Pawek, Karl - Geschichte der Sexualität

February 26, 2018 | Author: medi8tor | Category: Monogamy, Circumcision, Sexual Intercourse, Homosexuality, Human Sexuality
Share Embed Donate


Short Description

Download Pawek, Karl - Geschichte der Sexualität...

Description

Dieses eBook ist nicht zum Verkauf bestimmt !

Karl Pawek – Geschichte der Sexualität 1. Auch Tiere tun es nicht viel anders Wir erleben Sexualität oft als komplizierte, verwirrende Angelegenheit. Nehmen Sie nur Ihre Nase. Ob sie nun groß oder klein, spitz oder platt, krumm oder glatt, rot oder bleich sein mag, sie ist ein jederzeit vorzeigbarer Teil Ihres Körpers, und sie müssen sich ihrer nicht schämen, dürfen sie sogar in der Öffentlichkeit anfassen, abwischen, wenn sie tropft, und jederzeit entleeren. Gewiss gilt es als unfein, sie mit den Händen zu reiben oder gar in ihr zu bohren, doch was immer Sie mit Ihrer Nase treiben, Sie brauchen die Verdammnis nicht zu fürchten. Ihr Umgang mit Ihrer Nase führt Sie weder ins Gefängnis noch in die Hölle (es sei denn, Sie sind eine Frau und leben unter ideologischen Bedingungen, die das Vorzeigen einer weiblichen Nase in der Öffentlichkeit verbietet). Fast überall bedecken hingegen müssen Sie Ihr Geschlecht, über das nur zu sprechen in der Öffentlichkeit wieder einmal verpönt ist. Wer es gar ungebeten vor seinen Mitmenschen entblößt, wird dies in einem Gefängnis oder einer Heilanstalt büßen. Handelt es sich bei Ihrem Geschlechtsteil um einen Penis, darf er auf Fotos oder in Filmen zur Zeit schlimmstenfalls im Hängezustand vorgeführt werden, erigiert gilt er als pornographisch. Als Unding hat er nicht einmal einen würdigen deutschen Namen. Glied ist eine gschamige Verbrämung, Schwanz anatomisch falsch und Rute nur eine von unzähligen umgangssprachlichen Gewaltmetaphern, die viel über eine Gesellschaft und nichts über das Organ aussagen. Noch sprachloser macht das Geschlecht einer weißen Frau. Sein Anblick gilt in jedem Zustand als pornographisch, legal dürfen es - und dies auch erst seit wenigen Jahrzehnten - nur Frauenärzte und Hebammen sehen. Als Vagina, deutsch Scheide, reduziert es unser Sprachgebrauch auf den lustlosesten Teil, einen dehnbaren Schlauch, und die Bezeichnung Vulva für die äußeren Geschlechtsorgane zeugt nur von mangelnden Lateinkenntnissen, heißt Vulva doch Gebärmutter. Dümmer ist nur noch die Benennung des weiblichen Geschlechts als Scham. Die umgangssprachlichen Bezeichnungen wie Fotze, Fud, Loch, Möse triefen vor Verachtung. Eine Nase, ein männliches, ein weibliches Geschlecht. Warum das eine Organ vorzeigbar, das andere widerwärtig sein soll, ist so leicht nicht zu verstehen. Selbstverständlich sind alle Körperöffnungen des Menschen mehr oder minder stark tabuiert, erinnern sie uns doch an unsere verdrängte Animalität. Ein scheißender Christus, eine furzende Maria sind nicht nur

für gläubige Christen unerträgliche Vorstellungen, und je zivilisierter wir sind, desto mehr bemühen wir uns, ganz Geist oder zumindest Seele zu sein. Wir zeigen lächelnd unsere Zähne, aber verbergen auch bei größter Müdigkeit unseren Schlund hinter vorgehaltener Hand. Da unsere Geschlechtsorgane auch Ausscheidungsorgane sind oder zumindest in deren Nähe liegen, könnte man vermuten, deren schmutzbehaftete Bedeutung hätte sich auf diese übertragen. Nun war aber die Entleerung des Körpers noch vor wenigen Jahrhunderten keineswegs so peinlich, wie wir sie heute empfinden. Man schiss und pisste öffentlich, noch Freud spuckte in hohem Bogen aus, und wer sich schneuzt, sucht dafür in der Regel nicht eine Toilette auf. Die Tabuierung der Sexualorgane ist wahrscheinlich älter als die der Körperöffnungen allgemein, und die Einschätzung der menschlichen Körpersäfte eine Bewusstseinsangelegenheit. Erkennbar wird dies an der weiblichen Brust. Enthält sie keine Milch, empfinden viele Männer sie als sexuell, zumindest die Brustwarze musste und muss normalerweise auch heute noch bedeckt sein. Andererseits galt es auch in Zeiten strengster sexueller Prüderie (und gilt es heute noch in Ländern, in denen Frauen Gesichtsschleier tragen müssen) nicht als verwerflich, ein Kind öffentlich zu säugen. Entsexualisiert darf eine Mutterbrust gezeigt werden, obwohl sie Körpersäfte - allerdings positiv besetzte - ausscheidet. William Jordan hat gewiss recht, wenn er behauptet: „Wir können unsere Lüsternheit nur hinter verschlossenen Türen ausleben, weil die Illusion, wir seien nach Gottes Ebenbild geschaffen, uns daran hindert, den Geschlechtstrieb in aller Öffentlichkeit auszuleben.“ Doch das Vorzeige-, ja Benennungstabu unserer Geschlechtsorgane ist nicht mit einer Theorie der Körperöffnungen oder allgemeiner der menschlichen Überheblichkeit gegenüber der Natur zu erklären. Denn nicht die Funktion dieser Organe und auch nicht deren Anwendung sind die Ursache der Verdrängung, die Sexualität selbst ist das Problem, seitdem uns Menschen der Zusammenhang von sexueller Lust und Zeugung bewusst wurde. Biologisch betrachtet unterscheidet sich die Sexualität des Menschen kaum von der anderer hochentwickelter Säugetiere und schon gar nicht von der Sexualität der Schimpansen, deren genetischer Bauplan von unserem um weniger als 2% abweicht und die daher näher verwandt sind mit uns als mit Gorillas. Für alle Lebewesen gilt: „Die Arterhaltung und die Weitergabe der Gene ist der einzige Zweck von Individuen einer Art.“ Also paaren sich Tiere, wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet, zwecks Weitergabe ihrer Gene. Je höher freilich ein Lebewesen entwickelt ist, desto mehr wird das Kriterium der Quantität durch das der Qualität

ergänzt, sei es durch ein Wettschwimmen der Spermien in der Vagina oder durch die Rituale der Werbung oder Überwältigung. Einem Schauspieler wird gesagt, er könne die gewünschte Rolle bekommen, wenn er bis zum nächsten Abend vierzig Pfund abnimmt. Er sucht ein luxuriöses Gesundheitsinstitut auf. Dort erklärt man ihm, das lasse sich ohne weiteres binnen 24 Stunden durch eine Behandlung erreichen, die 1000 Mark kostet, oder binnen 12 Stunden, wenn ihm die Behandlung 2000 Mark wert ist. Er wählt die billigere Kur und wird in ein großes Zimmer geführt, wo er ein nacktes Mädchen vorfindet, das ein Schild mit der Aufschrift trägt: "Fängst du mich, fickst du mich." Er beginnt zu überlegen: Wenn das die 1000-Mark-Behandlung ist, wie muss dann die doppelt so teure aussehen? Er eilt ins Büro zurück und bittet um die Behandlung, die 2000 Mark kostet. Diesmal wird er in ein kleines Zimmer geführt und die Tür hinter ihm versperrt. An der anderen Seite des Zimmers springt eine Tür auf. Ein Gorilla mit einer gewaltigen Erektion tritt ein. Er hat ein Schild umgehängt: "Fang ich dich, fick ich dich." Der Vorgang selbst variiert, erinnert aber häufig - z.B. bei der Taufliege an menschliches Verhalten: Das Taufliegenmännchen drängt sich dicht an ein Weibchen und klopft mit seinem Vorderbein auf ihren Hinterleib. Danach spreizt das Männchen seine Flügel und erzeugt durch rasche, vibrierende Schläge wohl verlockende Töne. Zeigt sich das Weibchen interessiert, leckt das Männchen ihre Genitalien, bevor er es ca. 20 Minuten lang besteigt. Eine Vergewaltigung gibt es bei der Taufliege wie bei fast allen anderen Tieren nicht, allerdings auch keinen Geschlechtsverkehr ohne Zeugungszweck. Männchen riechen für gewöhnlich, wenn ein Weibchen bereits begattet wurde und vergeuden in einem solchen Fall weder Zeit noch Sperma. Will ein Taufliegenmännchen trotzdem noch einmal, schlägt das Weibchen mit ihrem Legeapparat ernüchternd auf seinen Kopf. So vielfältig die Rituale auch sein mögen, ihre Funktion ist immer, dem Weibchen / der Frau Rückschlüsse auf die Gesundheit des Männchen / des Mannes zu ermöglichen. Denn im Unterschied zum männlichen Lebewesen, das über eine fast unbegrenzte Anzahl von Spermien verfügt (jeder Samenerguss enthält 200-500 Millionen Samenzellen), die es nach dem Gießkannenprinzip möglichst breit streuen soll, besitzen weibliche Lebewesen nur eine begrenzte Anzahl von Eiern, mit denen sie haushalten müssen (von den 30 000 Eibläschen einer Frau zu Beginn ihrer Pubertät werden nur ca. 500 voll ausgebildet). Ihr Bemühen gilt daher nicht so sehr der Quantität des Samens als der Qualität des Spenders. Während das

Männchen / der Mann seinen Samen verschleudert, um möglichst häufig seine Gene weiterzugeben, wählt das Weibchen / die Frau - soweit nicht schon der Auslesekampf der Männchen untereinander die Samenqualität optimierte - unter ihren möglichen Begattern aus, um ihre durch die relativ geringe Zahl der Eier reduzierte Weitergabechance ihrer Gene durch hohe Qualitätsanforderungen an den Samen möglichst optimal zu nutzen. Dies sind selbstverständlich - wie überall in der Natur - keine bewussten, ja nicht einmal gezielte Vorgänge; was uns als Ziel erscheinen mag, nämlich möglichst viele bzw. möglichst überlebensfähige Nachkommen zu hinterlassen, ist vielmehr nur eine Funktion der Effektivität. Das Weibchen wählt nicht aus, um kräftigeren Nachwuchs zu gebären, sondern jene Weibchen bekommen kräftigeren Nachwuchs, die sorgfältig auswählen. Daher wird sich bei Weibchen das Prinzip Auswahl, bei Männchen das Prinzip Vielzahl (bzw. Schnelligkeit) durchsetzen, bis sich durch die Effektivitätssteigerung die Bedingungen (z. B. durch eine Überpopulation) so weit geändert haben, dass andere Kriterien der Weitergabe der Gene förderlicher sind. Da es sich dabei um ein Naturgesetz wie das der Schwerkraft handelt, muss es auch die menschlichen Verhältnisse, vor allem die Rollen von Mann und Frau bestimmen. Der eher aktive, um sich spritzende Mann, der (durch Stärke / Muskeln = Gesundheit) Eindruck schindet, um befruchten zu dürfen, und die eher abwägende, prüfende Frau, die (durch Körperformen / Fettgewebe = Gesundheit) Aufmerksamkeit weckt als Gebärmutter, sind nicht Erfindungen des Patriarchats. Erschreckend an dieser Tatsache, doch kaum zu widerlegen ist, dass die üblichen Rollenklischees letztlich nicht gesellschaftliche, sondern natürliche Ursachen haben. Hoffnungsvoll kann da nur stimmen, dass diese naturgegebenen Bedingungen, wie wir noch erkennen werden, nicht ewig gelten müssen. Nun erleben wir Menschen Sexualität nicht nur als Weitergabe unserer Gene, sondern als Lust und - seltener - Befriedigung. Nicht nur der Mensch, sondern auch zahlreiche höher entwickelte Säugetiere können ihre Sexualität durchaus von der Zeugungsfunktion trennen. Bullen und Hengste z. B. masturbieren, indem sie mit einem Hinterfuß so lange auf ihr Genital einschlagen, bis ein Samenerguss erfolgt. Affen haben es dank ihrer instrumental ausgebildeten Hände leichter, sie erlauben auch Weibchen zu masturbieren. So wurden weibliche Affen beobachtet, die beim Betrachten der Männerakte in der Zeitschrift „Playgirl“ sich selbst befriedigten. Eine Äffin nahm die Hand ihres menschlichen Betreuers und führte sie zu ihren Genitalien. Nicht nur bei Schoßhündchen, sondern bei fast allen höheren Säugetieren konnte Oralverkehr beobachtet werden, auch gleichgeschlechtliche Beziehungen sind durchaus natürlich. Lesbische

Beziehungen kommen vor u.a. bei Hunden, Katzen, Ratten, Mäusen, Hamstern, Meerschweinchen, Kaninchen, Stachelschweinen, Mardern, Kühen, Antilopen, Ziegen, Pferden, Schweinen, Löwen, Schafen.... Weiße Ratten ohne Weibchen kopulieren untereinander, Tauben und Möwen nehmen gelegentlich gleichgeschlechtliche Beziehungen auf und bilden über Monate ein Paar. Kinsey, der eine Vielzahl sexueller Spiele bei Tieren beschrieb, stellte fest: "Die Annahme, dass die unter dem Menschen stehenden Säugetiere sich mehr oder weniger auf heterosexuelle Betätigung beschränken, ist eine Entstellung der Tatsachen, die mehr aus einer Weltanschauung als aus spezifischen Beobachtungen des Verhaltens der Säugetiere entstanden ist. Biologen und Psychologen, die den Grundsatz vertreten, dass die einzige natürliche Funktion der Sexualität die Fortpflanzung ist, haben die Existenz sexueller Betätigung, die nicht der Fortpflanzung dient, einfach übersehen." Nicht nur Homosexuelle haben allen Ideologen zum Trotz die Sexualität von ihrer Fortpflanzungsfunktion befreit und als pures und - in repressionsfreien Gesellschaften - billigstes Vergnügen entdeckt. Auch unter heterosexuellen Paaren ist der Zeugungswunsch oder auch nur eine Zeugungsbereitschaft wohl das seltenste Motiv geschlechtlicher Vereinigung. Vielleicht jeder 1000ste Geschlechtsverkehr führt in den Industriestaaten zu einer Befruchtung, und längst nicht jede der wenigen Schwangerschaften ist gewollt. Im gleichen Maße aber, wie die Sexualität ihre Zeugungsfunktion verlor durch die Anwendung der nur dem Menschen möglichen bewusste Empfängnisverhütung, gewann ihre soziale Funktion an Bedeutung. Sogar schon unsere nächsten Verwandten, die Bonobos, haben die Sexualität als einen wesentlichen Bestandteil ihres Sozialgefüges entdeckt. Nach einem Kampf umarmen sich die Männchen und küssen sich auf den Mund, manchmal tauschen sie sogar Zungenküsse aus , Weibchen reiben sich die Genitalien bis zum Orgasmus, gelegentlich führen sie Oralverkehr bei anderen Weibchen aus oder massieren deren Geschlecht. Da solche sexuelle Vielfalt in Zoos häufiger beobachtet werden kann als in der Natur , erfreuen sich Tiergärten in Zeiten sexueller Repression und hoher Pornographiekosten ihrer größten Beliebtheit. Zwar sind die meisten höheren Säugetiere im Unterschied zu den allzeit bereiten BonobosWeibchen und zu Kaninchen, Frettchen und Nerz, bei denen ein Eisprung erst durch die Paarung ausgelöst wird , nur für einen kurzen Zeitraum im Jahr oder - wie bei den Schimpansen - sogar nur alle fünf bis sieben Jahre paarungsbereit, doch wenn es soweit ist, kommen die Zoobesucher auf ihre Kosten. Denn Tierweibchen sind keineswegs so spröde, wie oft behauptet wird. Weibliche Primaten tun fast alles, um in der Woche höchster Brunst möglichst viele Paarungen zu erreichen: Manchmal sind sie am Ende ihrer

Östrusperioden völlig erschöpft und mit Wunden bedeckt, die ihnen, um sie abzuwehren, verausgabte Männchen zugefügt haben. Sherfey ergänzte solche Beobachtungen weiblicher Unersättlichkeit in der Tierwelt: „Ich möchte meinen, dass, hielte die Zivilisation sie nicht zurück, ein nicht unähnliches Verhalten von der Frau zu erwarten wäre.“ Ein kraftstrotzender Ehemann mit einem herkulischen Körperbau hat eine Frau, die sich weigert, für ihn zu kochen oder das Haus in Ordnung zu halten. Er beschließt, sich ihrer zu entledigen, indem er sie zu Tode fickt. Am nächsten Freitag stärkt er sich nach der Arbeit in einem Restaurant mit zwei deftigen Beefsteaks und einem Viertel Wein, dann rast er nach Hause, geht mit seiner Frau ins Bett und vögelt sie ohne Unterlass bis zum Montagmorgen. Bevor er, selbst kaum imstande zu gehen, die Wohnung verlässt, wirft er noch einen letzten Blick auf seine Frau - sie liegt splitternackt und schweißtriefend im zerwühlten Bett, streckt alle viere von sich und ist offenbar bewusstlos. Als er am Abend wieder zurückkommt, sieht er schon von der Straße aus frisch gewaschene Gardinen in den Fenstern, die Türschwelle ist gescheuert, überhaupt macht die ganze Wohnung einen blitzsauberen Eindruck, und er vermutet, die Nachbarinnen seien gekommen, hätten den Leichnam seiner Frau fortgeschafft und dann die Wohnung in Ordnung gebracht. Schuldbewusst tritt er ein und findet statt dessen seine Frau, noch nackt, nur angetan mit einem kleinen Fähnchen von Schürze und in hochhackigen Schuhen am Herd stehend, wie sie ein Menü kocht. "Was geht hier vor?" fragt er verblüfft, "die neuen Gardinen, du am Herd, überhaupt das alles?" "Siehst du, mein Schatz", antwortet sie und stellt sich auf die Zehenspitzen, um ihm einen Kuss zu geben, "du bist gut zu mir - und ich bin gut zu dir." Bornemann ging noch einen Schritt weiter und bekräftigte die Meinung alter Männer über die sexuelle Unersättlichkeit der Frau, indem er die Potenz weiblicher Primaten mit der Behauptung Masters und Johnsons verknüpfte, fast jede Frau sei zu 50 aufeinander folgenden Orgasmen fähig: „Fünfzig Paarungen am Tag sind für solche Weibchen durchaus normal und konstituieren mit großer Wahrscheinlichkeit auch die Norm in den mutterrechtlichen Gesellschaftsordnungen der Vorzeit.“ Auch wenn die Zahl absurd scheint (denn so unempfindlich ist die Vagina nun auch wieder nicht), macht ein häufiger Geschlechtsverkehr mit verschiedenen Partnern Sinn: Wenn bei einem einzigen Schimpansenweibchen bis zu 20 Männchen geduldig warten, bis sie an der Reihe sind , beteiligen sie sich ohne es zu ahnen am vergnüglichen Selektionswettstreit. Sieger in dem Sinne, dass seine Gene weitergeben

werden, ist der Begatter mit den kraftvollsten und daher schnellsten Spermien, die als erste das Ei erreichen. Wo - wie in Pavian- oder Schimpansengesellschaften - Männchen an der Spitze stehen und eine entsprechend aggressive Sexualität bis hin zu Wutkopulationen bei Gruppenbegegnungen oder eine gegenseitige Kastration bei Statuskämpfen zu beobachten ist , müssen Weibchen listig sein. Da einige Oberaffen für gewöhnlich die neugeborenen Nachkommen ihrer Vorgänger (also letztlich deren Gene) töten, täuschen schwangere Schimpansinnen den Nachfolgern eine Scheinbrunst vor und wiegen so die neuen Herren im Glauben, das Nachgeborene stamme von ihnen. Ganz anders sind die Verhältnisse bei den sexualfreudigen, mit dem im Verhältnis zur Körpergröße längsten Penis und der größten Klitoris ausgestatteten Bonobos. Bei ihnen scheint die Gleichwertigkeit der Geschlechter zu gelten, wobei dem Weibchen eine zentrale soziale Stellung zukommt. Sie ist übrigens auch die Flexiblere. Während das Männchen zeitlebens bei seiner Herkunftsgruppe bleibt, sucht das junge Weibchen anderswo Anschluss, wobei es zunächst Kontakt zu einem oder zwei erwachsenen Weibchen einer fremden Gruppe aufnimmt, indem es immer wieder ein gegenseitiges Genitalreiben anregt und ihnen das Fell pflegt, bis es - vermittelt durch die Freundinnen - von der Gruppe akzeptiert wird. Sozial hochentwickelt ist auch das Paarungsverhalten der Bonobos. Ein Koitus findet (häufig frontal) nur statt, wenn beide Partner lautlich und durch Mienenspiel ihre Bereitschaft haben erkennen lassen. 15 Minuten lang starren sie sich in die Augen, bevor die friedliche Begattung beginnt, während derer sie Blickkontakt halten. Wie beim Menschen gibt es auch beim Affen Hinweise, dass das Sexualverhalten nicht angeboren, sondern erlernt ist. Rhesusaffen, die von Geburt an nur mit Mutterattrappen aufgewachsen sind, kopulieren nicht, nur masturbieren können sie von Geburt an. Auch Findelkinder wie der „Wilde von Aveyron“ (als 12jähriger 1800 aufgegriffen) oder Kaspar Hauser (als 16jähriger 1828 aufgetaucht) sollen - sieht man von (nur in Andeutungen überlieferten) Masturbationsakten ab - asexuell gewesen sein. Zu Recht bemerkt Shere Hite: „Sogar Schimpansen und andere Tiere müssen erst lernen, Geschlechtsverkehr zu haben. Sex und alle körperlichen Beziehungen sind etwas von uns Geschaffenes. Sie sind Formen unserer Kultur und keine biologischen Formen.“ Die sexuelle Lernfähigkeit aus Erfahrung ist bei Affen verblüffend. So wurde ein Affenweibchen beobachtet, wie es das ekstatische Grunzen eines rangniederen Männchens, mit dem es kopulierte, zu dämpfen versuchte, als

sich das ranghöchste Männchen gerade in Hörweite befand. Pygmäenschimpansinnen praktizieren gar, was beim Menschen Prostitution genannt wird: „Ein junges Weibchen näherte sich einem Männchen, das Zuckerrohr aß. Sie paarten sich rasch, worauf hin das Weibchen einen der beiden Zuckerrohrstengel nahm, die das Männchen in der Hand hielt, und wegging. In einem anderen Fall bot sich ein junges Weibchen einem Nahrungsbesitzer beharrlich an, der sie zuerst mit Nichtachtung strafte, sich dann aber mit ihr paarte und sein Zuckerrohr mit ihr teilte.“ Wenn schon die Tierwelt keine Zucht und Scham kennt, fördert die Natur wenigstens in Ausnahmefällen die Monogamie? Tatsächlich schien es, worauf der Zoologe Ernst Haeckel triumphierend hinwies, einen Verwandten des Menschen zu geben, der absolut monogam und streng patriarchalisch organisiert lebt, den Gibbonaffen. Dass er zu den dümmsten unter den Primaten zählt, war nur ein Schönheitsfehler. Nun aber mussten thailändische Zoologen feststellen, dass männliche Gibbons gerne Seitensprünge machen und längst nicht so treu sind wie behauptet. Sogar „Ehen zu dritt“ wurden beobachtet. Nur 3-5% aller Säugetiere leben zumindest zeitweise monogam, so Gänse, Schwäne, Engelhaie, Biber und Soldatenkäfer , lebenslänglich monogam sollen die australischen Seepferdchen (Hippocampus whitei) sein, bei denen allerdings - nicht weniger ungewöhnlich als ihre Treue - die Männchen die Schwangerschaft übernehmen: Das Weibchen legt seine Eier in eine Brusttasche des Männchens, das sie drei Wochen lang mit Sauerstoff und einem nahrhaften Sekret versorgt. Neue molekulargenetische Untersuchungsmethoden lassen freilich an der Treue scheinbar monogam lebender Tiere zweifeln. Bei den angeblich so treuen Goldammern z. B. fanden Forscher in zwei Drittel aller Nester Jungtiere, die mit dem sie betreuenden Männchen nicht verwandt waren. Goldammerweibchen, so konnte anhand genetischer Fingerabdrücke festgestellt werden, sind schnell zu einem Seitensprung bereit, wenn ein Männchen ein leuchtenderes Federkleid trägt (und damit gesünder scheint) als der Partner. Wie ideologisch geprägt die Rückprojektion der bürgerlichen Einehe auf die Tierwelt ist, zeigt das lächerliche Lob des Bestsellerautors Desmond Morris für die Paarbildung bei Raubaffen: „Auf diese Weise ... konnten die Raubaffenweibchen weiter der Unterstützung durch ihre Männer sicher sein und sich selbst ganz ihren Mutterpflichten widmen. Umgekehrt waren die Männer der Treue ihrer Weiber sicher, konnten sie getrost zurücklassen, wenn es auf die Jagd ging, und konnten es vermeiden, um die Weiber kämpfen zu müssen.“ Wer es glaubt, wird vielleicht selig, aber nichts begreifen. Denn tatsächlich spielt die Paarbildung evolutionsgeschichtlich

eine höchst bedeutsame Rolle, unsere eigene Gattung, der Mensch war von ihr abhängig. Nur hat sie mit Treue rein gar nichts zu tun. Der Mensch ist das unfertigste Lebewesen, das geboren wird, viel zu früh und hilflos. Also muss es gepflegt, ernährt, gewärmt, getragen werden. Auch wenn das Gebären und Aufziehen von Kindern für weniger verzogene Frauen keine Vollzeitarbeit ist, vergrößert männliche Mithilfe zumindest die Überlebenschance für Mutter und Kind. Die Paarbildung als einfachste Form eines Sozialgefüges erwies sich daher als nützlich für den Bestand einer Population. Wie bei den Tieren dürfte freilich auch bei den frühen menschlichen Jäger- und Sammlergruppen die Paarbildung nur so lange gewährt haben, wie die Brut (das Kleinkind) versorgt werden musste. Wenn Eheleute im ersten Jahr, sooft sie miteinander schlafen, eine Münze in eine Schachtel tun und in den darauf folgenden Jahren jedesmal eine Münze herausnehmen, wird es ihnen nie an Münzen mangeln. (Italienisches Sprichwort) Unsere Vorfahren werden sich bei der Paarbildung kaum anders verhalten haben als Paviane noch heute: Das Männchen, das neu zu einer Herde stößt, starrt ein ihn interessierendes Weibchen an, blickt sofort weg, wenn das Weibchen ihn anschaut, wagt einen zweiten, dritten Blick, bis sich beider Blicke treffen. Nun versucht das Männchen, durch Mimik die Aufmerksamkeit des Weibchens zu fesseln, nähert sich ihr vorsichtig, macht Gesten, und wenn das Weibchen akzeptiert, bilden sie ein Paar. Den Rest besorgt - wie beim Menschen - die Chemie. Neurosubstanzen wie Phenylethylenamin lösen einen euphorischen (Verliebtheits-) Kick aus, der beim Menschen 2-3 Jahre anhält, bis sich im Körper eine neutralisierende chemische Hürde aufgebaut hat. Bei einem Partnerwechsel setzt dieser Prozess sofort wieder ein. Fußspuren lassen vermuten, dass sich unsere Vorfahren seit mindestens 3,6 Millionen Jahren im aufrechten Gang übten. Das älteste bisher gefundene Skelett eines aufrecht gehenden menschenähnlichen Lebewesens („Lucy“) ist 3,3 Millionen Jahre alt. Freilich war Lucy noch vom Kopf bis zu den Zehen behaart und besaß nur ein winziges Gehirn. Sieht man von der sich seither anbietenden frontalen Koitusstellung einmal ab, spielte das Aufrichten für die biologische Sexualität des Menschen wohl keine große Rolle. Desmond Morris freilich wagt auch in diesem Zusammenhang amüsante Behauptungen: Er glaubt, dass die permanenten Brüste der Frau durch die mit dem aufrechten Gang in Mode kommende frontale Koitusstellung entstanden seien, um die arschbackenfixierten Männer zu locken: „Die halbkugelig vorgewölbten Brüste sind sicherlich Kopien der fleischigen Hinterbacken, die scharf begrenzten roten Lippen des Mundes

solche der roten Labien.“ Und Tannahill erklärt gar die Schamhaare aus der Notwendigkeit, bei der neuen Paarungsstellung von vorne die Reibung während des Geschlechtsverkehrs zu verhindern. Eine dümmere Erklärung der Schamhaare fiel, wie wir sehen werden, nur noch Freud ein. Nein, die Bedeutung des aufrechten Ganges liegt in der Befähigung des Menschen, unter sich immer wieder verändernden klimatischen Bedingungen und davon bestimmten Nahrungsverhältnissen besser überleben und mit seinen nun permanent als Werkzeug nutzbaren Händen künstliches Werkzeug bauen zu können. Mit dem aufrechten Gang (aber nicht unbedingt als dessen Folge) wuchsen die relative Größe und Komplexität des menschlichen Hirns gewaltig auf das (bis jetzt) Dreifache an. Gleichzeit wurden Frau und Mann immer ähnlicher. Lassen die ältesten menschlichen Fossilien vermuten, dass die Männer etwa doppelt so groß waren wie die Frauen, so hat sich bis vor ca. 1,7 Millionen Jahren der Abstand bereits auf 10 - 20% verringert. Heute sind Frauen nur mehr rund 10 cm kleiner und 10 Kg. leichter als Männer. Ihre Muskelkraft ist noch um etwa 20% niedriger, das Herz kleiner und leichter, das Lungenvolumen 20 30% geringer, auch haben Frauen 10% weniger rote Blutkörperchen. Diese Unterschiede verringern sich weiter, da körperliche Schwerstarbeit für Männer immer seltener ein Kriterium der Selektion darstellt. Trotz des beeindruckenden Größenunterschiedes unserer männlichen und weiblichen Vorfahren kam wohl keiner von ihnen auf die Idee, Frauen das schwache Geschlecht zu nennen. Denn noch war die Rolle des Mannes bei der Zeugung unbekannt, die Frau als Gebärerin der Inbegriff des Lebens, der Fruchtbarkeit. Über sie definierten sich alle Verwandtschaftsbeziehungen. Ein junges Mädchen möchte einen Sohn des Nachbarn heiraten, aber ihr Vater warnt sie unter vier Augen: "Du kannst den Burschen nicht heiraten. Sag es auf keinen Fall Deiner Mutter, aber er ist Dein Halbbruder." Das ereignet sich mit drei verschiedenen jungen Männern, und das Mädchen merkt allmählich, dass es nicht möglich sein wird, in der Nachbarschaft einen Mann zu finden, den sie heiraten darf. Deshalb vertraut sie sich ihrer Mutter an. "Ach, mach nur und heirate, wen Du willst", erwidert die Mutter forsch. "Bist ja mit Deinem Papa gar nicht verwandt." Doch müßig ist es, über die Vorherrschaft eines Geschlechts, über Tabus zu spekulieren, zu wenig wissen wir über die menschliche Frühgeschichte. Feststehen dürfte: Sexualität wurde als Naturereignis empfunden, lustvoll, variantenreich, physisch beschränkt beim Mann (wenn auch nicht so beschränkt wie in den letzten zwei Jahrtausenden), nahezu unbeschränkt bei

der Frau, deren sexuelle Befriedigung mangels zivilisierter vorspielwilliger Partner eine große Zahl von Geschlechtspartnern oder die eigene Nachhilfe voraussetzte. Aber Sexualität war kein Problem, nicht einmal ein Phänomen, sondern Teil menschlichen Erlebens. Der spielerische wie soziale Umgang der Bonobos mit ihrer Sexualität dürfte dem frühgeschichtlichen Sexualverhalten der Menschen recht nahe kommen.

2. Der Verlust der Unschuld In der bislang wohl prüdesten und daher sexbesessensten Epoche der Menschheitsgeschichte, dem 19. Jahrhundert, brachen unzählige Forscher auf zu Expeditionen in die Frühgeschichte der menschlichen Sexualität. Bei den Urvölkern Afrikas, Asiens, Australiens und Amerikas suchten sie, was sie finden wollten: die einen den Beweis für die Natürlichkeit der Monogamie, der Einehe, andere die Promiskuität, die scham- und schrankenlose Geschlechterpaarung im unverdorbenen sexuellen Paradies, z. B. auf den Gesellschaftsinseln. Dort wählten sich die Mädchen ihre vorehelichen Sexualpartner aus, den Jungen war es nicht gestattet, einem bestimmten Mädchen den Vorzug zu geben. Da aber für männliche Jugendliche - wie überall auf der Welt und noch heute - die Geschlechtsbefriedigung und nicht eine Partnerwahl dringend war, funktionierte das System problemlos. Die Berichte über das Liebesleben ferner Völker waren oftmals verblüffend, aufregend, phantastisch und bewiesen allesamt doch nur eins: Im Bereich der Sexualität gibt es fast nichts, was es nicht gibt. Hier fand sich völlige sexuelle Freiheit für Mädchen, und Jungfräulichkeit wurde als Schande empfunden, dort war homosexueller Geschlechtsverkehr für Männer selbstverständlich, wenige Tagereisen entfernt dagegen mit der Todesstrafe bedroht, jene tauschten ihre Frauen, die wiederum Fremde auf ihr Lager einluden , auf Tahiti kopulierte man zwar öffentlich miteinander, aber aß getrennt nach Geschlechtern , bei den Beni Amer schienen Mann und Frau ihre Rollen gewechselt zu haben, darüber hinaus forderten sie voreheliche Keuschheit und führten als Verheiratete eine äußerst freie Ehe , manche Blutsbrüderschaften lebten in vollständiger Gütergemeinschaft einschließlich des Gutes Frau , und sogar Gruppenehen ließen sich nachweisen.

Noch in den Dreißigerjahren unseres Jahrhunderts glaubten die Bellonesen auf den Salomoninseln, dass die einzige Funktion des Geschlechtsverkehrs das Vergnügen sei , und auch australische Ureinwohner kannten bis unlängst noch nicht den Zusammenhang von Kopulation und Zeugung. Für sie war eine Frau einfach ein Wesen, das während einer langen Zeit ihres Lebens in gewissen Abständen Kinder gebärt.

Dass Mütter unter solchen Voraussetzungen eine herausragende Rolle spielen, ist leicht einsichtig. Sie schaffen menschliches Leben, sind fruchtbar wie die Natur. Diese unverstandene Fruchtbarkeit gebot Ehrfurcht, Verehrung. Die gebärfähige Frau und nicht der jagende Mann bildete den Mittelpunkt frühmenschlicher Gesellschaften, ihrer Kulturen. Die ältesten Plastiken (25 000 v. Chr.) zeigen seltenTiere und noch seltener Männer, sondern fast gesichtslose Frauenkörper mit riesigen Brüsten und breiten Becken. Die vermeintliche Abhängigkeit der Frau vom Mann als Versorger, Schutzherr entstammt neuzeitlichem patriarchalischem Selbstverständnis. Lange hat man sich um die Jahrhundertwende bemüht, die Existenz matriarchalischer Staaten bis hin zur absoluten Umkehr geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung je nach Interessenlage zu beweisen bzw. zu widerlegen. Doch fanden sich keine Hinweise, dass der Mutterkult anfangs nur von Frauen getragen und den Männern erst nachträglich aufgezwungen wurde. Die Männer teilten ihn wohl ganz selbstverständlich, und in vielen Kulturen tragen Priester noch heute Frauenkleider, wenn sie eine heilige Handlung vollziehen. Um so erschütternder muss auf den Mann die aus der Naturbeobachtung gewonnene Ahnung gewirkt haben, dass er an der Entstehung eines Kindes nicht unbeteiligt ist. Als Vater hatte er plötzlich nicht nur ein Recht an seinem Kind, sondern einen Nachfolger und - als die Entstehung von Eigentum die Zukunft über die eigene Lebenserwartung hinaus verlängerte - auch einen Erben. Fatalerweise gab es für den Mann nur eine Möglichkeit sicherzustellen, dass ein Kind auch sein Kind ist: Der in seiner Sexualität beschränkte Mann musste die sexuell weitaus potentere Frau zwingen, geschlechtlich ausschließlich ihm zur Verfügung zu stehen. Erst das Wissen um die Folgen sexuellen Vergnügens vollendete die Vertreibung aus dem Paradies, dem Ort der Unschuld. Was vorher nur Lust war, wurde zu einem sozialen Akt mit Folgen für Frau und Mann: Die Privatisierung sexueller Verhältnisse zwecks Gewährleistung einer Abstammungsgarantie führte zur Monopolisierung der Frau (und damit zu ihrer Entsexualisierung in der Öffentlichkeit). Die dadurch hervorgerufene Reduzierung des Frauenangebotes aber förderte nicht nur die Entwicklung masturbatorischer und homosexueller Techniken, sondern führte auch zur Entstehung der Prostitution, dem keineswegs ältesten Gewerbe, gewiss jedoch der ersten Form einer Verdinglichung (weiblicher) Menschen.

Wir wissen nicht, wann und wie sich diese ebenso gewaltige wie gewalttätige Veränderung im Verhältnis der Geschlechter ereignet hat, wir kennen nur ihre Folgen, die Entstehung von Hochkulturen mit ihrem schrecklichen Frauenhass. 5000 Jahre, so schätzt man, dauerte die Unterwerfung der Frau. Spuren dieses Kampfes, der mit der Entstehung städtischen Lebens um ca. 7000 v.Chr. entschieden gewesen sein dürfte, finden sich noch Jahrtausende später. Herodot berichtete seinen staunenden Zuhörern, dass in Ägypten, wo alles anders sei als im (bereits männerrechtlich)zivilisierten Griechenland, die Frauen stehend und die Männer sitzend urinieren. Noch um 2400 v. Chr. konnte eine Ägypterin einem heiratsfähigen Jüngling einen gar nicht untertänigen Heiratsantrag machen: "Mein schöner Freund, es ist mein größter Wunsch, als Dein Weib die Herrin all Deiner Besitztümer zu werden." Alte ägyptische Eheverträge bestätigen das Recht der Frau, ihren Mann zu verstoßen , und in den 19 Liedern der sogenannten Londoner Handschrift (1400 v. Chr.) nennen 15 die Frau als Liebeswerberin des Mannes, nur viermal führt der Mann das Wort. Ägypterinnen praktizierten bereits Empfängnisverhütung: Eine Mixtur fein gemahlener Akazien und Datteln, vermischt mit Honig, wurde auf einem Wollpfropfen aufgetragen. Durch das Einführen eines solchen Pfropfens in die Vagina sollte 1-3 Jahre lang eine Schwangerschaft verhindert werden. Das Mittel dürfte sogar - wenn auch mehr schlecht als recht- funktioniert haben, denn durch die Fermentation der Akazie entsteht eine Art Milchsäure mit tatsächlich spermizider Wirkung. Aber bereits im babylonischen Reich konnten Frauen und Kinder wie jeder Besitz verpfändet werden. Strenge Sexualgesetze und die niedrige Stellung der Frau begleiteten dieStaatenbildung in einer sich festigenden Männerherrschaft.

Derälteste überlieferte Witz (2600 v. Chr.) beschreibt Frauen bereits als Lustobjekte: "Wie heitert man einen gelangweilten Pharao auf? Indem man eine Schiffsladung junger Frauen, die nur Fischernetze anhaben, über den Nil fahren lässt und zu dem Pharao zum Angeln schickt." Es war eine Zeit des Umbruchs, das Alte ließ sich wie in der Orestie (Eumeniden) des Äschylos nicht so leicht verdrängen, dem Neuen fehlte noch die Legitimität.So überdauerte die Tempelprostitution, ein ritueller Akt, der mit einer Opfergabe verbunden war, lange die patriarchalische Wende. Herodot berichtet über eine Form der Tempelprostitution in Babylon aus der Mitte des 5. Jahrhundert vor Christi: "Einmal im Leben

muss sich jede einheimische Frau im Tempelbezirk der Aphrodite niedersetzen und sich einem Fremden zur Verfügung stellen. Vor und hinter einer jeden, und rechts und links von ihr, lässt man offene Pfade, so dass die Fremden bequem hindurchgehen können, um ihre Wahl zu treffen. Wenn eine Frau sich einmal hingesetzt hat, dann steht sie nicht mehr auf, bis einer der Fremden ihr zum Zeichen seiner Wahl eine Münze in den Schoß geworfen hat, so dass sie sich mit ihm außerhalb des Heiligtums vereinige. Die Höhe des Preises bestimmt der Käufer. Er wird nie zurückgewiesen, denn das ist vom Gesetz verboten. Das Geld gehört nicht der Frau,sondern der Gottheit. Sie muss dem ersten folgen, der da kommt." Borneman interpretiert diese Form der apotropäischen Prostitution als Buße der Frau, weil sie mit ihrer Heirat das Gebot der Göttin missachtete,der Fruchtbarkeit wegen allen Männern zur Verfügung zu stehen. Eine der lächerlichsten Übergangserscheinungen war das Männerkindbett, Herodot und andere Griechen beschrieben diesen absurden Versuch, weibliche Fruchtbarkeit zu imitieren, sich auch noch die Last des Gebärens anzueignen: Wenn dieFrau entbindet, legt sich der Mann schluchzend ins Bett, windet sich in eingebildeten Wehen, stöhnt, lässt sich pflegen und gilt - wie die Gebärende - bis nach dem ersten Bad als unrein. Sogar die Geschichte der Götter wurde um Männergeburten ergänzt: Hesiod berichtete von der Geburt der Athene aus dem Kopf des Zeus. Und nach späterer Überlieferung war Zeus sogar ein zweites Mal schwanger. Als ihn die thebanische Königstochter Semele, der er - wie üblich inkognito - ein Kind gemacht hatte, zwang, ihr seine wahre Identität zu enthüllen, tötete er sie, entnahm ihrem Leib den sechs Monate alten Embryo und pflanzte ihn in seinen Oberschenkel ein. Nach drei Monaten gebar er Dionysos. Ein Sudanese auf der Suche nach einem Paar Schuhe murmelt vor sich hin: "Ich wünschte, ich könnte ein Paar Schuhe finden, das aus demselben Material ist wie die Geschlechtsorgane der Frauen. Sie sind unzerstörbar: Gleichgültig, wieviel man in sie hineinschneidet und wie oft man sie wieder zusammennäht, sie sind immer so gut wie neu!" Gar nicht komisch, weil wohl von Rachegelüsten getrieben, ist die in Ägypten aufkommende Mädchenbeschneidung. Die immer grausame, manchmal tödliche Verstümmelung, der sich heute noch zum "Schutz" vor Vergewaltigung und Gewährleistung der Jungfraulichkeit jährlich 2 Millionen Mädchen unterziehen müssen , reicht von der Entfernung der Klitorisvorhaut (milde Sunna) überdie Entfernung der Klitoris (modifizierte Sunna) und der inneren Schamlippen (Clitoridectomie) bis zum Vernähen der äußeren Schamlippen mit Ausnahme einer winzigen Öffnung für Urin und Blut. Knaben wurden bereits seit der Jungsteinzeit beschnitten, manche

meinen, um ihre Erektion zum Vergnügen der Frau länger halten zu können. Aus medizinischen Gründen jedenfalls ist dieser vor allem bei den Juden (auch Christus war beschnitten) und islamischen Völkern übliche Brauch nicht zu erklären. Griechen und Römer praktizierten die Beschneidung nicht, da sie die Vorhaut als Zierde betrachteten. In Griechenland war es sogar üblich, die Vorhaut durch regelmäßiges Ziehen zu verlängern. Während heute immer noch jede 500ste, manche meinen sogar jede 50ste Beschneidung zu Komplikationen führt, war eine solche Operation vor Jahrtausenden lebensgefährlich. Männer werden sich ihr kaum freiwillig unterzogen oder die Anwendung bei ihren Söhnen gefordert haben. Die Beschneidung dürfte daher aus einer Zeit ungewöhnlicher Frauenmacht stammen. Als nun der Mann triumphierte, beraubte er die Frau ihrer sexuellen Lust, zumal die Vielweiberei nur ohne Befriedigungserwartung der Frauen ein Vergnügen ist. Die Frau, ursprünglich Gespielin und Gebärerin, wurde zum Lustobjekt und Reproduktionsmittel des Mannes denaturiert, Ägypterinnen und Phönizierinnen verwendeten alsbald Lippenrot, um ihren Mund wie ein zweites Geschlechtsorgan erscheinen zu lassen. Allmählich werden uns die Verhältnisse vertrauter. Schon im 6. Jh. v.Chr. beziehen reiche Bürger in Babylon wie später in Griechenland ansehnliche Einkünfte aus der Prostituierung ihrer Sklavinnen , deren Benutzung den Tagelohn eines Handwerkers kostete.

3. Die Kultur des Frauenhasses Und doch unterscheidet sich die Sexualität der Ägypter und Griechen noch gründlich von unserer. Die bereits den Griechen bekannte Zweigeschlechtlichkeit des Embryos bis zur neunten Lebenswoche bestärkte sie in ihrer Auffassung von der Zweigeschlechtlichkeit des Urmenschen, rechtfertigte ihre Bisexualität. Keine Sexualtechnik war bei ihnen verpönt, solange sie nur aktiv ausgeführt wurde. So empfanden die Griechen Homosexualität weitgehend als normal - auch bei Vätern. In einigen griechischen Stadtstaaten galten Homosexuelle als ausgesprochen männlich, tapfer, heldenhaft, sogar die berühmteste griechische Elitetruppe soll nur aus männlichen Liebespaaren bestanden haben. Schöne, junge, unbehaarte Hintern liebten die Griechen so sehr, dass sie für diesen Körperteil eine eigene Göttin erfanden: Aphrodite Kallipygos. Und Eros war ihnen mehr als nur der Gott der Liebe. Er symbolisierte vor allem die Knabenliebe , wie sie auch Aeschylos und Sophokles praktizierten. Stand kein Knabe zur Verfügung, blieb immer noch der Analverkehr mit Frauen , wie ihn auch Goethe vorziehen wird: „Knaben liebt ich wohl auch, doch lieber sind mir die Mädchen, hab ich als Mädchen sie satt, dient sie als Knabe mir noch.“ Von den Griechen konnte Aristophanes ohne Übertreibung behaupten: "...arschgefickt ist unser ganzes Volk." Eine abgrundtiefe Verachtung schlug freilich jenen entgegen, die passiv homophil waren, denn die moralischen Codes der Spätantike waren bestimmt durch die Wahrung des intakten Bildes eines OberschichtenMannes, der sehr wohl jemanden in den Arsch ficken, sich jedoch niemals ficken lassen durfte. Entsprechend verpönt war es auch, einer Frau durch Scheidenlecken zum Orgasmus zu verhelfen. Masturbation dagegen, "sich mit der Hand das Hochzeitslied singen", galt den Griechen bis Plato nicht als Laster, sondern als eine Art Sicherheitsventil. Diogenes masturbierte gar öffentlich mit der Begründung, dass eine Handlung, die an sich nicht für schlecht gehalten werde, nicht durch das Licht der Öffentlichkeit schlecht werden könne. Für Frauen gab es künstliche, aus Leder hergestellte Phallen, ihre Länge von acht Fingerbreiten galt offenbar als Idealmaß. Sexuelle Abstinenz lag den Griechen jedenfalls so fern, dass ihre Sprache nicht einmal ein besonderes Wort für Keuschheit kannte , allerdings litten auch nicht wenige von ihnen unter Gonorrhoe, dem Tripper. In dieser mehr homoerotischen als platonischen Männergesellschaft wucherte der Frauenhass. Hesiod empfahl im 8. Jh. v. Chr., es sei besser, "die Frau zu kaufen, als sie zu heiraten. Dann kann man sie, falls

notwendig, zur Arbeit mit dem Pflug schicken." Homer predigte: "Nichts ist scheußlicher doch, nichts unverschämter auf Erden als das Weib." Hippokrates, Arzt von der Insel Kos, forderte: "Die Frau bedarf eines Zuchtmeisters, denn sie hat von Natur das Zügellose an sich." Plato drohte allen Männern, die kein rechtschaffenes Leben führen oder sich von ihren Leidenschaften hinreißen lassen, statt sie mit ihrem Verstand zu beherrschen, sie würden bei ihrer zweiten Geburt zur Strafe als Frau auf die Welt kommen. Und Karkinos erklärte kurz und bündig: "O Zeus, was soll die Weiber man noch schmäh' n? Genügt doch völlig schon dies Wort: ein Weib." Auch in der Bildenden Kunst wird die neue Geringschätzung der Frau deutlich. Bis um 500 v. Chr. wurden Mann und Frau beim Geschlechtsverkehr entweder aufrecht stehend oder liegend sich umarmend, jedenfalls mit einander zugewandten Gesichtern dargestellt, ab 500 v. Chr. wird die fast nur mehr von hinten penetrierte Frau zumeist in unterwürfiger Stellung gezeigt. Der griechische Mann scheint unfähig gewesen zu sein, eine Frau sexuell zu lieben. Angst vor der gezähnten Vagina, der kastrierenden Scheide, und der Hass des Usurpators auf jene, die er einst vergötterte, machten ihm die Frau widerwärtig. Nur die gekaufte, also von ihm besessene, verdinglichte Frau bereitete ihm Vergnügen. Nirgendwo in Griechenland war Prostitution verboten und der Verkehr mit einer Prostituierten schien nach Aristippos genauso wenig unanständig wie das Bewohnen eines Hauses, in dem schon viele Menschen gewohnt haben. Die Hetären, edle, oft auch gebildete Mietfrauen, genossen hohes Ansehen, fast alle griechischen Statuen von Göttinnen sind berühmten Hetären nachgebildet. Entsprechend teuer waren Hetären, sie kosteten das Zehn- bis Zwanzigfache des Preises für einen gewöhnlichen Arbeitssklaven. Wer nicht die umgerechnet 15 000 Euro für eine gute Hetäre besaß, konnte sie sich vielleicht mit einem Freund teilen. Die Kommerzialisierung der Sexualität ermöglichte es immerhin einigen Frauen, auf ihre Kosten zu kommen. Selbstbewusst schrieb die Hetäre Philumena im 4. Jh. v. Chr. an ihren Gönner: „Warum hältst Du Dich damit auf, lange Briefe zu schreiben? Ich will fünfzig Goldstücke, keine Briefe. Wenn Du mich liebst, bezahle, wenn Du Dein Geld mehr liebst, belästige mich nicht weiter. Leb wohl!“ Trotz horrender Kosten schien auch dem Antipatros ein bezahltes Hetärenverhältnis immer noch besser als eine Ehe. Er empfahl die Hetäre Europa: „Nimm Dir für sechs Obolen Europa, die attische, wo Du niemand zu fürchten brauchst, die Dir nie widerspricht, die ein untadeliges Bett Dir bietet und Heizung im Winter. Unnötig, guter Zeus, verwandeltest Du Dich zum Stier.“ Ein New Yorker Textilfabrikant kommt eines Tages früher aus dem Büro nach Hause, weil er Kopfschmerzen hat, und findet seinen Kompagnon mit

seiner Frau im Bett vor. Er betrachtet die beiden erstaunt und sagt dann schließlich: "Morris, ich muss - aber du?" Die Ehe, noch in homerischen Zeiten nicht auf einen Rechtsakt, sondern auf den sozialen Tatbestand des Zusammenlebens gegründet und daher begrifflos , wurde erst durch die Ehegesetze des Perikles (541/50 v. Chr.) zu staatlichen Einrichtung, die freilich athenischen Bürgern und Bürgerinnen vorbehalten blieb. Doch fand sich bis heute kein Beweis, dass irgendein Athener je eine frei geborene Frau geliebt und nur aus Liebe geheiratet hätte. Auch gibt es keine Darstellung sexueller Aktivitäten von Ehepaaren. Die Ehe war nur eine Institution zur Erzeugung von legitimen Erben, Liebe spielte in ihr keine Rolle, die Rechte der Frau ähnelten den von Sklaven , die Forderung nach Monogamie der Ehefrau, nicht jedoch (zumindest bis Solon) nach der Jungfraulichkeit der Braut war selbstverständlich. Der Mann hingegen konnte uneingeschränkt herrschen, nur in dem Fall, dass sein Schwiegervater ohne männliche Erben starb, war er verpflichtet, dreimal im Monat seiner Frau beizuwohnen. Freiwillig vergnügte er sich lieber mit Sklavinnen, die zwar als vollwertige Geschlechtsobjekte galten, nicht jedoch als vollwertige Menschen. Daher war der Geschlechtsverkehr mit einer Sklavin auch kein Ehebruch, sondern ein harmloses Vergnügen, das sogar noch Profit versprach. Denn es war billiger, Sklaven zu zeugen, als sie zu kaufen. In der Familie sahen die Griechen eine wirtschaftliche Zweckgemeinschaft zur Erhaltung des Privateigentums, zur Versorgung der Frauen, zur Bedienung der Männer und zur Erzeugung von Nachwuchs , den der Hausherr nach Belieben töten, aussetzen, verkaufen, versklaven oder anerkennen konnte. Im Jahre 1 n. Chr. schrieb ein Grieche an seine schwangere Frau: "Wenn Du ein Kind bekommst, dann lass es leben, sofern es ein Junge ist, wenn es ein Mädchen ist, setze es aus." Der Ursprung des Samens bestimmte nach Meinung der Griechen das Geschlecht. Kam er aus dem rechten Hoden (rechts = männlich), wurde es ein Junge, kam er aus dem linken Hoden, wurde es ein Mädchen. Hippokrates versuchte um 400 v.Chr., die Empfängnis wissenschaftlich zu erklären: Wenn Mann und Frau beieinanderliegen, lässt die zunehmend heftiger werdende Bewegung der Körper den besten Teil ihres Blutes zu Samen werden , zu einer Art Schaum, der - beim Mann - über das Gehirn durch das Rückenmark, die Nieren und Hoden in den Penis gelangt, aus dem er mit der unkontrollierbaren Gewalt eines epileptischen Anfalls ausbricht. Aus der Vermischung des männlichen Spermas mit dem weiblichen entsteht ein neuer Mensch. Für Männer sehr angenehm waren

zwei Einschränkungen des Hippokrates: Zu Beginn eines Verkehrs darf eine Frau nicht zu stark erregt werden, weil sie sonst vorzeitig ejakuliert. Dann schließt sich der Schoß, und sie kann nicht schwanger werden. Wenn andererseits der Mann ejakuliert, kühlt sein Samen in der Vagina die Erregung der Frau ab und löscht sie aus, jede weitere Aktivität ist demnach sinnlos. Noch nachhaltiger und bis in unser Jahrhundert wirkten Hippokrates` Erkenntnisse über die Gebärmutter, das seiner Meinung nach wichtigste Geschlechtsorgan der Frau: "Wenn sie nicht oft genug durch den Samen des Mannes aufgerüttelt wird, tritt eine übermäßige Verschiebung des Blutes nach oben ein, die den Frauen die Sinne benimmt und sogar die Atmung erschweren kann." Damit hat Hippokrates die noch im 19. Jh. häufigste Frauenkrankheit erfunden: Die Gebärmutter, griechisch hystera, erzeugt die Hysterie. Noch heute wird in Deutschland jeder dritten Frau die Gebärmutter operativ entfernt, obwohl dies wohl nur bei 5 Prozent aller Fälle sinnvoll oder notwendig wäre. Im männlichen Herrschaftswahn tat schließlich Aristoteles, nach dessen Lehre Sklaven, Handwerkern und Frauen keinerlei Rechte zustehen, den letzten Schritt. Hielt Hippokrates männliches und weibliches Sperma für annähernd gleichwertig, so erklärte Aristoteles, dass allein das männliche Sperma den formgebenden Grund abgebe, der weibliche Teil sei nur die stoffliche Ursache.

