Musik Colleg 1 Musikepochen

May 1, 2018 | Author: rosi79 | Category: Musicology, Music Theory, Performing Arts, Elements Of Music, Leisure
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Musik-Colleg 1 Musikepochen

von

Hille Kopp und Richard Taubald

Bayerischer Schulbuch-Verlag • München

Inhalt

Historische Musik in unserer Zeit

3

Mittelalter: Der Gregorianische Choral

Renaissance: Das Chorlied

17

Barock: Das Concerto grosso Klassik: Die Sinfonie

30

49

Romantik: Das Kunstlied

67

20. Jahrhundert: Stilisierte Tanzformen Avantgarde: Aleatorik Epochengliederung Zeittafel

8

81

96 104

108

Sachregister

110

Das Umschlagbild zeigt Ernest Ansermet und Igor Strawinsky {am Flügel) in einem Konzert (Zeichnung von Rene Auberjonois). Ansermet dirigierte die Uraufführung der „Geschichte vom Soldaten", Auberjonois fertigte die Dekorationen an.

Historische Musik in unserer Zeit

Die Vielfalt des Musikangebots

Das Musikangebot unserer Zeit ist mannigfaltiger denn je. Der Zugang zur Musik

wird auf verschiedene Weise ermöglicht: - durch die abrufbaren öffentlichen Medien Rundfunk und Fernsehen oder die

„Konserven" Schallplatte und Tonband - durch unmittelbare Begegnung („live") mit Sängern und Instrumentalisten, sei es im offiziellen Konzert oder beim zufälligen Mithören zwangloser musikali

scher Äußerung - durch eigene musikalische Aktion in Gesang und Spiel, allein oder in der Grup pe, für sich selbst oder für einen Hörerkreis. Dabei unterliegen Wahl und Wertschätzung der jeweiligen Musik keinem aus drücklichen Reglement. Es ist üblich, sich auf den persönlichen Geschmack zu be rufen, die Vielfalt des Angebots als einen „Supermarkt" möglicher Interessen gebiete zu durchstreifen und sich gemäß eigener Vorlieben zu bedienen. Die Vielfalt zeigt sich in drei Perspektiven:

- Gattungen und Stile unseres zeitgenössischen Musikbetriebs -

überlieferte Musik der abendländischen Musikepochen

- Klangwelten außereuropäischer Kulturen.

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a) Nennen Sie Beispiele für diese drei Blickrichtungen, und geben Sie jeweils Auffüh rungsformen an.

b) Versuchen Sie die folgenden vier Hörbeispiele zu bestimmen und den drei Per spektiven zuzuordnen.

Funktionen der Musik

Eine gängige Unterscheidung, ausgehend von Gepflogenheiten der Medienanstal ten, gliedert das Musikangebot in „U-Musik" und „E-Musik" (Unterhaltungs- und ernste Musik). Das ist weniger hinsichtlich der Musik als im Blick auf ihre Auffüh rungsformen berechtigt. Anstelle der Musik wird eigentlich das Anliegen des jewei ligen Hörers und dessen Verhalten charakterisiert.

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Beurteilen Sie die Unterscheidung U-Musik/E-Musik kritisch anhand folgender Hör beispiele: -

ein Tanz (Gavotte) von W. A. Mozart

-

ein Blues aus der Folklore der amerikanischen Neger.

O

Man ist heute weitgehend geneigt, die Unterscheidung zwischen E-Musik und U-Musik mit der zwischen älterer klassischer und moderner flotter Musik gleichzusetzen, d. h. alle historische Musik vergangener Jahrhunderte - abgese hen von Johann Strauß und lebendig gebliebener Tanzmusik des bürgerlichen 19. Jahrhunderts - der E-Musik zuzuordnen. Doch gab es Musik für U-Hörer auch in früherer Zeit, und auch heute werden z. B. Kompositionen aus Romantik, Klassik und Barock vielfach zur Unterhaltung konsumiert.

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Versuchen Sie zu erklären, warum U-Musik aus alter Zeit heute den Anstrich von E-Musik erhält. Beziehen Sie sich in diesem Zusammenhang auf folgende Hörbei spiele:

- mittelalterliche Spielmannsmusik - Lied des Oswald von Wolkenstein - neue Folkmusik aus Irland.

Die beschriebene Polarisierung ist sehr grob. Die Musik übernimmt in ihren vielfäl tigen Stilarten, Gattungen und Darbietungsformen differenziertere Funktionen für den Hörer, z. B. - die unmittelbare Umgebung angenehmer gestalten - musikalische Unterhaltung bereiten - Gefühle erregen und mitreißen

- Körperbewegungen rhythmisch steuern - den Verlauf von Klangstrukturen bewußt machen - Mitteilungen ausdrücken und verdeutlichen - einen Gemeinschaftsgeist symbolisieren

- zur Änderung einer persönlichen Einstellung bewegen. Darüber hinaus ist die Musik Geschäftsobjekt, Gegenstand wirtschaftlicher Pro

zesse - als Grundlage eines weitgefächerten Berufsstands, als Ware im Wechsel spiel von Produzenten und Konsumenten. Alle Funktionen sind zu jeder Zeit anzutreffen gewesen, mag auch der Schwer

punkt des zeitgemäßen Umgangs mit Musik jeweils gewechselt haben und gewiß auch von der jeweiligen Gesellschaftsschicht im sozialen Gefüge einer histori schen Lebensordnung abhängig gewesen sein. a) Welche Darbietungsformen von Musik in unserer Zeit verstärken die Funktion der Musik als Ware?

b) Nennen Sie Beispiele für den Funktionswandel einer historischen Musik bei ihrer

Übernahme in das gegenwärtige Musikangebot. Verschiedene Einschätzungen historischer Musik

Die Gegenwärtigkeit von Musik aus vergangenen Jahrhunderten ist nicht selbst verständlich. In früheren Epochen pflegte man meist nur das jeweils Neue, ja man fand oft eine zweite Aufführung desselben Musikstücks für denselben Zuhörerkreis uninteressant. Lebendige Traditionen reichten kaum bewußt über die unmittelbare Vergangenheit zurück, und neue Generationen versuchten seit eh und je sich da von abzusetzen. Mancher weiterreichende Rückgriff auf ehrwürdige Quellen dien

te nur dazu, einen Vorstoß in Neuland abzusichern, indem man sich auf neu ge deutete einstige Ideale berief.

Erst im 19. Jahrhundert tauchte in der Musik ein allgemeines Interesse an älteren

Epochen auf. Im Licht dieses Historismus gewannen Werke der Barockmusik und die Welt des Mittelalters wieder an Bedeutung. Noch mehr stellte die Jugendbewe gung des frühen 20. Jahrhunderts dem traditionellen bürgerlichen Konzertbetrieb

und neuesten Entwicklungen musikalischer Komposition die aktive Beschäftigung mit alter Musik entgegen.

Inzwischen haben sowohl Musikwissenschaftler und ausführende Künstler als auch die Institutionen der Musikindustrie (Rundfunk, Schallplattenfirmen, Noten verlage, Konzertunternehmer, Instrumentenbau) das musikalische Erbe weitge hend erschlossen und verfügbar gemacht. Vergleichen Sie folgende Zitate hinsichtlich ihrer Einschätzung älterer Musik: „O wenn jene alten, musikkundigen Gelehrten die Modernen hörten, was würden sie

tun, was würden sie sagen!"

(Jacobus von Lüttich um 1330)

„ Worüber ich mich nicht genug wundern kann, ist dies: daß es erst seit etwa vierzig Jahren eine den Gebildeten angemessene Musik gibt."

(Johannes Tinctoris 1477)

„ Was die Zeit betrifft, so ist bekannt, daß musikalische Sachen ein rechtes MückenLeben haben, und viel eher veralten und erkalten, als andre. Wenn eine Composition einige Monath, will nicht sagen, Jahr, auf sich hat, .. werden indessen viele Umstän

de eine fremde Gestalt gewonnen haben, welche dannenhero eine merkliche Ände rung in den Zierrathen erheischen."

(Johann Mattheson 1724)

„Sollte es nicht für einen Verieger jetzt wohl der Mühe wert sein, von einigen Haupt-

Oratorien von Händel die Original-Partituren in Deutschland zu stechen?... Ich wür de dann die Orgelstimmen machen; die müßten aber mit kleinen Noten von einer an deren Farbe in der Partitur stehen."

(Felix Mendelssohn-Bartholdy 1838)

„Es gibt keine Kunst, welche so bald und so viele Fonven verbraucht wie die Musik. Modulationen, Kadenzen, Intervallfortschreitungen, Harmoniefolgen . .. nutzen sich in fünfzig, ja dreißig Jahren dergestalt ab, daß der geistvolle Komponist sich deren nicht mehr bedienen kann.. . Man kann von einer Menge Kompositionen, die hoch über dem Alltagsstand ihrer Zeit stehen, ohne Unrichtigkeit sagen, daß sie einmal schön waren."

(Eduard Hanslick 1845)

„Für uns... ist es nicht schwer, die Verpflichtung zu erkennen, die uns aus diesem Erbe erwächst... Ein solches Besserwerden wird uns unduldsam machen gegen mindere Musik, gegen Geklingel, gegen Fahrlässiges und Nichtgekonntes."

(Paul Hindemith 1950)

Abneigung gegen Traditionspflege oder gegen Wiederbelebungen in der Musik wer den heute verschieden begründet: Die junge Generation argumentiert meistens mit

dem „modernen Geist", der auch musikalisch neue Äusdrucksformen verlangt.

Oder man wehrt sich gegen die Gewöhnung der Höreinstellung an die Klangwelt eines traditionellen Repertoires (affirmatives Hören) bzw. verweigert die Orientie

rung an „Denkmälern" der historischen Tonkunst, die im traditionellen Konzertbe trieb den Blick für neue Musik zu verstellen drohen. Vielfach befremden Klangbei spiele aus früherer Zeit aber gerade deshalb, weil man sie aus dem Musikver ständnis späterer Entwicklungen her mißversteht und keinen angemessenen Zu gang mehr findet.

Auch die Hinwendung zu historischen Musikstilen hat unterschiedliche Motive: Oft ist es ein allgemein historisches Interesse, vorhandene Kenntnisse über Epochen

und Regionen zu ergänzen und zu vertiefen. Vielleicht verklärt Nostalgie das Alt hergebrachte, weil man es frei sieht von den gegenwärtigen Problemen und Bela stungen, die kaum mehr zu bewältigen sind. Durch den Umgang mit einem unge wöhnlichen, „erlesenen" Musikstil pflegt sich auch der Snob den Anstrich von Ex travaganz und Kennerschaft zu verleihen, In den meisten Fällen aber ist das Motiv der Rückschau sicherlich das Erlebnis der Betroffenheit, die der klangliche Reiz al ter Musik immer wieder dem Unvoreingenommenen bereitet. Welche technischen Fortschritte ermöglichten in früheren Epochen und in der Gegen

wart die zunehmende Hinwendung zu alter Musik?

Die Verbundenheit der Gegenwart mit traditioneller Musik Auch wer sich nicht ausdrücklich um historische Rückblicke bemüht, ist heute weit gehend in der Musik der Vergangenheit verhaftet: Das allgemeine Musikverständ nis des Musikliebhabers und -Verbrauchers fußt noch auf den musikalischen

Grundlagen des 18. und 19. Jahrhunderts. Dies bestätigen die durchaus traditio nellen Strukturen der heutigen populären Musik. Die Neue Musik des 20. Jahrhun derts hat noch immer nicht die breite Zustimmung der Zeitgenossen gefunden, weil sie gängige Hörerwartungen nicht erfüllt und beliebte Funktionen des Musikbe

triebs nicht abdeckt. Im heutigen Musikbetrieb wird durch ein Repertoire von erfolgreichen, immer wie der aufgelegten traditionellen Meisterwerken eine Hörgewohnheit genormt, die als Maßstab für alle Bewertungen abweichender Klangformen dient. Die unterschiedli

chen persönlichen Ausprägungen von Geschmack im Zeitalter pluralistischer Wert ordnungen werden durch dieses Repertoire und die Masse der traditionell struk turierten populären Musik zu einem recht einheitlichen „Dutzendgeschmack" nivel liert.

Die Kenntnis der Vielfalt historischer Musikstile hilft hier Verkrustungen aufbre

chen. Programme lassen sich abwechslungsreicher gestalten, das Veranstal tungsangebot kann vielseitiger und reichhaltiger werden. Das Nebeneinander vie ler Epochenstile relativiert enge Ansichten und Wertsetzungen. Im Umgang mit Kunst hat sich auch bezüglich der Musik die Einstellung durchgesetzt, daß jede hi storische Epoche auf ihre Art vollkommene Schöpfungen hervorbrachte, die uns noch heute unmittelbar berühren können, wenn wir uns von einseitigen Modellvor stellungen lösen.

Das musikalische Erbe wird um so mehr in unsere Gegenwart integriert, je deutli cher zeitgenössische Musiker aktuelle Bezüge historischer Erscheinungsformen

aufdecken, angeregt aufgreifen und in moderne Zusammenhänge einfügen.

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Hören Sie Ausschnitte zeitgenössischer Musik, die an historische Stile anknüpft (Hindemith, Orff, Klassik in Popfassung). a) Welches Beispiel greift Ihrer Meinung nach am weitesten zurück?

b) Welche Beweggründe mögen bei einzelnen Beispielen zur Übernahme histori scher Strukturen geführt haben?

Begegnung mit den Musikepochen

Angesichts der Bedeutung unserer musikalischen Vergangenheit für das heutige Musikleben ergibt sich die Aufgabe, -

Kenntnisse aus der Musikgeschichte zu differenzieren, um Unterschiedlichkeit und Reichtum aufzuzeigen

- einen Überblick über die wichtigsten Stilepochen zu schaffen, um die Orientie rung im Musikangebot zu erleichtern - historische Musik im Umfeld ihrer Zeit zu begreifen, um der Gefahr unangemes

sener Hörerwartung und Werteinschätzung entgegenzuwirken und dadurch sich ihrem elementaren Reiz offenzuhalten. Bei der Beschreibung der für die Epochen repräsentativen Musikbeispiele werden sich die grundlegenden Strukturen musikalischer Komposition anbieten: melo

disch-rhythmisches, harmonisches und als Klangfarbe geprägtes Tonmaterial, die Prinzipien seiner Formung, die Ideen, die dem jeweiligen Werk Zielsetzung und Bedeutung verleihen.

Mittelalter: Der Gregorianische Choral

Bei der historischen Betrachtungsweise der Musik stellt sich zwangsläufig die Fra ge nach ihrem Ursprung. Der Vergleich zweier ausgewählter Klangbeispiele aus verschiedenen Epochen kann Aspekte zu dieser Fragestellung verdeutlichen. Das erste Beispiel ist ein mittelalterlicher Psalm, das zweite ein Lied aus dem Konzen trationslager Sachsenhausen (aufgezeichnet 1944).

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Hören Sie die zwei Gesänge:

Der eine enthält die Aufforderung „Machet die Tore weit und die Türen der Welt hoch, daß der König der Ehren einziehe ...", der andere „Ich bin es, die verbrannte Mutter, die von ferne zu eueren Herzen schreit:

daß hie wieder jemand die Kinder töte, daß nie wieder jemand die Mütter verbren ne ..."

Welchen Sinn kann es haben, diese Texte zu singen statt zu sprechen?

Der mittelalterliche Psalm, der heute noch in lebendiger Tradition (Liturgie der

Messe) gesungen wird, stammt aus dem Gregortanischen Choral: Um das Jahr 600 bemühte sich - wie mehrere Päpste im Mittelalter - vor allem Papst Gregor I. um die Sammlung und Ordnung aller damals gebräuchlichen christlichen Singeweisen. Nach dem Vorbild der von Gregor I. eingesetzten römi schen Schola cantorum (7 speziell geschulte Sänger und verstärkende Knaben stimmen) wurde der Choralgesang zunächst vornehmlich in Klöstern geübt und überliefert, dort auch in einer speziell entwickelten Schrift festgehalten und zur Grundlage musikalischer Wissenschaft und künstlerischen Schaffens gemacht. Die lateinische Sprache verhalf dem Choral zu seiner weltumspannenden Bedeu tung. Wichtige Wurzeln sind - gemäß der Entstehung der christlichen Kirche - jü

dische Tempelgesänge, Musik der Antike und des Vorderen Orients. Dem feierlichen Sprechen am nächsten kommt das Psalmsingen, die Psalmodie. Schon Bischof Ambrosius von Mailand (4. Jahrhundert) bezeugt: „Der Psalm wird nicht allein von den Herrschenden gesungen, sondern ebenso auch von den einfachen Leuten im Jubel dargebracht... Ohne Mühe läßt sich der Psalm begreifen und erlernen, ohne Beschwerlichkeit dem Gedächtnis einprägen. Der Psalm führt die Zwieträchtigen zusammen, versöhnt die Zerstrittenen und be

sänftigt die Beleidigten. Er ist Belohnung und Erquickung in einem, er dient, wenn er gesungen und sein Inhalt verstanden wird, der Erbauung wie gleicherweise der

Erziehung der Menschen." (Aus P. Gülke: Mönche, Bürger, Minnesänger. Leipzig: Köhler und Amelang 1975, S. 30)

Jeder der verschiedenen überlieferten Psalmtöne folgt der natürlichen Sprachme lodie des feierlichen Rezitierens in Form des Satzbogens.

