Mary Summer Rain_Der Phoenix erwacht
December 2, 2016 | Author: sabina111 | Category: N/A
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Die alte Indianerin No-Eyes erzàhlt Mary Summer Rain:Das Folgende bezieht sich unmittelbar auf die bevorstehenden...
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Der Phoenix erwacht von Mary Summer Rain, 1987 Einleitung Es gibt Skeptiker. Es gibt Zweifler. Und es gibt solche, die lieber eine rosarote Brille aufsetzen. Denen habe ich nichts zu sagen, denn sie haben ihre Wahl getroffen, obwohl die Zeichen unübersehbar sind. Und es gibt solche, die staunen. Es sind Menschen, die ein zartes Rühren spüren. Es gibt aber auch solche, die jene wunderbare Schwelle der Erkenntnis überschritten haben – ganz im Begriff sind, das wahrzunehmen, was wirklich zu sehen ist. Diesen sage ich: Öffnet eure hervorragenden Sinne. Schaut mit Klarheit, was darüber und darunter, was innen und außen ist. In diesen bevorstehenden kritischen Zeiten hört und achtet auf die Weisungen eures Geistes, der die erhabene Weisheit in sich trägt, die ihr gerade jetzt vernehmt. Es gibt indessen solche, die wissen. Menschen, die in ihren empfindsamen Herzen sehen, fühlen und erkennen, was es zu sehen gibt. Solche, die durch ihr kostbares Erbe zu stillen Bewahrern wurden für das, was sein wird. Denen habe ich nichts zu sagen, da sie bereits die Worte kennen – alte Worte der Weisheit, welche ewig und rein im Raum standen, seit sie geschaffen wurden, und die triumphieren über alle wüsten Heimsuchungen der Zeit Vorwort der Autorin Viele Wege scheinen richtig markiert zu sein. Sie sind mit allerhand passenden Merkmalen unkenntlich gemacht, aber ein wortloses, kaum wahrnehmbares Winken führt uns in die umgekehrte Richtung, und wir folgen unserer inneren Eingebung. Viele Straßen sind eben. Sie sind gesäumt mit frisch duftenden, sich wiegenden und taugesprenkelten Blumen. Sie riechen buchstäblich nach sonnenüberfluteten Tälern, und sie sind mit der mystischen Essenz der Liebe angefüllt, die uns vorwärts zu ziehen versucht. Sie sind nichts als meisterhafte Täuschungen. Sie sind eine List, dazu ersonnen, die unbedachte und erschöpfte Seele zu verführen. Als ich die turmhohen Wachtposten der verschneiten Rocky Mountains von Colorado erreichte, wußte ich, dass ich körperlich am Ende meines Pfades angelangt war. Der Rest war anderen Mächten überlassen. Eine stille Eingebung bedeutete mir, wichtige, geistig bezogene Arbeit auszuführen. Ich spürte psychisch, eine solch unerhörte zeitliche Dringlichkeit, etwas in Angriff zu nehmen – aber ich wußte nicht, was ich tun sollte. Die unvermeidlichen Zeichen irdischen Zerfalls leuchteten rund um mich herum auf wie Neonwarnlichter. Ich konnte deutlich sehen, wie sie sich mit dem Ticken der Zeit vermehrten, aber ich blieb eingesperrt in der dunklen Leere eines einengenden Kerkers, ohne fähig zu sein, mich mit meinem unbekannten geistigen Vorhaben vorwärts zu bewegen. Ich wurde immer unruhiger in dieser schrecklich entmutigenden Lage. In meinem Herzen wußte ich durch die Art, wie die mystische Essenz der Berge mein Wesen durchdrang und meinen Geist verzehrte, daß ich mich tatsächlich in der richtigen geographischen Region befand, jedoch war ich wie ein einsames Schifflein mit schlaffen Segeln auf einem spiegelglatten, geistigen Meer endlos dahintreibend. Ich brauchte irgendeinen intensiven Anstoß, um Leben in meinen herumirrenden Geist einzuhauchen und ihn endlich an die Landungsstelle, dem vorgesehenen Ziel meines Weges zu treiben. In einem Augenblick abgrundtiefer Verzweiflung fuhrt ich weit hinauf in die unberührte Stille des Pike National Forest. Ich verließ meinen alten Lieferwagen und wand mich zu Fuß durch die üppige Tiefe des wuchernden grünen Waldes. Die unschuldige Schönheit nahm mich auf, so wie ich war. Ich wurde von tiefem Trost
erfüllt, der sich mit jedem Schritt vergrößerte. Meine Seele füllte sich. Sie floß über. Und ich weinte. Heftige Schluchzer durchdrangen die schimmernde, grüne Stille, Ich weinte aus tiefer Verzweiflung, wegen der Jahre der Einsamkeit, aus dem Gefühl der Dringlichkeit und nichts dagegen tun zu können. Ich weinte um die unwissenden Menschen, um die unverbesserlichen Ungläubigen und um die Welt. Und ich weinte um mich selber. Plötzlich kroch eine wohlbekannte Erregung langsam meinen Rücken hoch und eiskalte Fingernägel ließen jedes Haar in meinem Nacken sich aufrichten. Mein Kopf schwirrte. Ich war nicht mehr allein. Meine so sehr geschätzte Einsamkeit war durch einen unbekannten Eindringling zerstört worden. Mein Verstand sagte mir, daß in der abgeschiedenen Gegend dieser Wälder sich unmöglich jemand aufhalten konnte, aber mein Radar schien außer Kontrolle geraten und piepste wie wild. Vorsichtig hob ich den Kopf und blickte durch meine Finger. Und da stand unweit von mir eine alte runzlige Frau. Seltsam. Sie beobachtete mich bloß. Mit kohlschwarzen Augen, die meine Seele zu durchbohren schienen, starrte sie mich unbewegt an. Angespannt erwiderte ich den Blick. Ihre Gestalt stand reglos zwischen den Kiefern – sie lauschte. Die dunklen Seen ihrer Augen schienen wie glitzerndes Quecksilber zu glänzen. Mein Hirn raste wie verrückt durch seine Datenbank. Dies war etwas neues für mich. Etwas verlegen rieb ich mir die Augen und hob den Kopf, um dem ungebetenen Eindringling zu begegnen. Die Alte sprach in dem unerwartet gesetzten Ton einer Autorität. Sie teilte mir mit, daß sie in einer nahe gelegenen Hütte wohne. Ich entschuldigte mich rasch für mein unbefugtes Betreten ihres Privatgrundes und wandte mich um wegzugehen. Dann rief sie meinen Namen, ein Name, den sie unmöglich kennen konnte. Ich erstarrte mitten im Fortgehen, und ich spürte die erregende Bewegung meines geistigen Segels, wie es sich unter einem neuen frischen Wind zu blähen begann. Mein Schiff stieße mit einem Schlag gegen die starke Antriebskraft, auf die meine erschöpfte Seele ziellos zugetrieben war. Die Alte war eine Chippewa-Medizinfrau namens No-Eyes. Es war ihr bestimmt, genau in diesem Augenblick meinen Weg zu kreuzen, um ihm eine tiefere Richtung zu geben – nach innen. Rechtzeitig knüpften wir beide ein unzerreißbares Band einer einzigartigen Freundschaft über die nächsten zwei Jahre. Sie, die bedeutende, geistige Lehrerin; ich, die einfach Novizin, die verzweifelt versuchte, ihr sicheres und unvergleichliches Wissen aufzunehmen. Wir verbrachten unsere Tage der Unterweisung in der gemütlichen Stube ihrer kärglichen Hütte. Der Wechsel der Jahreszeiten hielt mich nicht von meinen regelmäßigen Besuchen ab. Der rauhe Winterwind heulte oft wie ein wild gewordener Todesbote und schleuderte Massen von schwerem Schnee gegen die klirrenden Fenster; drinnen wärmten wir uns an einem prasselnden Feuer und genossen unsere ungezwungene Beziehung. Der Frühling brachte unbeschwerte Freudengrüße aus dem Wald, wo Leben rund um uns hervorsproß. Der Sommer gab uns manche frohe Gelegenheit, unsere anspruchsvollen Lektionen in der warmen Sonne im Freien abzuhalten. Und im Herbst gingen wir über das frisch gefallene Espenlaub und ließen die Natur in ihrer goldenen Verschlafenheit uns ein einstweiliges Lebewohl sagen vor ihrem letzten Versinken in den Winterschlaf. Wir sprachen über das gewöhnliche tägliche Leben. Wir erlebten zusammen mystische Reisen durch Zeit und andere, neue enthüllte Dimensionen. Manchmal legten wir eine Pause ein, und in spielerischer Laune ließen wir unseren Geist dem
des kraftvollen, anmutigen Falken folgen auf seinem ruhigen Flug durch die üppigen Bergtäler. Wir teilten dieses Leben zwei Jahre miteinander. Danach kehrte sie in ihr Geburtsland zurück, zum zu sterben. In jener herrlichen Zeit, die ich mit meiner Freundin No-Eyes verbrachte, redeten wir über vielerlei wunderbare Dinge. Sie war ein Hort von Logik. Sie war eine Burg von Weisheit. Aber kein Thema war ihr wichtiger und drängte sie mehr zu enthüllen als das, was sie das Erwachen des Großen Phönix nannte. Es war ein Thema, das fortwährend meine äußerste Aufmerksamkeit verlangte. Die Tage dieser Lektionen über den Phönix waren für mich sehr schwer auszuhalten. Sie war immer von großem Ernst erfüllt. Ich hatte das Thema nicht gern, da es so niederdrückend war, und doch wußte ich, daß mein Zuhören für sie lebenswichtig war. Ich mußte die Warnsignale kennenlernen, die letzten Zeichen einer Welt im Wandel, die Zeichen des erwachenden Phönix. Dieser Text wurde 1984 geschrieben. Ich bedaure, daß aus jenseits meiner Kontrolle liegenden Gründen dieses zeitgemäße Buch mit Verzögerung die Öffentlichkeit erreicht. Daher erachte ich es als äußerst wichtig, daß die Leser von „Der Phönix erwacht“ sich bewußt sind, daß der gesamte Inhalt dieses Buches eine gewissenhafte Wiedergabe der Gespräche ist, wie sie 1982 stattgefunden haben. Ich bin daher sehr betrübt, daß verschiedene Zukunftsvisionen der Alten bereits Wirklichkeit geworden sind in der langen Zwischenzeit von der Niederschrift des Manuskripts bis zum längst erwarteten Erscheinungsdatum. Ich kann nicht ändern, worüber ich keine Kontrolle hatte. Als der katastrophale Reaktorunfall in Tschernobyl passierte, war ich verzweifelt darüber, daß man nun vielleicht dieses Buch als „nach dem Ereignis“ geschrieben betrachten könnte. Dennoch habe ich den Originaltext aus tiefer Ehrerbietung für meine geliebte Visionärin unverändert belassen – genau, wie er 1984 aufgezeichnet worden war. Und ich möchte darum hoffen und beten, daß No-Eyes´ makellose Glaubwürdigkeit nur verstärkt wird durch diese unglückliche Verzögerung bei der Publikation ihrer zeitbezogenen Worte der Weisheit. Es tut mir leid, No-Eyes, du weißt, ich tat mein Bestes, um die Menschen zur rechten Zeit zu erreichen. Mary Summer Rain, 1987 Kapitel 1 - Kontraktionen Kontraktionen Die Erde ächzt unter der Oberfläche des Landes. Sie ächzt unter den schweren Kontraktionen neuer Wehen von Mutter Erde. Ich liebte die schönen Tage mit No-Eyes. Ich liebte die Alte. Ihr langes, graues Haar war immer fein säuberlich im Nacken ihres dünnen Halses mit einer Lederschnur zusammengebunden, und ein dicker Zopf hing bis zu ihrer Hüfte hinunter. Sie trug alte, bedruckte Baumwollröcke, die bis zur Mitte der Wade reichten. Ihre durchlöcherten schwarzen Strümpfe waren überall gestopft. Und sie schlurfte in wunderschön mit Glasperlen bestickten Mokassins herum. Sie war wirklich ein komischer Anblick mit ihren Zahnlücken und den riesigen, kohlschwarzen blinden Augen; aber für mich war sie hinreißend, da ihre mystische Weisheit hell leuchtete und mit ihrem grenzenlosen Mitgefühl sich nur ihre tiefe Liebe zu allem Lebenden
messen konnte. Es war Herbst. Ich liebte auch den Herbst. Es war die Zeit, da die ganze Natur sich in schreiende Farben kleidete, um noch einmal beachtet zu werden, bevor sie für eine Weile aus dem Rampenlicht abtrat. Die Intensität der pulsierenden Farben durchdrang meine Sinne mit einer Klarheit, scharf wie eine Klinge. Die Espen deckten die weiten, tief abfallenden Berghänge mit einer herrlich bestickten Decke in Gelb und lebhaftem Orange zu. Und die im Westen sich neigende Sonne vergoldete die gezackten Ränder jedes einzelnen Blattes. Die klare Luft war erfüllt von einer kühlen, neuen Frische, die das Holzsammeln ankündigte. Und der herbe Duft von wirbelndem Holzrauch füllte mein ganzes Wesen. Ich dachte an all diese erfreulichen Eigenschaften des Herbstes, als ich mich unbeschwert auf den Weg zur Hütte meiner lieben Freundin machte. Und ich war von einem inneren Frieden erfüllt, der weit jenseits einfacher Beschreibung lag. Ich war reich. Ich hatte das Ziel meiner langen Suche erreicht und eine wunderbare alte Frau gefunden, die mir bereitwillig alles beibrachte, was sie wußte. Ich war reich durch die magischen Facetten der unendlichen Schönheit der Jahreszeiten in den Rocky Mountains. Ich war auch reich durch die unverbrüchliche Kameradschaft meines Mannes, Bill, der getreu den langen und trügerischen Weg an meiner Seite gegangen war. Und meine drei Mädchen waren glückliche und gesunde Wesen, die glaubten und sich an der Unberührtheit der Natur erfreuten. Ja, all diese Dinge erfüllten meinen Geist und verliehen meinem Leben einen bleibenden Sinn. Als ich die Straße zum Haus meiner Freundin erreichte, barst ich fast vor Liebe für jedes Ding um mich herum. Ich parkte den Wagen und rannte hinauf zur kleinen Hütte auf dem Hügel, wo meine unschätzbare Lehrerin hauste. Ich öffnete die Tür. No-Eyes hantierte umständlich am Kamin. Geschäftig stocherte sie mit einem alten Schürhaken unter den frisch zugelegten Scheiten. „Hallo, No-Eyes“, grüßte ich freudig aufgeregt. Stille. Ich schloß leise die Tür, durchquerte den kleinen Wohnraum und tippte ihr auf die Schulter. „Ich weiß, Summer ist hier“, knurrte sie, ohne aufzuschauen. „Was für eine Begrüßung ist das?“ neckte ich sie und stemmte die Hände in die Hüften. Ich weicherem Ton sagte sie entschuldigend: „No-Eyes tut leid. Ich war am Nachdenken, das alles.“ Sie legte den geschwärzten Schürhaken weg und zog ihren ramponierten Schaukelstuhl heran. „Summer, nimm jetzt deinen Umhang ab. Setz dich.“ Die eindrückliche Aufforderung in ihrer Stimme kümmerte mich nicht, dennoch tat ich wie befohlen. Ich konnte nicht behaupten, eine perfekte Schülerin zu sein, was die Lektionen anbelangte, aber es gelang mir immer zu gehorchen. Ich nahm meinen schweren, gewebten Wollumhang ab und setzte mich ihr gegenüber auf das alte, abgenutzte Sofa. „Wie geht es dir heute ? Es ist wirklich ein verdammt schöner Tag da draußen,“ rief ich überschwenglich aus. „Summer nicht fluchen“, gab sie gereizt zurück. „No-Eyes, das kann man nicht eigentlich fluchen nennen, es ist nur eine Art der Betonung der Worte.“ Ein knochiger Finger schnellte auf mich zu und wurde heftig geschüttelt. „Keine ausgesuchten Entschuldigungen machen! Das ist trotzdem Fluchen.“ „Oh, also gut“, seufzte ich, ohne meine glänzende Laune zu verlieren. „Es stimmt trotzdem, was ich gesagt habe. Bist du schon draußen gewesen ? Es ist wirklich wunderbar. Das Sonnenlicht frühmorgens auf den Espen ist ... „
„SUMMER !“ Sie schnitt meinen Satz mit kalter scharfer Stimme ab. Ich hatte mich wieder ausgelassen über die Schönheit des Herbstes. Und ich stellte mir vor, sie werfe mir nun vor, ich sei völlig zerstreut durch die betäubende Wirkung, die der Herbst auf mich ausübte. „Entferne den Holzrauch aus deinem Hirn ! Wir werden heute ernsthaft reden !“ Ich wußte, es war zu schön gewesen, um wahr zu sein. Sie hatte eine seltsame Art, meine angenehmen Herbstträumereien zu vertreiben. Und ich haßte es, wenn sie so todernst wurde. Entweder mußte ich eine bedeutsame psychische Reise machen oder mich einer neuen so entmutigenden Welt-im-Wandel-Lektion unterziehen. Ich war offen gestanden weder für das eine noch das andere in Laune. Warum konnten wir nicht einfach einen kleinen Spaziergang machen im Wald und ... „NEIN“ Sie stampfte mit ihrem Fuß. „Summer wird über neue Geburt von Erde hören. Summer wird über Erscheinungen und Geräusche neuer Zeichen, die bevorstehen, hören.“ Mein Interesse war geweckt. „Welche neuen Zeichen?“ fragte ich eifrig. „Summer nicht unterbrechen. Summer wird hören, daß Mutter Erde in schweren Wehen. Sie wird ein großes Ding gebären. Die ersten Stunden der Wehen haben bereits angefangen. Es wird nun sehr weh tun.“ Ich beugte mich vor. „Was ist dieses große Ding? Worüber sprichst du ?“ Stille. Darauf begann der Schaukelstuhl wieder zu rumpeln und quietschen, wie immer, wenn sie über etwas erregt war, oder immer wenn sie von mir erwartete, daß ich die einleuchtenden Antworten auf meine eigenen unnötigen Fragen selber hervorbrachte. Ich dachte nach zum rhythmischen Takt des Schaukelstuhls. "Die Veränderungen. Du sprichst über die entscheidenden Veränderungen der Erde.“ Rumpel-quietsch. Rumpel-quietsch. Ein schwerwiegender Gedanke glitt unbewußt durch meinen Geist. „No-Eyes, gibt es da mehr, als was wir früher zusammen sahen?“ Rumpel-quietsch. Mit ihren blinden Augen musterte sie nachlässig die rauchgeschwärzte Decke und klopfte mit ihren Fingern rhythmisch auf ihre Knie. „Da gibt es mehr! Du hast mir nie gesagt, daß da noch mehr sein könnte!“ Ich war gleichzeitig überrascht und verletzt. Wir hatten die Veränderungen der Erde früher besprochen, und sie hatte mir nie angedeutet, daß noch anderes kommen würde. Ihr Blick bewegte sich von der Decke weg, um sich in meinen zu bohren. „Summer nie gefragt“, antwortete sie mit berechneter Sanftheit. „Ich wußte nicht, dass ich fragen sollte!“ Sie zuckte die Achseln und machte eine wegwerfende Gebärde. „Ja, nun, Summer, früher nicht rechte Zeit dazu. Jetzt ist richtige Zeit.“ Dies schien so selbstverständlich. So einfach. Keines von beidem traf zu. Ich wollte nichts mehr von den negativen Dingen hören, die auf die Menschheit zukamen. Ich hatte schon genug von den zukünftigen Szenen gesehen und hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie der „Film“ sein würde. Ich wurde von einem schrecklich niederdrückenden Mitgefühl für die Menschheit gequält, besonders für jene, welche die Warnungen nicht hören oder den Zeichen nicht glauben wollten. Es war ein so herrlicher Tag, ich wollte nur in den Wäldern spazieren und ihre Atmosphäre mit meinen empfänglichen Sinnen aufnehmen. Ich seufzte und schickte mich in die Schwere ihrer folgenden Worte. „Das ist besser. Summer will nicht hören. Summer hört trotzdem zu.“ Sie streckte ihren Kopf in einer fragenden Haltung vor. „Wie soll Summer Zeichen erkennen, wenn ich nicht sage ?“
Mir war dies zuwider. „Ich werde sie verstehen und außerdem sind sie schon da.“ „Pah!“ platzte sie heraus und wedelte mit den Händen in der Luft. „Das ist nichts, das sind nur harmlose Dinge. Summer wird jetzt alles hören. Summer wird den Leuten erzählen, was sie sehen, und sie hören werden!“ Ich war nicht begeistert über ihre Idee. „No-Eyes“, seufzte ich erneut, „ich lasse dich ungern mit deiner show im Regen stehen, aber ich habe dir schon früher gesagt, daß die Leute nicht zuhören; sie hören nur, was sie hören wollen.“ Das war eine sehr abgedroschene Antwort. „Was ist mit deiner show?“ fragte sie mich mit einem Stirnrunzeln. „Das ist nur eine Redeweise. Es bedeutet, daß ich sehr ungern deine rühmliche Idee, die Leute zu warnen, zunichte mache, aber ...“ Der Schaukelstuhl kippte plötzlich vornüber, als sie ihren zerbrechlichen Körper streckte und den Hals nach vorne bog. „Summer macht überhaupt nicht zunichte hier“, drohte sie sanft. „Summer erzählt die Dinge, das ist alles. Wird einfach sein.“ Der Stuhl quietschte unberechenbar. Sie hatte gesprochen. Wir waren offenbar wieder einmal uneinig, wie so oft. Sie fuhr mit ihrem hektischen Rumpeln und Quietschen fort. Ich versuchte, unsere Sackgasse zu umgehen. „Hör zu, es tut mir leid. Ich werde also deine Zeichen weitergeben. Ich werde meinen Teil beitragen. Was aber, wenn niemand zuhört oder glaubt? Wozu war dann das Ganze überhaupt ? Ich werde nur dastehen wie eine finstere, trübsinnige Unheilsverkünderin.“ Stille. „Nun? Wird es nicht so aussehen?“ drängte ich. Rumpel-quietsch. Rumpel-quietsch. Das war genug. Meine Geduld war zu Ende. „Bitte, No-Eyes! Hör bitte auf mit diesem verdammten Schaukeln und antworte mir!“ Stille. Langsameres Schaukeln. Ich seufzte und hing geschlagen in dem unebenen Sofa. Sie konnte zeitweise verdammt aufreizend sein. Dann flüsterte eine sanfte Stimme durch dünne Lippen. „Ich werde nicht über die Dinge reden, wenn Summer flucht“, schmollte sie. Oh Gott, sie war so empfindlich. „Also gut, es tut mir leid, daß ich geflucht habe, aber bitte antworte mir, wenn ich dich etwas frage, No-Eyes“, flehte ich. „Es ist so schwer, ein vernünftiges Gespräch mit dir zu führen, wenn du mit Schweigen antwortest. Ich bin bereit, dir zuzuhören, aber ich bin zu müde für weitere solcher Spiele.“ „Mmh!“ Keine Spiele hier. Summer soll Dinge ausdenken. Ich werde nicht für immer dasein, um zu antworten.“ „Ich weiß das, aber könnten wir uns heute nicht einfach nur vertragen?“ Sie klopfte mit einem breiten Grinsen auf ihr Knie. „Ja! Wir vertragen uns und machen jetzt mit der Sache weiter.“ Erleichterung. Ich machte es mir bequem. Das Sofa war alt und uneben vom Gebrauch der vielen Jahre, aber ich setzte mich auf eine bestimmte Stelle, die fast ohne Beule war. Ich ließ mich hinein fallen und bereitete mich auf einen sehr langen und niederdrückenden Tag vor. Die alte Frau zog ihren Stuhl näher an das Sofa heran und saß ganz ruhig. Sie tat dies öfters, um in meinen Kopf hineinzukommen und festzustellen, ob ich wirklich bereit war, gut zuzuhören. Dann faßte sie meine Hand.