4. Vom Vergnügen zur Pflicht Die römische Sexualmoral unterscheidet sich in ihrer „Unterordnung weiblicher Interessen unter die Erfordernisse des patriarchalischen Staatssystems“ kaum von der griechischen, wie sollte sie auch, stammt sie doch von ihr ab. Die Frauenverachtung eines Properz ("Meinen Feinden wünsche ich, dass sie die Frauen, und meinen Freunden, dass sie die Knaben lieben." ) stand der seiner griechischen Dichterkollegen in nichts nach. Bis zur Herrschaft Domitians, eines bisexuellen Hurenbocks, der Ehebruch unter Strafe stellte, die Prostitution von Knaben verbot und jede gleichgeschlechtliche Betätigung verdammte , war fast alles erlaubt, was Vergnügen bereitete, wenn es nur rollenkonform aktiv geschah. Dabei entsprach die passive Rolle nicht immer unseren Vorstellungen. So galt bei den Römern der Fellator, also der Schwanzlutscher als passiv, da sein Mund analog zur Scheide als empfangendes Organ gesehen wurde. Zudem war des Einen Schande des Anderen Pflicht: So machte Seneca bei der Bewertung einer passiven Geschlechterrolle feine soziale Unterschiede: "Die Unzucht ist für den freien Mann eine Schande, für einen Sklaven dagegen ist sie unbedingte Pflicht gegenüber seinem Herrn, und bei dem Freigelassenen bleibt dies eine moralische Pflicht der Gefälligkeit."

"Mama, ich weiß, warum Papi einen so dicken Bauch hat. Ich habe heute früh gesehen, wie das Kindermädchen ihn aufgeblasen hat." Die meisten Römer waren wohl bisexuell. Aber wie die Griechen kannten auch sie einen Begriff wie "bisexuell" gar nicht, weil Bisexualität als etwas Selbstverständliches, Normales galt. Jeden aktiven Geschlechtsverkehr hielten die Römer für gesund. So empfahl Plinius, d. Ältere, in seiner "Historia Naturalis" den Geschlechtsverkehr als Heilmittel gegen die meisten Krankheiten. Und harmlos waren die wenigen Tabus: Kein Geschlechtsverkehr vor Einbruch der Dunkelheit (das war das Vorrecht von Neuvermählten am Tag nach der Hochzeit), kein Geschlechtsverkehr im unverdunkelten Zimmer und kein Geschlechtsverkehr mit einer vollständig entkleideten Frau. Sogar Prostituierte behielten während ihrer Arbeit eine Art Büstenhalter an.

Ansonsten sah man die Dinge locker wie Horaz: "Wenn nicht zu bezwingen der Trieb der Natur entflammt, ist die nächste Nackte mir recht, die beim

Scheine der Lampe den Geilen befriedigt, wackelt sie nur mit dem Steiß und reitet hurtig auf mir dann." Zur Not musste man das Objekt der Begierde ein wenig zur Hurtigkeit zwingen. Ovid, dessen „Ars Amatoria“ bis heute den Lateinunterricht vieler Gymnasien nicht nur sprachlich, sondern auch ideologisch prägt, bekräftigte den Männerwahn von dem die Gewalt ersehnenden Weib: "Nenn es Gewalt, wenn Du willst, denn Gewalt freut grade die Mädchen. Was sie ergötzt, dazu wollen gezwungen sie sein." Bis kurz vor Christi Geburt war jede Vergewaltigung eigener Sklaven straffrei, da ein Sklave nicht als Mensch, sondern als Sache galt, die rund 500 Euro kostete. Handelte es sich bei dem Opfer allerdings um die Sklavin eines anderen, die je nach Aussehen bis zu 3500 Euro wert war, konnte der Täter wegen Sachbeschädigung vor Gericht gebracht werden. Eine Ehefrau allerdings, die sich als freie Bürgerin einem Sklaven hingab, riskierte ihr und ihres Liebhabers Leben, ihr Ehegatte durfte beide töten, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden. Um etwaige Folgen einer solchen Verbindung zu verhindern, ließen vornehme Römerinnen ihre Sklaven infibulieren oder kastrieren. Zu den bedeutendsten Kulturleistungen der Menschheit und vorwiegend von Frauen erbracht gehört die Empfängnisverhütung. Sie erst macht aus dem jährlichen Wurf, um den man sich wenig kümmerte, das Kind. Die Empfängnisverhütung, erst seit wenigen Jahrzehnten sicher praktizierbar, war die Voraussetzung für eine relativ bewusste Erziehung, Entwicklung, Förderung Neugeborener und zugleich - aber dieser Prozess ist noch längst nicht abgeschlossen - die Bedingung weiblicher Emanzipation von der Männerherrschaft. Obwohl die Geburtenrate seit dem 2. Jh. vor Christi wohl wegen des bleivergifteten Trinkwassers stark gesunken war , kannten die Römer bis Augustus kein Abtreibungsverbot. Hatten empfängnisverhütende Mittel wie Analverkehr, Waschungen, Pessare aus Wolle, die mit Olivenöl, Harz und Wein getränkt wurden , oder das „Misy“, ein Antikonzeptivum aus eisenvitriolhaltigem Stoff, das in kleinen Mengen in einer wässrigen Lösung eingenommen wurde und ein ganzes Jahr vor einer Schwangerschaft schützen sollte , versagt, gab es Beeren, Früchte und Säfte mit abtreibender Wirkung. Half auch dies nichts, konnte zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft ein chirurgischer Eingriff vorgenommen werden , denn die Römer sahen - wie heute noch die meisten Chinesen im Fötus einen unselbständigen Teil des mütterlichen Leibes, vergleichbar einem Blinddarm, der jederzeit aus dem Körper entfernt werden kann ohne

moralische Skrupel. Die letzte und ebenso völlig legale Möglichkeit war, den Säugling einfach auszusetzen. Ein Krankenhauspatient liegt im Sterben. Die Verwandten streichen um sein Bett herum und wollen ihn dazu bewegen, das Testament zu unterschreiben, aber er ist bewusstlos. Auf Zehenspitzen machen sie sich davon, lassen ihn in der Obhut der Nachtschwester zurück und schärfen ihr ein, ihm alles zu geben, was er verlangt, aber dafür zu sorgen, dass er morgen früh noch am Leben ist und das Testament unterschreiben kann. Beklommen setzt sie sich mit ihrer Frauenzeitschrift und einer Tasse Kaffee ans Bett und macht sich auf eine lange Nacht gefasst. Gegen drei Uhr morgens rührt sich der Patient, stöhnt und setzt sich auf. "Schwester", sagt er, "Schwester, ich sterbe!" "Schon gut, mein Herr. Legen Sie sich hin und verhalten Sie sich ganz ruhig. Es wird alles wieder in bester Ordnung sein." "Nein", sagt er, "Sie können mir nichts weismachen. Mit mir ist es aus, das weiß ich." "Kann ich irgend etwas tun, um sie zu trösten?" fragt die Schwester. Er mustert sie mit trüben Blick, ihr Bild wird deutlich: jung, hübsch und mollig. "Ja", flüstert er, "Sie können mir einen großen Gefallen tun. Ich habe immer gesagt, bevor ich das Zeitliche segne, möchte ich eine Frau lecken, und das ist nun meine letzte Chance. Was meinen Sie dazu?" Die Schwester ist sehr verlegen. "Wenn Sie mich bloß um etwas anderes gebeten hätten!" sagt sie. "Ich habe nämlich gerade meine Periode." "Was zum Teufel macht mir das aus? Morgen früh bin ich tot." Am nächsten Morgen kommen die Verwandten mit dem Testament angeschlichen und spähen ins Bett des Sterbenden, um festzustellen, ob er in der Lage sei, die Unterschrift zu leisten. Das Bett ist leer. Sie suchen überall, können ihn aber nicht finden und stürzen ans Telefon, um in der Leichenhalle anzurufen. Plötzlich hören sie aus dem Badezimmer ein Geräusch. Sie stoßen die Tür auf, und da steht der Mann in der Pyjamahose vor dem Waschbecken, rasiert sich und pfeift ein Lied. "Ja, liegst du denn nicht im Sterben?" rufen die Anverwandten. "Im Sterben?! Noch so eine Transfusion, und ich lebe ewig!" Fortschritte machte die Wissenschaft vom menschlichen Körper. Plinius beschrieb noch 100 n. Chr. die schreckliche Wirkung des Menstruationsblutes: "Nicht leicht wird man etwas finden, das ungeheuerlichere Wirkungen als der Wochen- und Monatsfluss der Frauen hervorbringen kann. Denn kommen sie während der Zeit ihres Unwohlseins in die Nähe eines Gefäßes mit Wein oder schreiten darüber hinweg, so wird er augenblicklich sauer, mag er noch so jung sein. Die Feldfrüchte verdorren durch ihre Berührung und kommen um." Nicht genug damit: Menstruierende Frauen lassen Spiegel matt, Eisen stumpf und rostig und

Elfenbein dunkel werden. Hunde, die Menstruationsblut lecken, werden toll. Andererseits kann man Raupen, Käfer, Würmer und sonstiges Ungeziefer von Feldern und Gärten vertreiben, wenn man eine menstruierende Frau mit einem bis über die Hinterbacken aufgeschürztem Gewand hindurchgehen lässt. Die im Weingarten vergrabene Monatsbinde einer erstmalig menstruierenden Jungfrau vertreibt sogar Hagelwolken. Der 100 Jahre später in Rom arbeitende Arzt Galen sah die Sache schon sehr viel nüchterner und moderner. Er erklärte das biologische Phänomen Menstruation schlicht mit natürlich scheinenden, in Wahrheit aber nur sozialen Bedingungen: "Entlastet die Natur nicht jede Frau, indem sie bei ihr monatlich das überflüssige Blut abstößt? Da die Frau eine große Menge von Säften anspeichert, indem sie das Haus nicht verlässt, nicht schwer arbeitet und sich nicht der Sonne aussetzt, ist die Menstruation zur Entlastung dieser Fülle notwendig." Immerhin glaubte Galen, gewiss kein Armenarzt, dass körperliche und geistige Störungen keine Göttersstrafe, sondern rational erklärbar seien. Sympathisch auch sein Vorschlag, bei fehlenden Koitusmöglichkeiten zu masturbieren, damit der angesammelte Samen nicht giftig werde. Ausdrücklich lobte er den griechischen Philosophen Diogenes, von dem überliefert ist, dass er - der Gesundheit wegen - häufig masturbiert hat. Nur wenn es um die männliche Vorherrschaft geht, teilt auch Galen die Lächerlichkeit seiner griechischen Vordenker: "Nun, gerade so wie die Menschheit das Vollkommenste unter allen Tieren ist, so ist innerhalb der Menschheit der Mann vollkommener als die Frau, und der Grund für seine Vollkommenheit liegt an seinem Mehr an Hitze, denn Hitze ist der Natur wichtigstes Werkzeug." Ein Mann besucht mit seiner Frau ein Varieté und verfolgt die Darbietungen von einem besonders guten Platz in der ersten Reihe aus. Ein Mädchen erscheint in einem hauchdünnen Trikot auf der Bühne. Der Mann besieht sich das wunderschöne Geschöpf und fängt dann derartig an zu lachen, dass alle Gäste auf ihn aufmerksam werden. Seine Frau ermahnt ihn, er solle sich zusammennehmen und fragt ihn, worüber er sich denn so amüsiere. Schließlich bringt er seine unbändige Heiterkeit so weit unter Kontrolle, dass er ihr ins Ohr flüstern kann: "Ich dachte gerade daran, was das wohl für ein Bild gäbe, wenn ich plötzlich auf die Bühne springen und ihr mein Ding reinschieben würde, während sie noch ihr Trikot anhat!" Die Ehefrau ist beleidigt, schmollt und schweigt. Aber bald darauf bekommt sie einen Lachanfall, bis nun ihr Mann sie fragt, was sie denn so erheitert habe. Sie flüstert ihm zu: "Ich dachte gerade daran, wie Du wohl in der Klemme wärest, wenn das Publikum Zugabe rufen würde."

Vielleicht aufgrund eines mutterrechtlichen etruskischen Einflusses ging es der römischen Frau trotz allen Frauenhasses rechtlich und wirtschaftlich besser als ihren griechischen Geschlechtsgenossinnen. Selbstverständlich war auch in Rom der Bruch einer Ehe durch die Frau ein Vergehen, an dessen Aufdeckung der Staat äußerst interessiert war, stand ihm doch in einem solchen Fall die Hälfte ihrer Mitgift zu. Doch immerhin konnte die Römerin über eigenes Geld verfügen, war dem Mann fast gleichgestellt, was das Erbrecht und die Testierfähigkeit betraf. Und da die Ehe im römischen Reich eine reine Privatangelegenheit war, konnten Eheleute sich im gegenseitigen Einvernehmen selbst scheiden, die Kinder blieben allerdings beim Vater. Das römische Recht beeindruckt durch brutale Nüchternheit. Während die ökonomisch selbständige Frau ihren Gatten und die Familie verlassen durfte, unterlag ein Sohn bis zum Tod des Vaters dessen uneingeschränkter, sogar eine Hinrichtung einschließende Gewalt. Eine Jungfrau dagegen durfte nach römischem Recht nicht hingerichtet werden. Daher wurden Jungfrauen vor der Exekution erst entjungfert. Während Römer und Griechen ihre ehelichen Pflichten erfüllten, ansonsten aber ihre Sexualität genüsslich, ja spielerisch auslebten, herrschten bei den um ihr Überleben kämpfenden Stämmen des Nordens und Südens strenge Zucht und Ordnung. Erstaunt berichtete Tacitus von den Germanen: "Die Frauen leben in Zucht und Keuschheit... Eine Frau, die ihre Keuschheit preisgegeben hat, findet kein Erbarmen.... Denn in Germanien lacht niemand über Laster." Ehebrecherinnen und Homosexuelle wurden systematisch verfolgt und von Priestern durch Hängen oder Ertränken im Moor getötet. Seit dem 7. vorchristlichen Jahrhundert kannten auch die Juden die Todesstrafe für Homosexualität. Sogar die Masturbation, in der Bibel nicht erwähnt, aber nach rabbinischer Überlieferung immer eine schwere Sünde, galt nach dem späteren Talmud als ein Verbrechen, das mit dem Tode bestraft werden musste, genauso wie der Geschlechtsverkehr mit einer menstruierenden und daher unfruchtbaren Frau. "Wenn ein Mann bei einem Weibe liegt zur Zeit ihres Monatsflusses und mit ihr Umgang pflegt und so ihren Blutfluss entdeckt und sie ihren Blutfluss entblößt, so sollen beide aus ihrem Volke ausgerottet werden." (1. Buch Moses 38/6-10; 3. Buch Moses 20/18) In ihrem Bemühen, sich gegenüber ihren Nachbarn zu behaupten, erklärten die Juden alle nicht der Fortpflanzung dienenden Sexualhandlungen für heidnisch. Homosexualität wurde ihnen zum Zeichen der Verbundenheit mit einer anderen Kultur, kein sexuelles, sondern ein politisches Verbrechen. Die rigide Sexualmoral des Alten Testamentes sollte die Zahl

der Israeliten mehren und sie vor der Assimilation durch ihre feindlichen Nachbarn schützen. Jeder Samen war kostbar und durfte nicht vergeudet werden. Daher verlangt der Talmud - nicht zur Steigerung des Lustgewinns, sondern der Gebärhäufigkeit - die regelmäßige Begattung der Ehefrauen: Kräftige Männer ohne Beschäftigung sollen ihren Frauen täglich beiwohnen, Handwerker einmal wöchentlich und nur geistig oder sonst sehr angestrengt Arbeitende dürfen sich Pausen bis zu drei Monaten leisten. Dem Hoden als Quelle des Bevölkerungswachtums (bei ihm schworen Juden und Römer ) galt ein besonderer Schutz: Wenn eine Frau ihrem Mann im Kampf helfen wollte und dabei den Penis oder die Hoden des Gegners berührte, wurde ihr die Hand abgeschlagen. Wie alle extrem patriarchalischen Gesellschaften erkannten auch die Israeliten die Frau als minderwertig und unrein. In ihren Gebeten dankten sie Gott, nicht als Weib geschaffen zu sein. Regenwetter im Himmel. Der heilige Petrus schlägt dem lieben Gott vor, doch wieder einmal auf die Erde hinunterzusteigen und sich wie in guten alten Zeiten zu amüsieren. "Nein, Petrus, nie wieder. Vor zweitausend Jahren habe ich eine Jüdin geschwängert, und noch heute wird darüber geredet." Erst vor dem Hintergrund jüdischer Sexualfeindlichkeit und allgemeiner Frauenverachtung wird die politisch wie sexuell revolutionäre Haltung Jesus Christi deutlich. In keiner anderen Religion hat eine Sexualsünderin (Maria Magdalena) einen so bedeutenden Platz erhalten wie im Christentum. Statt die übliche Enthaltsamkeit zu predigen, verzieh Christus der Ehebrecherin , erlaubte einer menstruierenden Frau, ihn zu berühren und drohte den Pharisäern: "Wahrlich, ich sage euch: Zöllner und Dirnen kommen noch vor euch ins Gottesreich." Christus verachtete weltliche Autoritäten und folglich den Männerwahn. Für ihn war die Würde des Menschen unteilbar auch zwischen Mann und Frau. Erst die männlichen Nachlassverwalter drängten die Frau auf ihren untergeordneten Platz zurück und verdammten zwecks Unterscheidung der Christen von den Falschgläubigen und ihrer als verkommen empfundenen Moral jede sexuelle Lust. Die christliche Sexualmoral hat mit Jesus Christus nichts zu tun. Sie verdanken wir Leuten wie Paulus, Augustinus und Hieronymus. Der Apostel Paulus, ein Mensch voller sexueller Komplexe, predigte: "Es ist dem Menschen gut, dass er kein Weib berühre." Da aber der Geschlechtsverkehr unverzichtbar war für das Fortbestehen der Menschheit, wollte ihn Paulus zumindest reglementieren, entsinnlichen: "Der Mann leiste seiner Frau die schuldige Pflicht, ebenso aber auch die

Frau dem Manne." Alles darüber Hinausgehende sei eine Sünde des Fleisches, am schlimmsten jene Handlungen, die nicht dem Fortpflanzungszweck dienen wie das Hinauszögern oder Vermeiden der Ejakulation der Lust wegen und die Homosexualität. Augustinus, dessen Schuldgefühle (Wunsch nach Inzest mit seiner Mutter Monica, Verlassen seiner Geliebten und des gemeinsamen Kindes ) die nachchristliche Sexualmoral prägten, erträumte sich den unsündigen Geschlechtsverkehr wie im Paradies: "Auf den Wink des Willens hin hätten sich jene Glieder bewegt wie die übrigen auch, und ohne den verführerischen Stachel der Leidenschaft, vielmehr mit der Ruhe des Geistes und Körpers und ohne jede Verletzung der Unversehrtheit hätte der Gatte sich in den Schoß der Gattin ergossen." Durch den Sündenfall aber sei die Sexualität schmutzig geworden, triebhaft, unmenschlich, weil zumindest im Orgasmus - unwillkürlich. Immerhin war Augustinus Realist genug, um die Notwendigkeit der Prostitution einzusehen: „Nimm die Dirnen aus dem menschlichen Leben, du wirst der Begierden wegen alles durcheinander bringen.“ Hieronymus, ebenfalls ein Mann mit schlechtem Gewissen, wird aus der Frauenverachtung seiner Vordenker einprägsame Lehren ziehen: "Die Frau ist die Pforte des Teufels, der Weg der Bosheit, der Stachel des Skorpions, mit einem Wort ein gefährlich Ding." Auch Mitchrist Tertullian sieht in den Frauen die Eingangspforte des Dämons. Entsprechend wenig ist ihm ein weiblicher Fötus wert: Er gilt erst nach 80 Tagen als beseelt, der männliche Fötus bereits nach 40. Über drei Jahrhunderte dauerte es freilich, bis sich die Sexualmoral des Christentums, die Moral mäßig wohlhabender Leute und die restriktivste unter allen Weltreligionen , durchgesetzt hat. Noch gegen Ende des 2. Jahrhunderts zeigt sich Galen von der sexuellen Genügsamkeit der Christen, mehr noch der christlichen Frauen überrascht: "Denn es gibt bei ihnen nicht nur Männer, sondern auch Frauen, die sich ihr Leben lang jeder Beiwohnung enthalten." Und erst 390 n. Chr. fand in Rom die erste öffentliche Verbrennung männlicher Prostituierter statt. Doch allmählich verwandelte sich die politische, auch sexualpolitische Radikalität Christi in die sexualfeindliche Radikalität des Christentums. Das Gebot sexueller Enthaltsamkeit trieb viele Gläubige in den Wahnsinn: Als die Hl. Lucia ein männliches Geschlecht sehen musste, riss sie sich die Augen aus , und nicht nur der Kirchenlehrer Origines kastrierte sich selbst. Selbstkastrationen im Glaubenswahn kamen so häufig vor, dass das 1. Konzil von Nicäa 325 einen Beschluss gegen die Kastrationsmanie erließ. Und Radikalchristen des 4. Jh. forderten, man solle sogar die eigene Mutter

nur sorgfältig in ein Gewand gehüllt über einen Fluss tragen, denn: "Das Fleisch des Weibes brennt wie Feuer." Je stärker Menschen ihre sexuellen Begierden bekämpfen, desto unerbittlicher werden ihre Moralforderungen. Die Erniedrigung, Missachtung, Beschmutzung der Sexualität ging wohl von Zölibatären aus, die einen harten Kampf gegen ihre eigene Sexuallust führen mussten. Als schließlich das Christentum in Rom Staatsreligion wurde, war der Boden vorbereitet für eine drakonische Sexualgesetzgebung. Homosexualität und Zoophilie wurden als heidnische Relikte wieder mit dem Tode bestraft. Die harten Sexualgesetze sollten die Bürger vor Gottes Bestrafung (Sturm, Feuer, Hungersnot, Pestilenz, Erdbeben) solch heidnischer Schandtaten bewahren. Rom ging daher, wie ein Spötter behauptete, weniger an Ausschweifungen als an sexueller Enthaltsamkeit zugrunde. Triumphieren aber sollte die jüdisch-christliche Reduzierung der Sexualität auf ihre Zeugungsfunktion. Bis heute bildet sie die Grundlage der westlichen Sexualmoral.

5. Gewalt und Aberglaube Der Untergang des römischen Reiches, Völkerwanderungen, Pest- und Pockenepidemien entzivilisierten und entvölkerten Europa. "In der allzu raschen Berührung der Germanen mit den Römern übernahmen die Barbaren begierig deren Laster, und die Römer, nicht mehr durch einen starken Staat gehemmt, übernahmen die Roheit der Germanen. Man gewahrt eine Entfesselung wildester Leidenschaften und niedrigster Triebe. Die Primitivität dieser Zeit war von Falschheit und Grausamkeit geprägt." Da die Schriftkultur fast verschwand , ging viel Wissen früherer Jahrhunderte - z.B. über Empfängnisverhütung - verloren. Aber auch die Überlieferung der frühmittelalterlichen Geschichte blieb auf Grund der sich ausbreitenden Entalphabetisierung rudimentär. Man könnte fast meinen und Heribert Illig versuchte es sogar in seinem Buch „Das erfundene Mittelalter“ nachzuweisen -, dass einige Jahrhunderte nur gezählt, aber nicht gelebt wurden. Häufig jedenfalls sind nur indirekte Rückschlüsse möglich auf die Lebensverhältnisse der Menschen. Die wenigen weltlichen Schriftzeugnisse des frühen Mittelalters lassen in Strafandrohungen und Strafmaßen immerhin vermuten, dass die restriktive Sexualmoral mit immer gewalttätigeren Verhältnissen kollidierte. Beispielhaft dafür ist der Umgang mit der Scheidung. Im 6. / 7. Jh. sah man - zumindest unter den Merowingern - die Sache noch locker. Überliefert ist eine Scheidungsformel, die nüchtern feststellt: „Da es wohl bekannt ist, dass wir unmöglich beisammen bleiben können - der Teufel hat das bewirkt und Gott will unser Zusammensein nicht -, so ist es am besten, wir lösen unseren Bund vor guten Menschen, was wir auch getan haben. Will also ein Mann ein anderes Weib nehmen, so soll es ihm frei stehen, und in gleicher Weise auch der Frau, wenn sie einen anderen Mann will.“ Bis Ludwig der Fromme die Scheidung verbietet, hat die Frau ihre Gleichwertigkeit eingebüßt, wurde sie zum Besitz des Mannes, der das Scheidungsverbot leicht umgehen konnte. Erzbischof Hinkmar von Reims beschreibt die Scheidung auf karolingisch: Der Ehemann schickt seine Frau in die Kirche, wo ihr der Hausschlachtersklave die Kehle durchschneidet. Der Ehemann zahlt die festgelegte Buße an die Familie der Frau, ist nun Witwer und darf wieder heiraten. Billiger war es, wenn die Ehefrau beim Ehebruch ertappt worden war, dann durfte sie der Hausherr selbst züchtigen, sogar bei lebendigem Leib verbrennen. Bußbücher für Pfarrpriester, nach denen sie die Schwere der Sünden ihrer Beichtkinder beurteilen konnten, geben Aufschluss über das gewöhnliche Sexualverhalten im Mittelalter. Wer sich mit einer Frau von hinten paarte "wie die Hunde" - oder während der Menstruation oder Schwangerschaft,

musste 10 Tage büßen bei Wasser und Brot. Geschah es während der Fastenzeit, betrug die Buße 40 Tage. Homosexuelle allerdings scheinen von der Kirche nicht strenger verurteilt worden zu sein als Paare, die Empfängnisverhütung praktizierten. Kulturell und zivilisatorisch war das frühe Mittelalter eine fruchtlose Zeit, in der die meisten Menschen unter erbärmlichen Lebensverhältnissen vegetierten und wohl kaum die Lust verspürten zu genussvollen Liebesspielen auf feuchten Strohsäcken. Andererseits waren die kirchlichen und staatlichen Autoritäten schwach, wenig gegenwärtig. Das Recht des körperlich Stärkeren beherrschte den Alltag und damit auch die Sexualität. Nur auf Umwegen fand das mittelalterliche Europa wieder Anschluss an die Antike. Die Eroberung weiter Teile Spaniens und der Türkei brachte ab 713 den Islam und mit ihm das vorchristliche, weltliche Wissen nach Europa zurück, ohne den Kontinent zu islamisieren. Anders als das Christentum verteufelt der Islam nicht Sexualität ohne Fortpflanzungszweck, sie muss nur legal praktiziert werden. Männern erlaubt der Islam jedes sexuelle Vergnügen, das sie sich leisten können, denn, wie Mohammed verkündete: "Die Weiber sind Euer Acker, kommet in Euren Acker auf welche Weise Ihr wollt." Frauen dagegen müssen männlichen Schutz mit totaler Unterwerfung auch im Geschlechtlichen bezahlen. Allerdings ist die frauenfeindliche Sexualmoral des zeitgenössischen Islams relativ jung. Im vorislamischen Arabien gab es auch die Mehrehe von Frauen, die bei der Geburt eines Kindes einen ihrer Männer zum Vater erklärten. Und noch Mohammed wurde von einer seiner Ehefrauen frei gewählt, von einer anderen verstoßen. Erst später verkam die Braut zur Ware. Der Ehemann durfte vor der Hochzeit ihr unverhülltes Gesicht nicht sehen. Gefiel sie ihm nicht, konnte er sie in der Brautnacht ihrem Vater zurückgeben, solange er sie noch nicht entjungfert hatte. Er musste ihr dann allerdings die Morgengabe lassen, die er am Tag des Verlöbnisses hinterlegt hatte. Auch im Islam gilt die Erdenfrau als unrein: Mohammed riet den Männern: "Habt ihr euch durch Beischlaf verunreinigt, so wascht euch ganz. Seid ihr aber krank oder auf der Reise oder nach Verrichtung der Notdurft, oder habt ihr Frauen berührt und ihr findet kein Wasser, so nehmt feinen, reinen Sand und reinigt euer Gesicht und eure Hände damit." Während die Erdenfrau ein gefährlicher Notbehelf ist, erwartet den Gläubigen im Paradies eine Lagerstatt mit so vielen Jungfrauen, wie er sich nur wünscht. So schlicht und vordergründig die intellektuelle Qualität des Islams auch sein mag, so erlaubt seine - wenn auch nur männliche - Sexualbejahung den wissenschaftlichen Umgang mit dem Körper.

Ein Mann schreibt an seinem Geburtstag ins Tagebuch: "Heute werde ich zwanzig Jahre alt und kann meinen Penis nicht mit beiden Händen biegen." "Heute werde ich fünfundzwanzig Jahre alt und kann meinen Penis nicht mit beiden Händen biegen." Und so weiter: dreißig, fünfunddreißig, vierzig, fünfundvierzig, fünfzig, fünfundfünfzig. Schließlich mit sechzig Jahren: "Heute habe ich ihn gebogen. Ich muss stärker geworden sein."

Während sich die christlichen Fundamentalisten jahrhundertelang nur um die Moral kümmerten, betrieben Mohammedaner Forschung (soweit es der Koran zuließ: selbstverständlich durften auch sie nicht sezieren oder nackte Frauen betrachten.) Der arabische Arzt Avicenna begründete die Notwendigkeit des Geschlechtsverkehrs u.a. damit, dass die Qualität oder auch nur Quantität des Spermas bei Mann und Frau spezifische Reize in den Samenleitern des Mannes und im Muttermund verursache, denen nur durch die Reibung während des Geschlechtsverkehrs (oder durch Masturbation) abgeholfen werden könne. Da ein zu kleiner männlicher Penis nicht genug Reibung erzeuge, bleibe die Frau in diesem Fall unbefriedigt, gebe kein Sperma ab, daher könne auch kein Kind entstehen. Unbefriedigte Frauen, warnt Avicenna, würden zusammen mit anderen Frauen beim Reiben Zuflucht suchen, um untereinander zur Fülle ihrer Befriedigung zu kommen. Mittelalterliche Sprüche lassen ahnen, welche Unersättlichkeit Mann Frauen zutraute: "Ein Ei ist ein Mund voll, eine Brust ist eine Hand voll, ein Arsch ist ein Schoß voll, aber eine Fut ist ein Nimmervoll." "Bei allem gelangt man auf den Grund, nur bei der Fut nicht." Ihrer sexuellen Unersättlichkeit wegen galten Frauen um die Jahrtausendwende als sittlich schwer gefährdet. Bischof Burchard von Worms wies die Beichtväter an, diesbezüglich detaillierte Fragen zu stellen: „Hast du getan, was manche Weiber tun, und dir eine gewisse Maschine in passender Größe gefertigt, hast du sie vor dein Geschlecht oder das einer Gefährtin gebunden und mit Hilfe dieses oder eines sonstigen Geräts mit anderen bösen Weibern Unzucht getrieben, oder haben andere es mit dir getan?“ Das bei solchen Befragungen gewonnenen Wissen um die sexuelle Unbefriedigtheit seiner Beichttöchter wurde wohl nicht selten von Priestern ausgenutzt zur Erlangung eigener sexueller Befriedigung. Um ihre Frauen vor klerikalen Begierden zu schützen, nötigte mancherorts die Gemeinde ihren Priester, sich eine Konkubine zu halten. Preist der Islam das Vergnügen am Sex, so waren die Christenführer von ihm besessen. Getrieben von verbotener Lust und schrecklicher Angst,

suchten sie ihn durch Ge- und Verbote zu beherrschen. Das Konzil von Trient bekräftigte, dass jeder selbstverständlich eheliche Geschlechtsverkehr nur ohne Lust, zur Not aus Pflichterfüllung gegenüber dem begehrlichen Partner oder zur Vermeidung eigener Unzucht stattfinden dürfe: "Wenn einer der Gatten in sich die Versuchung zum Ehebruch oder zu Selbstbefriedigung verspürt, dann darf er, falls er keinen besseren Weg findet, die Ehe dazu nutzen, diese Versuchung abzuwenden." Aber es blieb eine Todsünde, sich auch nur in Gedanken mit einem anderen als dem eigenen Gatten zu vereinigen. Als Todsünde galt auch jede Empfängnisverhütung, das Abtreibungsverbot allerdings wurde bis zum 80. Tag nach der Empfängnis gelockert. Die Begattung musste frontal vollzogen werden, am besten bekleidet. Für den gebührenden Abstand wurde ein züchtiges Nachtgewand entwickelt, das chemise cagoule: ein schweres Nachthemd mit passender Öffnung, durch die der Mann seine Frau befruchten konnte, ohne mit ihr in eine über das Notwendige hinausgehende Berührung zu kommen. Verboten waren alle Stellungen, bei denen die Frau auf dem Mann liegt, denn dabei sehe man nur die Frau handeln, den Mann aber unterlegen. Verboten war Masturbation auch unter Eheleuten, selbstverständlich auch jede andere Sexualtechnik, die nicht den einzigen Zweck des Geschlechtsverkehrs, die Fortpflanzung, ermöglicht. Verboten schließlich war jeder Geschlechtsverkehr drei Tage lang nach der Hochzeit, während der Menstruation und Schwangerschaft, mehrere Wochen nach der Geburt, an Donnerstagen (Tag der Gefangennahme Jesu), Freitagen (Kreuzigung), Sonntagen (Auferstehung) sowie vor und an Festtagen. Der Kirchenkalender erlaubte also nur an rund 200 Tagen des Jahres den Geschlechtsverkehr. Vor allem in den Klöstern blieb die christliche Sexualhysterie nicht folgenlos. Wo Mönche und Nonnen ihren Begierden nicht nachgaben, triumphierte der Wahn. Angela von Foligno behauptete, Christus stelle ihr nach, Mechthild von Magdeburg schilderte mystische Koitus-Szenen mit dem Heiland, Agnes fühlte die Vorhaut Christi im Mund, Katharina von Siena, sie starb mit 33 Jahren an unablässigem Fasten , glaubte, sie am Finger zu tragen. Überhaupt scheint die Vorhaut Christi die Phantasie der Gläubigen erregt zu haben. Im 15./16. Jh. gab es ein Dutzend Gemeinden, die behaupteten, die echte Vorhaut Christi in ihrem Reliquienbestand zu besitzen. Wie immer in der Geschichte schaffen Sexualverbote Abhängigkeit von der sie verfügenden Autorität. Die biologische Unmöglichkeit, sie zu erfüllen, zermürbt das Selbstbewusstsein, lässt Menschen sich schuldig fühlen, das Böse in sich statt in der Krankheit ihrer Führer suchen.

Doch selbst Kleriker handelten immer anders, als die Kirche sprach. Das Zölibat, die Ehelosigkeit von Priestern, seit dem 3. Jahrhundert propagiert, 1074 eingeführt, konnte nie wirklich durchgesetzt werden. Bischof Heinrich von Lüttich z.B. zeugte im 13. Jahrhundert 61 Kinder. Auch die Prostitution war und blieb unausrottbar. Überliefert sind Spesenabrechnungen christlicher Ratsherren, die neben Essen und Wein auch den (dreimal so teuren) Prostituiertenbesuch abrechneten. Bei großen Festessen wurden Dirnen zum Nachtisch gereicht: „Herr Wilwolt richtete (zu Gent) ein Bankett her, lud dazu den obersten englischen Kapitän mit seinem trefflichsten Adel und viel andere große Herren und mächtige Leute ein ... Dazu hatte er von Brügge und Flandern die allerhübschesten Frauen, die da sein mochten, dazu die besten Spielleute bestellt. Da fingen sie an zu tanzen und waren fröhlich, und zur Nacht verehrte er einem jeden Herren eine hübsche Frau, mit ihr nach des Landes Gewohnheit zu schlafen. Des Morgens wurden sie ihm alle gütlich wieder abgeliefert, wofür er sich höflich bedankte. Er beschenkte eine jede gebührend und schickte sie ehrlich nach Hause.“ Die Veranstalter christlicher Kreuzzüge mussten in einem einzigen Jahr für den Unterhalt von 13 000 Prostituierten aufkommen , und als Papst Innozent III. nach achtjährigem Aufenthalt 1243 Lyon verlässt, bemerkt Kardinal Hugo zynisch: "Seit wir hierher kamen, haben wir große Verbesserungen erwirkt. Bei unserer Ankunft fanden wir drei oder vier Bordelle. Hinter uns lassen wir nur eins. Wir müssen jedoch hinzufügen, dass es sich durchweg vom Ost- bis zum Westtor erstreckt." Kennzeichnend für die christliche Sexualmoral im Mittelalter ist die Rigorosität der Strafandrohung bei gleichzeitiger Lässigkeit in deren Vollzug. Für Ehebruch betrug die Buße bis zu sieben Jahre, für homosexuelles Verhalten oder Zoophilie von 22 Jahren bis lebenslänglich. Der Büßer musste in weiße Tücher gehüllt öffentlich vor der Kirchgemeinde ein Geständnis ablegen. Nach Ablauf der Bußfrist erhielt er ein schriftliches Dokument. Die durch Essens- und Vergnügungsverzicht doch recht lästige Buße wurde aber zunehmend durch Almosenzahlungen ersetzt. In einigen Gegenden bestand auch die Möglichkeit, einen Büßer zu mieten, der gegen Bezahlung für einen büßte. Vergleichsweise mild war die Strafandrohung für die wohl übliche Vergewaltigung, die mit einer Buße bis zu einem Jahr bestraft wurde. Daher empfahl der Kaplan am Hofe der Königin Eleonore, nur um die Gunst hochgestellter Damen zu werben. Wenn aber das Interesse des Mannes auf eine ihrer Dienerinnen fällt, riet er: "Gib acht und überhäufe sie mit Lob; wenn du einen bequemen Ort findest, zögere nicht und nimm, was du suchst, und umarme sie mit Gewalt. Denn du kannst ihre äußere

Unnachgiebigkeit kaum so erweichen, dass sie ihre Umarmungen ruhig gewähren ... wenn du nicht anfangs ein wenig Zwang anwendest." Wer als Höhergestellter ein Mädchen aus einer niedrigeren Schicht, das ihm gefiel, nicht vergewaltigte, machte sich unter seinesgleichen lächerlich. Aber auch in den Städten gehörte sexuelle Gewalt zu den alltäglichen und ständigen Erscheinungen des Zusammenlebens. Ca. 80% aller Vergewaltigungen waren Gruppenvergewaltigungen, zumeist vollzogen von jungen unverheirateten Burschen. Und sie waren eher die Regel als die Ausnahme. Die Hälfte aller jugendlichen Stadtbewohner dürfte mindestens einmal an einer Gruppenvergewaltigung teilgenommen haben. Dennoch scheint die Sexualmoral in der Unterschicht restriktiver gewesen zu sein als bei den Herrschenden.Die unzähligen Schlaraffenlanderzählungen aus dieser Zeit sind nicht nur Ausdruck des im Volk herrschenden Mangels, des immer wiederkehrenden Hungers. Wenn sie gelegentlich auch - wie das Fabliau aus dem fernen Land Coquaine von einer freien Liebe phantasieren, muss es zumindest bei den einfachen Zuhörern solcher Geschichten auch an ihr gemangelt haben: „Die Frauen in jener Gegend sind wunderschön; jeder nimmt sich die Damen und Fräulein, wenn er Lust dazu hat, ohne dass sich jemand darüber aufhält; dann treibt er es mit ihnen, wie es ihm gefällt, solange er will und ganz vergnügt. Die Frauen werden deshalb nicht getadelt, sondern stehen in viel höherem Ansehen. Und wenn es sich zufällig ergibt, dass eine Dame ihre Aufmerksamkeit einem Mann zuwendet, den sie sieht, dann nimmt sie ihn sich mitten auf der Straße und macht mit ihm, was sie gern möchte. So tut eines dem anderen viel Gutes.“ Dieses anarchisch-revolutionäre, im Grunde nur humane Haltung in der Volkskultur musste die Herrschenden beunruhigen. Sie wurden daher nicht müde, auch in sexualpolitischen Fragen die Hierarchie zu verteidigen. Zwar wurden im Mittelalter Frauen von keinem Gewerbe ausgeschlossen, für das ihre Kräfte ausreichten , doch nicht nur Thomas von Aquin betonte die untergeordnete Stellung der Frau: "Die Frau wurde geschaffen, um dem Mann zu helfen, aber einzig bei der Zeugung ..., denn bei jedem anderen Werk hätte der Mann bei einem anderen Mann eine bessere Hilfe als bei einer Frau." Während in Mitteleuropa die Frau noch als ein geiles Stück Natur galt, die keusche Ritter aus dem Schlaf riss, um sie zu verführen, die nur Ehebruch im Sinn hatte, die man daher im entlegensten Teil des Hauses hinter Schloss und Riegel sperren sollte , änderte sich - vom islamischen Westen und dem orthodoxen Osten ausgehend - ihre Rolle und ihr Selbstverständnis. Nicht dass die von Minnesängern vermittelte islamische Liebeslyrik der Frau sexuelle, politische oder wirtschaftliche Rechte

zugestanden hätte, aber das neue, bis ins 20. Jh. gültige Ideal von der tugendhaften Frau ohne Körper befreite sie vom Verdikt der Animalität. "Die Tugend", bemerkt Martin Dannecker treffend, "wurde die europäische Haremsmauer." Das neue Frauenbild wurde vor allem durch die „unbefleckte“, asexuelle Jungfrau Maria symbolisiert, deren Verehrung sich im 12. Jahrhundert von Byzanz nach Westeuropa übertrug. Doch zunächst gewannen vor allem in Südfrankreich Frauen ein wenig Gleichberechtigung. Sie konnten wie z. B. die junge Isabella von Couches, um 1090 bewaffnet in den Kampf reiten , in Kreuzzügen mitkämpfen, mussten bei Verkäufen ihres Mannes gefragt werden , regierten gar weite Teile des Landes. Weiter nördlich sah man die Entwicklung kritischer. Hildegard von Bingen, sehr fraulich und sehr angepasst und daher heute wieder hoch geschätzt, beklagte um 1135 den Ausbruch des „weibischen Zeitalters“. Von ihm überdauerte aber nicht viel mehr als eine Verfeinerung der Sitten. Zwar aßen z. B. auch Vornehme immer noch mit den Händen, aber man griff - zumindest in Gesellschaft von Frauen - nun nicht mehr mit beiden Händen in die Schüssel, sondern benutzte nur mehr drei Finger einer Hand, bis schließlich die Gabel den Prozess der Zivilisation auf einen neuen Höhepunkt heben wird. Elias wies darauf hin, dass diesem Wandel der Sitten mehr zugrunde liegt als nur eine modische Laune: "Menschen, die so miteinander essen, wie es im Mittelalter Brauch ist, Fleisch mit den Fingern aus der gleichen Schüssel, Wein aus dem gleichen Becher, Suppen aus dem gleichen Topf oder dem gleichen Teller ... standen in einer anderen Beziehung zueinander, als wir; und zwar nicht nur in der Schicht ihres klar und präzise begründeten Bewusstseins, sondern offenbar hatte ihr emotionales Leben eine andere Struktur und einen anderen Charakter." Statt im Körper nur die vorübergehende und vergängliche Hülle der Seele zu sehen, den zu verachten, wie Bernhard von Clairvaux predigte, selig macht, begannen die Menschen, sich wieder um diesen Körper zu kümmern. Galens Schriften wurden endlich aus dem Arabischen ins Lateinische rückübersetzt, Peter von Spanien veröffentlichte 34 Rezepte für Reiz-, 26 für Verhütungsmittel und 56, um die Fruchtbarkeit zu gewährleisten. Das sexuelle Wissen blieb dennoch gering. Im Falle sexueller Erregung nahm man an, dass eine gasförmige, vielleicht auch flüssige Modifikation der Hitze die Genitalien beider Geschlechter anschwellen lässt. Constantinus Africanus empfahl, nicht vor dem Verdauen der Nahrung, also z.B. nicht um Mitternacht zu koitieren, damit der Samen kräftig werde. Ein weiblicher Samenerguss sei zwar nicht

notwendig, doch wünschenswert, da er das Kind schöner mache , und 17 von 25 untersuchten Traktaten beschäftigen sich mit der Frage, ob eine Frau sich einen Orgasmus, also den Samenerguss, verschaffen darf, indem sie sich selbst streichelt, wenn der Mann sich nach seiner Ejakulation aus ihr zurückgezogen hat. 14 Autoren billigen diese Selbstbefriedigung, nur drei verbieten sie. Aber immer noch offenbart sich die Frauenverachtung in der männlichen Brutalität: So hielten Ärzte im 13. Jh. die Lepra für eine Folge der Unzucht mit einer menstruierenden Frau. Die schreckliche Folge eines solchen unreinen Koitus konnte nur durch den Geschlechtsverkehr mit einer Jungfrau beseitigt werden. Der Arzt Henri de Mondeville versprach: „Dann wird diese von der Lepra angesteckt und er frei sein.“ Auf zwei Wegen versuchte die Kirche, dieser Säkularisierung der Sinne gegenzusteuern, durch die Hexenverfolgung und durch die Einflussnahme auf die Ehe. Ein kleines Mädchen protestiert gegen die langen Gebete, die es aufsagen muss, und fragt, warum sie sich nicht der kürzeren bedienen dürfe, die sie ihre Eltern hat aufsagen hören. "Was für Gebete meinst du denn?" fragt die Mutter. "Gestern nacht habe ich dich ganz deutlich gehört. Du hast gesagt: "O Gott, ich komme." Und Papa hat gesagt: "Herr Jesus, wart auf mich!" War die Ehe bis ins 11. Jahrhundert eine private, von den Eltern der Brautleute arrangierte Angelegenheit gewesen, für deren Zustandekommen Zuneigung oder gar Liebe, die als subversiv, ja destruktiv angesehen wurde, keine Rolle spielte , drängte sich nun die Kirche immer mehr in die Zeremonie. Ein Priester segnete vor dem öffentlichen Zu-Bett-Bringen der Eheleute das Ehebett , die Kirche erklärte die Ehe mehrfach, weil zunächst wirkungslos, zum Sakrament, vor allem aber gelang ihr über das Inzestverbot, auf die Partnerwahl Einfluss zu nehmen. Das Heiratsverbot wurde ausgeweitet bis auf angeheiratete Verwandte 4. und Blutsverwandte 7. Grades, was bei der geringen Mobilität der Gesellschaft die Partnerwahl sehr erschwerte. Für die Kirche, deren Kompetenz in Verwandtschaftsfragen unbestritten war, da sie die Register führte, bedeutete die Inzestüberwachung eine wesentliche Machterweiterung. Sie wurde nun auch zur Ehe-Instanz, von deren Wohlwollen - z.B. beim Gewähren einer Dispens - die Familien abhängig waren. Als neue Ehe-Instanz lockerte die Kirche aber auch gewiss ungewollt - die elterliche Willkür und trug damit zur Personalisierung der Ehe und zur Befreiung der Frau bei. So durften im 13. Jahrhundert in Schwaben Männer mit 14 und Frauen mit 12 Jahren ohne Einwilligung der Eltern heiraten. Zudem wurde das eben doch nur taktische Inzestverbot bald wieder abgeschwächt.