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Matutin des ersten Adventsonntags mit einer Darstellung von Papst Gregor I., dem Großen, der die vom Heiligen Geist (Taube) eingegebenen Melodien aufschreibt (Benediktinisches Antiphonar aus dem 12 bis 14. Jahrhundert. Badische Landesbibliothek, Karlsruhe, Ms. Aug. LX, toi. 2 v)

Das Modell:

Mediatio (Mittelkadenz)

Rezitationston

Initium (Anstieg)

Rezitationston

(.Tenor") Terminatio (Kadenz1)

Aus Psalm 116 - im 8. Psalmton:

Lau-da ■ te Quoni - arn Glo -ri ■ a

Sie ■ ut

Dominum omnes confirmata est super nos misericordia Patri et

e - rai in prineipio et nunc et

gen-tes e - jus Fi - lio

sern-per

laudate eum om - nes popu - li. et veriias Domini manet in - ae ter- num et Spiri tu - i Sanc- to. et in saecula saecu lo - mm. A - men.

Aus Psalm 23 („Machet die Tore weit")2 - im 7. Psalmton:

¥ Die Modellzeichnung deutet eine Notierung des Tonhöhenverlaufs an. Mitunter setzte man ähnlich einer solchen Verlaufskurve die einzelnen Textsilben auf ver

schiedene Höhe. Oder man notierte Handzeichen, d.h. Winkbewegungen des einstudierenden Chorleiters, die den Richtungsverlauf der Melodie andeuteten, als Gedächtnisstütze über die Silben: die sogenannten Neumen. Aus ihnen entstan den die heutigen, anfangs quadratischen Notenköpfe. Im Rahmen vieler genaue rer Notationsversuche setzte sich das Liniensystem des Guido von Arezzo

(t 1050) durch. Die Zahl der Notenlinien war noch nicht festgelegt; meist wurden vier Linien im Terzabstand verwendet (d. h. auch der Linienzwischenraum galt schon als eine Tonhöhe); Notennamen, später Schlüssel markierten bestimmte Linien als Bezugston. Zugrunde lag die aus der Antike übernommene diatonische Tonreihe. Unser Notenliniensystem täuscht eine Gleichheit aller Tonleiterschritte vor. Welche Notenlinien müßten eigentlich näher zusammenrücken? (Gehen Sie dabei von ver schiedenen Notenschlüsseln aus.)

Im Mittelalter kennzeichnete man die Lage von Halbtonschritten z. T. durch farbige Notenlinien.

Notieren Sie nach Gehör den Melodieverlaul einer Psalmodie bzw. einen weiter aus greifenden Melodieverlauf mit Tonwiederholungen, -schritten und -Sprüngen.

Die Notation erfaßte noch keine differenzierten Tonlängen. Das entspricht dem gleichmäßig fortschreitenden gregorianischen Gesang, der auf rhythmische Glie derung weitgehend verzichtet und schon gar keine regelmäßig akzentuierende Takteinteilung kennt. ' lat. cadere = fallen

2 vgl. Hörbeispiel 5a; dort durch eine „Antiphon" refrainartig unterbrochen

10 Beurteilen Sie anhand des folgenden Klangbeispiels, welche Beweggründe wohl vor allem zur Entwicklung einer Notenschrift geführt haben könnten.

i

Al-Ie-Iu

Pa-schano

-

strum

im-mo-la

-

i

tus

*

Chri -

-

-

-

est

*

- stus.

„Allelujal Unser Osterlamm ist geschlachtet. Christus."

Dieser sog. Jubiius steht im Gegensatz zur Psalmodie. Die Singeweise ist aus der Ausschmückung der letzten Alleluja-Silbe hervorgegangen und geht auf hebrä

isch-orientalische Ursprünge zurück. Fast alle Textsilben werden auf viele Melo dietöne gebunden: „melismatischer"1 Stil im Gegensatz zum „syllabischen"2 Stil der Psalmodie. Der Text tritt in den Hintergrund; nicht Sprache, sondern Gefühls ausdruck (hier österlicher Jubel) ist Funktion des Gesangs, allerdings streng kon trolliert und stilisiert in der Zucht chorischen Einklangs. Eine Singeanleitung aus dem 11. Jahrhundert lautet:

„ Was du auch singst oder liesest, beginne in der Mittellage und solcher Stimme, daß es sich ohne Geschrei vollführen läßt... Komödiantenstimmen, Alpen- oder Gebirgsjodier, Donnerndes, zischendes Gewieher und Eselsgeschrei, Rindergebrüfi und Schafsbiöken, auch weibische Klänge, jede Verfälschung der Stimme, Geprunk und Neuerung lehnen wir ab und verbieten wir in unsern Chören, weil sie mehr Narrheit und Dummheit als Frommsein bekunden..." (Aus: Instituta patrum de modo psallendi, zitiert nach H. J. Moser in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, hrsg. von Friedrich Blume, Bd. 4. Kassel und Basel: Bärenreiter 1955, Sp,

1891, Artikel „Gesang")

a) Bei welchen Silben des Jubilus-Textes wird Sprache am meisten verfremdet? b) Anders als in der Psalmodie läßt der Gefühlsausdruck die Melodie weit ausgreifen. Welche größeren Intervalle kommen am häufigsten vor?

Melisma (griech.): melodische Gesangsverzierung auf einer Silbe Syllabik (griech. syllabe = Silbe): silbenweise Textvertonung

11

Die Melodie des Jubilus entfaltet sich nicht regellos; gewisse Tonketten wiederho len sich, heben sich dadurch als Figuren ab, verleihen dem Gesang charakteristi sche Konturen („Form").

Welche längeren Tongruppen lassen sich mehrmals im Verlauf des Jubilus finden?

Häufig vorkommende kürzere Tonfiguren wurden in der ursprünglichen Notation durch zusammengefaßte „Figuren"-Zeichen wiedergegeben (siehe im nächsten Notenbeispiel).

Die folgende Sequenz des Thomas von Celano (t 1256) „Dies irae" stellt bereits eine spätere Entwicklungsstufe des Gregorianischen Chorals dar, hervorgegan gen aus Versuchen, die fremdartiger Jubilus-Melodien durch Textierung im ger manisch-deutschen Kulturraum einzubürgern.

I.Di - es i-rae, di-es II - la, 2. Quan-tus tremor est fu-tu-rus,

Sol - vet Quan-do

3.Tu-ba mi - rum spar-gens so-num 4. Mors stupe-bit et na- tu - ra,

saeclum ju - dex

in fa - vil - la: est ven- tu -rus.

Per se-pul-cra re-gi-onum, Cum re-sur-get cre-a -tu-ra.

Teste Da-vidcum Si-byl-la. Cuncta stricte dis-cus-su- rus!

Co-get o - mnes an-te thronum. Ju-di-can- ti res-ponsu - ra.

fci: ' 5. Li-bar

6. Ju-dex

—fr T 3 ''—™—■—■ scriptus

er - go

pro-fe-re-tur.

cum se-de-bit,

In

■—■

M1

quo to-tum con-ti-ne-tur,

Quidquid la-tet

ap - pa-re-bit:

■—■—■ Un - de

Nil

Ö

mun-dus ju -di-ce-tur.

in - ul

- turn re - ma- ne- bit.

7. Quid sum miser tunc dicturus? Quem patronum rogaturus? Cum vix justus sit securus 3. Rex tremendae majestatis, Qui salvandos salvas gratis, Salva me, fons pieiatis.

9. Recordare Jesu pie, Quod sum causa tuae viae: Ne me perdas illa die 10. Quaersns mersedisti lassus: Redemisti crucem passus: Tantus labor nan sit cassus. 11. Juste judex ultionis, Donum fac remissionis, Ante diem rationis.

12. Ingamisco, tamquam reus: Culpa rubet vultus meus: Supplicanti parca Deus. 13. Qui Mariam absolvisti. Et latronem exaudisti, Mihi quoque spem dedisti.

14. Preces meae non sunt dignae: Sed tu bonus fac benigne, Ne perenni cremer igne. 15. tnter oves locum prassta. Et ab haedis me sequestra, Statuens in parte dextra. 16. Confutatis maledictis, Flammis acribus addictis: Voca me cum benedictis. 17. Oro supplex et acclinis, Cor contritum quasi cinis: Gere curam mei finis.

18. La-cri-mo - sa

di - es

il - la,

Qua re-sur-get

ex

fa - vil - la, 19. Ju - di -can -dus ho-mo

re - us:

P=F Hu-ic

er-go

par-ceDe-us.

Pi-e Je-su Oo-mi-ne,

do-na e - is

re-qui-em.

12

ji

j)

| 7^ a) Inwiefern vereinigt die Sequenz Merkmale der Singeweisen von Psalmodie und Jubiius?

b) Der Gesamtverlauf der Dies-irae-Sequenz wird durch sinnvolle Phrasierung der Texteinheiten und durch Wiederholung größerer Melodieteile gegliedert. Fertigen Sie eine Formskizze dieser Sequenz an.

c) Beurteilen Sie anhand des Klangbeispiels, welchen Vorteil diese Formanlage beim Wechselgesang zwischen Vorsänger und Schola bringt.

Übertragen Sie die Melodie der 1. Zeile in die heutige Notenschrift und singen Sie Ausschnitte der Sequenz.

Die Dies-irae-Sequenz aus der gregorianischen Totenmesse taucht im Verlauf der Jahrhunderte immer wieder als Cantus firmus und Zitat bei verschiedenen Kompo nisten auf, z. B. in Berlioz' „Symphonie fantastique" (letzter Satz: Hexensabbath), Liszts „Totentanz", Pendereckis „Paradise Lost". Die gregorianischen Gesangsformen Psalmodie, Jubiius und Sequenz lassen sich als Modellfälle für drei grundsätzliche Möglichkeiten ansehen, Gesang als sprach liche Information oder als Gefühlsausdruck einzusetzen:

Psalmodie

Jubiius

Ordnen Sie folgende Gesangsformen aus späterer Zeit den aufgezeigten drei Grund möglichkeiten zu: Lied - Rezitativ - Arie - Chanson - Blues.

Im gregorianischen Gesang zeichnen sich bereits - zurückgehend auf griechische Theorien - Grundlagen des heute gebräuchlichen Tonsystems ab: Der Satzbogen des Psalmvortrags bekommt Spannung durch Anheben der Stim

me; die Spannung löst sich durch Rückkehr der Stimme auf ihren Ausgangston (Grundton). Auch die Jubiius- und Sequenz-Melodien sind jeweils in einem be stimmten Grundton verankert, auf den sich alle übrigen Töne beziehen.

13

otumftcictommue l loutr

ccoitutur

Singende Mönche beim Chorgebet (Miniatur aus dem Liberprecum cum caiendario, Stundenbuch der Königin Johanna I. von Neapel. Österreichische Nationalbibliothek, Wien, Ms. 1921, fol. 113)

14 Singen Sie einen der auf S. 9 abgedruckten Psalmtöne und beachten Sie die Grund tonwirkung.

Vom Grundton aus erschließt sich die jeweilige Tonordnung (Modus, Kirchentonart) durch Zusammenstellung der erklingenden Tonhöhen als Tonleiter. Die grego rianischen Modi entsprechen nicht den heute gebräuchlichen Dur- und Mollton arten; sie ordnen die Halbtonschritte auf anderen Stufen an:

Erscheint durch die Anlage einer Melodie die Tonreihe so verschoben, daß der Grundton (Finalis) um die Mitte zu liegen kommt, spricht man von einer „plagalen" Form anstelle der „authentischen", z. B.

=

=

*

fiypodorisch

t

Grundton (Finalis]

Jeder Modus wurde später auch (wie Dur und Moll) in andere Tonlagen transpo niert, wobei Vorzeichen verwendet werden mußten, um die Halbtonschritte an den charakteristischen Stellen einzuordnen.

Zur Wiederholung:

Das diatonische Tonsystem und seine chromatische Ergänzung:

m

o



V

^|ffi=l Prime

große

kleine Sekunde

Terz

Quarte

Quinte

Sexte

Septime

Oktave

15

Ein Beispiel aus der weltlichen Musik des Mittelalters: der Tanz „Trotto" der Spiel leute:

JJJj.

13

PJ

JiJTJU pJ :l

: r erJ ^ i r

pr crir

p ij >-TJ^ij ■n pj.

i

Zur Anregung:

Ausführung durch mehrere Melodieinstrumente (Blockflöte, Geige) im Wechsel spiel, auch chorisch und solistisch; dazu Schlaginstrumente (Klatschen, Schellen tamburin, Becker, Triangel), die verschiedene frei erfundene rhythmische Ostinati spielen.

16

1. Der Gregorianische Choral; Singeweisen der mittelalterlichen christlichen Kirche, gesammelt und geregelt unter Papst Gregor I. um 600, im klösterlichen Gottesdienst gepflegt und überliefert, eine Grundlage der Entwicklung musikali scher Kunst, bis heute lebendige kirchliche Tradition (Liturgie). 2. Gregorianischer Gesang ist einstimmiger Chorgesang, ohne besonde re rhythmisch-metrische Differenzierung, ohne dynamische Entwick lungen und Gegensätze, aber mit formaler Gliederung durch Textphrasierung und Wiederholung von Melodieabschnitten.

3. Wichtige Gesangsformen des Gregorianischen Chorals: Psalmodie (syllabische Textdeklamation aus dem Satzbogen der Sprachmelodie),

Jubilus (melismatische Textgestaltung in reicherer Melodik, vorwie gend Gefühlsausdruck),

Sequenz (überwiegend syllabische Textierung ausgreifender Melodieverläufe).

4. Mit dem Gregorianischen Choral entwickelte sich das Prinzip unserer Notenschrift (Notenzeilen, Schlüssel, Notenköpfe). 5. Die mittelalterliche Musik übernimmt das antike diatonische Tonsy stem (Halb- und Ganztonschritte) und seine grundtonbezogenen Modi als Kirchentonarten, z. B. dorisch:

m

17

Renaissance: Das Chorlied

Audite nova

E-sels-kir- chen,derhat ein

t gy ri gy ri ga

ga

Gans,

das

ri gy ri ga

ga

Gans!

Die

hat ein lan -

Ali

fei - sten,

i fei-

dik -

ken,

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de - li - chen

Hals,

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i

i sten,

dik - ken,

wei

-

de

-

li-chen Hals,

18 her die.

Gans,

hab dir s,

t=$

T

die Gans,

her

-^

ter Hans,

r

hab

. habdir's,

sie, zupf

i

ter

habdirs,meintrau - ter

habdirs^neintrau

Hansl Rupf

mein trau -

dira,meintrauter

J

mein trau - ter Hans(habdirg,mein trau - ter

sie, sied

f=

sie, brat

sie, zreiß

sie, friß

sie!

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ist Sankt Mar-tins

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gähn,

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her ein gu-ten Wein und sdienk

bring her ein gu-ten Wein laß

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her - gähn.

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und

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auf

die gsot-ten Gans,

in Gans,

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die gsot-ten Gans

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Orlando di Lasso

(Aus: Sechs teutsche Lieder..., 1573 - im Original um einen Ton höher) Hören Sie Orlando di Lassos Lied „Audite nova", und stellen Sie fest, worin sich der

Chorgesang des 16. Jahrhunderts von dem des Mittelalters grundsätzlich unter scheidet.

Dieses Chorlied, aus einer großen Zahl ahnlicher Lieder ausgewählt, zeigt bei spielhaft die Wesenszüge der neuen Epoche. Der Text schildert den Rahmen, in dem seinerzeit solche Musik erklang: eine fröhli che Runde von Zechbrüdern. Wenn auch im vorausgegangenen Mittelalter die weltliche Lust nicht zu kurz gekommen war, wenn auch die Musik (vorwiegend die „niedere" Instrumentalmusik) ihren Teil zu vergnügter Geselligkeit beigetragen

hatte, so vollzog sich doch am Übergang zum 16. Jahrhundert ein ganz entschei dender Wandel. Der Mensch fühlte nun eine tiefe geistige Verwandtschaft mit dem auch im Mittelalter nie ganz erloschenen, der Welt zugewandten Erbe der Antike. Diese Entwicklung wurde durch eine große weltpolitische Machtverschiebung ver ursacht: 1453 ging Byzanz an den zur Weltmacht aufgestiegenen Islam verloren. Vor seinem Ansturm flohen die Träger der reichen griechisch-antiken und oströmi

schen Überlieferung nach Westen. Mit der wieder auflebenden griechischen Philo

sophie (Wiedergeburt der Antike, Renaissance) trat, im Gegensatz zum mittelalter-

20

liehen,

theozentrischen Weltbild,

der

Mensch in den Mittelpunkt des Interes ses (Humanismus), mit seiner Vernunft und seinen Leidenschaften, mit seiner

Lust und seinem Elend. Die Kunst sollte nun neben dem kirchli chen Kult (Motette, Messe) mehr dem Menschen, seiner Geselligkeit und Un terhaltung dienen.

Das Selbstbewußtsein des Künstlers führte zum individuell gestalteten, auto nomen Kunstwerk und damit zur per sönlichen Anerkennung des Meisters; er trat nicht mehr als Anonymus hinter sein Werk zurück wie im Mittelalter.