Ich beugte mich vor und hielt ihre knochigen Finger. Ich war ganz Ohr. „Summer, ich werde über ernste Dinge reden hier. Ich kann nicht über alles an einem Tag sprechen. Wir brauchen sogar viele Tage. Das ist eine große, lange Lektion.“ Ich hatte mich endlich abgefunden mit der bedrückenden Lektion und ich sagte ihr, daß ich begriffen hatte. „Ich weiß, No-Eyes, und es wird mir klar, daß es sehr viel mehr geben muß, worüber wir noch nicht gesprochen haben hinsichtlich der entscheidenden Jahre. Du kannst auf mich zählen, ich werde aufmerksam zuhören.“ Sie tätschelte meine Hand. „Summer muß mehr tun als zuhören. Summer muß sich erinnern. Summer muß genügend in Erinnerung behalten, um den Menschen über alle Zeichen hier zu berichten. Das ist äußerst wichtig.“ Sie blieb unerbittlich in ihrer Forderung, daß ich den Leuten über ihre vorausgesehenen Zeichen berichtete. Ich ließ meinen früheren Einwand fallen. „Willst du, daß ich im Wagen mein Notizbuch hole?“ „Nein. Summer kann im Kopf behalten. Wir brauchen einen Tag für ein Thema. So kann Summer leicht behalten.“ „Fang an. Ich bin bereit.“ Wieder tätschelte sie meine Hand und drückte sie leise einen Augenblick lang, bevor sie sich im Stuhl zurücklehnte. Die sanfte Schaukelbewegung begann. „Summer, Mutter Erde ist in großer Not. Sie in großer Not gerade jetzt, wo wir sprechen. Sie ist daran, ein Neugeborenes in die Welt zu setzen. Dieses Neugeborene war schon vor vielen Monden einmal da. Es kommt wieder zum Vorschein zwischen den Beinen von Mutter Erde. Horch, Summer, horche gut, und du hörst den beschleunigten Herzschlag innerhalb der Mutter Erde. Sie hat jetzt starke Kontraktionen.“ Ich war verwirrt. „Ich bin nicht sicher, ob ich verstehe. Was für ein Neugeborenes soll kommen ?“ Die Alte beugte sich verstohlen vor und flüsterte geheimnisvoll: „Es ist früher schon einmal dagewesen. Es kommt immer und immer wieder. Es kann nicht zerstört werden. Denk nach, Summer!“ Sie nahm ihr Schaukeln wieder auf. Sie hatte jetzt genug geredet. Sie hatte mir verschiedene Anhaltspunkte gegeben und überließ mich nun meinen eigenen Mitteln, um zum richtigen Schluß zu gelangen. Ich dachte an ein Ding, das nicht zerstört werden konnte. Ich dachte an etwas, das immer und immer wieder zurückkam. Ich sann darüber nach, ob sie Gott meinte. Dann erkannte ich, daß dieser Gedanke ganz abwegig war, da sie von etwas sprach, das geboren werden und kommen sollte vor der entscheidenden Schlacht, etwas, das den massiven Veränderungen vorausging, oder dessen Geburt oder Gegenwart vielleicht die Veränderung bewirken oder verkünden sollte. Es war bestimmt zu spät an der Zeit, als daß eine neue Welt-Führerpersönlichkeit geboren werden sollte. Außerdem, ein Führer konnte zerstört werden. Es war zu spät, als daß sie die körperliche Geburt von irgend jemandem meinen konnte. Daher mußte sie sich auf eine mystische, symbolische Geburt beziehen. Dieser ungewöhnliche Gedanke ließ im Geist alle klassischen Gestalten der griechischen Mythologie aufleben, und doch, sie schienen, als ich sie Revue passieren ließ, auch nicht zu passen. Dann aber durchbohrte die einleuchtende Antwort meinen Geist wie der Pfeil eines blauen Blitzes. Die alte Frau strahlte buchstäblich vor freudiger Bestätigung. Sie hatte offensichtlich peinlich genau mein geistiges Eliminationsverfahren verfolgt, denn als die Antwort mir einfiel, bestätigte sie diese mit ihrem breiten, zahnlosen Grinsen. Sie klopfte auf ihr Knie. Ich lächelte schüchtern zurück und wurde wieder ernst. „Der Phönix, nicht wahr?“
„Du hast lange gebraucht. Das richtig. Summer findet richtige Antwort ohnehin. Je, es ist großer Phönix, der wieder ersteht, wie in all den Zeiten früher. Er schon hier.“ Sie zeigte auf den Boden und meinte unter der Erde. „Er ist seit Jahren schon im Entstehen begriffen. Er ist nun soweit, um aus dem Leib von Mutter Erde herauszukommen. Wenn man ganz ruhig ist, kann man die Kontraktionen von Mutter Erde spüren. Sie ist so, so müde. Sie wird den großen Phönix bald loslassen. Summer wird sehen.“ Ich dachte lange über Ihre Worte nach. Die Dinge waren noch zu undeutlich für mich. Was waren das für Geburtsqualen, von denen sie sprach ? Bestimmt meinte sie nicht die Veränderungen auf der Erde, denn dafür war es doch etwas zu früh. Sie meinte wohl eine indirektere Art von neuer Bewegung. Ich grübelte weiter darüber nach, während sie klug wartete, bis ich es herausfand. Ich las immer die Tageszeitungen durch, auf der Suche nach Spuren der sich verändernden Zeiten. Was mir als besonders hervorstechend in den Sinn kam, war der anscheinend sporadische, aber stetige Niedergang des Handels und der Wirtschaft unseres Landes. Ich warf der alten Frau einen verstohlenen Blick zu. Sie versuchte ein Lächeln zu verbergen. Ich hatte recht. „So haben also die Geburtswehen des Phönix einen direkten Einfluß auf den Zustand unserer gesamten Wirtschaft." „Es hat mit allen Gelddingen zu tun. Heißt das Wirtschaft ? Ja, nun ! Phönix macht große Bewegungen unter Mutter Erde. Geldsachen, Handel, alles wird leiden hier.“ „Verursacht Phönix das Unglück in der Wirtschaft?“ Sie war sichtlich erzürnt über meine irrige Vermutung. „Pah! Phönix verursacht keine schlechten Dinge. Er erhebt sich wieder, um den Leuten neue Zeiten, ein neues Zeitalter und neue Dinge zu bringen.“ „Warum bringst du dann anscheinend die beiden miteinander in Verbindung in bezug auf die negativen Aspekte?“ „Weil sie einen Zusammenhang haben, darum!“ Sie war am Ende meiner jetzigen Spur der Erkundigungen angekommen. Ich nahm an, daß es nun an mir sei, den Rest herauszufinden. Wenn es stimmte, daß die negativen Auswirkungen der gesamten Wirtschaft in Zusammenhang mit der Geburt des Phönix standen, Phönix aber diese Katastrophen nicht aktiv hervorbrachte, so waren die beiden unabhängig voneinander. Nein, das war auch nicht ganz richtig. Ich dachte noch intensiver nach. Sie hatte gesagt, Phönix erstehe von neuem, um ein neues Zeitalter zu verkünden. Und daß dieses Zeitalter eine erneuerte Menschheit auf dieser Erde hervorbringen würde. Das war es! Es war Zeit für die Welt, die Anfänge der Veränderungen zu erfahren. Und für Phönix war auch die Zeit gekommen, wo seine Unabhängigkeit mit dem Ende der Veränderungen zusammenfiel. Das erschien mir absolut sinnvoll. Die Veränderungen begannen eben jetzt sichtbar zu werden, genau wie die Geburt des Phönix. Und wenn die Veränderungen sich vollzogen haben, wird auch Phönix vollkommen sein. No-Eyes lehnte sich vor und stieß an mein Knie. „Summer denkt heute hübsch ordentlich“, kam das vergnügte Geschnatter. Ich kicherte über ihren eigenartigen Umgang mit den Wörtern. „Nun, es ergibt wirklich einen logischen Sinn. Ich vermute, wenn man darüber nachdenkt, so ist es wirklich die Menschheit, die alle Veränderungen hervorbringt. Und der neu erstehende Phönix wird dasein, um Friede zu bringen und Verjüngung allen, die übrig bleiben von der geläuterten Menschheit.“ Sie nickte im Takt mit der sanften Schaukelbewegung des Stuhls. „Nun wollen wir über all die schlimmen Gelddinge reden, die auf der Mutter Erde sich zutragen, während Phönix sich umdreht unter Mutter Erde, in ihrem Bauch.“ „Wenn ich unterbrechen darf, sind damit die vorausgesagten Schwierigkeiten an der Börse gemeint?“
Der Funke ihres Geistes wurde plötzlich von einem dunklen Schatten verdüstert, der sich über ihre Augen legte. Ich erklärte ihr den neuen Ausdruck. Sie schien uninteressiert. „Ja nun! Das nur ein winziger Zipfel der Sache. Summer zuhören jetzt. Ich weiß nicht alle richtigen Ausdrücke für Wörter, darum brauche ich klein wenig Hilfe, damit Summer Sache recht versteht." Ich lächelte verständnisvoll. „Also gut, ich versuche die rechten Wörter deinem Sinn anzupassen. Mach langsam, damit ich sicher bin, daß ich dich richtig verstehe.“ Dann fiel mir etwas ein, das mir ziemlich ungereimt vorkam, und ich konnte nicht anders, als darüber um Auskunft zu bitten. „No-Eyes, ich habe nie an deinen weisen Worten gezweifelt, aber wie kannst du über bevorstehende Dinge Bescheid wissen, wenn dir die genaue Fachsprache nicht bekannt ist und auch nicht die alltäglichen technischen Einzelheiten der modernen Welt?“ Sie fuhr auf vor Empörung. „Ach, Summer glaubt, No-Eyes dumm, weil sie nicht die rechten Wörter kennt!“ Ihre Antwort war reine Paranoia. Ich war gereizt. „Du weißt, so habe ich da nicht gemeint! Das war jetzt unfair!“ „Ja nun! Was ist fair, Summer ? Schau, Babies sehen Flaschen. Sie wissen, was das ist. Sie wissen, daß sie sei haben wollen, Können ganz kleine Babies „Flasche“ sagen ? Summer fährt alten Wagen. Summer weiß, wie er innen funktioniert ? Summer weiß richtige Namen für alle inwendigen Dinge ? Na, Summer, na ?“ „Nein“, gab ich ehrlich zur Antwort und wünschte, daß ich dieses Thema nie zur Sprache gebracht hätte. „Ich nicht immer weiß richtige Namen für Dinge, aber ich weiß trotzdem über Dinge Bescheid. Siehst du ?“ „Gut, ich sehe“, seufzte ich. „Es tut mir leid, dich aufgeregt zu haben. Du solltest wirklich meine leichthin gestellten Fragen dir nicht so zu Herzen nehmen.“ Ihre Schultern hoben und senkten sich. „Vielleicht ja, vielleicht nein. Wir wollen jetzt die Geldsache in Angriff nehmen.“ „Gut!“ entgegnete ich etwas zu hastig. Sie runzelte die Stirn. „Summer ist Besserwisser?“ „O verdammt, No-Eyes, könntest du jetzt nicht weitermachen!“ Sie warf mir einen besonders kummervollen Blick zu. „Summer nicht No-Eyes beschimpfen“, kam die sanfte Bitte, während sie den Kopf senkte und ihren verblichenen Rock musterte. Sie hatte mit diesem scheinbaren Vorwurf kein Glanzstück geliefert. Ich schmunzelte und guckte sie aus dem Augenwinkel an. Sie blickte durch spärliche Wimpern auf, und ein prustendes Gelächter entlang sich ihr. Wir waren wieder auf gleicher Ebene. Stolz hob sie ihren Kopf und fuhr im gedämpften Ton einer neuen Ernsthaftigkeit mit der Lektion fort. „Summer, viele Leute sind tief in ihren Herzen unzufrieden und ratlos, für wen sie ihre Arbeit verrichten. Viele Arbeitsplätze nicht fair. Diese Arbeiter geben Boss alles, was sie können. Sie geben und geben. Sie bekommen nichts zurück. Sie hören auf zu arbeiten. Sie werden wieder arbeiten, wenn sie Dinge zurückbekommen. Viele Menschen werden Arbeit niederlegen. Sie sehr wütend. Es wird überall so sein.“ „Das hört sich so an, als ob du von Streiks redetest – viele Streiks“, erklärte ich, „Ein Streik ist, wenn die Arbeiter nicht das bekommen, was ihnen von Rechts wegen zusteht, oder wenn sie keine gesunden Arbeitsbedingungen haben; dann tun sie sich zusammen in einer vereinten Gruppe. Sie legen die Arbeit nieder, um sich rechtmäßig das zu verschaffen.“
„Das ist genau, was ich sage!“ rief sie mit harter Stimme. „Ich wollte es nur klarstellen, das ist alles“, sagte sie lächelnd. Ein knorriger Finger hob sich mahnend. „Da kommt noch mehr Summer. Die Vorgesetzten sagen, die Arbeiter verlangen zuviel. Die Vorgesetzten sagen, sie können nicht Geschäft machen und Arbeiter zufriedenstellen. Summer weiß, was sehr viele Vorgesetzte tun werden?“ Ich schüttelte nur meinen Kopf. „Die Bosse werden ihre Unternehmen außer Landes schaffen. In fremden Ländern werden sie gute Geschäfte machen und gute Arbeiter gleichzeitig haben, siehst du ? Viele Leute hier haben keine Arbeit mehr und kein Geld.“ Sie zögerte, bevor sie weiterfuhr. „Man wird auch Maschinen haben, die die Arbeit der Arbeiter tun.“ Ich dachte über diese letzte Äußerung nach, während sie sprach. Ich fand die richtige Spur. „Diese Länder, über die du sprichst, sind sie weit weg?“ „Ja. Sie sind weit über große Wasser.“ Unbesonnen vergaß ich ihr Bedürfnis nach sprachlicher Vereinfachung und verfiel aufgeregt in meine eigene übliche Ausdrucksweise. „Dann siehst du voraus, daß die größeren Firmen ihre Fabriken in Amerika schließen und sie in Übersee wieder aufbauen, wo sie zu einem vorteilhafteren Kosten-Nurzen Verhältnis produzieren können. Und sie werden ihr übrigen amerikanischen Firmen umrüsten und den Anwendungsbereich der ComputerAutomation vergrößern, was wiederum zu Massenentlassungen führt.“ Ihre Stirne furchte sich. „Summer macht zu schnell. Was sind das alles für Wörter?“ Sie hielt einen Augenblick inne, und bewegte ihre Augen, während sie ihr psychisches Wörterbuch absuchte. „Macht nichts. Summer hat da recht“, bestätigte sie. „Summer hat die Dinge richtig gesagt.“ „Also, No-Eyes, wenn viele Firmen sich in Übersee niederlassen, wird das nicht auch unsere Import / Export-Bilanz in Mitleidenschaft ziehen ?“ „Was ist das?“ fauchte sie erregt. „Der Kauf und Verkauf von Gütern zwischen verschiedenen Ländern.“ „Ja. Das wird auch ändern. Das wird sehr schlecht werden und fast zum Stillstand kommen. Wenn das fast aufhört, viel mehr große Firmen und Fabriken müssen zumachen. Viele Leute dann arbeitslos. Keine Arbeitsplätze. Viele Leute sehr erzürnt.“ „Das sind schlechte Nachrichten. Unsere Regierung kürzt heute Programme, die der Unterstützung der Armen dienen. Wie werden wir je fähig sein, in Zukunft für die vielen Tausenden von Arbeitslosen zu sorgen?“ „Der Präsident tut das“, verkündete sie vertrauensvoll, während der treue Schaukelstuhl sich wieder vernehmen ließ. Ich schüttelte den Kopf. „Falsch, No-Eyes. Es wird sehr viel Geld für neue Waffen ausgegeben. Man zapft das Geld von den Sozialprogrammen ab und läßt es in noch mehr und größere Waffen-, Antiwaffen- und Verteidigungssysteme fließen.“ Sie blieb aber fest bei ihrer Meinung. „No-Eyes sagt eben, daß Präsident das für die Armen tun wird. Hat Summer die Ohren verstopft?“ „Aber ich erklärte gerade ...“ „Summer erklärt überhaupt nichts! No-Eyes erklärt hier. Präsident hat mehr Geld für mehr Arme, indem er alle veranlaßt, daß sie mehr Geld dem Staat zahlen, siehst du ? Es ist einfach.“ Es war wirklich einfach. „Du meinst höhere Steuern. Jetzt sehe ich tatsächlich, wohin dies alles führen wird.“ „Summer sieht?“ quiekte sie. „Summer soll No-Eyes sagen, wohin dies alles führt.“ „Zu einer höllischen Revolte“, stieß ich voll Abscheu hervor. „Ja. Aber über diese Sache reden wir ein andermal zusammen mit anderer Sache.“
„Oh, großartig, ich kann es kaum erwarten“, flüsterte ich leise. Die runden Augen wurden zu dunklen Schlitzen. „Summer hat wieder vorwitziges Mundwerk.“ „Ja“, gab ich bereitwillig zu, „ich glaube, ich brauche es, wenn ich hier nicht den Verstand verlieren will.“ „Nein“, antwortete sie munter, „alles wird recht herauskommen. Summer wird sehen.“ „Ich wünschte, ich könnte so zuversichtlich sein.“ Der Funke eines plötzlichen, elektrischen Stromstoßes sprang aus ihr. „Will Summer sehen kommen?“ Abwehrend hob ich die Hände. „Nein! Ich glaube dir. Ich will lieber warten, bis es wirklich geschieht.“ Sie sank in sich zusammen vor Enttäuschung, was mir klar bedeutete, daß meine Entscheidung zu meinem Nachteil war. „fahren wir also fort. Wenn große Unternehmen weggegangen, werden kleine auch aufhören. Viele Leute denken, ihnen kann nichts passieren, weil sie eigenes Geschäft haben, weil sie nicht für Vorgesetzten arbeiten müssen – sie täuschen sich alle.“ „So siehst du also voraus, daß auch die kleinen Geschäfte eingehen. O Gott, warum mußt du das sagen ? Die mittleren und kleinen Unternehmen sind das Rückgrat der Wirtschaft unseres Landes. Jetzt hast du wirklich alles erledigt.“ „Ich habe nichts erledigt! Summer sieht Sache immer noch nicht recht. Alle brauchen immer noch viele, kleine Unternehmen. Die Art, die man braucht, wird weiterbestehen. No-Eyes meint die Art Geschäfte, die man nicht wirklich braucht.“ Erleichterung. „Gut, aber warum gehen die anderen zugrunde?“ „Viele Geldstellen werden nicht mehr gut sein.“ „Geldstellen?“ „Ja. Stellen, wo Summer und Bill ihr Geld aufbewahren.“ „Banken?“ „Ja, nun. Summer besser daran mit Geld unter Bett!“ „Jetzt kapiere ich. Wenn die Banken zahlungsunfähig werden, dann können die Unternehmen am Anfang kein Start-Darlehen bekommen oder Kredit für Verbesserungen oder Ausbau.“ „Das ist ja gerade, was ich sage!“ platzte sie heraus. „Summer braucht nicht wie Echo zu wiederholen!“ Ich überhörte ihren Ausbruch. Dieser Aspekt der Wirtschaft zeigte eine negative Steigerung mit möglicherweise verheerenden Auswirkungen. „Wenn die Banken Bankrott machen, wenn die großen Unternehmen ihre Produktion nach Übersee verlagern und sie ihre übriggebliebenen Firmen automatisieren, wenn die Industrie mit Streiks und Betriebsschließungen geplagt wird, was geschieht dann mit der Effektenbörse?“ „Was ist das?“ Wiederum versuchte ich so gut als möglich, ihr die Sache in verständlichen Ausdrücken zu erklären. Es war nicht leicht. Sie klopfte auf ihre Knie und kicherte in kindlicher Freude,. „Die wird umfallen wie ein großer Waldbaum. Das wird alles vorbei sein.“ „Was?“ schrie ich. Sie fuhr auf über meine unerwartete Reaktion. „Ja, nun!“ verteidigte sie sich. „Summer hat ohnehin keine Wertpapiere.“ „No-Eyes, das macht nichts. Aber viele Leute haben solche.“ Ihre dunklen Augen funkelten unheilverkündend. „Nicht mehr“, kam der schelmische Singsang einer Antwort. Ich konnte diese nicht zu ihr passende Teilnahmslosigkeit nicht verstehen. „Die Leute werden wahnsinnig werden, wenn es zu einem Börsenkrach kommt!“
Sie schob das Thema mit einer gleichgültigen Handbewegung beiseite. „Wir werden über das verrückte Zeug ein andermal reden.“ „Toll. Was könnte sonst noch mit der Wirtschaft fehlgehen? Du hast ungefähr alles abgedeckt.“ „Nein. Geldstellen werden aufhören. Sie werden keine großen Geld mehr ausgeben für Bauten. Niemand wird mehr Geld haben für Häuser. Keine Orte mehr übrig sogar, um Häuser zu verkaufen.“ „Was sagst du da? Du sitzt ruhig da und sagst mir, daß das Bauen neuer Gebäude aufhören wird? Daß keine Häuser mehr gebaut werden ? Daß Immobilienmakler der Vergangenheit angehören ? Sagst du mir wirklich diese Dinge, No-Eyes?“ Es schien ihr zu widerstreben, mir zu antworten. Sie begann mit ihrem wilden Schaukeln und schaute unbestimmt im Zimmer herum. „No-Eyes?“ Schweigen. Schaukeln. Augen nach oben gerichtet. Ich musterte sie Kalt. „No-Eyes, ich habe dich etwas gefragt. Willst du mir antworten oder nicht?“ „Ja“ „Ja, was?“ fragte ich ungeduldig. „Ja, No-Eyes antwortet. Ja, richtig, was No-Eyes Summer sagt.“ Stille. Rumpel-Quietsch. Die Auswirkungen in der Wirtschaft waren viel schlimmer und weiterreichend, als ich ursprünglich vorausgesehen hatte. Es würde sicherlich alle Aspekte unseres Währungssystems berühren. Die alte Frau erzählte mir nur ungern davon, was sie alles in meiner trüben Zukunft auf mich zukommen sah. Sie war immer aufrichtig und hielt nie absichtlich etwas zurück. Sie sagte die Dinge immer gerade heraus, genau, wie sie sie voraussah. Ich spürte, daß sie noch einige üble Brocken mehr in ihrem unschuldig aussehenden Baumwollärmel versteckt hielt, und ich drängte sie, weiter zu berichten. „Also gut. Ich stelle fest, daß ich diese Dinge wissen muß. Gibt es da noch etwas, was du mir sagen willst?“ Insgeheim hatte ich gehofft, daß da nichts mehr war. Sie zögerte. Das rhythmische Rumpeln und Quietschen hörte auf. Ich hatte unrecht. „Nun, du könntest es geradesogut herauslassen und fertig werden damit.“ „Summer“, begann sie sanft, „der Preis von Boden und Häusern wird tief fallen – er wird zerrinnen wie Wasser durch einen alten, schadhaften Biberdamm.“ Ich fuhr hoch. „Das nenne ich aber gute Nachrichten! Jetzt sprichst du mir aus dem Herzen!“ „Nein“. Sie brachte mich auf den Boden zurück: „Viele Leute werden versuchen, Haus und Land zu verkaufen, um mehr Geld zu bekommen – um zu leben. Sie werden nicht einmal genug bekommen. Sie werden immer noch viel Schulden haben. Sache wird wie in einem großen Wirbel kreisförmig runter und runter gehen, tief und tiefer. Es wird ganz tief sinken. Es wird nicht mehr steigen – nie mehr.“ Als ich von diesen Aussichten erfuhr, begriff ich, daß ihr Ernst berechtigt war. „Ich verstehe, was du meinst. Die Leute zahlen viel Geld für ihre großen Häuser, und wenn ihr Wert dramatisch abnimmt, können sie nicht einmal genug Geld zusammenbringen, um ihre laufenden Hypothekenzinsen zu zahlen, von Rückzahlungen gar nicht zu reden.“ „Was ist das für Hypothekding, Summer?“
„Das ist das für die Kosten von Haus oder Land geliehene Geld, das man der Bank zurückzahlen muß – ursprünglicher Betrag plus Zinsen.“ „No-Eyes bewegte traurig ihren Kopf von einer Seite zur andern. „Die Leute wollen zuviel Geld von Bank. Sie werden keinen Weg finden, es zurückzuzahlen.“ Eine längere Pause entstand, bis ich No-Eyes drängte, das Thema abzuschließen. „Gibt es noch etwas, was du mir sagen willst, wenn wir schon dran sind? Wir können genausogut alles sagen und damit erledigen.“ „Nur ganz kleine Sache“, gab sie mit einer raschen, wegwerfenden Handbewegung zu. „Was für eine ganz kleine Sache ?“ „Wichtige Leute in großem Geschäft machen viel Geld. Sie machen solche Sachen überall. Das ist alles.“ Sie sprach über die Zunahme von Wirtschaftsverbrechen bei Multis und Holdings. Und ich konnte die Gründe für die großen Versuchungen gut verstehen. Ich blickte in das traurige Gesicht der alten Frau und versuchte, sie zu trösten. „No-Eyes, ich vermute, diese Dinge, die du mir heute erzählt hast, sind unvermeidlich. Ich will nicht, daß du dich verantwortlich fühlst dafür, nur weil du sie als Tatsache hast kommen sehen. Die Menschen werden diese wirtschaftlichen Nöte überstehen. Sie haben es immer fertiggebracht, schlechte Zeiten durchzustehen. Und das wird auch nicht anders sein.“ Ich lächelte ihr warm zu. „Wir sind eine widerstandsfähige Rasse. Wir werden schon durchkommen.“ Ich rutschte vom Sofa und setzte mich neben ihren Stuhl auf den Boden. Ihre zerbrechlichen Händen waren kalt. „Summer, ich bin nicht wegen mir traurig. No-Eyes ist traurig wegen Dingen, die Summer durchmachen muß.“ Ein versonnener Blick verschleierte ihre Augen. „Ich muß diese schlimmen Dinge nicht erleben.“ „Dann bin ich glücklich für dich.“ Und ich schlang meine Arme um ihre schlanke Taille. „Summer?“ „Ja?“ „Hörst du das ?“ Ich lauschte. Ich atmete ganz leise. Und ich vernahm das fast unhörbare Stöhnen der Mutter Erde in ihren schweren Wehen. Die Alte flüsterte leise. „Summer, komm morgen wieder. Wir werden darüber reden, was passiert, wenn Phönix aus der Mutter Erde herauskommt.“ Ich umarmte sie zärtlich. „Also gut, No-Eyes. Ich werde dasein.“ Ich schürte das Feuer, und wir verbrachten den Rest des Nachmittages im stillen Zusammensein und Teilhaben an unserer warmen Freundschaft. Kapitel 2 - Sichtbarwerden Sichtbarwerden Und der Scheitel des neugeborenen Phönix zerreißt die Lenden der leidenden Mutter Erde. Es war Sonntag. Während ich über die gewundenen Bergstraßen fuhr, die zu NoEyes` Hütte führten, ging ich im Geist noch einmal alles durch, was sich am vorigen Tag zwischen uns ereignet hatte. Ich war immer noch ein wenig verwundert über unser heftiges Gespräch und das Ausmaß, das der wirtschaftliche Niedergang annehmen würde. Keine Seite unseres jetzigen Währungssystems würde einer Veränderung zum Schlechten entgehen. Ich hatte früher schon vom Kursverfall an der Börse und dem Konkurs einiger
Großbanken gehört. Wenn ich mir Zeit genommen hätte, hinter die Zeichen an der _Wand zu schauen, hätte ich vielleicht andere offensichtliche Veränderungen als natürliche Folge voraussehen können. Es war die Dominotheorie, die zutreffend auf das Wirtschaftssystem angewendet werden konnte. Das war unausweichlich. Bill und ich hielten in den Zeitungen immer Ausschau nach irgendwelchen von NoEyes vorausgesagten Zeichen. Wir konnten sehen, mit welcher Sicherheit Entscheidungen, die von Multis getroffen wurden, auf die letzten Seiten der Geschichte zusteuerten. Die Hinweise häuften sich, die den Grabgesang unserer Wirtschaft verstärkten. Im jetzigen Augenblick ist die Melodie kaum hörbar. Mit der Zeit wird sie an Lautstärke und Schwung zunehmen, um so ihr entscheidendes Crescendo zu erreichen. Wir dachten über die zweifelhafte Zukunft der Industriearbeiter nach. Was sollte aus all den Familien dieser bedauernswerten Männer werden, die ihr ganzes Leben hart arbeiteten für große Unternehmen, die dann eines Tages beschließen, ihre umfangreichen Industrien in andere Länder zu verlegen oder zu automatisieren ? Uns schien, dass Geld tatsächlich zum verehrten goldenen Kalb unserer Nation geworden war. Wo blieben die Firmen, die sich um ihre Arbeiter kümmerten ? Wo waren die Unternehmen, die Menschlichkeit über ihre Gewinnmargen setzten ? Wo war menschliches Mitgefühl hingekommen ? All diese Gedanken bestürmten mich auf meiner Fahrt durch die Wälder. Normalerweise schwelgte ich auf diesem Weg in der herbstlichen Schönheit der Berge. Heute nicht. Heute war mein Herz schwer vor Mitgefühl für all jene, die in Zukunft so große Verluste erleiden würden. Heute hatte ich keine Zeit, mich verwöhnen zu lassen von der Herrlichkeit meines kostbaren Waldes. Das war aber genau richtig, denn No-Eyes hatte vor, mir über weitere Veränderungen meiner zukünftigen Lebensbedingungen zu erzählen. Ich hatte keinen Anhaltspunkt, welches Thema zur Sprache kommen sollte, aber nach der bedrückenden, mir noch gegenwärtigen Diskussion von gestern war ich geistig und gefühlsmäßig auf die bevorstehenden negativen Informationen vorbereitet. Die Abzweigung zur Hütte lag gerade vor mir. Wolken schoben sich vor die Sonne, und alle Bäume erschienen sonderbar verhüllt. Ich bog ein und parkte den Lieferwagen an der alten Stelle. Ich konnte von da aus die Hütte sehen, und auch sie war von gespenstischem Grau umgeben. Ein Fremder hätte sehr wahrscheinlich diesen verfallenen Ort gemieden. Im jetzigen düsteren Licht erschien er trostlos und voller böser Vorahnung – ein richtig geisterhafter ort. Ich war jedoch keine Fremde hier. Ich liebte diesen Ort sogar, wenn er in Dunkelheit getaucht und in Schatten gebannt lag. Ich ging das Wegstück zu ihrem Hügel hinauf, und als ich die verwitterten Stufen erreichte, brach die Sonne hervor, sich von ihrem vorübergehenden, finsteren Gefängnis befreiend. Die hellen Strahlen tummelten sich in den breiten Spalten und bröckeligen Holzritzen, sie beleuchteten die alte Hütte wie auf e9iner Ansichtskarte des Taj Mahal und gaben ihr einen warmen Hauch von Freude. Die Sonne schenkte mir das erhabene Zeichen einer Botschaft, dass, auch wenn meine Lehrerin niederdrückende Lektionen bereithielt, das Leben dennoch hell und wahrhaftig der Mühe wert war, es zu leben. Ich lächelte und trat ein. No-Eyes saß an ihrem handgezimmerten Tisch in der winzigen Küche. Ihr stummes, zahnloses Kauen entlockte mir immer ein inneres Kichern. Ich hatte diese Frau so lieb. „Was ist so komisch ?“ fragte sie mich mit einem Mund voll weichem Körnerbrei. „Sagte ich, etwas sei komisch?“ „Summer braucht nicht zu sprechen. No-Eyes hört trotzdem.“ „Darf man hier nicht lächeln? Oder muß ich immer so todernst sein wie du?“ Schmatz. Schmatz.