Eine nicht minder starke Einflussmöglichkeit auf die Gesellschaft bot die Hexenverfolgung. Wie beim Inzestverbot, das wesentlich älter ist als das christliche Eherecht, hat die katholische Kirche auch den Hexenwahn nicht initiiert, nur genutzt. Die erste Hexenverbrennung 1275 hat mehr mit der neuen, viele Männer ängstigenden Rolle der Frau zu tun als mit religiösem Eifer, zumal bis zum Anfang des 14. Jh. die Verurteilung von Hexen zum Tode selbst mit dem Tod bestraft wurde. Die Abkehr von dieser skeptischen Einstellung vollzog erst Papst Johannes XXII., der wohl unter Verfolgungswahn litt. Der Hexenwahn war nicht nur unter Katholiken in ganz Europa verbreitet, auch Luther behauptete, dass Hexen Gewitter machen, Krankheiten hervorrufen und vielerlei Schaden stiften. Im Hexenwahn manifestiert sich die angstvolle Verachtung der Frau, die Verdammnis ihrer vermeintlichen Geilheit, wie sie bis ins 19. Jahrhundert die Phantasie der Salonmaler und Märchenerzähler beschäftigt. Der Hexenwahn ist auch Ausfluss eines vorwissenschaftlichen Denkens, das unerklärliche Krankheiten - z.B. Epilepsie - nicht anders zu deuten wusste als durch teuflische Besessenheit. Die ökonomische und moralische Krise der spätmittelalterlichen Gesellschaft suchte einen Sündenbock , und da es sich auch um eine innerkirchliche Krise handelte, eigneten sich die üblichen Opfer, die Juden, diesmal nicht. Daher brauchte man Hexen und Zauberer als imaginären Dämonen in Menschengestalt, die mit den immer noch weit verbreiteten heidnischen Kulten in Verbindung gebracht werden konnten. Das Verhütungs- und Abtreibungswissen weiser Frauen gefährdete nicht nur die christliche Moral, sondern auch das nach Pest und Hungersnöten dringend notwendige Bevölkerungswachstum. Auch das Zölibat förderte die Hexenverfolgung, da den zur Keuschheit verdammten Klerikern immer wieder der Teufel in Gestalt des Weibes als Verführer erschien. Zudem war die Hexenanklage für die Kirche oft ein gutes Geschäft, konnte doch das Vermögen der Verbrannten eingezogen werden. Nicht zuletzt aber war der Hexenwahn auch ein mediales Phänomen.

Kaum hatte der machtgeile Hurenbock Papst Innozenz VIII. in einer Bulle beklagt, dass sich vor allem in Deutschland sehr viele Personen mit dem Teufel geschlechtlich vergnügten , machten sich die Informanten des Papstes, zwei von sexuellen Wahnvorstellungen und Frauenhass besessene Dominikanermönche, ans Werk. In ihrem "Hexenhammer", einem "Nachschlagewerk der Sexualpathologie" , wiederholten sie nicht nur die 2000 Jahre alten Klischees von der geilen Frau, sondern reduzierten auch

die christliche Sexualmoral auf ihren griffigen Punkt: Die Macht des Teufels liege im Geschlecht des Menschen. Bis in die letzten Details phantasierten sie den hörnernen Schwanz des Teufels, ca. 60 cm lang, mittleren Umfangs, gebogen, sehr rauh, spitz. Sein Samen sei eiskalt, da er keinen eigenen besitze, sondern sich ihn vor jedem Akt von einem Mann holen müsse. Nun würde der Hexenhammer wohl zu den unzähligen, nur mehr Spezialisten bekannten Traktaten zählen, wäre nicht kurz vor seiner Veröffentlichung 1489 der Buchdruck erfunden worden. Als eines der ersten gedruckten Bücher konnte der Hexenhammer massenhaft verbreitet werden und stieß, weil der Wahn seiner Autoren dem Zeitgeist entsprach, auf ungeheures Interesse. Man schätzt, dass zwischen 500 000 und 2 Millionen Menschen den Hexen- und Zaubererverfolgungen zum Opfer fielen , nicht gezählt jene, die nur gequält, nicht getötet wurden wie eine Jungfrau in Ingolstadt, die 1584 von 12652 in sie gefahrene Teufel befreit wurde. Selten sind Stimmen der Vernunft. So veröffentlichte 1563 der deutsche Arzt Johann Weyer eine Abhandlung "Von der Täuschung der Dämonen", in der er nicht Hexen, sondern Krankheiten für unerklärliche Erscheinungen verantwortlich machte. Die Kirche setzte das Buch auf den Index. Denn selbstverständlich stärkte der Hexenterror auch die Macht der Kirche (die heute noch Teufelsaustreibungen betreibt). Aber die Tatsache, dass noch zu Goethes Zeiten Hexenprozesse und Hinrichtungen stattfanden, beweist, dass diese Barbarei nicht nur kirchlichem Zwang, sondern der Sexualangst der Menschen entspringt.

6. Die neue Lust im alten Gewand Noch im späten Mittelalter galt den Menschen nur eine Form des Sexualverhaltens als tatsächlich sexuell: Der Koitus unter Erwachsenen. So war die Masturbation nur ein Mittel, sich von körperlichen Spannungen zu befreien. Der Arzt Arnold von Villanova (1235 - 1312) hielt es sogar für ein Gebot der Hygiene, verdorbenen Samen, der nach langer Enthaltsamkeit giftig geworden sein könnte, durch Masturbieren aus dem Körper zu entfernen. Eltern, Dienstboten, Ammen masturbierten - wie heute noch die Hopi-Indianer - Kleinkinder, um sie zu erfreuen oder zu beruhigen. Auch Nacktheit war nicht sexuell besetzt. Man schlief nackt - auch mit Fremden in einem Raum, badete nackt im Badehaus , wohin man fast nackt durch die Straßen gelaufen war. Mächtige Fürsten wie Ludwig XI. 1461 in Paris, Karl der Kühne 1468 in Lille oder Karl V. 1520 in Antwerpen wurden auf Geheiß der Stadtväter von nackten Jungfrauen begrüßt. Die Männerkleidung, aber auch Priesterrröcke verdeckten kaum das Geschlecht , die freizügig-prahlerische Mode war so beliebt, dass z. B. der Rat der Stadt Bern sein Verbot von Miniröcken für Männer, die nicht einmal das Geschlecht verbargen, immer wieder erneuern musste: 1476, 1478, 1481, 1486, 1487... Frauen trugen bis ins 19. Jahrhundert keine Unterwäsche, und wer bei einer Geselligkeit einer Frau an den Busen fasste, machte sich keines Sexualvergehens schuldig, sondern erwies ihr damit nur die gebührende Huldigung. Primäre wie sekundäre Geschlechtsmerkmale wurden als Teile des Menschen empfunden, die nicht von der Person getrennt werden können, deren man sich aber auch nicht schämte. Im „Weissen Rosendorn“, einem Text vom Ende des 15. Jh., streiten eine Frau und ihre Fut darüber, weswegen sich Männer für die Frau interessieren. Die Fut behauptet, das geschehe nur ihretwegen, die Frau meint, die Fut spiele dabei überhaupt keine Rolle. Im Zorn trennen sie sich. Die Frau muss alsbald erfahren, dass sie nur mehr als die „Futlose“ verspottet wird, die Fut erlebt, dass sie als hässliche Kröte beschimpft wird. Also beschließen beide, sich wieder zu vereinigen. Mit der Renaissance, dem Ende des Sklavenhandels, der Überwindung der Naturalwirtschaft und dem Entstehen der Geldwirtschaft gewinnt die Sexualität - zuerst in Italien - an Fröhlichkeit. Noch sieht Boccaccio in der unzüchtigsten Erzählung des Decamerone („Wie man den Teufel in die Hölle schickt“) die Vagina als Hölle, aber bis am Ende des 15. Jahrhunderts der christliche Fundamentalist Savanarola das Buch in die Flammen des Scheiterhaufens werfen und Papst Paul IV. 1559 es auf den Index setzen

wird, können die Menschen lesen: "Die Natur hat nichts umsonst geschaffen, und sie hat uns auch diese edlen Teile verliehen, damit wir davon Gebrauch machen, nicht um sie müßig ruhen zu lassen." Denn: "Der Nichtgebrauch kann dieser Körperpartie großen Schaden zufügen und Hysterie erzeugen, woran manche schöne Frauen zugrunde gehen. Das beste Mittel dagegen, sagen die Ärzte, ist die fleischliche Beiwohnung, und zwar seitens kräftiger und wohlgebauter Männer" Der neue Ton war frech, ehrlich, ungekünstelt. Sacchetti überliefert einen Ehekrach zwischen einem Sieneser Kruzifixmaler und seiner untreuen Ehefrau: "Er: Du verdammtes Flittchen! Mir wirfst Du vor, ich sei ein Säufer, und Du selber hast nichts besseres zu tun, als Deinen Kerl ausgerechnet hinter meinen Kreuzen zu verstecken! Sie: Sagst Du was zu mir? Er: Nein, zu einem Haufen Eselscheiße. Sie: Was Besseres hast Du auch nicht verdient. Er: Miststück. Ich weiß wirklich nicht, warum ich Dir nicht diesen Schürhaken in Dein verdammtes Loch stoße! Sie: Rühr mich nicht an - beim Kreuz Gottes. Wenn Du mir was antust, dafür wirst Du zahlen, bis Du schwarz bist. Er: Du Drecksau - Du und Dein Beschäler da! Sie: Verflucht, wer seine Tochter zwingt, einen Maler zu heiraten." Glaubt man italienischen Renaissanceautoren, ging der Mann mit Hemdärmeln ins Bett, die Frau trug ein leichtes Hemd. Unter Liebesgeflüster berührten, streichelten, stimulierten sie sich, vor allem die maximale Erregung der Frau war wichtig für eine komplikationslose Schwangerschaft und reichen Kindersegen. Der Geschlechtsakt war keineswegs phantasielos. Boccaccios Narr Calendrino beschwert sich bei seiner Frau: "Du willst immer nur oben liegen." Auch Analverkehr war in der Toscana so weit verbreitet, dass sich Antonius von Florenz in seinen Predigten genötigt sah, Mädchen über die Verwerflichkeit des Analverkehrs aufzuklären. Und Francesco Poggio berichtet „Von einem Dummkopf, der glaubte, seine Frau habe zwei Scheiden“: „Ein Bauer aus unserer Gegend, ein dummer Teufel, der namentlich in Sachen des Beischlafs unerfahren war, verheiratete sich. Da geschah es eines Nachts, dass seine Frau ihm im Bett den Rücken zuwandte, so dass ihr Hinterer in seinem Schoß zu ruhen kam. Er hatte seine Waffe bereit, ging zum Angriff über und traf zufällig ins Ziel. Verwundert über diesen Erfolg fragte er seine Gattin, ob sie denn

zwei Scheiden hätte. Und als sie bejahte, rief er: "Hoho! Ich bin mit einer zufrieden, die andere ist ganz überflüssig." Darauf meinte die geriebene Frau, die es mit dem Pfarrer hatte: "Dann können wir die zweite ja als Almosen hergeben; schenken wir sie doch der Kirche und unserm Pfarrer. Er wird sich sehr darüber freuen, und dir wird es nichts ausmachen, da du ja an einer genug hast". Der Mann war damit einverstanden, teils dem Pfarrer zuliebe, teils um sich die unnötige Last vom Halse zu schaffen. Man lud also den Seelsorger zur Abendmahlzeit ein, setzte ihm die Sache auseinander, aß sich satt, und dann ging's zu dritt ins Bett, und zwar so, dass die Frau in die Mitte zu liegen kam, und der Mann sich vorn, der Priester aber hinten seines Anteils erfreuen konnte. Der Priester, ausgehungert und gierig auf den ersehnten Leckerbissen, wie er war, ging auf seiner Seite zuerst zum Angriff über, den die Frau mit leisem Geflüster und einem gewissen Geräusch beantwortete. "He! alter Freund!" rief da der Mann, besorgt, der Pfarrer möchte ihm ins Gehege kommen, "pass auf die Verträge, halt dich an deinen Anteil und lass den meinen ungeschoren!" "Da sei Gott vor!" antwortete der Priester, "ich mache mir gar nichts aus deinem Besitz, stehen mir doch die Güter der Kirche zur Verfügung." Durch diese Worte ließ sich der dumme Bauer beruhigen und forderte den Pfarrer auf, sich nach Gutdünken des Anteils der Kirche zu bedienen.“ Da Priester und Mönche als Sexualathleten galten, nannte man ihnen zu Ehren den Koitus Psalm. Wollte die Frau ein Kind, sollte sie nach dem gemeinsamen Rezitieren eines Psalms ganz ruhig liegenbleiben, da jede Bewegung, und sei es nur ein Niesen, die Schwangerschaft verhindere, wenn der Samen aus seinem Behältnis geschleudert werde. In den schlecht beleuchteten Spinn- und Rockstuben und unter den engen Wohnverhältnissen vor allem auf dem Land ging es einfacher zu, die meisten Sexualakte würden wir heute als Vergewaltigungen bezeichnen, aber die Menschen - Männer wie Frauen - empfanden sie nicht so , denn die Würde des Menschen lag noch nicht in seinem Geschlecht. Sogar die Prostitution wurde in der Renaissance frei von Schmutz und Unterdrückung zu einer von der Obrigkeit geregelten Dienstleistung. So musste sich der Wirt des Frauenhauses zu Ulm gegenüber dem Bürgermeister und dem Rat der Stadt verpflichten: "Zu andern, so soll Er schwören, das Frauenhaus wesentlichen zu halten, und dasselbige mit tauglichen, saubern und gesunden Frauen nach Notturft und Gestalt des Wesens, hie zu Ulm, zu fürsehn, und zu keiner Zeit unter vierzehn Frauen nicht zu haben, es begeb sich denn, dass Ihm eine oder mehr Krankheit oder anderer sachen halb, aus dem Haus komme, dieselben soll er dann, in einem

Monat dem nächsten mit ander oder andern geschikten, saubern und gesunden Frauen zu ersetzen und zu erstatten schuldig und verbunden sein ungefärlich, damit am mindesten an der obbemelten Anzal der viertzehn Frau nicht Abgangk oder Mangel werde."

In der Toscana hatten alle größeren, in Ligurien auch Kleinstädte ihre Prostituierten in Badehäusern, Privatbordellen oder im „grande Maison“, dem Stadtbordell. In Tarascon kamen im 15. Jh. auf 5-600 Familien 10 städtische Prostituierte, Dijon, das damals weniger als 10 000 Einwohner hatte, zählte über 100 Dirnen. Sie bildeten in der städtischen Gesellschaft keine Randgruppe, sondern erfüllten eine wichtige Aufgabe oder - wie es Thomas von Chabham, Kanoniker von Notre-Dame, formulierte: „Sie vermieten ihren Körper und leisten daher Arbeit.“ Nicht nur für junge Männer war der Besuch bei einer Prostituierten üblich , in Dijon z. B. war ungefähr jeder 5. Freier ein Geistlicher. Der sexuelle Dienst dauerte im Durchschnitt eine halbe Stunde, die Zeit wurde durch das Abbrennen von Wachskerzen gemessen, in Italien wurden Dirnen daher „Mädchen mit der Kerze“ genannt. Je nach Dienstleistung betrug ihr Lohn die Hälfte bis zum Dreifachen eines Tagesverdienstes für Frauenarbeit im Weinberg. Die Tatsache freilich, dass bis in die Mitte des 15. Jh. und später immer wieder die Vergewaltigung einer Frau mit zweifelhaftem Lebenswandel weniger verwerflich war als einer Frau von einfachem Stand , und Huren wie Juden eine besonders gekennzeichnete Kleidung tragen mussten und z. B. im Avignon des 13. Jh. auf dem Markt keine Lebensmittel berühren durften , relativiert den Eindruck uneingeschränkter Akzeptanz. Doch das Geschäft florierte. Die Hurenhäuser waren nur zu Weihnachten und in der Karwoche geschlossen, ansonsten ruhte der Betrieb nur sonntags während des Hochamtes. Manche Stadt besaß ein städtisches Bordell, aber keine Schule. In Venedig zählte man 1565 unter 165 000 Einwohnern 10 000 Kurtisanen. Wie in den Niederlanden gab es auch in Italien gedruckte Kataloge, die Eigenschaften, Namen, Anschrift und Preisforderungen von Prostituierten verzeichneten. Ein Dirnenkatalog aus Venedig nennt 1570 215 Kurtisanen, unter ihnen auch die beiden führenden Lyrikerinnen Italiens, Gaspara Stampa und Veronica Franco. An den meisten Orten bildeten die Huren eigene Organisationen, die heftig gegen die

Unsittlichkeit ihrer Amateurkonkurrentinnen polemisierten. Auch die geistlichen Herren scheuten nicht die Prostitution, über 1000 Dirnen sollen am Konzil von Konstanz mitgewirkt haben, 300 in Trient. Bordelle besaßen u. a. der Bischof von Straßburg, der Erzbischof von Mainz, Papst Sixtus IV., der zudem noch von jedem Geistlichen einen jährlichen Hurenzins eintreiben ließ. Mit dem Hurenzins erkaufte sich der Kleriker das Recht, sich eine Beischläferin zu halten. Ursprünglich mussten diesen Zins nur jene entrichten, die tatsächlich mit einer Konkubine zusammenlebten, Papst Sixtus IV. vereinfachte die Abrechnung durch die Annahme, dass dies bei allen Priestern und Mönchen der Fall sei. Außer für Juden, denen jeder Geschlechtsverkehr mit einer Christenfrau unter Androhung grausamer Strafen (Abschneiden des Penis und Ausstechen eines Auges) verboten war , und - zumindest ab 1527 in Ulm für Knaben unter 14 war ein Bordellbesuch nicht ehrenrührig, eher selbstverständlich. Anders als mancher Regierungschef im 20. Jahrhundert bedankte sich noch 1434 Kaiser Siegismund öffentlich beim Berner Stadtmagistrat dafür, dass er ihm und seinem Gefolge drei Tage lang das Frauenhaus unentgeltlich zur Verfügung gestellt habe. Entsetzt formulierte ein Bischöfliches Gericht bereits 1411 in einer Anklage gegen Adamiten das Neue an diesem Verständnis von Sexualität: "Ingleichen gibt es eine Alte ..., die öffentlich erklärte, auch außerhalb der Ehe gäbe es einen sündlosen Geschlechtsverkehr. Dieser sei eine rein natürliche Angelegenheit wie Essen und Trinken..." Mit der Renaissance, dieser maternistisch-individualistischen Epoche, setzt sich die Auffassung durch, dass jeder Mensch frei in seinem Handeln sei. Berief man sich im Mittelalter auf höchste moralische Grundsätze zur Rechtfertigung grausamster Gewalt, so praktizierte die Renaissance egoistische Gewalt ohne andere Rechtfertigung als der des persönlichen Nutzens. Die Renaissance war - auch im Sexualverhalten - weniger antiautoritär als zügellos. Tatsächlich handelt es sich bei dem Freiheitsversprechen der Renaissance nur um die Freiheit des Stärkeren. Er konnte z. B. die sexuelle Untreue einer Frau, wie Brantome berichtet, barbarisch und selbstgerecht bestrafen: "Als ich zum erstenmal in Italien war und nach Venedig kam, wurde mir von einem albanesischen Ritter erzählt, der, seine Frau beim Ehebruch überraschend, den Liebhaber tötete. Er war wütend darüber, dass seine Frau sich nicht mit ihm begnügte, da er doch ein wackerer Ritter war, und ein Held im Reiche der Venus, der zehn bis zwölfmal des Nachts das Opfer brachte. Zur Strafe suchte er ein Dutzend tüchtiger Männer zu finden, die

im Rufe standen, sehr stark begabt und feurig zu sein. Diese mietete er für Geld, sperrte sie in das Zimmer seiner Frau, die sehr schön war, und überließ sie ihnen, indem er sie bat, gut ihre Pflicht zu tun; er versprach ihnen doppelte Bezahlung, wenn sie ihre Aufgabe sehr gut erfüllten. Die Männer machten sich nacheinander ans Werk und waren so eifrig, dass die Frau dabei starb, zur großen Genugtuung ihres Gatten. Im Augenblick des Sterbens warf er ihr vor: da sie diesen süßen Trank so sehr geliebt habe, möge sie sich nun daran satt trinken. Ähnlich wie Semiramis zu Cyrus sagte, indem sie seinen Kopf in ein Gefäß voll Blut steckte. Das ist wahrlich eine schreckliche Todesart!" Für die Reichen und Mächtigen muss das Leben das Leben im 15. und 16. Jahrhundert ein toller Spaß gewesen sein. Man betrog einander - nicht nur sexuell - nach Strich und Faden, kümmerte sich wenig um Moral. Über die Bürger Venedigs und anderer Hafenstädte spottete man, ihre Penisse müssten unvorstellbar lang sein, wenn sie sogar auf Reisen aus weiter Ferne ihre Gattinnen schwängern können. Aber auch der Klerus legte sich wenig Zwänge auf. Der Jesuiten-Kardinal Robert Bellarmin, 1930 heiliggesprochen, rühmte sich, über 1600 Frauen geliebt zu haben , Kardinal Pietro Bembo verherrlichte in seiner „Ode Priapus“ das männliche Geschlechtsorgan. Sprichwörtlich wurden die Zustände in den Klöstern, und wenn das Konzil von Valencia 1565 den Gebrauch des Beichtstuhls anordnete, dann nur, um die häufigen Beichtverführungen sittsamer Hausfrauen durch ihre Beichtväter beim Hausbesuch zu verhindern , war doch der Beischlaf mit Priestern nicht nur mangels Alternativen die einfachste Möglichkeit, außereheliche Sexualität zu erleben. Derbe Rätsel und Zoten, Fastnachtsspiele und Novellen, aber auch lüsterne Gesellschaftsspiele waren das Vergnügen der gebildeten Oberschicht; wie es beim arbeitenden Volk zuging, lässt sich mangels Überlieferung nur ahnen. Am Beeindruckendsten aber ist die Nüchternheit, mit der man sexuelle Handlungen wortgewaltig aussprach und darstellte. Pietro Aretino, ein ebenso begnadeter Erzähler wie gemeiner Schuft, der einen guten Witz so sehr zu schätzen wusste, dass er sich beim Hören eines Witzes über seine Schwester schließlich totlachte, lässt die Kurtisane Nana aus der Schule plaudern: "Nun, um nicht für eine Heuchlerin zu gelten, so will ich Dir also sagen, dass zwei stramme Pobacken mehr vermögen, als alle Philosophen, Astrologen, Alchimisten und Nekromanten, die je auf der Welt waren. Ich probierte soviel Kräuter, wie auf zwei Wiesen wachsen, und soviel Worte, wie auf zehn Märkten geschwätzt werden, und vermochte doch nicht auch nur um Fingers Breite einen, dessen Namen ich Dir nicht nennen darf, das Herz zu rühren. Und dann machte ich ihn mit einer einzigen Bewegung

meiner Hinterbäckchen so bestialisch verrückt nach mir, dass alle Bordelle ganz baff darüber waren." Clement Marot, Hofdichter Franz I., dichtet über die Ökonomie des Geschlechtsverkehrs: "Ach", sprach er, "wie viele Schulden macht man um der Liebsten Schoß! Glaubt mir, Süße, jeder Stoß kostet mich zwei blanke Gulden." Ei, da fuhr sie zornig los: "Euer Hirn ist eingerostet, stoßt doch so oft, dass der Stoß Euch nur einen Heller kostet." Wurde aus dynastischen Gründen Wert auf eine Jungfernschaft gelegt, wusste Brantome Rat: "Man kann den Mädchen auch scheinbar die Jungfernschaft wiedergeben, indem man Blutegel in die Scheide setzt, die durch das Saugen eine blutgefüllte Blase erzeugen. Diese zerplatzt dann in der Hochzeitsnacht, das Blut fließt heraus, und der Gatte ist voll Vergnügen, nicht minder die Braut, denn l´onor della citadella è salvo." Engländer wünschten sich von einer Frau: "Sie solle erstlich fröhlich im Gemüt sein, sodann wohlgebildet, drittens eine breite Stirn haben, viertens breite Hinterbacken, fünftens stets auf der Hut sein, sechstens leicht zu bespringen, siebentens gut zu brauchen auf einer langen Fahrt, achtens muss sie sich fleißig unter dem Manne rühren, neuntens stets hurtig mit dem Munde sein und zehntens allzeit auf den Zaum beißen." Wie bieder hört sich dagegen die Lustregulierung Martin Luthers an: "Die Woche zwier, Der Weiber Gebühr, Schadet weder mir noch dir, Macht´s Jahr hundertundvier." Auch die Bildende Kunst sprengte die sakralen Grenzen des Mittelalters. Die Nacktheit wird nach Jahrhunderten wieder zum Bildthema, einen der ersten Frauenakte malt 1493 Dürer, in Italien wagt es Signorelli in seiner "Schule des Pan" eine völlig nackte Frau zwischen nackte Männer zu stellen. Giorgiones "Schlafende Venus" wirkt lebendiger, als je eine Statue, und Tizianos "Venus im Truhenzimmer", das Modell war die Herzogin von Urbino, begründet eine ganze Reihe von Aktdarstellungen berühmter, hochangesehener Frauen. Neben häufigen Notdurft- und Vergewaltigungsszenen - am Beliebtesten die Vergewaltigung der Lukretia - finden sich zunehmend häufiger sexuelle Anspielungen in den Bildmotiven. Jan Steens "Die Liebeskranke" wird nur verständlich, wenn man die sexuelle Doppeldeutigkeit des Klistiers und Fisches als Penissymbol kennt. Gar nicht doppeldeutig, sondern die neuzeitliche Entdeckungslust preisend ist das Bild eines gestrandeten Walfischs. Die Spaziergänger bestaunen seinen riesigen Penis, besteigen, vermessen ihn. Die sexuellen Entkrampfung veränderte die Rolle der Frau außerhalb der Katholischen Kirche. Eine anonyme englische Autorin verkündete 1620:

"Wir sind ebenso frei geboren wie Männer, haben die gleiche freie Möglichkeit zur Wahl und einen ebenso freien Geist, unser Körper ist aus dem gleichen Fleisch und Blut. Bei gleicher Freiheit können wir auch aus unserem Wesen Vorteile ziehen." 50 Jahre später wird Aphra Behn, die erste Berufsschriftstellerin Englands, in ihrem Stück "The Amourus Prince" sogar Sexualität auf die Bühne bringen. Auch bei den Wissenschaftlern, diesem "Geschlecht erfinderischer Zwerge, die für alles gemietet werden können" , vollzieht sich ein Wandel. Noch finden sich überall Aberglaube und überkommene Weisheit. Ärzte raten zu kühlenden Arzneien, wenn Frauen zu viel Hitze haben und dadurch der Samen verbrennen könnte , und Paracelsus verkündet immer noch die tausendjährigen Vorurteile seiner Vorgänger: "Es gibt kein Gift in der Welt, das schädlicher ist als das Menstruationsblut." Keuschheitsproben quälen junge Frauen: Hebt ein Mädchen einen Topf kochenden Wassers vom Herd und er hört auf zu kochen, ist sie keine Jungfrau mehr. Vom Koitus während der Nacht wird abgeraten, es könnten blinde Kinder gezeugt werden , und der Mann soll nicht so schnell nach seinem Orgasmus die Frau verlassen, damit keine Luft in den offenen Schoß einströmt und den gerade ausgesäten Samen zu sehr abkühlt. Tomaso Campanella verbindet Überlieferung und modernes Denken zu einem gefährlichen eugenischen Gemisch. In seiner "Sonnenstadt" entwickelt er eine Theorie geschlechtlicher Begattung mit dem Ziel, ausschließlich ebenmäßig schöne Menschen zu zeugen. Dafür sollen sich zu einem astrologisch berechneten Zeitpunkt Dünne mit Dicken, doch schöne Menschen nur mit ihresgleichen paaren. Der Geschlechtsakt findet in Räumen der Gemeinde statt, das Bett ist umstellt von Götterbildern der Venus und des Apoll. Während des Koitus soll sich die Frau wollüstig den makellosen Körper des Gottes einprägen, der Mann die Gestalt der Venus, um ein optimales Produkt zustande zu bringen. Geradezu menschenverachtend erscheint heute der Vorschlag, den Ärzte Wilhelm von Oranien machten, als er an Pocken erkrankte. Er solle tun, was er sowieso gerne tat, nämlich mit einem jungen Pagen schlafen, um dabei animalische Geister von dem jungen, gesunden Körper aufzunehmen. Das Mittel half, der Page wurde aus Dankbarkeit immerhin zum Herzog von Portland ernannt. Der Junge Ehemann steht im Hochzeitsappartement nackt vor dem Spiegel und bewundert sich. "Zwei Zentimeter mehr, und ich wäre ein König", sagt er stolz. "Ja", sagt die Braut, "zwei Zentimeter weniger, und du wärst eine Königin."

Bis in die Anfänge des 17. Jahrhunderts glaubten die meisten Intellektuellen, dass jeder menschliche Körper männlich und das Geschlecht der Frau nur ein infolge der Kälte ihres Temperamentes nach innen gewendetes Geschlecht des Mannes sei. Paré, erster Chirurg Karl des IX., erzählt - wie später Montaigne - die Geschichte eines Mädchens, das über einen Graben sprang: "Im selben Augenblick geschah es, dass die Genitalien und die männliche Rute sich bei ihr entwickelten, weil die Bänder gerissen waren, durch die sie im Inneren gehalten worden waren." Unvorstellbar, so Paré, sei der umgekehrte Fall, das Verschwinden der männlichen Geschlechtsorgane im Unterleib: "Wir finden deshalb niemals in irgendeiner wahren Geschichte, dass ein Mann je eine Frau wurde, weil die Natur immer zum Vollkommensten hin tendiert und nicht, umgekehrt, in solch einer Weise verfährt, dass, was vollkommen ist, unvollkommen werden könnte." In dieser Gedankenwelt des einen Geschlechts in zwei unterschiedlich wertvollen Ausprägungen war weibliche Homosexualität mehr als nur eine sexuelle Verhaltensweise, sie war eine Anmaßung männlicher Herrlichkeit und daher verdammungswürdig. So berichtet Montaigne von einem Mädchen, das als Mann verkleidet als Weber arbeitete und eine Frau heiratete. Sie wurde, als man durch Zufall diese Anmaßung entdeckte, mit alttestamentarischer Strenge („Eine Frau soll nicht Männersachen tragen, und ein Mann soll nicht Frauenkleider anziehen“ 5. Moses 22,5) zum Tod durch den Strick verurteilt "wegen der unerlaubten Erfindung, die Unvollkommenheit ihres Geschlechts zu ergänzen". In Speyer wurde 1477 eine Prostituierte wegen einer lesbischen Beziehung ertränkt.

Doch machte die Wissenschaft auch Fortschritte. Renaldus Columbus, Anatom in Padua und einer jener modernen Wissenschaftler, die genau hinschauten, statt zu philosophieren, entdeckte die Klitoris als Zentrum weiblicher Lust. Wie beim Penis "wird man, wenn man sie berührt, bemerken, dass sie ein bisschen härter und länglich wird, so sehr, dass sie sich als eine Art männliches Glied erweist". Die Klitoris interessierte vor allem wegen ihrer orgasmusfördernden Wirkung, da man immer noch glaubte, dass der weibliche Orgasmus mit seinem Verspritzen von Samen für eine Empfängnis notwendig sei. Erst fast hundert Jahre später, 1651,

wird William Harvey ahnen, dass die Befruchtung nicht die Verschmelzung zweier Samen oder des männlichen Samens mit Menstruationsblut ist , sondern alles höhere Leben aus dem Ei entspringt. Daher sei das weibliche Element für die Fortpflanzung ausschlaggebend. Als nun der holländische Chirurg Regnier de Graaf 1672 tatsächlich ein Eierstock-Folikel bei einer Frau findet , ist das Selbstverständnis des Mannes aufs Schwerste gefährdet. Doch der Schock dauert nur wenige Jahre. 1675 sieht angeblich Antoni von Leeuwenhoek, in Wahrheit war es sein Schüler Ham, zum ersten Mal Samenzellen unterm Mikroskop, kleine Tierchen, die sich bewegen. Also behält Aristoteles doch recht: Das männliche Prinzip ist der Urquell des Lebens.

7. Die Entdeckung der Scham Verzweifelt bemühen sich Patriarchen seit der Renaissance, jede Andeutung weiblicher Gleichwertigkeit zu bekämpfen. Der schottische Religionsreformer John Knox veröffentlichte eine Kampfschrift mit dem Titel "Erster Trompetenstoß gegen das monströse Weiberregiment": "Die Frau ist in ihrer vollkommensten Art dazu geschaffen, dem Manne zu dienen und gehorsam zu sein, nicht, ihn zu beherrschen oder zu befehligen." Rabelais betonte das Tierische an der weiblichen Sexualität: "Die Natur hat ihr an einem versteckten Ort inwendig ein Tier in den Körper gesetzt, ein Glied, dergleichen ein Mann nicht hat." Und ein spanischer Katechismus warnte alle Frauenliebhaber: "Bedenke, dass die schönste Frau aus einem übelriechenden Samentropfen entstanden ist, dann bedenke ihre Mitte, wie sie ein Behälter von Unflat ist, danach bedenke ihr Ende, wenn sie ein Fraß der Würmer sein wird." Einen Gipfel der Hinterfotzigkeit wird Ende des 17. Jahrhunderts Baptist Verduc erklimmen, wenn er fragt, was denn die Affen verbrochen hätten, dass auch sie von dem fürchterlichen Schicksal der Menstruation betroffen seien. Doch weder Wissenschaftler noch Eiferer änderten nachhaltig das Sexualverhalten der Menschen, sondern eine Krankheit und Emporkömmlinge. 1494 brach in Neapel eine bis dahin unbekannte Krankheit aus, die sich schnell über ganz Europa verbreitete und innerhalb weniger Jahre ein Drittel der Bevölkerung dahinraffte: die Syphilis. Ob die in einem Aufruf Kaiser Maximilians als "pöse plattern", von anderen als "französische Krankheit" bezeichnete Seuche, die erstmals bei französischen Soldaten vor Neapel festgestellt wurde, tatsächlich von Kolumbus Seeleuten aus Amerika eingeschleppt wurde, ist nicht erwiesen. Zumindest hätten diese 50 Seeleute sehr emsig sein müssen. Es ist durchaus möglich, dass es sich bei dieser Krankheit um eine Mutation eines vorher harmlosen europäischen Organismus handelte oder im alsbald ausbrechenden Syphiliswahn damit ein Krankheitsbild bezeichnet wurde, das vorher als Lepra beschrieben worden war. Jedenfalls veränderte die Syphilis das Sexualverhalten der Menschen, zumal Lustseuchen damals eher als moralisches denn medizinisches Problem, als gerechte Strafe für sexuelle Zügellosigkeit galten. Zwar hatte der am Hofe Karl II. in England lebende Arzt Kondon gerade eine Penisschutzhülle aus Tiereingeweiden wiedererfunden , die vor der Übertragung von Geschlechtskrankheiten schützen konnte, aber sie war viel zu teuer für eine Massenproduktion. Als erste spürten die Badehausbetreiber die Folgen der Lustgefahr. Das gemeinsame Nacktbad (mit anschließendem Geschlechtsverkehr?) galt

plötzlich als unsittlich , immer mehr Badehäuser wurden geschlossen. Doch der Wandel griff tiefer: Der Mensch entdeckte die Scham. Während sich im Mittelalter höchstens der gesellschaftlich Niedrigstehende vor dem Höherstehenden schämte, nie umgekehrt , wird nun die Schamempfindung allgemein. Die Nacktheit, eben noch selbstverständlich, scheint plötzlich sexuell besetzt und wird als unanständig betrachtet. Zuerst wurden die Geschlechtsorgane verborgen. Während am Anfang des 17. Jh. in Venedig oder Padua Ehefrauen, Witwen und Mädchen an heißen Tagen noch mit nackten Brüsten auf die Straße gingen, gilt dies am Ende des Jahrhunderts als unanständig. Im 18. Jh. werden auch die männlichen Brüste tabu. Gleichzeitig wird der Oberschicht das Essen aus einer gemeinsamen Schüssel peinlich, die Speisen fasst man nicht mehr mit den Fingern an, sondern benutzt Messer und Gabel, und zum Schlafen braucht man, wenn auch noch nicht in Dänemark, ein Nachthemd. Die bürgerliche Moral entsteht und damit die Prüderie. Noch kann Luther Jungfräulichkeit für nicht wünschenswert, Enthaltsamkeit für unnormal und den Geschlechtsakt für genauso notwendig halten wie Essen und Trinken , er muss nur ohne Lust und Leidenschaft erfolgen und darf keinesfalls ehebrecherisch sein. Noch muss der Körper durch Geschlechtsverkehr, Spucken, Rülpsen und Furzen regelmäßig von überflüssigen Dämpfen und Säften gereinigt werden , aber die Sexualgesetze werden bereits verschärft. Nach der peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V. werden homosexuelle Handlungen, Zoophilie und jeder Analverkehr wieder als Verbrechen gegen die Natur angeprangert und mit dem Tode bestraft, Masturbation und sexuelle Handlungen mit Figuren aus Holz und Stein mit Landesverweis oder schwerem Kerker. In Kriegszeiten freilich sah man die Dinge lockerer. Nachdem 1562 bei der Belagerung von Lyon viele italienische Soldaten dessertiert waren, weil zwar genügend Nahrung, aber keine Ziegen zur Verfügung standen, zog Herzog Lodovico Gonzaga 1565 mit 3000 Soldaten und 2000 Ziegen in den nächsten Krieg.

Nun erst beginnen die Kirchen ihren Kampf gegen den noch üblichen vorehelichen Geschlechtsverkehr in der Absicht, die im Bewusstsein der Menschen immer noch wichtigere private Verlobung durch die kirchliche Heirat zu ersetzen und damit die Sexualität auf die Ehe zu beschränken.

Auch die kindliche Sexualität erregt nun Argwohn. Der überraschend moderne Protestant Calviac belehrt junge Eltern: "Es ist höchst schicklich für ein kleines Kind, wenn es seine Schamteile nur mit dem Gefühl der Schande und des Widerwillens berührt, selbst wenn die Not es dazu treibt und es allein ist." Hier wird bereits die neue bürgerliche Moral gesetzt gegen die Frivolität des Adels, wie sie noch im Tagebuch des Leibarztes Ludwigs XIII. deutlich wird, wenn er die Kindheit des Kronprinzen erzählt: "Er lacht aus vollem Halse, als die Kinderfrau mit den Fingerspitzen seinen Piephahn hin und her bewegt." Vor "einem kleinen Fräulein ... hat er seinen Rock hochgehoben, und ihr mit einem solchen Eifer seinen Piephahn gezeigt, dass er darüber außer sich geriet. Er legte sich auf den Rücken, um ihn ihr zu zeigen." Gerade ein Jahr alt geworden wird Ludwig XIII. mit der Infantin von Spanien verlobt. "Entblößt sich ebenso wie Madame (seine Schwester); sie werden nackt zum König ins Bett gelegt, wo sie sich küssen, miteinander flüstern und dem König großes Vergnügen bereiten. Der König fragt ihn: `Mein Sohn, wo ist das Paket für die Infantin?` Er zeigt es vor und sagt: `Es hat keinen Knochen, Papa.` Da es ein wenig steif ist, sagt er dann: `Jetzt hat es gerade einen, das ist manchmal so.`" Mit vier Jahren weiß Ludwig XIII. schon sehr gut, wie Kinder gemacht werden, wenn er jedoch als Siebenjähriger danach gefragt wird, antwortet er, sie kämen aus dem Ohr. Nun weiß er also auch, was sich gehört. Im Bürgertum schaffen sich die Menschen Distanz, zuerst, wie wir sahen, zu Speisen durch Bestecke, zu Gerüchen, schließlich zum eigenen Körper und zum Körper des anderen. "Der Körper wurde von einem Lustorgan zu einem Leistungsorgan umgeformt. So entwickelte das Bürgertum eine Leistungsmoral, die das lustvolle Erleben von Sexus und Eros unmöglich macht." Moralisierende Traktate kommen in Mode, Edward Cook veröffentlicht 1678 "Eine gerechte und vernünftige Anklage gegen die nackten Brüste und Schultern", ein protestantischer Pastor predigt 1686 "Dass die bloße Brüste seyn ein groß Gerüste viel böser Lüste", und Molieres Tartuffe hilft es nichts, dass er entsetzt ausruft: "Bedecken Sie den Busen, den ich nicht darf sehn!", das Stück wird trotzdem verboten. Und die Ehe, im 16. Jahrhundert noch Lebensraum für eheliche und uneheliche Kinder, die auch in ehrbaren Familien zusammen aufgezogen wurden, für Liebschaften und Untreue , ähnelt vor allem im protestantischen Deutschland immer mehr einer für Frauen lebensgefährlichen Institution zum Gebären legitimer Erben. Immerhin 1,3% aller Geburten vor 1800 endeten mit dem Tod der Mutter. Bräute, die

ihre Jungfernschaft nicht - notfalls durch eine Untersuchung - nachweisen können, werden öffentlich bloßgestellt. In Memmingen z.B. durften solche Frauen nur mittwochs heiraten,in Spanien wurde nach der Hochzeitsnacht das blutbefleckte Laken öffentlich als Beweis der Jungfräulichkeit der Braut gezeigt. Das Bürgertum setzte wie alle aufstrebenden Klassen auf Moral, weil eine scheinbar höhere Sittlichkeit das ebenso deutliche wie wohlfeile Unterscheidungsmerkmal gegenüber der noch herrschenden Klasse ist. Dies erklärt den schnellen Siegeszug dieser Moral und ihre Gnadenlosigkeit: Unter Puritanern in den USA wurden Eltern, deren Kind zu bald nach der Hochzeit geboren wurde, öffentlich am Pranger oder Bock bestraft , und in Genf verwirklichte Calvin Luthers Forderung, Ehebruch mit dem Tode zu sühnen. Aber noch war der Sieg nicht total, noch hielt sich der Adel an der Macht und vergnügte sich an der Sinnlichkeit blind für alle Veränderungen. Talleyrand wird rückblickend feststellen: "Wer die Zeit vor 1789 nicht gekannt hat, hat überhaupt nicht gelebt." Im Absolutismus entwickelte die Sexualität ihr bisher höchstes Raffinement. Nicht so sehr Potentaten wie August der Starke, der 700 Frauen gehabt und 345 Kinder gezeugt haben soll , oder Ludwig XV., über dessen Hochzeitsnacht der Premierminister öffentlich berichtete, "Der König ist zu der Königin schlafen gegangen und hat ihr während der Nacht sieben Beweise von Zärtlichkeit gegeben" , spiegeln die Verhältnisse wider, eher schon Moritz von Sachsen, der die Zeitehe mit Verlängerungsklausel empfiehlt, denn die Ehe auf Lebenszeit sei ein Selbstbetrug, ein Zwang gegen die Natur. Die außereheliche Liebe als Vergnügen, als Leckerbissen des Sinnengenusses war das adelige Ideal im Absolutismus. Man liebte ungeniert und früh , die zahlreichen Memoiren nennen 10, 11 oder 12 Jahre als das Alter, in dem der erste Geschlechtsverkehr stattfand. Kinder waren unerwünscht, weil lästig , empfängnisverhütende Praktiken breiteten sich aus. Die Ärmeren praktizierten den Koitus interruptus - in Frankreich die wichtigste Methode der Empfängnisverhütung und früher nur in außerehelichen Verhältnissen üblich, in England und den USA gab es die Pille für danach, Hooper`s Frauen-Pillen, deren Hauptwirkstoff, ein Aloevera-Extrakt, als Abführmittel gepriesen auch Schwangerschaften abführt. Wurde aber ein Kind geboren, trachteten bessergestellte Frauen danach, ihre Brüste nicht durch Stillen zu gefährden. Bereits im Ehekontrakt verpflichtete sich der Gatte, für eine Amme zu sorgen, die Frauen nahmen nach der Geburt ein Pulver, das innerhalb von 48 Stunden den Milchfluss versiegen ließ , war

doch die (relative) Makellosigkeit der Brust fast der kostbarste Besitz einer Frau. Eine Frau hat sich die Gesichter ihrer beiden ersten Liebhaber auf die Brüste tätowieren lassen. In der Hochzeitsnacht nimmt der Mann es von der heiteren Seite und sagt lachend: "Was werden sie doch in zehn Jahren für lange Gesichter machen!" Während sich Männer noch öffentlich eine Mätresse halten konnten , gab es für ihre Ehefrauen weiterentwickelte Frauentröster aus Elfenbein, ca. 22 cm lang, 16 cm Umfang, außen angeraut oder mit Höcker versehen, innen hohl, so dass sie mit warmen Wasser oder Milch zum Spritzen gefüllt werden konnten. Erlaubt war, was Vergnügen bereitete, sei es das schon in der Antike sehr beliebte Epilieren der Schamhaare oder die Ehe zu dritt, wie sie Lord Hamilton, dessen Ehefrau und Admiral Nelson praktizierten, es musste nur erotisch wirken und frei von Gefühlsverwirrungen sein. Denn Liebe galt im Adel als degoutant. Es war einfach unschicklich, seine Frau zu lieben, ein Zeichen von Geschmacklosigkeit, eben vulgärer Bürgerlichkeit. Eine Frau ohne Geliebten wurde bisweilen als reizlos oder gesellschaftlich kompromittiert angesehen, ein Mann ohne Mätresse war entweder impotent oder finanziell ruiniert. Dies galt aber, das muss immer wieder betont werden, nur für die Oberschicht. Im Volk war die Frau eine Arbeitskraft mit einem zum männlichen Partner passenden Geschlechtsorgan. In England konnten Frauen bis zum Ende des 18. Jahrhundert auf Weibermärkten ge- und verkauft werden, was wesentlich billiger kam als eine Scheidung , ihr Wert war, wie ein hessisches Sprichwort zeigt, überall gering: "Kühverrecke, großer Schrecke, Weibersterbe kein Verderbe." Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen aus der Unterschicht war geprägt von Gleichgültigkeit, ihr sexueller Umgang in der Regel wohl so schnell und lieblos, wie es ein lettisches Volkslied darstellt: "Vati stößt und stößt die Mami, als wolle er sie ganz zerstoßen. Ruht kurz zwischen ihren Beinen, fängt das Stoßen wieder an." Eine Untersuchung über Sexualität auf dem Land im 17./18. Jh. beweist, dass viele Sexualkontakte einer Vergewaltigung gleichkamen. Dokumentiert ist z. B. der Versuch eines Bauern, seine Magd zu vögeln, während sein fünfjähriger Sohn im selben Bett lag. Wurde eine vergewaltigte Frau schwanger, drohte ihr Gefängnis wegen Unzucht. Nur weil sie sich nach der Vergewaltigung durch einen Soldaten selbst angezeigt hat, blieb 1766 in der Steiermark einer

Schwangeren die Haftstrafe erspart, sie musste nur fünf Gulden Buße zahlen.

Noch immer aber glaubten viele Mediziner, dass sexuelle Enthaltsamkeit schädlich sei, körperliche Störungen verursache wie Hysterie bei Frauen und Schwäche bei Männern. Der vermutete direkte Kontakt zwischen Genitalien und Gehirn ließ allerdings zu häufige geschlechtliche Betätigung auch nicht ratsam scheinen, da sie zur Gehirnschrumpfung, zum Austrocknen des Hirns führen könnte. Für eine Empfängnis hielt man weiterhin den Orgasmus der Frau für so wichtig, dass in Vergewaltigungsprozessen eine Schwangerschaft als Beweis der Einwilligung galt. Als andererseits Kaiserin Maria Theresia nach ihrer Heirat zunächst nicht schwanger wurde, riet ihr ein kluger Arzt: "Im übrigen glaube ich, die Vulva Eurer Allerheiligsten Majestät sollte vor dem Koitus gekitzelt werden." Dass es diesen direkten Zusammenhang zwischen Orgasmus und Schwangerschaft nicht gibt, wussten Frauen zwar schon seit Jahrtausenden, aber um 1770 entdeckten dies auch die Wissenschaftler. Der Chirurg John Hutter befruchtete als erster Arzt eine Frau künstlich mit dem Samen ihres Mannes.

