR sehr viel schneller die Notwendigkeit einer starken Nation als Rahmen einer zu hegenden Volkswirtschaft, also als Schutz gegen die Globalisierung in den Vordergrund stellen, als im ehemaligen Westen. Insofern ist die Nachwirkung der Teilung eine riesige Chance für unser Volk. Im ehemaligen Westen haben 50 Jahre Umerziehung schlimme Spuren hinterlassen. Aber die Kraft, sich geistig zu regenerieren und dann auch wieder etwas zu sein, die steckt immer noch in uns. Wir wachen jetzt auf. An mir selbst habe ich erfahren können, wie schnell die Klärung der Gedanken vor sich gehen kann. Es reicht dazu, den Vorhang der Geschichtslügen über unser Volk nur ein wenig zu heben. Sobald der Blick frei wird für das geopolitische Intrigenspiel Großbritanniens (1. Weltkrieg) und der USA (II. Weltkrieg), das nur das eine Ziel hatte: Zerstörung des Deutschen Reiches für immer, wird die sich in diesen Tagen ständig steigernde Greuelpropaganda gegen Deutschland eine Schubumkehr erfahren. In unserem Volk wird eine unbändige Wut gegen die Verleumder aufsteigen. Diese konstruktiv zu wenden, d.h. daraus eine Kraft zur Gestaltung einer neuen Politik zu machen, wird die schwierigste der vielen schwierigen Aufgaben sein, vor denen wir stehen.

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MAHLER: Wir waren nie ein Volk der Täter! SCHÖNHUBER: Also ich freue mich, Herr Mahler, daß Sie etwas gesagt haben, was ich in meinen Reden als Parteivorsitzender immer wieder betont habe, daß beispielsweise die Menschen in Mitteldeutschland weit weniger russifiziert worden sind als wir amerikanisiert worden sind. Das ist ein Faktum: Gut, da stimme ich Ihnen bei. Aber, daß man natürlich den Leuten dort drüben ein Gefühl vermittelt hat, Du mußt Dich anpassen, Du mußt in gewissem Sinne auch opportunistisch sein, das läßt sich wohl nicht bestreiten.

MAHLER: Ja, weil die Machtverhältnisse so waren. Die Deutschen lebten und leben noch unter Fremdherrschaft. Die Anpassung an die Welt der Sieger ermöglichte unserem Volk das Überleben. Nachdem das geschafft ist, steht jetzt die Befreiung auf der Tagesordnung. SCHÖNHUBER: Fremdherrschaft.

MAHLER: Wir waren nie ein Volk der Täter. Die Verbrechen das Deutschen Reiches, die mit aller Schärfe - aber bitte nicht einseitig - kritisiert und auch verurteilt werden müssen, sind im Geheimen verübt worden, waren nicht allgemeines Wissen des deutschen Volkes. Im Gegenteil. Wer darüber Informationen nach außen getragen hat, hat seinen Kopf verloren. Es galt das Heimtücke-Gesetz. Was der Herr Goldhagen als Erfolg der Umerziehung feiert, das ist eine schlimme Geisteskrankheit, die unser Volk befallen hat. Der" gutmenschliche Blick" auf die Welt und die Geschichte, die moralisierende Betrachtungsweise, ist intellektuell abartig, schlimmer noch: er macht uns unfahig, die Welt so wahrzunehmen 154

wie sie ist. Das ist kreuzgefährlich. Hat er uns doch schon dazu gebracht, den Angriffskrieg der US-Ostküste gegen Serbien mitzumachen und dabei das Gefühl zu haben, daß wir damit etwas Gutes tun. SCHÖNHUBER: Das kann man sogar auch durch Beispiele untermauern. Ich möchte auf einen Punkt besonders hinweisen. Immer wenn man sagt, in Deutschland ist Schlimmes passiert, das ist bedauerlich. Und dann hinzufügt, aber wir vergessen auch Dresden nicht, wir vergessen auch die schrecklichen Vorgänge in den polnischen KZs nicht, dann heißt es sofort, aber das ist Aufrechnung. Ich bekenne mich sogar ausdrücklich zur Aufrechnung. Denn wenn man nicht eine andere Rechnung, eine Gegenrechnung aufstellt, bleiben wir auf unserer Rechnung lebenslänglich sitzen und zahlen die Zeche allein. MAHLER: Deswegen macht man auch diesen Vorwurf.. SCHÖNHUBER: Aber ich werde die innere Erschütterung nie vergessen, als wir in Dresden in einem nächtlichen Schweigemarsch zum Denkmal der Trümmerfrauen marschiert sind. Und gleichzeitig haben wir gehört, daß beispielsweise der Herr Sehröder dort auftrat und junge, couragierte Menschen aufgestanden sind und ihm ein Transparent entgegengehalten haben, wo draufstand, das war kein Krieg, das war Mord. Es war typisch, daß dieses Transparent nach ein paar Minuten verschwand und die jungen Leute für ein paar Stunden inhaftiert worden sind. Wir dürfen das nicht sagen. Deshalb lügt man auch permanent die Opferzahlen in Dresden herunter, verschweigt in infamer Weise, daß neben dem Abwurfdatum der Atombombe, neben Hiroshima und Nagasaki, Dresden das größte Kriegsverbrechen auffeindlicher oder auf der anderen Seite war. Das müssen wir den Menschen sagen. Wir müssen sie unentwegt daran erinnern, denn sonst bleiben wir in der Tat nur als das, und Sie haben das richtig ausgeführt, als das "Tätervolk von Auschwitz" in der Weltgeschichte vorhanden. 155

MAHLER: Sie haben gestern eine gute Formulierung über die moralische Qualität der Menschen damals und heute geäußert. Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern?

SCHÖNHUBER: Ich erinnere mich sehr genau, und ich weiß, ' daß das natürlich sicher nicht gut ankommt in der heutigen Zeit, zumindest nicht bei den Medien. Ich behaupte, daß das deutsche Volk im Dritten Reich moralisch gefestigter war und sittlichen Anfechtungen viel mehr Widerstand entgegengesetzt hat, als das heute der Fall ist. Ich bin Zeitzeuge. Man komme mir jetzt nur nicht mit dem Vorwurf einer Bejahung des Nationalsozialismus. Das wäre ebenso absurd wie falsch. Aber man hatte nun einmal sittliche Vorstellungen, die eine Frau in der Werbung nicht als Beute sexgieriger Machos darstellte, sondern als achtenswerte Partnerin und Mutter zukünftiger Kinder. Hierin düiften mir auch jene Menschen zustimmen, die dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüber standen. Ich räume auch gerne ein, daß den Frauen und Mädchen im NS-Staat eine Rolle zugewiesen worden war, die der Selbstverwirklichung im heutigen Sinne wenig Raum ließ. Aber ich wage zu behaupten, unglücklich waren die Frauen und Mädchen deshalb nicht. Und es gab genügend intelligente und attraktive Frauen, die das braune "Korsett" sprengten und sich nicht mit einer dem Manne untergeordneten Rolle begnügten. Und ich stimme weiter Herrn Mahler zu, daß von den Verbrechen des Dritten Reiches die Masse der Bevölkerung nichts gewußt hat. Wer heute etwas anderes behauptet, hat keine Ahnung davon, wie gut es der NSStaat verstand, unangenehme Begleiterscheinungen des Regimes zu verschleiern. Ich möchte das konkretisieren. Ich nehme es auf meinen Eid, daß ich als Kriegsgefangener erstmals in meinem Leben das Wort Auschwitz gehört habe. MAHLER: Also nie was von Auschwitz gehört zu einer Zeit, als Widerstand dagegen möglich gewesen wäre?

