Nicholas Saunders - Ecstasy

December 14, 2016 | Author: spiritsnake | Category: N/A
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Ecstasy Nicholas Saunders

Mit Beiträgen zur Situation in der Schweiz und in Deutschland Herausgegeben von Patrick Wälder Übersetzung Andrea Jossen Eine kommentierte Bibliographie von Alexander Shulgin

I

2. Auflage 1994. Alle deutschsprachigen Rechte Vorbehalten. Gesamtherstellung: Lichtdruck AG, Dielsdorf Kein Teil dieses Buches darf, in welcher Form auch immer, ohne Zustimmung des Verlages reproduziert werden. Copyright © Verlag Ricco Bilger, Zürich ISBN: 3-908010-12-8 Scan & OCR von Shiva2012

Gestaltung: Fotos:

Henning v. Vogelsang Rita Palanikumar

Diese Ausgabe basiert auf der überarbeiteten und ergänzten, zweiten englischen Ausgabe von «E for Ecstasy», die im Oktober 1994 in London erscheint. Übersetzung Kapitel 2.2. und 5.: Peter Bieri Für ihre Hilfe und fachliche Beratung bedanke ich mich herzlich bei Philipp Anz, Hans-Jörg Helmlin, Oskar Scheiben, Werner Scheurer, Anita Wasser und bei allen anderen, die zu diesem Buch beigetragen haben. d. Herausgeber, August 1994

Die Berichte in diesem Buch sollen die unterschiedlichen Wirkun­ gen von MDMA darstellen. Charaktere und Situationen entstam­ men wirklichen Begebenheiten, einzelne Details wurden jedoch verändert, um die Anonymität zu bewahren. Ich bemühte mich dabei, die Situationen wahrheitsgetreu zu porträtieren und ihren Gehalt nicht zu verfälschen. Dieses Buch soll nicht dazu ermutigen, das Recht zu brechen. Die Absicht ist, die Öffentlichkeit mit Informationen zu versorgen, um eine eigenständige Beurteilung zu ermöglichen. Den Konsumentinnen und Konsumenten von MDMA oder jenen, die sich entschieden haben, es zu versuchen, vermittelt das Buch Kenntnisse, welche die Risiken des Konsums minimieren und den Nutzen vergrössern. Ich glaube, dass individuelle Freiheit auf individuellem Zugang zu Informationen beruht. Das Buch enthält sämtliche Informatio­ nen über MDMA, die ich in Erfahrung bringen konnte, und soll eine Informationslücke füllen. Nicholas Saunders

Inhalt

Vorwort Günter Amendt 1. Ecstasy Nicholas Saunders

8 1. Einführung 2. Eigene Erfahrung 3. Geschichte 4. Wirkungen 5. Wer nimmt Ecstasy? 6. Gefahren 7. Was ist Ecstasy und woher kommt es? 8. Das erste Mal 9. Anwendungen von Ecstasy 10. Ecstasy in England

2. Psychotherapie mit 1. Anwendung in der Schweiz Ecstasy 2. Interview mit Dr. Marianne Bloch

13 13 19 26 43 53 68 77 81 96

Nicholas Saunders und Patrick Wälder

3. Auswertung der Therapieerfahrung

102 104 119

Anmerkungen

Ecstasy

122

1. Technoparty: Can you feel it? 2. Kult der Droge - Droge einer Kultur 3. Konsum: Ein Stammesgeheimnis 4. Schamanen, Medizinmänner, Hirnforscher 5. Repression: Neue Front im Drogenkrieg? 6. Drogengesellschaft: Legalisierung statt Repression?