8. Sexualität in der Revolution Eindrucksvoller als die Medizin entwickelte sich die Philosophie im 18. Jh. Eine neue Nüchternheit breitete sich aus - zumindest in Frankreich. Diderot, Autor der ebenso amüsanten wie geistreichen "Geschwätzigen Kleinode", schrieb über die Schamhaftigkeit des Menschen: "Dem Liebesgenuss folgt eine Ermattung, die ihn der Willkür seines Feindes ausliefern könnte. Das ist alles, was an Schamhaftigkeit vielleicht natürlich ist, der Rest ist künstlich." Während im deutschen Bürgertum die Sentimentalität Triumphe feierte und "mehr Tinte als Sperma verspritzt" wurde , fassten sich Franzosen und Französinnen zynisch kurz: "In der Liebe ist nur das Physische gut." "Die Liebe ist nur eine Berührung zweier Epidermen." "Der größeren Sicherheit halber bereitet man sich bereits auf Erden sein Paradies." Am konsequentesten war der Marquis de Sade. Sade, 1740 geboren, war besessen - auch vom Sex. Sein brutaler Umgang mit Prostituierten und eine Vorliebe für Analverkehr brachten ihn mehrmals vor Gericht, 1772 wurde er - allerdings in Abwesenheit - zum Tode verurteilt. Während seine Schwiegermutter die Urteilsvollstreckung betrieb, gelang es seiner Frau 1778, das Verfahren neu aufzurollen. Die Strafe wurde auf eine Geldbuße reduziert, doch seine Schwiegermutter sorgte dafür, dass Sade erneut eingekerkert wurde. Vergeblich bemühte sich ihre Tochter um seine Befreiung, erst 1790 wurde Sade von der Nationalversammlung auf freien Fuß gesetzt. Als Schriftsteller und Revolutionär besaß er genügend Einfluss, ein Verfahren gegen seine Schwiegereltern, denen er seine 13jährige Einkerkerung zum großen Teil verdankte, so lange zu verzögern, bis diese Reaktionäre ins Ausland fliehen konnten. Dafür wurde Sade wegen „Mäßigungsbestrebungen“ erneut für 10 Monate ins Gefängnis geworfen. Eine Satire gegen Napoleon und Joséphine erzürnte den Diktator Frankreichs so sehr, dass er Sade für wahnsinnig erklären ließ. Bis zu seinem Tod 1814 lebte und arbeitet Sade im Asyl zu Charenton. Als Atheist wollte er kein christliches Begräbnis, trotzdem setzten die Behörden ein Kreuz auf sein Grab. Sades Romane sind eine Deklaration der Rechte des männlichen Erotizismus, in der die Forderung nach Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit ihres hübschen Mäntelchens beraubt auf die Spitze getrieben wird: "Geteilte Lust ist halbe Lust." Freilich teilte auch der Marquis die Angst der französischen Revolutionäre vor der unberechenbaren Frau, die gezügelt werden muss. Als Objekte männlicher Aggression ohne eigene

physische Identität verkörpern Sades weibliche Romanfiguren den (Alb)Traum männlicher Allmacht. Doch war sich Sade der Zusammenhänge zwischen sexueller und ideologisch-ökonomischer Unterdrückung bewusst , daher sind seine Werke nicht im Entferntesten vergleichbar mit den verspielten Pornos des 18. Jahrhundert. Jedenfalls brauchte die Leserin seiner revolutionären, antireligiösen und doch auch moralischen Erzählung "Justine", die er in nur 14 Tagen in seiner Gefängniszelle in der Bastille geschrieben hat, keine Muchoirs de Venus, keines dieser Taschentücher, deren Duft die Riechende erröten lässt, wann immer es angebracht erscheint. Sades eiskalte Reflektionen und Beschreibungen irritieren noch die Erfahrensten. Zwei arme Bürschchen und zwei reiche baden nackt im selben Bassin. "Hast du bemerkt, was für kleine Schnippel die reichen Jungen haben?" fragt der eine arme Junge den anderen. "Sie haben Spielsachen", erklärt der andere. Doch wirklich pervers waren nicht Diderot, Laclos oder Sade, deren Werke immer wieder und bis heute zensiert und beschlagnahmt wurden, sondern die zumeist protestantischen Aufklärer in ihrem vehementen Kampf gegen die Kinder- und Jugendsexualität, vor allem gegen die Selbstbefriedigung. Die Masturbationshysterie begann 1710 in England und fand im Werk des Französischen Arztes Tissot ("De l`onanisme") ihre Bibel. Für Tissot, der Kindern zur Beruhigung bedenkenlos Opium verschrieb , war die Masturbation noch ungesünder als ein Koitus, weil sie nicht notwendig sei, durch ihre Häufigkeit fortwährende seelische Spannung erzeuge, oft im Stehen praktiziert werde und daher zusätzlich ermüde und zum einsamen Schwitzen, also zum Verlust wertvoller Lebenssäfte führe. (Anders als bei der einsamen Masturbation werde beim Koitus der Schwitzverlust dadurch aufgehoben, dass man die Stoffe, die der Partner transpiriert, selbst aspiriert. ) Schnell steigerten Ärzte als die neuen Wächter der bürgerlichen Moral die Gefährdung zur lebensbedrohlichen Gefahr. Hatte Tissot noch - blödsinnig genug - behauptet, der Verlust einer Unze Samenflüssigkeit sei schlimmer als der Verlust von 40 Unzen Blut, so verkündeten seine Abschreiber nun, ein Samenerguss sei gleichzusetzen mit dem Verlust von 40 Unzen Blut. In Paris richtete S. F. Betrand 1775 das erste Museum der bürgerlichen Moral ein, sein Wachsfigurenkabinett der sexuellen „Aufklärung“ zeigte Masturbanten, die dem Tode nahe waren, bereits ihren Penis verloren hatten. Die eiternde Vagina einer jungen Frau war zur Warnung vor unstillbarem sexuellen Verlangen ausgestellt. Ganz schlaue Bürschchen freilich nutzten die Todesdrohungen und versuchten mit dem Hinweis auf

die Gesundheitsgefährdung jeder Selbstbefriedigung, von ihren Vätern Geld für einen Bordellbesuch zu bekommen. Ein Junge erhält von seinem Vater 20 Mark, um in die Stadt zu gehen und sich ein Weib zu kaufen. Unterwegs begegnet er seiner Großmutter, die sich bereit erklärt, es für den halben Preis zu machen. "Schon zurück?" fragt der Vater. Der Sohn erklärt ihm, was passiert ist. "Wie!" schreit der Vater, "Du hast meine Mutter gevögelt?" "Warum nicht? Hast Du nicht meine gevögelt?" In Deutschland war S. G. Vogel einer der schrecklichen Aufklärer, die alle nur denkbaren Krankheiten auf die Masturbation zurückführten. Er schlug vor, mit Jugendlichen über den Missbrauch des Samens zu sprechen und ihnen dann plötzlich einen Spiegel vor das Gesicht zu halten und sie eindringlich zu fragen: "Und alle diese Folgen hast Du Dir selber zuzuschreiben; das ist Dein Bild des Todes - wie lange hast Du diese Untugend schon begangen?" Masturbanten wurden, natürlich nur zu ihrem Schutz, hospitalisiert. Als Kleist 1800 die Irrenanstalt des Würzburger Juliusspitals besuchte, sah er einen 18jährigen Jüngling mit „todtenweißen“ Antlitz, der wegen exzessiven Masturbierens in eine Zwangsjacke gesteckt worden war. Die Gesichtsfarbe blieb Kleist unvergessen, die Zwangsjacke hielt er wohl für angebracht. Doch nicht nur die Selbstbefriedigung wurde als ungesund dargestellt, rigoros bekämpften Ärzte und Pädagogen alles, was auch nur im Entferntesten an Sexualität denken ließ, z.B. das Nacktschlafen. Noch im 16. Jh. musste, wer bekleidet zu Bett ging, entweder krank oder körperlich entstellt gewesen sein, nun galt plötzlich das unbekleidete Schlafen als gefährlich, weil es "eine Stockung der Säfte und Flüssigkeiten" verursache. Warme Kleidung und warme Betten wurden ebenso abgelehnt wie weiche Matratzen: "Mit der Sitte, auf Federn zu schlafen, ward grenzenlose Wollust über unsere Staaten verbreitet." Hier sollten Keuschheitsmatratzen aus Rosshaar Abhilfe schaffen. Und der Pädagoge Struve warnte vor der üblichen gemeinsamen Benutzung eines Bettes: "Das Zusammenschlafen verursacht einen starken Grad gegenseitiger Mitteilung und Ausdünstungen. Die Einsaugung der Schweißporen wird pro Tag auf ein Pfund geschätzt." Struves Argumentation ist ein schönes Beispiel dafür, wie Wissenschaftsgläubigkeit missbraucht wird zur Zementierung moralischer Werte. Die diskussionswürdige Ethik wird so zur unhinterfragbaren Hygiene. Kant verzichtete auf solche pseudomedizinischen Begründungen, wenn er Masturbation und vorehelichen Geschlechtsverkehr beim Mann verurteilt: "Er fehlt hier wider die bürgerliche Ordnung."

Parallel zur Anti-Masturbations-Kampagne, in der Ärzte und Pädagogen, kaum Geistliche den Ton angaben , wurde die Entsexualisierung der bürgerlichen Frau propagiert, bis der Mythos von der Frau, die Liebe statt Sex will, zum Gemeingut wurde. Johann Gottlieb Fichte: "Im unverdorbenen Weibe äußert sich kein Geschlechtstrieb, und wohnt kein Geschlechtstrieb, sondern nur Liebe. Und die Liebe ist der Naturtrieb des Weibes, einen Mann zu befriedigen." Vor allem Rousseau, der sein Leben lang erotische Bücher nur mit einer Hand las und die Lust kannte, körperlich gezüchtigt zu werden , bemühte sich in seinem Erziehungsroman "Emile", die Unschuld von Kindern zu gewährleisten. Eltern und Erzieher sollen Kindern über Sexualität nichts, Heranwachsenden möglichst wenig berichten. Christian Gotthilf Salzmann, deutscher evangelischer Pfarrer und Pädagoge, schuf in Anlehnung an Rousseau das Modell des bürgerlichen Sexualkundeunterrrichts. Es reiche aus, den Kindern zu sagen: "Übrigens geschähe die Erzeugung ebenso, wie bey den Blumen, Vögeln und Säugethieren." Der deutsche Pädagoge Bauer wollte Ekel vor allem Geschlechtlichen erzeugen: "Zum Teil, weil die Geschlechtsteile von der Natur als Werkzeuge zum Ausstoßen überflüssiger und ekelerregender Absonderungen zumal beim weiblichen Geschlecht eingerichtet sind, zum anderen, weil der Beischlaf selber eine ekelhafte Verunreinigung zur Folge hat." Auch schlug er vor, Heranwachsenden Leichen zu zeigen, um die Wollust zu vertreiben und riet Eltern, ihren Kindern zu erzählen, wenn sie zu lange nackt herumlaufen, würde ihnen ein Tier ihre Geschlechtsteile abbeißen. Denn: "Die Schamhaftigkeit der Kinder muss aus dem Ekel vor den Körperteilen bestehen, die sie als Werkzeuge schmutziger Exkremente kennen."

Mit der Schamhaftigkeit wuchs die Intoleranz. Pariser Gerichte ließen sämtliche Schoßhunde konfiszieren und verbrennen. Holzflößer, die auf der Seine durch Paris trieben, durften nicht mehr länger nackt sein , eine Hebammenverordnung von 1750 verlangt, dass uneheliche Mütter erst den Namen des Vaters nennen müssen, bevor die Hebamme Geburtshilfe leisten darf. Im selben Jahr werden in Paris ein 18jähriger Tischler und ein 25jähriger Metzger öffentlich wegen homosexueller Handlungen verbrannt , und die österreichische Kaiserin Maria Theresia beruft eine premanente Keuschheitskommission ein, die Dirnen und ihre Freier jagt. Nach der Gerichtsordnung Maria Theresias von 1769 machten sich der Hurerei auch Unverheiratete schuldig, die zusammenlebten und nur einmal miteinander geschlafen hatten. Aufgegriffenen Dirnen wurden die Haare abgeschnitten, sie erhielten eine Kettenstrafe, mussten öffentlich die Gassen kehren oder Karren schieben. Ledige Freier wurde auf der Stelle mit der Prostituierten getraut, verheiratete wegen Ehebruchs angeklagt.

Ein Sudanese fährt im Bus nach Hause, seinen Lohn in der Tasche in der Form einer Rolle Münzen. Je dichter sich die Menschen im Bus drängen, desto mehr wird er gegen eine Frau gedrängt, die den Druck der Rolle Münzen gegen ihren Schenkel missversteht, dem Mann ins Gesicht schlägt und ihn laut seines Fehlverhaltens bezichtigt. Er zieht die Rolle Münzen aus seiner Hosentasche und erklärt: Dies sei es, was sie gefühlt habe. Die Frau entschuldigt sich bei ihm. In der folgenden Woche fährt der Mann wieder im Bus nach Hause, und wieder kommt er neben dieselbe Frau zu stehen. Diesmal entscheidet er sich, sich schlecht zu benehmen. Die Frau dreht sich lächelnd zu ihm um und sagt: „Gratuliere zu Ihrer Beförderung!“ Da Sexualität eine für die meisten brotlose Kunst ist, die nichts einbringt, sich nicht rentiert, ist für sie im Kanon der bürgerlichen Tugenden Genügsamkeit, Sparsamkeit, Pflichtbewusstsein, Sittsamkeit - kein Platz. Im Gegenteil, dem kapitalistischen Bürgertum erschien sie in den meisten Fällen eine Vergeudung. Bis zum Ende des 19. Jh. lautete die gebräuchliche Vokabel der englischen Umgangssprache für Orgasmus „to spend“ = ausgeben. Hinzu kam: "Die Unterscheidung zwischen Normalität und Abweichung ist die Grundlage der bürgerlichen Moral; sie ist der Mechanismus, der zugleich Selbstbeherrschung erzwingt und Sicherheit bietet."

Also wird das Bett, lange Zeit ein zentraler Ort gesellschaftlichen Lebens, ins Verborgene gerückt, unter Alkoven oder in abgesonderten Schlafzimmern versteckt , jede Geselligkeit verdächtig. Der "Evangelische Barometer von Quinlan" (Großbritannien) nennt als schlimmste Sünden in aufsteigender Reihenfolge Trunkenheit und Theaterbesuch, Romanlesen und Unterlassen eines Gebetes, Ehebruch und Geselligkeit an einem Sonntag. Als gefährlich gilt dem Bürger natürlich auch das Tanzen, "das stärker als irgendeine andere Erhitzung, besonders beim weiblichen Geschlecht, auf die Zeugungsglieder einwirkt, und die geheimsten Empfindungen tief erschüttert." Die Empfindsamkeit wächst bis zur Geruchsintoleranz gegenüber anderen , und steigert doch nur die Erotisierung bis hin zur sexuellen Besessenheit. Plötzlich wird alles sexuell gefährlich: das Reiten, geheizte Zimmer, zu warme Kleidung, weiche Sessel und Betten, warme Getränke, Bücher, Bilder, kräftige Nahrung, Lachen, Parfüm, Kräuter, verführerische Musik, sogar die Glasharmonika, wie Bauer betont, da sie "den geschwächten Sterblichen unseres Zeitalters, besonders das weibliche Geschlecht, mit dem Verlust seiner Keuschheit bedroht". Wovon katholische Fundamentalisten jahrhundertelang vergeblich träumten - hinter jeder Lust den Teufel erkennbar zu machen -, gelingt Ärzten und Pädagogen durch die Perversion der Aufklärung. Doch die bürgerliche Moral gibt es nur im Doppelpack, als verlogene Vorzeigemoral und als praktizierte Geilheit. Maler und Lithographen wussten auch daraus ein Geschäft zu machen. Mit dem Verbot, Geschlechtsorgane abzubilden, entwickelten sie die Bedeckungstechnik. Vom Bild mit dem nackten Geschlecht wurden 30 - 100 Drucke für Wohlhabende hergestellt und 3 - 5mal so teuer verkauft. Danach wurde das Geschlecht mit einem Gegenstand überzeichnet für den gewöhnlichen Handel. Auch die Prostitution, öffentlich bekämpft, wurde nur raffinierter und einträglicher. Um 1780 soll es in Wien 10 000, in Paris 30 - 40 000 und in London 50 000 Huren gegeben haben, obwohl Casanova behauptete: "Der Dirnen bedarf man in dieser glücklichen Zeit gar nicht, weil man so viel Willfährigkeit bei anständigen Frauen findet." Bevor um 1820 in London das erste Bordell für Damen eröffnet wird , findet sich schon die Beschreibung eines solchen Etablissements im englischen erotischen Roman "Voluptarian Cabinet". In den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts legalisierte das britische Parlament die Prostitution und setzte die Altersgrenze für Prostituierte auf 12 Jahre fest , denn Jungfrauen waren des Puritaners liebstes Kind. Der Entjungferungswahn konnte mangels Nachschub nicht mehr befriedigt

werden, findige Bordellbesitzer entwickelten erstaunliche Techniken der Rejungfrauisierung: eine Verengung der Vagina ließ sich durch ein Extrakt von Eicheln, Schlehen, Myrrhen und Zypressnüssen erreichen, zwei oder drei Kügelchen getrocknetes Lammblut in der Vagina sorgten für die erwarteten Blutspuren und eine operative Vernähung täuschte den Hymen vor. Durch die Technik der Restaurierung stieg das Angebot enorm, gleichzeitig freilich fiel der Preis für eine Jungfrau von 50 auf knapp 5 Pfund. Um sich vor gefälschten Jungfrauen zu schützen, suchte man nach äußerlichen Erkennungsmerkmalen: "1) Ein gefärbter Ring um die Augen war nach der Meinung der Alten ein Zeichen der verlorenen Keuschheit. 2) Die Härte des Knorpels an der Nase galt für ein Zeichen bewahrter Jungfrauschaft; ließ er sich aber durch einen Druck beim Anfühlen teilen, so war sie nicht mehr in guten Umständen. 3) Eine klar und hell tönende Stimme bezeichnete eine keusche, eine grobere hingegen eine unkeusche Jungfrau. 4) Andere haben den Zustand der Jungfrauschaft nach der Dicke des Halses beurteilen wollen und geglaubt, dass ein Mädchen alsdann noch Jungfrau sei, wenn ein Faden, den man von dem äußersten Ende der Nase bis zu dem Ende der Pfeilnath auf der Seite, wo sie sich mit der Winkelnath vereinigt, misst, um ihren Hals herumreicht. 5) Die Farbe der Warzen am Busen. Diese sollte, nach der Meinung der Alten, frisch und rosenrot sein, durch den Beischlaf aber eine andere Farbe bekommen." Als Aufstand des Bürgertums hat die französische Revolution an den Sexualverhältnissen nichts geändert, schließlich waren die Jakobiner nicht weniger puritanisch und antifeministisch als norddeutsche Protestanten. Die Revolutionäre beklagten die „Effemierung“ der Männer und gaben den Frauen die Schuld am Niedergang der Sitten. Marie-Antoinette ließen sie nicht nur wegen ihrer Verschwendungs- und Verschwörungssucht hinrichten, sondern auch wegen Inzests, lesbischer Liebe und Promiskuität. Die Verurteilung Marie-Antoinettes war auch eine Verurteilung des weiblichen Geschlechts. Als Olympe de Gouges die nur aus Männern bestehende Nationalversammlung fragte, ob die Menschenrechte nur für die eine Hälfte der Menschheit gelten sollten, wurde dies offiziell bejaht , die unbotmäßige Fragestellerin schließlich hingerichtet. Der Sansculotte Sylvain de Maréchal wollte Frauen sogar das Lesen verbieten lassen, um ihren Drang nach politischer Teilhabe zu dämpfen , bis schließlich 1793 die wenigen Pariser Frauenclubs verboten wurden und der Konvent Kindern, Irren, Kriminellen und Frauen alle Bürgerrechte absprach. Dafür

erfanden die Herren Revolutionäre einen neuen Nationalfeiertag, das Fest der Ehegatten.

9. Die Trivialisierung der Sexualität in der Ehe Während in der bäuerlichen Bevölkerung Jungfräulichkeit wenig Bedeutung hatte und nirgends die Virginität der Braut die Grundvoraussetzung für eine adäquate Heirat war , gewannen Ehe und Jungfernschaft eine immense Bedeutung im Bürgertum. Wie zu Zeiten des Adels die Geburt, entschied in der bürgerlichen Gesellschaft die Unversehrtheit eines Stücks Haut über die Zukunft einer Frau. Eine Zerstörung des Hymens vor der Verheiratung bedeutete oftmals den Ausschluss aus der Gesellschaft. Während viele Völker die Defloration nur als lästig betrachten und sie von Priestern, Fremden, Vätern oder berufsmäßigen Deflorateuren erledigen ließen, wollte der heiratswillige Bürger nur "eine Sache kaufen, die wirklich noch neu war und auch den Stempel der Neuheit trug". Das Jungfernhäutchen garantierte ihm die Legitimität des Nachwuchses und das Fehlen jeder Erfahrung, die der Frau einen Vergleich seiner sexuellen Fähigkeiten erlauben würde. Das Problem bestand nur darin, dass der Hymen als zurückgebildete Form eines ursprünglich irgendwie vollständigeren Organs äußerst unterschiedlich sein kann. Die Variationsbreite reicht vom fast völligen Fehlen bis zu einem nur operativ zu öffnenden Verschluss. Vor allem die Gerichtsmedizin war lustvoll bemüht, zur Urteilsfindung in Vergewaltigungs- und Vaterschaftsprozessen durch die Erforschung des Hymens (der zumindest auch bei Affen, Schweinen und Maulwürfen vorkommt und wohl als Spermafänger und vielleicht auch als Schutz vor Insekten nützlich ist) beizutragen. Also wurde vermessen und - sobald die Technik erfunden war - fotografiert, doch das Ergebnis war desillusionierend: Ein intakter Hymen kann so dehnbar sein, dass er kein Beweis für Jungfräulichkeit ist, wie umgekehrt ein rudimentärer Hymenkranz keine Penetration beweist. Doch die schreckliche Ungewissheit wurde verdrängt, und in südlichen Ländern fallen auch heute noch viele Frauen, die in der Hochzeitsnacht nicht bluten, in Schmach und Schande.

Bis vor kurzem entschied über das Schicksal eines Menschen, ob er ehelich oder unehelich geboren wurde. Ein Geschlechtsverkehr konnte ehelich sein (dann war er gar eheliche Pflicht und seine Verweigerung sündhaft) oder vorehelich oder außerehelich. Und die Steuerschuld bemisst sich immer

noch nach dem Ehestand. Für Goethe war die Ehe "der Anfang und der Gipfel aller Kultur" , nach der höchst erfolgreichen Frauenschriftstellerin Julie Burow ist sie wie die bürgerliche Ordnung göttlich: "Die Gesetze der bürgerlichen Gesellschaft, welche den Mann zum Oberhaupt der Familie, zum Hausherrn machen, beruhen auf den Gesetzen Gottes, die sich in der Natur beider Geschlechter aussprechen. Indem Ihr dem Mann Eurer Liebe gehorcht und ihm dient, befriedigt Ihr ein Bedürfnis Eurer eigenen Natur." Heinrich von Treitschke, Hofhistoriker Wilhelms I., sieht zur Ehe keine Alternative bis an das Ende der Geschichte , und Eduard Westermark schreibt sie gar einem Instinkt zu: "Da die Ehe für das Dasein mancher Arten von Geschöpfen unerlässlich ist, muss ihr Ursprung offenbar einem durch den mächtigen Einfluss der natürlichen Zuchtwahl zur Entwicklung gebrachten Instinkt zugeschrieben werden." Natürlich ist auch die bürgerliche Ehe nur ein Ausdruck wirtschaftlicher Verhältnisse. Die Frau gehört zum Besitz des Mannes. Bis zur Jahrhundertwende pries ein Brautvater bei den Belorussen während der Brautschau seine Tochter an: "Guten Abend, ihr Brautwerber, ich führe euch eine Ware vor, die nicht blind, nicht lahm ist." In Großbritannien konnte ein Ehemann bis ins 19. Jh. vom Verführer seiner Frau eine finanzielle Entschädigung verlangen. Und in arabischen Gesellschaften muss noch heute eine Frau, die ein fremdes Kind stillt, zuvor die Genehmigung ihres Ehemannes einholen, da er Besitzer auch ihrer Milch ist. Dem entsprechend ist die Ehe primär ein Vertrag oder - wie Kant es formulierte - "die Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften". Doch als bloßer Vertrag würde sie nicht Töchter träumen, Mütter weinen und Männer als Narren erscheinen lassen. Nein, die Einehe in ihrer ganzen Verlogenheit ist der genuine Ausdruck bürgerlichen Denkens. Sie sichert nicht nur auf der Basis der Arbeitsteilung die Erbfolge und die geschlechtliche Befriedigung des Mannes , sie ist nicht nur als Keimzelle der Familie die Agentur jedes autoritären Staates, sondern seit dem 19. Jahrhundert auch noch ein Ideal. Im Zuge der Individualisierung des Menschen in der westlichen Welt wandelte sich die in Europa bis ins 19. Jh., in Indien noch heute vorherrschende ökonomischpolitische Vernunftehe zur Liebesehe, der Zweck wurde überstrahlt von einem höheren Sinn. Und sie wurde ein Selbstläufer. Durch die Paarbildung in der Kleinfamilie und der immer länger werdenden Kindheit wird die Elternbindung verstärkt. Die irgendwann notwendige Loslösung reißt eine

Lücke, das eintretende Bindungsdefizit wird umgehend durch eine neue Paarbindung geschlossen usw. Dass in der Einehe die Sexualität ebenso ausschließlich wie trivial wird, war solange kein Problem, als die Männer sexuelle Abenteuer außerhalb der Ehe fanden und Frauen meinten, keine sexuelle Befriedigung zu brauchen. Im 19. Jahrhundert wurden Frauen - entsexualisiert und zur unbefleckten Mutter stilisiert - unter Berufung auf ihre angebliche Natur mehr als je zuvor in die Privatsphäre abgedrängt. Wieder lieferten Mediziner die scheinrationalen Argumente. Der britische Arzt William Acton 1857: "Die Mehrzahl der Frauen - und das ist ihr Glück - wird von sexuellen Gefühlen nicht sonderlich geplagt. Was bei Männern die Regel ist, ist bei Frauen die Ausnahme." Auch Krafft-Ebing weiß: "Anders das Weib. Ist es geistig normal und wohlerzogen, so ist sein sinnliches Verlangen ein geringes. Wäre dem nicht so, so müsste die ganze Welt ein Bordell und Ehe und Familie undenkbar sein. Jedenfalls sind der Mann, welcher das Weib flieht, und das Weib, welches dem Geschlechtsgenuss nachgeht, abnorme Erscheinungen." Dr. Otto Adler behauptet 1904, "dass der Geschlechtstrieb des Weibes sowohl in seinem ersten spontanen Entstehen, wie in seinen späteren Äußerungen wesentlich geringer ist als derjenige des Mannes". Und noch 1965 konnte "Die Frau von heute" im gleichnamigen Handbuch lesen: "Da die Frau ihrem Wesen nach normalerweise monogam veranlagt ist, stellt sie sich, wenn sie wirklich liebt, völlig auf den einen Mann ein. Er wird seelisch zu einem Teil ihrer selbst, eine Trennung kommt einer schmerzhaften Amputation gleich. So erklärt sich die Unmöglichkeit häufigen Wechsels für die Frau." Nur wenige Menschen verweigerten sich dieser als bürgerlich gleich naturgewollten Ordnung, z. B. John Stuart Mill: "Von all den vulgären Arten, sich der Betrachtung der gesellschaftlichen und moralischen Einflüsse auf das menschliche Bewusstsein zu entziehen, besteht die vulgärste darin, die Unterschiede des Verhaltens und des Charakters auf angeborene, naturgegebene Unterschiede zurückzuführen." Charles Fourier wies darauf hin, dass das Maß, in dem Frauen emanzipiert sind, wohl der natürliche Maßstab der allgemeinen Emanzipation sei, und der Ehevertrag, den der Führer der amerikanischen Anti-Sklaverei-Bewegung, Henry Blackwell, 1855 mit der Frauenrechtlerin Lucy Stone schloß beweist, dass Emanzipation auch unter widrigen gesellschaftlichen Bedingungen möglich ist: "Während wir unsere gegenseitige Liebe dadurch öffentlich bekunden, dass wir in den Ehestand treten ... erscheint es uns als unsere Pflicht zu erklären, da diese Handlung keine Sanktion oder das Versprechen freiwilligen Gehorsams den gegenwärtigen Ehegesetzen gegenüber mit sich bringt; Gesetzen, die sich weigern, die Frau als ein unabhängiges, rationales

Wesen anzuerkennen, während sie dem Mann eine ungesunde und unnatürliche Überlegenheit zugestehen ... wir protestieren insbesondere gegen die Gesetze, die den Mann zu folgendem berechtigen: 1) zur Vormundschaft über die Person seiner Frau 2) zur ausschließlichen Kontrolle und Macht über die Kinder 3) zum alleinigen Besitz ihrer Person und der Benützung ihres Eigentums, es sei denn bereits vorher an sie überschrieben gewesen oder Treuhändern anvertraut worden, wie dies bei Minderjährigen, Wahnsinnigen und Idioten der Fall ist 4) zum absoluten Recht auf das Produkt ihrer Arbeit; 5) ebenfalls protestieren wir gegen jedes Gesetz, das dem Witwer einen größeren und dauerhafteren Anteil an dem Besitz seiner verstorbenen Frau gewährt als der Witwe an dem Besitz ihres verstorbenen Mannes. 6) und endlich gegen jedes System, wodurch die "gesetzliche Existenz der Frau während der Zeit ihrer Ehe aufgehoben ist", so dass sie in den meisten Staaten weder ihren Wohnort mitbestimmen, noch ein Testament verfassen kann, in ihrem eigenen Namen weder verklagen noch verklagt werden, und keinen Besitz haben kann." Dabei hatte eben erst der Londoner Gerichtshof bestätigt, "für das Glück und die Ehre beider Parteien unterliegt die Frau der Vormundschaft des Mannes, und dadurch ist er berechtigt, ... sie vor den Gefahren uneingeschränkten Umgangs mit der Welt zu schützen, indem er Beischlaf und einen gemeinsamen Wohnsitz erzwingt." Gewiss mutet es barbarisch an, wenn noch am Ende des 19. Jahrhunderts auf dem Balkan Frauen während einer längeren Abwesenheit ihrer Männer schwer entfernbare Gegenstände in die Vagina eingeführt wurden oder Säuren, die eine mehrwöchige Entzündung hervorrufen , aber in christlichen Staaten ging es kaum humaner zu: Als Simpson 1847 Chloroform verwendete, um die Schmerzen Gebärender zu lindern, protestierte die anglikanische Kirche: Die Frau habe in Schmerzen zu gebären. Königin Viktoria, die selbst sechs Geburten hinter sich hatte, entschied schließlich 1853 gegen den Wunsch der anglikanischen Kirche für die Anwendung von Chloroform bei Entbindungen.

10. Die Erfindung der Sexualwissenschaft Die Überhöhung der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft ist nur die Kehrseite ihrer Verachtung. Würde man die Werke bedeutender Schriftsteller, Philosophen und Wissenschaftler an ihren Erkenntnissen über die Frau messen, könnten wir den größten Teil unseres Kulturgutes auf den Müll werfen. Die Ausnahmen sind wie immer selten: Ein modernes Verständnis von Sexualität, ohne dass dieser Begriff schon gebräuchlich gewesen wäre, findet sich erstmalig bei Wilhelm von Humboldt. Unter dem Begriff "Zeugungstrieb" notierte er 1827 in einem fragmentarischen Entwurf: "Umgang beider Geschlechter miteinander. Umgang jedes Geschlechts mit sich. Umgang mit Thieren. Umgang mit sich." Georg Ludwig Kobelt veröffentlichte 1844 die bis dahin detaillierteste Beschreibung der Klitoris und wies auf die geringe Bedeutung der Vagina für das Lustempfinden der Frau hin. Von Felix Roubaud stammt eine fast exakte Beschreibung des Koitus aus dem Jahre 1855 - vergessene Arbeiten, in denen die genaue naturwissenschaftliche Beobachtung menschlicher Verhaltensweisen und Eigenschaften noch dominierte. Doch allmählich löste der Begriff "Sexualität" das geschlechtliche Verhalten des Menschen von seinem Sein, machte es zu einem eigenständigen Phänomen. Und sofort kam die Zeit des Klassifizierens, Wertens, der gefährlichen Vermischung von Ideologie und Wissenschaft: Krafft-Ebings berühmte "Psychopathia sexualis" untersuchte weniger Sexualität als ihre Abarten und Abartigkeiten, die er ganz konservativ auf das Grundübel Masturbation zurückführte. Ein romantisch veranlagter junger Mann lernt in einer Bar ein reizendes rothaariges Mädchen kennen. Ihre kultivierte Art und ihre Bildung machen großen Eindruck auf ihn, und er ist betroffen, als er schließlich erfährt, dass sie auf den Strich geht. Er weigert sich, mit ihr zu schlafen, mit der Begründung, dass das ja alle ihre Kunden machen, gibt ihr jedoch die 50 Mark, die sie verlangt, unter der Bedingung, dass sie in ihr Zimmer zurückkehrt und den Abend allein mit einem guten Buch verbringt. Sie findet sein sichtliches Interesse an ihrer Person sehr rührend und fragt ihn, ob ihm statt dessen ein "Ärmelakt" recht wäre, den sie ihren Kunden sonst nie offeriert. Er willigt ein, aber unterwegs verlässt ihn der Mut. Er schenkt ihr alles Geld, das er bei sich hat, und bittet sie, dieses schreckliche Leben aufzugeben und sich einen anständigen Beruf zu suchen. Nachher begegnet er ihr mehrmals rein zufällig in verschiedenen Lokalen, weigert sich aber stets, sie auf ihr Zimmer zu begleiten, und erklärt sich schließlich sogar bereit, sie zu heiraten, um sie zu bessern. Aus Dankbarkeit verspricht sie ihm für die Hochzeitsnacht den "Ärmelakt". Er macht sie mit seinen

Angehörigen bekannt, kauft ihr eine Aussteuer und ein italienisches Sportauto, und sie werden getraut. In der Hochzeitsnacht erinnert er sie an ihr Versprechen, das sie völlig vergessen hatte. Sie versucht, es ihm auszureden und schlägt ihm vor, statt dessen den Beischlaf auszuüben, zeigt ihm ihre Brüste und öffnet ihr Negligé auf der Rückseite, um ihn mit anderen "Spezialitäten" zu reizen. Er aber besteht auf den versprochenen "Ärmelakt". "Na schön", sagt sie. "Geh ins Badezimmer, seife Dich von oben bis unten ein und komm dann wieder." Er seift sich ein, verlässt in aller Hast das Badezimmer, rutscht auf einem Stück Seife aus, fällt hin, bleibt tot liegen und hat also nie erfahren, was ein "Ärmelakt" ist. Durch die Katalogisierung sexueller Ungewöhnlichkeiten, spottet Gunter Schmidt, "wurde das gefährliche Chaos der ungewöhnlichen Sexualität wenigstens übersichtlich; außerdem kann man das, was gefährlich ist, besser verfolgen, wenn es benannt ist. Beim Namen genannt, ist schon so gut wie erwischt." Bezeichnend ist das Phänomen modischer Abarten: Nachdem 1877 französische Zeitungen von einem Gärtner berichteten, der sein Glied an einer Venusstatue rieb, fand der Pygmalionismus viele Nachahmer. Wenige Jahre später war diese Abart fast vergessen. Was früher Sünde war, wurde zur Krankheit, an die Stelle des Inquisitors trat der Arzt. Die christliche Verzichtsmoral lebt - gar gefestigt - weiter im ärztlichen Rat zur Mäßigung, in der Verdammnis aller angeblich ungesunden Genüsse. Analog zur Individualisierung, mit der jeder sich selbst immer wichtiger wurde, übernahm der Arzt als Betreuer des Leibes die Funktion des Priesters. Als „Götter in Weiß“ verkörpern sie den modernen, säkularisierten Klerus. Gewiss, die Strafen für abweichendes Verhalten waren jetzt weniger hart, freilich auf Kosten einer teilweisen oder vollständigen Entmündigung des Menschen zum Patienten. "Wo man einst annahm, Menschen mit sexuell abweichendem Verhalten hätten ihre Seele verloren, bekundete man jetzt, sie hätten den Verstand verloren." Vor allem Frauen bekamen dies zu spüren. 1827 hatte Karl Ernst von Baer die weibliche Eizelle untersucht und damit das Geheimnis der Zeugung ein wenig weiter entschlüsselt. Schnell wurde das Produktionsorgan des Eis zum Synonym für Frau: "Nur wegen des Eierstocks ist die Frau, was sie ist", verkündete eine medizinische Kapazität , und sein Kollege formulierte den Satz, der hundert Jahre lang gebildete Stammtischbrüder gar köstlich amüsierte: "Eine Frau existiert nur dank ihrer Eierstöcke." Was also lag näher, als bei sexuell oder mental auffälligem Verhalten von Frauen ihnen ihre im übrigen meist gesunden Eierstöcke operativ zu entfernen - eine Form der Körperverletzung, die mittelalterlichen Strafen in nichts nachsteht, allerdings auch den unerwünschten Beweis erbrachte, dass die

sexuelle Aktivität beim Menschen nicht an eine Fortpflanzungsfunktion gebunden ist, empfinden doch auch Frauen, denen die Eierstöcke entfernt wurden, sexuelle Lust. Die erschreckende Dummheit ärztlicher Ratschläge, die absurden Fehldiagnosen im Zusammenhang mit weiblicher Sexualität sind nur aus dem üblichen ärztlichen Missbrauch medizinischer Ahnung zur Bestätigung ideologischer Vorurteile erklärbar. So behaupteten Ärzte des 19. Jahrhunderts, unterschiedliche Zellen bei Mann und Frau würden das männliche Geschlecht aktiv, das weibliche passiv machen. Da das Kleinhirn als Sitz des Geschlechtsinstinktes galt, beweise der meist zartere weibliche Nacken, der kein großes Cerebellum enthalten könne, die gemäßigte sexuelle Begehrlichkeit der Frau. Häufiger ehelicher Geschlechtsverkehr, und als häufig galten schon zwei Akte pro Woche, sei gesundheitlich ruinös, jede Selbstbefriedigung vernichtend. Der amerikanische Gesundheitsfanatiker Kellog empfahl bei hartnäckigen Masturbanten eine Beschneidung ohne Narkose, weil "der Schmerz bei der Operation eine heilsame Wirkung auf den Geist hat". Professor Fouchet narrte die Frauen, indem er erklärte, eine Befruchtung sei vom 12. Tag nach dem Ende der Menstruation bis einige Tage nach der folgenden Menstruation unmöglich , andere sprachen allen Frauen über 50 jedes Bedürfnis nach Sexualität ab, bei Männern über 50 beschleunige sie den Tod , und der Präsident der Amerikanischen Gynäkologischen Vereinigung dichtete 1900: "Manches junge Leben wird in der Brandung der Pubertät beschädigt und für alle Zeiten ruiniert; wenn es dieser unverletzt entkommt und nicht an der Klippe des Gebärens scheitert, kann es immer noch in den ständig wiederkehrenden Untiefen der Menstruation auf Grund laufen und am Ende an dem letzten Riff der Menopause zerschellen, bevor es im ruhigen Gewässer des Hafens Schutz findet, wo die sexuellen Stimmen es nicht mehr erreichen können." Manche Sexualwissenschaftler waren schlicht verwirrt wie Otto Weininger: Die Frau sei die verkörperte Geschlechtlichkeit des Mannes, seine fleischgewordene Schuld. Und dann fügt der Jude Otto Weininger voller Selbsthass noch hinzu: "Die Juden verhalten sich wie Frauen, sie können ihre Leidenschaften nicht bezähmen."

11. Erst Prüderie treibt Lust zum Wahnsinn Für den protestantischen Bürger des 19. Jahrhunderts war der Körper eine Maschine, ein Arbeitsinstrument, dessen Funktionieren über das wirtschaftliche Wohl der Gesellschaft entschied. Sinnlichkeit, Spontaneität, Lust lenken nur ab, galten daher als subversiv, als gefährlich wie die freche, witzige, befreiend wirkende Lebensgeschichte der "Josefine Mutzenbacher". Was als Kampf gegen die Kindersexualität, gegen die Masturbation begonnen hatte, wurde nun zum Kampf gegen jede nichtreproduktive Sexualität , vor allem gegen den Koitus interruptus, dessen Folgen ähnlich schrecklich dargestellt wurden wie vor kurzem noch die Folgen der "Selbstbefleckung". Alle geschlechtlichen Körperfunktionen wurden tabuiert, aber je mehr man verdrängte, desto mehr beherrschte das Verdrängte das Bewusstsein. Plötzlich sah man überall die Verführung, denn: "Sexuelle Repression führt zur sexuellen Obsession, zu einer restlosen Sexualisierung der Realität." Hamlets Frage an Ophelia: "Fräulein, soll ich in Eurem Schoße liegen?" wurde gestrichen und durch eine Regieanweisung ersetzt, nach der sich Hamlet stumm zu Ophelias Füßen niederlassen sollte. Das Volkslied "In einem kühlen Grunde" wurde für Kinder umgetextet: Nicht das "Liebchen" wohnt dort, sondern ein Onkel. Ein wohlerzogener Mensch verlangte beim Essen nach hellem oder dunklem Hühnerfleisch, um nicht Brust oder Bein sagen zu müssen , und nie wäre er auf die Idee gekommen, einer Dame den Schenkel eines Huhns anzubieten , wo man doch (in den USA) sogar Klavierbeine mit einem bauschigen Höschen versah. Dafür blühte die Metaphorik von Liebe und Krieg: Mädchen müssen die Waffen strecken oder kapitulieren, Männer ins Schwarze treffen. Wer an Syphilis erkrankte, hatte "mit der heiligen Veronika verkehrt" , das Wort Penis wollte ein deutscher Pädagoge ersetzt wissen durch die Umschreibung "Teil, durch den der Körper eine bestimmte Flüssigkeit absondert" und gebären sollte fortan heißen "der Augenblick der Menschwerdung". Ein Mädchenkalender schlug 1884 vor: "Wenn du ein Bad nimmst, so streue etwas Sägemehl auf das Wasser, damit dir der peinliche Anblick deiner Scham erspart bleibe." Und Dr. Kisch verlangt noch 1907 von jungen Mädchen, "täglich zu einer bestimmten Zeit, am besten des Morgens gleich nüchtern oder nach dem Frühstück Stuhlentleerung zu haben, da durch die Obstipation (dt. Verstopfung) leicht Reizzustände im Genital hervorgerufen werden". Selbstverständlich warnt Dr. Kirsch auch vor dem Radfahren.

Öffentlich wurde der Bürger geschlechtslos, privat aber zählte der französische Nationaldichter Victor Hugo seine Orgasmen, das "große Vorbild schriftstellerischen Vollendungswillens", Flaubert, addierte seine "Heldentaten" und der Revolutionshistoriker Michelet zog jährlich eine Bilanz seiner geschlechtlichen Aktivitäten. Am radikalsten war ein englischer Gentleman, der sich Walter nannte. Für seine sexzentrische Autobiographie „Mein geheimes Leben“ führte Walter fast fünf Jahrzehnte lang Buch über seine sexuellen Erlebnisse, beschrieb mit großem Ernst jeden Geschlechtsakt, jedes Geschlechtsorgan. Dabei ging es Walter nicht um Literatur, nicht einmal um Mitteilung. Die 3067 Seiten langen detailversessenen Darstellungen der Verführung, des Arrangements und des Vollzugs sollten ihm vielmehr die Wiederholung seiner Lusterlebnisse, seines Lustgewinns im Erinnern ermöglichen. Unwichtig dabei ist, ob sich hinter dem Pseudonym Walter tatsächlich der englische Ölmagnat und Erotica-Sammler Henry Spencer (1834 - 1900) verbirgt. Gut hundert Jahre, nachdem „Mein geheimes Leben“ in einer Auflage von 25 Exemplaren zum ersten Mal erschienen ist (Brüssel 1888 1892), spielen Namen, Indiskretionen keine Rolle mehr. Aber die Aberwitzigkeit des Unterfangens spricht dafür, dass Walter niemanden außer sich selbst vergnügen, seine sexuellen Erfahrungen nur dokumentieren, festhalten wollte, zumal die meisten seiner Kopulationen nach dem gleichen Schema ablaufen. Einige wenige verwegene Turnübungen, sehr seltene homoerotische Erfahrungen und ein paar sodomitische Versuche übersteigen kaum den Erfahrungshorizont eines sexuell durchschnittlich aktiven Menschen. Der Text entbehrt jedes Spannungsbogens, ist nicht gestaltet, sondern erlebt. Gewiss, einige Details irritieren; die Schnelligkeit, mit der Prostituierte wie ehrbare Damen fast ausnahmslos zum oft mehrfachen Orgasmus kommen, die Verbindung jedes Orgasmus eines Frau mit ihrer Ejakulation einer „dünnen, milchigen Flüssigkeit“ , die hohe Zahl der Deflorationen. Dabei drängt sich gelegentlich der Eindruck auf, Walter wollte Männerphantasien bedienen. Doch ein so exakter Erforscher der menschlichen Sexualität wie Walter übertrieb wohl nur aus Begeisterung. Seine Beschreibungen gewaltiger Spermamengen, mit denen er seine Geliebten überschwemmte, reduzieren sich im Nachmessen durch den Autor selbst auf die Füllung eines Teelöffels: „... die Samenmengen, die in obszönen Büchern fließen, sind ziemlich metaphorisch zu verstehen.“ Und könnte nicht tatsächlich im öffentlich so dezenten viktorianischen Zeitalter, in dem sogar Hühnerschenkel sexuell besetzt waren, die Verdrängung derart stimulierend gewirkt haben, dass Frauen häufiger und schneller ihren Orgasmus erreichten als später, zumal Walter die Funktion der Klitoris besser kannte

und nutzte als mancher seiner Geschlechtsgenossen heute? Der viktorianische Entjungferungswahn schließlich (in Verbindung mit der damals üblichen Kinderprostitution) machte ein Hymen so wertvoll, dass seine Zerstörung häufig weniger dem Zufall als dem Markt überlassen wurde. Abgesehen vom weiblichen Dienstpersonal, das jungen Herren und ihren Vätern fast kostenlos zur Verfügung stand, wurde - auch von Walter für eine Entjungferung meist der Jahresverdienst eines Dienstmädchens oder mehr bezahlt.

Man hat Walters wohl weitestgehend authentischen Sexualbericht als unschätzbare Quelle der Sozialgeschichte gerechtfertigt. Dies war natürlich nur eine Schutzbehauptung. Wer auf über 3000 Seiten seine sexuellen Erlebnisse beschreibt, kommt nicht um die gelegentliche Erwähnung sozialer Verhältnisse herum, besonders solcher, die sein Sexualleben beeinflussen. Häufig beklagt Walter z. B., dass Dienstmädchen so selten Ausgang haben, bestenfalls einen halben Tag pro Woche stehen sie seiner Lust zur Verfügung. Doch ein sozialhistorisch interessierter Leser findet leicht sehr viel ausführlichere und dennoch knappere Quellen, sollte sein Interesse wirklich der arbeitenden Klasse Englands im 19. Jahrhundert gelten. Walters wirkliche Bedeutung liegt woanders. Als Liebhaber weiblicher Geschlechtsorgane, die er in all ihrer Vielfalt, Individualität fotografisch genau beschreibt, als vom Sex besessener Mann, der sich für eine Frau erst interessiert, wenn er sein Sperma in ihr abgelegt hat („Nichts ist so ärgerlich, wie sich außerhalb einer langersehnten Möse zu ergießen, wenn ein Stoß oder zwei das Sperma in ihr zurückgelassen hätten - es treibt einem zum Wahnsinn.“ ), als feilschender Freier („Ich hatte drei Frauen für fünf Shilling besessen; so viel Glück hatte ich weder davor noch danach gehabt.“ ) entwickelt er eine beeindruckende Radikalität. Indem er seine Darstellung auf das einzige ihm wirkliche Wichtige, auf seine Sexualität reduziert, reduziert er sich selbst auf sein Geschlechtsorgan. Walter ist der Mann, der mit seinem Schwanz denkt, fühlt und handelt. Dies befähigt ihn zu größter Brutalität. Irgendwann, erfährt der Leser, ist er verheiratet mit einer Frau, die er verachtet, die ihn freilich kaum an seinen sexuellen

Abenteuern hindert und die - so plötzlich wie sie aufgetaucht war - nach ein paar Jahren oder Jahrzehnten stirbt: „Der Tod hatte sein Werk getan. Hurrah! Endlich war ich frei!“ Gierig nimmt er die verführten oder gekauften Jungfrauen, ergötzt sich zwei-, dreimal hintereinander an ihrem Schmerz. Skrupellos verspricht er Sexualpartnerinnen, sich zwecks Vermeidung einer Schwangerschaft vor seiner Ejakulation zurückzuziehen, um sich dann doch und ganz bewusst in ihnen zu ergießen. War freilich eine Frau gut für sein Geschlecht, kann Walter - aus Dankbarkeit - ein wunderbarer Liebhaber sein, aufmerksam, hilfsbereit, charmant, großzügig.

Dieser peniszentrischen Radikalität seines Handelns entspricht die Radikalität seines Denkens. Walter versteht sich als Aufklärer. Die eingestreuten Abhandlungen über Geschlechtsorgane, Geschlechtsverkehr und Sexualerziehung sind nicht nur vor dem Hintergrund der viktorianischen Epoche verblüffend ideologiefrei und - sieht man von damals noch unbekannten Fakten wie dem Zeitpunktes der Befruchtung ab - auf erstaunlich hohem Wissensniveau. Walter vergnügte sich nämlich nicht nur, sondern betrieb Feldforschung, maß und zählte Bewegungsabläufe beim Geschlechtsverkehr, beobachtete und wertete. Wirklich verblüffend aber sind die Schlüsse, die Walter aus seinen Beobachtungen zog. Vor hundert Jahren und vielleicht bald wieder ein Skandal seine Behauptung, Prostituierte seien nur, „was die Gesellschaft aus ihnen macht“. Oder seine radikale Erklärung weiblicher Schamhaftigkeit: „Ich kam zu dem Schluss, bei den Frauen sei dies eine Folge der Erziehung, mit dem Hintergedanken, für den Anblick ihrer geheimen Körperteile den höchstmöglichen Preis zu erzielen....Frauen werden allesamt käuflich erworben - von der Hure bis zur Prinzessin. Nur der Preis ist verschieden.“ Und wer außer Walter ahnte nicht nur vor über hundert Jahren, sondern sprach es auch aus: „Schwanz bedeutet Macht“?