Ich zog meinen schweren Wollumhang über den Kopf, legte ihn aufs Sofa und setzte mich zu ihr an den Tisch. „Darf ich mich zu dir setzen?“ Ohne Murren wies sie auf die Wandschränke und bedeutete mir, ich solle mir meine eigene Schale von dem natürlichen Frühstück holen. Ich setzte mich ihr gegenüber. „Nein danke, ich habe schon gegessen.“ „Was Summer gegessen?“ fragte sie schlau. „Eier und Vollkornbrötchen.“ „Summer isst weißes Zeugs in den Eiern?“ „Natürlich nicht, das ist ungesund! He, du wolltest mir doch nicht etwa ein Bein stellen ?“ Ich grinste und beugte meinen Kopf zu ihr, als ob ich die Luft prüfen wollte. Sie zuckte die Schulter und gab keine Antwort. „Ich weiß, was ich essen und was ich anderen lassen muß“, setzte ich hinzu. „Hm!“ Ich legte meine Kinn auf den Tisch und blickte in ihre Augen auf. „Ich liebe dich.“ Sie schaute auf mich hinunter. Die Augen, die nichts sahen, waren verschleiert. Ich fasste nach ihrer Hand und hielt sie sanft. „Es geht mir gut. Es macht mir nichts aus wegen heute. Ich weiß, du musst es mir erzählen. Laß es uns nicht schwerer machen, als es ohnehin schon ist.“ Ich rieb die dünne Haut auf ihrer Hand. „Es ist besser du isst deinen Getreidebrei nicht in dieser Stimmung.“ Ich legte den Löffel in das Holzschüsselchen und führte sie ins Wohnzimmer. Ich zog den Schaukelstuhl heran, ließ sie Platz nehmen und kniete mich an ihre Seite. „No-Eyes, es tut mir so leid, dass ich deine Stimmung nicht bemerkt habe, als ich eintrat. Es gibt keine Entschuldigung für diese Art Gefühllosigkeit. Ich hätte merken sollen, wie beladen dein Geist sein muß. Vielleicht könnten wir dieses Gespräch für ein anderes Mal aufsparen.“ Sie streckte ihren Rücken und schaukelte. Das war die einzige erklärende Antwort. Ich klopfte eines der klumpigen Sofakissen zurecht und machte mich für die nächste Lektion des Phönixberichts bereit. Einige Minuten lang umhüllte Schweigen das Zimmer wie ein abschirmender Konkon. Ich wusste, dass sie die Gedanken sammelte, um eine friedvolle Haltung einzunehmen. Die meisten meiner ernsteren Lektionen begannen in dieser gewohnten Weise. Ich benutzte diese zusätzliche Zeit, um meine geistige Wahrnehmungskraft zu erhöhen und mich auf die Stärkung meines Gedächtnisses zu konzentrieren. Ich musste mich an alles was sie sagte, erinnern, denn ich benutzte in den zwei Jahren meiner Lektionen nur zweimal ein Notizbuch. Die Stille zwischen uns wurde tiefer, ein Zeichen, dass wir beide wohl vorbereitet waren. „Summer, das letzte Mal sprachen wir, wie die schweren Wehen der Mutter Erde mit Phönix begannen. Diesmal reden wir darüber was passieren wird, wenn großer Phönix seinen Kopf zeigt, wenn großer Phönix aus Mutter Erde herauskommt. Ihre Haut wird arg zerreißen. Viele Tränen. Ihr Atem kommt in langen Windstößen. Ihr Mund wird trocken sein. Es wird ihr heiß sein und dann wird sie vor eisiger Kälte zittern. Sie wird eine Menge Tränen weinen. Sie wird Dinge mit ihren Tränen überfluten.“ Ich wusste, dass das Land No-Eyes genauso viel bedeutete wie mir. Das war der Grund ihrer Traurigkeit, als ich in ihre Hütte kam. Sie musste jetzt die Veränderungen beschreiben auf Mutter Erde, die das Leben von uns allen beeinträchtigen werden. Es schmerzte sie, diese Dinge zu wissen. Es schmerzte sie, dass sie über die Leiden der Mutter Erde sprechen musste, der Mutter, die so gütig all ihre reichen Gaben der Menschheit überließ. Und nun würde sie aufgerissen
werden und für immer Narben davontragen. Eine einzelne Träne rann über die zerfurchte Wange der alten Frau. Sie ließ sie unbeachtet, vielleicht kümmerte es sie nicht. Was war eine einzelne Träne, verglichen mit den Millionen, die vergossen werden würden in naher Zukunft durch die leidenden Menschen ? Ehrerbietig schwieg ich. Ihren tiefen Gram durch Mitleidsbezeugungen zu beachten, war nicht im Einklang mit unserem stolzen Erbe. In ihrem Herzen wusste sie, dass ich an ihrer Seite war in ihrem Schmerz. Oft wurden keine Worte zwischen uns gesprochen. Sie waren unnötig. Ich gesellte mich für einen Augenblick zu ihrem Geist, und sie schien dankbar. „Das tut gut.“ Ich lächelte. „Ich kriege nichts getan. No-Eyes tut besser daran, sich aufzurichten.“ „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich verstehe.“ „Ich fahre jetzt fort.“ Sie machte eine kleine Pause, bevor sie weiter sprach. „Summer, du besinnst dich, ich sage, Phönix verursacht nicht die Veränderungen ? Ich sage, alle Änderungen kommen zur selben Zeit mit Phönix, wenn er aus Mutter Erde herauskommt ? „Ich erinnere mich.“ „Das ist wichtig hier. Man darf nicht Phönix Schuld geben. Er wird neue Zeiten bringen, wenn der Wandel beendigt“, wiederholt sie mit Nachdruck. „Ja, ich verstehe das, No-Eyes.“ Sie nahm einen tiefen Atemzug, hielt ihn einen Augenblick und atmete dann langsam aus. „Summer, die Leute wissen schon vom großen Riß in Kalifornien. Das wird ein sehr, sehr schlimmer Riß sein. Das wird der schlimmste sein.“ „Du meinst das Erdbeben.“ Sie nickte. „Summer, an vielen Orten gibt es keine Risse. An vielen Orten bebt die Erde nie. Das wird ändern. Großes Getöse wird von Mutter Erde kommen – von tief innen. Sie werden viel häufiger an neuen Orten kommen, Orte, wo es noch nie je Risse gegeben hat.“ „No-Eyes, diese Beben zeigen sich schon an. Als wir in der Holzhütte in Rainbow Valley wohnten, hörten wir das Rumpeln, danach spürten wir, wie ein Zittern durchs Haus ging. Es war sehr unheimlich. Ich glaube, wir waren eher überrascht als erschreckt, weil das Ganze vorbei war, bevor wir erkannten, was wir erlebt hatten. No-Eyes, Erdbeben sind extrem selten in jener Gegend, aber seit kurzem stellten wir fest, dass sie zunehmen.“ Sie nickte mit halbem Einverständnis, dann zog sie die Unterlippe ein und schüttelte den Kopf. „Das keine große Sache. No-Eyes spricht über viel, viel mehr. Sie werden an vielen neuen Orten in Erscheinung treten. Sie werden größer und größer, wenn Phönix sich von seinem Geburtsort erhebt. Mutter Erde bewegt sich stark unter der Haut. Sie wird große Bewegungen machen.“ Ich dachte über diese Bedeutung nach. Wenn die Erde so unruhig sein würde, hätte das bestimmt erhebliche Folgen. Die Erde konnte nicht so große Bewegungen machen, ohne den enorm aufgebauten Druck ablassen zu müssen. Diese Gedankenrichtung brachte mich natürlich direkt auf das Thema der Vulkane. Es versteht sich logischerweise von selbst, dass der Druck, wenn die Platten und Schichten sich in so mächtiger Bewegung befinden, für die dünne Erdkruste so stark wird, dass er neue Wege der Entladung finden muß. „No-Eyes, es wird vermehrte Vulkantätigkeit geben?“ Sie nickte. „Ja. Viel mehr Zeug wird herauskommen. Diesmal werden viel mehr Menschen wegziehen. Heiße Felsbrocken werden viele Häuser zerstören. Heiße Felsbrocken überall. Mutter Erde wird immer und immer wieder das Zeug überall
hinschleudern.“ „Sprichst du nun über Hawaii oder den Staat Washington?“ „No-Eyes spricht von überall“, erklärte sie, indem sie beide Arme ausbreitete. „Aber es gibt nicht überall Vulkane.“ „Es wird geben!“ „Dann sagst du also, dass die erloschenen Vulkane wieder aktiv werden.“ „No-Eyes sagt, alte Löcher werden wieder heiß.“ „Ich vermute, du meinst alte Krater.“ „Was ist das?“ Ich erklärte, was Krater sind. Ich erzählte ihr von Gegenden, wo Bäume alter Krater überwuchsen, und dass nun Ortschaften darauf gebaut wurden. Ich erzählte ihr vom Gold, das mit Erfolg in Cripple Creek geschürft wurde, weil es auf einem Vulkan gelegen ist. „Ts-ts. Diese Stadt wird in die Luft fliegen. Die Menschen gehen gescheiter schnell, schnell weg! Summer, ich spreche über mehr Dinge sogar. Ich sehe Land hoch in die Luft fliegen, wo früher nie so etwas vorgekommen ist.“ „Neue Vulkane?“ Sie blickte plötzlich auf anstatt einer Antwort. „Nun … wie ist es denn mit den Rocky Mountains“ Was ist mit Pikes Peak?“ Sie schüttelte traurig ihren Kopf. Ich verwarf meine Hände. „O Himmel ! Jetzt erzählst du mir, dass Pikes Peak in die Luft fliegen wird! No-Eyes, weißt du, wo ich lebe? Woodland Park ist das reizendste kleine Bergdorf, das ich je gesehen habe. Es liegt direkt auf dem Paß … „ „Ja. Summer zieht besser auch um.“ Sie machte eine Pause. „Vielleicht wird Pikes Peak nur beben und etwas rumpeln. Summer zieht trotzdem besser weg.“ Das war unglaublich „Ich nehme es an!“ „Da gibt es noch mehr.“ „Erspare mir die Einzelheiten“, stöhnte ich. „Nein. Wir wollen das fertig machen.“ Ich rollte die Augen. „Ich habe schon befürchtet, dass du das sagen würdest.“ Sie seufzte. „Summer, Mutter Erde wird schwer atmen. Phönix wird ihr hart ankommen. Sie wird ihren Atem überall hin blasen. Es wird heißt wie Feuer sein. Es wird das Land austrocknen. Ein großer Teil des Landes wird völlig trocken sein. Es wird mürbe geröstet sein.“ Sie brach ab, damit ich dies verdauen konnte. Und ich begriff, dass sie die Wiederkehr der Sandwüste meinte. Das würde sich wirklich verheerend auf die Nahrungsproduktion in Amerika auswirken. Das würde jede Art von Nahrungsmittelknappheit herbeiführen. Die Trockenheit würde zudem große, ausgedehnte Feuer zum Ausbruch bringen. Sie sprach wieder, als sie merkte, dass ich die nötigen Schlüsse gezogen hatte. „Das noch nicht alles, was der Atem von Mutter Erde tun wird. Sie wird gewaltig über das Land blasen. Sie wird über Farmen hinwegbrausen, durch Städte, sogar auf Berge. Sie wird sogar Wasser ins Land blasen. Der Atem wird viel Wasser auf viel Land bringen.“ Eine neue Denkpause. Es waren nur einige wenige Sätze, aber was sie tatsächlich sagte, war viel. Wenn der Wind über Farmen und ebenso über Städte und Berge hinwegbrausen würde, dann musste sie damit Tornados meinen. Tornados würden häufiger vorkommen und ein alltägliches Ereignis werden. Sie sprach auch von Wind vom Wasser aufs Land – Hurrikane. Diese waren überhaupt nichts Neues, in Verbindung jedoch mit unserer ernsten Diskussion bedeutete es, dass sie an Häufigkeit zunehmen und an grausamer Gewalt das Übliche übersteigen würden. Und wenn der Wind das Wasser auf das Land trägt, werden ausgedehnte Gebiete von großen Überschwemmungen
heimgesucht. Ich dachte, sie hätte das Thema der Naturkatastrophen nun gebührend abgehandelt, als s8ie plötzlich wieder zu sprechen anfing. „Mutter Erde wird so machen.“ Sie gab kurze, keuchende Atemstöße von sich. „Sie wird so machen und schnellen, energischen Atem haben. Viele Menschen werden es zu spüren bekommen. Sie werden sterben, wenn sie so macht..“ Das war verwirrend und schwierig zu deuten. „Mit Atem meinst du den Wind.“ Nicken. „Der Wind wird in schnellen Böen kommen.“ Nochmals Nicken. „Schnell und kräftig, so!“ Sie warf ihren Arm durch die Luft. „Er wird die Autos wegwirbeln, die Boote der Leute und Züge, bevor sie das überhaupt kommen sehen.“ „Launenhafte, unheimliche Unfälle werden durch plötzliche starke Windböen verursacht.“ „Das stimmt.“ „Nun, was weiter?“ seufzte ich. Der alte Schaukelstuhl begann mit seinem fieberhaften Rhythmus. Das Rumpeln und Quietschen seiner unebenen Kufen konnte manchmal tröstend wirken, aber nicht jetzt. Sie schaukelte, aber nicht, um sich auszuruhen, sondern weil sie noch mehr zu sagen hatte. „Viel Land wird wegfallen, Summer.“ „Was meinst du? Sprichst du über die Küstenzonen?“ „Nein.“ „Gegenden im Landesinneren?“ „Nein.“ „Also Inseln.“ „Nein.“ Ich wusste nicht weiter. „Was bleibt also?“ „Alles Land bleibt. Das ganze Land wird trocken sein, Summer. Was macht ausgetrockneter Boden, hm ?“ „Er wird weggeblasen. Er kann kein richtiges Wurzelsystem tragen, das den Boden zusammenhält. Erosion! Du meinst Bodenerosion wegen der austrocknenden Winde! Und das wird überall passieren?“ „Nicht überall“, verbesserte sie. „Genug, um großes Problem zu sein. Das kommt zugleich mit Wasser, das unter der Mutter Erde austrocknet. Land fällt in viele große Löcher überall. Wenn Wasser unter Erde austrocknet, fällt Erde an die Stelle, wo vorher Wasser war.“ „Diese nennt man Dolinen, No-Eyes.“ „Es ist mir gleich, was für ein Wort Summer braucht. Ich sage, was ich sehe, das alles.“ „Ich weiß. Ich wollte nur sagen, wie das heißt.“ „Es ist mir gleich“, kam die starrköpfige Antwort. Seufzer. Rumpel-Quietsch. Rumpel-Quietsch „No-Eyes, ich will dich nicht verbessern, weißt du.“ Schweigen. „Bist du böse mit mir?“ Rumpel-Quietsch. Rumpel-Quietsch. Ich wollte die Alte nicht ärgern. Sie war so überempfindlich. So oft hatte ich mit einer Bemerkung ihre zarten Gefühle verletzt, ohne es zu wollen. So oft nahm sie ungerechtfertigt Anstoß an meiner modernen Redeweise. Sie verstand viele der gewöhnlichen Redewendungen nicht und nahm sie sich dauernd zu Herzen. Plötzlich holte mich die Ruhe des Schaukelstuhl aus meinen privaten Gedanken. Ich schaute sie an.