264 267 274 278 285 291

Ecstasy in der Schweiz

297

Andreas Vollbrechtshausen

1. Partykinder und Technoschwule

307

Constanze Weigle-Jagfeld und Ewald Weigle

2. Ecstasy in Therapie und Forschung

319

Anmerkungen

Ecstasy in Deutschland

323

Nicholas Saunders

3. Ecstasy in der Schweiz Patrick Wälder

Anmerkungen Patrick Wälder

4. Ecstasy in Deutschland

Constanze Weigle-Jagfeld und Ewald Weigle

5. Erfahrungsberichte Eine Tragödie, Spontan handeln, Ein Manager auf Trip, Eine

328

Nicholas Saunders

Entdeckungsreise, Geführte Reise, Begegnungeneines Paares

6. Bibliographie

Eine kommentierte Bibliographie über MDMA

354

Worterklärungen Index Die Autoren

411 413 417

Alexander Shulgin

7. Anhang

8

Vorwort

Vorwort

Jede Droge hat ein Umfeld kultureller und sozialer Beson­ derheiten, für das ich mich, um die Droge zu verstehen, mindestens genauso interessiere wie für die Wirkungs­ weise des Stoffs und die Mechanismen seiner Vermark­ tung. Das Umfeld der Droge Ecstasy jedoch - die soge­ nannte Technoszene - ist mir ganz und gar fremd geblie­ ben. Mein Zeit- und Rhythmusgefühl sträubt sich gegen die Beschleunigungskräfte des Technobeat. Ich fühle mich regelrecht ausgebeatet. Um so leichter fällt es mir, gelassen und distanziert zu er­ füllen, worum ich gebeten wurde - nämlich den Stellen­ wert der Droge Ecstasy im Zeitalter der zu Ende gehenden Drogenprohibition zu bestimmen und die Risiken der Droge abzuwägen. So viel ist sicher: Eine Drogenpolitik, die ihre Legitima­ tion einzig aus Verboten bezieht, bringt nichts und ist zum Scheitern verurteilt. Darin sind sich heute, von eini­ gen autoritären und autoritätsfixierten Hardlinern ein­ mal abgesehen, alle Drogenfachleute einig. Auch übertrie­ bene Warnungen vor den Gefahren einer Droge haben sich als kontraproduktiv erwiesen. Die drei Jahrzehnte in den westlichen Konsumentenländern praktizierte Canna­ bispolitik, mit ihrem Verfolgungseifer und ihrer Dämonisierung, steht für diese gescheiterte Präventionsstrategie. Wer sich also vornimmt, über die Droge Ecstasy zu schrei­ ben, ist gut beraten, das Thema mit der in der Drogendis­ kussion gebotenen Nüchternheit abzuhandeln. Eben das ist Nicholas Saunders sowie dem Herausgeber und den Co-Autoren der deutschsprachigen Ausgabe seines Buches gelungen. Sie schaffen es, eine Droge zu entmystifizieren, ohne sie im Gegenzug zu glorifizieren. Sie werden trotz allem, das ist vorhersehbar, der Verharmlosung bezich­ tigt werden. Legt man aber die bei der Gefahren- und Risikoabwägung üblichen Indikatoren wie Suchtpotential, Mortalität, Fehldosierungen und organische Nebenwirkungen zu­ grunde, dann ist beim gegenwärtigen Erkenntnisstand die Droge Ecstasy als «eher harmlos» zu klassifizieren. XTC oder Ecstasy beziehungsweise MDMA gehört zu jener Gruppe von Amphetaminderivaten, die ich bereits Anfang der siebziger Jahre in «Sucht Profit Sucht. Zur politischen Ökonomie des Drogenhandels» beschrieben und «business men’s trip» genannt habe. Bereits damals, in der Blütezeit des LSD-Kultes, zeichnete sich ein Bedarf nach weniger intensiven, leicht halluzinogenen Drogen ab, deren Wirkung und vor allem Wirkungsdauer, anders

Günter Amendt

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Vorwort

als im Falle von LSD, genau kalkulierbar sein sollte. Kurz­ zeittrips also, die mit dem Rhythmus der Maschinenlauf­ zeit nicht kollidieren und den Leistungsanforderungen des Arbeits- und Produktionsprozesses nicht zuwider­ laufen. Mitte der achtziger Jahre, als MDMA sich in den USA un­ ter dem Markennamen «Ecstasy» etablierte, bin ich der Droge erneut begegnet. Wie andere Sexualwissenschafter auch wurde ich mit der Frage konfrontiert, was von der neuen «Sexpille» zu halten sei. In mündlichen Erfah­ rungsberichten wurde mir die Droge als Super-Potenzmittel beschrieben, und in den Zeitgeistspalten der Medien war gar von «sexuellen Exzessen» die Rede. Damals habe ich den ersten von zwei XTC-Trips «gewor­ fen». Weil Triperfahrungen nur schwer verallgemeinerbar sind, zu meinen eigenen Erfahrungen nur so viel: Ich habe Ecstasy als Körperdroge erlebt, die ein Bedürfnis nach Kommunikation weckt und die Fähigkeit, auch nonverbal zu kommunizieren, steigert. Heute nun, und das ist das eigentlich Neue, ist die Droge zum Material eines jugendlichen Freizeitkultes gewor­ den, untrennbarer Bestandteil jener Triade, die sich selbst Technoszene nennt und aus Technosound, Technodrogen sowie Technoparties zusammensetzt. Es ist ein Witz und nichts als eine Schutzbehauptung, wenn die Veranstalter kommerzieller Parties, bei denen der Gast nur als Kunde willkommen ist, gegenüber der Öffentlichkeit so tun, als würde ihr mittlerweile hoch professionell organisierter Partyservice ohne Ecstasy funktionieren. Keine Technoparty ohne Ecstasy und ande­ re Drogen. Was nicht heisst, dass alle Partybesucher und alle Partybesucherinnen immer auch «drauf» sind. That’s reality, alles andere ist Augenwischerei. Diese Rea­ lität als solche anzuerkennen ist Voraussetzung für einen vernünftigen Umgang mit der Droge. Denn selbstver­ ständlich ist der Konsum von Ecstasy, wie der Konsum jeder anderen Droge auch, mit Risiken verbunden. Weder Saunders noch seine Co-Autoren verschweigen diese Risi­ ken. In der richtigen, für fanatisierte Repressionsbefürworter aber nur schwer akzeptierbaren Erkenntnis, dass sich der Konsum von Ecstasy weder kontrollieren noch verhin­ dern lässt, verzichten die Autoren auf moralisierende Appelle zugunsten pragmatischer Ratschläge zur Risiko­ vermeidung. Denn erst die Dosis macht ein Gift zum Gift. Deshalb empfiehlt ein vom (deutschen) Bundesverband