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SCHÖNHUBER: Nein. Und wir glaubten das auch nicht. Wir

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gläubig-nationalsozialistischen Familie aufgewachsen. Mein Vater, ein Zahnarzt, war kein Funktionsträger des Systems, kein Nutznießer, ist sogar mal aus der NSDAP ausgeschlossen worden, todunglücklich darüber ist er später wieder aufgenommen worden. Diese Familie war unmittelbar betroffen von einem Gewaltverbrechen der damaligen Machthaber: Der Bruder meiner Mutter, ihr Abgott, ist von der Schwarzen SS erschossen worden. Er war Adjutant des schlesischen SA-Führers Heines und als solcher im Zuge des sog. Röhmputsches auf die Proskriptionsliste geraten. Dieses Ereignis hat in meiner Familie nicht zum Zweifel an Hitler geführt. Der Führer habe das nicht gewußt, hieß es. Es wirkte im Deutschen Volk - wie in allen Völkern - eine auswählende Wahrnehmung. Wahrgenommen wurde im wesentlichen nur das, was den geweckten Hoffnungen und Erwartungen entsprach. Wer wollte bestreiten, daß das Regime bis 1941 überaus positive Bilanzen vorlegen konnte. Die Schattenseiten wurden selbst dann, wenn sie extrem schmerzten, in die zuversichtliche Gestimmtheit einbezogen. Sie haben es ja noch erlebt: Jene Menschen - unsere Mütter und Väter - sind ja aus tiefer Not und Verelendung, auch innerer Verelendung, herausgerissen worden in eine Begeisterung, für die die Geschichte kein Beispiel kennt. Als sich jene Menschen dieser Begeisterung hingaben, kannten sie noch nicht das Ende. Und was haben diese Menschen in ihrer Begeisterung innerhalb kürzester Zeit vollbracht! Innerhalb von nur vier Jahren haben sie eine völlig zerrüttetamBoden liegende Wirtschaft wieder aufgebaut, sechs Millionen Arbeitslose wieder in die Produktion eingereiht und die Gesundheit der arbeitenden Bevölkerung auf ein Niveau angehoben, das in Industrienationen bis dahin unbekannt war. Wer nicht die geistige Kraft aufsucht, die in diesem Aufbauwerk ihren Ausdruck gefunden hat, der versteht nichts von der Geschichte der Deutschen.

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SCHÖNHUBER: Ich kann Ihnen das dazu ergänzend sagen. Sie sprachen davon, daß es 1933auch eine gewisse Erlösung war nach dem Zusammenbruch der Weimarer Republik und den Umständen. Ichfinde es ungeheuerlich heute, insbesondere in den Feuilletons, unentwegt von den sogenannten goldenen 20er Jahren lesen zu müssen. Für wen waren denn die 20er Jahre golden? Für ein paar Künstler, für Rechtsanwälte und auch zum Teil Ärzte, aber die Masse des Volkes hungerte. Und wenn man heute sagt, na ja, Arbeitslose gibt' s auch jetzt. Da kann ich nur sagen, das Los der Arbeitslosen in der Weimarer Republik ist nicht zu vergleichen mit dem Los der Arbeitslosen heute. Die Leute haben gehungert, um das sehr deutlich zu sagen, daß ihnen der Magen permanent knurrte. Und deshalb von einem Bild, einem wunderbaren Staat, Weimarer Republik zu sprechen, ist ein Hohn für diejenigen, die darin leben mußten. MAHLER: Es war ja nicht nur die materielle Not. Die war schon schlimm genug und ging wirklich auch an die Existenz. Die Leute sind ja auch zu Tausenden am Hunger gestorben, gerade die alten. Aber schwerer noch wog der moralische Verfall, die Dekadenz, die so schlimm als Lebenssituation gerade der einfachen Leute war. Es war der totale Verlust der Solidarität, die ja ein Volk, eine Volksgemeinschaft, ausmacht. Man gehörte eben zu denen, die das Schicksal benachteiligt; zu den "Loosem", würde man heute sagen. Nach der calvinistischen Doktrin sind das eben die, die kraft Vorbestimmung nicht in der Gnade Gottes stehen. In der Weimarer Systemzeit brach wohl zum ersten Male die angelsächsische bzw. anglo-amerikanische Gefühlskälte über die Deutschen herein. Die moralische Degradierung, die in dieser Situation durch die Verweigerung der Volkssolidarität die Menschen zu Boden drückte, war nicht zu ertragen. Das hat natürlich zu dieser Gegenbewegung mit dem Ziel der Wiederaufrichtung der germanischen Volksgemeinschaft geführt, die aus den reinsten Quellen gespeist war.

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SCHÖNHUBER: Ich diente in einer Armee, die die erste europäische Armee auf freiwilliger Basis war SCHÖNHUBER: Ich würde nicht sagen, immer aus den reinsten Quellen, aber auch aus den reinsten...