No-Eyes beugte sich vor und flüsterte mit einem schelmischen Grinsen: „Ich bin nicht böse. No-Eyes hat Summer lieb.“ Ich atmete erleichtert auf. „Ich liebe dich auch, No-Eyes.“ „No-Eyes weiß. No-Eyes pürt das hier.“ Sie klopfte auf ihre Brust. „Und hier“. Sie zeigte auf ihre Stirn. Wir tauschten ein warmes Lächeln. „Wir wollen nun mit der letzten Sache weitermachen.“ „Gut“. „Die Zeiten im Winter werden schlimm sein. Große Stürme kommen. Sie werden alle Ortschaften zudecken. Sie werden überall sein. Im Sommer wird es auch viele schlimme Regenfälle geben. Blitze machen viele Feuer. Große Eisbrocken werden häufiger kommen. An viel mehr Tagen werden sie kommen. Sommer und Winter werden völlig durcheinander sein. Das alles passiert innerhalb der Zeit einer Stunde.“ „Warte mal. Laß mich das klarstellen. Die Winter werden schlimm sein und Schneestürme und extreme Schneefälle bringen.“ „Ja.“ „Und die Sommer werden schlimm sein wegen Gewitter und starkem Hagel.“ „Eisbrocken“, verbesserte sie mich und wollte meinen Ausdruck dafür nicht verwenden. „Eisbrocken. Auch die Blitze werden häufiger auftreten und mehr Schaden anrichten.“ Nicken. „Aber ich verstehe nicht, wie Sommer und Winter innerhalb einer Stunde durcheinander geraten?“ „Es wechselt von heiß zu kalt, siehst du, Summer?“ „Du meinst einen raschen Temperatursturz?“ „Es wird auch in Höhe gehen.“ Diesmal nickte ich. „Das ist alles“, sagte sie entschieden. „Das ist alles?“ Sie dachte kurz nach. „Eine letzte Sache. Neue Art von Licht in der Luft. Kann im Winter sein, kann im Sommer sein. Es ist etwa wie grün. Es wird überall in der Luft sein, siehst du ?“ „Meinst du, eine andere Art Farbe wird man am Himmel sehen?“ „Ja. Dieses Ding wird man überall in der Luft sehen.“ „In der Atmosphäre.“ „Das habe ich schon gesagt“, krächzte sie gereizt. „Gut … es wird Tage geben, wo die ganze Atmosphäre, die Luft einen grünlichen Schimmer hat.“ „Das ist richtig. Das ist, was No-Eyes sagt.“ „Woher wird es kommen?“ Ihre großen Augen werden noch größer. „Summer weiß das nicht?“ „Nun, laß es mich so formulieren. Wie heißt es?“ Sie genoß sichtlich meinen Mangel an richtigen Ausdrücken für das. „Summer weiß auch nicht richtiges Wort?“ „Sehr lustig“, entfuhr es mir beißend. Sie grinste breit und zeigte gesundes, rosarotes Zahnfleisch. „Das wird Phönix-Tage genannt!“ „Warum?“ beharrte ich. „Das ist, wenn alle Dinge geschehen. Das ist, wenn die Sachen mit dem Land
passieren. Das ist dann, wenn Phönix auf die Welt kommt. Das sind die Geburtsstunden des großen Phönix.“ „Aber dieser grünliche Schimmer hat eine physikalische Ursache oder nicht ?“ „Überlege, Summer!“ fuhr sie mich ärgerlich an. Und ich tat es. Ich erkannte, dass gewisse psychische Erscheinungen keine physikalischen Ursachen brauchten. Ich war entsprechend gedemütigt. „Das war eine dumme Bemerkung, die ich gemacht habe, hm?“ Sie zog beide Brauen hoch. „Ja. Das ist dumm.“ Nachdem die mühselige Bürde der Veränderungen auf der Erde von den zerbrechlichen Schultern meiner alten Freundin genommen war, konnte sie wieder unbeschwert und erneut ihr altes rechthaberisches Selbst sein. Für mich hingegen konnte ich wahrhaftig nicht dasselbe behaupten, obwohl ich es mir so sehr wünschte. Es schien, als ob meine kluge Freundin insgeheim das schwere Joch von ihren Schultern auf meine übertragen hätte. Ich verließ ihre Hütte an diesem Sonntagnachmittag mit einer inneren Unruhe, wie ich sie lange Zeit nicht mehr erlebt hatte. Das Zusammensein mit No-Eyes hatte mich ein wenig selbstzufrieden gemacht, aber jetzt kam das alte nagende Gefühl der drängenden Zeit Zurück. Ich hatte das Geborgenheitsgefühl eines Babys verloren, das ihre Gesellschaft meinem ermatteten Geist vermittelt hatte. Einmal mehr war ich in den kalten Schnee der bitteren Realität dieser Welt unsanft hinausgestoßen worden. Sie war ein Vorbild von einer Lehrerin, und sie hatte, gleich einem Biber, der zielbewusst die zarte Rinde einer Espe ablöst, mich meiner tröstlichen Lackschicht, der schützenden Haut für meine Empfindsamkeit, entkleidet. Einmal mehr war mein Geist der Härte der kommenden Dinge ausgesetzt. Einmal mehr war ich von den alten, lästigen Sorgen erfüllt. Einmal mehr spürte meine Seele den Schmerz des Mitgefühls. Plötzlich leerte sich mein Geist wie Wasser aus einem durchlöcherten Eimer. Er hatte das gefürchtete Unvermeidliche erfahren – ein Zusammentreffen all der niederschmetternden Verwüstungen, von denen ich in den vergangenen zwei Tagen gehört hatte. Ich fuhr von der Behausung der alten Frau weg, und ich war schon fast drei Meilen unterwegs, bis mich endlich geistige Ruhe erfüllte. Die herbstlichen Schatten des späten Nachmittags woben ein feines Filigranmuster, das sich in Wellen über die Windschutzscheibe bewegte. Langsam wurde ich aufmerksam auf die goldenen Blätter, welche so sorglos vor mir über die Straße tanzte. Eine sanfte Brise zog zärtlich an den Spitzen der zittrigen Espen. Rauchige Sonnenstrahlen sickerten durch die stattlichen Kiefern, die dicht den Straßenrand säumten. Es war zu verlockend, um nicht beachtet zu werden – ich war sündhaft schwach im Anblick der Naturschönheit der Berge. So gab ich vollkommen nach und bog in einen alten überwachsenen Seitenweg ein, auf dem ich eine gute Meile fuhr. Dann hielt ich an und stieg aus. Der Wind flüsterte sogleich in mein Ohr Er spielte auf mystische Tage der Wälder an. Er sagte ihr Überleben voraus, trotz der schrecklichen Veränderungen. Er streichelte meine Wangen und hob zärtlich mein langes Haar. Ich hatte es gern, wenn der Wind sich in Liebesbezeugungen versuchte. Er war so einfühlsam und fürsorglich. Von all den wunderschönen Seiten der Berge hatte ich den Wind am liebsten. Ich ging durch die Bankskiefern auf eine Lichtung hinaus und mein ätherischer Gefährte begleitete mich. Irgendwo in der Nähe kicherte ein Fluß. Mein Freund, der Wind, trug das übermütige Gelächter des Wassers zu mir, und ich näherte mich dem
Ort der Fröhlichkeit. Es war so friedlich, dass ich nie mehr weggehen wollte. Der gewundene Wasserlauf war schmal, aber der von Felsbrocken und verstreutem Geröll besetzte Grund war der Anlaß für seine fortwährende Stimme. Die sanften Ufer waren zuvorkommend mit dickem, samtigem Moos gepolstert – ein bequemes Bett für meinen erschöpften Körper. Ich zog meine Mokassins aus, rollte die Hosenbeine meiner Jeans hoch und setzte mich auf den Begrüßungsteppich am Fluß. Das strömende Wasser war gleichzeitig beißend kalt und erfrischend. Ich stieß einen erschöpften Seufzer aus und betrachtete die unschuldige Schönheit, die meinen verborgenen Meditationsraum umgab. Ich war nicht allein hier. Ich war in ehrwürdiger Gesellschaft. Ich legte mich aufs Moos und schaute zu, wie die Sonne Häkelmuster zeichnete auf allem, was sie berührte. Die hohen Goldkiefern murmelten uralte Geheimnisse einander zu. Ihnen waren die esoterischen Wahrheiten des Lebens nicht unbekannt. Der Fluß gluckste vergnügt, als er meine Beine kitzelte. Und ich überließ mich seinem berauschenden Wesen. Als ich wieder zu wachem Bewusstsein kam, war die Sonne schon weit jenseits über en westlichen Kamm gezogen. Der Wind murmelte beruhigend in den Tannen, und der Fluß schwätzte aufgeregt mit dem Mond über die Geschichten ihrer mystischen Reisen. Der Vollmond lächelte auf mich herunter durch den schwankenden Rahmen der Baumwipfel. Ich zog meine starren Beine aus dem Wasser und blieb immer noch in meiner ruhenden Lage am Ufer. Von da an sah ich die winzigen Bewegungen der silbrigen Mondstrahlen, die durch das Immergrün herunter drangen. Die Natur war eine Welt für sich. Die Natur mit ihrer vielfältigen Bevölkerung von kriechenden, geflügelten, mit Flossen ausgestatteten und vierbeinigen Wesen war eine andere Welt. Die Natur mit ihren lange bewahrten Geheimnissen bis zum Mysterium des Universums war der Ort, wo ich hingehörte. Die Natur war tatsächlich eine sehr persönliche Wirklichkeit, aber doch vereinbar mit der Realität an sich. Und eine Reise in diese einzigartige Wirklichkeit war eine der schönsten Erlebnisse, die ein Mensch je hoffen konnte zu erfahren. Dieses kleine Stück Wald war auf der Stufe vollendeten Friedens. Es war eine vorsichtflutartige Welt, reich an unschuldig strahlender Schönheit. Wenn man seine innere Welt darauf einstimmte, konnte man ihre Sprache genau vernehmen. Man konnte die feinsten Schwingungen jeder ihrer Arten von Bewohnern erfassen. Man konnte die fesselnde Geschichte des jahrhundertealten Baumes hören, sehen, was der Fluß gesehen hat und Antworten erhalten auf alle geheimnisvollen Rätsel der Zeiten. Der Wald ist ein unendlich treuer Freund, aber nur dem, der an ihn glaubt, und nur jenen, die sich mit seinem Geist vereinigen. Ich glaube. Ich versenkte mich in ihm. Ich hatte das schon immer getan. Der Mann im Mond zwinkerte, bevor er seine Nase hinter den stachligen Kieferwipfeln verschwinden ließ, und ich war plötzlich in eine dunklere Nacht getaucht. Ich konnte immer noch genügend gut sehen, aber ich schloß meine Augen und lauschte gespannt. Ich hörte den einsamen Schrei eines Koyoten, der nach seinem verlorenen Gefährten heulte. Die Bäume wurden ruhig, als der Wind sie in den Schlaf wiegte. Mehrere Eulen riefen einander zu. In den dichten Weiden neben mir rührte sich ein kleines Lebewesen. Zu meiner Rechten bahnte sich ein gedrungenes Stachelschwein im Watschelgang seinen Weg zu seiner gemütlichen Behausung in einem hohlen Stamm. Die dürren Blätter raschelten unter den eilig dahintrippelnden Füßen eines Kaibab-Eichhörnchens. Der nächtliche Bergwald war voller leben und gedieh. Er ließ mich mit Sicherheit wissen, dass das Leben fortdauern würde, ganz unabhängig davon, wie viele Veränderungen über das Land
kommen würden. Es würde überleben. Und ich auch. Meine Heimfahrt an diesem Abend war prachtvoll. Ich konnte nie genug bekommen von der Schönheit der Berge. Nachts lässt der Mond sein geisterhaftes Licht auf die dicht bewaldeten Hügel herunter scheinen. Die aufragenden Berge heben sich wie ein Schattenriß vom silbrigen Licht des tief stehenden Mondes ab. Und wenn man das Glück hätte, den Wunsch zu äußern, man möchte die innerste Essenz der lebendigen Berge sehen, so brauchte man nur sein Bewusstsein ein wenig ändern, um das blasse Blau der unverhüllten Aura der Berge zu erkennen – den ewigen Beweis des Geistes in allen lebenden Wesen. In solchen Zeiten, wenn mein Geist eins wurde mit dem der Berge, wollte ich nie mehr von ihnen weggehen. Heimzugehen in das harte künstliche Licht und zu den starren, von Menschenhand gemachten Gegenständen des Hauses, war eine schwere Ernüchterung. Es gab Nächte, wo ich einfach wünschte, in den reinen Armen der Natur zu bleiben. Ich habe tatsächlich genau das getan, weil eine Herbstnacht in den Bergen Friede bedeutet für meine geplagte Seele. Dort gehe ich leise unter den Kiefern, und unmittelbar neben dem wandernden Fluß strecke ich ehrfürchtig den Arm aus und berühre demütig die wartende Hand Gottes. Kapitel 3 - die suchenden Augen Die suchenden Augen Große rote Augen suchen die Weite des Himmels ab. Sie suchen der Länge nach das Land ab. Stumm halten sie Wache. Die Zeit flog vorbei. Ich konnte nicht glauben, dass die Woche so rasch in die Vergangenheit geglitten war. Ich war vollauf damit beschäftigt, die Routinearbeiten eines lebhaften Haushaltes mit dem Schreiben unter einen Hut zu bringen, was keine Kleinigkeit war. Es gab verschiedene Aktivitäten mit den Mädchen, die ich erledigen musste. Aimee wollte zu ihrer Reitstunde gefahren werden, Sarah musste ich bei ihrer Freundin abholen, die in den Bergen oben wohnte. Mir schien, ich arbeitete rund um die Uhr, um mit den Hausarbeiten fertig zu werden, tagsüber zu tippen und zum Schreiben aufzubleiben, bis um zwei oder drei Uhr in der Früh. Kein Wunder, dass die Woche an mir vorbeiflitzte wie ein Zug durch die einsame Prärie. So brach der Sonntag an, strahlend und schön. Wieder machte ich meine gewohnte Reise hinauf in den Pike National Forest. Dieser festliche Tag hatte meinen Geist vollauf eingenommen. Und ich fühlte mich stark versucht, an No-Eyes Abzweigung vorbeizufahren, um den ganzen Tag in herrlicher Abgeschiedenheit zu verbringen. Ich wusste jedoch, ich musste diese entscheidende Wegbiegung nehmen. Es gab jemanden, der auf mich wartete und mir sehr lieb war. Ich wurde erwartet. Dieser schöne Morgen war von warmem Sonnenschein durchflutet. Keine schattigen Wolken begrüßten mich, wie dies am letzten Wochenende der Fall gewesen war. Vielleicht konnte ich die Alte heute zu einem Waldspaziergang überreden. So oft schon hatten meine Lektionen im Freien stattgefunden. Als ich an diese besonderen Tag zurückdachte, erinnerte ich mich, wie schwer es mir fiel, mich auf die Worte der alten Frau zu konzentrieren. Ich ließ meine Gedanken dann wandern unter den sorglosen Geschöpfen der Natur rund um mich, und No-Eyes musste ihre geistige Weidenrute hervorholen, um ihre widerspenstige Schülerin wieder zur Sache zu bringen. Ich grinste beim Gedanken an diese heiteren Zeiten. Und ich wusste, so etwas meiner anspruchsvollen Lehrerin vorzuschlagen, käme gar nicht in Frage.
Trotzdem. Ich hielt an und lief zur Hütte hinauf. No-Eyes hatte die Türe offenstehen, und ich guckte hinein. Sie warf mich beinahe um, als sie hinauseilen wollte. „Summer, wir gehen heute aus“, platze sie aufgeregt heraus. Ich machte große Augen. „Wir werden draußen sein?“ „Mmh! Ich will zuerst sehen, wie lange wir es aushalten.“ Sie wedelte mit dem Finger vor meinem Gesicht. Ich war so glücklich über ihre Einwilligung, die Lektion draußen abzuhalten. Ich nahm an, dass sie dachte, es würde nicht lange dauern, bis meine Gedanken woanders hinwanderten und sie disziplinarische Mittel ergreifen und das Schulzimmer zurückverlegen müsse in die Enge der Hütte. Ich wollte mich ernsthaft bemühen, mich nicht ablenken zu lassen. No-Eyes zog das bunte Wolltuch enger um ihre magere Gestalt und stieg die unbehauenen Holzstufen hinunter. Ich hatte natürlich geglaubt, wir würden uns auf die alten, geflochtenen Stühle setzen vor ihrem Haus. Eifrig schwirrte ich an ihr vorbei, um sie aus dem kühlen Schatten ins warme morgendliche Sonnenlicht hervorzuholen. Ihre scharfe Stimme zerriß die Stille der Berge. „Was machst du, da?“ Ich erstarrte auf der Stelle. „Ich wollte nur die Sachen für uns herrichten, damit …“ Ihr krummer Spazierstock hämmerte auf den Boden wie ein außer Kontrolle geratener Rammklotz. „Komm hierher!“ schnauzte sie mich an. „Wir werden nicht hier sitzen bleiben wie zwei Warzen auf einer Kröte! Wir werden heute in den Wald gehen.“ Ihre Worte versetzten mich in Erregung. Dies wird ja ein geradezu erfreulicher Tag, dachte ich, als ich an ihre Seite eilte. Die Alte versank in einen Quell der Beobachtung. Und als sie ihre Gedanken bestätigt fand, wies sie ihre ungestüme Schülerin mutig in die Schranken. „Summer wird heute zuhören! Summer wird heute nicht zum Vergnügen draußen sein!“ „Ja, ja, Ma´am!“ gab ich zurück und versuchte mein Kichern zu unterdrücken. Sie spürte den Ungehorsam, fuhr flink herum und schwenkte ihren abgegriffenen Stock nach mir. „No-Eyes warnt Summer.“ Sie versuchte streng zu bleiben, aber ein leichtes Grinsen breitete sich aus und hob die runzligen Wangen. Ich lächelte zurück. „Du meinst nur, du seist streng. Aber ich kenne dich zu gut, um dieses Theater zu glauben.“ „Mmh!“ murmelte sie mit glitzernden Augen, die ihre Ernsthaftigkeit Lügen straften. Wir wanderten den Hügel hinunter und gelangten in den in Sonne getauchten Wald. Bald darauf begann die Unterrichtsstunde. „Heute werden wir darüber reden, was der neue Phönix sieht, wenn seine Augen umherschauen.“ „Gut“, antwortete ich und zügelte meine Gedanken, um mich zu konzentrieren. Gewandt stieß sie ihren Stock auf den steinigen Boden. Sie wusste genau, wo sie ging, da sie seit Jahren diese tiefen Wälder abgewandert war, ohne zu sehen. „Wenn der neugeborene Phönix den Kopf draußen hat, wenn er genug wahrnimmt, öffnet er die roten Augen, und er wird hinauf in den Himmel schauen. Er wird über alle Länder, über alle Wasser schauen. Er wird Menschen sterben sehen. Er wird Menschen weinen sehen.“ Ich hob einen geraden Ast auf, der heruntergefallen war, und benutzte ihn als meinen eignen Spazierstock. „No-Eyes, was wird der Phönix sehen?“ „Ich komme noch dazu.“ Sie richtete ihren Kopf auf und horchte gespannt. „Hörst du die geflügelten Wesen?“ „Ja“, erwiderte ich und blinzelte durch das gefilterte Sonnenlicht dorthin, wo eine
Bergdrossel saß. „Sie sind zum fliegen gemacht. Bei ihnen kann nichts schiefgehen. Sie wissen, wo sie hingeben. Sie fliegen, weil Großer Geist gibt ihnen Flügel. Summer, den Menschen ist es nicht bestimmt, zu fliegen in der Luft wie geflügelte Wesen.“ Sie schüttelte langsam ihren Kopf. „Die Menschen machen schlechte Sachen. Sie fliegen in schlechtem Ding. Die Dinge gehen kaputt, Menschen fallen vom Himmel herunter – zurück auf den Boden, wo sie ohnehin sein sollten. Geflügelte Wesen gehören in den Himmel. Menschen gehören jedenfalls nicht in den Himmel.“ „No-Eyes, die Menschen haben tolle Flugzeuge gebaut. Meistens sind es sehr sichere Maschinen.“ „Nein. Menschen machen Maschinen, um zu fliegen. Die Mensche machen, dass die Zeit schneller vergeht mit den Himmelsmaschinen. Die Menschen gehen zu rasch vorwärts und zuviel, wegen den Himmelsmaschinen.“ „Oh, sicher, das ist wahr“, stimmte ich zu und stieß an ein glänzendes Stück Glimmer, in dem sich ein Sonnenstrahl spiegelte, „aber möchtest du, dass wir immer noch Pferde brauchen?“ Sie wälzte meine leichthin gemachte Bemerkung in ihrem Kopf hin und her. „Vielleicht.“ Sie stieg vorsichtig über einen heruntergefallenen Ast. „Und auch Öllampen, holzbeheizte Herde und Toilettenhäuschen im Hinterhof?“ „Vielleicht.“ „No-Eyes, dann wären keine Bäume mehr übrig. Ich glaube, du hast nicht daran gedacht.“ „Mmh! Ja nun! No-Eyes denkt immer die Dinge zu Ende.“ Ihre Ebenholzaugen richteten sich auf mich. „No-Eyes kann noch mehr jemandem sagen, den ich kenne. Was ist mit Sonnenenergie, Wasserkraft und Wind? He, Summer ? Was ist mit all diesen Dingen? Wie steht es mit der Energie aus dem kraftvollen Magnetfeld der Mutter Erde ? „Nun ja, aber … „ „Keine Aber! No-Eyes lehrt Summer, nicht nur in geraden Linien zu denken. No-Eyes lehrt Summer, um die Ecken zu schauen.“ Sie seufzte und ging weiter. „Summer, die Menschen sind zu schnell und zu weit gegangen. Sie sind zu schnell in die falsche Richtung gegangen. Sie haben schon vor langer Zeit den richtigen Weg verpasst.“ Ich stimmte dem bei und sagte es ihr auch. Was Energie anbelangte waren die Wissenschaftler sicherlich weit ab vom beabsichtigten Pfad. Ich musste an die Atomkraftwerke denken, die für Mutter Erde ein Abscheu waren. „Wir werden darüber ein andermal sprechen. Das wird ein Teil von neuer Sache in Zukunft sein.“ „Atomkraftwerke?“ „Was übrig bleibt von solchen Sachen“, schloß sie. Stille. Wir schwenkten vom gut begangenen Pfad in einen von ihr seltener benutzten ab. Sie streckte mir ihre Hand hin. Und wir wanderten eine Weile in stiller Einsamkeit. Die Schwere unserer langen Schweigens begann mir auf die Nerven zu gehen. Ich suchte Zerstreuung. Und die reizvollen Bilder und Geräusche meines Schulzimmers zogen mich zur rechten Zeit schnell in ihren hypnotischen Bann. Physisch ging ich immer noch an der Seite meiner Lehrerin, aber in Gedanken und geistig war ich in einen anderen Bereich meiner Welt getreten. Erdhörnchen schossen aufgeregt aus dem üppigen Unterholz hervor und verschwanden wieder. Das leuchtende Blau der Bergdrossel fing meinen Blick auf, und ich schaute zu, wie sie leicht von einem Espenzweig zum anderen flatterte. Und das weiche Sonnenlicht verwandelte in mystischer Weise die goldenen, zerbrechlichen Blätter in durchschimmernde Glasstücke, die ein Kaleidoskop von
Farben widerspiegelten durch die waldigen Tunnel der gewölbten Tannen und Kiefern. Hinter den Augen spürte ich eine vertraute Benommenheit. Mein Bewusstsein begann sich unwillkürlich in diesen ursprünglichen Alphazustand zu heben. Ich hatte vorher mir selber versprochen, dies nicht mit mir geschehen zu lassen. So strengte ich mich an, wieder zurück in mich selber zu kommen. Als ich mich wieder meiner aufmerksamen Lehrerin zuwandte, versuchte ich sofort, meine Unaufmerksamkeit, wieder gut zu machen. „Was hast du gesagt über die Flugzeuge ? Was meintest du damit ? Die Augen der weisen Frau wurden schmal, es sah aus, als ob sie sagen wollte, es sei langsam Zeit, dass ich wieder ins Schulzimmer zurückkäme. Sie äußerte aber kein Wort des Tadels darüber. Sie zog es klugerweise vor, mein schlechtes Betragen zu übersehen. „Phönix sieht schlimme Abstürze“ Er sieht Flugzeuge zur Erde fallen. Viele, viele fallen herunter. Manche stoßen in der Luft zusammen und fallen dann herunter. Manche fallen ganz kurz, bevor sie überhaupt richtig in der Luft sind.“ „Was bringt diese Flugzeuge zum Absturz ?“ „Nichts Geheimnisvolles hier. Viel schlechtes Zeug wird bei allen sich bewegenden Maschinen sein. Das ist alles.“ „Größere Unfälle werden mit Flugzeugen passieren, ist das richtig ?“ „Das ist so, Summer“, gab sie in einem Ton zu, der deutlich zu verstehen gab, dass da noch mehr dahinter war. „Aber nicht nur mit Flugzeugen“, wand ich mich. „Das stimmt auch. Vor langer Zeit war No-Eyes in einem Zug. Das war, als No-Eyes hierher kam von Red Mountains in Minnesota. Jetzt gehe ich nicht mehr auf diese Art heim. Züge sind nicht sicher ! Viele sehr schlimme Unfälle werden passieren.“ Sie senkte ihre Stimme. „Seltsame Unfälle.“ „Und Busse ? Busse transportieren die Leute quer durchs Land.“ „Nein. Summer soll nicht mit einem Bus gehen.“ „No-Eyes“, versuchte ich sanft zu erklären, „die Menschen brauchen irgendwelche Verkehrsmittel, um zu reisen. Sie können nicht überallhin zu Fuß gehen, wo sie hin müssen.“ „Das spielt keine Rolle. Zu Fuß gehen ist auch schlimm.“ Schweigen. Tap. Tap. Ihr Stock stieß an ein neues Hindernis, das den schmalen Weg versperrte. „Ich werde es wegnehmen.“ Ich rolle den Felsbrocken aus Granit aus dem Weg. Wir setzten unseren Spaziergang fort. „No-Eyes?“ „Ja?“ „Es wird weder in einem Flugzeug noch in einem Zug oder Bus sicher sein zu reisen, nicht wahr ?“ „Nein.“ „Auch nicht in einem Auto, der Untergrundbahn, einer Einschienenbahn, mit dem Motorrad oder Fahrrad?“ „Das stimmt.“ „Und es wird auch nicht sicher sein, nur die Straße zu überqueren.“ „Summer macht sich jetzt richtiges Bild.“ „So werden irgendwann in Zukunft alle Arten des Transportes von unerklärlichen Unfällen betroffen.“ „Ja.“ „Und die Häufigkeit dieser unerklärlichen Reiseunfälle wird mit der Zeit zunehmen.“ „Das stimmt ungefähr.“