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Vorwort

für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpoli­ tik herausgegebenes Infoblatt: «Erst informieren, dann gering dosieren.» Und da sehe ich den Kern des Problems. Ecstasy, wie alle anderen synthetischen Substanzen auf Amphetaminbasis (aber auch Heroin und Kokain), gehört nicht zu den Drogen, von denen ich mir einen vernünfti­ gen und selbstverantwortlichen Umgang vorstellen kann. Der setzt nämlich die Fähigkeit der Konsumentinnen und Konsumenten voraus, den jeweiligen- Stoff genau analysie­ ren, klassifizieren und entsprechend dosieren zu können. Alles, was in Pillen- oder Pulverform aus den Labors von Garagenchemikern kommt, entspricht diesen Kriterien nicht. Der Konsument, die Konsumentin ist auf Informa­ tionen des Dealers und die mündlich weitergegeben Erfahrungen von Mitkonsumenten angewiesen. Je anony­ mer der Dealer und je weiter die soziale Entfernung von der Szenenkommunikation, desto grösser das Risiko einer Fehl- oder Überdosierung. Verlässt man sich allerdings auf die von Saunders und sei­ nen Mitarbeitern herangezogenen Statistiken und Fallbei­ spiele, dann kommen Überdosierungen kaum vor. Wer Ecstasy kauft, riskiert jedoch immer, einen Stoff ange­ dreht zu bekommen, der mit XTC nichts zu tun hat. Ein Risiko liegt auch bei toxischen Verunreinigungen und deren «Nebenwirkungen», ein Begriff, den ich apostro­ phiere, weil er den Eindruck vermittelt - und vermitteln soll -, es gäbe auch Pharmadrogen ohne irgendwelche Nebenwirkungen. Das ist nicht der Fall. Die «Nebenwirkung» einer synthetischen Droge in Kauf zu nehmen, oder auch nicht, ist immer, von Zwangsmedi­ kationen abgesehen, Ergebnis einer Risikoabwägung; einer von vielen in unserem täglichen Umgang mit den Risiken der Chemie. Man muss zur Kenntnis nehmen und mag das bedauern, dass viele Jugendliche bereit sind, das Risiko einer unerwünschten Nebenwirkung zu akzeptie­ ren, wenn der erwünschte Kick einer synthetischen Droge nur vielversprechend genug ist. Fast alle derzeit aktuellen synthetischen Drogen sind be­ reits seit Jahren am Markt und werden dort, gewissen Mo­ den folgend, mal mehr, mal weniger nachgefragt bezie­ hungsweise angeboten. Viele dieser Produkte wurden in den Labors der Pharmaindustrie entwickelt und in Versu­ chen getestet. Aus den unterschiedlichsten Gründen gelangten einige nie auf den legalen Markt, andere nur in kleiner Auflage unter strenger Verschreibungspflicht. Wiederum andere wurden aus pharmakologischen, aber

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Vorwort

auch aus ökonomischen Gründen bald wieder vom Markt genommen. Was heute von Garagenchemikern am illegalen Markt angeboten wird, sind also Bootleg-Drogen, Raubkopien, die aus den Labors der Pharmaindustrie entwendet wurden. Es sind im günstigsten Fall originalgetreue Duplikate, meist aber nur Annäherungen an das Original. Der Unter­ schied zwischen Original und Kopie liegt in den toxi­ schen «Nebenwirkungen» und deren Risiken. Es gilt also auch hier, was für Heroin und Kokain gilt: Ei­ ne staatlich regulierte und gesellschaftlich kontrollierte Herstellung von Ecstasy via Lizenz an die Pharmaindu­ strie wäre aus medizinisch-pharmakologischer Sicht von Vorteil und erstrebenswert für alle, die davon ausgehen, dass der Konsum auch dieser Droge nicht zu unterbinden ist und es deshalb primär darum geht, Risiken zu verrin­ gern. Eine ärztlich kontrollierte Originalstoffverschreibung wäre die optimale «Lösung» des Problems. Zweifel sind allerdings angebracht, ob diese Vertriebsvariante von den Konsumentinnen und Konsumenten auch akzep­ tiert werden würde. Eine Abgabe über die Apotheke ohne administrative Kontrollen würde wohl eher akzeptiert. Wem das alles nicht ganz geheuer ist und wer noch immer an die Wirksamkeit von Verboten glaubt und auf deren Abschreckungswirkung vertraut, wird versuchen, bei den Konsumenten anzusetzen und deren Konsum zu kriminalisieren. Doch angesichts aller Erfahrungen in den vergangenen drei Jahrzehnten ist dieser Ansatz absurd. Gegen ihn spricht bereits die Winzigkeit des Cor­ pus delicti. Es kann nur nach intensiver Körperkontrolle sichergestellt oder durch Blutentnahme nachgewiesen werden. Das ist nicht nur rechtlich problematisch, son­ dern polizeitechnisch unmöglich. Dazu fehlt es unter anderem auch an sichtbaren Verdachtsmomenten, denn zum Konsum bedarf es keiner Werkzeuge, weder eines Löffels noch eines Spritzbestecks. Und Einstichstellen gibt es auch keine. Bliebe als letzte Hoffnung auf eine repressive «Lösung» die rigide Kontrolle der Produktion. Produktion und Handel von beziehungsweise mit synthetischen Drogen unter­ scheiden sich in wesentlichen Punkten vom Handel mit Opiatdrogen und Kokain bzw. Cannabis, wo die agrari­ schen Ausgangsstoffe - und im Falle von Cannabis sogar das Endprodukt - auf dem Niveau einer Dritte-Welt-Ökonomie gedealt werden. Dagegen sind alle chemischen Grundsubstanzen oder Vorprodukte der am Markt ange­