MAHLER: Ich habe nicht gesagt: ausschließlich. Aber die Hauptkraft der Bewegung kam von daher. SCHÖNHUBER: Was das Volk angeht, ja. Und es war auch ein Aufschrei, als dann diese Epoche unserer Zeit, nämlich die Weimarer Republik, ad acta gelegt worden ist. Das war, man kann es drehen und wenden wie man will, Volkeswille. Und es war nicht so, daß wir alle, die wir diese Zeit erlebt haben, mit einem Maulkorb herumgelaufen wären. Ich habe in der Waffen-SS politische Diskussionen erlebt, kontradie weit über das hinausgingen, was man heute als Diskussions-Kultur so mitbekommt. Ich diente in einer Armee, die die erste europäische Armee auf freiwilliger Basis war. Sie wissen, die Hälfte der Soldaten der Waffen-SS waren keine Deutschen. Sie waren Ausländer, wie man so schön heute sagen würde, von Finnland angefangen bis Spanien. Und ich war in einer französischen Division Charlemagne. Ich war Dolmetscher und Ausbilder. In dieser Division waren Royalisten, Napoleoniden, waUnterscharführer der Waffen-SS im ren Vichyisten, waren Petaini2. Weltkrieg 159

MAHLER: Die Leute haben Angst das zu sagen, was sie denken sten, waren Milizionäre, und alle waren politisch anders gewichtet. Da war nur ein Ziel: Der Kampf gegen den Bolschewismus. Und hier gab es Diskussionen mit einer Leidenschaft, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Ich kann mich erinnern, als eine Weihnachtsfeier anstand. Da hingen die einen die Bilder von Petain auf, die anderen hingen die Bilder von Doriot auf und die dritten die Bilder von Napoleon. Das war eifülltes, pralles, politisches Leben. Davon zehre ich heute noch. MAHLER: Und was ist heute? Wenn ich mich in unserem Lande umsehe, finde ich überall Duckmäusertum. Wir sind aufraffiniertere Weise einem ungeheuren Druck ausgesetzt. Die Leute haben Angst, das zu sagen, was sie denken. Ich erlebe das immer wieder: unter vier Augen bekomme ich erstaunliche Dinge zu hören, die aber von den Konfidenten weder im Freundes- noch im Kollegenkreis wiederholt werden. Sie fürchten, als Ketzer geächtet zu werden. Der Zeitgeist wütet in den Köpfen wie ein eifersüchtiger Gott. Die Inquisition bedarf der Scheiterhaufen nicht mehr, weil die medial verstärkten Ausgrenzungsmechnismen viel zuverlässiger den Gleichklang der zur Schau gestellten Überzeugungen sicherstellt. Das wirkt in der Familie, im engsten Freundeskreis, aber erst recht in der beruflichen Sphäre, wo abweichende Meinungen sofort als Waffe in den Konkurrenzkampf eingebunden werden. Dieser scheinbar "sanfte" Totalitarismus ist noch nicht hinreichend als Unterdrückung erkannt. SCHÖNHUBER: Und eine vielleicht sogar gefährlichere. Wissen Sie warum? Im Dritten Reich kannte man in etwa die Grenzen, wie weit man gehen kann. Man wußte genau, wenn man diese Grenze überschreitet, hat man mit Folgen zu rechnen. Heute sind das keine richtigen Grenzen mehr, deutlich erkennbare Grenzen. 160

Das sind Fäden, die man gar nicht erkennt. Das sind Stolpersteine. Und schon ist man drin in der Falle. Und insofern sage ich noch mal, wenn man mir erzählen will, wir lebten im freiesten Staat unserer Geschichte, da kann ich nur lachen. MAHLER: Die Österreicher haben - was die Presse betrifft dafür den Begriff der "Nachzensur" geprägt. Früher war es so, da mußte man seine Artikel dem Zensor vorlegen, und der hat dann leicht rumgestrichen und dann gab es diese berühmten schwarzen Stellen. Man wußte danach: der Text ist in Ordnung, die Veröffentlichung birgt kein Risiko. Heute sagt einem keiner, was man darf und was man nicht darf. Aber man kriegt hinterher mit dem Staatsanwalt zu tun, und dann geht man auch dafür ins Gefängnis. Man hat vor kurzem die Verjährungsfrist für Pressedelikte auf fünf Jahre erhöht, vorher betrug sie sechs Monate. Noch nach fünf Jahren kann ein beliebiger Staatsanwalt- wie jener unselige Herr Klein in Mannheim - einen veröffentlichten Text zum Anlaß nehmen, Ihnen "die Bude auf den Kopf zu stellen" und Sie für Jahre hinter Gitter zu bringen. Die meisten Bürger schlafen noch. Sie wissen nichts von der politischen Zensur, die unter dem Deckmantel des Jugendschutzes ausgeübt wird, nichts von den Bücherverbrennungen, die in der Bundesrepublik zu etwas Alltäglichem geworden sind. Sie glauben noch, daß bei uns Meinungsfreiheit herrscht, obwohl Äußerungen zu den uns als Volk betreffenden Gefahren umstandslos als "nationalsozialistische Propaganda" oder als "Volksverhetzung" oder als "Verunglimpfung des Staates" etikettiert und mit hohen Freiheitsstrafen belegt werden. SCHÖNHUBER: So ist es. Aber das kommt daher, daß wir ein gespaltenes Verhältnis zu unserer Geschichte haben und jähen Systembrüchen ausgesetzt waren. Wir konnten nicht so wachsen wie die Franzosen. Bei den Franzosen beispielsweise hat der Patriotismus sowohl auf der linken wie auf der rechten Seite immer eine große Rolle gespielt. Auch in der französischen katholischen Kirche, in der Mere 161

d'Eglise, in der Mutter der Kirchen. Wenn Sie heute in eine französische Kirche gehen, hängt die Trikolore, sieht man die Büsten von bedeutenden Heerführern und Politikern. In Deutschland hängt nichts. Da hängt nur Verbeugen und Demutshaltung. Ich glaube, dieses Deutsche Reich war kein organisch gewachsenes und insofern habe ich eine gewisse Skepsis gegen Ihre Reichsphilosophie. Da bin ich wohl zu sehr Süddeutscher, um sie total nachvollziehen zu können. Dennoch stellt sich doch die Frage, warum bei den Deutschen das Pendel so leicht von einem Extrem in das andere ausschlagen muß? Sind wir vielleicht ein Volk von Extremisten? MAHLER: Ich glaube, es hat was mit unserer Gemütsverfassung zu tun, die ja auch immer wieder als Besonderheit unseres Volkes hervorgehoben wird - von Gegnern und von Freunden gleichermaßen: daß wir alles so furchtbar ernst nehmen. Nun finde ich es eigentlich gut, daß wir auch in der Tiefe unseres Gemüts an diese Gegenstände herangehen. Da stellt sich dann leicht jener Überschwang ein: das sei jetzt das Heil, die Erlösung von dem Übel. So haben auch in der Zeit von 1933 bis 1945 viele Menschen in unserem Lande in dem Gefühl gelebt, Hitler sei der Erlöser- und dann diese Enttäuschung! Und nach fast fünf Jahren Krieg mit den immensen Opfern an Blut und Zerstörung der Städte waren die Deutschen auch seelisch erschöpft. Dieser Absturz der Gefühle und die Erwartungen der Sieger über Deutschland führten dann dazu, daß unser Volk "das Kind mit dem Bade ausgeschüttet" und sich selbst nur noch durch die Brille unserer Feinde - die es plötzlich für Freunde hielt - betrachtet hat; nicht mehr differenziert, nicht mehr nachgedacht, sondern nur noch einen Strich gezogen und gesagt hat: "das war alles nur Demagogie und Täuschung und Verbrechen. Wir sind mißbraucht worden, unsere Gutgläubigkeit ist ausgenutzt worden - und jetzt weg mit ihnen!" Und ein Abglanz davon hat sich in der sowjetischen Besatzungszone - später DDR genannt - ergeben. Ich war ja selbst in der Anfangsphase noch dabei, habe mich daselbst noch in die FDJ ködern lassen. Erst im November 1949 bin ich nach Westberlin 162