Der Autor des vorliegenden Chorlieds, Orlando di Lasso (um 1532-1594), galt als eine der musikalischen Autori täten seines Jahrhunderts. Als begab ter Chorknabe wurde er in Flandern entdeckt und nach Italien geholt, wo er

schließlich als Kapellmeister der päpst lichen Kapelle in Rom wirkte; später war er höfischer Kapellmeister am her Orlando di Lasso (Holzschnitt von Tobias Stimmer)

zoglichen Hof in München. Die Persön lichkeit des Orlando di Lasso spiegelt, ähnlich wie die des Leonardo da Vinci,

die Universalität, Individualität und Genialität des Renaissancekünstlers wider.

Die Renaissance mit ihrer neuen Weltsicht, mit entscheidenden Erfindungen und Entdeckungen wird als Beginn der Neuzeit angesehen. Musikalisch leitete die Ausbreitung der mehrstimmigen Musik den entscheidenden Wandel im Vergleich zu den vorangegangenen Jahrhunderten ein. Die Mehrstimmigkeit blieb übrigens ein auf die abendländische Musik beschränktes Phänomen. Die neue Dimension des Zusammenklangs bildete ein Hauptgestaltungsmittel der auf Klangeffekte („Ohrenschmaus") ausgerichteten Renaissancemusik.

Beurteilen Sie aufgrund der folgenden Zitate, welche Bedeutung die Vokalmusik im

Vergleich zur Instrumentalmusik in der Renaissanceepoche hatte. Martin Luther:

„Der schönsten und herrlichsten Gaben Gottes eine ist die Musica, der ist der Satan sehr feind, damit man viel Anfechtung und böse Gedanken vertreibet, der Teufel er harret ihr nicht. Musica ist der besten Künsten eine. Die Noten machen den Text le bendig. Sie verjagt den Geist der Traurigkeit, wie man am König Saul siehet. . . Die bösen Fiedler und Geiger dienen darzu, daß wir sehen und hören, wie eine feine gute Kunst die Musica sei. Denn Weisses kann man besser erkennen, wenn man

Schwarzes dagegen hält..."

(Aus den Tischreden)

ILtdtjßusremtäShd^umjsondere mentes y

Studentisches Collegium Musicum (Kupferstich von Simon de Passe, um 1600)

es dmvfatßetUtdienßhnacorda,

22 William Byrd1: „ Vom Verfasser kurz erläuterte Gründe, um einen jeden dazu zu überreden, singen zu lernen.

1. ist es eine leicht zu lehrende Kunst und rasch zu lernen, wo ein guter Meister und fähiger Schüler ist.

2. Die Übung des Singens ist köstlich für das Wesen und gut für die Gesunderhaltung des Menschen. 3. Es kräftigt wirklich alle Teile der Brust und öffnet die Luftwege.

4. Es ist ein einzigartig gutes Heilmittel gegen Stottern und Stammeln beim Sprechen. 5. Es ist der beste Weg, eine vollendete Aussprache zu erlangen und ein guter Red ner zu werden.

6. Es ist die einzige Möglichkeit, festzustellen, wem die Natur das Geschenk einer gu ten Stimme verliehen hat; diese Gabe ist so Seiten, und bei vielen geht diese hervor ragende Gabe verloren, weil es ihnen an der Kunst fehlt, die Natur auszudrücken. 7. Keine Musik von Instrumenten, welche es auch seien, ist der zu vergleichen, die von menschlichen Stimmen hervorgebracht wird, wenn diese wohl eingeteilt und an geleitet werden.

8. Je besser die Stimme, desto geeigneter ist sie, Gott zu ehren und zu dienen, und

die Stimme des Menschen soll hauptsächlich zu diesem Zweck benutzt werden, omnis spiritus laudet Dominum Da der Gesang zählt zu den besten Dingen,

Wünscht' ich, alle Menschen lernten singen." (Aus: Psalmes, Sonets and Songs, 1588)

fZ§

0

a) Hören Sie noch einmal die Einleitung des Lieds, und versuchen Sie nachzuemp finden, welche musikalischen und inhaltlichen Erwartungen sie nahelegt.

b) Mit welchen musikalischen Mitteln erzielt der Komponist den Überraschungs effekt, durch den die Einleitung zur Parodie wird? c) Welche Wirkung könnte dieser Kunstgriff auf den damaligen Hörer gehabt haben? Erklären Sie auch die im Schlußteil („daß sie uns nit schaden mag") verwendete

Parodie. Überlegen Sie, welche Einstellung zur kirchlichen Macht sich im Wort-TonVerhältnis des Elnleitungs- und Schlußteils äußert.

Der auf Piaton zurückgehende Gedanke, die Musik müsse vom Wort her ihren Sinn

empfangen, führte zu zwei Forderungen, die für die Musik aufgestellt wurden: „imitar le parole" „imitatio naturae". Inwieweit sehen Sie diese Forderungen in Orlando di Lassos Chorlied erfüllt?

Als Parodie des „cantare in chiesa" wird die Polyphonie im Beispiel „Audite nova" zum Ausdruck eines distanzierten Verhältnisses zur kirchlichen Macht; sie belebt die wörtliche Rede und verleiht besonders realistischen Darstellungen mehr Nach druck. Die mehr erzählenden und die der Situation entsprechenden volkstümlich tänzerischen Teile sind überwiegend homophon gestaltet.

Die Satztechnik orientiert sich an der Besetzungs- und Aufführungspraxis der Zeit: Die vier Klangbereiche der menschlichen Stimme und das gemeinsame, gesellige

Musizieren von ausgebildeten Sängern und interessierten Laien bedingen einen mehrstimmigen Vokalsatz, der sich durch Wohlklang und Klangfülle auszeichnet;

Klang und Rhythmus, Polyphonie und Homophonie sind im Gleichgewicht. 1 englischer Komponist des 16.Jahrhunderts

23 Die schwieriger auszuführenden polyphonen Abschnitte sind durch selbständig

geführte, imitatorische Melodie- und Bewegungsverläufe gekennzeichnet. Die Stimmen der homophonen Teile sind textlich und rhythmisch weitgehend par allel geführt; der konsonante Akkordklang läßt sich meist auf einfache Harmonie folgen zurückführen.

Im Mittelalter galt die Terz als Dissonanz. Nun aber wird der Dreiklang, der aus zwei übereinander geschichteten Terzen besteht, selbst zum Inbegriff der Harmo nie.

Zur Wiederholung: Durdrei klang

Molldreiklang

■kleine Terz

rr~große Terz

-große Terz

kleine Terz-

1/2

e

11/2 a

f

h

c

d

Der Dreiklang mit seinen Umkehrungen Sexte:

8» Sexte 1. Umkehrung

Grundform

(Sextakkord)

2. Umkehrung

(Quartsextakkord)

P auf

die

gsot

-

ten

Gans,

auf

die

bra

ten

Gans..."

Dies sind einige Takte aus dem Schlußteil des Lieds, hier in einer Notenzeile zusammengefaßt.

RN> a) Schreiben Sie diese Akkordfolge ohne Tonverdopplungen auf, ermitteln Sie die je-

\s^

weilige Dreiklangsgrundform und bestimmen Sie den Dur- bzw. Mollcharakter der einzelnen Klänge.

b) Was läßt sich aus diesem für das ganze Lied typischen Ausschnitt hinsichtlich der harmonischen Struktur und Tonalität folgern?

Welche harmonische und melodische Wirkung haben die tonartfremden Töne im Sopran und im Alt?

a) Welche Abschnitte des Lieds sind vorwiegend homophon, welche vorwiegend polyphon komponiert?

b) Begründen Sie die Verwendung des jeweiligen Satzstils aus dem vertonten Text inhalt.

24

In der Renaissance gebrauchte man den Begriff „Takt" nur im Sinne von „tactus", d. h. Schlag, Der senkrecht das Liniensystem durchschneidende Strich wurde noch selten verwendet und diente nur der Orientierung; erst seit dem 17. Jahrhun dert kennzeichnet der Taktstrich die auf ihn folgende Note als Schwerpunkt. Durch die Wiederholung bestimmter rhythmischer Formeln, die sich weitgehend aus der akzentgerechten Textdeklamation ergeben, entstehen fest umrissene metrische Gestalten. Metrum ist hier zu verstehen als musikalisch wirksame Ordnung, die

durch eine regelmäßige Abfolge von „schwer-leicht" entsteht. Es geht zum Teil auf die antiken Versmaße zurück. Aber auch der Tanz hat die Metrik der Kunstmu sik, besonders seit der Renaissance, beeinflußt. (Die schon im Mittelalter deutlich rhythmisch gegliederte Tanzmusik konnte keinen Einfluß auf die Kunstmusik neh men, da sie nicht als ebenbürtig galt.)

Bestimmen Sie das Metrum bei einigen Ausschnitten von „Audite nova", z. B. „gy ri gy ri ga ga Gans", „rupf sie, zupf sie ...", „auf die gsotten Gans . .." (Sopran!).

Das Chorlied wird in der Renaissance zur literarisch-musikalischen

Gattung der gehobenen Gesellschaft. Polyphonie und Homophonie als Satzweisen der nun herrschenden Mehrstimmigkeit treten in den Dienst der Wortausdeutung. Die Dur- und Molltonarten verdrängen die Kirchentonarten des Mittel alters. Dur- und Molldreiklänge bestimmen den auf Konsonanz ausge richteten Zusammenklang. Für die Melodiebildung werden leittonartige chromatische Wendungen charakteristisch. Die Wiederbelebung antiker Metren und die in die Kunstmusik „geho bene" Tanzmusik tragen zur Akzentgliederung der Musik und zur Vor bereitung des geraden und ungeraden Taktes bei. Die erkennbaren Metren wechseln häufig.

Durch Vereinfachung der Mensuralnotation (?, ?...) wird der Schritt

zur heute noch gültigen Notenschrift vollzogen.

Zum folgenden Beispiel, einem weiteren Chorlied von Orlando di Lasso:

Eine liebeshungrige Dame schlägt ihrem spielfreudigen Gemahl, einem Advoka ten, als Spieleinsatz mehrere Schäferstündchen vor. Der Advokat zweifelt an sei nem Glück im Spiel und möchte angesichts der Höhe des Einsatzes schon verza

gen. Da springt ihm mutig der junge Schreiber (clerc) bei und erbietet sich, die Last zur Hälfte mitzutragen.

Dieses Chorlied benutzt, wie das erste Beispiel, die Volkssprache, hier zum Teil sogar eine recht bildhaft-derbe Umgangssprache. Die Vorliebe für die Darstellung prickelnder Situationen entsprach der damaligen französischen Mentalität.

25 Un aduocat j

J J J.j. Un

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Vous le me

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Vous le me

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cou- chetropgros.Com-

c'est

cou- chetropgros,

J

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coups.

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26

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jeu

seroit

jeu

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J

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Non,

'jjjj Comment seroit

jeu

sans

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28 Das Lied gliedert sich in vier Abschnitte:

einen erzählenden am Anfang (mit Zitat der Frage des Advokaten), einen, in dem die Dame spricht („si je gaigne ...") einen, in dem der Advokat antwortet („Quatre coups . ..") und einen, in dem der Schreiber zu Wort kommt. a) Versuchen Sie aus dem Ausdruckscharakter der Musik von Abschnitt 2 bis 4 10

Rückschlüsse auf Charakter, Aussehen und Gehabe der jeweiligen Person zu zie hen (z. T. parodistische Darstellung!).

b) Welche Funktion haben in diesem Lied Homophonie und Polyphonie im Vergleich zum vorigen Beispiel?

c) Vergleichen Sie zwei verschiedene Interpretationen des Liedes.

Das folgende Beispiel stammt aus dem Handschriftenbestand der Fugger (Augsburg, Beginn des 16. Jahrhunderts).

r,° -^\r

fr-rrrrr" -r rrr r

r

n

[Aus: Bicinien der Renaissance, hrsg. von Leopold Nowak. Kassel und Basel: Bärenreiter 1950)

1

lat. = Zwiegesang

-m

29 Der Herausgeber des Neudrucks schreibt dazu:

Es „dari mit einiger Sicherheit angenommen werden, daß es sich um eine für Zwecke des instrumentalen Musizierens angelegte Sammlung handelt; ja man ge winnt beinahe den Eindruck, daß der Schreiber sie gerade für Übungszwecke zu sammengestellt hat. Die Stücke sind ,auff alle Instrument dienstlich', können und sollen demnach je nach Stimmumfang und augenblicklicher Möglichkeit sowohl auf Blockflöten als auch auf Streichinstrumenten gespielt werden ..."

30

Barock: Das Concerto grosso

Bachs Widmung der Brandenburgischen Konzerte:

Seiner Königlichen Hoheit dem Gnädigsten Herrn Christian Ludwig Markgrafen von Brandenburg usw. usw. usw. Gnädigster Herr. Da ich vor ein paar Jahren kraft Ihres Befehls das Glück hatte, von Eurer Königlichen Hoheit gehört zu wer

den, / und da ich damals bemerkte, daß Sie einiges Vergnügen hatte an den geringen Talenten, die der Him

mel mir für die Musik verliehen hat, / und da Eure Königliche Hoheit bei der Verabschiedung geruhte mir die Ehre zu erweisen, mir zu befehlen, Ihr einige von mir komponierte Stücke zu senden, / habe ich mir deshalb, in Befolgung Ihres allergnädigsten Befehls, die Freiheit genommen, meiner untertänigsten Verpflichtung ge genüber dero Königlichen Hoheit nachzukommen mit den vorliegenden Konzerten, die ich für mehrerlei Instru mente eingerichtet habe, / wobei ich Sie untertänigst bitte, deren Unvollkommenheit nicht mit der Strenge des

feinen und erlesenen Geschmacks, den Sie, wie alle Welt weiß, in bezug auf Musikstücke hat, beurteilen zu wollen, / sondern vielmehr die große Hochachtung und den untertänigsten Gehorsam, die ich Ihr damit zu be weisen suche, wohlwollend in Betracht zu ziehen. / Im übrigen, mein Gnädigster Herr, bitte ich Eure Königli

che Hoheit untertänigst, die Güte haben zu wollen, mir weiterhin wohl beigetan zu sein und überzeugt zu sein, / daß mir nichts so sehr am Herzen liegt, als Verwendung finden zu können bei Gelegenheiten, die dem selben Person und Diensten würdiger sind, /mir, der ich bin mit Eifer ohnegleichen Gnädigster Herr Eurer Königlichen Hoheit

Coethen, den 24. März 1721

untertänigster und gehorsamster Diener Johann Sebastian Bach

31 Hören Sie den 1, Satz des Brandenburgischen Konzerts Nr. 2 F-Dur von Johann Sebastian Bach. Welche Neuerungen zeigt das Klangbild dieser Barockmusik im Ver gleich zur vorausgegangenen Epoche?

Tromba in F

rjp.

Viola rip.

Violone rip.

Violoncello e Cembalo all1 unisono.

SZS

11

32

Com.

33

34

Tr.

35

Historische Darstellung der barocken Konzert-Aufführungspraxis: Die Schüler des Jesuiten-Kollegiums musizie

ren im Saal der Marianischen deutschen Kongregation (heute Bürgersaal) in München

00

37

Johann Sebastian Bach, damals Hofkapellmeister in Köthen (Sachsen-Anhalt), widmete seine sechs Brandenburgischen Konzerte dem Markgrafen von Branden

burg, der ihn um Übersendung einiger seiner Kompositionen gebeten hatte. Bach benutzte das Widmungsschreiben gleichzeitig als Bewerbung um eine Anstellung

im Dienst des Markgrafen, die er nie erhalten hat. Der Grund liegt wahrscheinlich darin, daß diese Konzerte von Bach speziell für sein leistungsfähiges Orchester in Köthen geschrieben und deshalb für das Orchester des Markgrafen kaum spielbar waren. Die Dedikation von Bach enthält neben der Information über Entstehung und Zweck der Konzerte auch Hinweise auf die Bedeutung der Musik und die Stel lung des Musikers im Barockzeitalter.

Die Machtkonzentration in kirchlichen und höfischen Zentren bewirkte einen Stil wandel in der Musik. Neben der Kirche, in der zum Lob Gottes das Eingeständnis irdischer Vergänglichkeit erklang (Dreißigjähriger Krieg!), wurden verstärkt die Hö fe Träger der Musikpflege, die Musik selbst eine höfische Kunst. Es entwickelten sich Prunkformen, die wie die barocken Paläste und Kuppelkirchen (Gegenrefor mation!) der Repräsentation absolutistischer Macht dienten. Diesem Bedürfnis ent sprach der italienische Stil, der sich durch ganz Europa, besonders in Gestalt von

Konzert und Oper, durchsetzte. Die Musiker strebten nun in höfische Stellungen. Sie wurden an Amt und Auftrag gebundene, meist spezialisierte Berufsmusiker.

Der reisende Gesangs- und Instrumentalvirtuose spielte im barocken Musikleben eine herausragende Rolle.

Die Entstehung einer eigenständigen Instrumentalmusik nach mehr als tausend Jahren abendländischer Musikpflege ist ein Vorgang, dessen Bedeutung wir aus heutiger Sicht kaum abschätzen können. In der mehrchörigen Musik des Frühba

rock (Venezianische Schule) wurden zur Überbrückung der räumlichen Entfernung Singstimmen durch Instrumente unterstützt, später einzelne Chöre ganz durch In strumentalchöre ersetzt, die sich in der folgenden Zeit verselbständigten. Die vom Wort gelöste Musik erklingt erstmals als abstrakte Kunst. Sie will mit ausschließlich klanglichen Mitteln Sinnzusammenhänge schaffen und den Menschen durch ein Spiel von Klangformen ansprechen. Inwiefern spiegelt sich die Entstehungsgeschichte der Instrumentalmusik im 1. Satz von Bachs Konzert wider?