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Vorwort

botenen illegalen Pharmadrogen am legalen ChemieGrosshandel der jeweiligen Produzentenländer erhältlich. Das gilt auch für die erforderlichen Apparaturen. Eine systematische Kontrolle der zur Herstellung von syn­ thetischen Drogen benötigten Substanzen ist praktisch nicht durchführbar, schon gar nicht im internationalen Rahmen, wie der unbehinderte Chemikalienstrom zur Versorgung von Heroin- und Kokainlabors belegt. Aber auch juristisch liesse sich eine systematische Kon­ trolle nur schwer legitimieren, weil viele Ausgangsstoffe und Vorprodukte «harmlos» sind und keiner besonderen Vertriebsbeschränkung unterliegen. Besonders aktiv im Handel mit Rohamphetamin und bereits veredelten Amphetaminprodukten sind nach den Erkenntnissen westeuropäischer Fahndungsbehörden die baltischen Staaten, Tschechien, die Slowakei und Polen, das schon seit Jahren den skandinavischen Markt mit Speed-Drogen versorgt. Zur kriminellen Energie westeuropäischer Mafia-Firmen und Pharma-Unternehmen, wie der im badischen Lahr produzierenden Imhausen GmbH, die Hunderttausende von Ecstasy-Trips für den niederländischen Markt herstell­ te, gesellt sich nun verstärkt die nicht weniger kriminelle Energie osteuropäischer Mafia-Unternehmen, die den An­ gebotsdruck auf den westeuropäischen Hartwährungs­ markt erhöhen. Da gibt es auffallende Parallelen zur Ent­ wicklung des Heroin-Marktes. Wer vor diesem Hintergrund und angesichts dieser Marktlage noch immer an die Wirksamkeit von Verboten glaubt und auf die Kontrolle des Chemikalienstroms baut, setzt sich dem Verdacht aus, von einem Stoff abhän­ gig zu sein, der den Realitätssinn schwer beeinträchtigt.

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1.1. Einführung/1.2. Eigene Erfahrung

1. Ecstasy

Viele junge Leute nehmen die Droge Ecstasy (E, Adam, XTC oder MDMA) aus einem einzigen Grund: sie ermög­ licht ihnen eine Erfahrung, die sie schätzen. Die meisten von ihnen kommen jedoch nicht an verlässliche Informa­ tionen über die Droge heran und müssen sich am Hören­ sagen orientieren. Meist wissen sie nur wenig über die möglichen Anwendungen und den potentiellen Nutzen von MDMA - aber auch über dessen Gefahren. Dieses Buch soll den Wissensdurst der Ecstasy-KonsumentInnen stillen und dazu beitragen, dass sie Gefahren vermeiden und Ecstasy so gut wie möglich nutzen. Ausserdem sollte es dazu anregen, diese faszinierende Droge gründlicher zu erforschen. Der erste Teil des Buches ist kurz, aber vollständig. Wer mehr über einen bestimmten Punkt wissen möchte oder wer nichts versäumen will, sollte die Anmerkungen lesen, dort stehen interessante Zusatzinformationen. Die Erfah­ rungsberichte sind leicht zu lesen und zeigen die üblich­ sten Wirkungen der Droge auf. Wissenschaftlich Interes­ sierte finden am Schluss des Buches eine kommentierte Bibliographie auf englisch. Im Sommer 1992 organisierte ich ein Treffen mit Leuten, die Ecstasy-Erfahrungen gemacht hatten. Ich hatte genug vom Unsinn, der in vielen Medien verbreitet wird, und wollte sehen, wie viele Leute fühlen wie ich, dass die Dro­ ge ihnen guttut. Die meisten Anwesenden hatten viel mehr Erfahrung mit der Droge als ich. Dass fast alle bezeugten, die Droge habe ihr Leben positiv verändert, erstaunte mich nicht. Sehr verwundert hat mich jedoch, wie wenig diese Konsumentinnen über die Droge wissen, obwohl sie sehr an Informationen interessiert sind. Des­ halb entschloss ich mich, dieses Buch herauszugeben. 1970 habe ich «Alternative London» geschrieben, ein Handbuch für Leute, die in dieser Stadt wohnen und wie ich an alternativen Lebensweisen und Bewusstseinsstufen interessiert sind. Wie es jetzt mit MDMA der Fall ist, haben die Medien damals lächerliche Schauergeschichten über uns verbreitet. Dieses Buch basiert wie «Alternative London» auf persönlichen Erfahrungen und extensiven Recherchen.