gekommen mit der Familie. Da herrschte auch so eine merkwürdige Autbruchstimmung: eine lichte Zukunft war uns im "ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden" verheißen, der Eintritt in die klassenlose, die echte "menschliche" Gesellschaft, in den Sozialismus. Gerade junge Deutsche der letzten Kriegsgeneration haben daran sehr geglaubt - und sind wieder enttäuscht worden. Das führte wieder zu dieser Überreaktion. Und dann spielt natürlich der übliche Opportunismus seine Rolle, aber das ist eine allgemeine Erscheinung. Wie die Verhältnisse so sind, versucht der einfache Mensch irgendwie zu überleben mit seiner Familie und dann duckt er sich und zieht seine Fühler ein und sagt: hoffentlich erwischen sie mich nicht. Das ist alles nachvollziehbar und kein Grund, mit Geringschätzung auf unser Volk herabzusehen. Dieses hat in den zurückliegenden hundert Jahren eine Aufbau- und Überlebensleistung gezeigt, für die es in der Geschichte kein Vorbild gibt. Das - und nicht die uns angedichtete kriegerische Wildheit und Brutalität - ist es, was unseren Konkurrenten im Konzert der Nationen Furcht einflößt.

SCHÖNHUBER: Sie waren ja ab Mitte der 60er Jahre sehr aktiv. War das vielleicht rückblickend der endgültige Bruch mit dem Nationalsozialismus? MAHLER: Was heißt Bruch mit dem Nationalsozialismus? Ich war, als es zu Ende ging, neun Jahre alt, war also noch nicht in dem Sinne Nationalsozialist, konnte mit ihm also auch nicht brechen. Es war in besondererWeise die Beschäftigung mit dieser Zeit, die mich wohl geprägt hat. Ich hatte immer das Problem mit dieser Geschichte in dieser Familie, die schließlich dieses Verhältnis der Trauer und Gebrochenheit zur Geschichte unseres Volkes hatte. Mein Vater ist daran zugrunde gegangen - und ich liebte und achtete meinen Vater über alles. Und ich wollte als Angehöriger dieses Volkes aufrecht gehen, den Kopf auch im Blick auf Auschwitz nicht senken, aber auch dafür sorgen, daß den Opfern Genugtuung wiederfahrt. Das Lied von den Moorsoldaten hat mich stets tief ergriffen. Es war für mich also immer ein komplexes 163

Auf Olympia-Tour mit Hans Klein und Ludwig Huber

Im Gespräch mit Kardinal Ratzinger

SCHÖNHUBER: Was mich von den 68ern trennte, war z. B. die ''Attitude" Problem, Deutscher zu sein. Das hat sich bis auf den heutigen Tag nicht geändert. So, wie das jetzt immer dargestellt wird, daß die 68er Generation gegen ihre Väter als die Generation der Täter revoltiert hätte, sehe ich es nicht. Das war wohl etwas anderes -jedenfalls in dem Kreis, der dann später der Keim der Roten Armee Fraktion (RAF) wurde: Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Andreas Baader. Uns vereinte eine eher selbstzweiflerische, nachdenkliche Haltung. Wir haben uns nämlich gefragt: wenn wir damals erwachsen gewesen wären, hätten wir, wenn wir es gewußt hätten, gegen diese Entwicklungen Widerstand geleistet mit dem Risiko, dabei den Kopf zu verlieren,

Horst Mahler verteidigt Fritz Teufel. Sommer 1967

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n? Hätten wir das getan, auch wenn eigene Kinder auf unseren Schutz angewiesen gewesen wären? Können wir das also von unseren Eltern erwarten? Das war eine offene Frage. Die haben wir nicht entschieden. Wir haben nicht gesagt: ihr hättet können, ihr hättet müssen. Sondern wir haben gesagt, wenn für uns in irgendeiner Hinsicht eine ähnliche Herausforderung erwächst, wir wollen dann auf jeden Fall Widerstand leisten. Das war für uns der psychische Eintrittspunkt in das, was dann später die Rote Armee Fraktion (RAF) war: bis zum äußersten Risiko den Kampf gegen das imperialistische System zu führen. Es waren also eher Selbstzweifel, die wir dadurch überwunden haben. SCHÖNHUBER: Weil Sie gerade von den 68em sprachen, erlauben Sie mir eine persönliche Anmerkung: Ich habe diese Bewegung bewußt erlebt. Zwar aus der Position eines aufstrebenden jungen Menschen, der seinen Platz in der Gesellschaft suchte. An meiner Seite stand meine Frau, eine Juristin. Wir erlebten gemeinsam die großspurige St. Just-Haltung: Weg mit dem Muff aus tausend Jahren unter den Talaren. Was mich von den 68em trennte, war ihre Attitüde. Aber ich müßte lügen, gäbe ich nicht zu, daß die damaligen Parolen mich unbeeinflußt gelassen hätten. Da klangen Töne an, die mir von meiner Hitlerjugend- und Waffen-SS-Zeit vertraut waren. Sie zu vergessen, war nicht leicht. Meine Frau, damals noch der SPD zugehörig, sah alles nüchterner. Sie machte eine Bemerkung, die ich noch heute in den Ohren habe: "Diese sich jetzt wie idealistische Revolutionäre gebärdenden jungen Juristen, Assessoren und Referendare werden in zwanzig Jahren auf den Plätzen sitzen, die heute ihre Väter einnehmen und werden sich genauso systemkonform verhalten wie die verachteten alten Herren." Und wie recht hatte sie! Sehe ich heute einen 68er auf einem Richterstuhl, dreht sich mir der Magen um. Sie müssen genauso ihre Systemtreue immer und immer wieder unter Beweis stellen wie die einstigen NS-Richter ihre demokratische Läuterung. Ich habe damals die Ho-Tschi-Minh-Aufmärsche miterlebt, sah wie die Bourgeoisie zitterte, amüsierte mich, wie der Bayerische Rundfunk verbarrikadiert wurde und der damalige Intendant eine 166