[>

Zwei Herleitungen des Begriffs „Concerto" sind möglich: concertare = übereinstimmen (mittellat.) bzw. Wettstreiten (klassisches Latein). Welche dieser beiden Bedeutungen erscheint Ihnen bei diesem Stück von J. S. Bach am passendsten?

Das Streben nach Prunk, wovon auch die aufwendige Kleidermode, die Perücken frisuren oder die mit fremdsprachlichen Vokabeln angereicherte Redeweise zeu gen, entlädt sich musikalisch besonders in der ornamentenreichen Melodik und Klangfülle des Konzerts. So charakterisiert es der Zeitgenosse Johann Mattheson

in seinem Lehrwerk „Der vollkommene Capellmeister" 1739: „.. . die Wollust führet in den Concerten. .. das Regiment. Auf die voltständige Besetzung kömmt das meiste an, ja, man treibt sie bis zur Unmässigkeit, so daß es einer reichen Tafel ähnlich siehet, die nicht für den Hunger, sondern zum Staat ge deckt ist."

38

Ein Grundelement des konzertanten Stils ist neben der üppigen melodisch-rhyth mischen Bewegung die Freude am Kontrast, vor allem in Klangdichte und Klang farbe.

T.

1

23

Der Kontrast in der Klangdichte entsteht durch den Wechsel von Tutti- und Solo partien.

Tutti, auch Concerto grosso oder Ripieno: chorisch besetzte Orchesterstimmen.

„Concerto grosso" bezeichnet darüber hinaus auch ein ganzes Concerto, in dem eine große und eine kleine Klanggruppe im Wechsel musizieren. Da in den Tutti-Abschnitten meist gleiche musikalische Elemente wiederkehren, werden sie auch „Ritornelle" genannt. Solo, auch Concertino:

wetteifernd hervortretende, solistisch besetzte Stimmen, an die zum Teil sehr hohe technische Anforderungen gestellt werden.

Übertragen Sie die obige Formskizze in Ihr Arbeitsheft und tragen Sie die Tutti- und Solostellen ein (mittlere Ebene). 11

Verfolgen Sie das Wechselspiel der Klangfarben in den Takten 9 bis 22 (oberes Feld der Formskizze) und erklären Sie den Kunstgriff, den Bach verwendet hat, um den starken Farbkontrast der Soloinstrumente zu dämpfen.

Welche Instrumente bilden das fortlaufende Fundament des Satzes (unteres Feld der Formskizze), den Basso continuo?

28

39

Chorgitter der Stiftskirche in Maria Einsiedeln (Schweiz) von B. Jakob Nussbaumer (1675-1685)

Die harmonische Schlußformel am Ende des ersten Ritornells (Takt 8) findet man

mehrfach in diesem Satz, auf verschiedenen tonalen Ebenen:

Besonders markant ist die Baßstimme gestaltet. Prägen Sie sich die Baßstimme von Takt 8 durch Mitsingen ein und versuchen Sie

beim Anhören eines Ausschnitts aus dem Konzertsatz diese Baßbewegung wieder zufinden.

Solche Formeln haben eine deutliche Schlußwirkung; sie riegeln das Ritornell ge gen das folgende Solo ab, markieren klare Tonartenbezüge und dienen somit der

Gliederung und Übersichtlichkeit der Musik.

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11

4C

Zur Wiederholung:

Eine Akkordfolge kann musikalische Spannung (positiv oder negativ) er zeugen. Hierbei spielen Halbtonschritte, die als Leittöne empfunden wer den, eine wesentliche Rolle. Die Bezeichnung „Kadenz" weist auf dieses Spannungs-„Gefälle" hin.

Der Dreiklang auf der 1. Stufe einer Tonart, der Tonika, ruft ein Gefühl der Ruhe, der Entspannung hervor.

Die Dominante (V. Stufe), mit dem Leitton der Tonart, erzeugt hingegen Spannung, die durch Vorhalte oder Dissonanzen noch verschärft werden kann.

Die Subdominante {IV. Stufe) hat in vielen Fällen eine von der Tonika abstoßende Wirkung.

IV

Übertragen Sie die folgende Grafik in Ihr Arbeitsheft. Bestimmen Sie die Akkordfolge der Schlußkadenz des ersten Ritornells und vervoll ständigen Sie die Spannungskurve im folgenden Diagramm:

+2

+1

41

Im nachstehend abgedruckten Partiturausschnitt des Konzertsatzes bestimmt das Concertino das Geschehen. Der durchlaufende Baß enthält eine weitere Schluß bzw. Kadenzformel in verschiedenen Tonarten:

Bestimmen Sie mit Hilfe der auftretenden Versetzungszeichen und der Zieltöne der jeweiligen Baßfigur die Tonarten, die in den Takten 59 bis 67 durchschritten werden. Vervollständigen Sie das folgende Schema in Ihrem Arbeitsheft:

Hinzutretende Versetzungs zeichen,

Zielton/Tonart Takt

Baßmelodie

Vergleichen Sie in dem folgenden Abschnitt Klangbild und Notentext. Was spielt das Cembalo? (Mit der linken Hand übernimmt der Cembalist die Baßstimme)

Der Komponist der Barockzeit ersparte sich in der Regel die Niederschrift einer Cembalobegleitstimme. Es war generell üblich, die Begleitakkorde zwischen Basso-continuo-Stimme und Oberstimmenmelodie frei zu improvisieren, unter Beach tung von Ziffernhinweisen des Komponisten für besondere Akkordverbindungen

(bezifferter Baß, Generalbaß). Diese Praxis gründet in dem um 1600 vollzogenen Stilwandel: Der in der Renaissancemusik beachtete Gleichgewichtszustand zwi schen Linearität und Akkordik (Polyphonie und Homophonie) hatte sich zugunsten der Akkordik verschoben. Die Mittelstimmen zwischen Melodie und Baß verküm merten zu bloßen Füllstimmen, leicht ableitbar aus den Außenstimmen oder in Zif

fern angedeutet.

Die obligate, mit Ziffern versehene Baßstimme, der Generalbaß, verlieh der gan zen Epoche, deren Musizierstil sie prägte, den Namen: Gerietaibaßzeitaiter, im musikhistorischen Rahmen identisch mit Barockzeitalter.

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44

Die wichtigsten Regeln des Generalbaßspiels lassen sich in wenigen Sätzen zu sammenfassen:

- Im allgemeinen wird ein Dreiklang (Grundform) über jedem Baßton gespielt; hierzu ist keine Bezifferung erforderlich; die Lage (Umkehrungen) und Figuration wird dem Spieler überlassen.

- Die Ziffern über bzw. unter der Baßstimme bezeichnen Akkordtöne, die von die ser Norm abweichen:

6 4+ 2

- Versetzungszeichen stehen nach der Ziffer, große oder Weine leiterfremde Ter zen werden oft nur durch ß , b bzw. t) angezeigt.

13

J. S. Bach hat im 1. Satz seines Concerto grosso nur an einer harmonisch beson ders komplizierten Stelle vor dem Schlußritornell, in der sein Namenszug als klin gendes „Autogramm" (vgl, auch Takt 50-53) erscheint, die Baßstimme beziffert. Die dort in 8 gleiche Achtelnoten rhythmisch gegliederte Baßstimme wird in der fol genden Zusammenstellung in ganzen Noten wiedergegeben:

Zu ergänzende Akkordtöne

Bezifferter

Baß 6 4+ 2

(ohne

Bezifferung!)

Ergänzen Sie mit Hilfe der oben genannten Regeln die fehlenden Akkorde in den Tak ten 108, 109 und 111.

Der Partiturausschnitt Takt 58 ff. enthält die Durchführung eines markanten The mas durch alle Solostimmen:

45 Nennen Sie die charakteristischen Erkennungsmerkmale dieses Themas und stellen Sie fest, wo das Thema bereits im ersten Partiturausschnitt, zu Beginn des Konzert satzes, auftritt. Welche Rolle spielt es dort?

Übertragen Sie die folgende Skizze in Ihr Arbeitsheft. Erläutern Sie anhand der Skizze den Concertino-Ausschnitt von Takt 60 bis Takt 67 und tragen Sie das Auftreten des bestimmenden Themas ein. J

Bach wählt hier für die Durchführung des Themas die Form des Fugato: ein imita

torisches Überwechseln des Themas in die verschiedenen Stimmen. Die Form der Fuge, in der Barockmusik besonders beliebt und von J. S. Bach mit Meisterschaft gepflegt, wäre gegeben, wenn sich eine solche imitatorische Anlage über den gan zen Satz erstreckte und auch die Baßstimme das Thema übernähme; außerdem würden freiere Zwischenspiele die thematischen Abschnitte auflockernd unterbre chen.

Für den ganzen Satz des Konzerts ist jedoch das Eröffnungsmotiv als rhythmische und melodische Keimzelle tonangebend; die zusammenwirkenden Instrumente koppeln das sich wiederholende Motiv oft mit verschiedenen Bewegungsfiguren (Rhythmen):

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Hören Sie die Exposition des 1. Satzes und beschreiben Sie, welche Elemente der Musik Sie besonders beeindrucken.

1 für Durionarten

Titelblatt der Sinfonia grande op. 55 (in der Abschrift eines Kopisten mit eigenhändigen Eintragungen Beethovens), auf dem die Widmung

„intitoiata Bonaparte" so kräftig ausradiert wurde, daß ein Loch im Papier entstand (Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien)

ro

53

Allegro con brio

J = 60

2 Flauti

2 0boi

2 Clarinetti in B

2 Fagotti

3 Corni in Es

2 Trombe in Es

Timpani in Es-B

Violina pcresc.

f

S

Violina

Viola

Violoncello

S p

Contrabasso

ä

54

Fl.

Ob.

Cl.

VI,

Via.

Vc. e Cb.

55

Fl.

Ob.

Bassi

56

ci. Cor.

(Es)

VI,

Via.

Vc. e Cb.

57

Fl.

Ob.

Cl.

Fg.

zu 3 Cor.

(Es)

Tr.

(Es]

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P

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Via.

Vc.

Cb.

P

58

Der Inhalt dieser Exposition bildet die Grundlage für großartige Steigerungen in Durchführung und Coda. Dabei spielt der Gegensatz von Haupt- und Seitenthema eine entscheidende Rolle:

Seitenthema1

Hauptthema

Vl=. P

Ob.

Klar

Rhythmus und Metrum Dreiermetrum

punktierter Rhythmus

volltaktig

schwerer Auftakt

schwingend

synkopische Wirkung

Harmonik und Tonalität

Tonika:

Es-Dur

(häufig

als

„heroische"

Das Seitenthema spannt sich von der

Tonart verwendet), schillernd durch Chro-

Doppeldominante zur Dominante (B-Dur);

matik; Hauptsatz schließt auf Doppeldomi

akkord- und tonartfremde Töne, häufig auf

nante: F-Dur (!)

betonten Taktteilen, erhöhen die Spannung und beleben den Seitensatz

Motivgestaltung 2 Motive, aus dem Es-Dur- Dreiklang gebil

1 Motiv, in 4 Klangfarben und 4 Gestalten:

det (Anklang an französische Revolutions

3 abwärts gerichtete Töne, deren Intervalle

musik!); 2 verschiedene Phrasierungen:

immer größer und gespannter werden (Energie)

n vgl.T. 1-3

vgl.T. 172 ff.

Die in den Themen gestaute Energie drängt zur Entwicklung.

11n einigen Analysen werden erst die Takte 83 ff. als Seitenthema angesehen.











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Ansicht der Stadt Wien von der Josephstadt aus (Kolorierter Stich von C. Schütz, 1785. Historisches Museum der Stadt Wien)

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VI.

Via.

Vc. Cb.

62

a) Suchen Sie mit Hilfe des Klangbeispiels charakteristische Bestandteile des Hauptund des Seitenthemas in den auf S. 60 f. abgedruckten zwei Partiturseiten aus der

14

Durchführung.

b) Welche Veränderungen im Vergleich zur oben angegebenen Charakteristik aus der Exposition können Sie feststellen?

Die thematische Arbeit in der klassisch-romantischen Musik: Aus weni gem, aber spaltbarem und entwicklungsfähigem Material wird das Mögli che an Ausdruckswandlung herausgeholt durch Fortspinnung, Kombina tion, Entwicklung. Das Entwicklungsprinzip ist vor allem gekennzeichnet durch Verwandlung, Ballung, Steigerung, Erweiterung und Reduktion.

Hören Sie die folgenden Sinfonieausschnitte und ordnen Sie die verschiedenen genannten Entwicklungsmöglichkeiten den Notenbeispielen zu:

15

Tutti

VI.

T. 109

f ,ff f if f fltf

r p i r r

ff Klar., Fg.

T. 178 ff

T, 300 ff.

T. 338 ff.

63

T. 373 ff.

decresc.

pizz.

Überleitung zur Reprise)

Die Musik des Barock ahmte Affekttypen nach (einheitlicher Ausdruck eines Form teils), die Musik der Klassik dagegen spiegelt die in steter Wandlung begriffene menschliche Seele.

Fließende musikalische Übergänge in verwandte und abgelegene Tonarten (Mo

dulationen) unterstützen diesen Eindruck seelischer Bewegtheit.

B>

In welchem der vorstehenden Beispiele kann man am deutlichsten eine Modulation erkennen? Bestimmen Sie Ausgangs- und Zieltonart sowie die Art des Übergangs.

Aus der Zusammenballung der musikalischen Energie im Durchführungsteil, die sich bis zu schneidenden Dissonanzakkorden steigert, entspringt ein neues The ma; im Vergleich zur Haupttonart gehört es einem ganz entfernt liegenden Ton artenbereich an:

T. 284 ff.

■i

Hören Sie die Takte 280 ff. und bestimmen Sie aus dem Noten- und Klangbeispiel

Tonart, Instrumentierung und Charakter des neuen Themas.

In der Coda des Sinfoniesatzes tritt dieses zusätzliche Thema als Ergebnis der thematischen Auseinandersetzungen deutlich fieben das Hauptthema, so daß es nochmals einer längeren Entwicklung bedarf, um die Idee des Hauptgedankens endgültig durchzusetzen. Dadurch entsteht gleichzeitig eine formale Ausgewogen heit zwischen wiederholter Exposition und Reprise mit Coda.

l>

Hören Sie den ganzen Sinfoniesatz und verfolgen Sie dabei die Skizze auf S. 64. Sie enthält die wesentlichen Stationen des musikalischen Verlaufs, als Ergänzung z. B. auch zwei weitere thematische Gedanken (II b, II c), die dem Seitenthema II a verbun den sind.

16

Formverlauf des 1. Satzes in Beethovens 3. Sinfonie Exposition

|1O9

Takt

Wiederholung der

Exposition

Durchführung 152

166

178186

198

220

236

24S

276 284

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65

1. In der klassischen Musik deutet sich bereits der Gedanke des „l'art pour l'art" an. Ihr Selbstzweck ist die Verkörperung reinster Mensch lichkeit.

2. Die Form wird zum Ausdrucksträger innerer Empfindunger; ihr Gehalt offenbart sich dem Hörer erst im selbsttätigen Mitvollzug. 3. Die Melodie wird zum Hauptanliegen der Musik und orientiert sich am Volkslied. 4. Die meist achttaktige Periode, aus Volkslied und Volkstanz übernom

men, gliedert den musikalischen Satz und ersetzt das motorische Prin zip des Barock: Sie setzt sich aus zwei- bis viertaktigen Motiven zu sammen. (Das Motiv, der kleinste entwicklungsfähige musikalische

Baustein, ist in der Klassik durch feinste Ausdruckswerte und höchste Originalität gekennzeichnet.) Der Vordersatz schließt mit einem Halb schluß („offen", meist Dominante), der Nachsatz mit einem Ganz schluß (Tonika). 5. Das Thema, eine aus mehreren Motiven gestaltete und entwickelte, in

sich ausgewogene Einheit, zeigt häufig periodischen Aufbau; bei Beet hoven jedoch wird diese Klammer vielfach durchbrochen. 6. Die Durtonart wird jetzt zur bevorzugten Tonart; Dur- und Molldrei klänge bleiben die wichtigsten harmonischen Bauelemente; Kadenzen dienen in verstärktem Maße der Satzgliederung. Tonartenkontraste beleben die einzelnen Sätze wie auch die Satzbe ziehungen innerhalb eines Formzyklus. Kühne Modulationen verbin den die Tonarten.

66

Deutscher Tanz

Joseph Haydn (1732-1809)

Dieses Stück von Joseph Haydn ist ein Beispiel der klassischen, auf „natürlicher" und volkstümlicher Grundhaltung beruhenden bürgerlichen Instrumentalmusik. Es soll an dieser Stelle zur gemeinsamen Ausführung im Ensemble mit geeigneten In strumenten anregen.

a) Inwiefern zeigt der Tanz durch die Gliederung seiner Melodie eine volkstümliche Anlage?

b) Belegen Sie die Beziehung des Tanzes zur Volksmusik durch Untersuchung der Baß- und der Mittelstimme.

67

Romantik: Das Kunstlied

In der Mitte des 19. Jahrhunderts hat neben anderen Formen (z. B. Oper und Mu sikdrama, sinfonische Dichtung, Charakterstück) vor allem das vom Klavier be gleitete Sololied große Bedeutung gewonnen. Komponisten wie Franz Schubert, Robert Schumann, Johannes Brahms und Hugo Wolf haben sich dieser Gattung in reichem Maße gewidmet.