„Warum ist das so? Was macht alle Reisearten so gefährlich?“ „Hat Summer die Lektionen vor vielen Monaten vergessen ? Summer erinnert sich nicht an das, was No-Eyes sagte über die Erdbewacher, die solche Ereignisse nicht mehr verhindern?“ Ich war richtig verlegen. „Ja, ich erinnere mich daran. Du erzähltest mir, wie sie immer wohlwollend Unfällen und negativen Wetterentwicklungen zuvorgekommen sind, um Todesfälle in großem Umfang zu verhindern, aber dass sie jetzt die Menschheit ihre eigenen, unbedachten Fehler machen lassen. Du sagst, die meisten Unfälle passieren aufgrund des ungeheuerlichen Mangels an Bewusstheit des menschlichen Geistes. Und du sagtest auch, es sei an der Zeit, dass die Erdbewacher die Menschen merken lassen, wie nachlässig sie die ganze Zeit über waren.“ Sie nickte. „Das ist es, was No-Eyes meint, wenn sie sagt, die geflügelten Wesen wissen, wohin sie gehen. Sie haben keine Maschinen, die versagen. Sie können keine Fehler machen, weil ihnen ohnehin bestimmt ist, die ganze Zeit zu fliegen. Sie brauchen keine Luftmaschine, die kaputtgeht. Sie brauchen nicht zu reparieren.“ „Mmm“, seufzte ich nachdenklich. „Dann könnten vielleicht viele der größeren Unfälle vermieden werden, wenn die betreffenden Maschinen regelmäßig gewartet und mit Sorgfalt gewartet und repariert werden.“ „Mag sein“, kam ihre einsilbige Antwort, die deutlich an Überzeugung mangelte. „Das meiste wird trotzdem geschehen.“ Ich sah darin keine Logik. „Aber warum ? Wenn die Menschen vorsichtiger und gewissenhafter sind, warum sollen dadurch nicht viele Unfälle verhindert werden =“ Sie hatte Verständnis für meine Zuversichtlichkeit. „Die Leute sind zu geschäftig, um Zeit zu haben. Sie sind die ganze Zeit in Eile. Die Menschen nehmen sich nicht die wichtige Zeit für Sachen der Erkenntnis, der Wahrnehmung. Sie sind zu faul dazu.“ Ich klammerte mich an meinen Strohhalm. „Aber wenn das ihnen bewusst gemacht werden könnte, wenn sie einsähen, dass sie sich Zeit nehmen müssen, um bewusster zu werden, würde das nicht helfen ?“ „Nein“, kam die Ernüchterung. „Ich begreife das nicht“, sagte ich mit gerunzelter Stirn. „Die Menschen werden nie lernen. Es ist ohnehin zu spät. Die Menschen haben den bequemen Weg gern. Die Leute sind dumm, das ist alles.“ Schweigen. Sie hatte vollkommen recht. Die meisten Menschen würden für alles den leichteren Weg wählen. Dies schien eine allgemeine Eigenschaft zu sein. Wegen der kummervollen Prüfungen, die mit meiner Suche verbunden waren, hatte ich kein Verständnis für diese Art Faulheit, aber ich sah indessen überall die Beweise für den damit angerichteten Schaden. Und keine der noch so vielen Vorwarnungen würde eine Änderung erreichen. Die Menschen nehmen die harten Seiten des Lebens nicht hin oder die schwierigeren Entscheidungen, bevor sie sehen, dass es zu spät ist. Und erst in der Rückschau versuchen sie, eine Änderung zu bewirken, aber erfolglos – es ist einfach zu spät. „No-Eyes, ich hatte früher nie viel für Flugzeuge übrig, jetzt weiß ich, dass ich nie wieder eines besteigen werde. Ich habe mich immer davor gefürchtet – nicht vor dem Fliegen, da ich den eigentlichen Flug wirklich genoß, aber vor dem Herunterfallen.“ „Das ist so lustig!“ piepste sie hinter vorgehaltener Hand. Ihr plötzliches Kichern überrumpelte mich. „Ich meinte es nicht komisch! Es war mir ernst!“ Sie kicherte. „No-Eyes weiß das. Darum ist es ja gerade so komisch.“
Und ich musste auch lachen beim Anblick ihrer zahnlosen Heiterkeit. Meine Freundin setzte sich auf einen großen Felsblock, legte ihren Spazierstock auf den Schoß und winkte mir, mich neben sie zu setzen. Ein tiefer Seufzer entrang sich ihr. „Summer, es ist wirklich schlimm, dass die Menschen die Dinge nicht einsehen. Es ist so, so schlimm.“ „Ja, ich weiß.“ Ich zeichnete mit meinem Stock verschlungene Mandalas in den staubigen Boden. Die Sonne stand hoch am Himmel. Wir genossen die wohltuende Wärme auf unserem Gesicht. Ganz nahe stand ein Elch, still wie eine Statue, beobachtend, witternd. No-Eyes spürte sofort die gewichtige Erscheinung und sandte ihre kraftvolle Seele aus, um sie zu grüßen. Das herrliche Tier streckte seinen königlichen Kopf und tat einen vorsichtigen Schritt vorwärts. Die Frau war tief in diesen besonderen Augenblick versunken. Ich erstarrte aus Furcht, mit der geringsten Bewegung unseren unschuldigen Freund zu erschrecken und zu verjagen. Ich spürte die starke Elektrizität, die NoEyes aussandte. Die Luft war mit einer enormen Spannung aufgeladen. Wir standen regungslos. Das Tier trat mutig aus dem dichten Waldsaum hervor. Wieder reckte er sein mächtiges Haupt. Ich spürte den starken Strom, der der Konzentration der alten Frau entsprang. Das Tier tat noch einen verstohlenen Schritt auf uns zu. Mein Herz trommelte wie wild gegen meine Rippen. Ich sandte freundliche und liebevolle Gedanken der merkwürdigen vierbeinigen Person entgegen. Er wurde verwegener. Seine angeborene Furcht war verschwunden. Er war so nah! Dann, schnell wie das Augenzwinkern einer Eule, sprang er fort und war verschwunden. Ich machte einen tiefen, von Spannung erfüllten Atemzug. Und No-Eyes seufzte leicht. „Das war ein ganz Schöner.“ „Was ist eigentlich geschehen ? Du hast dich so gut mit ihm verstanden.“ „Summer war nicht aufmerksam“, flüsterte sie geheimnisvoll. Ich suchte das Laub ab beim Waldrand und sah einen Koyoten, der dort versteckt kauerte. „Der würde den Elch nicht angreifen!“ „Das hat aber Elch erschreckt! Das bedeutet trotzdem Gefahr für ihr. „ „Das ist wirklich schade.“ „Das alles ist Teil des Lebens in den Bergen. Die Mächtigen kommen. Sie kündigen dich an. Sie nehmen einige stille Minuten an dir Anteil. Dann gehen sie. So. Das ist die Art der wilden Natur.“ „Schade, dass die Menschen ihre Sinne nicht entwickeln wie die Vierbeiner.“ „Ja. Das sind die Menschen, über die wir gesprochen haben.“ Ich wurde melancholisch. „No-Eyes, warum muß es so sein? Warum nehmen die Menschen nicht mehr wahr?“ „Sie sind einfach faul, Summer. Das ist alles. Es gibt keinen anderen Grund als diesen.“ „Könnte es nicht auch das Karma sein? Was, wenn sie alle ihre vergangenen Leben in Bequemlichkeit vertrödelt haben, könnte das keine Erklärung für ihre Faulheit in diesem Leben sein?“ „Ja, und?“ „Nun, das könnte eine Erklärung sein.“ „Das ist keine Erklärung! Das vergangene Leben, viele vergangene Leben sind kein guter Grund, um nicht in diesem Leben wieder etwas gutzumachen und es ins Gleichgewicht zu bringen, siehst du?“ Ich verstand, widerwillig. „Ich glaube schon.“ „No-Eyes weiß, dass Summer begreift. Summer sucht nur Entschuldigung für dumme Leute.“
Schweigen. Wir hörten dem unaufhörlichen Plappern der herumtollenden Eichhörnchen zu und verloren uns in unseren eigenen Betrachtungen. Ich wunderte mich über die vielen unbewußten Leute, die ich täglich um mich herum sah. Merkten sie nicht, dass große Dinge in nicht allzu weiter Entfernung im Gange waren ? Ich sah keine Zeichen der Vorbereitung, physisch oder geistig. Oh, ich kannte einzelne Gruppen von Leuten in den Bergen, die glaubten und jede Gelegenheit wahrnahmen, um sich körperlich für die raue Zukunft vorzubereiten, aber im großen und ganzen schien jeder besessen zu sein von Sorgen über die nichtssagendsten Dinge. Für mich war dies unglaublich schwer zu akzeptieren. Der allgemeine Mangel der Massen an Bewusstheit ließ sie wie gedankenlose Roboter erscheinen, die ihr Leben mit Scheuklappen verbrachten. Ich dachte daran, wie ich zuweilen Leuten zuhörte, die sich über seltsame Ereignisse unterhielten, aber niemand war bewusst genug, um die merkwürdigen Vorkommnisse miteinander in Verbindung zu bringen. Niemand nahm sich die Mühe, die Puzzle-Teile der Zeichen zusammenzufügen. Niemand war wach genug, um das Bild in seiner ganzen Bedeutung zu sehen. „Ja. Das ist richtig, Summer.“ Ich stieß sie gutmütig in die Rippen. „Hör mal, du Frechdachs! Weißt du nicht, dass es sich nicht gehört, die Gedanken anderer Leute auszuspionieren?“ „Summer ist nicht irgend jemand hier. Summer ist No-Eyes Schülerin. Summer ist No-Eyes Freundin.“ Sie war unglaublich. Ich umarmte sie fest. Sie wusste, dass es mir nie etwas ausmachte, wenn sie in mich „hineinhorchen“ wollte. Außerdem wusste ich, dass sie immer nur von den reinsten Gedanken beseelt war. Ein weiser, geistiger Schüler weiß von selber, dass er nie etwas vor seinem Lehrer verbergen könnte, warum also überhaupt versuchen ? Ich lernte viel über mich selber, wenn No-Eyes meine Gedanken, meinen Denkprozeß analysierte. Wenn nichts privat bleibt, wenn alles offen daliegt, dann findet das eigentliche Lernen statt. Und glaut mir, es ist eine ziemlich qualvolle Erfahrung, aber eine, die unschätzbar wichtig ist. „Es ist heute schön hier.“ „Ja, das ist wirklich wahr.“ Sie beugte ihren Kopf, als ob sie etwas am Boden suchte. „Es ist besonders schön mit Summer hier.“ Komplimente oder Bemerkung, die ihre tiefen Gefühle mir gegenüber enthüllten, gab es nur wenige und nicht oft, sie waren in der Tat ausgesprochen selten. Wenn sie in Worte gekleidet wurden, rührten sie mich tief. Und jetzt ließen ihre Worte mein empfindsames Herz überquellen. Ich legte meine Hand auf ihren Arm. „Ich liebe dich auch, No-Eyes.“ Die Sonne berührte sanft die beiden Frauen in der Waldlichtung. Ein königlicher Elch guckte aus dem Dickicht der Squawbuschsträucher hervor. Er witterte einen neuen Geruch im Wind. Neugierig streckte er seinen Kopf vor, hob ihn in die Luft und blies seine Nüster weit auf, als ihm die frische Herbstbrise den Duft der Freundschaft zutrug, der von der rosigen Aura um die beiden Frauen in der Waldlichtung ausging. Kapitel 4 - Horchen Horchen Und der Neugeborene reckt seinen schimmernden Kopf. Er reckt seinen Kopf und horcht auf die Verzweiflungsschreie der Menschheit
Der Sonntagmorgen brach strahlend anmit einer besonderen Klarheit in der Luft, die das Bild des gestrigen Tages spiegelte. Ich war froh, daß die herrlichen Herbsttage in den Bergen ihre warme Strahlungskraft behielten, bevor sie das Opfer des schneidenden und bitterkalten Säbels wurden, den der Winter so wild schwang. Als ich durch die einsamen Straßen fuhr, dachte ich an das Gespräch, das Bill und ich in der letzten Nacht geführt hatten. Ich hatte ihn an allem, was meine weise Freundin mir gesagt hatte, teilhaben lassen. Bill war, ebenso wie ich, überrascht über das Ausmaß, welches die unerklärlichen Unfälle annehmen sollten. Wir sprachen über die hauchdünne Wahrscheinlichkeit, daß die Menschen lernen könnten, bewußt zu werden. Und wir stimmten überein, daß einfach nicht genug Zeit für sie blieb, um eine stetige konzentrierte Bewußtheit zu entwickeln, die für die Zukunft so wichtig war. Bewußtheit, Erkenntnisfähigkeit zu wecken und zu fördern war viel schwieriger, als man meinen könnte. Es braucht mehr, als nur den bewußten Verstand in den Mittelpunkt zu stellen. Es braucht eine Art Fähigkeit, die bewußte Wahrnehmung unter allen Sinnesorganen gleichmäßig aufzuteilen, um dadurch die Reize, die von außen in unseren Körper kommen, mit dem Verstand kristallklar zu erfassen. Es ist ganz offensichtlich, daß die Leute, wenn ich mit ihnen spreche, nicht genügend bewußt sind, daß sie sich nicht auf meine Worte einstellen. Meistens ist ihr Gemüt überflutet mit Dingen, an die sie sich zu erinnern versuchen, um sie mitzuteilen. Sehr oft sind sie im Geist in einer anderen Welt. Ich kann es in ihren Augen sehen. Ich kann leicht ihre zerstreuten Gedanken lesen. Die Leute hören nicht wirklich zu, wenn sie überhaupt hören. So gelangten Bill und ich zu einem ziemlich klaren Schluß. Wir mußten der alten Frau beistimmen. Niemand konnte die Unfälle durch Warnungen oder einen Schnellkurs in Bewußtmachung verhindern. Wir waren ziemlich am Ende mit unserer Weisheit und völlig hilflos, um auf irgendeine positive Weise einzugreifen. Diese Erkenntnis war für uns sehr schwer anzunehmen und damit umzugehen. Wir waren dazu da, die tiefe, spirituelle Weisheit und Voraussicht unserer Freundin, NoEyes, zu verbreiten. Wenn wir aber in einen Bereich kamen, wo keine unserer Anstrengungen eine positive Veränderung bewirken konnte, waren wir in einer Sackgasse. Ja, wir konnten warnen, aber was nützt eine Warnung, wenn keine Schritte unternommen werden können, um die negativen Folgen abzuwenden ? Wir waren uns immer klar über unsere Aufgabe, Warnungen und Auskünfte zu geben. Aber es war nicht an uns, etwas zu ändern. Uns war nur aufgetragen, einfach jedem Hilfe anzubieten und dem Empfänger Hilfsmöglichkeiten mit auf den Weg zu geben. Es gab Zeiten, da war die Versuchung, jemanden von einem falschen Weg abzubringen, unglaublich groß. Wir müssen jedoch diesem Drang widerstehen, weil wir sonst die sehr feine Grenze zwischen der Hilfeleistung an einem Menschen und der Einmischung in seinen freien Willen überschreiten. Der freie Wille sollte eines der höchsten Güter des Menschen sein. Das ist eine grundlegende geistige Vorstellung. Würden wir jemanden dauernd drängen und warnen, oder würden wir die ganze Zeit jemandem seine Irrtümer und zukünftiges Straucheln vor Augen führen, so tasteten wir in gröblicher Weise das Recht dieses Menschen an, zu entscheiden. Der freie Wille eines Individuums ist die Seite seines Wesens, das seine persönliche geistige Entwicklung, oder deren Ausbleiben, hervorbringt. Es ist von lebenswichtiger B Bedeutung, daß jeder Mensch sich einen starken freien Willen bewahrt. Wenn die Menschen sich fortwährend herumführen und sagen lassen, welchen Weg sie zu gehen haben, machen sie keine Fortschritte; sie sind nichts anderes als Roboter. Geistiger Fortschritt entsteht durch die mühevolle Ausübung des freien Willens.
Geistiger Fortschritt entsteht durch die richtigen Entscheidungen dieses freien Willens und durch langes leiden des Körpers – wegen dieser richtigen Entscheidungen. Geistiger Fortschritt ist keine gepflasterte Straße. Es gibt Sackgassen, hohe Mauern und dunkle Fallgruben. Es ist der Weg der Entbehrungen und der Tränen, der Enttäuschungen und der Zurückweisung. Wir wissen inwendig in unserem Herzen, wenn wir den Weg des Fortschrittes gehen, oder wenn wir nachlässig den schattigen Gehweg einer leichten Straße ins Abseits entlang schlendern. Auch aus einem anderen Grund wurden wir gewarnt, nicht aktiv in ein persönliches leben einzugreifen; wir würden uns sonst eindeutig in sein eigenes Karma einmischen. Jeder Mensch muß am Ende versuchen, sein Karma allein ins Gleichgewicht zu bringen. Ja, wir könnten einem einzelnen genau sagen, was er tun muß, um mit Erfolg sein wichtigsten Ziel zu erreiche. Kürzen wir dann nicht sein seinen Pfad ab? Ist das dann nicht eine aktive Einmischung unsererseits? Viele Menschen müssen selbst herausfinden, welches ihr Ziel ist hier auf Erden. Sollten wir diese Grunderkenntnisse enthüllen, so würden wir aktiv in dieses persönliche Karma eingreifen. Es gibt Dinge, die nicht enthüllt werden sollen. Es liegt nicht in unseren Händen, gewisse Dinge zu teilen oder dabei zu helfen. Die vermehrte Häufigkeit unerklärlicher Unfälle war so etwas. Wir nehmen hin, was nicht zu ändern ist. Das war ein großer Teil unseres eigenen Lernprozesses. Eine schwer zu akzeptierende Lektion, aber akzeptieren müssen wir sie. Ich bog in den vertrauten Weg ein und stellte den müden, alten Motor ab. Ich blieb im Wagen sitzen und starrte auf mein zweites Zuhause. Für mich war diese uralte, vom Zahn der zeit angenagte Hütte gleichbedeutend mit Liebe. Es war so eine kärgliche Behausung für jemanden wie meine gelehrte Freundin. Sie sollte ein leichteres Leben haben. Sie sollte einen Ofen und Elektrizität haben, eine Toilette mit Wasserspülung und bessere Möbel. Aber alle diese Bequemlichkeiten dienten zu dazu, ihren Lebensstil zu ändern. Sie konnte man nicht ändern. Sie war vollkommen zufrieden so, wie die Dinge waren. Sie paßte bestens in den Rahmen der Wände aus rissigen Holzbalken ihrer kleinen Hütte. Es war ihr Heim. Und es war ein Heim für mich. Ich ging den Hügel hinauf und war entzückt über die herbe Frische des Herbstes. Der Rauch schlängelte sich träge aus dem Steinkamin hervor in freundlich schwebenden Kräuseln. Ich fing an zu laufen, um die Frau in der einladenden Hütte zu begrüßen. „Guten Morgen, No-Eyes““ grüße ich sie voller Erregung. „Morgen, Summer.“ Sie stellte ihre hölzerne Frühstücksschale in den Schrank. Ich nahm meinen Wollumhang ab und wollte gerade zu ihr in die Küche gehen, als sie befahl: „Wir gehen da hinein“, sagte sie und zeigte auf das Wohnzimmer. „Gut“, sagte ich und setzte mich auf das Sofa. Sie schlurfte aus der Küchenecke herbei, zog ihren altvertrauten Schaukelstuhl heran und stellte ihn mir gegenüber. Ich neckte sie in spielerischer Laune. „Es ist wirklich ein herrlicher Tag da draußen. Wir gehen wohl nicht spazieren ... oder?“ „Nein.“ „Ich vermute, zwei Tage hintereinander wäre wohl zuviel erwartet gewesen, hm.“ „Ja.“ „Das dachte ich mir.“ Sie zog ihren wollenen Schal zurecht, rutschte ein wenig hin und her und schaute mir gerade in die Augen. Der Unterricht begann, und ohne daß ein weiteres Wort zwischen uns gesprochen worden wäre, wußte ich, was mich erwartete. Ich saß aufrecht und streckte meine
Beine aus. Meine Hände ruhten in meinem Schoß, und ich schloß meine Augen. In dieser Stellung saß ich einige Minuten, bevor ich meinen Geist von meinem Körper lösen konnte. Als ich bald darauf spürte, daß mein ganzer Körper wie gelähmt war, als das Nichtspüren irgendwelcher äußeren körperlichen Empfindungen deutlich wurde, war ich entsprechend vorbereitet, meinen Geist aufwärts zu senden. Meine geistigen Energien waren ein wenig oberhalb meiner Augen konzentriert, und während ein leuchtendes Licht sich an dieser Stelle sammelte, ließ ich es sanft wie einen Kinderballon in die Höhe gleiten. Ich war weg. No-Eyes war schon da und streckte mir ihre schöne Hand entgegen. Und wir glitten zusammen durch die nebelhaften Dimensionen der zeit. „Der neugeborene Phönix hat nun seinen Kopf draußen, Summer. Er braucht jetzt viel Zeit, um zu horchen. Summer weiß, was neugeborener Phönix hört?“ „Flugzeugabstürze und Zugentgleisungen.“ „Nein. Er wird Gewehre hören. Er wird hören, wie Körper auf dem Boden aufschlagen. Er wird seinen mächtigen Kopf drehen und Menschen in großer Pein stöhnen hören.“ Stille. „Wir wollen sehen, was die Geräusche macht, die Phönix hören wird.“ Gleiten. Ich war keineswegs begeistert davon, daß ich nun diese mystische Reise in ihr häßliches Zukunftsgemälde machen mußte. Aber sie dachte sich immer die wirkungsvollsten Lektionen aus. Wer war ich denn, um ihre Methoden in Frage zu stellen oder meine Mitarbeit zu verweigern? Wahrhaftig, wer war ich denn neben ihr? Wir glitten durch eine zutiefst wohltuende Dunkelheit. Eine Dunkelheit umgab uns, die unter ihrem eigenen tiefen Atmen sich aufblähte und nachgab. Alles Leben pulsierte im Innersten mit Energie. Und diese Dunkelheit, durch die wir glitten, besaß auch ein eigenes pulsierendes Leben. Ich flüsterte der alten, runzligen Frau zu. Ich flüsterte, weil es mir nicht angebracht schien, hier in einer normalen Stimme zu sprechen. „Wo sind wir?“ Sie antwortete in ihrem gewöhnlichen Ton. „Summer weiß nicht?“ Ich zuckte unter der Lautstärke zusammen, mit der ihre Stimme widerhallte. „Nein“, flüsterte ich erneut. Ein lautes gackerndes Lachen zerriß die Stille. „Warum flüstert Summer wie ein Kind, das auf einen Streich aus ist?“ Ich blickte verstohlen umher. „Ich flüstere wie ein Kind, weil ich glaube, ich müsse flüstern. Ich fühle mich nicht wohl, wenn ich lauter spreche. No-Eyes, ich fühle mich im Augenblick sehr ungemütlich.“ Sie drückte ein wenig meine Hand. „Du bist nicht in irgendeiner Bibliothek. Du bist nicht in einer großen, prächtigen Kirche. Summer kann laut sprechen. Summer braucht nicht zu flüstern hier. „ Ich konnte mich immer noch nicht dazu bringen, laut zu reden. Es ging gegen mein besseres Wissen. Und ich fuhr in leisem Ton mit dem Gespräch fort. „Ich fühle mich immer noch schrecklich unwohl.“ Ich spähte durch die Dunkelheit. „Es ist mir, als werde ich beobachtet. „Dummes Weib“, grinste sie. „Vielleicht hat No-Eyes dir falschen Namen gegeben. Vielleicht ändert No-Eyes den Namen Dummes Weib in Erschrockenes Weib.“ Sie kicherte über ihren eigenen krummen Scherz. Ich sah nichts Lustiges in der lastenden Dunkelheit um uns. „Ich lache nicht, No-Eyes. Hörst du mich etwa lachen?“ Sie versuchte, ernsthafter zu sein. „Es tut No-Eyes leid, aber Summer ist trotzdem so komisch.“