Rede an die Mitarbeiter hielt, die einem Durchhaltebefehl aus Kriegszeiten ähnelte. Es war eine hysterische Zeit. Aber es war auch ein Schicksalsjahr von weltpolitischen Ausmaßen. Die Warschauer Paktstaaten marschierten in die Tschechoslowakei ein. Dieser Vorgang hätte doch bei den 68ern bestimmte Signale auslösen können! MAHLER: Hat es doch auch. Das war doch der Bruch. Wir sind ja am Tag des Einmarsches ... Ich weiß noch: ich habe frühmorgens um fünf schon am Telefon gehangen und habe meine Genossen aus den Betten geholt. Wir haben noch an diesem Tag auf den Straßen demonstriert. Und es setzte auch die Diskussion intensiv ein, was ist das eigentlich und wie stehen wir dazu? Das war der entscheidende Bruch, der sich dann auch weiter entwickelte. Das ging alles nicht von heute auf morgen. Wir haben eine sehr kritische Haltung dann auch gegenüber Breschnew eingenommen, sind dadurch auf die chinesische Position, die Breschnew als Revisionisten kritisierte, gelangt. Es war der Ausgangspunkt, sich grundsätzlich kritisch mit dieser Ideologie auseinander zu setzen. Das war ja lange vor dem Zusammenbruch des Ostblocks innerhalb dieser Studenten-KPD/AO, unter Christian Semmler u. a., eine klare Sache, daß wir dieses Revolutionskonzept nicht mehr für einen Ausdruck der Wahrheit halten konnten. Die darauf fußenden "Parteien" haben sich praktisch selbst liquidiert. Die KPD/AO hat sich unter grotesken Begleitumständen selbst aufgelöst - lange bevor der Sowjetblock wirklich zerfallen ist. Das darf man nicht übersehen. Solche Prozesse finden statt. Und was die Attitüde der 68er angeht: Es gab einen Punkt, an dem sie die Väter attackiert haben: nicht wegen ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit und ihrer vermeintlichen Schuldverstrickung, sondern wegen der Gesprächsverweigerung. Weil sie sich "in die Büsche geschlagen" haben und darüber nicht geredet haben, mit ihren Söhnen nicht diskutiert haben. Die härten immer nur: "das verstehst Du nicht" und "das geht Dich nichts an" oder "solange Du in meinem Hause bist, ist das kein Thema"- und aus. 167

MAHLER: Die Große Koalition war der Ausgangspunkt... Sie haben sich verweigert. Sie sind also nicht in diesen intellektuellen Prozeß der Bewältigung eingetreten. Die Söhne machten die schmerzliche Erfahrung, ihre Väter nicht verstehen zu können. SCHÖNHUBER: Heute tun doch die Söhne das gleiche.

MAHLER: Ja sicher, natürlich. SCHÖNHUBER: Das ist doch das Entscheidende.

MAHLER: Sie diskutieren nicht, sondern sie sind- jedenfalls in ihrer Phantasie- gewalttätig. Das ist auch eine Zerfallserscheinung dieser 68er Bewegung. Sie ist mit ihrem Latein am Ende. Ihre Epigonen greifen zur Gewalt - nicht gegen die Herrschenden, sondern gegen Andersdenkende, um deren Meinungen aus dem öffentlichen Raum zu prügeln. Das ist zugleich der Verrat an den Errungenschaften der Aufklärung, deren zerstörerische Erblasten sie dagegen in hohen Ehren halten. Eine Dekadenz des Intellektualismus, die ich nicht für möglich gehalten hätte! SCHÖNHUBER: War eine der Ursachen auch die Bildung der Großen Koaliton?

MAHLER: Die Große Koalition war der Ausgangspunkt überhaupt dessen, was man dann später "Außerparlamentarische Opposition" (APO) genannt hat. In Berlin lief das so ab: Wir kannten uns ja alle- Peter Brandt, der Sohn von Willy Brandt, (damals bei den Falken) , der Leiter der IG Metall-Schule in Berlin, Lotbar Pinkall, Johannes Agnoli, Hochschulassistent, Ulrich K. Preuß, Hochschulexperte des SDS, W alter Barthel, Journalist, und so weiter. Wir haben im November 168

1966 in meinem Büro in der Konstanzer Straße in Berlin zusammen die sogenannte Novembergesellschaft gegründet, eine Geheimgesellschaft. Wir bildeten uns damals ein, dem Geheimdienst eine Nase drehen zu können. Sehr viel später haben wir durch den SPIEGEL erfahren, daß W alter Barthel, mein engster politischer Freund, für die Geheimdienste beider Seiten tätig war. Kein schönes Gefühl. Die Novembergesellschaft hat dann im Frühjahr 1967 in Berlin den Republikanischen Club (RC) aus der Taufe gehoben. Dieser wurde zu einem Brennpunkt der Diskussionen über die Notwendigkeit einer gesellschaftlich-politischen Opposition. Er war einer der Einstiegspunkte in diese Bewegung, die dann später so viel Aufsehen erregt hat.

W alter Barthel, engster politischer Freund von Horst Mahler

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SCHÖNHUBER: Hit/er wollte Europa nicht einen, er wollte Europa beherrschen SCHÖNHUBER: Es gab diese Aufbruchstimmung, insbesondere im Führerkorps der Waffen-SS. Ich selbst war damals noch nicht so geprägt, war ja auch bloß Unterschaiführer, aber ich bekam es halt mit in Gesprächen. Wir dachten an eine zweite Revolution. Wenn dieser Krieg siegreich zu Ende ginge, dann würden wir aufräumen mit den Goldfasanen, das sind also jene Funktionsträger, Ortsgruppen/eiter, Kreisleiter und was auch immer und würden zu einer wirklichen nationalen und sozialen Revolution kommen. In unseren Kreisen diskutierte man sehr heftig auch über die Röhm-Affäre. Es gab nicht wenige in der Waffen-SS, die sagten, es war ein nationales Unglück, daß HitZerRöhm beseitigen ließ, denn er hätte die soziale Komponente im Nationalsozialismus stärker zur Geltung gebracht. Wir diskutierten über bestimmte Europavorstellungen. Sie dürfen ja nicht vergessen, daß es beispielsweise schon im Dritten Reich oder vor dem Dritten Reich sogar schon, eine Buropavorstellung der NSDAP gab. Sie verbindet sich mit dem Namen Gregor Strasser. Gregor Strasser hatte eine Europavision, die in weiten Teilen nachvollziehbar ist. Nur HitZer hat sie nicht nachvollzogen, denn er wollte Europa nicht einen, er wollte Europa beherrschen. Genauso wie Stalin auf der anderen Seite. Also diesen Aufbruch von zornigen jungen Männern im Dritten Reich gab es definitiv, und insbesondere die Speerspitze und die Trägerschaft waren die jungen Offiziere der Waffen-SS. Auch im Führerkorps der HJ gab es diese Aujbruchstimmung. Ich war nun Hitlerjunge. Ich kann das natürlich nicht aus der damaligen Sicht so einfach jetzt übernehmen, denn damals wußte ich zu wenig, aber im nachhinein habe ich auch mit ehemaligen Hf-Führern höheren Ranges genug gesprochen. Es gab dort zwei Richtungen. Es gab eine etwas verquast nationale Richtung, die 170