Dieser Vorliebe kam ein großes Angebot an lyrischer Dichtung entgegen, die den Klang von Musik schon in sich trägt und zur Vertonung reizt. Joseph von Eichendorffs Romane und Erzählungen z. B. enthalten viele Verse, die ausgesprochen als Lieder aus der Handlung hervorgehen.

Das Lied „Frühlingsfahrt" von Robert Schumann (1810-56) hat einen Text von Eichendorff:

Die zwei Gesellen Es zogen zwei rüstge Gesellen Zum erstenmal von Haus, So jubelnd recht in die hellen, Klingenden, singenden Wellen Des vollen Frühlings hinaus. Die strebten nach hohen Dingen,

Die wollten, trotz Lust und Schmerz, Was Rechts in der Welt vollbringen,

Dem zweiten sangen und logen

Die tausend Stimmen im Grund, Verlockend' Sirenen, und zogen Ihn in der buhlenden Wogen

Farbig klingenden Schlund. -Und wie er auftaucht' vom Schlünde, Da war er müde und alt, Sein Schifflein das lag im Grunde,

Dem lachten Sinnen und Herz. -

So still wars rings in die Runde, Und über die Wasser wehts kalt.

Der erste, der fand ein Liebchen,

Es singen und klingen die Wellen

Und wem sie vorübergingen,

Die Schwieger kauft' Hof und Haus; Der wiegte gar bald ein Bübchen, Und sah aus heimlichem Stübchen Behaglich ins Feld hinaus.

Des Frühlings wohl über mir: Und seh ich so kecke Gesellen, Die Tränen im Auge mir schwellen Ach Gott, führ uns liebreich zu dir!

68

Frühlingsfahrt

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Et zo-gen zwei rüst'-ge Ge - sei Die streb-ten nach ho - hen Din

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von Haus, und Schmerz,

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1 Schumann änderte den Originaltext.

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Schumann änderte den Originaltext.

71

Illustration von Ludwig Richter (1803—84)

72 a) Der Dichter wählt zur Veranschaulichung das Bild einer antiken Sage: Odysseus.

Welche sinnbildliche Bedeutung hat diese Überlieferung? b) Zeigen Sie Entsprechungen zwischen der Dichtersprache des 19. Jahrhunderts und folgenden Schlagworten des 20. Jahrhunderts: Selbstbestimmung - Sympathie - Ideale - Vergnügen - Frustration - Risikobe reitschaft - gute Partie - Spießbürger - unter die Räder kommen - ausgeflippt - schwarz sehen. c) Was will der Titel „Frühlingsfahrt" eigentlich sagen? d) Suchen Sie ein modernes Beispiel für die zweite Art der aufgezeigten Lebens

schicksale. Was besagen die Schlüsselwörter „sangen und logen"?

Im Blick auf das 19, Jahrhundert stellen sich in Eichendorffs Gedicht we sentliche weltanschauliche Probleme und der Lebensstil der Romantik gleichnishaft anschaulich dar: 1. Die geistige Einstellung der Romantik entstand aus der Abkehr der jungen Generation von überkommenen Lebensregeln. Anstelle von nüchterner Rationalität, wohlgefügter Ordnung, formvollendeter („klas sischer") Ausgewogenheit bekannte man sich zu subjektivem Engage ment mit Gefühl und Phantasie, zu freierer, sehr persönlicher Gestal tung, zu aufreizender Phantastik.

2. Im Streben nach gesteigertem emotionalem Erlebnis verloren sich die Grenzen zwischen realer und irrealer Welt, entflammte das Gefühl zur Leidenschaft, die Phantasie zur schweifenden, unerfüllbaren Sehn sucht. 3. Der Widerspruch zwischen idealer Traumwelt der Phantasie und unbewältigt harter Wirklichkeit konnte bei der emotionalen Sensibilität und dem leidenschaftlichen Engagement zu Verzweiflung und persön lichen Katastrophen führen, mindestens zu Resignation und Weltab kehr.

4. Ein harmloses Ausweichen ins gemütvolle, behagliche Genießen, ge tragen von bürgerlicher Ordnung, war der Lebensstil des Biedermeier.

5. Als Sinnbild des unendlichen, frei und regellos Gewachsenen beein druckte die urwüchsige, vom Menschen noch unkontrollierte Natur. Aus gleichem Grund erhielt das naiv-subjektive, ohne Kunstgesetze entstandene Volkslied idealen Wert.

6. Die Tiefen und Schattierungen persönlicher Stimmungen vermag Sprache nur unzureichend wiederzugeben. Das ideale, umfassende Ausdrucksmittel sah man in der Musik. Im Zusammenfließen aller Kün

ste ließ sich der Gefühlsreichtum des Romantikers am ehesten fassen.

Schumann selbst ging den Lebensweg des zweiten Gesellen (romantisches Ge nie) in den Abgrund: Im krankhaften Verfolgungswahn wegen überreizter Nerven („engelhafte" Klangvorstellungen pflegten sich zunehmend in „grauenhafte" Hallu zinationen zu verwandeln) stürzte sich der 44jährige in den eisigen Rhein, wurde zwar gerettet, starb aber zwei Jahre danach in geistiger Umnachtung.

73

Arnold Böcklin: Selbstbildnis mit Tod (1872)

74 Belegen Sie die 6 zusammenfassenden Hinweise über den Lebensstil der Romantik mit Aussagen des Eichendorff-Gedichts.

Schumanns Lied setzt an wie ein Volkslied, bei dem die verschiedenen Textstrophen mit gleicher Musik erklingen.

17

a) Welche Textstrophen in Schumanns Lied haben - die gleiche Melodie

- eine leicht abweichende Melodie - eine andersartige Melodie?

b) Versuchen Sie die verschiedenen Strophen mit Hilfe der Klavierbegleitung zu sin gen. Beachten Sie dabei neben den Vortragsbezeichnungen der Dynamik auch Schumanns mehrfache Tempoanweisungen - „agogische" Differenzierungen, die den sinnvollen Textvortrag unterstützen.

Sowohl die Anlage der Gesamtform als auch zahlreiche Details stehen im Dienst der Textverdeutlichung und -veranschaulichung: 17

o

a) Wie läßt es sich aus dem Text begründen, daß Schumann bei seiner Liedverto nung z. T. Strophenform, z. T. Strophenvariation gewählt hat? Unterscheiden Sie z. B.

J.J

b) Die Zwischenstrophen 4 und 5 entfernen sich nicht allzu weit von der Ausgangs melodie:

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Wodurch wird der Komponist zu ähnlicher Gestaltung beider Melodien veranlaßt? c) Suchen Sie in der Begleitung der Zwischenstrophen Beziehungen zur 1. Strophe. Welche Textaussage wird durch diese Anlage der Klavierbegleitung ausgemalt? d) Deuten Sie einen sinnvollen Zusammenhang zwischen Textaussage und Musik - in der 1. Liedzeile (Satzweise der Begleitung!) - am Beginn der 3. Strophe (variierte Satzweise der Begleitung!)

- in den 4 Takten Klaviernachspiel (Nachklang der letzten Textzeilen!).

75

Vor allem durch die Mittel der Harmonik gewinnen die beiden Zwischenstrophen, die Kernstelle des Liedes, ihre faszinierende „farbige" Wirkung. Takt 25 ist sozusa gen die Weichenstellung des geschilderten verhängnisvollen Lebensweges:

24

25 S£L

[zur leichte ren Lesart im oktavierten Vio

t ^

linschlüssel

notiert]

a) Untersuchen Sie den Begleitakkord des Taktes 25, Wie viele verschiedene Töne enthält er? Was hat er mit dem Akkord von Takt 24 gemeinsam?

b) Bilden Sie durch Umkehrung die regelmäßig aufgebaute „Grundstellung" des Akkords von Takt 25.

Mit Takt 24 schließt die 3. Strophe in F-Dur. Welche „alterierte" (d. h. durch Vor zeichen veränderte) Akkordstufe von F-Dur stellt der Klang in Takt 25 dar? c) Verfolgen Sie den weiteren Verlauf der Harmonik ab Takt 25. Inwiefern kann man

sagen, daß „der von geheimnisvollen Klängen Angelockte zögert, bevor er sich in ihr Reich hinabziehen läßt"?

Der besondere Reiz der Klänge von Takt 25 ab ist das Hervortreten von Dissonan zen, mit denen hier Schumann die Grenzen des zu seiner Zeit Üblichen über schreitet: a) Welche beiden Töne im Akkord von Takt 25 „reiben sich" als Dissonanz? b) Untersuchen Sie z. B. Takt 30 im Hinblick auf Dissonanzklang. c) Welcher Ton erzeugt in den Takten 51 und 53 der Schlußstrophe Dissonanzspan nungen?

„Farbige" Harmonik entsteht durch zunehmende Einbeziehung tonartfremder Töne:

[>> a) Welcher Tonschritt führt die Akkordtöne von Takt 24 in die von Takt 25 (zugleich \^

eine Modulation in eine entfernte, durch viele Vorzeichen gekennzeichnete Ton art)?

b) Wo in der Schlußstrophe prägt dieser Tonschritt mehrfach die Singmelodie? c) Wo im Klaviernachspiel tritt dieser Tonschritt in einer Stimme mehrmals unmittel

bar hintereinander auf?

76

Damit kommt die „chromatische Tonleiter" als mitbestimmendes Tonsystem ins Spiel:

£

TO

II

IIY

Die Charakteristik des „verlockenden Wegs in gefährliche, existenzverzehrende Abenteuer" durch Chromatik und Dissonanzklänge läßt uns heute an epochale Entwicklungen denken, die an der Wende zum 20Jahrhundert die romantische Musik selbst in atonale Klangexperimente aufzulösen begannen: Mehr und mehr durchsetzten alterierte Akkorde1 die musikalische Komposition; wo sie sich als dis sonante Spannungen nur verzögert oder gar nicht auflösten, stellten sie die tradi tionellen Tonarten in Frage, bis die Zwölftonmusik als eine Konsequenz dieses Prozesses die Bindung an die abendländische Tonalität vollends abstreifte. Schu mann freilich konnte diese Auswirkungen wohl kaum absehen.

Im vorliegenden Sololied wurden viele Beziehungen zwischen musikalischer Struktur und Textgehalt im Klavierpart gefunden. Er ist also mehr als nur „Beglei tung" im Dienst eines fülligen Wohlklangs; der Pianist muß als gleichberechtigter Partner des Sängers angesehen werden.

17

GT~%

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Hr> In den folgenden zwei Spalten sind links Beschreibungen der vorliegenden Lied-

U^ begleitung, rechts allgemeine Funktionen von Liedbegleitungen aufgeführt. Ordnen

Sie die allgemeinen Funktionen den einzelnen Beschreibungen zu und belegen Sie diese anhand von geeigneten Stellen des Notenbilds.

1. Mehrstimmigkeit

a) Besinnung

statt Einstimmigkeit

2. Mitspielen der meisten Singstimmentöne 3. Zwischenspiele nach der

b) Verklammerung unterschiedlicher Teile c) Textausdeutung

1. und 2. Strophe

4. Auftreten des Liedbeginns

d) Harmonische Klangfülle

in der 4. und 5. Strophe 5. Unterschiedliche Beglei-

e) Gliederung

tung der gleichen Melodie 6. Dissonantes Nachspiel

0 Unterstützung des Gesangsparis

1 Drei- und Mehrklänge, bei denen einzelne Töne durch Versetzungszeichen chromatisch

erhöht oder erniedrigt werden; lat. alteratio = Änderung

77

1. Das „Kunstlied" (Sololied mit Klavierbegleitung) als eine typische mu sikalische Gattung der Romantik kennt die Strophenform wie das Volkslied, mehr noch das variierte Strophenlied, das frei durchkompo nierte Lied oder Mischformen. Die Wahl der Form hängt in der Regel vom Text ab.

2. Singstimme und Klavierbegleitung des romantischer Liedes deuten differenziert und sensibel den jeweiligen Text stimmungsvoll aus. 3. Rhythmik, Metrum, Melodik und Form der Singmelodie ergeben sich weitgehend aus der Anlage des Textes, z. B. seinem Versmaß, sei nem Stimmungsgehalt. 4. Zur ausdrucksvollen Textausdeutung dient vor allem der reiche Ak kordklang und die erweiterte Harmonik der romantischen Musik. Die ausgiebige Verwendung von Dissonanzen in Sept- und Nonenakkorden sowie extreme Lagen des Klavierklangs spielen dabei eine wichti ge Rolle.

5. Zur erweiterten Harmonik führt vielfach die Einbeziehung von Chromatik, z. B. weitreichende Modulationen auf chromatischer Basis und Al terationen.

6. Die Klavierbegleitung entwickelt sich zum ebenbürtigen Partner der Singstimme und trägt wesentlich zur sinnvollen Interpretation des Tex tes bei, vor allem auch in Vor-, Zwischen- und Nachspielen. 7. Für die Darstellung und Gestaltung gefühlvoller, subjektiver Erlebnisse sind die agogischen Freiheiten der romantischen Musik, auf die die verschiedenen Vortragsbezeichnungen häufig hinweisen, typisch.

Vergleichen Sie anhand der obenstehenden Zusammenfassung das nachstehende

Lied von Franz Schubert mit dem von Robert Schumann.

78

Der Wanderer

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Im Geisterhauchti^t's

das Glück !'■

Franz Schubert (1797-1828) ■ Text: Schmidt von Lübeck (1766-1849)

20. Jahrhundert: Stilisierte Tanzformen

Igor Strawinskys „Geschichte vom Soldaten" entstand im Jahr 1918. Der Erste Weltkrieg ging zu Ende und hinterließ Europa in Trümmern, nicht nur an den militä rischen Fronten, sondern vor allem auch im Hinblick auf die überkommenen Le

bensordnungen: Monarchien (Rußland, Deutsches Reich, Österreich-Ungarn) bra chen in Revolution und Bürgerkrieg zusammen. Das Bürgertum sah ernüchtert sei

ne Ideale zerstört. Verdrängte Probleme (die soziale Frage) traten an die Oberflä che; auch die Künste hatten mitgeholfen, sie zu verdecken. Der vorgeahnte „Un tergang des Abendlandes" war Wirklichkeit geworden, Amerika begann die Füh rung zu übernehmen. Dem wirtschaftlichen Elend versuchte man mit betäubender Vergnügungslust zu begegnen.

Die Lebensumstände des Komponisten Strawinsky entsprachen der Not der Zeit, obwohl er während des Krieges in der neutraler Schweiz Zuflucht gesucht hatte. „.. . Die Monate gegen Ende des Jahres 1917gehören zu den schwersten, die ich durchgemacht habe ... Die kommunistische Revolution hatte in Rußland den Sieg

erfochten, und dadurch wurde ich jener letzten Einnahmen beraubt, die von Zeit zu Zeit noch aus meinem Vaterlande an mich gelangten. Ich stand also, mitten im Kriege und in einem fremden Lande, dem Nichts gegenüber. .. Ramuz und ich ka

men schließlich auf die Idee, mit möglichst geringen Mitteln eine Art Wanderbühne zu gründen... Uns zog vor allem der Legendenkreis an, der von den Abenteuern des Soldaten handelt, des Deserteurs, dessen Geschichte regelmäßig damit en det, daß ihm der Teufel mit unfehlbarer Kunst die Seele abgewinnt... Naturge mäß haben diese Märchen einen spezifisch russischen Charakter, aber zugleich

sind die Situationen, die sie schildern, die Gefühle, die sie ausdrücken, und die Mo ral, die sie beschließt, so allgemein menschlich, daß sie jeder Nation verständlich sein müssen..."

(Aus I. Strawinsky: Erinnerungen. Dt. Übers. Zürich: Atlantis 1937) Das Spiel beginnt mit den gesprochenen Worten eines Erzählers: „Zwischen Chur und Wallenstadt

Urlaub hat er vierzehn Tag',

heimwärts wandert ein Soldat.

Wandert, was er wandern mag..."

Erschöpft und angeekelt vom Tagwerk an der Front, will er desertieren, nicht mehr in den Kampf zurückkehren. Sein ganzer Besitz ist nur noch eine verstimmte Gei

ge, Symbol seiner Seele. Der Teufel, der ihm begegnet, handelt sie ihm gegen ein Buch ab, mit dessen Hilfe er durch Vorausschau der Zukunft Reichtum und Macht

gewinnen kann. Enttäuscht vom seelenlosen Wohlleben, zerreißt der Soldat das Buch und holt sich die Geige mit Gewalt vom Teufel zurück. Sie beginnt erst wieder zu klingen, als er damit eine kranke Prinzessin von ihrer Schwermut heilen will. Weil er schließlich in seine Heimat, zur Geborgenheit bei seiner Mutter, zurück strebt, was der Teufel verboten hat, verfällt er endgültig der Hölle. Die Moral: „Man soll zu dem, was man besitzt, nicht das Bessere fügen wollen."

82

JI.Jl.ls Hl

.

der Originalpartitur der „Geschichte vom Soldaten": Marche royale

83

Der Marsch des Soldaten

D>

Überlegen Sie bei der Vorführung des Marsches, der das Werk anstelle einer Ouver türe einleitet,

iZ§

18

- in welcher Weise die Musik den Soldaten charakterisiert,

- wie sich der geistige und gesellschaftliche (soziokulturelle) Hintergrund des Ent stehungsjahres in der Musik spiegelt.