Nicholas

Saunders

1.1. Einführung

1.2. Eigene Erfahrung Die siebziger und frühen achtziger Jahre waren für mich

eine aktive und produktive Zeit. Begeistert packte ich ein erfolgreiches Projekt nach dem anderen an. Im Jahr 1988 fühlte ich mich frustriert: Von meinen ursprünglichen Ideen war nicht mehr viel übriggeblieben. In diesem Jahr

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1.2. Eigene Erfahrung

startete ich zwar ein neues Unternehmen, jedoch eher aus Verzweiflung denn aus Enthusiasmus. Die Sache ging schief. Ich fühlte mich ziemlich angespannt, als mich eine Freundin namens Claudia anrief und mir anbot, mit ihr auf einen Ecstasy-Trip zu gehen. Ich kannte diese extrovertierte Schauspielerin schon seit Jahren. Als eher intro­ vertierter Typ hatte ich immer darauf geachtet, etwas Distanz zu bewahren. Nachdem wir in ihrer Wohnung die Kapseln geschluckt hatten, machten wir uns auf den Weg nach Kew Gardens, einen Ort, den ich liebe und an dem ich mich sicher zu fühlen glaubte. Unterwegs spürte ich ähnliche Symptome, wie ich sie vom LSD in den sechziger Jahren her kannte. Ich sah ungewöhnliche Din­ ge geschehen, die ganz normal wurden, sobald ich genau­ er hinschaute. Als wir in den Zug stiegen, nahm Claudia meine Hand ... Was für eine Überraschung! Ihre Berüh­ rung fühlte sich gut an. Es gab nichts Bedrohliches an ihr, sie war wirklich herzlich und fürsorglich. Sogar der alte Sitzplatz des Zuges fühlte sich gut an. Ich rieb mei­ nen Hinterkopf daran wie eine Kuh den ihren am Gatter. Claudia freute sich zu sehen, wie ich mich öffnete. «Der Trip könnte mir wirklich gefallen. Würdest du mich auf­ halten, wenn ich zu weit gehe?» fragte ich. Sie lachte und sagte, ich solle einfach geniessen, sie passe schon auf mich auf. Ich räkelte mich wie eine Katze und liess mich unter den Tisch gleiten, um den Raum zu geniessen. Ich fand es lustig, dass ein zurückhaltender Typ wie ich mich so benahm. Als ich mich wieder setzte, meinte ich, ich könnte den Zug wie ein Pferd reiten und bewegte mich im Rhythmus seines Holperns. Ich schaute aus dem Fen­ ster und sah alles von neuem, nicht nur das Schöne, auch das Hässliche. Als wir ausstiegen, atmete ich ein paar Mal tief ein. Die Luft fühlte sich herrlich an. Es war schön zu leben. Mein Verstand fragte: «Was ist anders als sonst? Warum ist das Leben nicht immer so?» Ich zog den Schluss, dass ich mir jetzt einfach erlaubte, das zu geniessen, was immer schon dagewesen war. Ich realisierte, dass ich die Gewohnheit angenommen hatte, mich zurückzuhalten. Nicht dieser durch die Droge hervorgerufene Zustand war verzerrt; was ich als meinen normalen Zustand akzeptiert hatte, war pervers. Ich begriff, dass ich in den letzten Jahren ei­ ne leichte Depression durchgemacht hatte. Die Ursache schien mir jetzt offensichtlich: Vor ein paar Jahren hatte ich mich ernsthaft übers Ohr gehauen gefühlt, und dieses

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1.2. Eigene Erfahrung

Gefühl hatte ich immer wie eine Last mit mir herumge­ tragen. Diese Erkenntnis und die Erfahrung von ein paar Stunden «Freiheit» waren genau die Stärkung, die ich brauchte. Sie brachten mich aus dem Trott heraus, ich konnte mich wieder begeistert ans Werk machen. Seither habe ich die Droge drei-, viermal jährlich genom­ men. Nur zweimal war die Erfahrung nicht unbedingt gut, aber auch diese Erlebnisse verschafften mir Einsich­ ten. Das eine Mal nahm ich Ecstasy in einer Wohnung in Holland mit Anne und Afga, zwei Freundinnen, die ich seit den sechziger Jahren kenne. Mir wurde plötzlich bewusst, wie die Jahre sie verändert hatten. Ich konnte sehen, dass Afga unter den Männern, mit denen sie eine Beziehung gehabt hatte, viel gelitten hatte, und trotzdem schien es mir, sie sei dadurch eine starke und gelassene Frau geworden. Ich fühlte, dass Anne im Gegensatz zu Afga dem Leben nicht erlaubt hatte, sie zu verletzen, und immer noch das «Blumenkind» spielte, was einfach nicht zur erwachsenen Frau passte, die sie geworden war. Wäh­ rend dieser Ecstasy-Reise fand ich es schwierig, mit ihnen zu kommunizieren. Afga war in ihre eigenen Gedanken vertieft und beachtete mich nicht. Ich meinerseits musste mich beherrschen, Anne nicht zu sagen, wie ich sie sah. Ich bekam Kopfschmerzen. Die andere Erfahrung machte ich mit einer Freundin, die unter schlimmen Magen­ krämpfen litt. Als die Droge zu wirken begann, öffnete sich ihr Gesicht, und sie fühlte sich das erste Mal seit Jah­ ren richtig entspannt. Sie kroch auf dem Boden herum wie eine Schlange - bis die Wirkung nachliess und ihre Krämpfe sich heftig zurückmeldeten. Im ganzen gesehen war es eine schmerzhafte Erfahrung, sie half ihr jedoch die Ursache ihrer Krämpfe erkennen zu können. Einmal treckte ich in den Bergen von Nepal mit einem dänischen Paar, das ich auf dem Pfad getroffen hatte. Unterwegs überquerten wir einen über 5200 Meter hohen Pass, was für alle drei von uns eine extreme Anstrengung und Leistung war. Am nächsten Tag nahmen wir E, sassen in der kalten Sonne und blickten über Tibet. Hinter uns glänzte ein Eisfall, vor uns der Gipfel des Annapurna in einem breiten Tal. Während wir dasassen und schauten, bildeten sich auf dem Berggipfel Wolken, die dann durch das Tal schwebten und verschiedene Formen annahmen: sie wurden zu Fischen, Drachen, Pferden. Ein Adler krei­ ste über unseren Köpfen. Wir fühlten, als würden wir mit ihm übers Tal fliegen. Als wir ins Hotel zurückgekehrt waren, tischten die sonst zurückhaltenden französischen