verbindet sich mit dem Namen Schirach, der ein Schriftsteller und ein Dichter war, sage ich einmal ohne negativen Beigeschmack, ein Schöngeist. Auf der anderen Seite gab es einen Mann, der aus der Arbeiterklasse kam, das war Axmann. Und der hat Jugendschutzgesetze eingeführt. Unter seiner Leitung wurden Jugendschutzgesetze damals veifaßt, die man als vorbildlich bezeichnen mußte. Man hat die Kinderarbeit beseitigt. Man hat Gesundheitsfürsorge eingeführt, die von den Nachbarn Deutschlands als vorbildlich angesehen worden sind. Also, es gab in der Hitlerjugend schon eine Parallelfunktion mit der Waffen-SS, eine Aufbruchstimmung. Aber jetzt kommt der entscheidende Punkt. Im nachhinein, es wird ja immer wieder darüber diskutiert, ~~':':.."!ßitler_d_en Krieg an[Jefangen hat und warum er am Ende verloren hat. Diejenigen...

MAHLER: Hat er ihn angefang~n?_Q~s wäre~-~- Fra&e? SCHÖNHUBER: Da werde ich gleich noch etwas sagen. Ich habe eine These, die vielleicht auch bestritten wird. Ich glaube nicht an die deutsche Alleinschuld am Ausbruch des Krieges, aber ich glaube an eine Mitschuld. Und das schlimmste war, daß sich HitZer in diese Mitschuld hineintreiben ließ, in Unkenntnis nach meiner Meinung der globalen Lage. Er kannte nicht Amerika. Er hatte keine Ahnung von den Produktionsstätten in Amerika usw. Aber das ist nicht das Entscheidende. Diejenigen, die heute aus NS-Sicht es bedauern, daß wir den Krieg verloren haben, die verweisen darauf, und das wiederum zurecht, daß HitZer es nicht zu warten, bis ein junges Offizierskorps gelungen ist, solange . ,._... ... . nachgewachsen war, und zwar nicht nur Leutnants und Oberleutnants, sondern höhere Ränge, die vom NS-Geist durchdrungen waren. Er mußte manövrieren mit alten kaiserlichen Generälen und späteren Marschällen, die natürlich mit der NS-revolutionären Ideologie überhaupt nichts im Sinne hatten. Und das ist im Grunde genommen eine weitere Variante der Betrachtung des Krieges, die heute nur nicht gerne gehört wird, weil sie nicht im Zeitgeist liegt. Aber es gibt ja einen Gründungsmythos der Bun~



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desrepublik, der einen radikalen Schnitt mit der Vergangenheit bedeutet. MAHLER: Sie beziehen sich da sicherlich aufTheodor Eschenburg, der das ja so ganz deutlich zum Ausdruck gebracht hat.

SCHÖNHUBER: SS-Mann Eschenburg müssen Sie wissen. MAHLER: Nein, das weiß ich nicht. Ist interessant.

SCHÖNHUBER: Dieser Herr Eschenburg, der heute in den Medien als eine Art demokratischer Übervater dargestellt wird, war Mitglied der SS, der schwarzen obendrein. Diese Entdeckung verdanke ich meinem Freund Armin Mohler. Und wissen Sie, wie er diese erstaunliche Tat begründet hat: "Um dem Terror der SA zu entgehen, bin ich in die SS geflüchtet." Die SS als Schutzherr braver Demokraten! Mal was ganz Neues. Ich glaube, dieser Hinweis ist wichtig, der Eschenburgs gab es viele. MAHLER: Ich glaube schon, daß das richtig ist. Es ist der Gründungsmythos der Bundesrepublik und deswegen wird die Bundesrepublik mit diesem Mythos, wenn er als solcher erkannt ist, zugrunde gehen. Und das ist eine Hoffnung. Wenn man die Geschichte tribunalisiert, kommt man nicht zu Erkenntnissen. Das ist ein Grundübel, daß wir weg sind von einer realitätstüchtigen Betrachtung unserer Geschichte. Es wird alles unter moralischem Aspekt gesehen. Aber das ist nur möglich, wenn man an dem Topos der Alleinkriegsschuld festhält Sobald man eine Mitschuld der anderen thematisiert, ist die Schuldkategorie wertlos. Dann sind beide Seiten in der gleichen Art belastet. Beide sind schlecht, also sind auch beide gut. Deswegen sage ich: man muß diese Schuldfrage, auch die Mitschuldfrage, auf eine originelle Weise in den Vordergrund stellen. Das nämlich ist der Weg zur Verabschiedung des Schuldbegriffes aus der Geschichtsbetrachtung. Die Geschichte ist keine moralische Veranstaltung: Wirkt Gott die Geschichte, ist keine übergeordnete Instanz, die ihn beurteilen 172

oder gar verurteilen könnte, denn Gott wäre der Höchste. Ist aber kein Gott, ist das Gerede von Moral leer. Es wäre niemand, von dem ein Gebot ausginge. Es könnte folglich durch geschichtliches Handeln kein Gebot verletzt sein. Der zeitgeistliche Atheismus erweist sich in unseren Tagen als das dümmste aller Vorurteile. Wir sagen: Gott läßt sich nicht beweisen. Wir meinen, daß unsere Selbstbestimmung als Menschen zweifelhaft wäre, wenn es ihn gäbe. Deshalb verzichten wir auf die Annahme, daß Gott sei. Aber mit dieser negativen Annahme haben wir die Voraussetzung jeglicher Selbstbestimmung, d.h. jeglicher Freiheit verloren. Wir haben keinen Maßstab mehr, an dem wir uns messen und erkennen können, wer wir sind. "Daraus, daß der Mensch als das Höchste gesetzt ist, folgt, daß er keine Achtung vor sich selber hat, denn erst mit dem Bewußtsein eines höheren Wesens erlangt der Mensch einen Standpunkt, der ihm eine wahre Achtung gewährt." Den Kommentar zu dieser Stelle bei Hegel hat die Geschichte in Auschwitz, Dresden und Hiroshima geschrieben. Was wir heute für Freiheit halten, ist nur die Selbstzerstörerische Willkür des vereinzelten Einzelnen. Mit Auschwitz, d.h. mit dem, was die Welt mit diesem Namen verbindet, ist unserem Volk von Gott die Aufgabe gestellt, das Rätsel der Geschichte zu lösen. Seine erste Schicht ist das Grauen, das wir darüber empfinden. Die zweite ist die tiefe Niedergeschlagenheit, die uns darob erfaßt hat. Beides ist überhaupt nicht selbstverständlich, ja geradezu erstaunlich. Schließlich darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß in den heiligen Büchern der Juden von Gott selbst Völkermord vielfach geboten und belohnt wird. Es gibt wohl neben den Juden kein zweites geschichtliches Volk, das die Ausmordung (Max Weber) anderer Völker als Beweis seiner Auserwähltheit kultisch überhöht. Wie ist es zu erklären, daß wir Deutschen - anders als die Juden- bei dem Gedanken, Völkermord verübt zu haben, so tiefe Scham empfinden, daß wir aus Reue bereit sind, unser Sein als .. Volk preiszugeben? 173