Strawinsky stellt durch Verfremdung von Marschmusik die Zusammen hänge auf einer anderen Ebene dar. Eine ähnliche Umformungsart wäre die Marschkarikatur. Weniger weitge hende Umformungen sind Stilisierung und Transkription.

Strawinskys Werk stellt zwar Schauspieler auf eine Theaterbühne, doch vermeidet es das Gebaren einer Oper. Die Handlung wird von einem Sprecher erzählt und von drei Schauspielern pantomimisch bzw. tänzerisch angedeutet, im Rahmen ei nes nur behelfsmäßigen Bühnenbilds. Nicht nur fehlten Strawinsky die finanziellen

Mittel für das Engagement von Stars eines Opernhauses; der luxuriöse Aufwand des Opemtheaters war dem Anliegen des Werks und der Ernüchterung der Zeit nicht mehr angemessen. „... Ich sah also keine Lösung, als mich auf eine kleine Anzahl von Instrumenten

zu beschränken, eine Besetzung, in der von den instrumentalen Gruppen jeweils die repräsentativen Typen, die hohen wie die tiefen, vertreten sind..." Weil „der visuelle Eindruck der Bewegungen des menschlichen Körpers, der die Musik her vorbringt, die Aufnahme durch das Ohr erleichtert, sitzen sie in voller Sicht neben

der Bühne. .. Diese Anordnung kennzeichnet genau das Nebeneinander der drei wesentlichen Elemente des Stücks, die, eng miteinander verbunden, ein Ganzes bilden sollen: in der Mitte die Bühne mit den Schauspielern, flankiert auf der einen Seite von der Musik, auf der anderen vom Rezitator.. ."

(a. a. O.)

a) Stellen Sie anhand des Klangbeispiels fest, welche Instrumente neben dem Schlagzeug im einleitenden Marsch mitwirken.

o

18

b) Gruppieren Sie die beteiligten Instrumente nach der Art ihrer Klangerzeugung. c) Vergleichen Sie in diesem Zusammenhang Strawinskys Instrumentationstechnik mit der Farbkomposition des Aquarells von Emil Nolde (nach S. 88).

Trotz der Beschränkung der Mittel wird die klangliche Vielfalt durch interessante In strumentationseffekte (Pizzicato der Streicher, Glissando der Posaune) erhöht. Im Unterschied zum weitgehend ineinander verschmolzenen Klang des klassisch-romantischen Orchesters (Mischklang) strukturiert Strawinsky

das

Klangbild

seines

Instrumentalsatzes

extrem

durchsichtig,

klar,

skeletthaft (Spaltklang).

a) Versuchen Sie anhand des Klangbeispiels den Marschrhythmus zu Beginn des einleitenden Marsches genau mitzuklatschen. b) An welchen Stellen widerstrebt die Melodieführung rhythmisch dem Begleitrhyth mus? Begründen Sie den Eindruck.

18

85 a) Untersuchen Sie den vorliegenden Partiturausschnitt hinsichtlich der darin vorkommenden Taktarten.

fZl

18

b) Klären Sie mit Hilfe des Klangbeispiels: Wie erscheint derz/4-Takt der Marschbe gleitung?

Strawinsky spielt hier souverän mit wechselnden Taktarten wie sonst mit Akkor den, Rhythmen und Klangfarben.

Polymetrik kann in zweierlei Weise oder in deren Kombination die Musik strukturieren: a) als mehrfacher Taktwechsel in einer Stimme, b) als gleichzeitiges Erklingen zweier verschiedener Taktarten in Melodie und Begleitung,

c) zweidimensional als Taktwechsel einer Stimme (horizontal) und zu gleich anderer Taktart in der Gegenstimme (vertikal).

Versuchen Sie im Zusammenspiel eine solche „zweidimensionale" Polymetrik auszuführen, z. B.:

1. Ausführender:

2. Ausführender:

m

segue

0

J

\ m

J

I m

segue

Im folgenden sind die Tonhöhen eines Melodieabschnitts aus dem Marsch (Takt 74 ff. = 4. Takt nach Ziffer 11 bis Ziffer 13 der Partitur) der Einfachheit halber nur in relati

vem Tonabstand angegeben (Klarinette). Übertragen Sie die Notenfolge ins Arbeits heft.

J J

a) Stellen Sie nach Gehör fest, welche Intervalle diese Melodie durchgehend aufbau en. Welches Tonsystem liegt hier zugrunde? b) Tragen Sie nach Gehör die richtigen Notenwerte in diese Melodiekurve ein (1. Ton = Viertelnote). c) Kennzeichnen Sie nach Gehör die akzentuiert gespielten Taktanfänge, tragen Sie die Taktstriche ein und geben Sie jeweils die einzelnen Taktarten des Verlaufs an. d) Beachten Sie bei der Wiedergabe des Abschnitts durch das ganze Instrumental ensemble besonders die Wirkung der Baßbegleitung.

18

86 Der eindimensionale Taktwechsel ist in der russischen Musik, der sich Strawinsky

verpflichtet fühlt, häufig anzutreffen. Er entsteht durch einen relativ geringen Unter schied von Akzent und unbetonten Klängen. Aber in der „Geschichte vom Solda ten" wendet sich Strawinsky ausdrücklich mehr der westlichen Musik mit ihren neuen modischen Tänzen zu. Mit Tango-, Walzer- und Ragtimerhythmen spielt der Soldat der Prinzessin zum Tanz auf (ganz im Sinn moderner Musiktherapie). Der Tango

Der Tango bezieht seine rhythmischen folkloristischen Züge aus Lateinamerika. Beschreiben Sie nach Anhören des 1. Teils des Tangos die Bedeutung der angegebenen Schlagzeugfigur für den musikalischen Verlauf:

19

Tanzmusik bewegt sich in der Regel auf der Grundlage charakteristischer rhythmischer Begleitfiguren.

Indem sie beständig wiederholt werden

[Ostinato), bilden sie den Motor für Antrieb und Koordination der Tanzbe wegung.

Strawinsky verfremdet den Tanz, indem er diesen Ostinato durch verschieden lan

ge Zwischenpausen bzw. eingestreute Zwischentöne immer wieder gegen den Grundtakt verschiebt. Zudem verwischen die synkopischen Spielfiguren der Violi ne den Takt völlig:

(21

r

m Hören Sie den Tango: 19

a) In welche größeren Abschnitte läßt sich dieser Tanz gliedern? b) Wie lassen sich die beteiligten Instrumente den drei handelnden Personen (Sol dat, Teufel, Prinzessin) zuordnen? Charakterisieren Sie zur Begründung die Spielweise des jeweiligen Instruments.

87

Auch die Musik des 20. Jahrhunderts mit ihren erweiterten klanglichen

und rhythmischen Strukturen verwendet oft noch traditionelle Formen der Verlaufsgliederung.

Stellen Sie nach Gehör im Blick auf das Notenbeispiel (2) fest: a) Wie setzt sich die Unterstimme während der 4 Takte fort?

fZ!

19

b) Bestimmen Sie anhand des Notenbeispiels (2) die Tonart der Oberstimme und aus dem Motiv der Begleitung die Harmonie der Unterstimme.

Wie Strawinsky an anderer Stelle mit verschiedenen Taktarten polymetrisch spielt,

stellt er hier auch verschiedene tonale Ebenen des traditionellen Dur-Moll-Systems gegeneinander.

Die Musik des 20. Jahrhunderts entwickelte sich aus dem überlieferten Tonsystem von Dur und Moll (Diatonik) hin zur erweiterten Tonalität. Dabei verankern zwar Grundtöne oder Zentraltöne nach wie vor den musikalischen Verlauf (Tonalität), doch werden die bisherigen Tonar

ten durch freizügige Anordnung der Halbtonstufen verändert. Durch gleichzeitiges Spiel mehrerer verschiedener Tonarten entsteht

Polytonalität. In bitonalen Strukturen überlagern sich zwei Tonarten.

Der Walzer Im folgenden ist eine Transkription des Walzers aus der „Geschichte vom Solda ten" für Klavier abgedruckt. (Sie beginnt bei Takt 10 der ursprünglichen Fassung

und enthält nur deren 1. Teil.) a) Stellen Sie beim Mitfesen anhand des originalen Klangbeispiels fest, in welchen Takten der Melodie das Spiel der Violine von anderen Instrumenten abgelöst wird. Von welchen?

b) Beurteilen Sie (eventuell durch Vergleich mit einem herkömmlichen Beispiel), wo durch bei Strawinskys Walzer die Verfremdung bewirkt wird. c) Suchen Sie in der 1. Notenzeile (Melodie und Begleitung) den Takt mit der rein sten Harmonie und den Takt mit der Ihrer Meinung nach schärfsten Dissonanz. Erläutern Sie den Zusammenklang des konsonanten Taktes und die sich beson

ders „reibenden" Töne des dissonanten Taktes. d) Beachten Sie die überraschende Spannungslösung am Ende der 2. Notenzeile. e) Welcher Ton des Schlußakkords im vorliegenden Notenbeispiel würde in her

kömmlicher Musik fehlen?

20

00 QO

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Emil Noide: Tänzerin (Aquarell, 1910/11)

89

Die neuere Musik des 20. Jahrhunderts ist durch eine große Häufung von Dissonanzen gekennzeichnet. Dabei wird die Bezeichnung solcher Klän ge als Dissonanzen (z. B. Sekunden, Septimen) fragwürdig, wenn sie sich nicht mehr von Konsonanzen abheben (z. B. von Terzen) bzw. sich nicht in sie auflösen. Es gibt vielfältige Gründe für die Aufwertung der Dissonanzklänge: - ihre zunehmende Bedeutung in der Musikentwicklung des 19. Jahr hunderts, - die Abnutzung traditioneller Spannungsklänge (z. B. des Dominant septakkords), deren ursprüngliche Wirkung durch „schärfere Würze" (z. B. die große Septime) wiedergewonnen wird, - die Darstellung schmerzlicher oder als Mißstände angeprangerter In halte,

- die Lust, über die in anderen Zusammenhängen bewährten Disso nanzklänge nun frei zu verfügen.

Diese Aufwertung wird auch als „Emanzipation der Dissonanz" bezeich net: Die schärferen Zusammenklänge stellen sich gleichberechtigt neben

die herkömmlichen Akkorde, ohne noch in sie zurückgeführt werden zu müssen.

Der Ragtime

Mit dem Ragtime greift Strawinsky als einer der ersten europäischen Musiker die damals neuartigen Elemente des Jazz auf und verfremdet sie im Rahmen des dar zustellenden Handlungszusammenhangs. Charakteristika der Ragtimemusik:

(1) *

(2)

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r

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hervortretende Schlagzeugrhythmen

(3) Glissandoeffekt der Posaune (4)

motorisch geprägte, „gehämmerte" Melodik (typischer Klavierstil, hier auf die Violine übertragen), z. B. p.p

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90

CH&STETl LH> Paö/o Picasso: Titelblatt zu Strawinskys „Ragtime für elf Instrumente" (1919). Die Zeich nung entstand für die bei Editions de Ia Siräne in Paris erschienene Erstausgabe.

91

(5) synkopen reiches Spiel („ragged time" = „zerfetzte" Schlagzeit), z. B. Zi.24,

b7' ÜJ

T. 3 ff.

(6) punktierte Rhythmen im „Skiffie"-Stil, z. B.

Zi.3O,

t: 3 ff.

a) Führen Sie die beiden angegebenen Schlagzeuggrundrhythmen (1) und (2) aus. b) Hören Sie den Ragtime und versuchen Sie die beschriebenen Jazzelemente her auszuhören.

In welcher Reihenfolge treten die Beispiele (1), (2) und (3) auf?

21

Hören Sie die drei Tanzsätze Tango, Walzer und Ragtime im Hinblick auf die folgen de Charakterisierung des Expressionismus.

Musik, die um der Wahrheit ihrer Aussage willen auf Schönheit und Wohlklang verzichtet, gehört zur Kunstrichtung des Expressionismus. Ihm

geht es um gesteigerte, unüberhörbare Hervorhebung bestimmter we sentlicher Züge einer Thematik. Zu diesem Zweck können andere, mil dernde Züge weggelassen werden, so daß die Darstellung wie eine Ent stellung erscheint. Die Leidenschaftlichkeit der Aussage beeindruckt aber auf einer neuen Ebene des Verständnisses.

Das folgende Musikstück ist die Schlußnummer aus Strawinskys „Five Easy Pie-

ces" für Klavier zu vier Händen. Es entstand kurz vor der „Geschichte vom Solda

ten" (1917) und zeigt ähnliche Strukturen wie deren Walzer. Zur Anregung:

- Ausführung durch zwei oder drei Klavierspieler, u. U. auch ausschnittweise (1. Teil, Trio) - zusätzliche Instrumentierung mit geeigneten Instrumenten

19-21

93

J. & W. ehester, London

Galoppo da capo

94 Hochzeitswalzer H.

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m Aus Hart im Zillertal ■ Satz: Karl Horak

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95 Seit alters ist die Hochzeit von Gesang, Musik und Tanz umrahmt. Bischof Sidonius Apollinaris (430-482) berichtet von einer fränkischen Hochzeit: „Hochzeitsgesang der Barbaren erklang und mit skytischen Tänzen gab dem goldhaarigen Gemahl sich die blonde Gattin zur Ehe." Im Zillertal hat sich solcher musikalischer Brauch bis in die Gegenwart erhalten. Ein

Höhepunkt des Festes ist erreicht, wenn etwa in der Mitte des Hochzeitsmahles Schweiner nes und Kraut aufgetragen wird. Böller knallen und die Musikanten, die sich vor dem Tisch des Brautpaares aufgestellt haben, „geigen übers Kraut". Da erklingen alte Weisen, die man sonst nicht mehr zu hören bekommt, gleichsam als wären die gängigen Melodien zu profan für diesen feierlichen Augenblick. Aus: Sänger- und Musikantenzeitung, hrsg. v. Bayer. Landwirtschaftsverlag. München, Jg. 7, S. 70

Das nebenstehende Tanzstück aus der Tiroler Volksmusik kann als Beispiel tradi tioneller Musik dem Walzer Strawinskys gegenübergestellt werden (siehe auch Aufgabe 10). Auch hier sei zu gemeinsamem Musizieren je nach Möglichkeit im

Ensemble angeregt (Violinen, Baß, Gitarre). Die Großbuchstaben bedeuten hier Baßtöne, die Kleinbuchstaben Durakkorde.

96

Avantgarde: Aleatorik

Zu allen Zeiten gab es Neue Musik, „ars nova", Moderne Musik, „musica viva". Heute verwendet man zur Kennzeichnung neuester Entwicklungen die Begriffe „progressive Musik" oder „Avantgarde". Alle diese Bezeichnungen wollen eine als neu empfundene Stilrichtung gegenüber der traditionellen Musik abheben. Das Ende des Zweiten Weltkrieges hat eine deutliche Stilwende verursacht: Tief greifende politische und weltanschauliche Veränderungen ließen ein neues Le bensgefühl erwachen. Das bewußt erlebte neue Lebensgefühl war noch immer Ausgangspunkt für eine neue Stilrichtung in den Künsten. Vom gegenwärtigen Standpunkt aus lassen sich zwei Stilrichtungen erkennen, ähnlich wie dies zu Beginn unseres Jahrhunderts der Fall war (erweiterte Tonalität - Atonalität): totale Freiheit

totale Durchorganisation

„gelenkter Zufall"

Computer-Komposition

z. B. Aleatorik

z. B. serielle Musik

(= „Würfelspiel")

(= Programmierung des Computers)

Ein Beispiel für Aleatorik von John Cage (*1912) aus dem Jahr 1958: „Variations I for Any Kind and Number of Instruments", realisiert für Orgel von Z. Szathmary. 22

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D>

a) Hören Sie das Stück und versuchen Sie eine Skizze anzufertigen, die Ihrem Hör eindruck etwa entspricht.

b) Ist Ihre Skizze eher mit einem Bild zu vergleichen, das den Gesamteindruck des Stückes einfängt, oder mit einem Film, der den wechselnden Verlauf in der Zeit darstellt?

c) Überlegen Sie, ob das Stück in traditioneller Notenschrift darstellbar ist. Begrün den Sie Ihre Antwort.

Bei der Notation avantgardistischer Musik wird häufig statt eines Taktschemas ei ne Zeitleiste verwendet, bei welcher der zeitliche musikalische Verlauf (Sekunden) auf einer Strecke (cm) abgetragen wird. 22

tzi

Erstellen Sie mit Hilfe der im folgenden angegebenen Zeitleisten Detailskizzen der Abschnitte - vom Anfang bis zur 17. Sekunde,

- von der 17. bis zur 42. Sekunde (Stoppuhr!).