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1.2. Eigene Erfahrung

Geologen, angesteckt durch unsere warmherzige Stim­ mung, ihren Brandy und die Schokolade auf, die sie für besondere Gelegenheiten aufbewahrt hatten. Es kamen uns keine Einsichten, es war einfach ein wunderschöner Tag, an dem die prachtvolle Umgebung noch herrlicher erschien. Durch diese gemeinsame Erfahrung verbunden, reisten wir wie alte Freunde weiter, obwohl wir uns gera­ de erst getroffen hatten. Ein andermal war ich mit einer Geliebten auf dem Land. Ihr Sufi-Meister hatte sie gewarnt, Drogen würden der Psyche schaden und ihre mühsam errungenen spirituel­ len Leistungen zunichte machen. Als die Droge zu wirken begann, leuchtete ihr Gesicht auf, und sie sagte: «Was für Narren sie sind.» Sie betrachtet diesen Trip noch immer als echte, mystische Erfahrung. Wir waren beide ausge­ sprochen fasziniert von einer Moorhenne, die vor uns ihr Nest baute. Es war, als habe der Vogel unsere Anwesen­ heit bemerkt und uns erlaubt, seine Fähigkeiten zu beob­ achten. Nach all diesen Erfahrungen mit E war ich immer noch nie an einem Rave gewesen. Nicht, weil ich es nicht woll­ te, sondern einfach, weil ich dachte, als Mann mittleren Alters würde ich mich deutlich fehl am Platz fühlen. Eines Tages ergab sich die Gelegenheit: ein Rave, zu dem mehrere meiner Freunde gehen würden, einer von ihnen war sogar noch älter als ich. Dank E amüsierte ich mich ziemlich gut. Ich war in einer positiven Stimmung, aber es packte mich nicht. Die Tanzenden schienen in einem individuellen Trip verloren zu sein, sie schauten zu den Lautsprechern, ohne etwas miteinander zu tun zu haben. Ich war erstaunt, wie ungemütlich der Veranstaltungsort mit dem rauhen Betonboden und den schweissnassen Stahlwänden war. Die unerbittlich aggressive Musik und die aufleuchtenden Lichter passten dazu. Erst nach ein paar ähnlichen Nächten konnte ich die wahre Erfahrung geniessen. Ein Freund hatte mir eine Telefonnummer gegeben, un­ ter der man Eintrittskarten bestellen konnte. Ich erhielt die Adresse eines verwahrlosten Wohnblocks mit einem Schild «Büros zu vermieten, £50 die Woche, sofort bezugs­ bereit». Er sah leer und unbewohnt aus. Ein Mädchen ver­ kaufte mir die Karten. Als ich fragte, wo die Party denn stattfinde, kritzelte sie eine Adresse auf ein Stück Papier. Ich erwartete halb, reingelegt worden zu sein, und kreuz­ te um Mitternacht dort auf, als das E, das ich genommen hatte, zu wirken begann.