Die Shoa, d.h. ihre teilweise oder gänzliche Vernichtung ist den Stämmen Israels und Judas durch Moses und die Propheten immer und immer wieder als Strafe für die Mißachtung des göttlichen Gesetzes angedroht worden. Diese Flüche lassen sich ohne Mühe auch auf die Gründung des Staates Israel durch die Zionisten beziehen, die nach der Thora ein Verrat an Jahwe ist. Nach jüdischer Anschauung ist kein einziger Buchstabe der Heiligen Schrift überholt oder als aufgehoben anzusehen. So dürften wir uns durchaus als Vollstrecker des Vernichtungswillens J ahwes begreifen. Wir - und nicht die Juden - wären die Opfer: wir wären mit dem Odium des Völkermordes belastet, obwohl wir nur als die Geißel Gottes gegen sein vertragsbrüchiges Volk gewirkt hätten. Der Vollzug göttlichen Willens ist das Gegenteil von Schuld. Nicht Gottes Strafgericht, sondern nur die Rache der Juden hätten wir zu fürchten. Dieser Frivolität ist nur zu entkommen, wenn der Gedanke einer Geschichtsschuld als ungültig verworfen wird. Wenn Geschichte der Fortschritt des Geistes im Bewußtsein der Freiheit ist (Hegel), dann ist es Gott selbst, der in sich die Qual der Welt ist, in der er sich anschaut, um zu erfahren, wer er ist. Das ist die allein denkbare Rechtfertigung der Welt als Geschichte und die Rechtfertigung Gottes vor sich selbst. Durch den Archipel Gulag, durch Auschwitz, durch Dresden und durch Hiroshima ist Gott nicht widerlegt. Vielmehr ist er auferstanden in dem Gefühl des Grauens, das uns Menschen überfällt, wenn wir diese Namen hören. In diesem Gefühl zeigt sich der unendliche Fortschritt gegenüber dem Geist des Alten Testaments, das dieses Grauen nicht kennt. Es ist unsere Aufgabe, jetzt darüber nachzudenken, was in dem Grauen liegt. Wenn dieVölkerdas herausfinden, wird es sich nicht wiederholen. Daß der moralische Gesichtspunkt uns unfähig macht, Politik und Geschichte zu gestalten, liegt auf der Hand, denn von ihm aus ist nur der Schein, nicht aber das So-Sein der Welt zu erfassen. Wenn wir diesen neuen Ausgangspunkt für unser Bewußtsein 174

gewonnen haben, ist die Bundesrepublik kein Thema mehr. Dann haben wir wieder ein freies Feld vor uns, wo wir zeigen können, was in uns steckt. Jetzt können wir das nicht. Das wird dann eine andere Republik sein, vielleicht keine Republik mehr. Darüber wird zu reden sein. Jedenfalls eine andere Ordnung unseres Gemeinwesens, und zwar vom Geist her. SCHÖNHUBER: Gewiß, die Geschichte ist keine moralische Veranstaltung. Nur wo wir offensichtlich einen Dissens haben, ist die Frage der Schuld. Alleinschuld, Mitschuld. Mich würde interessieren, was ist Ihre Meinung?

MAHLER: Es kann hier nur um den juristischen und um den philosophischen Schuldbegrif, nicht auch um den theologischen Begriff der Erbsünde gehen. Schuld ist danach immer eine Attribut des Einzelmenschen, des verantwortlichen Individuums. Und daß da Schuld aufgehäuft wurde von vielen in dieser Zeit, das ist überhaupt nicht zu übersehen und zu bestreiten. Aber man kann ein Volk, ein Kollektiv, nicht mit einer Schuld belasten, die ausgeht von Menschen, die heute schon gar nicht mehr leben. Die heute Geborenen und die in dieser Republik Großgewordenen haben einen Anspruch darauf, als Mensch und Personen anerkannt zu sein, d. h. auch: ihr individuelles Leben zu beginnen ohne Schuld. Sie sind nicht belastet mit einer Erbschuld. Diese Kategorie ist eine in hohem Grade Unterdrückerische geistige Figur, mit der wir aufräumen müssen. Ein ganzes Volk mit der Auschwitzkeule zu traktieren, ist ein Verbrechen, das einem Völkermord nahekommt Wenn wir die Weltgeschichte unseres Jahrhunderts endlich nicht mehr unter Schuldgesichtspunkten betrachten, sondern in einer ersten Näherung als Ausdruck geostrategischer und handelspolitischer Interessengegensätze erfassen und dann auch als Kampf gegensätzlicher Geistesgestalten, kommen wir zu ganz anderen Schlußfolgerungen.

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SCHÖNHUBER: Keine Erbschuld und keine Erblast! SCHÖNHUBER: Ich sage noch mal: Es gibt keine Schuld, die man delegieren kann, keine Erbschuld und keine Erblast. MAHLER: Ich würde beide Begriffe in Frage stellen. Man muß sich nur klarmachen: was vollzieht sich eigentlich im Verhältnis der Völker, was wir dann als Geschichte bezeichnen? Das sind Machtsphären, das sind Interessenssphären, die aufeinander treffen und die über die Jahrtausende eine Entwicklung durchmachen und sich nie wiederholen. Das ist insofern ein einmaliger Entwicklungsprozeß. Und wenn man begreift, was in einer ganz bestimmten Konstellation 1914 zu einem bewaffneten Konflikt geführt hat, was dann fortgesetzt worden ist als bewaffneter Konflikt 1939 bis 1945. Dann ist man aus der Gefahr raus, daß sich diese Kräfte und Interessen noch einmal in dieser Weise zerstörefisch äußern. Es gibt kein Interesse, das auf Zerstörung gerichtet ist. Es sind immer Interessen, die auf Bewahrung, auf Erweiterung von Macht und Lebensraum und Lebensinteresse und Lebensmöglichkeit gerichtet waren. Und wenn man heute weiß: wenn wir in dieser Weise unsere Interessen wahrnehmen, wie das in diesen beiden Kriegen geschehen ist, dann ist das das Ende der menschlichen Gattung; dann wird man ziemlich sicher sein können, daß es nicht dazu kommt. Diesen lebenswichtigen Erkenntnisschritt verhindert man, indem man diese Schimäre von Schuld in den Raum stellt und dann die Völker auch moralisch kategorisiert. Das ist nichts anderes als Unterdrückung von Völkern durch andere Völker. Wir sind seit 1918 das Pariavolk. Man hat uns mit militärischer Gewalt gezwungen, diesen Kriegsschuldartikel des Versailler Diktats zu akzeptieren. Das ist aber eine Nullität, geistesgeschichtlich überhaupt nicht ausgewiesen. Diese Diskussion, die fordere ich von den deutschen Intellektuellen: daß sie sich mit den geistesgeschichtlichen Wurzeln dieser Fehlkonstruktion, dieser mentalen 176