10

17

20

25

15

30

17 sec

35

40

42 sec

97



Pablo Picasso: Plakat aus dem Jahre 1958

98

Die ersten 42 Sekunden des Stückes „exponieren" zwei gegensätzliche Struktu ren, die beide mit einem peitschenden Schlag beginnen:

Struktur I enthält punktuelle Elemente, die sich um einen liegenden Ton gruppie ren;

Struktur II enthält Cluster („Tontrauben", Schichtklänge), deren Variablen Tonhö

he, Tondauer, Tonstärke und Klangfarbe sich ständig verändern, die sich auswei ten und zusammenziehen, die in verschiedene Klangbereiche gleiten (Glissandi), die sich verdichten und lichten. 22

(S~g)

| 3^ Hören Sie den Ausschnitt des Stückes von der 42. Sekunde bis zu 2 Minuten 52 Se kunden.

a) Verfolgen Sie die „Durchführung" der beiden gegensätzlichen Strukturen und be schreiben Sie die gegenseitige Beeinflussung von Punkt und Klang. b) Auf welche Weise entsteht bei 2 Minuten 52 Sekunden ein formaler Einschnitt, der

22

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den Schlußteil des Stückes abgrenzt? Hören Sie den Schlußteil ab 2 Minuten 52 Sekunden. a) In welcher Weise entsteht ein Zwischenbereich zwischen Ton und Geräusch?

b) Überlegen Sie, mit welchen Spieltechniken diese Musik auf der Orgel hervorge bracht werden kann.

Vergleichen Sie Ihre Skizzen zu „Variations I" mit der grafischen Vorlage von John

Cage und beurteilen Sie den unterschiedlichen Grad der Entsprechung zu Ihrem Hör eindruck, den die Realisation auf der Orgel durch Z. Szathmary vermittelt hat.

Drei Spielgrafiken nach der Kompositionsvorlage von John Cage:

.

-6-

99





-



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Henmar Press 1960

In der aleatorischen Musik stellt der Komponist nur die Spielregeln und das Grund material auf.

100

Cages Spielanweisung:

„Six Squares of transparent material, one having points of 4 sizes: the 13 very smalt ones are Single sounds; the 7 smaii but larger ones are 2 sounds; the 3 of greater size are 3 sounds; the 4 largest 4 or more sounds. Pluralities are played together or as ,conste!lations'. In using pluralities, an equai number to the other

Squares (having 5 lines each) are to be used for determinations, or equal number of positions, - each Square having 4. The 5 lines are: iowest frequency, simplest overtone structure, greatest ampfitude, least duration, and earliest occurence within a decided upon time. Perpendicuiars from points to lines give distances to be measured or simply observed. Any number of performers; any kind and number of Instruments.. ,"1 (Aus: John Cage. Sonderband der Reihe „Musik-Konzepte", hrsg. v. Heinz-Klaus Metzger u. Rainer Riehn. München: edition text + kritik 1978, S. 151)

a) Versuchen Sie, in Gruppenarbeit aufgrund der Vorlagen von Cage eine eigene musikalische Textur (Ausschnitt) zu erstellen und in selbstgewählter Besetzung zu realisieren. Nehmen Sie zur klanglichen Kontrolle und Fixierung Ihre Entwürfe auf Tonband auf.

b) Läßt sich die so gewonnene Realisation mit der von Szathmary vergleichen?

c) Welche Rolle spielt die Interpretation des ausführenden Musikers für die Komposi tion selbst?

Welche Bedeutung hat die Improvisation in dieser Musik?

t>

Welche gemeinsame Aussage enthalten die beiden folgenden Zitate?

1 Erläuterungen zur Aufführungsanweisung:

Das Aufführungsmaterial muß von den Interpreten aus den vorliegenden sechs quadrati schen Transparenten selbst erstellt werden. Die ersten fünf enthalten je fünf Linien, das sechste Punkte von unterschiedlicher Größe:

Die 13 ganz kleinen Punkte bedeuten Einzelklänge (Klang im physikalischen Sinne: Grund schwingung mit ihren Teilschwingungen), die 7 etwas größeren bedeuten 2 Klänge, die 3 nächst größeren 3, und

die 4 größten 4 oder mehr Klänge, die zusammen erklingen. Die fünf Linien bedeuten: niedrigste Frequenz, einfachste Obertonstruktur, größte Amplitu de, kürzeste Dauer und frühestes Erklingen innerhalb einer vorgegebenen Zeit und im Rah men der zur Verfügung stehenden Instrumente.

Lote von den Punkten auf die Linien ergeben die entsprechenden Abstände, die abgemes sen oder einfach abgeschätzt werden sollen. Die Definition der so gefundenen Maße liegt im Ermessen des Interpreten.

Die Anzahl der Spieler sowie Art und Anzahl von Instrumenten sind beliebig. Mehrere Realisationen können zusammen gespielt werden oder als „Konstellation", d. h. in bestimmter Stellung zueinander, sowohl räumlich als auch zeitlich. Hierfür sind die fünf ver schiedenen Linientransparente vorgesehen, die mit dem Punktetransparent fünf verschiede ne Möglichkeiten ergeben. Da sich jedes Linientransparent aber in vier verschiedenen Posi tionen auf das Punktetransparent legen läßt, ergeben sich insgesamt sogar 20 Kombina tionsmöglichkeiten. (Siehe Abb. S. 98, 99).

101

Aus einem Brief von Felix Mendelssohn-Bartholdy an Ferdinand Hiller, 1838: „Daß ich in Köln zum Musikfest war, wirst Du gehört haben. Es ging alles gut. Die Or gel machte zum Händel und noch mehr zum Sebastian Bach (es war eine neu aufge fundene Musik von ihm, die Du noch nicht kennst, mit einem pompösen Doppelchor)

einen schönen Effekt. Aber auch da fehlte, meinem Gefühl nach wenigstens, das In teresse an irgend etwas Neuem, Unversuchtem; ich mag so gern einiges Ungewisse,

das mir selbst und dem Publikum Raum zu einer Meinung gibt. Bei Beethoven, Bach und Händel weiß man es schon vorher, was man davon zu halten hat; das muß dabei bleiben, aber viel anderes dazu. Du hast ganz recht, daß es in Italien besser ist, wo die Leute alle Jahre eine neue Musik und alle Jahre ein neues Urteil haben müssen wenn nur die Musik und die Urteile selbst ein bißchen besser wären."

(Aus: Komponisten über Musik. Hrsg. v. Sam Morgenstern. Dt. Übers. München: Langen-Müller1956, S. 145 f.) Aaron Copland über Improvisation, 1952:

„ Wenn man improvisiert, ist es unvermeidlich, daß man ein Risiko eingeht und die Er gebnisse nicht vorhersagen kann. Improvisieren fünf oder sechs Musiker gleichzeitig, so ist das Ergebnis noch stärker vom Zufall abhängig. Das ist sein Reiz. Der improvi sierende Vortragende ist geradezu die Antithese zu jener Tendenz in der zeitgenössi schen Komposition, die unbedingte Genauigkeit in der Ausführung des gedruckten Textes fordert. Vielleicht haben Herr Strawinsky und die Parteigänger seiner Ansicht

- peinlich strenge Überwachung des Vortragenden - sich allzusehr bemüht, die Sa che auf die Spitze zu treiben. Vielleicht sollte man dem Vortragenden mehr Ellbogenund improvisatorische Bewegungsfreiheit zugestehen. Kürzlich kam ein junger Kom ponist auf die neuartige Idee, eine „Komposition" auf Millimeterpapier zu schreiben und darauf anzugeben, wo im Raum und wann in der Zeit ein Akkord stehen solle, da

gegen überließ er es dem Ausführenden, Akkorde zu benutzen, die ihm im Augen

blick des Vortrags einfallen mochten ..." (a. a. 0., S. 471 f.) Welche Rolle spielen bei der Verständigung zwischen Komponist und Hörer

- Urteil und Vorurteil, Schock und Gewöhnung, - musikalische Gewohnheiten (soziokulturelle Barriere), - Einflüsse von Gebrauchsmusik (z. B. Film, Hörspiel, Werbung)? Beachten Sie in diesem Zusammenhang auch den folgenden Text. Aus der „Rede an ein Orchester" von John Gage: „... In den späten vierziger Jahren war ich von großer Unruhe erfaßt, und ich gewann durch den äußerst glücklichen Umstand, daß ich damals... buddhistische Studien

begann, eine gewisse Ruhe zurück, und seit dieser Zeit ließ mein Interesse in dieser Richtung nicht mehr nach. Der Kagon-Philosophie, die für den ganzen Zen-Buddhismus zentral ist, liegt die Vorstellung zugrunde, daß die Schöpfung aus Wesen wie

uns, die Gefühle haben, und Wesen wie Klängen oder Steinen, die keine Gefühle ha ben, besteht. Nun steht vom buddhistischen Standpunkt aus jedes dieser Wesen im Zentrum des Universums... Sie kämen in eine mit der Absicht dieses Stücks besser zu vereinba rende Situation — und vor allem in eine treffliche soziale Situation —, wenn Sie ... beim Erzeugen eines Klanges nicht versuchten, einen Klang herauszubekommen, als ob er von Ihnen käme, sondern einfach wie ein Mittler handelten, der kraft einer ge wissen Magie imstande ist, diesen Klang, der sein eigenes Zentrum hat, zur Existenz

zu bringen..." (Aus: John Cage, a. a. O., S. 56 ff.)

Ladislav Kupkovic: Spielplan für ein Wandelkonzert („Musik für das Ruhrfestspielhaus", Recklinghausen, 2. Juli 1969)

AbkQraung für Ladislav Kupkovi?

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103

Der Plan von Ladislav Kupkoviö (*1936) zeigt eine „offene Form" für eine ganze Konzertveranstaltung, bei der jeder einzelne Konzertbesucher die großen musika

lischen Zusammenhänge als individuelles Programm selbst „komponieren" kann. Die senkrechte Achse des Plans gibt die Zeiteinheiten des Konzertabends an, die waagrechte die verschiedenen Räumlichkeiten für Musikvorführungen. Im Raster system lassen sich Zeitpunkt, Dauer und Ort des speziellen Musikangebots meh rerer Autoren ablesen. Bestimmte Programmteile werden in verschiedenen Räu

men gleichzeitig vorgestellt, bei anderen bewegen sich die ausführenden Musiker durch die Räume.

1. Als Kompositionselemente der avantgardistischen Musik werden alle

Schallereignisse (Ton, Klang, Geräusch) gleichberechtigt eingesetzt. Somit folgt auf die „Emanzipation der Dissonanz" in der ersten Hälfte

des 2O.Jahrhunderts nun die „Emanzipation des Geräuschs" als Stilcharakteristikum der neuen Musikentwicklung. 2. Die

neuen

Klangvorstellungen

erfordern

erweiterte

(verfremdete)

Spieltechniken des traditionellen Instrumentariums (z. B. Verstimmung

der Saiten eines Streichinstruments während des Spiels, Clusterspiel mit Unterarm auf Tasteninstrumenten, Veränderung des Luftdrucks im

Orgelblasebalg zur Glissandoerzeugung). Andere Möglichkeiten eröffnet die Einbeziehung neuartiger „Instru mente", auch elektronischer Schallerzeuger. 3. Die traditionelle Notationsform von Musik genügt diesen neuen Klang erscheinungen nicht mehr. Die Vielfalt von Kompositionsweisen führt zu einer Vielfalt von Aufzeichnungsarten (z. B. grafische Darstellun

gen, Tonband). 4. Der Komponist aleatorischer Musik räumt dem ausführenden Musiker einen weiten Interpretationsspielraum ein; die vorgegebene Form ist „offen" für verschiedenste individuelle Realisierungen; der Komponist tritt als Autorität zurück und wertet damit die Improvisation auf („Eman

zipation des Interpreten"). Oft wird die Textur erst vom Spieler durch „Interpretation" der zufällig entstandenen Kombinationen (Würfel!) er

stellt. Dadurch ist die Übereinstimmung von Kompositionsvorlage und Klangrealisation nicht mehr nachprüfbar. 5. Die provozierende Wirkung vieler avantgardistischer Werke ist vom

Komponisten beabsichtigt als Reaktion gegen die Klischeebildung im gegenwärtigen Musikbetrieb (Vermarktung der Musik, Manipulation des Konsumenten).

Aus dieser Konfrontation erklärt sich der kompromißlose elitäre An spruch der Avantgarde.

6. Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Komponist und Hörer ent

stehen auch durch unangemessene und fehlgeleitete Assoziationen. Sie werden häufig verursacht durch Verwendung avantgardistischer Klangeffekte in außermusikalischen Zusammenhängen.

104

Epochengliederung

Die Lebensart der Menschen ist ständigem Wandel unterworfen. Besonders die

Geschichte des Abendlandes zeugt vor Vielfalt und Wechsel der Staatsformen und Lebensverhältnisse. Gerade im Abendland scheint das Streben nach Neue rungen, Fortschritt und Weiterentwicklung gegenüber dem Genügen am Altherge kommenen weitgehend dominiert zu haben. Diese Einstellung spiegelt sich in Ent

wicklung und Wandel der Künste sehr deutlich. Hier gilt es, über die Wiederholung des schon Bestehenden und Geschaffenen hinauszugehen. Noch immer war der Künstler bestrebt, schöpferisch und originell die überlieferten Vorlagen zu verän

dern, zu steigern, zu übertreffen; wer bekannte Gestaltungsweisen nur nachform te, wurde als Kopist oder Epigone geringer eingeschätzt. In diesem Prozeß wirkt die Musik als die flüchtigste aller Künste: Selber nur als unmittelbares Verklingen

im rhythmischen Ablauf gegenwärtig, hat sie im Vergleich mit den Schwesterkün sten die größten Wandlungen während der abendländischen Geschichte durchge macht. Die Vielfalt ihrer geschichtlichen Erscheinungen kann verwirren, befremden oder faszinieren.

Gliederung der Vielfalt Bei der Wahrnehmung einer solchen Fülle unterschiedlicher historischer Musik

ordnen wir unwillkürlich Ähnliches zueinander und gruppieren das Angebot. Wer nicht genauer nachfragt, mag gefühlsmäßig die Herkunft der begegnenden Musik

wenigstens mit „modern", „traditionell" und „alt" charakterisieren. Wer Kenntnisse über die Entstehung unserer gegenwärtigen Kultur hat, beginnt zu differenzieren, wobei er verschiedene moderne Strömungen gegeneinander abzuheben und das Traditionelle mittels verschiedener verfügbarer Begriffe aufzugliedern weiß. Fach

leute erkennen im Überlieferten ein buntes Netz von Strukturen, das Probleme auf wirft, wenn es überblickt und abgemessen werden soll.

Aufgaben der Epochendarstellung

Namen für historische Zeitabschnitte helfen, die Vielfalt zu sichten, zu beschreiben

und zu vermitteln. Der großartige Reichtum des geschichtlichen Erbes wird im Be

mühen um Übersicht erst bewußt. Zudem verdient er diese Aufmerksamkeit, weil seine einzelnen Ausprägungen noch immer weiterwirken und unsere Musikauffas sung tragen. Andererseits wird in der Erkenntnis des vielfachen historischen Wan dels klar, wie relativ und zeitbedingt unser heutiges Musikverstehen, -produzieren

und -konsumieren angesichts seiner Vergänglichkeit und Wandlungsfähigkeit zu sehen ist.

105

Gesichtspunkte der Epochengliederung

Nicht immer beschränkt sich der Blick nur auf musikalische Erscheinungsformen. Man gewahrt Zusammenhänge mit der Entwicklung anderer Kunstgattungen, mit dem Gang der allgemeinen Kulturgeschichte, mit Daten der politischen Geschich te.

Entliehene Epochen begriffe:

- aus der allgemeinen Geschichte: Antike, Mittelalter, Zeit des Absolutismus - aus der Kulturgeschichte: Humanismus, Aufklärung, Biedermeier - aus der Geschichte der bildenden Kunst: Romanik, Gotik, Renaissance, Barock, Rokoko, Klassik, Impressionismus - aus der Literaturgeschichte:

Sturm und Drang, Romantik, Expressionismus. Facheigene Epochenbegriffe: - im Blick auf Satztechniken:

Niederländische Polyphonie, Generalbaßzeitalter - im Blick auf Notationsweisen: Ars antiqua- Ars nova, Generalbaßzeitalter - im Blick auf Gruppierungen von Komponisten:

Schule von Notre Dame, Venezianische und Neapolitanische Schule, Mannhei mer Schule, Nationale Schulen, Wiener Schule.

Probleme der Gliederung

Die Unterteilung der Musikgeschichte bereitet Schwierigkeiten. Die Reihe der Epo chen gilt nicht so absolut und unumstritten, wie es mitunter den Anschein hat. In Frage steht oft schon die Heraushebung eines Zeitraums als Epoche, noch mehr seine Benennung mit einem Namen, der das Charakteristische des Abschnitts be zeichnen soll. Verwendet man Epochenbegriffe, sollte man wissen, daß sie, wenn

gleich weitgehend bewährt, nur Versuche sind, die Zeitläufe zu überblicken, Bewe gungen und Stillstände der Entwicklung zu erfassen. Bei genauerem Hinsehen

tauchen verschiedene Fragen auf, z. B.: - Längst vergangene Epochen treten als riesige, wenig gegliederte Zeiträume auf, z. B. das Mittelalter. War damals die Beharrlichkeit stärker als das Verän derungsstreben? Oder fehlen uns, abgesehen von den Spezialisten unter den

Historikern, nur die ausführlichen Überlieferungen, um die Fülle von Erschei nungen zu konstatieren und zu gruppieren? Oder halten wir die Ferne für einför mig, weil ihre Inhalte zur Musik unserer heutigen Zeit nicht mehr unmittelbar in Beziehung zu stehen scheinen?

- Die jüngste Geschichte zeigt eine Überfülle mannigfaltigster Musik; der Pluralis mus gilt als Wesenszug unserer Zeit. Es ist fraglich, ob ein Stil wie der von Strawinsky oder von Cage die Epoche charakterisieren kann. Wird die verwirrende

106

Vielfalt in späterer, distanzierter Sicht als eine Reihe größerer, sich deutlich

voneinander abhebender Entwicklungskomplexe erscheinen, so wie sich uns vergangene Epochen im zeitlichen Abstand darstellen?