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1.2. Eigene Erfahrung

Der Veranstaltungsort war geräumig und hatte eine gute Lüftung. Die übliche Techno- und House-Musik wurde gespielt, sie tönte jedoch nicht so hart wie sonst. Ein Freund hatte mir geraten, nur auf den Bass zu hören und den Rest zu vergessen. Ich begann zu tanzen, in meiner üblichen, eher gehemmten Art, beobachtete, was die anderen Leute taten, und war mir bewusst, dass ich rund dreissig Jahre älter war als fast alle von ihnen. Allmählich entspannte ich mich und ging in der Musik auf, ich wuss­ te, dass ich Teil davon war. Ich brauchte nicht gehemmt zu sein. Offensichtlich wurde ich akzeptiert. Nichts, was ich tun könnte, würde störend wirken, denn alle anderen waren einfach sich selbst, als ob sie ihre Freiheit von den gesellschaftlichen Zwängen und Neurosen geniessen wür­ den. Obwohl sie alle für sich waren, in ihrem eigenen Raum, war es einfach, Augenkontakt zu haben - niemand verbarg sich hinter einer Maske. Es kam praktisch zu kei­ nen Gesprächen oder Körperkontakten, ausser gelegentli­ chen, kurzen Umarmungen. Trotzdem hatte ich das Gefühl, zur Gruppe zu gehören. Es war eine Art erheben­ de, göttliche Erfahrung von Einheit, wie ich dies nur ein­ mal zuvor gefühlt hatte, als ich - in Christiania - Mit­ glied einer von Vertreibung bedrohten Gemeinschaft ge­ wesen war. Es war, als gehörten wir zu einem exklusiven Stamm, als wären wir verbunden durch ein gemeinsames Verständnis. Mit der £10-Eintrittskarte und der £15Tablette war ich «Mitglied». Nicht alle waren dabei. Man­ che sahen unbeholfen aus. Sie versuchten sich anzupas­ sen oder gezwungen stilvoll zu tanzen. Ich nahm an, dass sie kein Ecstasy genommen hatten. Diese Erfahrung war eine Enthüllung: Ich hatte das Gefühl, verstanden zu haben, um was es bei einem Rave geht. Vorher war mir die Musik immer zuwider gewesen. Mir schien, dass es ihr an Harmonie fehle. Diese Kritik wurde belanglos: Die Musik gab ständig Energie, sie stell­ te auf, ohne zu ernüchtern. Sie baute mehr und mehr auf, ohne jedoch einen Höhepunkt zu erreichen. Ich tanzte nicht nur mit dem Rhythmus, ich atmete mit ihm. Seine Übergänge waren voller Feinheit, eine Art Anreiz steckte darin, der mich jedesmal lächeln liess. Und das Tanzen fühlte sich so gesund an, als würde ich mich in der Art bewegen, die der echte Ausdruck meiner selbst ist. Jeder Teil meines Körpers war frei und beweglich. Ich fühlte mich viel jünger, fast neugeboren. Ich tanzte ohne Unterbrach bis sechs Uhr morgens, ohne mich anstrengen zu müssen. Normalerweise wäre ich

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1.2. Eigene Erfahrung

nach einer Stunde solch harter Übungen erschöpft gewe­ sen. Als das E etwa um vier Uhr morgens langsam seine Wirkung verlor, begann ich, im Magen eine Spannung zu fühlen, aber die Trance blieb bis zum Schluss. Auf der Heimfahrt, im Auto, war die Musik immer noch so klar zu hören, dass meine Freunde und ich nachschauten, ob das Radio aus sei, bevor wir glauben konnten, dass die Klänge aus unserem Innern kamen! Ich schlief fast den ganzen folgenden Tag und die folgende Nacht durch, ohne weitere Nachwirkungen ausser steifen Beinen. Probleme lösen

1992 interessierte ich mich für Ecstasys Möglichkeiten bei der Lösung persönlicher Probleme und nahm mit Jill, einer alten Freundin, MDMA ein - mit der Absicht, Pro­ bleme zu lösen und Beziehungen in unseren Leben zu untersuchen. Wir erstellten im voraus beide eine Liste von Leuten, über die wir nachdenken wollten, und kon­ zentrierten uns die erste Stunde, nachdem die Droge zu wirken begann, auf jeweils eine Person. Ich hatte ein paar Tage zuvor einen ehemaligen Nachbarn angebellt und war etwas schockiert darüber, weil ich nicht wusste, warum ich das getan hatte. Mit Ecstasy schien der Fall klar: Ich fühlte mich von den Leuten, die in seine Wohnung gezogen waren, bedroht, und er hatte dieses Problem «geschaffen», indem er ausgezogen war! Danach konzentrierte ich mich auf einen besonderen Freund: Ich hatte ihn immer dafür bewundert, wie er sei­ ne enormen Schwierigkeiten zu meistern schien. Mein Bild von ihm war nun verändert: Ich sah ihn als chinesi­ schen Jongleur, der Teller auf Bambusstangen dreht und verzweifelt versucht, vom einen zum ändern zu rennen, um eine Katastrophe zu verhindern. Es war keine wirkli­ che Erkenntnis, es war eher, als hätte ich es immer schon gewusst. Erst nachher begriff ich, dass dies eine Sichtwei­ se war, die ich vorher nicht gekannt hatte. Nach langer Überlegung beurteilte ich diese Erkenntnisse mit MDMA als richtig, aber nicht als vollständig. MDMA zeigte mir einen anderen Standpunkt, wie ein Freund dies tun kann. Nur ein einziges Mal hatte die Droge praktisch keine Wir­ kung auf mich - das war, als ich verliebt war. Später ver­ stand ich, warum: auf E zu sein ist ähnlich wie verliebt sein.