Fehlkonstruktion befassen. Solange die nicht überwunden ist, sind wir eine Gefahr. SCHÖNHUBER: Ich wollte vielleicht hier ergänzend sagen, daß ich der Auffassung bin, daß die Geburtsstunde des Dritten Reiches nicht in München schlug und schon gar nicht in Braunau, sondern in Versailles. Das ist der Punkt 1. Punkt 2 ist zu betrachten, daß in der Tat, wie Sie das präzisiert haben, Geschichte keine moralische Veranstaltung ist, sondern eine Interessenwahrung der jeweiligen Völker. Man muß wissen, daß das antieuropäischste Volk die Engländer sind. Die Engländer haben es verstanden, in ihrer Balance of Power-Politik immer die europäischen Völker aufeinander zu hetzen. Sie suchten immer einen Festlandsdegen und fanden ihn auch. Einmal war es Rußland. Einmal war es Frankreich. Und das ist das, was ich Ihnen vorher gesagt habe und wo wir offensichtlich nicht eine 100 %ige Annäherung gefunden haben. Dieses Spiel nicht letztlich voll durchschaut zu haben, daß im Grunde genommen England auch der Festlandsdegen der Amerikaner geworden ist, muß der Reichsregierung angelastet werden. Die sogenannte heilige Allianz zwischen Roosevelt und Churchill war eindeutig darauf ausgerichtet, die einzige wesentliche oder wichtige Gegenmacht, nämlich Deutschland, zu zerbrechen. Das istfürmeine Begriffe der historische Ablauf. Ob die Nationalsozialisten daraus die richtigen Schlüsse gezogen haben und die richtigen Erkenntnisse vorher hatten, das wage ich zu bezweifeln. HitZer konnte sich ja bis zum Schluß nicht von seiner Bewunderung des britischen Weltreiches lösen.

MAHLER: Man muß, glaube ich, an dieser Stelle noch deutlicher werden: England oder Großbritannien hat in einem noch viel umfassenderen Sinne den Zweiten Weltkrieg verloren als Deutschland. SCHÖNHUBER: Stimmt.

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MAHLER: Churchill war eine Handpuppe von Roosevelt. Er hat das britische Empire verspielt MAHLER: Die Engländer waren die Weltmacht. Sie hatten ein Weltreich - wie auch immer - begründet. Und das haben sie verloren. Wenn man genau hinschaut: Churchill war keineswegs ein großer Politiker, er war ein Depp. Er war eine Handpuppe von Roosevelt und hat das englische Empire verspielt. England hätte eine europäische Großmacht sein können im Konzert der Europäisehen Nationen. Es hat aber die atlantische Karte gewählt, um das Deutsche Reich zu zerstören. Es hat letztendlich aber nicht nur das Reich sondern auch Buropa und sich selbst zerstört. Und das muß einfach auch mal gesagt werden.

SCHÖNHUBER: Dazu darf ich ganz kurz einen etwas humoristischen Akzent einfügen. Ich hatte mal eine Reportagereise nach Curacao unternommen. Und dort hatte ich einen sogenannten guide, einen Führer. Das war ein Jude in Cura9ao. Er führte mich nach Hause, in seine Wohnung. In der Wohnung, im Zimmer hing ein Hitlerbild. Dann sagte ich, das ist unmöglich. Sie sind doch Jude. Er meinte, das ist jetzt völlig gleichgültig. Aber ihm verdanken wir indirekt unsere Freiheit, denn die sogenannten Westmächte waren gezwungen, bestimmte Soldaten-Kontingente aus den damals noch unterdrückten Völkern zu holen: Marokkaner, Inder, Gurkhas und was auch immer. Und sie mußten uns die Freiheit dafür versprechen, auch wenn sie lange Jahre mit der Einlösung gezögert haben und das hintertrieben haben, aber letztendlich verdanken wir sie diesem schlimmen Herrn dort an der Wand. MAHLER: Das ist die Dialektik.

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MAHLER: Der Rassenwahn war der Sündenfall des Systems SCHÖNHUBER: Ich stelle mir oft die Frage, ob die Rassenpolitik des Dritten Reiches mit zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges beigetragenhat? Ich glaube nämlich, daß die Rassenüberlegungen des Dritten Reiches selbstverständlich die stärkste intellektuelle Kraft aufder anderen Seite herausgefordert hat. Und das war nun einmal das internationale Judentum. Das hat die Herausforderungen angenommen und zu einem Endkampf gemacht, entweder die oder wir. Und ich glaube, was übrigens am Ende des Krieges der Reichsleiter Ley richtig erkannt hat: Ich glaube, die Nationalsozialisten haben die Kraft, die intellektuelle und finanzielle Potenz des Judentums, schlicht unterschätzt. MAHLER: Also ich würde sagen: der menschenverachtende Rassismus, d. h. die Übernahme angelsächsischer Rassetheorien und Imperialismusvisionen durch Hitler war der Sündenfall des Systems. Daran ist es zugrunde gegangen. Das hat etwas damit zu tun, daß Hitler nicht geschult war in der deutschen Philosophie und sich die Engländer zum Vorbild nahm. Die allerorten wirkenden Rassenvorurteile sind zuerst in Großbritannien "wissenschaftlich" gewendet und zu einer Theorie der Überlegenheit der weißen Rasse entwickelt worden als ideologische Rechtfertigung der kolonialen Unterdrückung der farbigen Völker. Hitler war einer Betrachtungsweise anheimgefallen, die diese "rationalisierten" Vorurteile noch übersteigert, indem sie bestimmte sittliche Haltungen und Charaktereigenschaften der Juden und anderer gehaßter Völker auf deren Erbinformation (Gene) zurückführte. Damit steht er in der reduktionistischen Tradition des jüdisch geprägten "wissenschaftlichen" Weltbildes. In diesem Weltbild wird die geistige Dimension des Menschen auf die ungeistigen Strukturen der Biologie und Mechanik zurückgeführt und aus diesen Elementen konstruiert. Daß die sittliche -oder 179

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