Welches sind die wesentlichen, welches nur die beiläufigen Kennzeichen einer Epoche? Jedenfalls sollten sie das Zeittypische der Musik erfassen. Aber unter streichen wir heute nicht vielleicht manches, nur weil es für später und heute

Konsequenzen hatte, wogegen es einst kaum abgeschätzt wurde? - z. B. die Sonaten satzform der vorklassischen Mannheimer Schule. Als epochal gelten in der Regel Meisterwerke der Musik, nicht Durchschnitts

kompositionen des allseits Üblichen. Meisterwerke („Denkmäler") einer Elite können zwar den Geist einer Epoche kristallgleich widerspiegeln, aber auch dem Verständnis der Zeitgenossen enthoben gewesen sein oder als aufsehen erregende Kühnheiter neue Entwicklungen erst in Gang gebracht haben. Schu mann z. B. distanzierte sich mit seinem Stil ausdrücklich von den „Tagescele-

britäten" und „Dutzendtaienten", Strawinsky oder gar Cage sind noch längst nicht „Allgemeinbesitz" unserer musikinteressierten Zeitgenossen geworden. Muß eine eigene Epochengliederung der Durchschnittsmusik vorgenommen werden? Die Stilarten klafften nie so auseinander wie in unserem Jahrhundert.

Alle Epochen entstehen und münden in Übergangszeiten. Die Strukturen bah nen sich allmählich an und lösen sich schließlich zusehends auf; nie ist es zum Stillstand der Entwicklung gekommen. Die zeitliche Begrenzung verfließt. An zeichen der Romantik z. B. will man schon im „Sturm und Drang" der Vorklas sik erkennen; Begriffe wie Früh-, Hoch-, Spät-, Nach-, Neoromantik - entspre chend in anderen Epochen - versuchen Stationen im Kontinuum zu fixieren. Die Epochen äußern sich sowohl zeitlich als auch inhaltlich in unterschiedlichen Regronen verschieden. Der Geist der Renaissance z. B. griff nicht sofort von Italien nach Deutschland über; erfand dort mehr humanistisch-philologischen als ästhetischen Niederschlag; zudem ging er mit der Reformationsbewegung

einher. Mit dem Begriff „Wiener Klassik" z. B. wird der regionale Schwerpunkt der Epoche eingefangen. Bezeichnungen wie „Nationale Schulen" betreffen re gionale Untergliederungen größerer Stileinheiten.

Übernahmen von Epochenbegriffen aus anderen Künsten täuschen Analogien vor, die nicht umfassend gelten können. Weserszüge der barocken bildenden Kunst z. B. finden sich ohne weiteres analog wieder im konzertierenden Musik stil jenes Zeitalters, so wie dem wesentliche Züge der ganzen damaligen Le bensart entsprechen; dem für die Musik so kennzeichnenden Generalbaß je

doch läßt sich kaum ein „barockes" Element der bildenden Kunst überzeugend zuordnen.

107

Gliederungssysteme Ungelöste Fragen bisheriger Epochenordnungen und auffällige Regelmäßigkeiten

des beobachteten Wandels führten zum Entwurf einheitlicher Systeme, deren Ge setze dem Wandel Rechnung tragen:

- Bereits die Annahme einer Entwicklung (Evolution) ist eine solche Ableitung: Die geschichtlichen Ereignisse reihen sich demnach nicht zufällig aneinander,

sondern gehen auseinander hervor. Musikalische Werke und Praktiken haben ihre Vorläufer, Anreger, Entstehungsvoraussetzungen und -bedingungen, und sie wirken weiter als Impulse. - Die Verflechtung eines Epochenstils mit der speziellen Entwicklung seiner Ein zelelemente legt nahe, den historischen Wandel dieser Elemente im einzelnen zu verfolgen, z. B. den Instrumentenbau, die soziale Stellung des Musikers, die einzelnen Musikgattungen.

- Als sinnvollste Zeiteinheit des Wandels läßt sich der Wechsel der Generationen beobachten (etwa 30 Jahre). Fast regelmäßig z. B. lehnte die Jugend die Kunst der Väter als zu gelehrt, zu wenig gefühlsbetont ab. Die Verbindung einer Ge neration mit jener der Väter und der Söhne umfaßt ein Jahrhundert, das des halb oft als Einheit erscheint mit Früh-, Hoch- und Spätphase.

- Die Begriffe „Phase" und „Periode" weisen auf gesetzmäßig (rhythmisch) wie derkehrende Abfolgen hin. Wie im Leben des einzelnen (Jugendwerk, Reife zeit, Spätstil) will man einen Rhythmus im Vergehen ganzer Epochen und Zeit alter erkennen, ja die Aufeinanderfolge aller Epochen als Wechselspiel zweier alternativer Tendenzen erklären (z. B. sprachbezogene und sprachunabhängi

ge Musik, Homophonie und Polyphonie, Romantik und Klassizismus).

Dauerhaftes im Wandel

Im Rückblick über die abendländische Musikgeschichte ergeben sich bei allem Wandel auch die langfristig oder durchwegs bleibenden Elemente dieser Kunst: - die Formen der Musikerzeugung Singen und Instrumentalspiel, bei diesem das

Schlagen, Zupfen, Streichen und Anblasen der Schallquellen, - die das Wesen der Musik ausmachende zusammengreifende Gestaltung von

Zeit, Tonhöhe, Tonstärke und Klangfarbe, - überzeitliche formale Grundmuster wie Wiederholung, Variation, Wechsel und Gegensatz, Spannung und Lösung, Dreiteiligkeit und Wiederkehr, - das Tonsystem der diatonischen und chromatisch zwölfstufigen Aufteilung des

Oktavraums. Auf der Basis dieser Konstanten erwiesen sich gewisse Grundstrukturen wie z. B.

die Tonalität, die funktionelle Harmonik, der Akzenttakt, die symmetrische Ver laufsgliederung als Klammer epochenübergreifender Zeiträume.

Letztlich hebt sich auf diese Weise die abendländische Musikentwicklung selbst

als Epoche innerhalb der vielfältigen Musikausübung aller Völker und Kulturen un serer Erde ab.

108

Zeittafel 4. Jh.

Christentum Staatsreligion

5./6. Jh.

Völkerwanderung

8. Jh.

Christliche Missionierung der Germanen

um 600

um 800

Karl der Große

ab 8./9. Jh.

Neumenschrift

11.-13.Jh.

Kreuzzüge

11. Jh.

Guido von Arezzo

um 1350

Pest in Europa

12./13. Jh. 13./14. Jh.

Troubadours, Minnesänger

im Römischen Reich

1453

Eroberung Konstantinopels durch den Islam

1455

Gregorianischer Choral

Ars antiqua, Ars nova (Früh formen der Mehrstimmigkeit

15./16. Jh.

Blütezeit der niederländi schen Musik

Erfindung der Buchdrucker-

(Vokalpolyphonie)

kunst (Gutenberg) 1492

Papst Gregor I.

Entdeckung Amerikas (Kolum bus)

1517

Reformation in Deutschland (Luther)

1525-1594

1519/21

I.Weltumsegelung Großer deutscher Bauernkrieg

1532-1594 16. Jh.

Gegenreformation

um 1600

1525

um 1600

t1630/f1642 17. Jh.

1618-1648 1661-1715 18. Jh.

1740-1786

1756-1763 1765-1790 1749-1832 1776

ab 1789 1769-1821

1806/08

Kepler bzw. Galilei

Empirismus, Rationalismus (Descartes, Leibniz, Newton) Dreißigjähriger Krieg Regierungszeit Ludwigs XIV. Aufklärung (Hume, Rousseau, Lessing, Kant) Friedrich II. von Preußen Siebenjähriger Krieg

Joseph II. von Österreich Goethe

Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika Französische Revolution Napoleon Bonaparte (1804 Kaiserkrönung) Volksliedersammlung „Des Knaben Wunderhorn"

1658-1695

Giovanni Pierluigida Palestrina Orlando di Lasso Chorlied in Italien, England, Frankreich, Deutschland Frühformen einer eigenstän digen Instrumentalmusik Erste Opern in Italien (Claudio Monteverdi) Henry Purcell

1680-1743 1681 -1767 1683-1764 1685-1750 1685-1759 1732-1809 1756-1791 1770 -1827

Antonio Vivaldi Georg Philipp Telemann Jean-Philippe Rameau Johann Sebastian Bach Georg Friedrich Händel Joseph Haydn Wolfgang Amadeus Mozart Ludwig van Beethoven

1786-1826

Carl Maria von Weber

1797-1828

Franz Schubert

109

1813/14

Befreiungskriege

1848

Märzrevolution in Deutschland

ab 1850

Entstehung industrieller Mas senproduktion

um 1850

Schriften von Karl Marx, Be ginn der Arbeiterbewegung

1871

Gründung des 2. Deutschen

spätes 19. Jh.

Steigerung des techn. Fort

Kaiserreiches schritts durch naturwissen 1903

schaftliche Forschung Erste Flüge mit dem Flugzeug

1914-1918

Erster Weltkrieg

1917

Revolution in Rußland, Ent

1918

stehung der Sowjetrepublik Revolution in Deutschland

1919

Gründung der Weimarer Re publik

ab 1923

Rundfunk in Deutschland

ab 1926

Schallplattentechnik

ab 1928

Tonfilm

1929 -1932

Weltwirtschaftskrise

1933-1945

Nationalsozialistisches Deut sches Reich

1935

Erfindung des Magnetton

1939-1945

Zweiter Weltkrieg

1945

Erste Atombombe

bands

Gründung der Vereinten Nationen 1949

Gründung der Bundesrepublik

ca. ab 1950

Elektronische Musik

ca. ab 1955

Rockmusik

Deutschland, Teilung

Deutschlands in zwei Staaten 1969

Erste Mondlandung

110

Sachregister Agogik 74, 77

Kadenz 9, 39 ff., 48, 65

Aleatorik96ff., 103

Klangbild, Instrumentierung 83

Atonalität 96

Klangrealisation 96, 98 ff., 103

Aufklärung 49,105 Avantgarde 96 ff., 103

Barock 30 ff., 48 f., 105 f. bezifferter Baß 41, 44, 48 Bicinium 28 f.

bürgerliche Kultur 46, 49, 66

Chorlied 17 ff., 24 Chromatik 14, 58, 75 ff., 85,107 Cluster98,103

Concerto grosso 30 ff., 38,48

Klassik 49 ff., 65, 105

Kommunikation 101, 103 Kontrast 38, 58, 65 konzertantes Prinzip 38, 4fl Kunstlied 67 ff., 77 Liedbegleitung, Klavierbegleitung 74, 76 Marsch 83 ff.

Mehrstimmigkeit 20 Meltsmatik 10, 16

Metrum 24, 58, 77 Mittelalter 8 ff., 105

Diatonik 14, 16, 107

Modulation 63 ff., 75, 77

Dissonanz 23, 63, 75 ff., 87, 89 Dreiklang 23 f., 40, 65

Modus (Kirchentonart) 14, 16

Dynamik 51, 74 Einstimmigkeit 16

Entwicklungsprinzip 58, 62 f. Epochengliederung 104 ff. erweiterte Harmonik, Alterierung 75 ff. erweiterte Tonalität 87, 96

Expressionismus 91, 105 folkloristischer Stil 86, 94 f. Fortschritt 4 ff., 49, 101, 104

Fugato, Fuge 45, 48 Funktionen der Musik 3 f., 49 Galopp 92 f.

Generalbaß 38, 41, 44, 48, 105 f.

Generalbaßlied 46 f. Geräusch 103 grafische Notation 96, 98 ff., 103

Gregorianischer Choral 8 ff., 16 Grundtonbezogenheit 12, 14, 87 historische Musik 3 ff., 104 ff. höfische Kultur 37, 48

Motiv 45 f., 48, 58, 65, 87 Motivgestaltung 58

Motorik 45 f., 48, 86, 89 Musikangebot 3

neue Spieltechniken 98, 103 Notation 9, 16, 24, 96, 103 offene Form 102 f.

Ostinato 15, 85 f. Parodie 22, 28

Periode (Vorder-, Nachsatz) 65 f. Polymetrik 85 Polyphonie 22 ff., 28, 48, 107 Polytonalität 87

Psalmodie 8 f., 16 Ragtime 89 ff. Renaissance 17 ff., 24, 105 f. Ritornell 38 f., 46 ff. Romantik 67 ff., 72, 77, 105 ff. Satz 50 f., 65

Homophonie 22 ff., 28, 48, 107

Satztechnik 22 ff., 51, 74

Improvisation 100 f., 103

serielle Musik 96

Instrumentalmusik 19 ff., 29, 37, 48, 50

Sinfonie 49 ff.

Intervalle 14

Sinfonieorchester 51

Jazz 89, 91 Jubilus 10 f., 16

Sequenz 11 f., 16

Solo 38, 48

Sonatensatzform 50 ff., 64, 106 Spielleute 15

111 Stilisierung 83

thematische Arbeit 62

Strophenform 74, 77

Tonart (Dur, Moll) 23 f., 48, 58, 63, 65, 76, 87

Syllabik 10, 16

Tonsystem 14, 16, 107

Synkopen 58, 86, 91

Tradition 4 ff., 104 Tutti 38, 48

Takt 24, 46, 48, 85, 107 Taktwechsel 85 f.

Verfremdung 83, 86 f., 89, 103

Tango 86 f.

Vokalmusik 20, 22 ff.

Tanzformen 15, 24, 66, 81 ff. Textdarstellung 8 ff., 16, 22, 24, 74 ff.

Walzer 87 ff., 94 f.

Theatermusik 81 ff. zyklische Form 50 f., 65

Thema 44 f., 51, 58, 62 ff., 65

Hinweiszeichen

= 0

Arbeitsaufgabe

Hörbeispiel auf der zum Buch gehörigen Tonkassette [Bestell-Nr. 8160-5)

Hörbeispiel auf beliebiger Schallplatte oder anderem Tonträger

112 Bildnachweis

Umschlag: Aus I. Strawinsky: Erinnerungen. Dt. Übers. Zürich: Atlantis 1937, S. 99 - nach S. 8: Badische Landesbibliothek, Karlsruhe - S. 13: Bildarchiv der österreichischen Natio nalbibliothek, Wien - S. 20: Maiwald Bildarchiv, Garmisch-Partenkirchen - S. 21: Bärenrei

ter-Verlag, Kassel - S. 30: Bayerische Staatsbibliothek, München - S. 36: Münchner Stadt museum, Grafiksammlung - S. 39: Aus L. Birchler: Die Kunstdenkmäler des Kantons Schwyz. Bd. 1 (= Die Kunstdenkmäler der Schweiz. Bd. 1}. Basel: Birkhäuser 1927 - S. 52: Gesellschaft der Musikfreunde in Wien - S. 59: Museen der Stadt Wien - S. 71: Aus: Der frohe Wandersmann. Hrsg. von H. A. Wiechmann. München: Wiechmann 61926, S. 84 S. 73: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin - S. 82: Aus I. Strawinsky: Erinnerungen.

Dt. Übers. Zürich: Atlantis 1937, S. 95 - nach S. 88: Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde, Neukirchen über Niebüll - S. 90: Aus: Musik und Bildung 3 (1981). Mainz: Schott (mit freundlicher Genehmigung des Verlags J..& W. Chester/Edition Wilhelm Hansen London Ltd.), S. 167 -S.97: Aus Ch.Czwiklitzer: Werkverzeichnis der Picasso-Plakate. Paris 1970,

Nr. 127 - S. 102: Aus W. Gieseler: Komposition Im 20. Jahrhundert. Celle: Moeck 1975, S. 203

Von folgenden Verlagen erhielten wir freundlicherweise die Erlaubnis, aus ihren Publikatio nen Notenbllder zu übernehmen: Bärenreiter-Verlag, Kassel (aus Joseph Haydn: Zwölf deutsche Tänze für zwei Violinen und Violoncello. Hrsg. von B. Paumgartner. 1967 [= Hortus Musicus 41], S. 4): S. 66 Ernst Eulenburg Ltd., London (aus J. S. Bach: Brandenburg Concerto No. 2 [= Edition Eu lenburg No. 257], S. 1-5, 10-12): S. 31-35, 42 u. 43 J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart (aus: Unser Liederbuch. Hrsg. von K. Aichele/B. Binkowski. 3. Aufl. Mittelstufen band, S. 81-83, und Oberstufenband, S. 58): S. 68-70 u. 47

Möseler Verlag, Wolfenbüttel (aus: ars musica. Bd. 4, 1965, S. 28-30): S. 17-19 C, F. Peters Musikverlag, Frankfurt am Main (aus John Cage: Variations I. Score): S. 98 u. 99 B. Schott's Söhne, Mainz {aus: Das deutsche Kunstlied. Heft 2 [= Edition Schott 4266],

S. 12-14): S. 78-80

Verlagsredaktion: Ingrid Adam 1990

1.Auflage, 4. unveränderter Nachdruck © Bayerischer Schulbuch-Verlag Hubertusstraße 4, 8000 München 19 Umschlaggestaltung: Christian Diener Satz: werksatz gmbh, Freising-Wolfersdorf

Offsetreproduktionen: Wartelsteiner, Gauting ISBN 3-7627-8137-0

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