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1.3. Geschichte

1.3. Geschichte

Schon im Jahr 1913 hat das deutsche Unternehmen Merck MDMA patentieren lassen. Es heisst, dass die Sub­ stanz als Appetitzügler gedacht war, jedoch seltsame Ne­ benwirkungen aufgetreten seien. MDMA wurde nie ver­ marktet, und im Patent sind keine Anwendungen er­ wähnt. 1953 trat es wieder ans Licht, als die US-Armee eine Anzahl von Drogen für militärische Zwecke unter­ suchte. Es wird erzählt, MDMA sei als Wahrheitsdroge ge­ testet worden, wofür es jedoch keine Beweise gibt.1 Alexander Shulgin gilt als Vater von MDMA - oder besser gesagt als Stiefvater, wie er sich selbst bezeichnet. Er hat MDMA 1965 im Labor hergestellt und versucht.2 Nachdem er an der kalifornischen Universität Berkeley als Dr. phil. in Biochemie abgeschlossen hatte, erhielt er von Dow Chemicals einen Job in der Chemieforschung und erfand ein rentables Insektizid. Als Belohnung liess ihm das Unternehmen freie Hand und stellte ihm ein eigenes Labor zur Verfügung. Da Shulgin mit Meskalin eine aufre­ gende Erfahrung gemacht hatte, nutzte er diese Gelegen­ heit zur Erforschung psychedelischer Drogen. Er erforsch­ te nun verschiedene Substanzen und wollte sie testen. Die Firma lieferte dazu das Benötigte: Die Beobachtung von Verhaltensänderungen bei Kampffischen galt als bewähr­ ter Test für psychedelische Wirkungen. Dieser Test hatte jedoch einen Haken: Fische sagen nichts, wenn sie unter Wirkung stehen. Und überhaupt: Gibt es Fische, die nicht stoned aussehen? Also testete Shulgin die Substanzen an sich selbst und später im Freundeskreis. Schliesslich ent­ deckte die Firma Dow Chemicals überrascht, dass sie Pa­ tentinhaberin beliebter Drogen war, und gab ihrem Che­ miker den Laufpass. Jahrelang fuhr Shulgin fort, an sich und an einer kleinen Gruppe von Freunden neue Zusammensetzungen zu testen. Da er eine bemerkenswerte Persönlichkeit ist - er verteidigt seine liberalen und umstrittenen Ansichten of­ fen, ohne bekehren zu wollen -, hat er die Anerkennung einflussreicher Leute gewonnen und kann heute mit der Genehmigung der US-Regierung seine Forschungen wei­ terführen. Seine Arbeitsmethode mit Psychedelika gleicht der eines Botanikers: Shulgin ist auf Phenethylamine spe­ zialisiert und zeichnet die feinen Unterschiede zwischen jedem Mitglied dieser Drogenfamilie auf. Seine Erfahrun­ gen sind in der Autobiographie «Phenethylamines I Have Known And Loved» nachzulesen. MDMA ist nur eine von 179 psychoaktiven Drogen, die er ausführlich beschreibt. Obwohl die Wirkungen von MDMA weniger aufregend

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1.3. Geschichte

sind als die vieler anderer Drogen, ist es vielleicht diejeni­ ge, die seinem Ziel, eine therapeutische Droge zu finden, am nächsten kommt. Shulgin schreibt jetzt ein Buch über eine andere Familie der psychoaktiven Drogen, über die Tryptamine, das 1995 auf englisch herauskommen soll. Shulgin interessierte sich eigentlich erst richtig für MDMA, als er begeisterte Berichte anderer hörte, die eben­ falls MDMA synthetisiert und versucht hatten. Shulgin beschreibt, wie er es 1977 seinem Freund Leo Zeff gab, der sich von seiner psychotherapeutischen Karriere zurück­ ziehen wollte: «Ein paar Tage später rief er mich an und sagte, dass er seine Pläne für den wohlverdienten Ruhestand aufgege­ ben habe. Ich weiss nichts Genaueres über das immer komplizierter werdende Netz, das er in den folgenden zehn Jahren aufgebaut hat, ich weiss nur, dass er herum­ reiste, andere Therapeuten mit MDMA bekannt machte und ihnen zeigte, wie sie es in ihrer Therapie anwenden konnten. Natürlich haben sie die Droge alle zuerst selbst genommen. Er hat ebenso wie ich die Ansicht vertreten, dass Therapeuten nicht das Recht haben, einer anderen Person eine psychoaktive Droge zu geben, ohne selbst mit ihren Wirkungen gut vertraut zu sein. Viele der Psycholo­ gen und Psychiater, die Leo unterrichtet hat, bildeten kleine Gruppen von Fachleuten. So wurden die Informa­ tionen und die Methoden, die er einführte, weiterverbrei­ tet und international bekannt. Wie breit er in seinen letz­ ten Lebensjahren den therapeutischen Nutzen von MDMA bekanntmachte, ist nicht abzuschätzen. An seinem Gedenkgottesdienst fragte ich eine alte Freundin von ihm, ob sie beurteilen könne, wie viele Leute er direkt oder indirekt auf dieses unglaubliche Instrument auf­ merksam gemacht habe. Nach einer Weile antwortete sie:
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