„Danke vielmals. Jetzt sag mir, warum ich Augen in meinem Rücken spüre?“ Ich bestand darauf. Ihre Ebenholzaugen bekamen einen unheilvollen Ausdruck. „Es gibt immer Augen im Rücken. Das ist nichts Besonderes.“ „Du weißt, was ich meine. Hör mit deinen Spielen auf.“ Sie seufzte. „Summer, das ist kein Spaß mehr. Summer braucht nur zu denken, das ist alles.“ Sie schwieg, damit ich nachdachte, wie sie es von mir erwartete. Ich hielt mich fest an meiner sicheren Lebensschnur. Der Trost ihrer Hand beruhigte mich so weit, daß meine Ängste nachließen und ich einige logische Gedanken sammeln konnte. Sobald meine Ängste von mir abgefallen waren, wurde ich anderer ätherischer Gestalten um uns gewahr; es gab Hunderte davon. Ich paßte mein Bewußtsein an und entdeckte, daß wir einer Art von Allee entlang schwebten. Und die anderen Gestalten waren so vielfältig wie die Wiesenblumen in den Bergen. Menschliche Wesen schwebten in unserer und auch in entgegengesetzter Richtung. Aber auch viele andere intelligente Lebensformen gingen auf dieser geheimnisvollen Nebenstraße hin und her. Manche dieser fremden Gestalten waren mir vertraut, aber viele waren mir vollkommen unbekannt. Sie unterhielten sich miteinander wie gewöhnliche Leute auf einem Sonntag-nachmittags-Spaziergang durch den Park. Meine Ängste verschwanden, als ich mich entspannte und diese geschäftige Nebenstraße erkannte, auf der wir uns befanden. Dann lachte ich leise über den komischen Anblick einer dieser ungewöhnlichen Gestalten. Plötzlich wurde ruckartig an meiner Hand gezogen. „Summer ist unhöflich! No-Eyes hat Summer besseres Betragen als das beigebracht.“ Ich schämte mich, und ich glaube, ich wäre errötet, wenn ich eine feste körperliche Gestalt gehabt hätte. Ich senkte meinen Kopf. „Es tut mir leid.“ „Summer soll es leid tun! Dieses Wesen hat mehr Intelligenz als die ganze Erdbevölkerung zusammen. Summer soll nie über andere Wesen lachen.“ „Ich weiß. Ich sagte, es tut mir leid. Es ist nur, weil es mir plötzlich so komisch vorkam.“ „Summer muß alle solche Gefühle ruhig für sich behalten. Du darfst andere dies nicht sehen lassen, nicht wahr ?“ Ich nickte. „Woher stammte dieses Wesen? Kannst du mir das sagen?“ Ich könnte, aber Summer versteht sowieso nicht. Es ist von einem anderen Universum weit weg. Die Erdenmenschen sind dumm, sie haben nicht einmal Kenntnis über alles in der Milchstraße. Sie wissen nicht einmal Bescheid über das eigene Universum. Wie sollen sie etwas wissen über Dinge an anderen Orten? Die Erdenmenschen sind so dumm. Sie glauben, sie seien allein im einzigen Universum. Sie glauben nicht einmal, daß es andere Orte gibt!“ „Ja, nun ...“ „Kein ja nun! Sie sind dumm, das ist alles!“ Sie schrie mich an, und die Reisenden auf der Straße drehten ihre Köpfe. Sie wurde immer äußerst zornig und aufgebracht, wenn unsere Diskussion sich um das mangelnde Wissen moderner Wissenschaft drehte. Ich versuchte, ihr erhitztes Gemüt zu beruhigen. „No-Eyes, schau, wir beide wissen das alles, aber ...“ „Jedermann weiß das alles! Schau! Schau mal, Summer! Siehst du? Sie alle wissen das auch!“ Der Geist der zarten Frau hüpfte herum und zeigte auf die anderen Erscheinungsformen des Lebens, die die wilden Gefühlsausbrüche ihrer leicht entflammbaren Emotionen zu übersehen suchten. Ich geriet in Verlegenheit, als ich herum schaute und sah, daß viele von ihnen seltsame Geräusche machten, die ich nur als Ausdruck des Mitgefühls verstehen
konnte. Ich lächelte ihnen nervös zu und winkte ihnen beim Vorübergehen. Es war wirklich manchmal schwierig, No-Eyes Einhalt zu gebieten, wenn sie so außer Rand und Band geriet. Ich drehte mich zu ihr und stellte erschreckt fest, daß verschiedene dieser fremden Wesen versuchten, sie zu trösten. Drei von ihnen waren da. Ich schaute verwirrt zu, wie sie langsam geradewegs in ihr wesenhaftes Sein hineinglitten. Ich konnte tatsächlich vier verschiedene Gestalten unterscheiden, die die einzelne Energiemasse im Raum, die No-Eyes sein mußte, wie ich wußte, in Besitz nahmen. Ich stand wie angewurzelt vor Überraschung, als ich sah, wie die durchschneidenden ätherischen Gestalten sie zärtlich streichelten und die Aura der Gruppe ein unwahrscheinlich rosiges Licht auszusenden begann. Ich hielt immer noch die Hand meiner Freundin, und als das Licht ihren Arm hinunterströmte, bewegte es sich langsam meinen eigenen Arm hinauf. Tränen rannen mir herunter über das Mitgefühl und die vollkommene Liebe, die vom Licht ausgingen. Und es erfüllte meinen unerfahrenen Geist mit Wärme. Dann zogen sich die Wesen langsam zurück und nickten mir herzlich zu, bevor sie sich wieder auf den Weg machten. Es wurden keinerlei Worte ausgetauscht. Man brauchte keine. No-Eyes schaute mir tief in die Augen. Sie war vollkommen beruhigt. „Das ist Liebe, Summer. Das ist wirkliche und wahre Liebe.“ Wir schwebten eine Weile, bevor sie wieder zu sprechen begann. „Summer, hast du schon herausgefunden?“ Ich war erfreut, daß ich bejahend nicken konnte. „Summer will nicht darüber reden?“ Ich wollte wirklich nicht gerade jetzt davon sprechen. Dieses kurze Erlebnis wirklicher Liebe hatte mich so bezaubert, daß ich nicht wünschte, seinen berauschenden Bann durch Reden zu brechen. Und ich sagte es ihr. Sie lächelte verständnisvoll. „Summer hat diese Liebe gerne?“ Ich nickte. „Das war die schönste selbstlose Gefühlsregung, die ich je von irgend jemandem zu spüren bekam. Ja, ich hatte das sehr gerne.“ Die Alte zeigte auf ein einsames Wesen, das auf uns zukam. Sein Schritt war sehr verlangsamt, und es war offensichtlich niedergeschlagen. „Summer hat Gefühle gern? Summer geh und zeig Gefühle – geh und gib sie weiter.“ Sie neigte ihren Kopf erneut in Richtung der Gestalt und zog dann meine Hand vorwärts. Ich schaute sie fragend an, als ob ich noch weitere Zustimmung nötige hätte, um dem Vorschlag zu folgen. Sie gab schnell diese Zustimmung. „Es ist in Ordnung. Geh nur.“ Sie stieß mich vorwärts. Ich glitt zu dem bekümmerten Wesen. Es bemerkte mein Näherkommen und stand still. Ich hatte früher noch nie etwas Ähnliches getan und war unsicher, ob es mir gelänge, mich so auszudrücken, um meine Liebe in der rechten Weise zu bezeugen. Ich hatte keinerlei Möglichkeit zu wissen, wie ich es tun sollte. Aber ich fühlte ein tiefes Mitgefühl für dieses ätherische Wesen in seinem herzzerbrechenden Schmerz. Zögernd glitt ich näher und näher. Und bevor ich es bemerkte, war ich innerhalb dieses Wesens. Ich machte halt und gab ihm dann die ganze Liebe und Mitgefühl, das ich aufbringen konnte. Meine Umgebung war plötzlich in eine wellenförmige, rosa Schicht getaucht. No-Eyes existierte nicht mehr für mich. Meine körperliche Welt existierte nicht mehr für mich. All die vorüberziehenden Wesen existierten nicht mehr. Ich hörte keine Geräusche. Ich sah keine Bilder, nur das Licht meiner reinen Liebe und meines tiefen Mitgefühls. Und wir zwei verschiedenen Wesen aus zwei verschiedenen Welten waren eins. Wir teilten miteinander das kraftvolle Licht
einer universellen Sprache und waren darin aufgenommen. Ich glitt zurück. Es schwebte zurück. Es nickte mir langsam und dankbar zu. Ich nickte zurück, und Tränen flossen mir aus meinen Augen, als ich an die Seite meiner Lehrerin zurückkehrte. Sie sprach sanft. Sie erkannte meine erhöhte Empfindsamkeit im jetzigen Augenblick. „Das ist nicht so schlimm, Summer.“ Ich blickte auf meine Füße hinunter und schüttelte den Kopf. „Es sieht so aus, als ob Summer immer Neues zu lernen hätte. Summer wird nie aufhören zu lernen, das ist Teil des Lebens. Das ist der allergrößte Teil der Sache mit Bewußtwerden.“ „Ja“, flüsterte ich. „Summer sieht und vollbringt manche schwierige Sache. Siehst du? Summer kann jetzt sogar auch leichte, gute Dinge tun!“ Sie tätschelte meinen Rücken. Meine Augen suchten die ihren. „Ich wünschte, die Menschen auf der Erde könnten dies auch tun. Ich wünschte, der einfache Akt, Trost zu spenden, könnte so mühelos, so ehrlich und offen ausgeführt werden.“ „Das ist möglich!“ brach es aus ihr hervor. Ich schüttelte langsam meinen Kopf in respektvollem Widerspruch. „Nein, so ist es nicht, No-Eyes. Die Menschen können das Leiden anderer nicht spüren.“ Die Alte behielt ihr kindliche Hartnäckigkeit bei! „Summer kann es, die Leute werden wie Summer.“ Ich dachte darüber nach, wie unschuldig sie sein konnte. Sie konnte gewisse Dinge nicht wirklich erfassen. Sie war so weise, aber wenn es sich um bestimmte menschliche Verhältnisse und Verhaltensweisen handelte, war sie wie ein kleines Kind, das von grenzenlosem Vertrauen und Glaubensseligkeit übersprudelte. „Laß uns das Thema wechseln“, bat ich sie inständig in einem Gefühl der Frustration. Sie wollte nichts davon wissen. „Wir werden gar nichts ändern hier! Die Menschen können Trost spenden. Die Menschen können Liebe geben. Sie geben sie wie gerade jetzt!“ In diesem Augenblick tat sie mir leid. „No-Eyes, bitte“, flehte ich. „Nein! Wir werden reden! Viel Trost, viel Liebe wird bald benötigt werden. Mutter Erde wird traurig sein. Sie weinen, sie sterben sogar. Sie werden allen Trost, den sie bekommen können, brauchen !“ „Nun“, lenke ich ein, „Vielleicht werden die Veränderungen auch die Menschen selber ändern. Aber im jetzigen Moment ist die Welt im festen Griff kalter Teilnahmslosigkeit. Jeder wendet sich ab vom ungemütlichen Gefühl, das leiden mit sich bringt. Jeder schaut lieber auf die andere Seite. No-Eyes, niemand will sich mehr mit dem andern befassen. Zu viele Menschen haben eine so harte Schale um sich aufgebaut, daß sie nicht einmal mehr fähig sind zu zeigen, welche Gefühle sie noch haben.“ „Summer kann“, murmelte sie mit einem entschlossenen Atemzug. Ihre eigensinnige Halsstarrigkeit machte mich wütend. Ich wollte ihr nicht das letzte Wort lassen, auch wenn es nur ein Murmeln unter verhaltenem Atem war. „No-Eyes! Ich bin eine Mitleidstante! Und du weißt das! Die Leute sind nicht wie ich! Nehmen sie das Elend dieser Welt in sich auf ? Fühlen sie sich todtraurig über die Ungläubigen ? No-Eyes, lassen sie sich überwältigen vom Schrei menschlichen Leidens, bis es so unerträglich wird, daß sie in die Berge hinauf fliehen müssen unter der Last ihrer Seele? Stille „Nun? Tun sie das, No-Eyes?“ schrie ich mit einem stechenden Schmerz hinter den
Augen. Sie wurde weich. „Es tut mir leid. Ich war nicht fair mit Summer.“ Die Spannung ließ nach, und ich seufzte tief. „Es tut mir auch leid. Ich wollte keine solche Szene machen. Ich entschuldige mich für meinen Ausbruch.“ Sie zuckte unbewegt die Schulter. „No-Eyes bringt das doch vor.“ Sie machte eine kleine Pause, bevor sie ihre Stimmung änderte. „Aber No-Eyes sieht, daß die Menschen sich doch ändern.“ Ich gab auf. „Sie werden müssen, nicht wahr. Sie haben keine andere Wahl, als sich aneinander zu klammern in ihrem Schmerz.“ „Ja. So ist es richtig. „ Sie reckte sich auf. „So! Summer, hast du herausgefunden, wo wir sind?“ „Ich glaube, wir sind auf einem ätherischen Pfad, ein Weg, der in die Zukunft führt.“ „hm. Summer hat beinahe recht. Summer hat ziemlich recht.“ „Beinahe? Ziemlich recht?“ „Das hier heißt Korridor der Zeit. Es ist kein einfacher Weg. Er ist nicht leicht zu erreichen. Ich kenne den Weg. Ich bringe Summer hin. Summer kann den Weg kennenlernen, damit ...“ „Warte mal“, befahl ich, als ich ihrer Bahn folgte. „Ich will nicht allein hierher kommen.“ „Du mußt nicht allein kommen. Summer nimmt Bill mit. Summer und Bill lieben und trösten einander hier.“ Die Idee klang wirklich einladend. Bill hierher zu bringen und mit ihm das herrliche, rosa Licht zu erleben war eine fast unwiderstehliche Versuchung. Dann überlegte ich logisch. „Aber wir können uns im Geist überall auf diese Weise vereinigen. „ Ich tat so, als sei ich schockiert. „Du hast mich zu überlisten versucht, damit ich ihn in den Korridor bringe.“ Sie zuckte harmlos die Achseln. „No-Eyes hat versucht. Summer ist zu schlau. Ich glaube, ich bin zu gute Lehrerin.“ Ihr Zahnfleisch glänzte zwischen grinsenden Lippen. „Nun, klopf dir nur noch mehr auf die Schulter!“ neckte ich sie. „No-Eyes hat Summer oft hereingelegt früher – jetzt ist es nicht mehr so leicht“, gab sie spaßhaft zu. Das war ein klares Kompliment. „Danke“ Ich begann unseren ätherischen Bummel durch den Korridor der Zeit zu genießen, als die alte Frau plötzlich anhielt. Ich warf sie beinahe um – rannte sozusagen durch sie hindurch. „Was ist los?“ Sie drehte sich mit einem feierlichen Ausdruck um, der die Bedeutung des Augenblicks unterstrich. „Wir sind hier, Summer. Das ist der Ort, von wo aus wir hinuntergehen, um zu sehen, was Phönix hört.“ Eine kurze Welle durchströmte mein unsicheres herz. „Ich bin bereit.“ Ich holte tief Atem, und wir glitten aus der belebten Seitenstraße hinaus. Die Dunkelheit war jetzt weit weniger dicht. Die Menge der Wesen blieb zurück und alles war ruhig – vorübergehend. Wir schwebten abwärts. Während des Abstieg bekamen wir deutlich eine wärmere Atmosphäre zu spüren. Wir näherten uns der Erde. Und trotz unseres Abstands, der immer noch ziemlich groß war, wurden meine geschärften Sinne rast taub von den Verzweiflungsschreien der Menschen. Sie stiegen bis in die uns umgebende feine Schicht auf, und ihr Echo wurde immer wieder zurück geworfen. Ich schlug meine Hände über meine ätherischen Ohren und machte No-Eyes ein Zeichen, daß ich nichts mehr hören konnte – ich konnte nicht mehr weiter. Die weise Alte strich mit ihrer Hand geheimnisvoll über meinen Kopf und zog sanft meine verspannten Hände weg.
Stille. Süße, kostbare Stille. Sie hatte mitleidsvoll die gräßlichen Töne der Menschen zum Schweigen gebracht, von Menschen im Kampfe mit schrecklichem leiden. Ihr Eingriff war selektiv; ich konnte nämlich immer noch No-Eyes hören und einige Dinge, die nötig waren. Die Schreie aber waren wirksam ausgeblendet. Sie faßte meine Hand und führte mich abwärts in die zukünftige Welt, hinunter in die Grube menschlichen Elends, genannt Erde. Ich erhielt den mir zugemessenen Trost aus der warmen Hand meiner Freundin. Ich vertraute ihr unbedingt. Seite an Seite schwebten wir auf Mutter Erde hinab. Während sie den ersten Halt aussuchte, sagte die Alte zu mir: „Wir werden an verschiedene orte gehen. Wir werden sehen, was Phönix von verschiedenen Stellen aus hört.“ Sie hatte unser erstes Reiseziel ausgemacht, und wir drehten nach rechts ab. Als wir uns einem dicht bevölkerten Vergnügungspart näherten, war mein erster Eindruck die auffällige Fröhlichkeit der vergnügungsliebenden Menge. Wir mischten uns unter die wogende Menschenmenge. Obwohl der Empfang meines Gehörsinns gedämpft war, konnte ich mir gut die lauten, grellen Töne im Park vorstellen. Wir kamen an lachenden Kindern vorbei, die lustig auf und ab und rundherum ritten auf ihren mit leuchtenden Farben bemalten Ponies und Elefanten. Ich liebte es, kleinen Kindern beim Spiel zuzuschauen, und ich lächelte No-Eyes zu, die sogleich das gemeinsame Gefühl erwiderte. Wir spazierten an der geschäftigen Arkade vorbei und blieben kurz stehen, um einem jungen Mann zuzusehen, der sich heldenhaft bemühte, einen Riesenteddybär für sein erwartungsvolles Schätzchen zu gewinnen. Dem unglücklichen Mann erging es gar nicht gut, und er war tatsächlich bei seinen beiden letzten verbleibenden Quarters angelangt. Da, als ob er einen Zauberspruch ins Spiel gebracht hätte, brachte er all die beschwerten Flaschen zu Fall. Und er strahlte vor Stolz, als er seinem Mädchen den großen rosa Bär überreichte. Wir gingen weiter. Es war mit nicht entgangen, daß meine Begleiterinnen ganz kleine Handbewegung gemacht hatte, gerade bevor der junge Mann sich mit seinem letzten Satz von Sandsäcken so erfolgreich zeigte. „Warum hast du das dort gemacht?“ Ihr Mund stand offen vor ungläubigem Erstaunen. „Was machen?“ Ich grinste von einem Ohr zum andern beim Anblick ihrer übertriebenen Verstellung. „Diese Sandsäcke gelenkt.“ „Sandsäcke?“ Ich schüttelte meinen Kopf und winkte ab. „Oh, vergiß es. Ich habe gesehen, was du gemacht hast. Du brauchst es nicht zuzugeben, wenn du nicht willst. Aber ich weiß was ich gesehen habe.“ Sie benahm sich wie ein kleines Mädchen, das auf frischer Tat ertappt wurde. „Summer sollte gewisse Dinge nicht sehen.“ Das war lächerlich. „Warum nicht?“ „Weil ich mich eigentlich nicht so einmischen dürfte“, gab sie ein wenig schüchtern zu bedenken. „Warum hast du es dann getan?“ drang ich in sie wie eine hartnäckige Mutter. „Die Menschen werden viele schwere Tage auf sich zukommen sehen. Die Dinge werden schlimm genug sein. No-Eyes wollte nur ein wenig glücklich machen, das alles.“ Dann zuckte sie die Achseln und lächelte mit ihren Augen, die schelmisch blitzten. „Außerdem war die Sache mit dem Spiel ohnehin schon abgemacht.“ Ich nickte zustimmend. „Trotzdem war es edel von dir, dies zu tun. Ich nahm an, daß dies wohl diene Gründe waren.“ Sie drückte meine Hand. „Warum fragt Summer, wenn sie die Antwort schon weiß?“
„No-Eyes, erinnerst du dich, als ich dir genau die gleiche Frage stellte in unseren ersten Tagen des Zusammenseins? Erinnerst du dich an deine Antwort?“ „Ja, No-Eyes erinnert sich. Wir werden jetzt weitergehen.“ Wir verließen die Arkaden und näherten uns dem Mittelpunkt der Achterbahnen. Dutzende von Wagen kreisten, kippten, wirbelten und schossen herab. Die darauf fahrenden Leute lachten und schrien vor Vergnügen. In Anbetracht der Ernsthaftigkeit unserer Sache konnte ich mir nicht vorstellen, warum wir hier in diesem Park voller vergnügter Menschen waren. Wir kamen an Clowns vorbei, die Purzelbäume schlugen und an anderen, die traurige Possen rissen. Gruppen von Jongleuren waren an unserem Weg, Jahrmarktsbuden mit Süßigkeiten, Gestelle mit Spielzeug und Krimskrams. An kleinen Kindern kamen wir vorbei, die selig Berge von Zuckerwatte, größer als sie selber, leckten. Und ich lachte über einen unglaublich dicken Mann, der geziert einen gewaltigen Hot dog verzehrte, ohne irgendwie den steten Strom von gelbem Senf zu beachten, der auf seinen Bierbauch herunter tropfte. No-Eyes riß plötzlich an meiner Hand. Ich antwortete schnell auf ihr Zeichen. „Ich weiß“, gab ich zu, „ich hätte nicht über ihn lachen sollen.“ Die Alte schüttelte ihren Kopf. „Er ist wirklich komisch. Das ist in Ordnung. Aber schauen wir nun einmal das an!“ Sie drehte uns blitzschnell herum und zeigte auf das riesige Ungeheuer eines doppelten Riesenrads. Die Leute wurden gerade eingeladen. Wäre ich in meiner körperlichen Gestalt gewesen, hätte ich nur schon vom Hinaufschauen auf den obersten Punkt dieses Ungetüms weiche Knie bekommen. Ich konnte solch schwindelnde Höhen nicht ertragen. Wir schauten zu, wie die aufgeregten Mitfahrer sorgfältig auf ihre Sitze gewiesen und festgeschnallt wurden. Der Mechaniker zog den Hebel vorwärts. Das Riesenrad quietschte und ächzte, als die Zwillingsräder sich aneinander vorbei zu drehen begannen. Ich blicke No-Eyes an. Sie schaute angespannt zu, als ich ihr besorgtes Gesicht musterte. Langsam wandte sie sich mir zu. Und ich erstarrte, als ich ihren eisigen Blick b bemerkte. Wir wandten unsere Aufmerksamkeit wieder dem riesigen Rad zu. Es schien leicht zu schwanken. Da, eine Hauptstütze gab nach und zerbrach. Was wir dann erlebten, war eine unvorstellbare Tragödie. Menschen wurden hilflos durch die Luft geschleudert, manche immer noch fest in ihren fliegenden Sitzen angeschnallt. Ihre Münder waren in grauenhaften Schreien verzerrt, als sie in den sicheren Tod stürzten. Das ganze Riesenrad stürzte seitlich auf drei andere fahrende Bahnen und riß so noch mehr unschuldige Menschen in den Tod. Die scheußliche Szene war ein groteskes Blutbad. Ich konnte es nicht mehr mit ansehen und zerrte heftig an No-Eyes Arm. Sie klopfte mir auf die Schulter. „Es ist gut, Summer. Summer kann nur noch meine Stimme hören.“ Ich war wie gelähmt und hielt meine Augen hinter meinen Fäusten fest geschlossen. „Ich weiß, ich konnte deine Stimme immer hören, aber ich will nichts mehr von dieser abscheulichen Szene sehen!“ „Summer, es ist alles vorbei. Schau!“ ich erhaschte einen Blick durch den Spalt von zwei Fingern. Alles war wieder schwarz. Ich war sichtlich erleichtert, und ich seufzte, bevor ich sprach. „No-Eyes, das war das Grauenhafteste, das ich je gesehen habe.“ Ich fühle Tränen aufsteigen und brennend überströmen. „Nein! Summer muß das nicht so empfinden!“ „O Gott! Ich kann nicht anders!“ Und ich begann zu weinen. Die alte Frau legte ihren Arm um mich und schlüpfte in mein zitterndes Wesen. Sie nahm mir meinen Kummer weg. Sie war ein menschlicher Magnet, der all mein