Die Fixierung auf Sexualität und die Exaktheit seiner Beobachtungen ermöglichten es Walter, die moralische, also ideologische Grenze seines Klassendünkels ebenso wie seines Klassendenkens zu überschreiten. Walter erkannte im Beischlaf (zwecks Zeugung) den eigentlichen Sinn des Lebens: „Wir sind erfickt worden - geboren, um unsererseits wieder zu ficken - um

andere zum Ficken in die Welt zu setzen ... wie im Anfang, so auch jetzt und in alle Ewigkeit - das Ficken.“ Walter lebte und beschrieb mit tödlichem Ernst sein Leben als Fallstudie eines Mannes, der den Trieb, den Mut und die Mittel besaß, ganz und gar nur Schwanz zu sein. Aber auch für ihn galt, dass seine geschlechtlichen Eskapaden wie ihre Beschreibung auf den engsten, abgeschlossenen Bereich des Privaten (Geheimen) beschränkt bleiben mussten, auf die Intimsphäre. Und noch heute gilt: intim ist, was im 19. Jahrhundert in die Intimität gedrängt wurde. Was im Schlafzimmer, im Bordell geschah, ging die Mitbürger nichts an, solange in der Öffentlichkeit der Anstand gewahrt wurde. Jeder öffentliche Regelverstoß aber wurde außer beim Hochadel - gnadenlos gebrandmarkt. Sogar die geschlechtlich gar nicht so aktive Landbevölkerung übernahm die sexuelle Intoleranz des Bürgertums. Das Charivari oder Haberfeldtreiben, also das gnadenlose Verspotten geschlechtlichen Fehlverhaltens, erreichte im 19. Jahrhundert seinen Höhepunkt. Die Hauptvorwürfe waren Unmoral, Ehebruch, verbotene Liebesbeziehungen, zunehmend häufiger nun auch Homosexualität, Inzest, Polygamie und - ab 1870 - auch Sodomie. Nachts wurden zwischen den Haustüren eines schändlichen Liebespaares Efeu, Federn, Sägemehl oder käferzerfressene Bohnen ausgestreut. Andererseits bewirkte der Puritanismus soziale Verbesserungen. So wurde die Unter-Tage-Arbeit von Frauen unter 18 Jahren in englischen Bergwerken verboten, wenn auch nicht aus gesundheitlichen, so wenigstens aus sittlichen Gründen. Und die oft unmenschlichen Wohnverhältnisse von Arbeitern fanden endlich behördliche Aufmerksamkeit. Die Ziegelarbeiter in Düsseldorf hatten um 1885 oft nur ein Bund Stroh als Schlafstelle. Die Hütten waren notdürftig gegen Wind und Wetter geschützt, bestanden häufig nur aus einem Raum, in dem die ganze Familie schlafen musste. Eine Denkschrift der Verwaltung stellte fest: Da "die Ziegelarbeiter nur die kurzen Sommernächte in den Ziegelhütten zubringen, den Tag aber im Freien arbeiten und gegen Wind und Wetter abgehärtet sind, so haben sich aus der mangelhaften Beschaffenheit der Ziegelhütten bisher keine erheblichen Gesundheitsschädigungen ergeben. Bedenklicher sind diese Wohnungsverhältnisse vom Sittlichkeitsstandpunkt, da keine genügende Trennung der Schlafräume nach Geschlechtern stattfindet." Ein Ventil des durch Repression erzeugten sexuellen Überdrucks war der Tanz, dessen sexuelle Komponente schon die Tanzepidemien des Mittelalters bestimmt hatte. Während unter der erotischen Freizügigkeit des 18. Jahrhunderts Tanzende sich nur an den Händen berührten und erst der Schnelltanz flüchtige Körperkontakte erlaubte, entstand 1819 mit

Webers "Aufforderung zum Tanz", dem ersten Walzer, der erotischste Tanz seit dem Sieg des Christentums.

12. Und wer befreit uns von Freud? Im viktorianischen Treibhaus der Prüderie behielten nur wenige einen kühlen Kopf. Bereits 1813 hatte Shelly in „Queen Mab“ behauptet: "Die Keuschheit ist ein evangelischer und mönchischer Aberglaube, sie ist ein noch ärgerer Feind der natürlichen Enthaltsamkeit als die geistige Sinnlichkeit, denn sie zerstört die Wurzeln aller häuslichen Freuden und hält mehr als die Hälfte der menschlichen Rasse im Leid gefangen, das manche gesetzlich monopolisieren können." Fourier plädierte 1841 dafür, dass Jungen und Mädchen vom 16. Lebensjahr an Geschlechtsverkehr ausüben dürfen , und in den USA stellte Robert D. Owen fest: "Die Unterdrückung des Fortpflanzungsinstinktes macht den Menschen ängstlich, missmutig, sogar kränklich." Der frühe Ludwig Thoma überrascht weniger durch dichterisches Können als durch die Verteidigung eines entpersonalisierten Sexualverkehrs: „Als ich gestern lag in meinem Bette, Klopfte es so gegen Mitternacht. Meine Meinung war, es sei Jeannette, Und natürlich hab' ich aufgemacht. Leise kam es jetzt hereingeschlichen, Setzte sich an meines Bettes Rand, Hat mir über meinen Kopf gestrichen Mit der ziemlich großen, dicken Hand. Doch ich merkte bald an ihren Formen: Dieses Weib ist ja Jeannette nicht, Deren Hüften nicht von so enormem Umfang sind und solchem Schwergewicht. Trotzdem schwieg ich. Denn ich überlegte: Nicht das Wer, das Wie kommt in Betracht, Außerdem, die Absicht, die sie hegte, War entschieden löblich ausgedacht. Was bedeutet dieserhalb ein Name? In der Liebe ist das einerlei. Man verlangt nur, dass es eine Dame Und von angenehmem Fleische sei.“ Und Havelock Ellis widersprach den vorwiegend deutschen Perversionsforschern vom Schlage Kraft-Ebings und Weiningers: "Die meisten sexuellen Perversionen, auch die abstoßenden, sind nichts als Übersteigerungen von Instinkten und Emotionen, die allen normalen

menschlichen Emotionen als Keim innewohnen." Solch nüchterner Umgang mit der Sexualität war selten und fast wirkungslos. Über die Jahrtausendwende hinaus dagegen reicht die Wirkung Freuds. So verwunderlich dies auch sein mag, so ist es doch nicht überraschend. Denn Freud war vor allem ein Ideologe der bürgerlichen Moral , der sie durch seine Modernisierung nur festigte. Was Professor Freud über Kastrationsangst und Penisneid, über den Ödipuskomplex, über Sadisten, Masochisten, Invertierte - so nannte Freud die Homosexuellen - und Masturbanten schrieb, spielt nicht nur in der nordamerikanischen Psychoanalyse immer noch eine immense Rolle, und ist doch oft nur fragwürdig, wenn nicht gar lächerlich: "Wahrscheinlich bleibt keinem männlichen menschlichen Wesen beim Anblick der weiblichen Genitalien der entsetzliche Schock der Kastrationsdrohung erspart." Auch der Ödipuskomplex, abgeleitet vom legendären griechischen König Ödipus, der unwissentlich seinen Vater tötete und seine Mutter heiratete und - als Symbol für seine Kastration - mit Blindheit geschlagen wurde, enstspringt weniger der Erkenntnis als dem Glauben. Freud nahm an, dass jedes Kind eine enge erotische Beziehung zum gegengeschlechtlichen Elternteil entwickelt und ein Rivalitätsgefühl gegenüber dem gleichgeschlechtlichen Elternteil. Derartige kindliche Inzestwünsche hielt schon Hirschfeld nicht für ein die Geschlechtstriebrichtung bestimmendes Moment. Jos van Ussel verweist auf die Entstehung der Kleinfamilie als Voraussetzung für die Entdeckung dieses Komplexes: "Es ist durchaus möglich, dass diese Familienschrumpfung uns eine Erklärung dafür geben kann, weshalb am Ende des 19. Jh., und zwar in bürgerlichen Milieus, von Freud der Ödipuskomplex entdeckt wurde." Und Guha hat ausnahmsweise einmal Recht, wenn er schreibt: "Die Söhne morden die Väter nicht, auch nicht in der Phantasie. Sie kuschen - und warten, sich mit ihnen gerade identifizierend, bis sie selbst Vater werden." Puritanisch war Freuds Verdammnis der Masturbation: "Sie verdirbt den Charakter durch Verwöhnung ... indem sie bedeutsame Ziele mühelos, auf bequemen Wegen, anstatt durch energische Kraftanstrengung erreichen lehrt." Und wenn Freud z. B. von einem kleinen Mädchen behauptet: "Es bemerkt den auffällig sichtbaren, groß angelegten Penis eines Bruders oder Gespielen, erkennt ihn sofort als überlegenes Gegenstück seines eigenen, kleinen und versteckten Organs und ist von da an dem Penisneid verfallen" , gibt dies nur einen Sinn, wenn das kleine Mädchen ganz in der Tradition Augustinus´ und Thomas von Aquins den Mann als Norm und sich als unvollkommen sieht. Andernfalls könnte sie den Penis als Auswuchs begreifen, auf den sie nicht neidisch zu sein braucht. Kate Millet, die in

ihrem Buch „Sexus und Herrschaft“ überaus amüsant die ideologische Beschränktheit Freuds vorführt, vermutete zurecht, dass sich wohlerzogene Mädchen der männlichen Überlegenheit bewusst sind, bevor sie einen Penis gesehen haben. Freuds Frauenbild war konventionell wie seine Zeit, wenn er als die drei herausragendsten Kennzeichen der weiblichen Persönlichkeit Passivität, Masochismus und Narzissmus erkennt und dies auch noch der weiblichen Natur zuschreibt. Oder wenn er meint, die weibliche Bescheidenheit sei bei Frauen ursprünglich dazu bestimmt gewesen, "den Defekt des Genitales zu verdecken", die Schamhaare seien nur eine Reaktion der Natur, um ihren Fehler bei der Entwicklung der weiblichen Anatomie zu verstecken. Und nur puritanische Sexbesessenheit kann ihn auf den Gedanken gebracht haben, Frauen hätten das Flechten und Weben erfunden, um den Defekt ihres Geschlechts zu verbergen. Nein, Freuds Bedeutung liegt in der Wiederentdeckung alten Wissens über kindliche Sexualität und in dem Versuch, weibliche Sexualität männlichen Normen anzupassen. Mutig, weil einen absehbaren Skandal provozierend, war Freuds Erklärung psychischer Defekte Erwachsener durch sexuelle Kindheitserlebnisse, galten doch Kinder im Bürgertum als asexuell, unschuldig. Dass die braven Kleinen, von denen Freud selbst anfangs annahm, sie würden asexuell geboren und bis zur Pubertät sexuell nicht reagieren , Inzestwünsche entwickeln sollen, war für das Bürgertum, das es aus eigener Anschauung freilich hätte besser wissen können, schockierend. Dafür befreite er es vom Trauma der klitoralen Sexualität der Frau. Leugnen ließ sie sich zwar nicht, aber doch verleumden. Die Klitoris als natürlicher Ort der Lust war ein doppeltes Problem. Zum einen macht sie die Frau sexuell unabhängig, zum anderen gefährdet sie die Bereitschaft zum reproduktiven, heterosexuellen Geschlechtsverkehr. Freud erklärte daher die klitorale Sexualität für infantil und verlangte von der erwachsenen Frau, ihre sexuelle Erfüllung in der Vagina, einem recht unempfindlichen, dafür aber zum Penis passenden Schlauch zu finden. Die Klitoris, eine Art Spankienholz, dürfe nur dazu dienen, "das härtere Brennholz in Brand zu setzen". Durch Freud wurde die passive, den Penis benötigende Vaginalerotik von einem religiösen Gebot zur (pseudo-)wissenschaftlichen Norm. Millionen Frauen, die nie einen vaginalen Orgasmus erreichen konnten, mussten sich unreif, frigide fühlen. Noch in den 50er Jahren plapperten Aufklärungsbücher diesen Freudschen Unsinn nach: "Bei körperlich und geistig vollkommen gesunden Frauen (die heutzutage leider in der Minderheit sind) ist der hintere Teil der Scheide am empfindlichsten ...

Man kann deshalb sagen, dass der Sitz der geschlechtlichen Befriedigung bei der Frau der hintere Teil der Scheide ist." "Bei einer reifen Frau wird sich im Laufe der Ehe dieses Empfindungszentrum von der Klitoris auf die Vagina und den Scheidenvorhof mit den Schamlippen verlagern. Bleibt diese Verlagerung aus, und ist die betroffene Frau nur über die Klitoris, nicht über Schamlippen und Vagina erregbar, handelt es sich um eine Störung in der normalen Entwicklung." Fünf derart verstörte Frauen lieferten sich in ihrer Verzweiflung sogar dem Messer des Wiener Professors Halban aus. Auf Vorschlag der FreudSchülerin Marie Bonaparte verkürzte Professor Halban operativ den Abstand zwischen Vagina und Klitoris, um den Frauen den gebotenen vaginalen Orgasmus zu erleichtern. Keinem Staatsanwalt kam es auch nur in den Sinn, diesen Prof. Halban wegen Körperverletzung anzuklagen. Prof. Schmerz aus Graz aber wurde zur gleichen Zeit wegen Körperverletzung sogar verurteilt, weil er einige Männer auf deren Wunsch hin sterilisiert hat. Die Urteilsbegründung entlarvt diese nicht nur im Sprachgebrauch verkommene Justiz: "Dass nun die Beraubung eines Mannes seiner Zeugungsfähigkeit bei Belassung der Möglichkeit eines Geschlechtsverkehrs, nur zur Befriedigung sinnlich erotischer Triebe, vom ethisch-moralischen Standpunkt nach dem unter der Mehrheit der Bevölkerung herrschenden Anschauungen unserer Rasse als Kulturvolk verwerflich ist, und somit gegen die guten Sitten verstößt, bedarf wohl keiner Begründung." Die Sexualwissenschaft mit ihrer Normierung, ihren häufig nur ideologisch gesicherten Erkenntnissen, hat vielfach selbst erst die Probleme erschaffen, die zu heilen sie sich aufdrängt. Als bürgerliche Wissenschaft muss sie Einzelerscheinungen aus ihrem sozialen, politischen, religiösen Kontext lösen, weil sie andernfalls zur Systemkritik gezwungen ist. Und noch ist der Zeitpunkt nicht absehbar, zu dem Systemkritik karriereförderlich sein könnte.

Immerhin haben wir Dank der unermüdlichen Klassifizierer menschlichen Sexualverhaltens z.B. den exhibitionistischen, koprophil-inzestuöspädophilen Fetischisten entdeckt (das ist ein Mann, der öffentlich in die schmutzigen Windeln seiner kleinen Tochter masturbiert ), und dank der Psychoanalyse kann dieser Mann wenn schon nicht geheilt, so doch therapiert werden.

13. Problematische Naturen Ein Mann gesteht seinem Psychiater, dass er sexuell an Pferden interessiert ist. "An männlichen oder weiblichen Tieren?" fragt ihn der Psychiater. Der Patient ist entrüstet. "Halten Sie mich für schwul?" Am interessantesten für Sexualnormierer waren und sind Menschen mit homosexuellen Verhaltensweisen. Es würde zwar genügen, ihnen wie z.B. Vegetariern das Recht auf Einseitigkeit zuzugestehen und das Problem Homosexualität gäbe es nicht mehr. Aber da auch Homosexualität kein sexuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem ist, funktioniert dieser Lösungsvorschlag nicht. Homosexuelles Verhalten, das die Natürlichkeit strenger Scheidung zwischen männlich-weiblich und damit eine Grundlage unserer Sexualmoral, ja unserer Gesellschaftsorganisation leugnet, gefährdet die Substanz. Allerdings wird die Trennung der Menschheit in Männer und Frauen, obwohl sie weitgehend gesellschaftlichen und weniger biologischen Ursprungs sein dürfte, sogar unter Homosexuellen, die es besser wissen könnten, praktiziert. Solange Jean Genet ein armer homosexueller Junge war, musste er die Rolle des weiblichen Teils, der Tunte spielen. Als er älter, berühmt und wohlhabend geworden war, wurde er der männliche Partner. Immerhin leben die meisten Homosexuellen ihre Lust effektiver und ehrlicher und spotten dabei der jüdisch-christlichen Sexualmoral. Erkennungszeichen (ein kleiner goldener Ohrring im linken Ohr) und sexuelle Signale (Schlüsselbund über der linken Gesäßtasche getragen = will aktive Rolle, rechts = passiv; Farbe des Taschentuchs in der Gesäßtasche: hellblau = Oralverkehr, dunkelblau = Analverkehr, hellrot = Penetration mit der Faust) erleichtern und beschleunigen das Finden eines Partners. Anstelle der heterosexuellen Verführung tritt die homosexuelle Vereinbarung mit präziser Angabe der Wünsche. Die verbale Kommunikation ist nebensächlich: "Oft ist der Vorname, nach dem Geschlechtsakt geflüstert, die einzige sprachliche Kommunikation, bevor die Partner auseinandergehen." Entsprechend häufiger praktizieren sie Sexualität. Die homosexuellen Aktivitäten pro Person und Jahr belaufen sich in der Altersgruppe der 18 bis 40jährigen auf 249, davon sind allerdings 138 nur masturbatorische Akte. Das stärkere Ausleben der sexuellen Lust unter Homosexuellen scheint eine der Wurzeln für den manchmal gar nicht geheimen Neid, ja Hass auf Homosexuelle zu sein. Häufig entsprechen Homosexuelle, von denen sich sogar dem Naziregime viele anbiederten, in ihrem staatsbürgerlichen Verhalten nicht dem

Heldenideal des autoritären Staates und stehen daher auch politisch außerhalb der Norm. Wie dem Juden seinen Glauben sieht man den meisten Homosexuellen ihre Homosexualität nicht an, man muss es wissen, um empört sein zu können. Das Ärgernis entsteht also erst im Kopf des Wertenden. Weibliche Homosexuelle, die keinen Samen vergeuden, haben Verfolgung und Strafe daher auch nur zu fürchten, wenn sie die Norm verletzen, d. h. männliche Kleidung tragen. Männlichen Homosexuellen drohte dagegen die Todesstrafe in Preußen bis 1851, in England bis 1861, in Schottland bis 1889. Eine rühmliche Ausnahme machte das bayerische Strafgesetz von 1813. Es sah Straflosigkeit vor für "widernatürliche Unzucht" mit der Begründung, sie überschreite zwar die Gesetze der Moral, verletze jedoch nicht die Rechte Dritter. In Deutschland rief als erster der Jurist Karl Heinrich Ulrichs (1825 - 1895) dazu auf, die Verfolgung Homosexueller zu beenden. Er wurde dafür in einem gerichtsmedizinischen Handbuch für geisteskrank erklärt. 1897 richtete der junge Arzt Magnus Hirschfeld eine Petition zur Änderung des § 175 an die gesetzgebenden Körperschaften des Deutschen Reiches, unter den 6000 Unterzeichnern waren Virchow, Einstein, Bebel. Die Aktion blieb vergeblich. Nach dem ersten Weltkrieg gründete Hirschfeld das erste Institut für Sexualwissenschaft in Berlin und wurde neben Freud, der ihn schlaff und unappetitlich nannte , zum bekanntesten deutschen Sexualforscher. Trotzdem lud ihn sein Kollege Albert Moll als Präsident nicht zum 1. Internationalen Kongress für Sexualforschung ein, u. a. wegen Hirschfelds "problematischer Natur, über die mir sehr viel Material vorliegt, das ich aber heute und ohne Zwang nicht veröffentlichen will". Auch unter Sexualwissenschaftlern galt Homosexualität als verächtlich, ja ausmerzenswert. In der Annahme, die Hoden Homosexueller produzieren zu viele weibliche Hormone, wurden viele Homosexuelle einseitig kastriert und erhielten Hodengewebe heterosexueller Männer übergepflanzt. Während des Nationalsozialismus, Hirschfelds Institut war schon im Frühjahr 1933 von Studenten gestürmt und für die bevorstehende Bücherverbrennung geplündert worden, wurden ca. 50 000 den Nazis nicht genehme Homosexuelle in KZs eingeliefert und viele von ihnen dort gezwungen, mit einer Frau zu koitieren. Je nach ihrer sexuellen Reaktion wurden sie freigelassen oder getötet. Nach dem 2. Weltkrieg wurden in Deutschland die überlebenden Homosexuellen z. T. von denselben Richtern, die sie unter den Nazis verurteilt hatten, ins Gefängnis geschickt. Um so überraschter war die Öffentlichkeit, als sie aus amerikanischen Untersuchungen erfuhr, dass 37% aller Männer und 13% aller Frauen nach ihrer Pubertät zumindest ein

homosexuelles Erlebnis hatten, das zum Orgasmus führte. Kinsey, selbst bisexuell, hielt jede Unterteilung in Hetero- und Homosexuellen für falsch: "Alles Leben ist in jeder Hinsicht ein Kontinuum. Je früher wir das im Hinblick auf das menschliche Sexualverhalten lernen, um so eher werden wir die Wahrheit über die Sexualität begreifen." Ähnlich Paul Veyne: "Die Menschen sind keine Tiere, und in der physischen Liebe spielt der Geschlechtsunterschied nicht die entscheidende Rolle." Und sogar ein überaus seriöser Historiker wie Aries hält die Stadien und den Sport für ein Sicherheitsventil der normalen männlichen Homosexualität. Trotzdem bemühte sich die Sexualwissenschaft weiter, das Übel auszumerzen. Nachdem ein DDR-Wissenschaftler glaubte, die Ursachen der Homosexualität im Hirn lokalisieren zu können, verkohlten westdeutsche Chirurgen bei 30 Männern durch das Einführen einer elektrischen Sonde diejenigen Teile des Zwischenhirns, in denen man das verweiblichte Sexualzentrum vermutete. Schwedische Ärzte nahmen zwischen 1944 und 1963 rund 4500 Gehirnoperationen vor an Menschen, die als krank galten. Unbewusst bestätigten sie dabei, dass Homosexualität nicht ein Vergehen wider die Natur, sondern wider die Ideologie ist. Denn als krank und behandlungsbedürftig erkannten diese Ärzte neben Homosexuellen auch Kommunisten. Aber noch 1975 klassifizierte die Amerikanische Psychiatrische Vereinigung Homosexualität als Geisteskrankheit. Und 1982 erklärte ein französischer Bischof: "Ich respektiere die Homosexuellen als Kranke. Aber wenn sie ihre Krankheit als Gesundheit ausgeben wollen, dann muss ich sagen: damit bin ich nicht einverstanden." Eine Gruppe Homosexueller verklagte daraufhin den Bischof wegen übler Nachrede. Das Landgericht Straßburg erklärte die Klage für unzulässig, wies sie ab und verurteilte die Kläger zu 20 000 Francs Schadensersatz an den Bischof. Und erst jüngst versuchte der schwule Neurologe LeVay den Nachweis, dass bei homosexuellen Männern eine Neuronengruppe des Hypothalamus, der Nucleus INAH 3, wesentlich kleiner ist als bei heterosexuellen Männern und etwa gleich groß wie bei Frauen. Auffällig sei auch, dass eine ganze Gruppe von Markern, die in der sogenannten Xq-28-Region liegt, bei homosexuellen Brüdern in mehr als 50% der Fälle identisch ist. Auch seien schwule Männer bei Wasserspiegeltests durchschnittlich näher bei den Frauen als bei den von heterosexuellen Männern erzielten Ergebnissen. Aber obwohl sich LeVay selbst nicht sicher ist, ob strukturelle Unterschiede in den Hirnen hetero- und homosexueller Männer bereits bei der Geburt bestanden oder erst im Verlauf des Erwachsenenlebens aufgrund des Sexualverhaltens entstanden sind, vermutet er genetische Ursachen für homosexuelles Verhalten. Dem widerspricht, dass Homosexualität ein

Bewusstseinsakt ist. Betrachten wir den Fall eines querschnittsgelähmten Mannes. Bei Berührung seines Penis wird dieser Mann, ohne dass der Reiz sein Hirn erreichen kann, eine Erektion haben. Lassen wir nun das Schicksal noch grausamer sein, stellen wir uns vor, der Mann sei auch noch blind. Eine manuelle oder orale Stimulation seines Penis wird er, gleichgültig, welche sexuellen Präferenzen er hat und wer, Mann oder Frau oder Kind, ihn stimuliert, als angenehm empfinden. Erschrecken bis zur Impotenz wird er erst, wenn ihm bewusst wird, dass er sexuelle Lust mit einem Partner, einer Partnerin erfährt, mit dem oder der er keine Lust erfahren darf. Die Erklärungen für sexuelle Präferenzen sind in den letzten hundert Jahren sehr viel komplizierter, vielleicht auch fundierter geworden, nur die Fragestellung blieb falsch, dumm und gefährlich. Wirklich interessant ist doch nicht, warum jemand homosexuell ist, sondern warum er es nicht sein darf.

14. Der große Unterschied Nicht nur Homosexuelle erwarteten viel von der Oktoberrevolution, vom Wandel der Gesellschaft. Und tatsächlich revolutionierte der Sozialismus auch den Umgang mit der Sexualität. Man muss schon taub, blind, dumm oder ein Betrüger sein, um dies in der Gleichsetzung von Faschismus und Kommunismus leugnen zu wollen. Selbstverständlich gab es auch im Sozialismus Perioden sexueller Unterdrückung, aber anders als im Faschismus entsprangen sie nur verkürzten, vulgärpsychologischen Vorstellungen, sexuelle Repression ließe sich zur Disziplinierung in Notzeiten zu nutzen. Wie so oft in der Menschheitsgeschichte sollte die sexuelle Unterdrückung der Abwehr äußerer Gefahren dienen. Die sexuelle Repression des Faschismus dagegen bezweckt die Ausschaltung einer inneren Gefährdung dieses Wahnsystems. Rückblickend betrachtet scheinen die Vordenker des Sozialismus, Marx, Engels, Bebel, keine sexuellen Revolutionäre gewesen zu sein. Als Familienoberhaupt war Marx ein gewöhnlicher geiler Spießer, der sich um die Jungfräulichkeit seiner Töchter sorgte, anderer Leute Töchter aber fickte, wenn sich nur die Gelegenheit ergab. Im Kommunistischen Manifest jedoch geißelte er die Unmoral des Großbürgertums: „...unsere Bourgeoisie, nicht zufrieden damit, dass ihnen die Weiber und Töchter ihrer Proletarier zur Verfügung stehen, von der offiziellen Prostitution gar nicht zu sprechen, findet ein Hauptvergnügen darin, ihre Ehefrauen wechselseitig zu verführen.“ Friedrich Engels teilte den Glauben seiner meisten Zeitgenossen, dass Frauen Sexualität als Last empfinden: „Um so dringender mussten sie das Recht auf Keuschheit als eine Erlösung herbeisehnen.“ Und August Bebel, dessen Text „Die Frau und der Sozialismus“ (1883) das meistgelesene sozialistische Buch in deutscher Sprache war, betonte die traditionelle Unterscheidung zwischen einem männlichen und einem weiblichen Charakter. Das Sein setzt auch dem fortgeschrittensten Bewusstsein Grenzen. Doch verglichen mit bürgerlichen Vordenkern wie Nietzsche ("Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!" Zarathustra), Schopenhauer ("Zu Pflegerinnen und Erzieherinnen unserer ersten Kindheit eignen die Weiber sich gerade dadurch, dass sie selbst kindisch, läppisch und kurzsichtig, mit einem Wort, zeitlebens große Kinder sind: eine Art Mittelstufe zwischen dem Kinde und dem Manne, als welcher der eigentliche Mensch ist." Über die Weiber, § 364), Hegel ("Der Unterschied zwischen Mann und Frau ist der des Tieres und der Pflanze: Das Tier entspricht mehr dem Charakter des

Mannes, die Pflanze mehr dem der Frau, denn sie ist mehr ruhiges Entfalten, das die unbestimmtere Einigkeit der Empfindung zu seinem Prinzip erhält." , "Das männliche Testikel ist das tätige Gehirn, der Kitzler ist das untätige Gefühl überhaupt" ), Virchow ("Die Frau ist ein Paar von Eierstöcken, an denen ein Mensch dranhängt, während der Mann ein Mensch ist, der über ein paar Hoden verfügt." ) oder Kipling ("Eine Frau ist nur eine Frau, aber eine gute Zigarre kann man rauchen." ), waren die sozialistischen Gründerväter nicht nur Leuchttürme im Nebel ideologischer Untiefen, sondern Vorkämpfer der Emanzipation. Das Recht der Frau auf ihren eigenen Willen, auf ihre eigene Lust oder Unlust und auf ihren eigenen Bauch war ein wesentliches und keinesfalls nur populistisches Ziel der frühen Sozialisten, die wussten, dass die Würde des Menschen auch geschlechtsspezifisch unteilbar ist. Die Oktoberrevolution 1917 war daher auch ein sexualpolitischer Befreiungsschlag. Binnen weniger Wochen verwirklichte sie, worauf die Menschen in den westlichen Demokratien z. T. noch Jahrzehnte warten mussten: freie Namenswahl bei der Eheschließung, Strafbarkeit einer Vergewaltigung auch in der Ehe , vereinfachte Ehescheidung durch Registrierung bei beidseitiger Zustimmung , sechsmonatige Unterhaltszahlung unabhängig vom Geschlecht, wenn der Partner arbeitslos oder arbeitsunfähig war, rechtliche Gleichsetzung unehelicher Verhältnisse mit ehelichen, Gleichstellung ehelicher und unehelicher Kinder, Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, Abschaffung der Strafverfolgung von Homosexuellen und Prostituierten, Urlaub für Strafgefangene, um ihnen Sexualität zu ermöglichen. Als Straftaten im Sexualrecht blieben nur mehr Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen und jede Form der Vergewaltigung verboten. Vor allem Frauen nutzten die neuen Gesetze, um sich von ungeliebten Partnern scheiden zu lassen, zumal sich mit der Oktoberrevolution auch die Rolle der Frau in der Gesellschaft gründlich verändert hatte: Frauen erhielten das Wahlrecht und das Recht auf ein eigenes Personaldokument, gleichen Lohn für gleiche Arbeit (wobei Hausarbeit mit außerhäuslicher gleichgesetzt wurde), sie mussten ihrem Ehemann nicht mehr an einen neuen Wohnsitz folgen und wurden Eigentümerinnen ihres durch Arbeit erworbenen Besitzes. So weit, so gut. Als aber Alexandra Kollontai auch noch eine neue Sexualethik verwirklichen wollte, in der volle Freiheit und Gleichheit und Aufrichtigkeit in kameradschaftlicher Solidarität herrschen sollten ohne jede Einschränkung möglicher Formen geschlechtlicher Liebesvereinigung, wurde es sogar Lenin unheimlich. Irritiert durch die Vorstellung, man könne Liebe machen, wie man ein Glas Wasser trinkt, fragte er 1920 Clara

Zetkin: „Durst will befriedigt sein. Aber wird sich der normale Mensch unter normalen Bedingungen in den Straßenkot legen und aus einer Pfütze trinken? Oder auch nur aus einem Glas, dessen Rand fettig ist von vielen Lippen?“ Lenins gar nicht originäre Gleichsetzung von ungehemmter Sexualität mit Schmutz macht einmal mehr deutlich, aus welch dunklen, durch Verstand und Wissen kaum beeinflussbaren Quellen sich die Sexualmoral nährt. Nur wenige Sozialisten konnten sich wie Otto Dix dieser als positiv geltenden Zwangsmoral entziehen. Auf Conrad Felixmüllers Frage, ob er nicht für fünf Mark Monatsbeitrag in die kommunistische Partei eintreten wolle, antwortete Dix: “Dafür gehe ich lieber in den Puff.“ Weit beeindruckender freilich (weil politisch relevanter) waren Initiativen wie die der Kollontai oder der Psychoanalytikerin Vera Schmidt. Sie gründete in Moskau ein Kinderhaus, in dem Kinder frei ihre sexuelle Neugier befriedigen und masturbieren durften, wann immer sie wollten. Wesentlich weiter ging der marxistische Sexualwissenschaftler Wilhelm Reich. Als Arzt und Psychoanalytiker forderte er schon in den Zwanzigerjahren die nicht nur masturbatorische Befreiung jeder genitalen Sexualität, deren Unterdrückung die Untertanenmentalität nähre. Im Unterschied zu Freud hielt er nichts von Sublimierung, weil er erkannt hatte, „dass die Sexualunterdrückung die massenpsychologischen Grundlagen einer bestimmten, nämlich der patriarchalischen Kultur in allen ihren Formen bildet, nicht aber die Grundlage der Kultur und ihrer Bildung überhaupt“. Reich, der den meisten seiner Bücher das Motto voranstellte, „Liebe, Arbeit und Wissen sind die Quellen unseres Daseins. Sie sollen es auch regieren“, wurde sowohl aus der kommunistischen Partei wie - auf Betreiben Freuds: „Befreien Sie mich von Reich“ - aus der Deutschen und Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung ausgeschlossen, aus NaziDeutschland vertrieben. In der amerikanischen Emigration arbeitete er an seiner immer noch viel belächelten Orgontheorie (jeder sexuelle Akt setzt Orgonenergie frei, die - aufgefangen und konzentriert - u. a. zur Krebstherapie verwendet werden kann ). Weil er sich die Arbeit mit seinen Orgon-Akkumulatoren nicht verbieten lassen wollte, wurde er zu zwei Jahre Gefängnis verurteilt. Er starb 1957 in einem us-amerikanischen Gefängnis, seine Werke wurden 1956 und nochmals 1960 offiziell verbrannt. Mit Stalin, dessen Sexualpolitik Reich heftig kritisierte, hatten auch in der Sowjetunion autoritäre Strukturen das Maß des Notwendigen wieder überschritten, der Sozialismus wurde konservativ (woran er vorübergehend scheitern sollte). In Anlehnung an Freud entwickelte Zalkind eine Theorie der Konservierung von Energie: Energie, die den sozialistischen

Bemühungen durch sexuelle Vergeudung verloren gehe, sei Energie, die der Revolution und dem Proletariat gestohlen werde. Vor allem in Krisenzeiten hat solcher Unsinn Konjunktur. Unter den Bedingungen des Kriegskommunismus und politisch verursachter Hungersnöte, die das Land zu entvölkern drohten, verhärtete sich nicht nur die Sexualmoral, auch die Sexualgesetzgebung wurde wieder restriktiver. So spiegelt die Entwicklung der Scheidungsgesetze die Entwicklung der Sowjetunion wider: 1917 Scheidung durch Registrierung, 1936 Einführung einer progressiven Scheidungsgebühr von 50 Rubel für die erste, 150 Rubel für die zweite und 300 Rubel für jede weitere Scheidung; 1944 Scheidung nur durch ein Volksgericht, Gebührenerhöhung auf bis zu 2000 Rubel. Ähnlich verhielt es sich im Umgang mit der Abtreibung: 1917 frei, wenn sie durch Ärzte in öffentlichen Spitälern durchgeführt wird; 1936 erlaubt nur mehr unter den Bedingungen einer medizinischen Indikationsregelung; 1955 wieder frei. Die sexualpolitische Intoleranz im Sozialismus war (und ist heute noch auf Cuba und in China) die Folge profanen Nützlichkeitsdenkens. Das machte sie nicht erträglicher, aber immerhin wandelbar. Entschärften sich die ökonomisch/politischen Bedingungen, verschwanden auch die sexualpolitischen Beschränkungen wieder. Auch die faschistische Sexualmoral kennt dieses Effizienzdenken. Wer Großes vorhat, braucht viel Menschenmaterial. Zwar hätte es für ein „Volk ohne Raum“ nahegelegen, sich in der Gebärfreudigkeit zu beschränken, das Austragen ungewollter Schwangerschaften nicht zu erzwingen. Doch das Gegenteil war der Fall. Die Empfängnisverhütung wurde durch ein Vertriebsverbot geeigneter Mittel erschwert, die Abtreibung immer strenger, ab 1943 sogar mit der Todesstrafe geahndet, um Deutschland stark zu machen zunächst für den Angriff, später zur Verteidigung. Die Sexualgesetzgebung eines Landes erweist sich meist als verlässlicher Indikator künftiger Entwicklungen. Denn Moral dient immer nur ökonomischen und damit politischen Zielen, nur wird dies selten so deutlich wie bei den Nationalsozialisten. Gleichzeitig aber, und das unterscheidet sie von den Sozialisten, fürchten sie Sex wie der Teufel das Weihwasser. Weil Sex Energien bündelt und freisetzt und dadurch den völkisch-vaterländischen Ordnungsstrukturen entzieht, weil sexuelle Lust immer asozial und daher subversiv ist - wie gerne und mit welch elendem Nachgeschmack haben sogar gläubige Nazis Jüdinnen gestoßen -, empfindet der Faschist jede nicht zeugungsnotwendige Sexualität als bedrohlich - zumindest bei seinen Volksgenossen.

Zu den ersten sexualpolitischen Maßnahmen nach der Machtübergabe gehörte folglich das Verbot jeglicher pornographischer Literatur und aller Organisationen, die sich für Homosexuelle eingesetzt oder zu deren Emanzipation aufgerufen hatten , zumal der Nationalsozialismus selbst als elitäre Männergemeinschaft nicht nur in SA und SS latent homosexuell war. Dass die Nazis auch den eigentlich asexuellen Nudismus bekämpften, lässt die Angst des Spießers vor der verbotenen Nacktheit ahnen. Bereits am 3.3.1933 verfügte der Preußische Minister des Inneren: „Eine der größten Gefahren für deutsche Kultur und Sittlichkeit ist die sogenannte Nacktkulturbewegung ... Die Nacktkulturbewegung ertötet bei den Frauen das natürliche Schamgefühl, nimmt den Männern die Achtung vor der Frau und zerstört dadurch die Voraussetzungen für jede echte Kultur. Ich erwarte daher von allen Pol. Behörden, dass sie in Unterstützung der durch die nationale Bewegung entwickelten geistigen Kräfte alle polizeilichen Maßnahmen ergreifen, um die sogenannte Nacktkulturbewegung zu vernichten.“ Es ist bezeichnend, dass Hitler selbst sich nicht einmal vor seinen Ärzten nackt zeigte.

Im Zentrum nationalsozialistischer Sexualpolitik stand die Erzeugung von Kindern, also künftigen Arbeitskräften und Soldaten. Schon 1908 hatte der Philosoph von Ehrenfels die Einrichtung einer Art Großbordells vorgeschlagen, in dem sich Mädchen und Frauen im Dienste einer Rassengenese kasernieren lassen müssen, um besser selektierte Kinder zu erzeugen. Einen anderen Weg zur Erneuerung der germanischen Rasse hatte Willibald Hentschel propagierte, die Mittgartehe. Jede Mittgartsiedlung sollte aus 100 Männern und 1000 Frauen bestehen. Eine Mittgartehe dauert nur so lange, bis die Frau schwanger ist, höchstens drei Monate. Dann muss der Mann eine neue Ehe eingehen. Für die Produktion von Arbeitern entwickelte kurz vor dem 1. Weltkrieg der Berliner Biologe Dr. Hermann Klaatsch den Plan, Gorillas und Eingeborene aus Deutsch-Südwestafrika zu kreuzen, dadurch wollte er "auf breiter Basis Arbeiter produzieren, die über mehr Muskelkraft als jeder noch so gut entwickelte Mensch verfügen und dank ihrer primitiven Geistesverfassung bestens dazu geeignet wären, ausgebeutet zu werden". Auch ernster zu nehmende Wissenschaftler wie der Zoologe Ernst Haeckel phantasierten über eine Affenmenschenzucht: „Die physiologischen Experimente, insbesonderheit die Kreuzung niederer Menschenrassen (Neger) und Menschenaffen ... wären bei positiven Resultaten natürlich

sehr interessant. Ich halte das Gelingen dieser Versuche für möglich ... Aufgrund zahlreicher, jüngerer Versuche scheint sich herauszustellen, dass Mischlinge sogar aus verschiedenen Arten erzielt werden können, die sich im biologischen System sehr weit voneinander entfernt haben - vielleicht noch weiter als Neger und Gorilla oder Schimpanse.“ Schon diese wenigen vorfaschistischen Beispiele zeigen die Relativität jeder Sexualmoral. Allein die Nützlichkeit bestimmt letztlich ihre Form. Anfangs gaben sich die Nationalsozialisten in ihrer Frauenpolitik ganz konventionell. Arbeitsplatzbesitzerinnen wurden zugunsten der Männer in ihre Familien zurückgeschickt, Ehestandsdarlehen, die durch Gebärleistungen abgegolten werden konnten, sollten die Familienbildung fördern, der Bund Deutscher Mädchen verstand sich als Schule der Fraulichkeit, die allerdings von vielen Eltern, die den Platz ihrer Tochter zu Hause sahen, argwöhnisch beobachtet wurde. Sie fürchteten, dass gründliches Waschen des eigenen Körpers, ein Erziehungsziel der Hitlerjugend, wie die ungewöhnlich freizügige Turnkleidung zu verderblichen sexuellen Phantasien führen könnten. Die Abkürzung BdM wurde anzüglich übersetzt mit "Bald deutsche Mutter" oder "Bedarfsartikel deutscher Männer". "Ein junger Lehrer, der sich NS-Sporen verdienen möchte, stellt folgendes Aufsatzthema: Hätte Werther Selbstmord begangen, wenn er in der HJ gewesen wäre? Daraufhin soll eine Lehrerin einer Mädchenklasse in edlem Wetteifer das Thema gegeben haben: Wäre die Jungfrau von Orleans Jungfrau geblieben, wenn sie im BdM gewesen wäre?" Für Hitler und die meisten Deutschen war die Frauenemanzipation eine Erfindung des jüdischen Intellekts und gemeingefährlich: „Die Verjudung unseres Seelenlebens und Mammonisierung unseres Paarungstriebes werden früher oder später unseren gesamten Nachwuchs verderben.“ Willig folgte die deutsche Frau ihren Führern, 1935 stieg die Geburtenrate in den Städten um 37%. Mitgetragen vom überwiegenden Teil der Bevölkerung, erst recht von der Ärzteschaft, sollte nun nach der Quantität auch die Qualität des Nachwuchses verbessert werden. Das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre verbot alle Ehen zwischen Juden oder Zigeunern und Deutschen. Der Rassenwahn der Nazis war allerdings genauso wenig neu wie seine sexualtheoretische Begründung durch den Gauleiter Julius Streicher: "Artfremdes Eiweiß ist der Same eines Mannes von anderer Rasse. Der männliche Same wird bei der Begattung ganz oder teilweise von dem weiblichen Mutterboden aufgesogen und geht

so in das Blut über. Ein einziger Beischlaf eines Juden bei einer arischen Frau genügt, um deren Blut für immer zu vergiften. Sie hat mit dem artfremden Eiweiß auch die fremde Seele in sich aufgenommen. Sie kann nie mehr, auch wenn sie einen arischen Mann heiratet, rein arische Kinder bekommen, sondern nur Bastarde, in deren Brust zwei Seelen wohnen und denen man körperlich die Mischrasse ansieht."

Ist es auch Unsinn, so hat er doch Tradition. Wer die Frau als Gefäß sieht, als Gebärmutter, den männlichen Samen dagegen in Anlehnung an klassische Philosophen und Kirchenväter als schöpferischen Erzeuger, muss so denken. Einmal mehr erweisen sich hier die Nazis nur als radikale Interpreten abendländischen Kulturmülls. Allmählich aber durchstieß der Nationalsozialismus in seinem Drang, Deutschland tatsächlich zu einem Volk ohne genügend Raum zu machen, die Grenzen der bürgerlichen Moral. In den insgesamt zwanzig Heimen des längst nicht so bedeutenden wie berüchtigten Vereins "Lebensborn" sollten auch uneheliche Kinder gezeugt werden, der voreheliche Geschlechtsverkehr unter Jugendlichen im Elternhaus wurde entkriminalisiert in der Hoffnung auf Nachwuchs. Aber auch das war nicht neu, denn in allen Gesellschaften zu allen Zeiten nimmt, wenn nur Arbeitskräftemangel besteht, die Toleranz der Gesellschaft gegenüber illegitimen Sexualbeziehungen zu. Moral ist eben nur eine Variable des Zwecks. Daher wurde auch die kontraproduktive Masturbation bei Jugendlichen nicht geduldet, denn - wie NS-Landjugendführer Hermansen in dem Buch „Geschlechtliche Jugenderziehung“ den Pimpfen einbleute: „Dein Körper gehört nicht Dir! Dein Körper gehört Deinem Volk!“ Unfruchtbarkeit galt den Nationalsozialisten (wie übrigens auch der Katholischen Kirche) als Scheidungsgrund, Mütter unehelicher Kinder dagegen durften nicht länger Fräulein, mussten Frau genannt werden. Gleichzeitig aber wurden Zehntausende Frauen wegen Geschlechtsverkehrs mit Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern eingesperrt, bis der Staat Bordelle für Ausländer einrichtete und zum Schutz der deutschen Frau selbst zum Zuhälter wurde und dabei nicht wenig kassierte.

Die deutsche Frau, eben erst ihrer angeblichen Natur entsprechend an den heimischen Herd geschickt, wurde bald in die Produktion und zum Militär gedrängt, nichts ändert Rollen- und Moralklischees so schnell wie ein Krieg. Nach dem Sieg wollten die Nazis zwecks Behebung des zu erwartenden Männermangels alle erbgesunden, aber kinderlosen Frauen unter 35 verpflichten, sich von auserwählten Männern befruchten zu lassen. Himmler schlug vor, eine angeblich germanische Sitte wiederzubeleben und junge Frauen ohne Freund oder Bräutigam auf dem Ahnengrab ihres Ortes anonym zu begatten. Doch es kam anders. Statt ihren Führern zu Willen sein zu dürfen, wurden mehr als hunderttausend Frauen von den Siegern, vor allem von Rotarmisten, vergewaltigt. Solche Massenvergewaltigungen sind nichts ungewöhnliches, sie gab, gibt und wird es geben in jedem Krieg, weil Vergewaltigung nur eine individuelle Form kollektiver Gewaltanwendung zwecks Bestrafung oder Aneignung ist. Für Sowjetsoldaten aber kam hinzu, dass jeder Missbrauch einer deutschen Frau auch ein persönlichen Triumph über den für Millionen Sowjetbürger tödlichen deutschen Rassenwahn war. Umgekehrt empfanden deutsche Frauen die Vergewaltigung durch Männer, die ihnen jahrelang nur als Untermenschen beschrieben worden waren, als doppelt schändlich. Nur so ist zu verstehen, warum die Vergewaltigungen in der Erinnerung der Deutschen jene ungeheure Bedeutung bekamen, die in keinem Verhältnis steht zum tatsächlichen Geschehen. Denn wer den Sowjetsoldaten offen und mutig entgegentrat, hatte wenig zu befürchten. Und etwaige Folgen waren behebbar. Es gab fast keine Russenkinder aus Vergewaltigungen. Stillschweigend und nur aus rassischen Gründen wurde in diesen Fällen sogar das immer noch geltende Abtreibungsverbot außer Kraft gesetzt.

15. Sittsam dem Markt ergeben Kurz nur währte die Zeit sexueller Anarchie nach dem Zusammenbruch des 3. Reiches. Hungernde Frauen, allein erziehende Mütter schenkten für ein paar Zigaretten, ein wenig Schokolade oder ein Paar Strümpfe westlichen Besatzungssoldaten, was sich deren sowjetische Kameraden mit Gewalt genommen hatten. Doch schnell gewannen kleinbürgerliche Zucht und Ordnung in Europa wieder an Einfluss, am rigidesten dort, wo die menschenverachtende Barbarei am brutalsten gewesen war, als wolle man die Verbrechen des Krieges durch Sittsamkeit kompensieren. In der Bundesrepublik der 50er Jahre war Nacktheit absolut tabu, Selbstbefriedigung ein schweres Vergehen und - wenn auch nicht mehr körperlich, so doch geistig - grausam schädlich. Die Aufklärungsliteratur zumeist kaum veränderte Abschriften von Van de Veldes Bestseller "Die vollkommene Ehe" - festigte in aller Betulichkeit die alten Vorurteile vom überlegenen, aktiven Mann und der durch ihre Geilheit gefährdeten Frau. Van de Veldes "Die vollkommene Ehe", gleichzeitig in Holländisch und Deutsch geschrieben, hatte bereits zwischen 1926 und 1932 in Deutschland 42 Auflagen erreicht. Von der Katholischen Kirche längst auf den Index gesetzt, wurde das Buch 1933 auch von den Nationalsozialisten verboten, obwohl es sich ausschließlich an rechtmäßig verheiratete Paare richtete und der Autor den nach-viktorianischen Opfern ihrer viktorianischen Erziehung die Sexualität so beschrieb, dass sie sich weder alarmiert noch abgestoßen fühlen konnten. Beim Frühstück nach der Hochzeitsnacht entdeckt der junge Ehemann, dass seine Frau ihm einen Salatkopf auf den Teller gelegt hat und sonst gar nichts. "Ich wollte nur sehen, ob Du auch wie ein Karnickel isst", erklärt sie. Schon van de Velde hatte die Männer davor gewarnt, ihre Frauen sexuell zu sehr verwöhnen, da Frauen dadurch unersättlich würden: „Ihre Leistungsfähigkeit übertrifft dann meistens die des Mannes ... Ich rate dem Gatten, seine Frau nicht in unüberlegter Weise an Höchstleistungen zu gewöhnen, denen sie auf die Dauer wohl, er aber nicht gewachsen sein würde.“ Seine bundesdeutschen Nachfolger wiesen auf die Gefahr jedes Liebesvorspiels hin: "Wenn dann nämlich der Mann das Liebesvorspiel derartig mit seiner jungen Gattin betreibt, dass diese bei den ersten Zusammenkünften den Orgasmus erreicht, ohne dass eine Immissio penis stattgefunden hat, dann besteht die Möglichkeit - und das ist nicht allzu selten erwiesen - dass sie zur Onanistin wird." Noch der harmloseste Vorschlag droht mit der Geilheit der natürlich passiven Frau: "Es kann für

eine Ehe verhängnisvoll sein, vergisst der Mann, dass er seine Frau immer neu erobern muss. Jede Frau braucht ihren Don Juan, ihren Eroberer, ihren Verführer. Und es ist gut, wenn der eigene Mann diese Rolle im Stück des Lebens, im Stück der Ehe übernimmt. Sie wird dann durch niemand anderen besetzt." Jugendliche sollten - wie bei Rousseau - mit dem Thema Sexualität am besten überhaupt nicht in Berührung kommen. Der von vielen hochgeschätzte Soziologe Helmut Schelsky hält noch 1955 die Unwissenheit über sexuelle Probleme bei Kindern, aber auch bei Erwachsenen für wünschenswert. Andererseits lassen die Medien und eine konservative Öffentlichkeit keine Gelegenheit aus, Sexualverbrechen an Jugendlichen so drastisch aufzubauschen, dass Kindern Sexualität als eine überall lauernde tödliche Gefahr erscheinen muss. Tatsächlich fallen in Deutschland jährlich sechs bis acht Kinder Sexualmördern zum Opfer, aber die Zahl jener Kinder, die von ihren eigenen Eltern umgebracht werden, ist größer.