Mitgefühl an sich zog. Und sie ersetzte es voller Mitleid mit einem süßen und wunderbaren Frieden. Unsere beiden geistigen Wesen blieben so ineinander verwoben, bis der Ersatz vollkommen war. Und als wir uns trennten, drückte ich ihr die Hand in herzlicher Dankbarkeit. „Summer kann keine solche Gefühle hier haben. Wir werden noch mehr Schlimmes sehen. Der Geist kann nicht traurig sein, er kann auch nicht das, was er sieht, wie ein Schwamm aufnehmen – spürst du?“ „Dank dir geht es mir wieder gut.“ Ich stockte im Gedanken an die lebhaften Bilder der vorherigen Szene, die sich wie ein Film vor meinem inneren Augen nochmals abspielten. „Dieser schreckliche Unfall, was bedeutet er? War das nicht nur einer ... einer der unerklärlichen Unfälle ?“ Die Tatsache schoß wie ein Pfeil in die Vorderseite meines Kopfes. „O Gott, No-Eyes, meinst du, daß solche Dinge auch passieren werden?“ Sie nickte sorgenvoll. „Ja. Viel mehr Vergnügungsfahrten werden schlimm ausgehen.“ „Aber warum? Jammerte ich voller Mitleid. Sie hob ihre Augenbrauen. „Warum?“ „Ich verstehe“, gestand ich traurig ein. „Es hat alles mit der mangelnden Bewußtheit der Menschen zu tun. Es ist ein kleiner Bestandteil des großen Loskoppelns vom Schutz der Erdbewacher.“ Ich schaute weg in die Dunkelheit. „Aber es erscheint so schäbig“, klagte ich leise. „Schäbig? Schäbig, sagst du? Es ist nicht schäbig, wenn die Menschen merken, wie nachlässig, wie stumpf und unbewußt sie die ganze Zeit gewesen sind. Summer, wenn die Erdbewacher immer helfen, Fehler auszubügeln, werden die Menschen nie lernen!“ Das war die herzloseste, unmenschlichste Ansicht, die ich je aus ihrem Mund gehört hatte. Es ging gegen all meine Wertvorstellungen, mein Feingefühl. Ich wurde zornig. „Das ist keine Art, etwas beizubringen!“ brauste ich auf. Aber die erfahrene, weise Frau blieb ruhig und gelassen über ihre wütende Schülerin. „Bitte, Summer, versuch doch zu verstehen. Denk viele Tage weit zurück, als wir darüber sprachen, wie der Große Geist die Dinge geschehen lassen, wie Er die Menschen die Fehler einsehen lassen will, wie Er ein langes, langes Seit geben will?“ Die scharfe Schneide ihrer Denkweise wurde plötzlich in das Schwert der Gerechtigkeit umgeschmiedet. Es dämmerte mir, daß Gott wirklich Sein Volk seine eigenen Entscheidungen treffen läßt, auch seine Unternehmungen und Fehler machen läßt, ohne irgendein Einwirken einer äußeren, schützenden Kraft. Ich beruhigte mich. „Ja, ich erinnere mich.“ „Gut. Wir werden nun einen anderen Ort sehen. No-Eyes wird Summer noch mehr zeigen, wie die Menschen handeln, wenn die Erdbewacher aufhören, sie zu beschützen.“ Sie blickte schnell herum, und schon eilten wir weiter. Diesmal schwebten wir in eine äußerst friedfertige Szene hinunter. Wir schlenderten auf einer dieser herrlich friedlichen Straßen entlang in einer mittleren amerikansichen Stadt. Die großen, gepflegten Häuser lagen von der Straße zurückversetzt, und vor ihnen erfreuten sauber geschnittene, grüne Rasenflächen den Betrachter. Die Bäume ragten reizvoll auf, und ihre Kronen bildeten einen natürlichen, schwankenden Bogen über der Straße. Leuchtende Geranien und Petunien waren sorgfältig längs den Häuserfassaden gepflanzt. Spielende Kinder balgten sich in den großen Gärten. Vögel zwitscherten. Der Postbote pfiff freundlich, als er seinen wohlwollenden Kunden zuwinkte. Und ein Milchwagen kam gemütlich seines Wegs uns entgegen. Ich war völlig eingenommen von dieser ländlichen, idyllischen Gegend innerhalb
der Stadt. In meiner körperlichen Wirklichkeit war ich durch viele ganz ähnliche Gegenden gefahren. Ich hatte sie immer bewundert, genau wie diese hier. „Das ist so friedvoll hier“, flüsterte ich und lehnte mich nah an meine Freundin. Die Alte warf mir einen ihrer rätselhaften, fragenden Blicke zu, und mein Herz tauchte unter, daß es mir den Magen umdrehte. Ich überblickte das vollkommene Bild noch einmal. Nichts Außergewöhnliches schien sich zu zeigen. Kein einzelnes Ding, das nicht in Ordnung war. Ich blickte No-Eyes zweifelnd an. Und sie brachte einen wesentlichen Grundsatz zur Sprache. „Nichts ist je so, wie es scheint. Wir werden hier noch etwas länger bleiben. Wir werden sehen.“ Eine sanfte Brise wehte durch die Bäume. Bienen summten in und um die vielfarbigen Blüten. Ein schottischer Schäferhund gähnte faul und streckte sich auf der schattigen Veranda. Ich schaute hin, aber sah nur die täglichen Verrichtungen an einem Sommermorgen in einer Kleinstadt. Der Milchwagen näherte sich langsam und hielt an. Der Milchmann zögerte im Auto, dann stieg er fröhlich aus, und an seinem Arm baumelte ein Drahtkorb mit einer ganzen Auswahl an Milchprodukten. Er summte eine Melodie, als er die weiten Stufen zum roten Backsteinhaus aus der Siedlerzeit hinauf hüpfte. Ich sah nichts Ungewöhnliches, nichts, was No-Eyes von mir wollte, daß ich es sehe. Ich schaute. Bald kam der gutaussehende Milchmann wieder aus dem Haus und summte weiter seine Melodie, als er einer vorbeigehenden Frau mit Kinderwagen winkte. Sie tauschten freundschaftlich ein paar scherzhafte Worte, bevor jeder seines Wegs ging. No-Eyes starrte mich wieder so an, daß es mir kalt den Rücken hinunter lief. Ich schaute rasch in der Umgebung herum, ob sich etwas Schlimmes ereigne. Nichts. Die Weise schüttelte etwas widerwillig den Kopf. „Summer sieht, aber Summer sieht doch nicht.“ Ich blickte in nervöser Erregung nochmals in alle Richtungen. Nicht ein verdammtes Ding war schief. Ihre Feststellung verwirrte mich. „Was sehen?“ „Sieh das!“ Sie zog mich heftig in das Backsteinhaus. Wir traten in die Küche. Mein Magen drehte sich um. Eine Frau lag ausgestreckt am Boden, und ein Fleischmesser war tief in ihre Brust hineingestoßen. Sogleich eilte No-Eyes mit mir wieder auf die Straße hinaus. Ihre Worte waren sanft. „Das ist Mord, Summer. Das wird nun häufiger vorkommen.“ Ich war bestürzt. „Aber dieser Kerl benahm sich so normal!“ „Ja! So wird es sein. Die Leute werden einfach überschnappen. Sie werden verrückt. Sie werden viel verrücktes Zeug machen – verrückter, plötzlicher Mord.“ Zu wissen, daß dort im Haus eine tote Frau lag, versetzte mich in Schrecken. Kalter Schauer durchrann mich. No-Eyes spürte es, und wir gingen ein Stück weiter auf dieser scheinbar friedlichen Straße, bevor sie halt machte vor einem weißen Cape Cod-Haus. Ich hatte Angst, es anzuschauen, so starrte ich sie an. „Geh weiter“, drängte sie, „es ist nur ein Haus.“ Ich glaubte ihr keinen Moment . Ich hatte diese vergangenen Monate in ihrer strengen Schule nicht verbracht, ohne auch eine Menge über meine Lehrerin zu lernen. Und eines erfaßte ich immer sehr schnell, nämlich, wenn sie mich hereinlegen wollte. Das war ganz eindeutig einer ihrer geschickten Vorwände. Ich warf dem Haus einen kurzen Blick zu und mir schwindelte. Der Ort war von einer schwarzen, wallenden Aura umgeben. Irgend etwas war ganz und gar nicht in Ordnung in diesem unschuldig aussehenden Häuschen. „Da gibt es Tote überall da drinnen!“ platzte ich mit Gefühlen heraus, in die sich Zorn und
Schock mischten. Ein kalter Blick begegnete mir. Noch kühler waren ihre Worte. „Wir gehen sehen.“ Und meine Lehrerin zog mich an der Hand, als wir auf das schwarz verhüllte Haus zuglitten. O Gott, laß mich diese Lektion überleben, flehte ich leise. Aber sie hatte es gehört. „Summer braucht nicht zu bitten. Summer wird da drin nun helfen.“ Oh mein Gott ! Sie führte mich durch die Haustür und hinauf durch das stille Haus. Ich spürte die gewichtige Gegenwart von mehr als einem Geist – mehrere. Wir stiegen in den zweiten Stock und gelangten in ein kleines, hell eingerichtetes Schlafzimmer. Es war ein Kinderzimmer. Und in zwei gleichen Kinderbetten lagen ein zweijähriges Mädchen und ein gleichaltriger Knabe. Sie waren erstickt worden. Mir wurde übel über die Zerstörung solch unschuldigen kleinen Lebens. No-Eyes warnte mich. „Summer nicht urteilen – vorläufig.“ Dann durchquerten wir den Flur und kamen in das große Badezimmer. Wir brauchten nicht erst nach einem weiteren Körper zu suchen. Wir sahen die Mutter der toten Zwillinge nicht wirklich, aber die Spritzer, die immer noch an der Glaswand der Duschentür heruntertropften, sagten genug darüber aus, wer dahinter lag. Mich ekelte, und ich hatte das starke Bedürfnis, mich zu übergeben. Mein Geist, war nicht wirklich in der Lage zu so einem körperlichen Akt, aber er konnte deutlich die gefühlsmäßige Empfindungen des Widerwillens wahrnehmen. Ich floh aus dem Raum, die Treppe hinunter und lief geradewegs in drei verlorene wartende Seelen. In wilder Panik fuhr ich herum und suchte meine Beschützerin. Sie stand oben an der Treppe. „Mach nur, Summer“, kam der frostige Befehl, „geh und hilf ihnen.“ Ich drehte mich um und sah der klagenden Frau ins Gesicht. Die weinenden Kinder klammerten sich an die Beine ihrer Mutter. Ich hatte nicht die geringste Idee, wie ich mit dieser Situation fertig werden sollte. Voll Verzweiflung warf ich flehentliche Blicke No-Eyes zu, um von ihr einen Ratschlag zu bekommen. Es kam keiner. Nichts als Kälte kam. „Summer mach, Summer mach die Sache allein.“ Und mein Beistand verschwand. Mir schwirrte der Kopf, als ich sah, wie ihr Geist sich auflöste. Ich war allein gelassen mit den drei Geistern. Was sollte ich tun? Was, zum Teufel, sollte ich mit ihnen tun? Dann, ohne einen weiteren bewußten Gedanken drehte ich mich langsam zu den traurigen Geistern um und breitete meine Arme aus. Sie verstanden den Wink und schwebten auf mich zu, und wir alle vier vereinigten uns in der Liebesäußerung der Geister. Ihr erbarmungswürdiges Jammern und die verzweifelten Schreie hörten auf. Ich zog mich zurück und führte sie ins Wohnzimmer, wo das Sonnenlicht durch die antiken Spitzenvorhänge flutete. Ich brachte nur ein Wort hervor: „Warum?“ Sie begann durch den hellen Raum zu gehen. „Ich hatte keine andere Wahl, gar keine Wahl. Mein Mann war Vizedirektor einer großen Firma. Er hatte beträchtliche Geldmengen von seiner Firma abgezweigt über die Jahre und er wurde schließlich letzten Monat erwischt.“ Sie rang ihre Hände. „Er ist im Gefängnis und ich hatte keine Arbeit. Man nahm ihm alles, außer dem Haus. Was blieb mir übrig ? Ich versuchte, Arbeit zu finden, aber ich konnte nicht genug verdienen, um die Ausgaben zu decken. Ich wußte nicht mehr ein noch aus. So tat ich das einzige, was mir übrig blieb.“ „Sie hatten unrecht“, sagte ich rund heraus. Sie blieb auf halbem Weg stehen. „Unrecht? Wie können Sie so etwas sagen? Sehen Sie nicht“, schrie sie aufgeregt, „jetzt können wir hier leben und brauchen uns nie mehr um irgend etwas Sorgen zu machen. Es ist bestens, es ist alles
bestens in Ordnung.“ Ich erhob meine Stimme. „Es ist nicht in Ordnung! Sie können nicht hier bleiben!“ reif ich. Sie war überrascht. „Und warum nicht?“ fragte sie hochmütig. Ich wurde ganz ruhig. „Weil dies nicht der Ort ist, wo Sie noch hingehören, darum. Das ist ein stoffliches Haus. Es wurde als bequemer Schutz für leibliche Körper erbaut.“ Ein Schatten der Bestürzung überflog ihr Gesicht. „So?“ „Schauen Sie sich an! Schauen Sie diese Kinder an!“ Ihre Augen suchten den Raum nach ihrem kleinen Knaben und Mädchen ab. Sie erblickte sie gerade zur Zeit, als sie durch eine Wand verschwanden. Sie drehte sich entsetzt wieder mir zu, dann prüfte sie ihre eigenen Hände. Sie hob wie hypnotisch ihre zitternden Hände, um die feste Substanz ihres Gesichts zu fühlen. Da war nichts. „O Gott! Wir sind tot!“ „Rufen Sie nicht ihn an. Sie sind wirklich tot! Sie und Ihre Kinder sind so tot, wie man nur tot sein kann!“ Sie war verwirrt. „Aber das ist nicht der Himmel! Wo ist der Himmel? Wieso sind wir nicht im Himmel?“ „Der Himmel ist in Gott. Der Himmel ist nur für jene mit einem geläuterten Geist. Sie haben hier etwas Unaussprechliches getan. Sie müssen das zur Kenntnis nehmen, bevor wir weitergehen können.“ Sie rannte durch die Wand Ihren Kindern nach. Ich stürmte ihr nach und fand sie im nächsten Zimmer. Sie stand wie versteinert vor Schreck. Sie sah, wie ihre Kinder von ihren wunderschönen Schutzengel-Begleitern bei den kleinen Händchen genommen und durch einen Tunnel von wirbelnden Wolken ins strahlende Jenseits geführt wurden. „Sie gehen weg“, flüsterte sie benommen. „Wohin gehen sie?“ „Ins Jenseits“, antwortete ich sanft. Sie starrte ihnen wie hypnotisiert und hilflos nach. „Gehen sie in den Himmel?“ fragte die Gestalt wie in Trance. Ich legte meinen Arm um ihre Schultern und führte sie zurück in das sonnige Zimmer. „Das kommt drauf an.“ „Auf was?“ „Machen Sie sich keine Sorgen, sie werden in liebevollen Händen sein. Es wird ihnen gutgehen.“ Wir saßen in lastendem Schweigen da; ich gab ihr so Gelegenheit, ihren Dämmerzustand abklingen zu lassen. Als sie mich wieder mit klaren Augen anblickte, fuhr ich fort: „Sie können nicht hier bleiben.“ „Ich muß. Ich habe etwas Entsetzliches da oben getan.“ Sie schaute zur Decke. „Andere Leute werden hierher kommen. Eines Tages werden andere Leute dieses Haus kaufen, und sie werden ...“ Ihre Augen flammten auf vor Zorn. „Nein! Das ist mein Haus! Meines, ich sage ihnen, meines!“ „Sie können dieses Haus nicht besitzen! Sie können nichts mehr besitzen! Sie sind tot!“ Sie streckte ihr Kinn trotzig hervor und antwortete ruhig: „Ich bleibe einfach da und putze und ...“ „Nein! Nein! Nein!“ Höhnisch wandte sie sich mir zu. „Und wer zum Teufel sind Sie, daß Sie so zu mir sprechen?“ Das war schwierig für mich zu beantworten. Ich sah ein, daß die bisherige Methode uns auf keinen grünen Zweig brachte. Ich stand auf, hob meinen Arm, durchtrennte mit meiner Hand die Tischkante. „Wie können Sie ihr schönes, materielles Haus
sauber halten, wenn Sie nicht einmal einen Staublappen halten können?“ Da sie keine logische Antwort darauf wußte, zuckte sie nur mit den Schultern. Ich versuchte eine andere Taktik. „Und was wird mit den anderen Leuten, die hier wohnen werden ? Sie werden Fremde sein“, warf ich sanft ein. „Nein!“ Sie sprang auf ihre Füße. „Ich werde keine Fremden in meinem Haus dulden.“ Ich blieb ruhig und versuchte, dem Gespräch eine andere schmerzliche Wendung zu geben. „Aber Sie sind tot. Und das ist ein materielles Haus für körperliche, lebende Menschen.“ „Ich werde ... ich werde ihnen Schrecken einjagen! Das werde ich tun“, sagte sie mit einem Anflug von Selbstgefälligkeit, „ich werde sie einfach alle verscheuchen und dann das Haus für mich allein haben. „Ihr Gesicht hellte sich auf über die gute Idee. „Das wird lustig sein!“ rief sie wie ein kleiner Kobold aus. Noch größere Ausweglosigkeit. „Und dann?“ drängte ich. „Und dann werde ich glücklich sein.“ „Wirklich? Wer wird über die Jahre verhindern, daß der Staub sich auf allem ablagert? Wer wird Ihr hübsches Haus vor dem Verfall bewahren?“ „Nun ... ich kann nicht ... ich kann mich nicht darum kümmern“, gab sie zu. Dann fiel mir das schlagkräftigste Argument ein: „Und niemand wird Lust haben, in Ihrem baufälligen Haus zu wohnen. Niemand wird je Ihr Spuk-Haus kaufen. Man wird es abreißen. Man wird keinen anderen Ausweg haben, als es dem Erdboden gleich zu machen.“ „O Gott!“ Endlich gelang es mir, das Eis ein wenig zu brechen. „Dann werden Sie also kein Haus haben. Bedeutet Ihnen dieses Haus mehr als Ihre Kinder?“ „Sehr charmant“, schnappte sie höhnisch ein. „Finde ich auch, aber das ist genau, was Sie mir die ganze Zeit erzählt haben.“ Sie dachte darüber nach. Und das Eis schmolz unter Verzweiflungsschreien. Ich ließ ihrem Redefluß freien Lauf. „Möchte Sie bei Ihren Kindern sein oder in diesem Haus?‘ „Bei meinen Kindern“, schluchzte sie. „Also, dann gehen Sie!“ Sie hob ihren Kopf in neuer Hoffnung. „Aber wie kann ich dorthin gehen, nachdem ich so gesündigt habe? Muß ich nicht hier bleiben? Bin ich nicht an diesen Ort gebunden nach dieser schrecklichen Untat?“ Ich schüttelte mitleidsvoll den Kopf. „Das Jenseits ist für alle Geister. Man wird Sie lieben und Ihnen durch alle Schwierigkeiten helfen. Da werden andere sein, die Ihnen zeigen, was Sie als nächstes tun müssen – was erforderlich ist, um Ihr jüngstes Vergehen aufzuwiegen.“ Diese Mitteilung über die Wirklichkeit der Geistwelt war ihren eigenen früheren Vorstellungen vollkommen fremd. Sie brauchte genauere Erklärungen. „Ich werde also nicht verurteilt und die Hölle geschickt werden?“ Ich lächelte sie an. „Oh, Sie werden schon ein Urteil erhalten, aber Sie werden ganz sicher nicht in die Hölle geschickt. Ich kann Ihnen fest versprechen, daß das nicht geschehen wird. Sie werden sich selbst beurteilen!“ Sie wälzte diese neue Idee in ihrem Kopf. Sie hatte sich entschieden. „Wie soll ich das tun? Wie komme ich von hier dorthin? „Dann wollen Sie also nicht in diesem Haus bleiben?“ „Wenn ich bei meinen Kindern sein kann, dann auf keinen Fall!“ Sie war tränenüberströmt. „Worauf warten Sie, gehen wir!“ Da, als ob eine geheime Tür sich öffnete, als ob ihr Verlangen auf mystische Weise
einen geistigen Schalter berührt hätte – plötzlich hatte sich ein anderes Wesen zu uns gesellt. Der persönliche Begleiter-Engel der Frau zeigte sich ihr. Er legte seine tröstenden Arme um sie und führte sie zum leuchtenden Tunnel, der sich gebildet hatte. Am Ende standen ihre beiden Kinder im strahlenden Licht. Sie riefen nach ihr. Ihre Stimmen klangen wie von weit her. „Mama? Mama!“ Die Frau vergaß ihren hilfreichen Begleiter und rannte durch den wirbelnden Tunnel. „Meine Kinder! Mama kommt!“ Der freundliche Mann in einem waldgrünen Umhang stand am Tunneleingang und schaute zu, wie sein Schützling heim lief. Er drehte sich mir zu und nickte mir dankbar zu, bevor er auf die andere Seite hinüber ging. Ich war müde. Aber ich war auch stolz auf mich. Die Frau war der erste Geist, den ich auf seinen Weg gesandt hatte. Ich seufzte und hielt nach No-Eyes Ausschau. Ich mußte nicht weit suchen. Sie stand direkt hinter mir. „Nun?“ fragte ich, etwas aufgeplustert vor Stolz. „Wie habe ich es gemacht?“ „Recht“ antwortete sie mit einem Achselzucken. Was für eine Ernüchterung. „Nur recht? Ist das alle?“ „Summer hat gute Arbeit gemacht für den Geist. Summer muß eines Tages solche Orte in körperlicher Wirklichkeit aufräumen.“ „Was?“ „Summer hört plötzlich schlecht? Ich sage, Summer und Bill werden Orte in Colorado aufräumen, Orte mit in Verwirrung geratenen und ruhelosen Geistern von Indianern und Weißen. Summer tut das im körperlichen Leben.“ „Wann? Wo?“ „Das ist Sache für einen anderen Tag. Das ist nicht für jetzt. Wir gehen jetzt.“ Sie löste sich auf. Und das war es. Ich war so stolz auf mich, daß ich das Haus vom verwirrten Geist der armen Frau befreit hatte. Ich war sicher, daß No-Eyes damit einverstanden war, daß ich meine Sache gut gemacht hatte. Aber schließlich tat ich solche Dinge nicht, damit sie mir auf die Schulter klopfte, ich tat sie, um zu lernen. Und ich lernte tatsächlich. Ich verließ ebenfalls das Haus und fand sie auf einem schattigen Randstein sitzend. „Und was nun?“ „Setz dich“, befahl sie, „es kommt schon.“ Ich setzte mich neben sie und sah eine alte Dame die Straße überqueren. Bevor mir bewußt wurde, was geschah, raste ein Auto in halsbrecherischer Geschwindigkeit um die Ecke und überfuhr die Frau. Ich fuhr auf. No-Eyes riß mich unsanft zurück. „Summer kann nichts tun. Sie ist tot. Siehst du ?“ Ich schaute zu, wie eine Menge an der Unfallstelle zusammenlief. Und dort, unmittelbar oberhalb des schwer verletzten Körpers war die schöne, ätherische Gestalt der Frau. Sie hob ihre Hand hoch. Eine andere ergriff sie, und auch sie wurde schnell in die andere Dimension, die als das zukünftige Leben bekannt ist, weg gehoben. „Das ging so rasch!“ rief ich aus. „Ja. Sie war bereit.“ Der Krankenwagen kam an, und ein Team von eifrigen Sanitätsleuten bemühte sich mit äußerster Anstrengung um sie. Sie versuchten heldenhaft, das Leben der blutüberströmten, zerschmetterten Frau zurückzurufen. Sie konnte aber nichts hören. Es kümmerte sie nicht mehr. Wie war schon weit weg. No-Eyes erhob sich. „Wir werden noch zwei weitere Orte sehen.“ Ich folgte ihr in ein gelbes Farmerhaus. Dort war viel los. Kinder spielten. Hunde rannten herum. Der Vater arbeitete im Keller an einer neuen Holzverkleidung, und die Mutter war dabei, ein umfangreiches Abendessen zuzubereiten. Das alles schien
sehr natürlich – niemand war tot. Aber, so wie ich meine Lehrerin kannte, stellte ich mir vor, daß gleich etwas passieren mußte. Ich folgte ihr ins Wohnzimmer, wo die Kinder einander herumjagten. Sie stürmten wild herum, bis das kleine Mädchen sich in einem Lampenkabel verfing und ihr Kinn auf einer Tischkante aufschlug. Sie zog sich eine häßliche, klaffende Wunde zu. No-Eyes eilte mit mir in die Küche. Die Mutter hatte das Kind laut schreien gehört. Sie zuckte zusammen und schnitt sich mit dem Messer tief in den Finger. Unten führte der Vater, ohne etwas vom Lärm über ihm bemerkt zu haben, die Säge sorgfältig über eine präzis vorgezeichnete Linie. Er stieß einen Fluch aus, als ein Holzsplitter in sein Auge flog. No-Eyes verließ das Haus. „Ich bin froh, daß ich nicht an dieser Straße wohnen muß!“ seufzte ich. „Viele Straßen werden wie diese sein. Das ist keine ungewöhnliche Straße in Zukunft. Das wird eine normale Straße sein in Zukunft.“ Wir waren wieder einmal unterwegs und bewegten uns durch Dunkelheit fort. Wir unterhielten uns beim Weitergehen. „Ich weiß, was dies alles bedeutet. Du brauchst mir nicht einmal etwas zu erklären.“ „Gut. Summer sagt No-Eyes, was das alles bedeutet.“ „Der Park, der Vergnügungspark, sollte mir die Unfälle zeigen, die sich in Zukunft ereignen werden. Der Milchmann zeigte, daß es mehr Morde geben wird, die Frau, die ihre Kinder und dann sich selber umbrachte – das wird häufiger geschehen. Und die alte Frau, die überfahren wurde ...“ „Warte! Summer hat hier etwas ausgelassen.“ „Wirklich?“ Ich dachte an alles, was mir gezeigt worden war, konnte aber nichts anderes finden. „Nein, ich habe nichts ausgelassen.“ „Denk noch einmal nach, vorwitziges Plappermaul.“ Noch einmal ging ich alle Ereignisse durch. Mir fiel nichts ein. „Warum hat die Frau sich und den Kindern das leben genommen?“ Ich ließ das Gespräch von vorher noch einmal ablaufen. „Weil ihr Mann im Gefängnis war.“ „Warum?“ „Wegen Unterschlagung und Diebstahl in seiner Firma.“ „Ja. Man wird Wege finden müssen, um betrügerische Geldaffären abzuwehren, erinnerst du dich? Leute in hohen Posten werden bei der Arbeit schlimme Dinge tun.“ „Das nennt man Wirtschaftsverbrechen.“ „Es ist mir gleich, wie man das nennt! Es wird oft vorkommen. Das ist alles, was ich weiß. Das ist, was No-Eyes sieht. Das hat Summer in ihrem Bild ausgelassen.“ „Also, da wird es schreckliche Unfälle in Vergnügungsparks geben, mehr Morde und mehr Selbstmorde. Auch Wirtschaftsverbrechen und tödliche Unfälle von Fußgängern werden häufiger passieren. Unfälle im Haus werden auch vermehrt vorkommen. No-Eyes, gibt es überhaupt sonst noch etwas, was sich ereignen könnte?“ „Da, schau!“ Wir hatten ein Krankenhaus betreten. Wir standen in der Nähe eines Schwesternzimmers und lauschten den leise gesprochenen Worten. „Man hat endlich herausgefunden, was das kleine Schmid-Mädchen hat. Die Tests waren positiv für Beulenpest. Das ist der neunzehnte Fall in diesem Monat!“ Ich war restlos verblüfft. Daran zu denken, daß so gefürchtete Krankheiten wieder auftauchen würden in unserer modernen Zeit, war, gelinde ausgedrückt, eine Katastrophe. Ich wandte mich No-Eyes zu für einen Kommentar. Sie war aber nirgends zu sehen.