Doch Hollywood, Häschen und ein Gallwespenforscher störten diese asexuelle Idylle. Amerikanische Filmproduzenten und Verleger nutzten skrupellos die verkaufsfördernde Wirkung sexueller Symbole, und alles Lamentieren abendländischer Kulturpessimisten konnte nicht verhindern, dass dieser "Amischund" auch nach Westeuropa kam und vor allem bei Jugendlichen die Ahnung weckte, dass es neben Mutterliebe und Bienenfleiß noch andere Formen der Lust gibt. Sie untersuchte der Biologe Alfred Kinsey. Was er über "Das sexuelle Verhalten des Mannes" (1948) und der Frau (1953) herausfand, erschütterte die Fassaden der bürgerlichen Moral: 90% aller Männer masturbieren, 30% haben homosexuelle Erfahrungen, 50% aller Bräute sind keine Jungfrauen mehr, 25% aller Ehefrauen sind auch außerhalb ihrer Ehe geschlechtlich aktiv , 8% aller Männer (50% der Männer auf dem Land) und 3,5% aller Frauen haben sogar gelegentlich Sex mit Tieren. Kinsey bewies freilich nur, was jeder wissen konnte: „Das tatsächliche menschliche Sexualverhalten stimmt nicht mit den von der öffentlichen Moral, der Religion oder dem Gesetz vorgeschriebenen Normen überein.“ Dennoch blieb so viel Empirie nicht ungestraft. Nach der Veröffentlichung des Kinsey-Reports über Frauen strich die Rockefeller-Stiftung den 100

000-Dollar-Zuschuss für sein Institut, Bücher, die im New Yorker Hafen für Kinsey ankamen, wurde von der Hafenbehörde "wegen ihres unsittlichen Inhalts" verbrannt. Die Versuche, Kinsey als perversen Wüstling zu denunzieren, reißen bis heute nicht ab. James H. Jones beschreibt den Sexualwissenschaftler 1997 als bisexuellen Masochisten, der als Zeremonienmeister bei Gruppensexorgien fungiert haben soll. Wenn es auch wahr ist, so ist es doch irrelevant für den Wert der wissenschaftlichen Arbeiten Kinseys, die freilich provozieren. Der deutsche Sexualpädagoge Hans Müller-Eckhardt brachte das Ärgernis auf den Punkt. Er warf Kinsey vor, "die Seele zu vergessen" und sah in dem Report "nur ein betrübliches Kapitel der Aufklärung". Noch einen Schritt weiter als Kinsey gingen Masters und Johnson. Sie beobachteten die Sexualorgane von Männern und Frauen während des Geschlechtsaktes , maßen und fotografierten alle Vorgänge und gewannen damit nach Millionen Jahren Menschheitsgeschichte die ersten wirklich fundierten Erkenntnisse über den Ablauf sexueller Reaktionen. Die gewonnenen Daten bargen freilich die Gefahr in sich, zur Norm erhoben zu werden. Germaine Greers Einwand gegen die Arbeit von Masters und Johnson erwies sich als berechtigt: "Die sexuelle Persönlichkeit ist grundsätzlich antiautoritär. Wenn ein System seine Untertanen vollkommen manipulieren will, muss es den Sex zähmen. Masters und Johnson haben das Rezept für die normierte, reibungslose unterkühlte Monogamie geliefert." Bedeutsamer aber als der wissenschaftliche Wert dieser Untersuchungen war ihre massenhafte Verbreitung. Sie befreite die Sexualität aus der Intimität, machte sie zu einem öffentlichen Thema. Das großbürgerliche Verwertungsinteresse sprengte die Fesseln der kleinbürgerlichen Moral.

Dies gilt auch für die bedeutendste Erfindung in der Geschichte der Sexualität, die "Antibabypille“, denn sie erst macht wirklich die „größte Geschlechtskrankheit, die Schwangerschaft“ (Brecht) beherrschbar. Obwohl letztlich nur ein Koitus von 1000 zur Befruchtung führt , war die Empfängnisverhütung für Frauen das bedrückendste sexuelle Problem, mit dem sie meist allein gelassen wurden. Noch im 19. Jahrhundert hatten ihnen Ärzte wie Capellmann vorgeschlagen, die unfruchtbaren Tage zu nutzen und dafür den Koitus ab der dritten Woche nach Beginn einer Menstruation empfohlen , also just zu einem Zeitpunkt, an dem eine Befruchtung am wahrscheinlichsten ist. Sinnvoller waren schon Vaginalspülungen mit warmem Essigwasser oder ein Pessar aus einer Gummimembrane, die von

einem bleiernen Ring umschlossen war. Um 1900 haben sich allein in Paris 30 - 40000 Frauen sterilisieren oder - medizinisch unverantwortlich - eine künstliche Vagina aus Dünn- oder Mastdarm einsetzen lassen. Als endlich Kondome zwar noch nicht sicher, aber erschwinglich wurden, verboten viele Länder - z.B. Italien bis 1975 - ihren Verkauf. Daher ist es nicht verwunderlich, dass um 1910 in Großstädten wie Berlin 41 von 100 Arbeiterinnen eine oder mehrere Abtreibungen hinter sich hatten. Während eines Abtreibungsversuches mittels einer Ballonspritze starb z. B. am 24. 11. 1908 Anna W. Neben der Toten fand sich die Gebrauchsanweisung für die Spritze: „Wertes Fräulein, anbei übersende ich Ihnen die Mutterspritze. Sie nehmen auf 1 Liter gut warmes Wasser 1 Teelöffel Holzessig, dann füllen Sie die Spritze und führen sie in die Gebärmutter ein. Selbige finden Sie im Geschlechtsteil mehr nach links, aber das Rohr dürfen Sie nicht weiter als ½ cm im Muttermund einführen. Sollten Sie nicht zurecht kommen, dann kommen Sie, wenn Sie ausgehen, zu mir, dass ich es selbst Ihnen noch einmal erkläre. Bitte den Brief verbrennen.“ Rund ein Drittel der wegen missglückter Abtreibung in ein Krankenhaus eingelieferten Frauen starben an ihren inneren Verletzungen. Obwohl die Abtreibung, wie Anna Bergmann feststellt, nur verurteilt werden kann als „Konkurrenzunternehmen zu einer Männergesellschaft, in der sich allein staatliche und wissenschaftliche Institutionen das Recht angeeignet haben, über Leben und Tod zu entscheiden“ , und trotz allen Abtreibungselends lehnte die Mehrheit des Bundes deutscher Frauenvereine eine Reform des Abtreibungsparagraphen weiterhin ab, weil das Gebären rassehygienische Pflicht der Frau sei und weil der Frau die Selbstverwirklichung in der Mutterschaft - auch gegen ihren Willen - nicht genommen werden dürfe. Um 1930 gelang es endlich den Wissenschaftlern Knaus und Ogino unabhängig voneinander, die Zeitspanne der Empfängnisfähigkeit der Frau so weit einzugrenzen, dass zur Empfängnisverhütung theoretisch nur mehr der Verzicht auf Geschlechtsverkehr an drei Tagen um den Eibläschensprung (Ovulation) notwendig ist. Da allerdings der Eibläschensprung spontan und nicht immer in gleichen Zeitabständen erfolgt (am 15. Tag vor der nächsten Menstruation )und die Schwankungsbreite durchschnittlich sechs Tage beträgt, ist nicht nur eine mindestens einjährige Beobachtung des Zyklus notwendig, sondern eine Verlängerung der Enthaltsamkeit auf mindestens sieben Tage. Durch Temperaturmessung (vor jeder Ovulation kommt es zum geringfügigen

Absinken der Körpertemperatur) kann dieser Zeitraum exakter bestimmt werden, doch bleibt immer noch ein Risikofaktor. Erst die ovulationshemmende Pille, die 1960 in den USA und ein Jahr später in Deutschland angeboten wurde, gewährt durch die Verhinderung der Eireifung und -freisetzung in den Ovarien sicheren Schutz, der allerdings durch die Aufnahme synthetisch hergestellter Hormone erkauft wird. Die Nebenwirkungen sind nicht unbeträchtlich, halten sich aber in einem vertretbaren Rahmen. Kirchen und Konservative erkannten sofort die moralische Sprengkraft der Pille. Die Katholische wie die Evangelische Kirche sahen in der Antibabypille eine Entweihung der Ehe- und Familienordnung. Nach sieben langen Jahren des Nachdenkens untersagte schließlich der Papst in seiner Enzyklika „Humanae Vitae“ ihren Gebrauch. Pragmatischer argumentierte die Wochenzeitung "Die Zeit": "Auch ist die Angst vor ... der "Schande" noch immer ein kräftiges Regulativ in unserer so toleranten Gesellschaft. Sie zu beseitigen hieße, für viele die letzten Schranken einreißen, die den Weg in einen zweifelhaften Lebenswandel mit seinen Folgen versperren." Weniger schwatzhaft äußerte sich der Berliner Gynäkologe Schätzing gegen die Pille: "Außerdem ist die Angst die Vorstufe der Moral, weshalb man sie nicht ganz abschaffen sollte." Ärzte, die jahrelang zu den für 1000 Kinder tödlichen und 6000 Kinder verstümmelnden Nebenwirkungen des Schlafmittels Contergan trotz deutlicher Hinweise geschwiegen hatten, warnten die Frauen vor den gefährlichen Folgen dieses Verhütungsmittels und behalten sich bis heute in vielen Ländern das Recht vor, über ihre Vergabe per Rezept - anfangs nur an verheiratete Mütter - zu entscheiden. (Um so überraschender ist, dass es im katholischen Spanien die Antibabypille ohne Rezept und sehr viel billiger als in Deutschland zu kaufen gibt.) Dabei geben sie durchaus zu, dass weniger medizinische als moralische Gründe für sie ausschlaggebend sind. Auch die Ideologen der DDR hatten Schwierigkeiten mit der Pille. Einerseits brauchte man weibliche Arbeitskräfte, was der Emanzipation der Frau förderlicher war als jede Kampagne, und ihr eine Stellung in der Gesellschaft sicherte, deren Wert viele Frauen erst nach der Wiedervereinigung erkannten. Andererseits benötigte der Staat Bürgernachwuchs, um durch den Exodus in den Westen nicht entvölkert zu werden. Daher kam die Pille unter dem Namen „Ovositon“ erst 1965 zur Produktion, zunächst noch nicht aus synthetischen Hormonen hergestellt, sondern aus republikweit gesammelter Schweinegalle. Seit Anfang der 70er

Jahre wurde sie der mehr kleinbürgerlichen als sozialistischen Moral gemäß als „Wunschkindpille“ zwar kostenlos, freilich nur auf Rezept abgegeben. Mit der Pille, die in Deutschland von fast einem Drittel aller Frauen zwischen 14 und 44 Jahren eingenommen wird, ist die früher unlösbare Verbindung zwischen Sexualität und Zeugung aufgehoben worden zumindest für Frauen in den hochentwickelten Industriestaaten. Nun endlich können diese Frauen koitale Sexualität ohne Angst vor einer Schwangerschaft erleben, über ihre Sexualität und Schwangerschaft selbst bestimmen. Vorschläge, durch die Pille für den Mann bzw. durch Vasektomie die Verantwortung für eine Empfängnisverhütung zu teilen, sind gutgemeint und als ergänzende Maßnahme bedenkenswert, würden aber nur die alte Abhängigkeit der Frau vom Mann wieder herstellen, da ein unfruchtbarer Gatte erst recht Exklusivität beanspruchen und kontrollieren kann. Sinnvoller als die jahrzehntelange Hormonzufuhr wäre es, die Antibabypille durch die „Pille danach“ zu ersetzen. Sie gibt es schon seit Generationen. So inserierten Apotheker Ende des 19. Jahrhunderts in amerikanischen Zeitschriften: "Pillen zur Regulierung der Periode. Frauen in anderen Umständen werden gewarnt, dieselben zu gebrauchen, da sonst unfehlbar Abort erfolgen müsste." In Frankreich ist die Abtreibungspille unter der Bezeichnung RU486 seit 1989 auf dem Markt. Obwohl sie kaum Nebenwirkungen hat, hielt sie die Herstellerfirma Hoechst aus moralischen Erwägungen in Deutschland zurück und verzichtete schließlich sogar an den Rechten an der von der Firma finanzierten Erfindung. Seit 1999 darf die „Pille danach“ auch in Deutschland verschrieben werden. Ärzte und Apotheker sind freilich angewiesen, sie wie Morphium unter besonderem Verschluss zu halten. Sinnvoller wäre auch die in den USA gebräuchliche „Menstruationsregulierung“: Wenn eine Frau nicht 40 Tage auf das Ergebnis eines Schwangerschaftstestes warten will, kann sie sich in einem nur wenige Minuten dauernden Vorgang die Uterusschleimhaut mit einem eventuell befruchteten Ei absaugen lassen. Doch wie bei der Abtreibungsdiskussion geht es auch in Fragen der Empfängnisverhütung nicht um Moral, sondern um Interessen. Durch die wirtschaftliche und in deren Folge rechtliche Entwicklung haben Frauen in den meisten Industriestaaten eine zumindest seit Jahrtausenden nicht mehr gekannte Gleichberechtigung gewonnen. Das letzte Mittel des Patriarchats, über die sexuelle und damit auch intellektuelle Potenz der Frau zu bestimmen, ist die Verfügungsgewalt über ihren Bauch. Frauen, die hierbei mit Männern kollaborieren, verraten ihr eigenes Geschlecht.

16. Sex in Zeiten der Korrektheit Dank Kinsey, der Pille und einer umsatzfördernden Liberalisierung vieler Sexualnormen schien es in den späten 60er Jahren so, als stünde die sexuelle Befreiung, wie sie Reich und Marcuse gefordert hatten, unmittelbar bevor. Kate Millett prophezeite 1969: "Die Frauen sind in unserer Gesellschaft das am meisten entfremdete Element. Sie bilden aufgrund ihrer großen Zahl, ihrer Leidenschaftlichkeit und ihrer langen Jahre der Unterdrückung die breiteste revolutionäre Basis. Vielleicht werden die Frauen in der Revolution unserer Gesellschaft eine so tragende Rolle spielen, wie die Geschichte zuvor kein Beispiel kennt." Hippies, Kommunen, Promiskuität ließen biedere Illustrierten- und Zeitungsleser erschaudern: vor Neid und aus Verdrängungszwang. Bundesrichter wirkten nur mehr lächerlich, wenn sie noch 1967 urteilten: „Die Frau genügt ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit, dass sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen lässt“, sie müsse vielmehr Zuneigung und Opferbereitschaft zeigen. Ein Mann im oberen Bett eines Schlafwagens schaut zu, wie eine alte Jungfer sich im unteren Bett auszieht. Sie schraubt einen hölzernen Arm und ein Holzbein ab, entfernt die Perücke, nimmt das falsche Gebiss und ein Glasauge heraus. Plötzlich merkt sie, dass sie beobachtet wird. "Was wollen Sie denn?" ruft sie aus. "Sie wissen ganz genau, was ich will", erwidert er. "Schrauben Sie es ab und werfen Sie es herauf." Tatsächlich hat sich nur das sexuelle Klima ein wenig verändert. Fernsehen, Filme und Kleidung wurden freizügiger, der sexuelle Umgang unverkrampfter, bequemer. Das erste eheliche Doppelbett im amerikanischen Fernsehen wurde 1964 gezeigt, die erste Abtreibung 1972 erwähnt. Bis zum 30. 4. 1997 aber dauerte es, bis die erste Lesbierin in einer US-Fernsehhauptrolle auftreten durfte. Chrysler und GM zogen -

1997! - ihre Werbespots in der nun anrüchig gewordenen Serie zurück, der Sender selbst lehnte den Werbespot eines Reiseveranstalters ab, in dem sich zwei Frauen auf einem Kreuzfahrtschiff umarmen. Weniger restriktiv sind die medialen Verhältnisse in Europa, wo Fernsehzuschauer täglich mehr Geschlechtsakte sehen können als ihre bürgerlichen Großeltern in ihrem ganzen Leben. (Bei Proletariern sorgten die engen Wohnverhältnisse schon vor der Erfindung des Fernsehens für Anschauung.) Doch der Anschein der Liberalisierung trügt. Wie die dümmlichen Softpornos in den Spätprogrammen der Fernsehsender nicht Sexualität zeigen, sondern Bewegungsabläufe, bedeutet freizügige Kleidung längst noch keine Befreiung der Sexualität, sondern häufig nur die Reduzierung der Bekleideten auf ihre Geschlechtsmerkmale. Die westliche Mode wirkt zur Zeit weit weniger sexualisierend als genitalisierend.

Gewiss, Menschen schlafen heute eher miteinander, ohne verheiratet zu sein oder heiraten zu wollen, vor allem Frauen leben ihre Sexualität - und sei es nur durch Selbstbefriedigung - häufiger und selbstbewusster aus, und Männer haben das sexuelle Vorspiel als Notwendigkeit akzeptiert und ritualisiert, weil es ihnen häufig die einzige Chance bietet, das eigentliche Triebziel, den genitalen Geschlechtsakt zu erreichen. Aber LeVay, selbst schwul, schätzt seine heterosexuellen Geschlechtsgenossen durchaus richtig ein: „... vom weiblichen Standpunkt aus gesehen (ist) das männliche Lebewesen wenig mehr als ein Parasit, der aus dem weiblichen Fortpflanzungsbestreben Vorteil zieht“. Martin Dannecker meint, die Vergesellschaftung der Sexualität habe ihr jenen Schuss Unanständigkeit geraubt, die ihr erst Glanz und Leben verleiht: "Die verbotene sexuelle Handlung, die wir uns erlauben, wird durch die Existenz des Verbotes zu einem besonderen Vorgang." Gunter Schmidt geht noch einen Schritt weiter: "Die Sexualität ist nicht an sich von subversiver Sprengkraft; sie bekommt diese Qualität erst durch ihre Unterdrückung." Ohne Risiko, Angst, ja Feindseligkeit verkomme Sex zur kuscheligen Langeweile: "Dieses Bild von Erotik ist schockierend und zeigt zugleich, dass die Vorstellung einer nur zärtlichen, friedfertig-lustvollen Sexualität irreal, ja beinahe antisexuell ist." Liberalisierung bedeutet noch keine Revolution. Wenn Foucault in seiner viel gelesenen und noch häufiger zitierten Kampfschrift zur Durchsetzung des Begriffes "Diskurs" ("Sexualität und Wahrheit") aufgrund einiger Verhaltensänderungen und unzähliger Veröffentlichungen zum Thema

Sexualität die Unterdrückung der Sexualität seit dem 17. Jahrhundert leugnet, ist dies nur albern. Ein Blick in die aktuelle Rechtsprechung sollte genügen: In den USA ist mit Ausnahme von Nevada die Prostitution in allen Bundesstaaten verboten, werden über 2 Millionen Prostituierte von der Polizei gejagt (und häufig erpresst). In den meisten Neuenglandstaaten, in Nevada, Nebraska, Kansas und in fast allen Südstaaten ist jeder außereheliche Geschlechtsverkehr strafbar, in Arizona, Florida, Idaho, Mississippi, New Mexico und North Carolina dürfen Unverheiratete nicht zusammenleben. In Kalifornien wurde ein Mann zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil er Oralverkehr hatte mit seiner Ehefrau, in Idaho kann Analverkehr mit lebenslanger Haft bestraft werden und Michigan, dessen Bürger, wären sie nicht Heuchler, fast alle im Gefängnis sitzen müssten, bedroht jede Masturbation mit fünf Jahren Haft. In Schweden machen sich Kunden von Prostituierten strafbar und in Deutschland genügt schon ein vager Verdacht des sexuellen Umgangs mit Kindern, um alle rechtsstaatlichen Prinzipien außer Kraft zu setzen. Und nur sexuelle Unterdrückung kann zwei Bundeswehrsanitäterinnen veranlasst haben, eine Kameradin und ihren Freund wegen Geschlechtsverkehrs in ihrer Anwesenheit anzuzeigen. Der Kompaniechef sah nicht in der Denunziation, sondern im sexuellen Umgang ein Dienstvergehen, das er mit 7 Tagen Arrest bestrafen wollte. Nein, das häufige Sprechen über, das Abbilden von Sexualität ist nur ein Ventil einer sich liberal gebenden, doch immer rigider werdenden Sexualmoral. Noch nie in der Geschichte hat die sexuelle Berührung eines Kindes, einer Frau oder eines Mannes ähnlich schwerwiegende Folgen gehabt wie zu Zeiten der neu nur genannten französischen Philosophen. Unser Umgang mit der Sexualität wurde nicht freier, nur zutiefst egoistisch und bequem. Erpicht auf den eigenen, risikolosen Lustgewinn reduzieren die meisten Sexualität auf eine letztlich masturbatorische Lustversorgung. Jeder holt sich, was er braucht. Und wenn Sex noch nie so viel besprochen, gezeigt und vielleicht sogar praktiziert wurde wie heute, war er wohl noch nie so langweilig, unerotisch, kraftlos. Trotzdem sind Teile der Gesellschaft - vor allem in den USA - heftig bemüht, die Sexualität weiter zu säubern, zurückzudrängen in die Harmlosigkeit. Bereits in den 80er Jahren setzte, ausgehend von den USA, eine antisexuelle Gegenbewegung ein. PorNo-Aktivistinnen wie Andrea Dworkin und Catharine MacKinnow verstanden es, konservative Zensurbestrebungen mit feministischen, auf das Geschlecht reduzierte Vorstellungen von der Würde der Frau in der Forderung nach zunächst sexueller, dann auch politischer Korrektheit (der Bananenschale unter dem Fuß der Wahrheit, wie es in der "Serenade zu Dritt" so schön heißt) zu

verbinden. Ihr Versprechen, ein Verbot der Pornographie könne sexuelle Gewalt verhindern oder zumindest reduzieren, schien - obwohl historisch leicht widerlegbar - vielen so attraktiv, dass die PorNo-Kampagne vor allem im Bildungsbürgertum zahlreiche Mitstreiter(innen) fand. Die Auswirkungen sind teils lächerlich, teils tragisch, in jedem Fall politisch gefährlich. Absurde Auswüchse zeigte der Kampf gegen sexuelle Belästigung in den USA. Frau Prof. Sturmhofer z. B. musste gelegentlich in einem Seminarraum unterrichten, in dem neben anderen Bildern auch eine Reproduktion von Gojas „Maja Desnuda“ hing. Da sich Frau Professor beim Anblick des Gemäldes unbehaglich fühlte, verlangte sie die Entfernung dieses und weiterer sexuell nicht korrekter Bilder aus den Räumen der Universität. Eine Dokumentation dieser Bilder in ihrer Beschwerdeschrift kam zwei Studenten zu Gesicht, die sich nun ihrerseits durch die geballte Ansammlung unzüchtiger Kunst sexuell belästigt fühlten und Frau Professor verklagten. Professor Graydon Snyder dagegen, Priester und Dozent am Theologischen Seminar in Chicago, pflegte seit 30 Jahren seinen Studenten und Studentinnen eine Geschichte aus dem Talmud zu erzählen: Ein Mann fällt vom Dach eines Hauses und landet auf einer Frau, mit der er sich versehentlich geschlechtlich vereint. (Das theologische Problem besteht in der Frage, ob solch ein unbeabsichtigter Geschlechtsverkehr sündhaft ist.) Einer Studentin gefiel diese Geschichte gar nicht, sie klagte den Herrn Professor wegen sexueller Belästigung an. Snyder erhielt einen offiziellen Verweis, dessen Erteilung allen Studenten/Studentinnen und Dozenten/Dozentinnen schriftlich bestätigt wurde. Seither muss er in Anwesenheit eines Seminarangestellten lehren, der alle Aussagen Snyders zur Kontrolle auf Tonband mitschneidet. Und nicht einmal mehr der angeblich mächtigste Mann der Welt, der Präsident der USA, kann es sich leisten, eine öffentliche Rechtfertigung seines recht normalen Sexualverhaltens zu verweigern, das Recht auf Privatheit einzufordern. Er muss vor laufender Kamera seine Hosen herunterlassen, damit die Medien die Politstrategien der wirklich Mächtigen ebenso bedienen können wie die Geilheit des Publikums. Wer wegen sexueller Belästigung klagt, um eine bessere Abfindung zu erhalten oder eine(n) lästige(n) Mitbewerber(in) im Karrierewettkampf auszuschalten, handelt zwar schäbig, aber immerhin rational. Sehr viel problematischer sind jene Klagen, die auf der Befindlichkeit der Kläger(innen) beruhen. Merilyn French z. B. fühlt sich sogar durch abstrakte Kunst belästigt: „Wenn ich durch die Museen und Kunstgalerien

wandere (vor allem in Centre Pompidou in Paris), dann fühle ich mich durch die abstrakten Skulpturen des 20. Jahrhunderts beleidigt, da sie übertriebenen weiblichen Körperteilen ähneln, vor allem Brüsten.“ Man stelle sich nur vor, eine Sensibilisierung für Busen-, Vagina- und Phallussymbole wäre tatsächlich erfolgreich: Sie hätte die bisher umfassendste Säuberung in der Geschichte von Kunst und Architektur zur Folge. Wer Empfindungen als Maßstab akzeptiert, liefert sich den Empfindsamsten aus. Gewiss kann von ihnen gelernt werden. So kommt dem Feminismus das bleibende Verdienst zu, auch patriarchalisch beschränkten Männern die Augen geöffnet zu haben für vorher gar nicht wahrgenommene Formen sexueller Unterdrückung und Gewalt. Aber Empfindsamkeiten sind zahlreich, und häufig haben sie biographische Ursachen. So gibt es Menschen, die sich durch den Anblick eines nackten Geschlechts nicht im geringsten belästigt fühlen, dafür aber unter lauter Musik oder hohen Geschwindigkeiten oder dem Geruch von Parfum, Zigarettenrauch, Kohl oder unter Feuerwerken leiden, weil sie den letzten Krieg nicht vergessen können. Ihnen allen steht jeder psychologische Beistand zu, aber nicht das Recht, den Verursacher ihrer Belästigung zu verklagen, die Belästigung verbieten zu lassen. Sie haben nur Anspruch auf Rücksichtnahme, also z. B. auf den Hinweis, ob ein Buch, ein Film, ein Museum etc. sexuell "korrekt" ist oder nicht. Was sie sich zumuten, muss ihre Entscheidung sein, nicht aber, was sie anderen erlauben. Denn jede Zensur ist gefährlicher als es zensierte Inhalte je sein können. Dworkin selbst sollte dies wissen. Zusammen mit ihrer Mitstreiterin Catharine MacKinnow hatte sie 1983 ein Anti-Pornographie-Gesetz entworfen, das zuerst im Stadtrat von Minneapolis verabschiedet und 1992 in das Kanadische Obszönitätsgesetz eingearbeitet wurde. Auf Grund dieses Gesetzes haben die Kanadischen Behörden seither unzählige Bücher beschlagnahmt, u. a. auch „PorNographie“ von Andrea Dworkin. Man muss daher Pornographie gar nicht etwas künstlerisch Wertvolles, sexuelle Befreiendes etc. abgewinnen, um ihr Verbot, das in der Geschichte immer dazu missbraucht wurde, auch schlicht Missfallendes auszumerzen, zu bekämpfen. In ihrem Buch „Zur Verteidigung der Pornographie“ versammelte Nadine Strossen, Juristin und Präsidentin der American Civil Liberties Union, die wichtigsten Argumente gegen ein Pornoverbot: - Es gibt trotz aller Schutzbehauptungen von Straftätern keinen Beweis, dass der Konsum von „Pornographie“ gewalttätig macht, im Gegenteil, in Ländern mit hohem Pornokonsum tritt sexuelle Gewalt seltener auf als unter den Bedingungen der Zensur. (Im Mittelalter gab es, sieht man von

Kreuzigungsbildern einmal ab, kaum „Pornographie“, und trotzdem - wie Jacques Rossiaud nachwies - sehr viel sexuelle Gewalt.) - Auch eine „Diktatur der Tugend“ ist nur eine Diktatur. Mögen ihre Regeln zum Schutz von Minderheiten, Schwachen, Unterdrückten noch so gut gemeint sein, festigen sie doch nur deren Status, dienen sie nicht der Befreiung, sondern der Disziplinierung, denn Schutz über ein notwendiges Maß hinaus lähmt. - Richard Nixon, aus dem Amt gejagter US-Präsident, behauptete: „Wenn wir gegenüber der Pornographie eine nachgiebige Haltung einnehmen, würde dies zu einer Atmosphäre beitragen, die der Anarchie in allen Bereichen Tür und Tor öffnet.“ Die - selbstverständlich völlig unbegründete Angst - vor sexueller Anarchie wird häufig als Vorwand genutzt, mittels sexuell begründeter Zensur politische Zensur zu rechtfertigen. Nicht nur in arabischen Ländern oder China oder Singapur diffamieren die Herrschenden gerne als pornographisch, was in Wahrheit nur systemkritisch ist. - Unsinnig ist auch der Verbotsvorwand, man wolle Pornodarsteller vor einem Mißbrauch schützen, denn ein Verbot der „Pornographie“ wäre im Gegenteil gefährlich für alle Beteiligten, würde die Pornoindustrie nur wieder in den brutalen Untergrund zurückdrängen. Unter den Bedingungen der Illegalität - ähnliches gilt für die Prostitution - würde sich die Lage der an der Herstellung von „Pornographie“ beteiligten Sexarbeiter/innen, deren Berufsrisiko zur Zeit geringer ist als das von Industriearbeiter/innen, wesentlich verschlechtern. Es ist schlicht verlogen, wenn Feministen/innen, Menschenrechtler/innen und Staatsanwälte/innen den Schutz vor sexuellem Missbrauch für Menschen fordern, die ungeschützt vor den ökonomischen Gewalten dem Hunger, der Verelendung ausgesetzt sind. Der Zweck solcher Schutzbehauptungen ist ein anderer: In der Schweiz wie in den meisten Industriestaaten wird bestraft, wer pornographische Gegenstände oder Vorführungen, „die sexuelle Handlungen mit Kindern oder mit Tieren ... zum Inhalt haben, herstellt, einführt, lagert, in Verkehr bringt, anpreist, ausstellt, anbietet, zeigt, überlässt oder zugänglich macht“. (Art. 197/3 Strafgesetzbuch Schweiz) Unter der Annahme, die Darstellung von Sex mit Kindern oder Tieren sei sittlich schwer gefährdend (darüber gleich mehr), ist das Gesetz tadellos. Es bestraft jene, die aus den krankhaften Neigungen ihrer Mitmenschen ein Geschäft machen, erlaubt aber noch (eine Gesetzesänderung ist in Vorbereitung) den Bedürftigen den Erwerb, Besitz und Konsum harter Pornographie. Nun aber wurde ein 58jähriger Mann zu 200 Franken Geldstrafe verurteilt, weil er sich in Holland eine Videokassette bestellt

hatte, die Geschlechtsverkehr zwischen Menschen und Pferden zeigt. Das Bezirksgericht als erste Instanz hatte noch nüchtern festgestellt: „Wenn Besitz und Erwerb erlaubt sind, dann lässt sich schwerlich eine plausible Erklärung für die Strafbarkeit der Einfuhr zum Eigengebrauch finden.“ Das Obergericht als 2. Instanz aber berief sich auf ein Bundesgerichtsurteil, das den Pornographie-Artikel anders auslegt. Er solle vor allem potentielle Darsteller vor Ausbeutung, Gewalt und menschenunwürdiger Behandlung bewahren. Darüber steht zwar kein Wort im Gesetz, aber der Zeitgeist rechtfertigt die Interpretation. Hieran werden die Wucherungen erkennbar, die Zensurgesetzen eigen sind. Je mehr aber verboten wird, je restriktiver die sexuellen Verhältnisse sind, desto sexbesessener wird die Phantasie, bis - wie im 19. Jh. - ein Hühnerbein wieder obszön erscheint oder - wie im 20. Jh. - der Zensor die Frage, „Hältst du das Essen von Austern für moralisch und das Essen von Schnecken für unmoralisch?“ aus dem Film „Spartacus“ herausschneiden lässt. (Sie verstehen nicht, was daran obszön sein soll? Nun, warten Sie noch ein paar Jahre.)

Pornophobie wurzelt in einem tiefen Misstrauen gegen Sex, in der Angst vor Sexualität und ist ebenso konservativ wie apolitisch und kulturfeindlich. Es sind doch ökonomische, soziale, rechtliche, familiäre Verhältnisse und nicht vordergründige Männerphantasien (die übrigens von immer mehr Frauen geteilt werden), die Gewalt und Diskriminierung hervorrufen. Wer das Geschlechterverhältnis durch ein Pornoverbot verändern will, merkt gar nicht, dass er damit den Menschen auf sein Geschlecht reduziert. Nur wer die Menschenwürde im Geschlecht lokalisiert, kann einen Angriff auf das Geschlecht als einen Angriff auf die Würde missverstehen. Zurecht haben Susan Brownmiller und andere darauf hingewiesen, dass Vergewaltigung nicht ein Verbrechen ist, in dem es um Sex geht, sondern um Gewalt , und alle Formen des gewalttätigen sexuellen Missbrauchs sind durch Gesetze gegen Gewalt abgedeckt. Der zivilisatorische Fortschritt besteht nicht darin, dass eine Ohrfeige gerade noch durchgeht, ein Griff an den Hintern aber strafwürdig ist, sondern im Schutz jedes Einzelnen vor jedem unerwünschten gewalttätigen Angriff.

Gerade diese Forderung aber macht den Umgang mit der Pädophilie so schwierig. Denn Kinder - mehr noch als Frauen - lassen aus Unsicherheit, Neugierde, Übermut oder Respekt manchmal mit sich geschehen, was sie vielleicht gar nicht geschehen lassen wollen. Pädophilie ist häufig ein Missbrauch von Kindern, der ihnen manchmal tatsächlich schadet. Die Tatsache, dass Millionen Kinder jährlich Schlimmeres ( z. B. Hunger) nicht überleben, relativiert das mögliche Vergehen nicht. Jede Gesellschaft hat das Recht, sich nach ihrem Wissen oder Interesse oder Glauben die Gesetze zu geben, die sie zu benötigen meint. Zumindest in Europa und den USA ist zur Zeit jeder sexuelle Umgang mit Kindern verboten, Pädophile haben sich selbstverständlich an die entsprechenden Gesetze zu halten, sollten freilich wie bei allen, sogar den gründlichsten Gesetzen deren Änderung anstreben dürfen. Doch Pädophilie scheint zur Zeit mehr als nur ein Gesetzesverstoß. Die Liebhaber/innen von Kindern provozieren die Gesellschaft wie einst die Hexen. Pädophilie wird nicht als Straftat gewertet und bestraft, sondern als ein Vergehen, das den Täter oder die Täterin außerhalb der menschlichen Gemeinschaft stellt. In Anknüpfung an mittelalterliche Praktiken werden Pädophile (in den USA auch Homosexuelle) an den Pranger gestellt. In Genf wurde 1998 das Urteil gegen einen Pädophilen (18 Monate auf Bewährung) drei Monate lang öffentlich ausgehängt , für die Medien gilt längst nicht mehr die Unschuldsvermutung bis zur Verurteilung, Verdachtsmomente reichen völlig aus für die vollständige Namensnennung. Nur weil er angeblich ein „Schreibtischtäter“ der Pädophilie sei, wurde dem Sexualwissenschaftler Helmut Kentler der Magnus-Hirschfeld-Emanzipationspreis 15 Minuten vor der Verleihung aberkannt. Kentler wurde behandelt wie einst Hirschfeld von vielen seiner Kollegen, als wäre er ein Aussätziger. Wer es in Deutschland wagt, Pädophilie mehr wissenschaftlich als moralisch zu untersuchen, kann in der FAZ (".. ist das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung für Kinder von einer ganz bestimmten Forschungsrichtung erst erfunden und proklamiert worden, aus durchaus eigennützigen Motiven sogar" ) pädophiler Neigungen verdächtigt werden. In Berlin wurde ein 54jähriger Pädagoge wegen der Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie verurteilt, obwohl er untertänigst jedes Bild vor der Veröffentlichung bei der zuständigen Fachdienststelle der Kriminalpolizei vorgelegt hatte. In Frankfurt forderte eine Initiative gegen sexuellen Missbrauch von Kindern das Verbot des Filmes „Lolita“ , in Oklahoma City wurde (wegen der Brausepulverszene) das Video „Die Blechtrommel“ beschlagnahmt. Der Internet-Provider PureTec verweigerte am 6. 9. 2000 dem Autor dieses Buches die Anmeldung des Domain-

Namens "Geschichte-der-Sexualität.de" wegen des Verdachtes, unter dieser Adresse könnten pornographische und/oder erotische Inhalte ins Internet gestellt werden. Und in London sensibilisierte ein Regierungsaufruf zur öffentlichen Wachsamkeit gegenüber Pädophilen den Mitarbeiter eines Fotolabors so sehr, dass er wegen eines zufällig wahrgenommenen Fotos die Polizei alarmierte. Das Bild zeigte ein Kleinkind, das von seinen Eltern gebadet wurde. Pädophilie ist mehr ist als nur ein medizinisches oder strafrechtliches Problem. Über 60 Jahre alt sind die 14 Reliefs der Kreuzwegstationen der Katholischen Kathedrale von Westminster, und nichts an ihnen störte die Andacht der Gläubigen, bis bekannt wurde, dass ihr Schöpfer Eric Gill nicht nur Bedienstete, Tiere und seine Schwester gevögelt hat, sondern auch zwei seiner drei Töchter. Nun fordern „Christliche Überlebende des Sexualmissbrauchs“ die Entfernung der Kreuzwegstationen. Was aber, so wäre zu fragen, soll mit den Werken Vivaldis, Oscar Wildes, Pasolinis oder mit Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ geschehen? (Carroll fotografierte gerne kleine nackte Mädchen.) Auf den Scheiterhaufen mit diesem Schund? Wo nicht mehr das Werk, sondern die Rasse oder eine sexuelle Präferenz des Schöpfers den Wert bestimmt, ist höchste Vorsicht angebracht. Die Motive der PorNo-Aktivisten/innen, der Kindersexverfolger/innen mögen noch so lauter sein, das Ergebnis ihrer Tätigkeiten muss erschrecken. Die (Schein-)Liberalisierung im Umgang mit Sexualität wird nicht nur, was noch zu verschmerzen wäre, rückgängig gemacht, sondern wir erleben die Wiederkehr einer rigiden Sexualmoral, die nicht weniger menschenfreundlich sein will als der Viktorianismus, und nicht weniger zerstörerisch sein wird. Wie tiefgreifend dieser Wandel ist, zeigt unser Umgang mit AIDS. Diese schreckliche, auch sexuell übertragbare Immunkrankheit, die immerhin ein Zehntel so viel Opfer fordert wie die Tuberkulose , wurde für eine Angstkampagne missbraucht, deren Ziel weniger Gesundheit als Moral ist. Um welche abgestandene Moral es sich im Umgang mit AIDS handelt, zeigt die 1988 in Deutschland aufgestellte Behauptung, AIDS sei von schwarzen Frauen verbreitet worden, die Geschlechtsverkehr mit Affen hatten. Keine Krankheit kann so schlimm sein, dass sie Enthaltsamkeit oder ausschließliche Masturbation oder Monogamie oder die regelmäßige Benutzung eines Kondoms rechtfertigt, denn Enthaltsamkeit macht verrückt, Masturbation einsam, Monogamie wunschlos glücklich. Der selbstverständliche Gebrauch des Kondoms aber wäre nach Besteck, Deodorant und Wangenreiben nur der nächste Zivilisationsschritt zur

Entsinnlichung des Lebens, zur Entfremdung des Menschen nicht nur von der Arbeit, sondern von seinen Mitmenschen. Andererseits könnte Aids, bis in absehbarer Zeit das Problem medizinisch gelöst sein wird, uns wieder bewusst machen, dass es kein Leben, bestenfalls ein Vegetieren ohne Risiko gibt, also auch keine Sexualität, höchstens Befriedigung. Befriedigung bei gleichzeitiger Risikovermeidung muss freilich bis zur Lächerlichkeit reglementiert werden. Vieles deutet darauf hin, dass in hochentwickelten Industriestaaten nicht zuletzt zur Konfliktvermeidung die Sexualität zur medialen Triebbefriedigung verkommt. Telefonsex, Fernsehvoyeurismus, Cyberspacesex sind die trostlosen Vorzeichen der Entsozialisierung auch in der Sexualität. Seitdem und solange Sex und Fortpflanzung, Vergnügen und Reproduktion unlösbar miteinander verbunden waren, kämpften zwei Gruppen um die immer wieder wechselnde Vorherrschaft. Dem Versuch der einen, sexuelles Vergnügen ohne Folgen auszuleben, stand der Versuch der anderen gegenüber, die Sexualität auf die Fortpflanzung zu beschränken, wobei die Durchsetzung des jeweiligen Prinzips von wirtschaftlichen und somit politisch-religiösen Verhältnissen abhängig war. In der Geschichte der Sexualität stießen wir auf eine eher restriktive Sexualmoral in Phasen angestrebter Vermehrung der Bevölkerung bzw. der Eroberung fremder Reiche. Restriktiv verhielten sich die Juden, um ihr Überleben in einer feindseligen Umwelt zu sichern, die Griechen und Römer, bis ihre Vorherrschaft gefestigt war (ähnliches gilt heute wieder für den Islam), die Christen in der Durchsetzung ihres Absolutheitsanspruches, der Frühkapitalismus in seiner vom Protestantismus begleiteten Entstehungszeit, der Hochkapitalismus in der viktorianischen Epoche, als es an Arbeitskräften mangelte, und alle Mächte in der Vorbereitung menschenverschlingender Volkskriege. Sexuell großzügig waren Gesellschaften eigentlich nur in Endphasen, Griechen und Römer auf dem Höhepunkt ihrer Macht, die höfische Gesellschaft im blinden Selbstvertrauen des Absolutismus. Was für Epochen gilt, lässt sich auch an historisch kurzen Zeitabschnitten beobachten: Die rigide Sexualmoral Nachkriegsdeutschlands wich der Libertinage, als der Wiederaufbau geschafft war. Diese Wellenbewegungen der Sexualmoral sind nicht verwunderlich. Zum überlebensnotwendigen Essen und Schlafen zwecks Regeneration müssen Menschen nicht angehalten werden, sie tun es allein schon aus egoistischen Gründen, wobei sich der biologische Zwang mit genussvollem Vergnügen verbinden kann, wenn es die wirtschaftlichen Verhältnisse erlauben. Sexualität dagegen dient nicht der Erhaltung der einzelnen Menschen,

sondern der Menschheit. Fortpflanzung ist daher nicht egoistisch, nur sozial zu gewährleisten. In der lustvoll erlebten Sexualität verführt uns die Natur zwar zu tun, was viele von uns vielleicht gar nicht tun wollen: Kinder in die Welt zu setzen. Der Sinn des Geschlechtsaktes, Sonneberg sah es völlig richtig, liegt darin, ihn auszuführen (und die sozialen Folgen des egoistischen Handelns in Kauf zu nehmen). Wir glauben, wir würden zum Vergnügen bumsen, in Wirklichkeit tun wir es, um die Menschheit zu erhalten und durch unbewusste pränatale Selektion bei der Partnersuche ihre Überlebenschance zu verbessern. Moraltheologen und Staatsmänner aber rufen uns durch rigide Sexualmoral die Pflicht zur Reproduktion in Erinnerung. Sie handeln als Korrektiv menschlicher Ichsucht, als Erzieher des Volkes, als Ideologen der Fortpflanzung, die diese nicht dem Zufall überlassen wollen und schon gar nicht menschlicher Willkür. Sexualmoral ist also nicht nur ein äußerst effektives Disziplinierungsinstrument, denn Untertanen, die ihre Sexualität regulieren können, sind auch fast jeder anderen Anpassung fähig. Zugleich ist die Sexualmoral auch ein Steuerungsinstrument zur Vermehrung, gelegentlich auch zur Reduzierung der Staats- oder Religionsangehörigen. Zumindest gilt letzteres für die Fortpflanzungssexualität. Nun aber scheint sich trotz der Entsinnlichung der Sexualität, trotz neuer Prüderie und Rufen nach dem Zensor die Trennung von Sexualität und Fortpflanzung anzubahnen. Erlaubte die Antibabypille schon die Regulierung einer Empfängnis, wird die Reproduktionsmedizin nicht nur die Belastung der Frau durch die Schwangerschaft reduzieren, sondern eines Tages die Schwangerschaft aus dem Körper der Frau ins Labor verlagern. Damit wird die Reproduktion organisierbar und bedarf keiner Moral mehr. Noch mag die Vorstellung einer außerkörperlichen Reproduktion des Menschen viele erschrecken und ihnen männlich absurd erscheinen, beraubt sie doch Frauen ihrer vermeintlich wichtigsten Funktion als Gebärerin. Auch fehlt unserer Gesellschaft noch die politische Reife, die Reproduktionsmedizin (gleiches gilt für die Gentechnologie) verantwortlich herrschaftsfrei und menschenwürdig zu betreiben. Und doch ist sie die vielleicht wichtigste Voraussetzung für die Überwindung des eben doch nicht nur gesellschaftlich, sondern ursprünglich biologisch geprägten männlichen und weiblichen Rollenverhaltens. Die Emanzipation von Männern und Frauen zu Menschen, die nicht durch geschlechtsspezifisch unterschiedliche Interessen den andersgeschlechtlichen Teil dominieren wollen, kann nur gelingen, wenn nicht mehr allein die Frauen Kinder austragen und gebären müssen. Das Männerkindbett hilft, wie wir sahen, dabei nicht weiter, war nur eine Anmaßung männlichen Wahns. So zu tun als ob, verändert, wie das Bemühen um mannigfaltige Korrektheiten zeigt,

nichts. Doch wie es uns mühsam gelingt, den alttestamentarischen Fluch der Arbeit zu überwinden durch Technologie (noch scheitern wir allerdings an der Umverteilung der verbliebenen Arbeit, an der Loslösung von einem längst überholten Arbeitsethos), wird Technologie auch den göttlichen Fluch des Gebärens vergessen machen. Und Gebären ist allen feministischen Mutterideologen/innen zum Trotz ein Fluch: Unter allen Männerträumen zählt die Sehnsucht nach dem Erleben einer Schwangerschaft zu den außergewöhnlichsten. Frauen, die ihr Glück im Gebären finden, haben sich nur mit dem Schicksal abgefunden und erleiden die Freuden des Masochismus. Es ist durchaus möglich, dass solche Überlegungen voreilig sind, dass Frauen sich wieder in ihre überkommene Frauenrolle zurückdrängen (vielleicht auch zurückfallen) lassen oder ihre Herrschaft über die Männer zurückerobern. Aber die Tendenz der Angleichung von Mann und Frau ist unübersehbar nicht nur im Körperbau, in der Mode, im Umgang mit Schmuck und Parfum. Viel entscheidender ist, dass heute schon die Befreiung der Lust von ihrer Zeugungsfunktion Frauen zumindest in den wirtschaftlich höher entwickelten Ländern nach der ökonomischen und somit politisch-religiösen auch die sexuelle Emanzipation ermöglicht. Sex wird auch für Frauen wieder, was er für Männer immer war: ein egoistisches Vergnügen. Die damit verbundene Entsozialisierung nun auch der weiblichen Sexualität darf und wird nur ein Zwischenstadium sein, denn nur als soziales Wesen ist der Mensch überlebensfähig. Auf das Chaos, das jede Befreiung von Zwängen hervorruft, folgt die freiwillige Bindung unter Gleichwertigen, und Entsozialisierung ist nur eine weitere Voraussetzung zur Überwindung sozial geprägter Rollenklischees. Sexualität wird sich dabei zu der intensivsten Form der Kommunikation unter Menschen fort- und zugleich zurückentwickeln, an der auch Kinder und Alte, für die heute noch sexuelle Tabus gelten, teilhaben dürfen. Unaufhaltsam scheint damit auch eine Entmännlichung der Sexualität, die Rückkehr zur Bisexualität, zum Sex als einem freudigen, gewaltigen Erlebnis, dessen Formen nicht durch wechselnde Nützlichkeitsmoral, sondern durch die Würde des Menschen und seiner geschlechterunabhängigen Achtung des anderen bestimmt werden wird. Noch 1903 konnte der Psychiater Paul Julius Möbius dekretieren: „Je gesünder der Mensch ist, um so entschiedener ist er Mann oder Weib.“ Heute können wir nicht zuletzt aus den Erfahrungen mit dem Faschismus wissen: „...der Versuch, dem Manne eine ausschließlich „männliche“ und der Frau eine ausschließlich „weibliche“ Rolle zuzuweisen, tritt nur in repressiven Gesellschaftsordnungen auf und ist ein sicheres Barometer für die Klassenunterdrückung, die sie widerspiegelt.“ Ob die

Klassenunterdrückung in absehbarer Zeit überwunden werden kann, sei dahingestellt, doch die Geschlechterhierarchie wird sogar in Afghanistan auf Dauer nicht konservierbar sein. Fällt aber das Fundament, bricht mehr zusammen als nur der seit 10 000 Jahre herrschende Männerwahn. In einer Gesellschaft, in der Männer nicht mehr nur Männer und Frauen nicht mehr nur Frauen sind, werden auch Unterdrückung und Ausbeutung überwindbar. Denn die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau, die in Wahrheit eine sehr ungleichwertige Herrschaftsteilung war, prägt Denken, Wirtschaft und Politik. Verglichen mit der Revolutionierung des Geschlechterverhältnisses werden die Revolutionen der Männergeschichte wie harmlose Schluckaufanfälle erscheinen.

Lexikon: Kleines Lexikon der Sexualität Abort Unbeabsichtigte Beendigung einer Schwangerschaft, wenn der Embryo oder der Fötus nicht lebt und weniger als 37 cm Körperlänge misst. (Danach Früh- oder Totgeburt) Abstinenz (Lat. Enthaltsamkeit) Verzicht auf Genuss, insbesondere von Alkohol und Geschlechtsverkehr Abtreibung Die Beendigung einer Schwangerschaft war de facto bis ins 19. Jh. straffrei, danach wurde sie angeblich aus medizinischen, tatsächlich aber aus disziplinarischen Gründen je nach patriarchalisch-autoritärer Verfassung der jeweiligen Gesellschaft mit Gefängnis oder Hinrichtung bestraft oder (Indikationsregelung) eingeschränkt. Gebräuchliche Abtreibungsmittel waren das Mutterkorn (Claviceps purpurea; wirkt erst ab dem 5. Monat), die Gartenraute (Ruta graveolens), das Rainfarnöl (Tanacetum vulgare) und ein Extrakt des Sadebaums (Juniperus sabina). Springen, Fallen, Schläge oder Tritte in den Unterleib sind in der Regel unwirksam. Chirurgische Abtreibungsmethoden: Menstruationsregulierung: Absaugen der Uterusschleimhaut durch Unterdruck auch bei nur vermuteter Schwangerschaft. (In den USA üblich, in Deutschland nicht erlaubt) Absaugemethode: Absaugen des Embryos und der Plazenta durch Unterdruck bei nachgewiesener Schwangerschaft (in Deutschland nur nach Rechtfertigung der Patientin und Beratung bis zum Ende des 3. Schwangerschaftsmonats erlaubt). Kürettage: Abschaben des Embryos, der Plazenta und der Schleimhaut mit einem löffelähnlichen Instrument unter Narkose. Hysterotomie: Entfernen des Fötus und der Plazenta durch einen Schnitt in den Unterleib (Gebärmutter) AIDS (Acquired Immuno-Deficiency Syndrome) Virusinfektion: erworbene Schwächung und Zerstörung der körpereigenen Abwehrkräfte gegen Krankheitserreger aller Art und gegen Krebszellen. Der Virus (in allen Körperflüssigkeiten nachgewiesen) wird durch die direkte Berührung von Körpersäften übertragen (Verletzungen). Besondere Ansteckungsgefahr besteht bei Analverkehr, da innerhalb des Schließmuskels des Anus so gut

wie kein Gefühl vorhanden ist und Verletzungen daher unbemerkt stattfinden können. Alkalische Reaktion Sie wird durch Hydroxyl-Ionen hervorgerufen (insbesondere des Natriums und Kaliums), die laugenähnliche Lösung wirkt ätzend. Analverkehr (Lat. Anus = Darmausgang) Bei den meisten Menschen ist der Anus eine sehr sensible erogene Zone. Da er keine Gleitflüssigkeit entwickelt, sind beim Eindringen in den Anus vorsichtige Bewegungen bis zur völligen Entspannung des Schließmuskels notwendig. Da innerhalb des Schließmuskels so gut wie kein Gefühl gespürt wird, können unbemerkt Verletzungen auftreten. Auch ein Wechsel von Anal- zu Vaginalverkehr ohne gründliches Waschen birgt eine hohe Infektionsgefahr. Androgene Die männlichen Keimdrüsenhormone (u. a. Testosteron) verursachen die Geschlechtsreife des Mannes (erste Ejakulation, Stimmbruch als Folge des Kehlkopfwachstums). Die Höhe der Hormonwerte im Blut bleibt vom Abschluss der Pubertät bis um das 60. Lebensjahr nahezu gleich. Im deutlich geringeren Maße produziert auch der weibliche Körper Androgene, im Unterschied zum Mann bis ins hohe Alter. Man vermutet, dass diese gleichbleibende Androgenzufuhr das sexuelle Interesse von Frauen über die Menopause hinaus stimuliert. Anilinctus (Lat. Anus = Darmausgang, Lat. linguere = lecken) Das Lecken des Anus, einer sehr sensiblen erogenen Zone, kann - anders als beim Cunnilinctus zur Übertragung von Infektionskrankheiten führen. Aphrodisiaka Luststeigernde Reizmittel, Glaubenssache. Eine tatsächlich stimulierende Wirkung ist nur nachgewiesen bei Yohimbim, einem Extrakt aus der Yohimbe-Wurzel, heute synthetisch herstellbar. Apotropäische Prostitution (Gr. apotropäon = was abwendet) Prostitution als magisches Abwehrmittel gegen befürchtetes Unheil Askese (Griech. askesis = Übung) Ursprünglich die zuchtvolle Selbstdisziplin bei Athleten, in allen Religionen eine geistig-körperliche Übung zur Gewinnung von Visionen und zum Erkennen von Glaubenswahrheiten. Die Askese soll (z. B. durch Fasten) den Christen vor der Überwältigung durch seine Triebe schützen Autoerotik Der geschlechtliche Umgang mit sich selbst

Basaltemperaturmethode Da vor jedem Eisprung ein geringfügiges Absinken der Körpertemperatur erfolgt (mit anschließendem Temperaturanstieg), kann mittels regelmäßiger Temperaturmessungen der Zeitpunkt der Ovulation annähernd geschätzt und durch den Verzicht auf Geschlechtsverkehr einige Tage vor und zwei Tage nach dem Eisprung eine Schwangerschaft vermieden werden. Basisch Alle chemischen Verbindungen, die mit Säuren Salze bilden. Beischlaf Vor allem juristisch gebrauchter Begriff für Geschlechtsverkehr. Befruchtung Die Vereinigung einer weiblichen mit einer männlichen Geschlechtszelle durch das Eindringen einer Samenzelle (Spermium) in eine Eizelle und die Verschmelzung ihrer Zellkerne. Damit ein Ei nicht ein zweites mal befruchtet werden kann, umgibt es sich unmittelbar nach dem Eindringen des Samenkopfes mit einer Schutzhülle. Beschneidung Das Abschneiden oder Einschneiden der Vorhaut des Penis bzw. die Entfernung der Klitoris oder der kleinen Schamlippen. Die Entstehung dieses vor allem bei den Juden (auch Christus war beschnitten) und islamischen Völkern üblichen Brauchs ist nicht aus hygienischen Gründen erklärbar. Griechen und Römer praktizierten die Beschneidung nicht, da sie die Vorhaut als Zierde betrachteten. In Griechenland war es sogar üblich, die Vorhaut durch regelmäßiges Ziehen zu verlängern. Gegenwärtig werden in den USA ca. 60% aller männlichen Säuglinge oft ohne Anästhesie beschnitten, wobei jede 500., manche meinen sogar jede 50. Beschneidung zu Komplikationen führt. (In Großbritannien, wo seit dem 2. Weltkrieg eine Beschneidung von der Nationalen Krankenversicherung nicht mehr bezahlt wird, ging der Anteil beschnittener männlicher Säuglinge auf 1% zurück.) Als Gründe für die Beschneidung werden medizinisch längst widerlegte Vorurteile angeführt: Sie helfe gegen Masturbation, Epilepsie, Geschlechtskrankheiten, Krebs. Bidet Sitzbecken für Waschungen und Spülungen der Geschlechtsteile und des Anus, bereits in der Antike gebräuchlich: Die Bereitstellung einer Art Bidet für Vaginalspülungen vor und nach dem Koitus wird in griechischen Eheverträgen erwähnt. Deutsche Auslandstouristen verwechseln manchmal noch heute das Bidet mit dem Pissoir. Bisexualität Die Fähigkeit zu und Lust auf erotisch-sexuelle Beziehungen zu Partnern beiderlei Geschlechts. Echte Bisexualität (oft ist sie nur eine

Schutzbehauptung homosexueller Männer) scheint bei Frauen häufiger als bei Männern; infolge einer maternistischen Entwicklung (Angleichung von Kleidung und Verhalten, Schwächung des Über-Ichs) sollte sie zunehmen. Bordell Urspr. schlecht gebautes Bretterhaus, Schlupfbude, dann: Haus, in dem mehrere Prostituierte ihre Dienste anbieten. Bulbourethraldrüsen Zwei erbsengroße Drüsen, die bei sexueller Erregung eine klare Flüssigkeit in die Harnröhre absondern, die in kleinsten Mengen oft schon vor der Ejakulation austritt. Candidose Das vermehrte Wachstum eines Hefepilzes in der Scheide verursacht Juckreiz, Brennen, einen weißlichen Ausfluss und häufig eine trockene Scheide. Durch lokal angewandte Medikamente heilbar. Cerebellum Das Kleinhirn, ein sehr selbständiges Hirnteil, das mit allen Empfangsstationen und ausführenden Organen verbunden ist, steuert das Gleichgewicht. Contergan Das Schlafmittel kam 1957 auf den deutschen Markt und wurde von über einer Million Bundesbürger eingenommen. Seit 1960 warnten unabhängige Mediziner vor diesem Mittel, aber erst am 26.11.1962 wurde es verboten. Contergan verursachte 1000 tote und 6000 missgebildete Kinder. Cyberspacesex Sex in einer computergeschaffenen Scheinwirklichkeit, in der Sehhilfen und Sensoren eine Interaktivität mit Partnern vorgaukelt, Narzissmus auf höchstem technologischen Niveau: Die Partner treffen im Internet aufeinander, legen einen Cyber-Sex-Anzug an, eine Gummihaut mit Vibratoren und elektronischen Kontakten, die an einem Computer angeschlossen sind. Mit der Maus können Körperteile einer Bildschirmfigur gestreichelt werden, der Partner am anderen Ende der Leitung empfindet dies als sanfte Vibration am eigenen Körper. Dirne In der ländlichen Umgangssprache noch häufige Bezeichnung für Mädchen, Magd. Im Althochdeutschen war "Dirne" eine rein biologische Bezeichnung, erst seit dem 15. Jh. mit moralisch abwertender Bedeutung behaftet, in der Schriftsprache nur noch für Prostituierte gebräuchlich. Dispens Befreiung von einer Verpflichtung, Ausnahmebewilligung

Dogma Glaubenssatz, dessen Verkündung für Katholiken eine Glaubenspflicht begründet. Eileiter Weg für die Eizelle von den Eierstöcken in die Gebärmutter und für den Samen zur Eizelle (eine Befruchtung findet meist im oberen Teil des Eileiters statt). Unzählige haarähnliche Fortsätze im Inneren des Eileiters bewegen zusammen mit den Muskelkontraktionen der Eileiterwände das Ei in die Gebärmutter. Eierstock Ovarium. Weibliches Geschlechtsorgan, in dem sich die Eizellen bilden und lagern. Eine gesunde geschlechtsreife Frau besitzt zwei Eierstöcke in Form und Größe einer Mandel. Noch unentwickelt sind bereits in den beiden Eierstöcken eines neugeborenen Mädchens rund 400 000 Eibläschen vorhanden. Davon sind zum Beginn der Pubertät noch ca. 30 000 übrig, von denen nach Erreichen der Geschlechtsreife nur 12 - 13 jährlich voll ausgebildet werden, alle anderen verfallen. Die von den Eierstöcken abgesonderten Hormone bewirken die Menstruation (Ausstoßung des unbefruchteten Eis) bzw. die Einbettung des befruchteten Eis in die Gebärmutterschleimhaut. Eizelle Die in den Eierstöcken gebildete Eizelle ist mit 0,15 mm Durchmesser die größte Zelle des menschlichen Körpers, ihr Volumen ist 85 000 mal größer als das einer Samenzelle. Da die Eizelle nur das weibliche X-Chromosom enthält, wird das Geschlecht durch die Samenzelle bestimmt. Ejakulat Es enthält in der Regel 200 - 500 Millionen Samenzellen, die in einer zähen, grau-weißen Samenflüssigkeit schwimmen und eine Lebensdauer von 4-5 Tagen haben. Der Nährwert eines Ejakulats liegt bei 5 Kalorien, es kann unbedenklich wie Milch geschluckt werden. Ejakulation Durch unwillkürliche Muskelkontraktionen verengt sich der Durchmesser des Samenleiters und treibt dabei die Samenflüssigkeit mit den Spermien hinaus. Embryo Der menschliche Organismus bis zum Ende der 12. Schwangerschaftswoche. Empfängnis Aus der Vereinigung von männlichen und weiblichen Geschlechtszellen entsteht eine neue Zelle, die Zygote, die sich in mehreren Schritten zu

einem hohlen Zellenball teilt, der Blastozyste, die sich schließlich in der Innenwand der Gebärmutter einnistet. Empfängnisverhütung 1) Verhinderung des Reifens und Freisetzens einer Eizelle in den Ovarien: s. ovulationshemmende Pille 2) Verzicht auf Koitus bei vorhandener reifer Eizelle: s. Rhythmusmethode, Kalendermethode 3) Fernhalten der Spermien von der Vagina: s. Koitus interruptus, Präservativ 4) Abschneiden des Weges lebensfähiger Spermien in die Gebärmutter: s. Spermizide, Pessar, Diaphragma 5) Verhinderung der Implantation einer befruchteten Eizelle: s. Intrauterinpessar, Pille danach 6) Sperrung des Weges einer Eizelle durch den Eileiter: s. Tubenligatur 7) Verhinderung, dass Ejakulat Samenzellen enthält: Vasektomie Endorphine Eine Reihe von Peptiden, also aus Aminosäuren aufgebaute und durch Peptidbildung verknüpfte lineare Moleküle, die im Gehirn gebildet werden und eine opiatähnliche Wirkung haben. Entjungferung Das Zerstören des Hymens (Jungfernhäutchens), ein häufiger Sportunfall, für Männer die scheinbare Gewissheit, mit einer Frau zu verkehren, die noch keinen vaginalen Geschlechtsverkehr hatte und daher noch nicht schwanger ist. Epidermis Die oberste Schicht der tierischen und menschlichen Haut. Erektion (Lat. erigere = aufrichten) Das Aufrichten und Anschwellen des Penis bzw. der Klitoris durch Blutzufuhr in deren Schwellkörper. Die Erektion ist ein Reflex, der durch Berührung (da viele der einer Erektion zugrunde liegenden neuronalen Schaltkreise sich nicht im Gehirn, sondern im Rückenmark befinden, funktioniert dies auch bei Querschnittsgelähmten) und/oder durch Vorstellung, Wahrnehmung ausgelöst wird. Beim Mann währt der Geschlechtstrieb häufig länger als die Fähigkeit zur Erektion. Erogene Zone (Griech. eros = Liebe, -genes = entstehen lassend) Körperzonen mit besonders vielen Nervenendigungen: beim Mann die Eichel, bei der Frau die Klitoris und die kleinen Schamlippen, bei beiden Geschlechtern der Anus, das Gesäß, die Innenfläche der Oberschenkel, Brüste, Nacken, Mund, Ohren.

Eros Liebesgott der Griechen, galt den einen als ältester, anderen als jüngster und allen als schönster Gott. Nur Platon mochte ihn nicht, hielt ihn für einen Dämon. Erotophonie Lustgewinn durch das Führen unerbetener obszöner Telefongespräche. Eugenik Erbgesundheitslehre. Ende des 19. Jh. vom Briten F. Galton begründet wurde die Eugenik zu der Zeitgeistwissenschaft, bis sie ihre konsequente Anwendung durch die Nationalsozialisten hoffentlich endgültig diskreditierte. Exhibitionismus Das Entblößen der eigenen Geschlechtsteile gegenüber einem nichtsahnenden Fremden, wobei der Lustgewinn aus dessen Erschrecken kommt. § 183 StGB nimmt Frauen von der Strafandrohung aus. Feigwarzen Warzen an den Geschlechtsorganen, deren näherem Umfeld oder am Anus. Die Virusinfektion ist einfach und erfolgreich zu behandeln. Fellator Mann, der an einem Penis saugt, ihn leckt. Fellatrix Frau, die an einem Penis saugt, ihn leckt. Fetischismus Sexueller Lustgewinn durch leblose Objekte, bei Frauen sehr selten. Fernsehvoyeurismus Der Fernsehapparat als Guck- und Schlüssellochersatz u.a. zur sexuellen Erregung und masturbatorischen Befriedigung genutzt. Fötus (Lat. fetus = Nachkomme) Der menschliche Organismus vom vierten Monat bis zur Geburt. Follikel Erbsengroße Bläschen in der Rinde des Eierstocks, gefüllt mit einer klaren Flüssigkeit. Ca. alle vier Wochen (zwischen zwei Menstruationen) platzt an der Oberfläche ein Follikel und gibt ein Ei frei. Der entleerte Follikel saugt sich mit Blut voll und entwickelt sich zu einer Hormondrüse. Bei einer Befruchtung des Eis bleibt sie während der ganzen Schwangerschaft erhalten, andernfalls zerfällt sie bei der nächsten Menstruation zu einer weißlichen Narbe. Freier Ursprünglich Brautwerber, heute Kunde einer Prostituierten.

Frigidität Sozial vermittelte Unfähigkeit der Frau, Wollust, besonders den Orgasmus zu erleben, als pauschalisierender Begriff lange für fast alle sexuellen Störungen der Frau benutzt. Frotheurismus Berühren und Sich-Reiben an Personen, die dem nicht zugestimmt haben; die illegale Variante des Kuschelsex. Fut Bis ins 16. Jh. gebräuchliche und moralisch unbelastete Bezeichnung für das weibliche Geschlechtsorgan, seit dem 14. Jh. auch für eine Frau allgemein. Seine ordinäre, verächtliche Bedeutung erhielt der Begriff erst in der Neuzeit, wobei er zunehmend durch das Schimpfwort "Fotze" ersetzt wurde. Gebärmutter (Griech. Hystera, lat. uterus). Die Gebärmutter nimmt die durch die Eileiter kommenden befruchteten Eier auf, versorgt sie in der embryonalen Entwicklung und stößt die reife Frucht bei der Geburt aus. Das muskuläre, ca. 7 cm lange Organ liegt in der Mitte des Unterleibs, sein unterer Teil reicht in das Innere der Vagina hinein. Durch diese kleine Öffnung (Muttermund) können in einer kurzen Phase um den Eisprung herum Samenzellen aus der Scheide in die Gebärmutter gelangen, ansonsten ist die Öffnung durch einen zähen Schleimpfropfen verschlossen. Genitalien (Lat. genitalia = Zeugungsorgan) Unzulänglicher Begriff für die Geschlechtsorgane, der die Zeugungsfunktion betont und die Lustfunktion unterschlägt. Genitalkanäle Paarweise angelegte Kanäle, die Spermien transportieren: Nebenhoden (ca. 6 m lang, zum Knäuel geformt). Auf ihren mehrwöchigen Weg entwickeln hier die Samenzellen die Fähigkeit, sich selbst fortzubewegen. Samenleiter: Das Ende dieses Ganges bildet eine Art Beutel (Ampullae), in dem die Samenzellen gespeichert werden. Noch sind sie relativ unbeweglich, erst die Bildung von Samenflüssigkeit macht sie mobil. Durch die Vorsteherdrüse gelangen sie in die Harnröhre, wobei Muskeln die gleichzeitige Ausscheidung von Harn und Samen verhindern. Gerontophilie Geschlechtlicher Umgang mit alten Menschen. Geschlecht 1. Chromosomales Geschlecht Jede Zelle des menschlichen Körpers hat 23 Paar Chromosomen, die bis auf ein Chromosomenpaar des Mannes gleichförmig sind. Dieses eine Paar

besteht beim Mann aus einem (weiblichen) X- und dem singulären (männlichen) Y-Chromosom. Nur die Eizellen der Frau und die Spermien des Mannes tragen einen halben Chromosomensatz in sich, so dass bei einer Befruchtung der Eizelle das auf jedem Fall (weibliche) X-Chromosom der Frau mit einem X- oder einem Y-Chromosom des Mannes ein neues Chromosomenpaar bildet, nur im letzten Fall entsteht mit sehr seltenen Ausnahmen ein chromosomal männliches Lebewesen. Es hat den Anschein, als würden bei den Spermien die männlichen YChromosomen überwiegen, zumindest beträgt das Geschlechtsverhältnis von Knaben zu Mädchen bei der Empfängnis ca. 130 zu 100. Offenbar aber sind männliche Föten weniger überlebensfähig, da sich bis zur Geburt das Verhältnis auf 106 zu 100 fast ausgleicht. 2. Gonadales Geschlecht Der menschliche Embryo, der sich zunächst kaum von Embryonen anderer Säugetiere unterscheidet, ist in den ersten Wochen immer weiblich oder wie sich viele Wissenschaftler lieber ausdrücken - ambisexuell. Ab der 6. Woche entwickeln sich beim männlichen Fötus die Hoden (männliche Gonaden), ab der 12. Woche beim weiblichen Fötus die Eierstöcke (weibliche Gonaden). Entfernt man jedoch diese künftigen Hoden bzw. Eierstöcke vor der Differenzierung, entwickelt sich der Embryo zu einem weiblichen Wesen, dem nur die Eierstöcke fehlen. 3. Hormonales Geschlecht Die Hormone, die von den Hoden und Eierstöcken produziert werden, spielen im Embryonalstadium nur für das männliche Wesen eine Rolle. Androgene (die in viel geringerer Menge auch von weiblichen Körper produziert werden) maskulinisieren die ursprünglich weiblichen Fortpflanzungswege und bilden dabei die 4. Inneren Geschlechtsorgane. Beim männlichen Embryo sind dies zunächst der Samenleiter und die Samenbläschen. Ein weiteres männliches Hormon lässt die Vorform der weiblichen inneren Geschlechtsorgane (Gebärmutter und Eileiter) verkümmern. Fehlen diese hormonellen Einflüsse, entstehen in jedem Fall weibliche Organe. Das weibliche Geschlecht ist daher das fundamentale, ursprüngliche. Ist ein vom Chromosomensatz her männlicher Fötus androgenresistent, findet keine vorgeburtliche Maskulinisierung statt, an Stelle des Penis entsteht eine Klitoris, an Stelle des Hodensacks Schamlippen. Nach der Geburt eines solchen Mädchens mit inneren Hoden statt Eierstöcken genügt die geringe männliche Produktion des weiblichen Hormons Östrogen für eine fast normale weibliche Pubertät, allein die Menstruation bleibt aus.

5. Äußere Geschlechtsorgane Gegen Ende des 3. Schwangerschaftsmonats entwickeln sich beim männlichen Fötus durch Hormonsteuerung Penis und Hodensack. Die bereits im Unterleib existierenden Hoden wandern später in den Hodensack. Ohne hormonellen Einfluss entstehen die weiblichen äußeren Geschlechtsorgane, Klitoris, innere und äußere Schamlippen. 6. Zugewiesenes/anerzogenes Geschlecht Zum Zeitpunkt der Geburt dürfte das psychische Geschlecht undifferenziert sein. Wie ein Kind jede nur denkbare Sprache erlernen kann, kann es jede nur mögliche Form menschlichen Sexualverhaltens und Rollenverständnisses annehmen. So berichten Money und Erhardt die Lebensgeschichte eineiiger Zwillinge. Dem einen wurde bei der Beschneidung versehentlich der Penis abgebrannt. Auf Anraten der Ärzte erzogen die Eltern den Jungen als Mädchen, steckten ihn mit 17 Monaten erstmals in Mädchenkleider, frisierten ihn wie ein Mädchen, gaben ihm einen Mädchennamen. Mit 21 Monaten wurde begonnen, seine Genitalien operativ umzuwandeln. Bald zeigte sich, dass dieser umdefinierte Junge braver und ordentlicher war als sein Zwillingsbruder. (Spätere Berichte lassen allerdings vermuten, dass das Kind die weibliche Geschlechtsidentität nur partiell angenommen hat.) Es gibt wohl kein geschlechtskonformes, nur ein rollenkonformes Verhalten, das auch von fortschrittlichen Eltern gegen ihre bewusste Erziehungsideologie vermittelt wird: Mütter stillen männliche Säuglinge pro Tag länger, stimulieren sie mehr durch Berührung und Bilder (aufmerksam machen), wogegen sie weibliche Babys häufiger imitieren. Jungen werden häufiger an der Brust gestillt als Mädchen und müssen ihre Milch weniger schnell trinken, Mädchen werden früher entwöhnt: "Schon die Mutter akzeptiert in ihrem Neugeborenen den Mann und gesteht ihm seinen eigenen Willen zu, bricht jedoch diesen eigenen Willen beim Mädchen." (Ursula Scheuch) Unzählige weitere Klassifizierungsbeispiele (akustische/optische Stimulation, längere/kürzere Schlafenszeiten, gründliche/lässige Sauberkeitserziehung, rosa/blaue Kleidung, Mädchenund Jungenspielzeug) machen erst aus Kindern Mädchen und Jungen. Wenn vierjährige Mädchen zweiteilige Badeanzüge tragen, ist dies genauso wenig natürlich wie vierjährige Jungen, die ihr Weinen unterdrücken, weil ein Indianer angeblich keinen Schmerz kennt. 7. Geschlechtliche Selbstidentifizierung Bis zum Alter von vier Jahren haben Kinder die ihnen zugewiesene Geschlechterrolle in der Regel so weit verinnerlicht, dass sie sich selbst unwiderruflich als männlich oder weiblich identifizieren, auch wenn sie -

weil es für sie weniger wichtig ist als Freud meinte - männliche und weibliche Geschlechtsorgane noch verwechseln. Manche Wissenschaftler vermuten sogar, die Geschlechtsidentität könne während der ganzen Kindheit flexibel bleiben und würde erst durch Hormonschübe in der Pubertät unwiderruflich festgelegt. Geschlechtskrankheiten - Gonorrhoe (Tripper) - Syphilis - Candidose - Trichomoniasis - Feigwarzen - Herpes simplex Geschlechtsorgane männlich Äußere Geschlechtsorgane: - Penis - Hodensack Innere Geschlechtsorgane: - Hoden - Genitalkanäle - Samenblasen - Vorsteherdrüse (Prostata) - Bulbourethraldrüsen Geschlechtsorgane weiblich Äußere Geschlechtsorgane: - Venushügel (Mons Veneris) - Große Schamlippen (Labia maiora) - Kleine Schamlippen ( Labia minora) - Kitzler (Klitoris) - Scheideneingang Innere Geschlechtsorgane - Eierstöcke (Ovarien) - Eileiter - Gebärmutter (Uterus) - Scheide (Vagina) Geschlechtsverkehr Ob ein Geschlechtsverkehr manuell, oral, genital oder anal ausgeführt wird, die körperlichen Vorgänge sind gleich. Der Geschlechtsverkehr eines heterosexuellen Paares wird daher nur als häufigste Form partnerschaftlichen Verkehrs beschrieben, nicht als Norm. Auch gibt es keine "natürlichen" Bewegungen beim Geschlechtsverkehr, nur erlernte Reaktionen. Der Koitusstellung kommt daher keine normative, nur eine beispielhafte Bedeutung zu. Mann: Berührungen, Anblicke, Phantasien, Erinnerungen, Gerüche oder Töne können einen Mann sexuell erregen, wenn mit ihnen angenehme

Erfahrungen assoziiert werden und die hormonellen sowie sozio-kulturellen Bedingungen seinen Erfahrungen entsprechen. Nur die direkte Berührung erogener Zonen kann - sogar bei Querschnittsgelähmten - auch unabhängig von diesen Bedingungen eine sexuelle Erregung hervorrufen. Der Ablauf sexueller Reaktionen unterscheidet sich kaum von dem Ablauf bei einer Frau. Im Anfangsstadium kann die sexuelle Erregung durch äußere Einflüsse gestört werden, aber da beim Mann die Stimulierung nicht kontinuierlich erfolgen muss, ist ein Erregungszustand jederzeit wieder hervorrufbar. Allmählich schwinden Selbstkontrolle und Hemmungen. Durch das Anfüllen seiner drei Schwellkörper mit Blut eregiert der Penis, die Muskulatur des Hodensacks zieht sich zusammen, die Hoden werden durch Muskeln der Samenstränge aufwärts zur Bauchhöhle gezogen. Mit der Erregung steigt die Muskelspannung, Pulsfrequenz und Blutdruck erhöhen sich (ohne jemals gesundheitskritische Werte zu erreichen), eventuell rötet sich die Haut. Ablenkungen verlieren an Wirksamkeit, die Atmung wird schneller. Der Penis verändert sich kaum. Die intensivste Stimulierung erlebt der Mann an der Eichel durch direkte Berührung oder indirekt durch das Vor- und Zurückziehen der Vorhaut. Die Hoden werden dicker und noch mehr an den Unterleib herangezogen. Ein paar Tropfen klarer (gelegentlich bereits samenhaltiger) Flüssigkeit treten aus der Harnröhre aus. Die Spermien in ihrer Samenflüssigkeit sammeln sich in Samenbläschen und Ampullen. Mit Beginn des Orgasmus wird die Samenflüssigkeit in den Harnleiter und den nahe der Peniswurzel befindlichen Bulbus urethrae gedrückt, der sich um das Doppelte vergrößert. Rhythmische, unwillkürliche Kontraktionen der Genitalgänge und dazugehörigen Organe (Samenleiter, Samenblase, Prostata), der Urethra sowie der Muskeln an der Peniswurzel und im Penis selbst leiten den Orgasmus ein. Die ersten drei oder vier Kontraktionen erfolgen in Abständen von 4/5 Sekunden, danach schwächer werdend in längeren Abständen. Die Kontraktionen schleudern den Samen durch die Harnröhre heraus, dies ist das deutlichste, wenn auch nicht notwendige Zeichen für einen Orgasmus. (Bis zum Erreichen der Geschlechtsreife z.B. orgasmen Jungen ohne Ejakulation.) Die Schließmuskel der Harnröhre und des Anus kontrahieren im gleichen Rhythmus wie die Geschlechtsorgane. Es kommt zu einer starken Muskelanspannung, noch einmal steigen Blutdruck und Pulsfrequenz, bis ein plötzliches krampfartiges Nachlassen der Anspannung (das eigentliche Zeichen eines Orgasmus) die Erregungssteigerung beendet. Die Rückkehr zum nichterregten Zustand vollzieht sich proportional zur Dauer der Erregungsphase. Unmittelbar nach der Ejakulation lässt die Erektion des Penis ein wenig nach, aber er bleibt relativ steif und um die

Hälfte größer als im Ruhezustand. Die Resterektion klingt nur langsam, durch Störungen allerdings beschleunigt ab. Unmittelbar nach dem Orgasmus tritt eine Phase sexueller Reizunempfindlichkeit ein, die bei Jungen nur sehr kurz dauert. Frau Berührungen, Anblicke, Phantasien, Erinnerungen, Gerüche oder Töne können eine Frau sexuell erregen, wenn mit ihnen angenehme Erfahrungen assoziiert werden und die hormonellen sowie sozio-kulturellen Bedingungen ihren Erfahrungen entsprechen. Nur die direkte Berührung erogener Zonen kann - z.B. bei einer Querschnittsgelähmten - auch unabhängig von diesen Bedingungen eine sexuelle Erregung hervorrufen. Der Ablauf sexueller Reaktionen unterscheidet sich kaum von dem Ablauf bei einem Mann. Im Anfangsstadium kann die sexuelle Erregung leichter gestört werden als beim Mann, auch muss die Stimulierung kontinuierlich erfolgen. Viele Frauen beklagen eine zu kurze Stimulierung. Frauen erreichen den Höhepunkt langsamer, weil wegen des ausgedehnten Venennetzes eine weitaus größere Menge Blut in die Zellzwischengewebe gepumpt werden muss. Etwa 10 - 20 Sekunden nach dem Beginn einer sexuellen Erregung wird die Vagina durch eine klare, von der Scheidenwand abgesonderte Flüssigkeit feucht. Diese Flüssigkeit, deren Menge nicht von der Stärke, nur der Dauer der Stimulierung abhängt, verteilt sich als Feuchtigkeitsfilm über die Scheidenoberfläche. Die inneren zwei Drittel der Vagina beginnen sich leicht aufzublähen, die Farbe der Scheide wechselt von hell- zu dunkelrot. Bei einer Frau, die noch nicht geboren hat, flachen sich die großen Schamlippen ab und legen so die Scheidenöffnung frei. Bei einer Frau, die bereits geboren hat, schwellen die ohnehin größeren Schamlippen noch mehr an und legen so die Scheidenöffnung frei. Unabhängig von Geburtserfahrungen schwellen die kleinen Schamlippen auf das zwei- bis dreifache ihrer Größe an, röten sich, verlängern das Vaginalrohr und bilden eine Art Trichter, der den Penis in die Scheidenöffnung leiten kann. Bei ca. der Hälfte aller Frauen wächst die Klitoris proportional zur Zunahme der kleinen Schamlippen durch das Füllen der Schwellkörper mit Blut an, wenn die Monsgegend unmittelbar gereizt wird. Bei allen Frauen vergrößert sich der Schaftdurchmesser. (Ohne Orgasmus hält dieser Blutstau in der Klitoris mehrere Stunden an.) Der Uterus schwillt an, zieht sich in den Unterleib zurück und verlängert dadurch die Vagina. Die Brustwarzen eregieren, die Brustwarzenhöfe und die Brüste werden bis um ein Viertel größer. Mit der Erregung steigt die Muskelspannung, Pulsfrequenz und Blutdruck erhöhen sich (ohne jemals gesundheitskritische Werte zu erreichen), eventuell rötet

sich die Haut. Ablenkungen verlieren an Wirksamkeit, die Atmung wird schneller. Durch Auffüllen mit Blut verengt sich die Wand des äußeren Vaginadrittels zur "orgastischen Manschette", die kleinen Schamlippen intensivieren ihre rote Färbung. Die Klitoris zieht sich unter ihre Vorhaut zurück. Während des Koitus wird die Klitoris nicht durch einen direkten Kontakt mit dem Penis stimuliert, sondern durch die Reibung an ihrer eigenen Vorhaut, die - stellungsunabhängig - von Penisstößen nach unten gezogen wird und beim Zurückziehen des Penis jeweils in ihre Normallage zurückkehrt. (Der von Freud und seinen Schülern geforderte Vaginalorgasmus ist also nur in indirekter Klitorisorgasmus.) Auch beim Reiben der Monsgegend wird die Vorhaut rhythmisch über die Glans vor und zurückgezogen. Eventuell tritt etwas Flüssigkeit aus der BartholinDrüse aus. Der Uterus wird noch mehr in den Unterleib hineingezogen und größer. Rhythmische Kontraktionen im vorderen Drittel der Vagina und ein Zusammenziehen des Uterus leiten den Orgasmus ein, eventuell begleitet von den Austritt eines Sekrets aus den urethralen Drüsen. Die ersten drei oder vier Kontraktionen erfolgen in Abständen von 4/5 Sekunden, danach schwächer werdend in längeren Abständen. Stoßbewegungen des Penis erzeugen eine weitere klitoridale Stimulierung während des Orgasmus, umgekehrt hört der Orgasmus sofort auf, wenn die Stimulierung aufhört. Die Kontraktionen des Uterus und des Afterschließmuskels werden bei der Masturbation oft stärker empfunden als beim Koitus. In jeden Fall kommt es zu einer starken Muskelanspannung, noch einmal steigen Blutdruck und Pulsfrequenz, bis ein plötzliches krampfartiges Nachlassen der Anspannung die Erregungssteigerung beendet. Anders als im Kino verhält sich eine Frau, die nichts vorspielt, beim Orgasmus steif und verkrampft und ruhig. Der Orgasmus einer Frau ist variantenreicher als beim Mann (kurz/sanft lang/heftig) und schneller wiederholbar. Je mehr Orgasmen sie erlebt, desto stärker werden sie. Nach dem Orgasmus lässt der Blutstau im äußeren Drittel der Scheide rasch nach, die großen und kleinen Schamlippen kehren zur ursprünglichen Form zurück (ohne Orgasmus bzw. bei Müttern kann diese Rückbildung allerdings mehrere Stunden dauern), die Klitoris tritt innerhalb von 5 - 10 Sekunden wieder unter ihrer Vorhaut hervor (bleibt aber noch für Minuten extrem empfindlich), der Uterus sinkt kleiner werdend in das kleine Becken zurück, nach 5 - 8 Minuten werden die hinteren zwei Drittel der Vagina wieder enger, wodurch der Muttermund in den Samenteich taucht, Brust und Brustwarzen kehren langsam in den Ruhezustand zurück. Die Reizunempfindlichkeit nach dem Orgasmus ist weniger ausgeprägt als beim Mann.

Die psychische Wirkung des Orgasmus beruht auf einer als angenehm empfundenen Lösung extremer Anspannung durch ein kurzes dem ÜberIch Entkommen. Geschlechtsverkehr während der Menstruation Der geschlechtliche Umgang mit einer menstruierenden Frau war in den meisten Kulturen zu fast allen Zeiten verboten, obwohl das Verbot medizinisch nicht begründet werden kann. Glans (Dt. Eichel). Das kegelförmige, von Gefäßen durchzogene, äußerst sensible vorderste Ende des Penis und der Klitoris. Gonorrhoe Der Tripper, die am weitesten verbreitete Geschlechtskrankheit, wird von Bakterien verursacht (Gonokokken), die sich auf den Schleimhäuten der Geschlechtsorgane, des Mund- und Rachenraumes und des Rectums vermehren. Symptome: Brennen beim Wasserlassen, Ausfluss, Halsschmerzen (nach Oralverkehr); Jucken, Brennen oder Bluten, gelblicher Ausfluss, Schmerzen am Anus (nach Analverkehr). Bei frühzeitiger ärztlicher Behandlung problemlos innerhalb weniger Tage heilbar. Gräfenberg-Zone 1950 erstmals beschriebene sexuell reizempfindliche Stelle etwa in der Mitte der Vagina, die mit dem Finger durch die Vorderwand hindurch gefühlt werden kann. Kräftiges Reiben dieser Stelle ruft ein vorübergehendes Harndranggefühl hervor, das in ein sexuelles Lustgefühl übergeht. Das stimulierte Gebiet schwillt an bis zu einer eiförmigen Ausdehnung von ca. 1,5 x 2 cm. Bei der sexuellen Stimulierung dieser Zone wurde vielfach die Ejakulation einer Flüssigkeit (nicht Urin) aus der weiblichen Harnröhre beobachtet. Gruppenehe Eheform, in der mehrere Männer mit mehreren Frauen zusammenleben. Harnröhre (Gr. Urethra) Die männliche Harnröhre ist zugleich Weg für den Samen, die sehr kurze weibliche Harnröhre mündet in den Scheidenvorhof. Hermaphroditismus Das gleichzeitige Auftreten männlicher und weiblicher Geschlechtsmerkmale. Hermaphroditos, Sohn des Hermes und der Aphrodite, wies als prüder Jüngling die Liebe einer Nymphe zurück. Daraufhin umarmte ihn diese so leidenschaftlich, dass sie miteinander verschmolzen.

Herpes simplex Viruserkrankung, bei der ein Virusstamm Haut und Mundschleimhaut, ein anderer vor allem die Geschlechtsorgane befällt. Genitale Herpes verursacht kleine, schmerzhafte Geschwüre an den Genitalien oder am Anus. Da auch nach dem Abheilen ein erneuter Befall möglich ist, sollte ein Arzt zur Behandlung dieser ungefährlichen, doch lästigen Krankheit herangezogen werden. Hetäre (Griech., Gefährtinnen, Freundinnen) Oft hochgebildete und auch politisch einflussreiche Gespielinnen wohlhabender Griechen. Berühmte Hetären waren Aspasia (die zweite Gattin des Perikles), Lais (die Freundin des Demosthenes), Thais (Geliebte Alexanders des Großen), Phryne (Geliebte des Praxiteles). Hoden Zwei ovale Körper von ca. 4cm Länge produzieren Samenzellen und Hormone. Die Produktion von Samenzellen geschieht (von der Pubertät bis zum Tod) in feinen Hodenkanälchen. Ihre innersten Zellen (Ursamenzelle) verdoppeln sich, die eine tritt an Stelle der alten Zelle, die andere wandert in die Mitte des Kanals. Diese Primärspermatozyten halbieren sich, so dass zwei neue Zellen mit nur mehr je 22 Chromosomen und einem X- oder einem Y-Chromosom entstehen. Beide Zellen verdoppeln sich, die vier Zellen (also zwei mit einem X-, zwei mit einem Y-Chromosom) werden Spermatiden genannt. Sie bilden lange Schwänze aus (Geißel) und werden zu reifen Samenzellen. Der Vorgang dauert insgesamt 64 Tage. Die Hormonproduktion der Hoden bestimmt die Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale, für die sexuelle Aktivität Erwachsener spielt sie kaum eine Rolle. Hodensack Hauttasche für zwei Hoden und die dazugehörigen Samenwege, die im Samenstrang in die Bauchhöhle führen. Um eine gleichbleibende Temperatur für die Spermienbildung zu sichern, kann sich die Form der Haut und die Lage der Hoden (glatt, locker hängend/ faltig, nahe dem Körper) ändern. Obwohl beide Hoden ungefähr gleich groß sind, hängt der linke Hoden gewöhnlich etwas tiefer. Homophil Physische und psychische Zuneigung zu Partnern des eigenen Geschlechts. Homosexualität In ihrer Ausschließlichkeit relativ seltene Beschränkung sexueller Kontakte auf Partner des eigenen Geschlechts (Männer ca. 4%, Frauen ca. 2%); häufiger eine Vorliebe, für viele Jugendliche eine gelegentliche und normale Erfahrung. Da sowohl die Wahl eines Partners wie der Umgang

mit dem eigenen Körper ausschließlich einem selbst etwas angeht, ist Homosexualität nur das Problem ihrer Verächter. Homosexueller Geschlechtsverkehr Gegenseitiges Masturbieren (fast jeder Junge hat damit homosexuelle Erfahrungen gemacht), Oralverkehr (Fellatio unter Männern, Cunnilinctus unter Frauen), Analverkehr (mit hoher Verletzungsgefahr). Hormon Der Begriff wurde konstruiert aus dem griechischen Wort hormao = ich treibe an, errege. Hormone sind Stoffe, die durch Drüsen in das Blut abgegeben werden und einzelne Organe gezielt in ihrer Tätigkeit beeinflussen. Weibliche Geschlechtshormone: Follikelhormon Östron, Östriol, Östradiol. Sie bereiten die Schleimhaut der Gebärmutter durch Dickenwachstum vor, Progesteron bereitet die Gebärmutter für die Eiaufnahme nach der Befruchtung vor. Männliche Geschlechtshormone (Androgene): Das Hormon Testosteron steuert die schrittweise Umwandlung des in seiner Anlage weiblichen Körpers zu Männlichkeit. Bei Affenweibchen und wohl auch Frauen regen Androgene die Kopulationslust vor dem Eisprung an. Hypothalamus Unterabschnitt des Zwischenhirns Immissio penis Eindringen des Penis in die Vagina Impotenz (Lat. impotens = machtlos). a) Die seelisch oder körperlich bedingte Unfähigkeit des Mannes, den Geschlechtsverkehr auszuführen. Ein probates orientalisches Mittel, eine zeitweilige Erektionsfähigkeit zu beheben, ist die Analvioline. Man befestigt an einer Elfenbeinkugel eine Darmsaite und führt die Kugel in den Anus ein. Eine zweite Person spannt die Saite und streicht sie mit einem Geigenbogen, wodurch die Kugel in lustfördernde Vibration gerät. b) Die Unfruchtbarkeit des Mannes. Index In der Katholischen Kirche seit 1559 das Verzeichnis der verbotenen Bücher. Indikationsregel In Deutschland darf eine Schwangerschaft nur aus zwingenden sozialen, medizinischen oder kriminologischen Gründen (Indikationen) unterbrochen werden.

Infibulation Operation zur Verhinderung des Geschlechtsverkehrs durch das Verschließen der männlichen Vorhaut oder der kleinen Schamlippen mit Draht oder einem eingezogenen Ring. Inquisition In der Katholischen Kirche Institution zur Verfolgung und Bestrafung ketzerischer oder irrgläubiger Katholiken, eingerichtet 1184, seit 1252 mit dem Recht zur Folter ausgestattet. Das letzte Todesurteil der Inquisition wurde 1781 in Spanien vollstreckt. Intrauterinpessar In die Gebärmutter gelegter Gegenstand aus Metall oder Plastik, der aus noch nicht geklärten Gründen das Einnisten eines befruchteten Eis in die Uterusschleimhaut verhindert. Intrauterinpessare (Spiralen) können ohne Unterbrechung jahrelang getragen werden und gelten als recht zuverlässig. Inzest Das Verbot jedes geschlechtlichen Umgangs mit Verwandten ist eine der ältesten Kulturleistungen der Menschheit. Eine biologische Begründung scheint unsinnig, schließlich stammt die Menschheit aus einem Inzest; Verwandtschaftsehen z. B. in Ägypten führen nicht zu vermehrter Degeneration. Die griechischen Götter waren oft mit einer Schwester verheiratet (Zeus mit Hera), und in der Antike wurde das Inzestverbot gelegentlich aus ökonomischen Gründen durchbrochen, um ein Erbe ungeteilt erhalten zu können. Der Sinn des Inzestverbotes dürfte im Zwang liegen, den eigenen Clan verlassen zu müssen und so die Beziehungen zu erweitern, statt in die isolierte Selbstgenügsamkeit zu verfallen. Jakobiner Mitglieder des wichtigsten politischen Klubs der französischen Revolution. Die Jakobiner radikalisierten sich im Sommer 1791 und übten bis 1794 eine diktatorische Herrschaft aus. Jungfernhäutchen Als Beweis der Jungfräulichkeit ist das Jungfernhäutchen (der Hymen) sehr unzuverlässig: Für gewöhnlich hat es so dehnbare Löcher, dass ein Finger oder Penis eingeführt werden kann, ohne es zu zerreißen. Manche Frauen besaßen überhaupt kein Hymen. Der Zweck des Jungfernhäutchens ist unbekannt, Moralapostel schätzen den Schmerz beim Zerreißen, weil er Jungfrauen vor einer zu schnellen Hingabe bewahren könne. Jungfrau Ihr Status ist abhängig von einem intakten Hymen. Jungfräulichkeit bietet dem Mann die größtmögliche Gewissheit, dass er sich sexuelle keinem Vergleich aussetzt und Vater eines aus der Vereinigung entstehenden

Kindes ist. Kinsey: "Das Gebot, dass die Frau bei ihrer Eheschließung Jungfrau sein musste, entsprach der Forderung, dass Vieh oder andere Waren, die der Mann kaufte, vollkommen sein sollten, nach den Maßstäben der Kultur, in der er lebte." (In Afrika und weltweit unter Bauern wird die Jungfräulichkeit allerdings weit weniger hoch geschätzt als die Fruchtbarkeit einer Frau.) Da es bei der Jungfernschaft vor allem um die Ausschließung des vaginalen Geschlechtsverkehrs geht, werden alle anderen, auch orgasmusfähigen Arten geschlechtlichen Umgangs stillschweigend toleriert. Nur die französische Sprache kennt eine eigene Bezeichnung für die sexuell erfahrene Jungfrau, die demi-vierge (Halbjungfrau). Kalendermethode (Knaus-Ogino) Nach mindestens achtmonatigem Beobachten und Notieren des Menstruationszyklus kann eine Frau ihre fruchtbaren Tage annähernd berechnen. Vom kürzesten gemessenen Zyklus (Beginn einer Menstruation bis zum Beginn der nächsten) müssen 18 Tage abgezogen werden, um den ersten unsicheren Tag, vom längsten Zyklus elf Tage, um den letzten unsicheren Tag zu bestimmen. (Z. B.: Kürzester Zyklus = 26 Tage, längster = 30 Tage, unsicher vom 8. bis zum 19. Tag des aktuellen Zyklus) Kastration Das Ausschalten der Keimdrüsen (Hoden, Eierstöcke) im Unterschied zur Sterilisation, bei der nicht die Hormonproduktion, nur die Ausführungsgänge der Geschlechtsdrüsen unterbrochen werden. Wird eine Kastration beim Mann vor der Pubertät ausgeführt, bleiben sämtliche männliche Geschlechtsmerkmal aus. Kastration bei Frauen verändert weniger die Persönlichkeit, bringt nur die Tätigkeit der Eierstöcke zum Erliegen. Kastratenrolle Da eine vorpubertäre Kastration auch die Kehlkopfentwicklung bei Männern verhindert, bleibt die Alt-Sopranlage der Knabenstimme erhalten. Vom 16. bis ins 19. Jh. in der Oper, bis ins 20. Jh. im Kirchenchor waren Kastraten gesuchte Sänger, für die besondere Rollen geschrieben und komponiert wurden, u. a. noch von Mozart. Kastrierende Scheide Die männliche Wahnvorstellung einer mit Zähnen ausgestatteten Vagina, die den eingedrungenen Penis (ab)beißen könnte. Keuschheitsgürtel Abschließbare Vorrichtung aus Leder oder Metall, die Ausscheidungen ermöglicht, aber das Einführen eines Penis in die Vagina verhindert. Die ältesten Hinweise auf einen Keuschheitsgürtel finden sich in der griechischen Mythologie, das jüngste Patent in Deutschland wurde 1903

Frau Emilie Schäfer erteilt für ihr "Verschließbares Schutznetz für Frauen gegen uneheliche Untreue". Kindersexualität Bereits im Mutterleib haben Kinder sexuelle Empfindungen: männliche Embryonen lutschen an ihrem Penis und haben Erektionen. Obwohl Orgasmen schon bei Mädchen im Alter von wenigen Monaten beobachtet wurden, spielen die meisten Babys im ersten Lebensjahr nur mit ihren Genitalien, erst im zweiten Lebensjahr erreichen sie den Orgasmus durch Selbstbefriedigung, wobei Kinsey feststellte: "Es gibt Zweijährige, die in weniger als zehn Sekunden zum Orgasmus kommen und Zweijährige, die zehn oder zwanzig Minuten oder noch länger brauchen." Kinderorgasmen - bei vorpubertären Jungen wurden bis zu 21 hintereinander beobachtet - entsprechen bis auf das Ausbleiben der Ejakulation Erwachsenenorgasmen: "Ein zorniges Kleinkind wird bei beginnender sexueller Reizung ruhig, wird von anderen Betätigungen abgelenkt, beginnt rhythmische Beckenstöße, spannt seine Muskeln an, wenn der Orgasmus sich nähert, und gerät schließlich in konvulsive Bewegung, oft mit heftigen Arm- und Beinbewegungen im Augenblick des Orgasmus, wobei es manchmal weint. Nach der Klimax verliert sich die Erektion schnell, und das Kind versinkt in die friedliche Ruhe, die typischerweise dem Orgasmus des Erwachsenen folgt." Bis ins 17. Jahrhundert bei uns und bis vor kurzem noch bei asiatischen Völkern masturbierten Eltern ihre Kleinkinder, um sie zu beruhigen oder ihnen eine Freude zu machen. Der ebenso konservative wie populäre amerikanische Kinderarzt René A. Spitz stellte 1946 fest: "Im ersten Lebensjahr besteht eine positive Entsprechung zwischen dem Spiel mit dem Genitale und dem Entwicklungsquotienten eines Kindes einerseits, zwischen dem Spiel mit dem Genitale und der Güte der bestehenden Mutter-Kind-Beziehung andererseits." Spitz wagte es damals allerdings nicht, diese Beobachtung zu veröffentlichen, gelten doch Kinder seit dem 17. Jh. als asexuelle Unschuldswesen. Der Puritaner John Earle 1628: "Das Kind ist die genaue Abbildung Adams, ehe er von Eva oder dem Apfel kostete." Davor waren Probleme mit der kindlichen Sexualität unbekannt, weil es keine Kindheit gab, nur kleine Menschen mit sich entwickelnden Fähigkeiten, denen, solange sie zur Fortpflanzung unfähig waren, keinerlei sexuelle Beschränkungen auferlegt wurden. Viele Liebespaare der Literaturgeschichte waren Minderjährige: Eros und Psyche, Acis und Galatea, Pyramos und Thysbe, Daphne und Cloe, Romeo und Julia, Gretchen. Helena verließ im Alter von 12 Jahren ihren Gatten Menelaos, um Paris nach Troja zu folgen, und heute säßen fast alle griechischen Götter im Gefängnis wegen Verführung Minderjähriger.

Kitzler - Klitoris Kleptolagnie Sexueller Lustgewinn durch Stehlen Klimakterium (griech. klimakter = Leitersprosse) Körperliche und psychische Veränderung mit Beginn der Menopause. Die hormonelle Umstellung kann Kopfschmerzen, Schwindelgefühle, Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Depressionen, plötzliche Hitzeempfindung, Frieren, Schweißausbrüche bewirken. Das Klimakterium dauert meist nicht länger als zwei Jahre. Klitoris (Griech., kleiner Hügel) Die Klitoris, ein kurzes zylindrisches Organ am Zusammenwuchs der kleinen Schamlippen, besteht hauptsächlich aus zwei Schwellkörpern. Sichtbar sind nur der klitoridale Schaft und die hochempfindliche Glans, zusammen umfassen sie aber nur ein Zehntel des Gesamtvolumens der Klitoris. Obwohl sensitiv vergleichbar dem Penis reagiert sie im Erregungszustand konträr; sie tritt nicht hervor, sondern zieht sich hinter ihre Vorhaut zurück. Im Ruhezustand misst die Klitoris 2 2,5 cm, erigiert 3 cm, in seltenen Fällen kann sie mit einer Länge von 8cm fast Penisgröße erreichen. Kohabitation Begattung. Von vornehmen Leuten irrtümlich auch für Geschlechtsverkehr gebrauchte Bezeichnung. Koitus interruptus Älteste, doch sehr unsichere Methode zur Empfängnisverhütung: vor der Ejakulation muss der Penis aus der Scheide gezogen werden. Koitusstellung Die Lage der Geschlechter beim Beischlaf spiegelt überall und immer die Klassengesellschaft wider, mystifiziert auch in Asien: "Mann und Frau sollten sich entsprechend ihrer kosmischen Orientierung bewegen. Der Mann sollte von oben stoßen und die Frau von unten empfangen." Kontrazeptiva - Verhütungsmittel Koprophilie Sexueller Lustgewinn durch den eigenen Kot oder den Kot eines Partners, einer Partnerin. Kopulation (Lat. Verbindung) Eigentlich die Verschmelzung zweier einzelliger Individuen durch die Vereinigung ihrer Kerne, häufig gestelzte Umschreibung für den Geschlechtsakt.

Kuppelei Die gewohnheitsmäßige oder eigennützige Begünstigung der Unzucht durch Vermittlung oder Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit wird mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft. Schwere Kuppelei liegt vor, wenn Kuppler und Verkuppelte verheiratet sind. Kurtisane Französischer Ausdruck für Hetäre (Edelnutte) Lesbische Liebe Gleichgeschlechtliche Liebe zwischen weiblichen Personen, angeblich auf der griechischen Insel Lesbos erfunden. Liebestod Der plötzliche Tod beim Geschlechtsverkehr ist wie alles Schöne sehr selten: unter 1% aller Todesfälle. Am wahrscheinlichsten erreichbar ist der Liebestod für ältere Männer, die nach reichlich Essen und Trinken in fremder Umgebung mit einer viel jüngeren Frau eine außerehelich sexuelle Beziehung haben. Manueller Geschlechtsverkehr (Lat. manus = Hand) Beim Petting oder Vorspiel erweisen sich Eichel und Klitoris oft als zu empfindlich für eine direkte Stimulation, angenehmer ist es für viele Frauen, wenn ihr Klitoriskörper und die kleinen Schamlippen liebkost werden (Feuchtigkeit der Vagina oder Speichel verteilen.) Der Penis kann gestreichelt, gewalkt u. s. w. werden, auch hierbei gilt, dass die Beteiligten darüber sprechen sollten, was sie als angenehm empfinden. Die therapeutische Erfahrung zeigt: Wer gelernt hat, sich gegenseitig mit den Händen Lustgefühle und Befriedigung zu schenken, ist gut darauf vorbereitet, jede andere Form des Geschlechtsverkehrs befriedigend auszuüben. Masochismus Lustgewinn aus der Erduldung von Schmerzen, Demütigungen, Ohnmacht. Nach US-amerikanischen Untersuchungen sind 2,5% aller Männer und 4,6% aller Frauen masochistisch veranlagt. Masturbation Die Selbstbefriedigung, zum Lustgewinn auch in der Tierwelt üblich, war im Altertum nur bei jenen Völkern verpönt, die um ihr Überleben kämpften und in der Masturbation eine Vergeudung des zeugungsfähigen Samen sahen. Griechen und Römer dagegen praktizierten Selbstbefriedigung zum Vergnügen, aber auch aus gesundheitlichen Gründen. Ärzte glaubten, dass der männliche Samenvorrat faulen könne und daher regelmäßig ausgestoßen werden müsse: Frauen sollten zur Erhaltung der natürlichen Gesundheit masturbieren oder sich von ihrem Arzt masturbieren lassen.

Der vergebliche Kampf des Christentums gegen die Masturbation knüpfte an das alttestamentarische Verbot der Samenvergeudung an. Daher war es nur konsequent, wenn römische Moraltheologen erklärten, dass Frauen die Sünde der Masturbation gar nicht begehen können, weil sie keinen Samen haben. Die jede Selbstbefriedigung verbietende Lustfeindlichkeit spielte eine untergeordnete Rolle. Bis ins Mittelalter war die Masturbation auch von Kleinkindern durch ihre Eltern üblich, abgesehen von einigen unter dem Enthaltsamskeitsgebot leidenden Theologen sah niemand in der Selbstbefriedigung ein moralisches oder gesundheitliches Problem. Erst der Kapitalismus, repräsentiert durch das Bürgertum, verdammte unter dem Vorwand entsetzlicher Gesundheitsschäden die fälschlich Onanie genannte Masturbation. Es gab fast keine Krankheit, die nicht auf dieses "Laster" zurückgeführt wurde. Zur Rettung der Gesundheit Jugendlicher schreckten Ärzte und Kinderfreunde vor keiner Barbarei zurück. Half die psychische Einschüchterung nichts, wurde masturbationsverdächtigen Jugendlichen Nachthandschuhe mit scharfen Metallspitzen oder Zwangsjacken verpasst, Ärzte empfahlen die Infibulation, das Durchbohren der Vorhaut bzw. Schamlippen und das Durchziehen eines Ringes oder die Entfernung der Klitoris. Antimasturbationsschulbänke verhinderten das Aneinanderreiben und Zusammendrücken der Beine, die untere Öffnung in Toilettentüren sollte die Kontrolle aller Toilettenbenutzer ermöglichen, die französische Medizinerakademie forderte ein Verbot von Nähmaschinen, weil ihr Fußantrieb Frauen zur Masturbation verleiten könne usw. In Wirklichkeit aber ging es den oft hysterischen Antimasturbationskämpfern nicht um Gesundheit, sondern um Abrichtung zur Selbstbeherrschung, Triebverzicht, Leistung, also zu den Kardinaltugenden des Bürgertums im frühen Kapitalismus. (Der medizinische Kreuzzug gegen die Masturbation war daher eine moderne Erscheinung, die sich ausschließlich auf die westliche Welt beschränkt hat.) Das Verbot sexueller Lustbefriedigung ohne Zeugungszweck sollte und konnte "nutzlose" Triebe zu Sekundärtugenden umwandeln, den Körper entfremden und ihn dadurch maschinentauglich machen, jeden Widerstandsgeist brechen. Wie fast jeder von uns weiß, war für ihn der Kampf vergeblich, Statistiken belegen, dass dies auch für die meisten unserer Mitmenschen gilt, für Männer und Frauen, Kinder und Alte, denn wie Helmut Kentler feststellte: "Nicht die Onanie ist krankhaft, sondern ihr Fehlen." Einzig die fatale Leichtigkeit, mit der masturbierend Lust und Befriedigung gewonnen werden kann, schränkt das Lob der Selbstbefriedigung ein. Mätresse

Im 17. und 18. Jh. die anerkannte, oft einflussreiche Geliebte eines Fürsten Matriarchat Mutterherrschaft Matrilinear Da immer das herrschende Geschlecht seinen Namen auf die Nachkommenschaft überträgt, werden Verwandtschaftsbeziehungen im Matriarchat nach der mütterlichen Linie bestimmt, im Patriarchat nach der väterlichen Linie (patrilinear). Menarche Die erste Menstruation Menopause (Griech. men = Monat, pauomai = aufhören) Zuerst unregelmäßig werdende, dann aufhörende Menstruation (also Eizellenreifung) um das 50. Lebensjahr. Menstruation Zyklische, meist monatliche Blutung, mit der eine unbefruchtete reife Eizelle ausgestoßen wird. Die erste Menstruation (Menarche) tritt zwischen dem 11. und 13. Lebensjahr auf, danach zunächst oft unregelmäßig. Menstruationszyklen dauern für gewöhnlich zwischen 28 und 35 Tage und hören nach der Menopause um das 50. Lebensjahr auf. Selbst für aufgeklärte junge Frauen ist die erste Menstruation oft ein irritierendes Erlebnis. Schockierend wird es, wenn sie die Periode unvorbereitet trifft. Die Mythen Blut und Sexualität vereinen sich zum Schrecken. Überall auf der Welt und in allen uns bekannten Kulturen war die Menstruation zumindest für Männer ein Gräuel. Den Griechen galt das Menstruationsblut als tödlich, es ließ alles absterben, verfaulen, Spiegel matt werden, Eisen rostig. Moses bestimmte: "Wenn ein Weib ihres Leibes Blutfluss hat, die soll sieben Tage beiseite getan werden; wer sie anrührt, der wird unrein sein bis auf den Abend." Auch der Hinduismus verlangt die Absonderung menstruierender Frauen, für die es vielerorts sogar eine besondere Menstruationskleidung zur Warnung Vorbeikommender gibt. So recht wusste zwar niemand, was es mit der Menstruation auf sich hatte, was für ein Soff das Menstruationsblut eigentlich war, aber bis in unser 20. Jahrhundert hielt sich das Vorurteil seiner Gefährlichkeit auch unter Ärzten. Noch 1878 wurde im renommierten British Medical Journal sechs Monate lang die Frage diskutiert, ob Schinken durch die Berührung einer menstruierenden Frau verderben könnte, und Professor Schick behauptete 1920, dass die Nähe menstruierender Frauen Rosen welken lässt. Auch zur moralischen Disziplinierung ließ sich die Menstruation verwenden. Die Tatsache, dass das Menarchenalter sinkt (wie das

Menopausenalter steigt), erklärte das Handbuch zur "Erkenntnis und Heilung der Frauenzimmerkrankheiten" 1821 nicht mit der Qualitätszunahme der Nahrung, sondern mit "Beschäftigung der Einbildungskraft mit wohllüstigen Vorstellungen, obscönen Schauspielen und Romanen, zu früh angeregten Geschlechtstrieb durch schlüpfrige Lectüre und Erzählungen, durch das zu baldige Besuchen des Theaters und den zu frühen Umgang mit dem männlichen Geschlecht". Am häufigsten aber werde die frühe Menstruation ausgelöst durch Onanie. Der Gipfel männlicher Unverschämtheit wird erreicht, wenn der menstruierenden Frau Gebärversagen suggeriert wird: "Die Menstruation ist die blutige Träne, welche die Frau ihrem verlorenen Kind nachweint." oder - gegen die Einführung des Tampons in Deutschland gerichtet Sexualgeilheit: "An die Möglichkeit zur Verleitung zur Masturbation sollte man denken." Tatsächlich sind Frauen kurz vor und während ihrer Periode sexuell ansprechbarer als in der übrigen Zeit des Zyklus. Wenn fast alle Religionen von der Frau Enthaltsamkeit während der Menstruation verlangen, geschah dies wohl auch aus der Ahnung ihrer Unfruchtbarkeit während dieser Zeit, primär aber wohl zur Zähmung der gefürchteten Sexualgelüste. Die Gründe für das Ansteigen des sexuellen Verlangens im sogenannten Paramenstrum liegen wohl nicht nur im biologischen Bereich. Die höchstwahrscheinliche Folgenlosigkeit eines Geschlechtsverkehrs befreit Frauen von Schwangerschaftsängsten, lässt sie sexuellen Signalen gegenüber offener sein. Aber auch Menstruationsbeschwerden, die bei Säugetieren wie bei unzivilisierten Frauen nicht vorzukommen scheinen, dürften seltener biologisch als sozial bedingt sein. Die bei den meisten Frauen aus allen Einkommens- und Bildungsschichten zu beobachtende negative Einstellung zu ihrer Menstruation verstärkt zumindest ihr Unwohlsein und ihre Schmerzgefühle (die durch Gin-Tonic gelindert werden können: Chinin baut Spannungszustände ab, Gin hilft bei der Verteilung und Aufnahme dieser Droge). Männer erklärten menstruierende Frauen für widerwärtig und die sich widerwärtig fühlende Menstruierende bestätigt nur den aufgeschwatzten Eindruck. Minnesänger Angehörige des Adels, später auch bürgerliche Dichter und Komponisten, die an Fürstenhöfen Lieder des Werbens um eine Frau und über unerfüllte Sehnsucht singen. Der Minnesang entwickelte sich aus arabischen Vorbildern in der zweiten Hälfte des 12. Jh. zunächst in Südfrankreich (Troubadoure). Herausragende Sängerdichter - vergleichbar heutigen

Popstars - in Deutschland waren Reimar von Hagenau und Walther von der Vogelweide. Missionarsstellung Der Mann liegt beim Geschlechtsverkehr auf der Frau. Eine von vielen, auch bei Tieren gelegentlich vorkommenden Stellungen, vorherrschend in allen patriarchalischen Gesellschaften (oben/unten; aktiv/passiv), in ihrer Ausschließlichkeit auf Angehörige außereuropäischer Völker komisch wirkend. Da die ersten Weißen, die sie beim Geschlechtsverkehr beobachteten, zumeist Missionare waren, entstand die Bezeichnung Missionarsstellung. Monogamie Eheform, bei der ein Mann und eine Frau zusammenleben. Mutterkult Verehrung der Erdmutter als Fruchtbarkeits- und Zeugungsgöttin Muttermund Öffnung zwischen Scheide und Gebärmutterhals Nächtliche Erektion Unabhängig von Träumen haben schlafende Männer ca. alle 60 - 90 Minuten eine nächtliche Erektion, die zumeist nur beim Aufwachen mit steifem Penis wahrgenommen wird. Die Bedeutung dieser Erscheinung ist unbekannt. Narzissmus Das Aufgeilen an sich selbst, Selbstverliebtheit. Narziss (griech. Narkissos) war ein schöner Jüngling, der sich in sein Spiegelbild im Wasser so sehr verliebte, dass er gar schrecklich litt, bis er sich in eine Blume, die Narzisse, verwandelte. Necking Manuelle Stimulierung von Gesicht und Brüsten Nekromant (Griech. nekro = tot) Liebhaber von Leichen, eigentlich Geisterbeschwörer mittels zeitweilig ins Leben zurückgekehrter Toter. Nekrophilie Geschlechtlicher Umgang mit einem Leichnam Neuronales Geschlecht Das menschliche Gehirn, zunächst sexuell undifferenziert, scheint sich auf Grund hormoneller Einflüsse ähnlich wie die inneren Geschlechtsorgane zu entwickeln. So findet sich bei Säugetieren im Gehirn ein Gebiet (SDNPOA), das bei männlichen Tieren ein größeres Volumen erreicht als bei weiblichen. Beim Menschen scheint ähnliches im vorderen Hypothalamus zu geschehen. Entfernt oder zerstört man das mediale präoptische Areal des Hypothalamus, das offensichtlich das typische männliche Sexualverhalten

beeinflusst, verschwindet beim Mann der Drang zur Kopulation (nicht aber das Vergnügen an der Masturbation). Kürzlich entdeckte LeVay in diesem Areal mehrere kleine Neuronengruppen, von denen eine (INAH3) bei vermutlich heterosexuellen Männern durchschnittlich zwei- bis dreimal größer ist als bei Frauen (und Schwulen). Im Unterschied aber zu hormonellen Einflüssen konnte bisher nicht geklärt werden, ob ein solcher Unterschied bereits bei der Geburt besteht oder erst durch das gesellschaftlich geprägte Sexualverhalten hervorgerufen wird. (Bei unserer Geburt ist das Hirn eine relativ unstrukturierte Masse, deren Organisierung und Vernetzung erst durch frühkindliche Sinneserfahrungen ausgebildet wird.) Neurosubstanzen In Nervenzellen gebildete Hormone, die an den Synapsen im Nervengewebe Nervenimpulse auf chemischen Weg an die nächste Nervenzelle weiterleiten. Nudismus Die Wiederentdeckung der antiken (olympischen) Nacktkultur propagierte als erster der schottische Richter Lord Monboddo im 18. Jh. Die sich allmählich entwickelnde Freikörperbewegung vermied krampfhaft jeden sexuellen Bezug. Natürlich ist es gesund und - die richtigen Temperaturen vorausgesetzt - angenehm, sich nackt zu bewegen, doch hat die Faszination des Nacktseins mehr mit Tabus als mit Gesundheit zu tun. Die Lockerung der Bekleidungszwänge beim Baden wird daher, tritt nicht eine Retabuisierung ein, die FKK-Bewegung wieder in Vergessenheit geraten lassen. Nymphomanie Übermäßige, nur bei Frauen als krankhaft geltende Sucht nach Geschlechtsverkehr, zumeist nur Ausdruck einer normal entwickelten (weil gesellschaftlich nicht gezügelten) weiblichen Sexualität. Ödipuskomplex Die enge erotische Beziehung zu dem Elternteil des anderen und die Rivalität gegenüber dem Elternteil des eigenen Geschlechts in der frühen Kindheit. Onanie Fälschlich gebrauchter Begriff für Masturbation, der sich auf Onans Weigerung bezieht, pflichtgemäß in die Vagina der Frau seines verstorbenen Bruders zu ejakulieren und der statt dessen den Koitus interruptus praktizierte.

Oralverkehr (Lat. os = Mund). Der Oralverkehr ist weder pervers noch ungesund, auch Tiere praktizieren ihn. Er verursacht keine Schwangerschaft, nicht einmal eine Entjungferung. Fellatio (lat. fellare = saugen): Lecken und Saugen an männlichen Geschlechtsorganen, vor allem am Penis. Das Saugen sollte durch langsame, kräftige, gleichmäßige Bewegung von Lippen und Zunge geschehen (nicht mit den Zähnen). Das Ejakulat kann bedenkenlos geschluckt werden, es enthält nur 5 Kalorien. Cunnilinctus (lat. cunnus = Vulva, linguere = lecken): Das Lecken der Innenseiten der Schenkel, der Region zwischen dem Geschlechtsorgan und dem Anus, des Anus selbst, der kleinen Schamlippen, der Klitoris. Die Gleitflüssigkeit der Vagina schmeckt etwas herb, ist aber völlig harmlos und kann - wenn nicht Vaginalsprays benutzt wurden - bedenkenlos geschluckt werden. Orgasmus (Griech. orgasmos = lustvolle Erregung) Der Orgasmus ist eine Art epileptischer Reflex, dessen physiologisches Erscheinungsbild und subjektiv empfundene Eigenschaften bei Mann und Frau gleich sind. Orgon-Akkumulator Kasten, in dem nach W. Reich die Orgonenergie konzentriert und gespeichert werden kann. Orgontheorie Nach W. Reich ist die - u.a. beim Geschlechtsverkehr freigesetzte Orgonenergie eine elementare Lebensenergie, die zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit notwendig ist. Östrogen Wichtigstes weibliches Keimdrüsenhormon. Es steigt in der Pubertät stark an, bildet die sekundären Geschlechtsmerkmale aus und führt zur Geschlechtsreife (erste Regelblutung, Menarche). Nach der Menopause sinken die Östrogenwerte von Frau zu Frau sehr unterschiedlich, ohne ihre sexuelle Lust zu beeinträchtigen. Östrusperioden (Griech. oistros = Viehbremse, heftige Leidenschaft) Bei Tieren die Zeiten der Brunst, bei der Frau die Zeiten zwischen zwei Menstruationen Ovarien - Eierstöcke Ovulation (Dt. Eibläschensprung) Die Ausstoßung des Eis aus dem Follikel Ovulationshemmende Pille

Korrekte Bezeichnung für die von der BILD-Zeitung so genannten AntiBaby-Pille, deren Wirkstoffe Östrogen und Gestagen die Reifung und Freisetzung (Ovulation) von Eizellen in den Eierstöcken verhindern. Oxytocin Hormon des Hypophysenhinterlappens, das die Gebärmutter zu Kontraktionen veranlasst. Päderastie (gr. Knabenliebe) Bei den Griechen, Römern und bis in die Gegenwart im Vorderen Orient gesellschaftlich anerkannte sexuelle Beziehung zwischen Männern und Knaben, meist als Erziehungsoder Vormundschaftsverhältnis überliefert. Einer der wenigen bekennenden Päderasten der Neuzeit war André Gide. Pädosexualität Sexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern. Wenn eine Mutter ihrem 10jährigen Sohn den Penis wäscht, mag das komisch sein, wenn es der Nachbar tut, ist es ein Verbrechen. Bei der Pädosexualität handelt es sich um eines der jüngsten sexuellen Tabus, das entsprechend rigoros verteidigt wird, um eine Straftat, die z. B. der Code penal von 1810 noch nicht kennt. Erst 1832 wurde in Frankreich der Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen unter 11 Jahren verboten, in vielen US-Staaten lag das Schutzalter bei zehn Jahren. Kinsey beobachtete, dass sexuelle Kontakte zwischen Erwachsenen und Kindern häufig vorkommen (so erinnerte sich jede Vierte seiner Interviewpartnerinnen an einen solchen Kontakt), ohne dass sie nennenswerte Schädigungen hervorgerufen hätten. Kinsey. "Einige erfahrene Jugendkundler sind zu der Überzeugung gekommen, dass die emotionellen Reaktionen der Eltern, der Polizeibeamten und anderer Erwachsener, die den Fall entdecken, das Kind seelisch mehr schädigen, als es die Sexualkontakte selbst tun. Die ständige Hysterie über Sexualvergehen kann sehr wohl ernste Auswirkungen auf die spätere Anpassungsfähigkeit vieler dieser Kinder haben." Ganz abgesehen davon, dass Kinder "sexuelle" Handlungen oft gar nicht als sexuell, sondern nur als lustvoll oder lästig empfinden, verdrängen viele Kinderschützer die reiche Vielfalt normaler vorpubertärer Sexualerfahrungen wie anale und orale Erotik, Sadismus, Masochismus, Onanie, Exhibitionismus, Voyeurismus, homosexueller und heterosexueller Inzest, Zoophilie etc. . Der Sexualwissenschaftler und Kinderarzt Albert Moll stellte bereits 1909 fest: "Der Jurist, der oft keine Kenntnis davon hat, wie ausgedehnt die sexuellen Phantasien und Handlungen von Kindern mitunter sind, ist geneigt, eine sexuelle Unerfahrenheit beim Kind anzunehmen und ihm deshalb ein Vertrauen entgegenzubringen, das nicht berechtigt ist, weil eben die Unerfahrenheit in Wahrheit nicht besteht."

Patriarchat Gesellschaftsform, bei der die Gewalt in der Familie beim Vater (Mann) liegt. Patrilokal Ansiedlung eines Paares am Lebensort der Familie des Mannes (matrilokal - der Frau) Penetration Das Eindringen des Penis in die Vagina Penis (Lat. penis = Schwanz) Der Penis, im Ruhezustand ca. 7,5 bis 10 cm lang, besitzt drei Schwellkörper, die sich durch große Aterien schnell mit Blut füllen und versteifen können. An seiner Unterseite befindet sich die Harnröhre (Urethra), die nicht nur Harn, sondern auch Samenflüssigkeit transportiert. Seine sehr elastische lockere Haut erlaubt seine Vergrößerung auf die doppelte Länge, an der Spitze ist die Haut so locker, dass sie eine Hautfalte bildet (Vorhaut). Sie bedeckt normalerweise die Penisspitze (Eichel od. Glans). In ihrer Mitte tritt die Harnröhre aus. Zahlreiche Nervenendigungen machen die Eichel sehr empfindlich für Berührungen. Während der Erektion tritt die Eichel unter der Vorhaut hervor, oft ist sie dann dicker als der Peniskörper. Perversion Jede Abweichung von der sexuellen Norm, z. B. Exhibitionismus, Homosexualität. Die meisten Perversionen äußern sich zwar auch sexuell, sind aber nur ein Ausdruck des Charakters, der Psyche oder sozialer Deformationen. Sinnvoller wäre es, Perversion zu definieren als sexuelle Handlung, die einem selbst oder dem Partner Schaden zufügt, z. B. sexuelle Abstinenz. Pessar (Diaphragma) Kleine, flexible Gummikappe, die sich dicht an den Muttermund legt und damit den Samenzellen den Weg in den Uterus abschneidet. Ein Pessar muss vom Arzt angepasst werden, da sein exakter Sitz über die Wirkung entscheidet. Ein Diaphragma kann bis zu sechs Stunden vor dem Verkehr eingeführt werden und für mindestens acht Stunden nach dem Geschlechtsverkehr in der Vagina bleiben. Ein ägyptisches Papyrus um 1850 v. Chr. nennt erste Rezepte für Verhütungsmittel, aus der Zeit um 1500 v. Chr. ist das Rezept für ein tamponähnliches Pessar überliefert. Es bestand aus Flachs, das mit gemahlenen Akaziensamen, Koloquinte (ein Kürbisgewächs), Datteln und Honig eingerieben wurde.

Petting Manuelle Stimulierung aller Körperteile bis zum Orgasmus, in den USA vor allem bei Mittelschichtjugendlichen üblich. Pille danach Verschreibungspflichtige Medikamente, die durch Hormonzufuhr das Einnisten eines befruchteten Eis in die Gebärmutter verhindern. Pollution Nächtlicher Samenerguss, häufig in der Pubertät und zu Zeiten geschlechtlicher Enthaltsamkeit. Polygamie Eheform, in der ein Mann mit mehreren Frauen oder eine Frau mit mehreren Männern zusammenlebt. Pornographie Unzüchtige Darstellung in Wort und Bild, zucht- und daher zeitabhängig: So galten z. B. Teile der Bibel zeitweise als pornographisch. Die Annahme, dass Männer eher optische, Frauen mehr textliche Pornographie bevorzugen, ist in Versuchen nicht beweisbar. Sexuell stimulierende Werke können (wie Gewaltdarstellungen) nur jene Neigungen verstärken, die bei einer Versuchsperson bereits vor der Testreihe festliegen. Das deutsche Strafrecht unterscheidet zwischen „einfacher“ und „harter“ Pornographie. „Einfache“ P. ist nur strafbar, wenn jemand ohne Aufforderung mit ihr konfrontiert und belästigt oder sie Personen unter 18 Jahren zugänglich gemacht wird. „Harte“ P. (sexueller Umgang mit Kindern, sexuelle Handlungen an Tieren) ist verboten, schon ihr Besitz kann eine Geld- oder Gefängnisstrafe zur Folge haben. Potenz Geschlechtskraft des Mannes, Fähigkeit, den Geschlechtsakt zu vollziehen, fruchtbaren Samen zu produzieren. Präservativ Schutzhülle um den Penis, die die Samenflüssigkeit nach der Ejakulation auffängt. Präservative aus Tierhäuten waren schon im Altertum bekannt, ihre Herstellung allerdings aufwendig und teuer. Ein amerikanisches Rezept von 1850: "Man nehme den Blinddarm eines Schafes, lege ihn ins Wasser, kehre die innere Seite nach außen und wiederhole den Vorgang in einer schwachen Sodalösung, die alle vier oder fünf Stunden gewechselt werden muss, fünf- oder sechsmal hintereinander. Dann entferne man die schleimige Membrane mit dem Nagel. Man schwefle den Schlauch, wasche ihn in sauberem Wasser, danach noch einmal in Seife und Wasser, spüle ihn, blase ihn auf und trockne ihn. Dann schneide man ihn auf die benötigte Länge und befestige ein Band an das offene Ende."

Die industrielle Massenproduktion von entsprechend billigen Präservativen setzte erst nach der Entdeckung der Vulkanisierung ein. Heute dienen sie häufiger dem Schutz vor Ansteckung durch Geschlechtskrankheiten als der Vermeidung einer Schwangerschaft. Promiskuität (Lat. promiscus = vermischt) Unterschiedsloser sexueller Verkehr ohne dauernde Bindung Prostitution Sexuelle Dienstleistung gegen Entgelt, vorherrschend in männerrechtlichen Gesellschaften als Folge der strengen Einehe. Im Altertum war die Prostitution ein anerkanntes Gewerbe (Hetären in Griechenland) bzw. eine kultische Handlung (Tempelprostitution). Das alte Testament berichtet ohne Zorn von Prostitution, der Talmud erlaubt unverheirateten Männern den Besuch einer Prostituierten wegen geschlechtlichen Notstands, verlangt aber Diskretion: "So gehe er nach einem Orte, wo man ihn nicht kennt, kleide sich schwarz, umhülle sich schwarz und folge dem Triebe seines Herzens, nur entweihe er den Gottesnamen nicht öffentlich." Während das frühmittelalterliche Christentum vergeblich versuchte, die Prostitution auszurotten, war sie in Asien bis vor wenigen Jahrzehnten durchaus achtbar, in Europa seit dem 13. Jh. eine Art Zunft unter Aufsicht der Obrigkeit. In der Aristokratie gewannen Prostituierte als Kurtisanen (Italien) oder Mätressen (Frankreich) seit der Renaissance wieder Anerkennung. Mit dem Entstehen des Bürgertums wird die Scheinheiligkeit zur Richtschnur im Umgang mit Prostituierten. Bis Ende des 19. Jh. herrscht die Meinung vor, die Bereitschaft zur Prostitution sei angeboren, Prostitution sei generativer Wahnsinn und beruhe auf chemischen und biologischen Veränderungen des Erbgutes. Verkommener als die Prostituierte sei nur noch ihr Zuhälter, der sie zu dieser angeblich angeborenen, zugleich aber dem bürgerlichen Frauenbild so total widersprechenden Handlung zwinge. Der Staat - heute noch in vielen Gebieten der USA - kriminalisierte die Prostitution, weil sie den sozialen Zweck der Sexualität - die Sicherung des Privateigentums durch Vererbung - nicht erfüllt. Rühe sah in der Prostitution das soziale Gegenstück zur Ehe und im Verhältnis Zuhälter Dirne die Umkehrung der bürgerlichen Ehe: "So ist die Prostituierte die verkörperte Opposition gegen den überständigen und sinnlos gewordenen Kodex der bürgerlichen Sexual- und Ehemoral, die wandelnde Auflehnung gegen die bürgerliche Ordnung überhaupt." Sperrgebietsregelungen sollen das Ärgernis Prostitution unsichtbar machen und die Freier schützen, wie das "Hamburger Reglement über die

erleichterte sittenpolizeiliche Aufsicht" von 1909 zeigt. Es verbot Prostituierten nicht nur das Betreten der Reeperbahn, wo sie noch heute nicht stehen dürfen, sondern auch das Betreten der Fremdenlogen, Parkettlogen und Sperrsitze im Hamburger Operettentheater, aller Museen, der Zirkuslogen, vor allem aber die Teilnahme an den Veranstaltungen des feinen Allgemeinen Alsterclubs, insbesondere an dessen Regatten. Im Nationalsozialismus betrieb Deutschland staatliche Bordelle für Zwangsarbeiter und Häftlinge, in der Bundesrepublik bemühen sich die Finanzbehörden, am Lohn der Unzucht beteiligt zu werden, ohne den Prostituierten die Gewerbefreiheit zu geben. Protozoen Urtiere wie Amöben, die einfachsten, einzelligen Lebewesen Pubertät Geschlechtsreifung. Bei Mädchen beginnt etwa im Alter von 10 Jahren die Entwicklung der Brustknospen, der Hüftrundung, des Haarwuchses am Venushügel und in den Achselhöhlen. Bei Jungen ungefähr ab dem 12. Lebensjahr beginnt das Wachstum von Hoden und Penis, der Scham- und Achselhöhlenhaare, erste Barthaare bilden sich an der Oberlippe, sie kommen in den Stimmwechsel. Bei beiden Geschlechtern ist ein starkes Längenwachstum und eine psychische Entkindlichung zu beobachten. Das Ende der Pubertät wird durch die Menarche bzw. Pollution gekennzeichnet. Durch die hormonelle Umstellung im Körper tritt häufig eine Akne auf, die junge Menschen in ihrer Unsicherheit, sich mit der neuen geschlechtsspezifischen Rolle abzufinden, bestärkt. Die von vielen Erwachsenen als verstört, flegelhaft etc. empfundene Haltung in der Pubertät hängt mit dem Bewusstwerden einer bis dahin als natürlich empfundenen Sexualität zusammen. Puff Urspr. Bezeichnung für Schlag, Stoß. Die Charakterisierung gewöhnlichen männlichen Sexualverhaltens wurde schließlich zur Bezeichnung des Hauses, in dem Männer für Geld ihre Schlag- und Stoßgelüste ausleben. Puritaner (Lat. purus = rein) Calvinistisches und scholastisches Gedankengut prägt den um 1560 in England auftretenden Puritanismus. Seine Anhänger verachten eine Gläubigkeit, die sich in der Teilnahme an kirchlichen Zeremonien erschöpft, sie fordern eine nicht nur sonntäglich strenge Lebensführung. Anfangs noch isoliert von der Gesellschaft entschlossen sich die ersten Puritaner um 1620 zur Auswanderung in die USA (Pilgerväter). Bald gewannen sie aber auch in England an Einfluss. 1642 gelang es diesen innerweltlichen Asketen, eine zeitweilige Schließung aller englischen Bühnen durchzusetzen.

Pygmalionismus Der geschlechtliche Umgang mit einer Statue Pyrolagnie Sexueller Lustgewinn durch das Legen eines Feuers Rassengenese Die Entwicklung von Rassen, also Angehörigen gleicher, kennzeichnender Erbmerkmale Rectum Der Mastdarm, durch einen unwillkürlichen inneren Schließmuskel verschlossen, mündet in den durch einen kräftigen, willkürlichen ringförmigen Schließmuskel versehenen After nach außen. Refibulation Wiederverschließung einer für die Ausübung des Geschlechtsverkehrs oder für eine Geburt geöffneten Vagina. Reizmittel (Aphrodisiaka) Arzneimittel besonders zur Erregung des Zentralnervensystems, vor allem zur Erhöhung der Geschlechtslust Renaissance (Frz. Wiedergeburt) Die Zeit der Wiederentdeckung der Antike, Übergangszeit vom Mittelalter zur Neuzeit (1350 - 1500). Als zunächst vorwiegend aristokratische Angelegenheit führte die Renaissance zu einer Individualisierung und Verweltlichung der Menschen, eine Tendenz, die sich im Volk erst später und nur allmählich auswirkte. Reproduktionsmedizin Die Erzeugung menschlichen Lebens ohne Geschlechtsverkehr und außerhalb des Mutterleibes. Die Reproduktionsmedizin wird heftig von Teilen der Frauenbewegung kritisiert, wogegen Simone der Beauvoir darauf hinwies, dass Gebären und Stillen keine Aktivitäten, sondern natürliche Funktionen des Körpers sind. Da dabei keinerlei Entwurf im Spiel sei, könne eine Frau darin auch keinen Grund einer hochgestellten Bejahung ihrer Existenz finden, sie unterziehe sich nur passiv ihrem biologischen Geschick. Die erste Befruchtung einer menschlichen Eizelle außerhalb des Mutterleibes erfolgte 1961 in Bologna. Das Embryo konnte 29 Tage am Leben gehalten werden. Sadismus Lustgewinn aus dem Zufügen von Schmerz, Demütigung, Ohnmacht. Nach amerikanischen Untersuchungen empfinden 4,8% aller Männer und 2,1% aller Frauen Lust bei sadistischen Praktiken.

Samen (Spermien) Winzige, frei bewegliche einzelne Zellen mit kleinem Kopf und einem 15-20 mal so langen (aus Mittelstück und Schwanz zusammengesetzten) Leib. Das Mittelstück enthält zwei vordere und hintere Knötchen als Bewegungszentren. Mit seinem spitzen Kopf bohrt sich die Samenzelle in das Ei und befruchtet es. Produziert werden die Spermien im Hoden, gespeichert in den Nebenhoden. Samenblasen Zwei Beutel dicht neben der Ampullae, nahe der Spitze der Prostata. Die Samenblasen produzieren eine Flüssigkeit, die zusammen mit dem Prostatasekret die Spermien nach der Ejakulation beweglich macht. Samenleiter Verbindungsweg von den Nebenhoden, wo die Spermien lagern, zur Harnröhre, durch die sie ausgestoßen werden. Scham Eigentlich das Bewusstsein, gegen die Gesetze des Wohlanstandes - z. B. durch Entblößung - zu verstoßen. Seit dem 11./12. Jh. wird Scham als Synonym für Geschlechtsorgane verwendet. Schamlippen Große Schamlippen: Zwei dicke Hautfalten aus Fettgewebe, außen behaart. Sie bilden die äußere Begrenzung der Vulva. Im Ruhezustand liegen sie dicht beieinander und bedecken den übrigen Teil der Vulva. Kleine Schamlippen: Zwei dünne Hautfalten unter den großen Schamlippen, dicht von Blutgefäßen und Nervenendigungen durchzogen, daher sehr berührungsempfindlich. Nach oben hin wachsen sie zusammen und bilden dabei eine Hautfalte (Vorhaut), die die Klitoris bedeckt. Scheide Das 8 - 10cm lange muskulöse Rohr führt vom Muttermund nach außen. Durch die Scheide fließt die Menstruationsflüssigkeit aus, sie nimmt Penis und Ejakulat auf und ist für Kinder bei der Geburt der Weg in die Selbständigkeit. Sie besitzt viele Schleim produzierende Zellen und Blutgefäße (Gleitflüssigkeit), reinigt sich selbst (solange ihr ökologisches Gleichgewicht nicht durch Vaginalsprays gestört wird) und ist sehr unempfindlich. Scheideneingang Er liegt unterhalb des Harnröhrenausgangs und ist bis zum ersten Geschlechtsverkehr meist zu einem Teil von einer Haut verschlossen (Hymen). An beiden Seiten der Scheidenöffnung liegen die BartholinDrüsen; sie sondern kleine Mengen Gleitflüssigkeit ab (der größere Teil kommt aus der Scheidenwand).

Scheidenlecker Cunnilinctor (männl.), Cunnilinctrix (weibl.) Scheidenvorhof Der Bereich zwischen Klitoris und Scheideneingang Schutzalter Alter, ab dem Geschlechtsverkehr mit oder unter Jugendlichen straffrei ist. In Deutschland beträgt das Schutzalter für männliche und weibliche Jugendliche zur Zeit 16 Jahre. Schwangerschaftstest Ungefähr sechs Wochen nach der letzten Menstruation ist im Urin einer Schwangeren Choriongonadotropin nachweisbar, das durch entsprechend präparierte Teststreifen (rezeptfrei in Apotheken erhältlich) sichtbar gemacht werden kann. Sekret Von Drüsen abgegebene Flüssigkeit Sekundäre Geschlechtsmerkmale Männlich: Haarausfall im Alter, Gesichtshaar, Kehlkopf ein Drittel größer, größerer Brustkorb, Körperbehaarung, stärkere und ausgeprägtere Muskeln, längere und dickere Arme, Schamhaare bilden ein nach oben spitz zusammenlaufendes Dreieck, schmalere Hüften, größere Hände und Füße, längere Beine. Weiblich: Wenig Haarausfall, sehr dünnes Gesichtshaar, kleiner Kehlkopf, kleiner, schmaler Brustkorb, wenig Körperbehaarung, ausgeprägte Brüste, Muskeln weitgehend unter Fettgewebe verborgen, Schamhaare bilden ein mit gerader Linie nach oben abschließendes Dreieck, breitere Hüften, kleinere Hände und Füße, kürzere Beine. Sexualzentrum Das menschliche Sexualverhalten wird von Nervenzentren kontrolliert, die in der Nähe des Hypothalamus (ein stammesgeschichtlich sehr alter Teil des Hirns) liegen. Zwei Kontrollhormone des Hypothalamus bewirken die Produktion weiterer Hormone im Vorderlappen der Gehirnanhangsdrüse, die über das Blut zu den Keimdrüsen gelangen, wo sie die Samenbildung und Testosteronproduktion bzw. die Eireifung und Östrogenproduktion steuern. Nach Vincent sitzt daher das Begehren im Kopf und nicht in den Keimdrüsen. Sexuelle Leistung Die Herz- und Kreislaufbelastung durch Geschlechtsverkehr ist gering, sie entspricht dem Treppensteigen über ein Stockwerk (ca. 75 Watt fahrradergometrisch gemessen).

Sexuelle Lust Sie dürfte durch den Testosteron-Wert im Blut bestimmt werden. Beim Mann erreicht sie um das 20. Lebensjahr ihren Höhepunkt und nimmt ab 30 ab, bei der Frau steigt sie bis 35 an und bleibt fast unverändert bis ins hohe Alter. Sexuelle Reproduktion Der Vorteil einer geschlechtlichen gegenüber einer ungeschlechtlichen Vermehrung liegt in der Vermischung bzw. im Austausch der Gene, da dadurch eine größere Überlebenschance in einer sich verändernden Umwelt gewährleistet ist. Außerdem ermöglicht sie die Eliminierung nachteiliger Mutationen, da bei der ungeschlechtlichen Vermehrung die Anzahl schädlicher Mutationen niemals unter den Wert fallen kann, den das Individuum mit der geringsten Anzahl von Mutationen aufweist. Sodomie Sexueller Kontakt mit Tieren (s. Zoophilie); Homosexualität. Die Bezeichnung Sodomie leitet sich ab von der Stadt Sodom nahe dem Toten Meer, die nach Moses 1/19 wegen ihrer Lasterhaftigkeit von Gott zerstört wurde. Spermie (Samenzelle) Die männliche Geschlechtszelle wird in den Hoden produziert. Sie ist die kleinste Zelle des menschlichen Körpers, 0,042 mm lang. Ihr Kopf (er misst ein Zehntel der Gesamtlänge) enthält die 23 Chromosomen mit den Erbmerkmalen des Mannes, darunter ein X- oder ein Y-Chromosom zur Geschlechtsbestimmung. Der Körper der Spermie ist ein Kraftreservoir für das fortbewegende Schlagen des Schwanzes. Spermien erreichen eine Geschwindigkeit von 2 cm pro Minute. Spermizide Mittel Chemische Produkte, die Spermien abtöten oder lähmen und dabei oft allergische Reaktionen hervorrufen können (Vaginalschaum). Sterilisation Unfruchtbarmachung durch das Unterbrechen der Ausführungsgänge (Eileiter, Samenleiter) der Geschlechtsdrüsen. Stillen In der körperlichen Reaktion ist das Stillen eng mit dem Koitus verwandt. Auch beim Stillen kann man Kontraktionen des Uterus, die Erektion der Brustwarzen und oft eine Hautrötung beobachten. Syphilis Sie wird übertragen von einem Bakterium aus der Gruppe der Spirochäten, das nur durch allerdings auch kleinste Verletzungen der Haut in den Körper eindringen kann. Symptome: Zehn bis 90 Tage nach der Infektion bildet sich ein schmerzloses Knötchen oder ein kleines, hartes Geschwür an der

Stelle, an der die Bakterien in den Körper gelangten. Durchschnittlich neun Wochen nach der Infektion entsteht ein nicht juckender Ausschlag. Nach dessen Verschwinden greift die Krankheit verschiedene Organe im Körper an, sie kann zu Blindheit, Lähmungen, Gehirnschädigungen, Tod führen. Die Krankheit kann nur vom Arzt durch eine Blutuntersuchung festgestellt werden. Eine möglichst frühzeitige Behandlung vermeidet ernsthafte Schäden. Im 17. Jh. empfahl man Syphiliskranken, einen Monat lang mit einer jungfräulichen, frisch aus Afrika importierten Schwarzen das Lager zu teilen. Die Therapie hilft tatsächlich. Schwarze, selbst resistent gegen Malaria, übertragen diese Krankheit, die wiederum aus ungeklärten Gründen Syphilis lindert oder gar heilt. (Später wurde aus dieser Erfahrung eine Syphilistherapie mit absichtlich hervorgerufener Malaria entwickelt.) Die schwarze Samariterin freilich bekam Syphilis, ohne damals eine Heilungschance zu haben. Tampon Bausch aus Watte, Mull, Gaze o.ä., der zur Blutaufnahme und Blutstillung in Körperhöhlen eingeführt wird. Telefonsex Telefongespräch mit Partnern, die sexuelle Reaktionen vorspielen oder sexuell stimulierende Gespräche gegen Bezahlung führen, wobei die sexuelle Befriedigung des Anrufers gewöhnlich durch Masturbation erreicht wird. Psychisch und körperlich risikolos, daher sehr erfolgreich. Tempelprostitution Durch Geschlechtsverkehr mit männlichen oder weiblichen Tempelsklaven, die als Eigentum der Götter galten, konnte ein Gläubiger der göttlichen Macht teilhaftig werden. Die Tempelprostitution war stark verbreitet in Syrien, Phönizien und Kleinasien. Testosteron Sexuell wichtigstes männliches Keimdrüsenhormon, es bewirkt die Ausbildung des männlichen Genitales. Sexuelle Stimulierung erhöht die Testosteronproduktion, Stress und Depression reduzieren sie. Transvestitismus Sexuelle Erregung eines heterosexuellen Mannes durch das Verkleiden als Frau. Trichomoniasis Die Erreger (Trichomonaden) kommen bei vielen Menschen im Harnleiter und in der Harnblase vor. Männer bemerken den Befall kaum, bei Frauen sind die Symptome Brennen beim Wasserlassen und ein weißer, schaumiger Ausfluss, ev. auch Rötungen und Schwellungen im Bereich der Scheidenöffnung. Medikamentöse Behandlung problemlos.

Triolismus Geschlechtlicher Umgang mit zwei oder mehr Partnern gleichzeitig. Tube - Eileiter Tubenligatur Das Durchtrennen und Abbinden der Eileiter verhindert ein Zusammentreffen von Eizelle und Samen. Da die Eileiter innerhalb der Bauchhöhle liegen, ist die Sterilisation einer Frau aufwendiger als die Vasektomie beim Mann, aber verändert genauso wenig wie diese die sexuelle Empfindsamkeit und Orgasmusfähigkeit. Tunte Sich als weiblicher Partner anbietender Homosexueller Unfruchtbare Tage Da eine Frau nur schwanger werden kann, wenn sich eine Eizelle in einem der Eileiter befindet, ist der Zeitpunkt der Ovulation (zwei Wochen vor Beginn der nächsten Menstruation) entscheidend. Die Unregelmäßigkeit der Perioden und die Überlebenszeit der Samenzellen von 3-5 Tagen machen einen Sicherheitsspielraum notwendig, der die unfruchtbaren Tage innerhalb eines Zyklus auf die Hälfte seiner durchschnittlichen Dauer von Beginn einer Menstruation bis zum Beginn der nächsten reduziert. Unzucht Eine Handlung, die das als normal angesehene sexuelle Schamgefühl verletzt. Durch die Veränderlichkeit von Norm und Scham handelt es sich um einen äußerst vagen, dennoch juristisch häufig gebrauchten Begriff. Urolagnie Sexueller Lustgewinn durch den eigenen Urin oder den Urin eines Partners, einer Partnerin. Vaginalspülung a) Auswaschen der Vagina zur Entfernung von Samenzellen, eine äußerst unsichere Methode der Empfängnisverhütung. b) Parfümierung der Vagina zur Geruchsvertilgung, zerstört das ökologische Gleichgewicht der Mikroorganismen in der Scheide; wie Deodorants ein Mittel der Körperverletzung. Vasektomie Das Durchtrennen und Abbinden der Samenleiter verhindert den Transport von Spermien. Erektion, Orgasmus und Ejakulation (der Samenflüssigkeit) bleiben durch diesen einfachen chirurgischen Eingriff unbeeinflusst. Venushügel (Mons Veneris) Durch die Behaarung der auffälligste, doch unwesentlichste Teil der weiblichen Geschlechtsorgane: ein schützender, Druck abwehrender Knochen (Schambein), von einem Fettgewebe überzogen.

Völlerei Übermäßiges Essen Vorhaut Penis: Im ruhenden Zustand locker hängende Hautfalte über der Eichel, die bei einer Erektion hervortritt. Ist die Vorhaut zu eng, hilft Übung oder die operative Entfernung der Vorhaut (Beschneidung). Klitoris: Im ruhenden Zustand ist die Klitoris teilweise von der Vorhaut bedeckt. Anders als der Penis tritt die Klitoris im Erregungszustand nicht hervor, sondern zieht sich, obwohl sich ihr Umfang fast verdoppelt, hinter ihre Vorhaut zurück. Vorsteherdrüse (Prostata) Kastaniengroßer Körper unmittelbar unter der Blase. Ihr Sekret bildet den Großteil der Samenflüssigkeit, die bei Nichtgebrauch mit dem Harn ausgeschieden wird. Bei einer Ejakulation fließt das trübe, milchige Sekret den Spermien voraus. Seine alkalische Reaktion neutralisiert die saure Reaktion der Vagina und schafft damit optimale Existenzbedingungen für die Spermien. Voyeurismus Beobachtung sexuell empfundener Personen oder Handlungen Votze/Fotze Ordinäre Bezeichnung für die Vagina, Schimpfwort für eine Frau Vulva - Gebärmutter Zagel Einer von hunderten umgangssprachlichen Bezeichnungen für den Penis Zeugung Entstehung von Lebewesen durch elterliche Individuen Zölibat Ehelosigkeit des Klerus. Der Zölibat beruht auf der Vorstellung von der Vollkommenheit der Ehelosigkeit gegenüber der durch die Unreinheit alles Geschlechtlichen belastete Ehe. Seit dem 4. Jh. gepredigt, konnte er erst nach 1500 allmählich durchgesetzt werden. Versuche auch in jüngster Zeit, katholischen Priestern die Ehe zu ermöglichen, scheitern immer noch, obwohl der Zölibat als Kirchenrecht jederzeit aufgehoben werden könnte. Neben dem kirchlichen gibt es auch einen weltlichen Zölibat; ihm unterlagen z. B. um die Jahrhundertwende noch alle deutschen Beamtinnen. Zoophilie Sexueller Kontakt mit Tieren, früher oft mit dem Tode, heute in vielen Ländern mit Gefängnis bestraft. In den USA reicht das Strafmaß von einem Jahr Gefängnis bis zu lebenslänglicher Zwangsarbeit.

In der griechischen Mythologie erscheint die Zoophilie ganz selbstverständlich, Zeus paart sich als Stier, Schwan und Schlange. Einige Eskimostämme glauben, dass die weiße menschliche Rasse aus dem Geschlechtsverkehr einer Frau mit einem Hund entstanden ist. Bei den Hebräern dagegen wurde jeder Geschlechtsverkehr mit Tieren mit dem Tode bestraft, der Talmud verbietet sogar Witwen, sich einen Hund zu halten. Im Mittelalter begründeten einige christliche Theologen das Verbot sexueller Kontakte zwischen Christen und Juden damit, dass sich "Juden in den Augen des Gesetzes und unseres heiligen Glaubens in keiner Weise von den Tieren unterscheiden". Während in Kunst/Pornographie sich meist Frauen mit Tieren paaren (z.B. in „Max mon Amour / Max my love“ von Nagisa Oshima aus dem Jahre 1987), sind in Wirklichkeit fast nur Mann-Tier-Verhältnisse üblich. Zoophilie mit Jungschweinen, deren Vaginalöffnung nach ihrer Defloration der einer Frau entspricht, oder mit jungen Kühen hat im Normalfall keinerlei Beschädigung von Mensch und Tier zur Folge, Geschlechtsverkehr mit kleineren Tieren ist Tierquälerei, mit größeren lebensgefährlich. © 2001 Karl Pawek [email protected]

View more...

Comments

Copyright ©2017 KUPDF Inc.
SUPPORT KUPDF