Aber ich wußte, wo sie war. Und ich dachte sofort an die Hütte. Der vertraute Ort war ein Trost. Ich schaute herum und sah sie in der Küche, wie sie geschäftig eine neue Sorte von ihren eigenen Spezialitäten aufgoß. Ich nahm mir die Zeit, um meine leibliche Gestalt zu mustern. Es war jedes Mal ein rechter Schock gewesen, den eigenen Körper vom Geist getrennt zu sehen, aber nun war ich daran gewöhnt. So schwebte ich über meinem körperlichen Kopf, und bevor ich herunterkam, sah ich No-Eyes mir zunicken. Ich öffnete meine Augen und streckte mich. Sie brachte die dampfenden Teetassen in den Wohnraum und stellte die meine auf die Armlehne des Sofas. Sie setzte sich in den Schaukelstuhl. „Nun?“ flüsterte sie. „Nun, das war eine lange Reise.“ Sie zuckte die Schultern. „Das war so, wie es ein wird, Summer.“ Sie nippte am dampfenden Tee. Ich fand es ziemlich widersinnig, hier zu sitzen und einfach Tee zu trinken, unmittelbar nach einem Blick in eine solch grausige Zukunft der Menschheit. „Ich glaube nicht, daß ich davon was abhaben will“, sagte ich und nahm die Tasse, um sie zurückzuweisen. „Trink aus“, redete sie mir zu, „Summer wird sich besser fühlen.“ „Das ist wie sich abwenden.“ „Nein. Das ist nur hinnehmen, das ist alles. Summer kann ohnehin nichts ändern.“ Sie hatte einen Punkt gewonnen. Ich schlürfte das sanft belebende Gebräu. Es schien sofort meinen Geist zu heben. Ich warf ihr einen schalkhaften Blick zu. „Was ist da drin?“ Sie zwinkerte mir zu. „Summer muß nicht wissen.“ „Ich kann es erraten“, neckte ich sie ebenfalls. „Vergiß nicht, du hast mir die Rezepte für ungefähr alles beigebracht, eingeschlossen die Muntermacher!“ „Schsch! Summer sag das nicht so laut!“ Ich lachte über ihre plötzliche Geheimnistuerei. „Was ist los? Glaubst du, die Polizei horche draußen an der Tür?“ neckte ich sie. „Wir kommen auf diese Sachen ein anders Mal. Trink aus. Sei still!“ Sie blickte verstohlen im kleinen Zimmer herum, schaute in meine Augen, und mit einem breiten Lächeln entblößte sie ihr rosa Zahnfleisch. Sie spielte Theater, aber hinter einer spielerischen Fassade war es ihr gar nicht zum Spaßen – sie war todernst Kapitel 5 - Atem Holen Atem holen Der Neugeborene schöpft tief Atem – Atemzüge, die große Kraft und Stärke entfalten Meine letzten beiden Wochenenden waren äußerst niederdrückend gewesen. Die schwere Bürde meiner Lektionen hatten ihr Gewicht immer drückender auf mein empfindsames Gemüt gelegt. Was ich dringend nötig hatte, war eine Pause von meinen Phönixlektionen an einem Wochenende. Aber No-Eyes wollte mir diesen Luxus nicht gewähren. Sie wollte den Phönixstoff in aufeinanderfolgenden Besuchen abschließen. Ich glaube, daß es für sie ebenso schwierig war, ihn zu unterrichten, wie für mich zu lernen. Es war hart, die unerfreuliche Zukunft zu erörtern. Aber es würde noch härter sein, sie durchzustehen, wenn die Zeit kam. Sie erklärte am Anfang dieser Lektionen, daß ich, selbst wenn es Hinweise gab für den Zeitpunkt eines jeden der zukünftigen Ereignisse, nicht ermächtigt war, diese zu
preiszugeben. Sie nannte zwei ausgezeichnete Gründe dafür. Der erste hatte zu tun mit der Angst, die man in die Herzen der Menschen pflanzt. Diese Angst wäre eine unmittelbare Folge, wenn ich Daten und Stundenplan von Katastrophen enthüllen würde. Gäbe ich diese Daten preis, wer würde sich noch die Zeit nehmen, die Warnzeichen zu lesen ? Diese Zeichen sollten die Menschen vorbereiten, die aufmerksam und wach genug sind, um sie ernst zu nehmen, die Warnzeichen zu lesen ? Diese Zeichen sollten die Menschen vorbereiten, die aufmerksam und wach genug sind, um sie ernst zu nehmen und die notwendigen Schritte zu tun zur Selbsterhaltung und zum Überleben. Mehr als einmal sagte sie, daß am Ende, nach den letzten Zerstörungen, der Große Geist nur die Seelen einbringen würde, die genügend bereit waren, zu hören und auf die vielen Zeichen, die gegeben worden waren, zu achten. Der zweite Grund hatte mit dem Wahrscheinlichkeitsgesetz zu tun. Vereinfacht heißt das, daß ein Zeitpunkt, auch wenn ein bestimmtes Datum für das Eintreten eines Ereignisses vorgesehen ist, wegen der direkten Einwirkung vieler entscheidender Faktoren variieren kann. Klar ausgedrückt: Es gibt viele Einflüsse, die ein vorgesehenes Datum ändern können. Ein Beispiel dafür war Bill, als sein Todesdatum abgeändert wurde. Sie sagte, das Datum sei zwar durch mein eigenes, unabsichtliches Eingreifen geändert worden, aber dies garantierte uns in keiner Weise, daß es nicht ein anderes Mal eintrete. Es ist wahr, No-Eyes versicherte uns, daß sein endgültiges Todesdatum noch sehr lange nicht kommen werde, aber das schließt die sehr greifbare Möglichkeit nicht aus, daß Gott ihn direkt zu sich ruft – wie dies so oft geschieht. Es ist also klar, daß es reine Torheit wäre, ein genaues Datum für irgendein zukünftiges Ereignis zu geben. Ein wissender Mensch darf nie einem solchen vorausgesagten Datum Glauben schenken, ohne die Möglichkeit einer dramatischen Änderung durch zahllose, wahrscheinliche Eingriffe in Betracht zu ziehen. Nun, werden Sie sagen, hier gibt es einen Lichtblick in einer dunklen Angelegenheit. Vielleicht werden dann die katastrophalen Geschehnisse überhaupt nicht eintreten. Vielleicht werden genügend Faktoren die schrecklichen bevorstehenden Dinge ablenken. Es tut mir leid, aber sie werden passieren. Das einzige, was sich möglicherweise ändern könnte, ist die Reihenfolge ihres Auftretens. Und es besteht auch die Möglichkeit, daß alle von No-Eyes vorhergesehenen Ereignisse gleichzeitig eintreten könnten. Wir müssen auf die Zeichen achten, die mit Sicherheit kommen. In den friedlichen Nächten während der Woche besprachen Bill und ich diese Dinge. Die Welt wäre tatsächlich ein Chaos, wenn die Ereignisse alle auf einmal eintreten würden. Wir redeten ausgiebig darüber und kamen zu dem Schluß, daß die meisten Ereignisse nacheinander passieren, außer einigen, die gleichzeitig auftreten würden. Wir waren beide damit beschäftigt, unsere Langzeitpläne für unsere persönliche Zukunft zu machen. Wir hatten den Fingerzeig von No-Eyes angenommen und begannen so zu leben, was sie die Erdenweise nannte. Wir hatten schon lange aufgehört, Fleisch zu essen, nicht nur wegen der vielen darin enthaltenen Karzinogene, sondern weil Fleisch auch den Magen belastet und den leiblichen Körper in einen Zustand der herabgesetzten Vibration bringt, und zudem wollten wir nicht länger unschuldige Tiere verspeisen. Als direkte Folge davon verbesserte sich unsere Gesundheit spürbar, und wir erlebten einen Zuwachs an allgemeiner Vitalität und Wohlbefinden. Ich lernte, meine eigenen Kräutermedizinen zu mischen, nachdem mir No-Eyes sorgfältig ihre kniffligen Methoden der peinlich genauen Zubereitung beigebracht hatte. Und sogar die Körperpflegemittel unserer Familie waren hausgemacht. Meine Küche war randvoll mit Glasbehältern, die mit über fünfzig verschiedenen Kräutern, Destillaten, Tinkturen und Ölen gefüllt waren.
Wir pflegten uns bis lange in die Nacht zu unterhalten, ob wir ein abgelegenes Stück Land in den Bergen kaufen sollten. Und natürlich besprachen wir den Betrieb unseres beabsichtigten Gewächshauses, wo vielerlei Kräuter und Gemüse wachsen würden. Wir sprachen nie über große Häuser oder materiellen Besitz. Wir hätten wenig Gebrauch dafür in Zukunft. Die unumgänglichen Notwendigkeiten waren zuerst und an vorderster Stelle in unseren Gedanken. Es fiel mir sehr schwer, mich während der alltäglichen Routinearbeiten zu entspannen, da die dunklen Voraussagen von No-Eyes dauernd durch alle Winkel meines Kopfes geisterten. Für mich näherte sich die Welt dem Rand ihres endgültigen Niedergangs. Mein Herz war und blieb schwer. In meinem Geist durchwanderte ich die ganze Zeit all die schrecklichen Szenen unserer Astralreisen. Und ich war und blieb niedergeschlagen. Ich kann gar nicht richtig vermitteln, wie elend mir war. Es war schwierig für mich, meine volle, bewußte Aufmerksamkeit den weltlichen Dingen des täglichen Lebens zu widmen, wenn sie unerwartet gestört wurde durch plötzliche, aus dem Unterbewußten aufblitzende Bilder der Zerstörung und Verzweiflung. Es war schwierig, die abendlichen Nachrichten anzuhören, ohne ein ersten Anzeichen zu erkennen, oder die Zeitungen zu lesen und dort noch mehr Zeichen zu finden, die an ominöser Häufigkeit zunahmen. Und das Gefühl der unglaublichen Zeitnot folgte mir überall hin. Ich lag nachts im Bett und verspürte große Sorge für all jene, die die kommenden Schrecken erleben würden. Ich hörte ihre qualvollen Schreie. Ich spürte ihre akuten Schmerzen. Und am allerschlimmsten – ein unheimliches Kribbeln auf meiner Haut kündigte an, wenn meine Aura das Nahen des eiskalten Drucks von der knapp werdenden Zeit wahrnahm; es war, als ob ein Riesenschraubstock aus dem All die Erde einklemmen würde. Ich konnte beinahe das Quietschen seines massiven Gewindes hören, das sich drehte und drehte. Ich kam öfters an einen Punkt so schwer lastenden Mitgefühls, daß ich in die Berge entfliehen mußte, um es los zu werden, sonst wäre ich durchgedreht. Während der Woche fuhr ich los. Bill sagte, ich solle weggehen und irgendwohin fahren. Wenn ich meine Mädchen zur Schule gebracht hatte, stieg ich in unsere zuverlässige „Betsy“ und mußte nicht lange nachdenken, wohin ich gehen solle. Auf meiner Fahrt auf dem Highway 67 nahm ich mir Zeit, die strahlende Sonne des Frühherbstes wahrzunehmen, die durch die goldenen Blattnerven der zitternden Espen schien. Die Berge standen buchstäblich in Flammen. Ich konnte nicht warten, mein Ziel zu erreichen, da ich wußte, daß ich als neuer Mensch heimkommen würde – leer, aber voll neuer Kräfte. Ich fuhr einige Kurven auf wenig befahrenen Straßen hinunter. Mein Herz klopfte heftig vor Vorfreude. Bald konnte ich nicht mehr weiterfahren, und ich ging durch einen weiten Kiefernbestand, einen steilen Hügel hinauf und wieder abwärts durch ein schimmerndes Espenwäldchen. Als die vertraute Stimme des Flusses mir zurief, wußte ich, daß ich fast angekommen war. Ich kam um eine Wegkrümmung und trat in den heiligen Tempel der Natur, der voller Mitgefühl und Anteilnahme meinen von Herzen kommenden Seelengesang aufnehmen, ihn auf den Flügeln des Windes hinauftragen und ihn zu Füßen Gottes breiten würde. Der Rest der Woche verging im Flug, und wieder stand ein Wochenende mit meiner alten Lehrerin bevor. Die Tage blieben sonnig und frisch. Einige der wunderschönen Espen verloren ihren Willen, wach zu bleiben. Sie ließen unbekümmert den Wind ihre goldenen Hüllen fortwirbeln. Sie hatten anderen von ihrem Reichtum gegeben, nun legten sie ihre Seele bloß und nickten ein in den Schlaf, bis der sanfte Frühlingshauch ihnen wieder zart über die Schultern blies.
Doch da blieb noch genügend Herbstschönheit, um die Stadtbewohner nach Woodland Park und in die Gegend von Cripple Creek hinauf zu locken. Sie kamen jetzt an jedem Wochenende. Sie standen am Straßenrand und fotografierten in alle Richtungen. Ich machte nie Aufnahmen meiner Lieblingsjahreszeit. Die Bilder waren blaß und flach im Vergleich mit der lebendigen Natur. Außerdem machte ich im Geist ununterbrochen Filmaufnahmen dieser wunderbaren Umgebung, und ich konnte sie wieder ganz in dreidimensionalem Rahmen abspielen lassen, wann immer ich sie sehen wollte. Die späten Septembermorgen konnten beißend kalt sein in den Bergen oben. Aber ich fuhr mit offenem Fenster, damit der Wind mein Haar zerzausen und mein müdes Wesen mit frischem Geist füllen konnte. Der Wind, der das Innere meines Wagens durchpustete, verbreitete den Geruch des Wandels. Er brachte klare Bilder der frohen Tage des Holzsammelns mit der Familie und der Sammeljagd nach Föhrenzapfen. Er beschwor Bilder von flinken Rehen und Elchherden herauf. Bilder kamen von Bill und mir, wie wir durch stille Nächte und leise fallenden Schnee wanderten, und von warmen, dunklen Abenden, wo wir uns behaglich vor das prasselnde Kaminfeuer kuschelten. Wegen dieser geistigen Bilder nahm ich den Wind als Tramper gerne auf und ließ ihn ab diesem Tag als Passagier bis zu NoEyes Haus mitfahren. Und wegen dieser Bilder fühlte ich mich so unerhört beflügelt, daß ich durch die Hüttentür der alten Frau rannte. Ich warf die Tür fast aus ihren rostigen Angeln. Sie strickte in ihrem Schaukelstuhl vor dem Kamin. „Summer bläst herein wie Winterwind!“ kicherte sie. Ich liebte es, wenn sie lachte. „Hast du das gern?“ zwitscherte ich. „Ich kann es wiederholen!“ Und ich machte kehrt, um meinen großen Auftritt noch einmal über die Bühne gehen zu lassen. „Nein! Summer läßt die Wärme hinaus! Komm rein!“ „Spielverderberin, ich wollte dich doch nur noch einmal lachen sehen.“ Ich legte mein Cape ab, kniete neben ihren Stuhl und hob die Hände in die Nähe des Feuers, das gemütlich knisterte und krachte. Sie fuhr fort zu stricken, als ob ich nicht anwesend sei. Ich schaute zu, wie die Schatten des Feuerscheins einen lebhaften Tanz an den rauchgeschwärzten Holzwänden vollführten. Zuweilen war die Ruhe zwischen uns ein unbezahlbarer Schatz. Wir verharrten in unserer abgeschiedenen Stille noch mehrere Minuten. Dann sandte das Geräusch des ständigen Rumpeln und Quietschens seine lauten Signale durch die Stille. Ich wandte mich ihr zu. Sie hatte das Strickzeug in den Schoß gelegt und starrte vor sich hin. Ich war in unbeschwerter Stimmung. „No-Eyes“, begann ich, „können wir nicht eine Pause machen dieses Wochenende und nur am Feuer sitzen und uns entspannen?“ „Das wäre schön, Summer“, antwortete sie sanft. „Gut, du bleibst, wo du bist, und ich mache uns Tee.“ Ich sprang rasch auf und ging in die Küche. „Aber wir werden das nicht tun.“, sagte sie mehr zu sich selber. Ich erstarrte. „Was? Was hast du gesagt?“ Sie bedeutete mir zu kommen und ihr Strickzeug beiseite zu legen. Ich tat es. „Wir machen weiter. Wir müssen dieses Zukunftsthema zu Ende bringen. Dann können wir beim Feuer sitzen und Tee trinken.“ Ich schöpfte Mut. „Du meinst, wir werden heute fertig?“ Die Alte zog schlurfend ihren Stuhl vom Feuer weg zum Sofa. Sie forderte mich auf, es mir bequem zu machen, und antwortete dann: „Ich habe das nicht gesagt. Wir werden vielleicht noch etwa zwei Wochenenden brauchen,
dann werden wir mit dem Zukunftsthema durch sein.“ Mein Herz sank wie ein Bleigewicht. „So lange?“ „Das ist nicht so lang. Es geht ziemlich schnell, Summer wird sehen.“ Ich seufzte. Sie warf mir einen jener seltsamen, wissenden Blicke zu. „Summer benimmt sich, als ob sie das Gewicht der Erde auf ihren Schultern tragen müßte.“ „Das mußte ich auch. Ich mußte wieder in die Berge hinauffahren letzte Woche.“ Sie ließ ihren Kopf voller Verständnis sinken. „Das tut mir leid“, sagte sie tröstend. Dann: „No-Eyes muß trotzdem ihre Sache beenden hier.“ „Ich weiß. Du hast die Aufgabe, mir mitzuteilen, und ich habe die Aufgabe, zuzuhören. Es ist schon in Ordnung. Es geht mir gut.“ Ich streckte die Hand aus und tätschelte ihr Knie. Sie nahm meine Hand. „Summer nicht nur zuhören, Summer muß den Menschen weitererzählen. Die Leute werden die Zeichen an der Wand nicht verstehen, wenn sie sie sehen. Die Leute müssen alle Zeichen kennenlernen. Die Menschen müssen wissen, daß der Phönix erwacht.“ Ich rieb ihre knochig Hand. „Wenn du so sagst, werde ich es versuchen.“ „Summer muß versuchen, weil Summer dazu da ist. Nicht nur, weil No-Eyes sagt.“ „ja, ich sagte, ich würde es versuchen, aber ich will nicht, daß man von mir sagt, ich sei eine Schwarzseherin. Ich habe dir das schon einmal gesagt.“ Sie tätschelte darauf meine Hand und setzte sich in ihrem Schaukelstuhl zurecht. „Dann soll Summer den Leuten sagen, daß No-Eyes diese Unheilsverkünderin sei.“ Ich schüttelte meinen Kopf. „Das wäre nicht recht von mir. Ich glaube, wir beide sind es dann.“ Sie zuckte die Achseln. „Das ist Summer überlassen.“ „Du tust deinen Teil, und dich werde meinen tun.“ „Das ist alles, was wir tun können, Summer. Das ist das, wozu wir hier sind.“ Dann wurde es still zwischen uns; eine tiefer werdende, ahnungsvolle Stille, die sich heimlich zwischen uns geschlichen hatte. Ich spürte, daß etwas Schweres auf ihr lastete, das nichts mit meiner gegenwärtigen Lektion zu tun hatte. „Plagt dich etwas heute? Fühlst du dich in Ordnung?“ „Es geht mir gut“, antwortete sie mit leiser Stimme. „No-Eyes, was ist los? Drängte ich. Der Schaukelstuhl redete zu mir, als ich auf die Antwort der Frau wartete. Das Rumpeln und Quietschen war eine Vorwarnung für den Ernst der Sache. Ich wartete einige schwere Minuten. „Summer“, begann sie weich. „Ja?“ „Da gibt es etwas Wichtiges, das ich dir sagen muß. Es geht um dich. Ich werde nicht immer dasein. Ich muß es dir sagen, bevor es zu spät ist.“ Ich hatte diesen Ton nicht gern. Ich dachte, sie würde über den Tag berichten, wenn sie die Berge verlassen – mich verlassen würde. „Wir haben schon über dein Weggehen gesprochen. Ich will nichts mehr darüber hören.“ „Es ist nicht diese Sache. Es ist über dich.“ „Mich?“ Sie nickte traurig. „Dinge über meine Zukunft?“ „Nein. Über deine Vergangenheit.“ „Oh.“ Ich war erstaunt, daß sie meine Vergangenheit erörtern wollte. Gewöhnlich betrachtete sie das Reden über die Vergangenheit als Vergeudung wertvoller Energien der Gegenwart. Die Vergangenheit war immer unwichtig, es war die Gegenwart und die Zukunft, die sie als sehr wertvoll einstufte.
„Summer, erinnerst du den Tag, als No-Eyes Indianerfreund Summer die Geschichte über She-Who-Sees erzählte?“ Ich strahlte bei der Erinnerung. „Ja! Das war damals, als ich herausfand, daß sie vor langer Zeit meine Urahnin gewesen war. Das war wirklich ein großer Tag für mich.“ Sie fingerte nervös an ihren Rockfalten herum. „Nun, Summer ... No-Eyes Freund erzählte die Sache nicht ganz so, wie sie wirklich war. Er hat nicht einmal alles gesagt. Er änderte die Geschichte ein ganz klein wenig, weil er dachte, Summer sei noch nicht bereit für die ganze Geschichte. Er hat Summer mit dem, was er sagte, irre geführt.“ Das wurde spannend. „Du meinst, er hat mich angelogen?“ „Er hat es nicht eigentlich gewollt, aber das, was er ausgelassen hat, ist jetzt wichtig. Er sagte, She-Who-Sees sei Summers Urahnin – sie ist es nicht.“ Die Frau machte eine Pause, während die Worte in mich eindrangen. Sie trafen mich hart. „Was?“ „Beruhige dich. Ich werde die Sache richtigstellen.“ „Das hoffe ich wirklich sehr! Wenn sei nicht meine Urahnin war, wer war sie dann?“ Stille machte sich in der Hütte breit, wie ein lebendes, atmendes Wesen. „No-Eyes?“ Sie antwortete mit einem leisen, sanften Flüstern: „Du.“ „Ich!“ rief ich aus mit einem Ausbruch des Unglaubens. „Ich?“ Sie nickte ruhig. Ihre weisen Augen weiteten sich. „Summer, du hast deine letzten zwei Leben als Vollblut-Shoshoni-Indianerin gelebt. Du weißt schon über dein Leben, das du als Sequanu gelebt hast, aber in deinem letzten Leben warst du SheWho-Sees. Summer, erinnerst du dich, daß She-Wo-Sees sagte, sie sehe jemand in der Zukunft, die wie Sommerregen auf heißen, trockenen Ebenen sein wird? Das bist du, jetzt in diesem Leben. Als Summer das erste Mal in die Wälder von No-Eyes kam, noch bevor No-Eyes auch nur ein Wort zu dieser so traurigen Frau gesprochen hatte, hat No-Eyes weit zurück in die Vergangenheit dieser Frau geschaut. No-Eyes sah She-Who-Sees, No-Eyes sah, daß sie wieder als einsame, traurige Frau in meine Wälder kommen würde. Das allerwichtigste ist, daß No-Eyes den wahren Auftrag der Frau erkannt hat, warum sie hierher geführt worden ist.“ Ich war völlig benommen an Körper und Geist. Ich konnte für ein paar Minuten keine Worte finden; dann, als mein Geist allmählich wieder wurde, schloß ich meine Augen und erblickte die großen, schwarzen Augen von She-Who-Sees, die unwiderstehlichen, dunklen Teiche, die mich früher in meinen Traumfetzen verfolgt hatten, Augen, die mich in den wirbelnden Strudel meiner jetzigen Umstände hinein gezogen haben. Aber ich war zugleich verärgert. Hier saß ich nun und glaubte, diese Indianerin in meiner Vergangenheit sei meine Ahnin gewesen und dabei war sie ich selbst in meinem letzten Leben! Ich war gleichzeitig verwirrt und verletzt. No-Eyes spürte meine angespannte Miene. „Summer muß sich nicht schlecht fühlen. Summer, die Menschen müssen die wichtigen Sachen erfahren. Das Blut ist nicht wichtig. Das!“ sie klopfte sich auf ihre magere Brust, „das ist es, was am wichtigsten ist! Hör gut zu. Das ist eine wichtige geistige Lektion.“ Ich spürte, wie die Vibrationen sich zerstreuten, als sie begann, mir eine neue spirituelle Wahrheit zu eröffnen – eine Anschauung, mit der ich noch nicht vertraut war. „Summer ist so bekümmert, daß sie nicht ein Vollblut ist! Blut bedeutet überhaupt nichts! Hört zu. Geist, Seele, das ist das wichtigste.“ „Ich weiß das. Die Seele kommt immer zuerst.“ „So! Wenn die Seele zuerst kommt, warum kümmert es die Leute, wer sie sind in bezug auf ihr Blut? Summer war Vollblut-Shoshoni in zwei Leben! Das gilt etwas!
Summer war zuerst Sequanu und dann She-Who-Sees. Jetzt, gerade jetzt hat Summer was man einen Überträgergeist nennt. Summer hat indianische Überträgerseele! Deshalb bist du eins mit dem Wälder. Deshalb hast du so geweint über die indianischen Völker. Deshalb bist du sogar zu No-Eyes Hütte geführt worden! Es ist die indianische Überträgerseele, die Summer jetzt so zur Indianerin macht!“ Diese Anschauung war neu und verwirrend für mich. Aber die Art, wie sie sie darlegte, ließ sie mir als richtig erscheinen. Ein flüchtiger Gedanke tauchte in mir auf. No-Eyes wurde ihn gewahr, bevor er wieder verschwand. „Mach nur, sag NoEyes, was dir eben in den Sinn gekommen ist.“ „Ich erinnerte mich, als ich dich zum erstenmal sah, als ich zu dir in die Hütte kam und dir in die Augen schaute, daß ich etwas sah, was ich noch nie in den Augen von sonst irgend jemandem früher gesehen hatte. Ich erinnere mich, daß ich den Eindruck hatte, ich schaue in die Augen von She-Who-Sees, und daß du sagtest, was ich sehe ... sei ich selber. Jetzt verstehe ich.“ Die Alte schloß einfach ihre Augen und nickte. Ich war tief in Gedanken versunken und dachte über meine indianischen Vorfahren nach, die vor so langer Zeit gelegt hatten. Ich erlebte ein phantastisches Rätsel. Ich verstand den verwickelten Mechanismus der Situation, aber gefühlsmäßig war ich mir nicht sicher. Meine Lehrerin hatte mich gefragt, ob ich verstanden habe, und meine einzige wahrheitsgetreue Antwort hätte nichts anderes sein können als: „Ich glaube.“ Sie reckte ihren Kopf. „Summer glaubt No-Eyes nicht? „Oh, ich glaube dir. Es ist nur so fremdartig, das ist alles.“ „Viele Menschen heute haben eine Überträgerseele. Es ist nicht so neu.“ „Offensichtlich nicht“, stimmte ich zu. „Aber es ist auch nicht gerade Allgemeingut.“ „Es gibt auch noch andere spirituelle Wahrheiten, die noch nicht bekannt sind.“ Sie dachte, ich benötige weitere Beweise dafür. Eine Flut von Fragen folgte. „Wo lebte Summer, bevor sie hierher kam?“ „An verschiedenen Orten in Michigan; Westland, dann Marquette.“ „Warum ist Summer nicht dort geblieben?“ „Da waren keine Berge. Ich brauchte die Berge. Ich war zu ruhelos ohne sie.“ Ihre Augen funkelten. „Summer lebte während zwei Leben in den Bergen. Summer hat sie vermißt. Siehst du? Summer lebte schon früher in den Rockies. Siehst du?“ Stille. Aber ich dachte nach. Sie fuhr fort. „Welche Art von Völkern haben Summer früher interessiert?“ Ich dachte daran, wie besessen ich war vom alten Ägypten, und dann ging ich im Geist noch einmal durch, wie sich mein Interesse änderte. „Ägypter, Inder und dann die amerikanischen Indianer.“ „Hm. Siehst du, wie du dich durchgearbeitet hast bis zu den heimatlichen Völkern?“ Ich hatte früher nie so darüber gedacht. Und als ich daran dachte, wie meine Interessen wechselten, wie ich natürlich von einem ins andere rutschte, erkannte ich deutlich, daß ich die ganze Zeit unbewußt an meinem Weg gearbeitet hatte auf eingeborene amerikanische Völker und Kulturen zu. Meine Suche hatte mich viele Wege entlang geführt. Ich war wie ein verirrtes Kind, das etwas suchte, mit dem ich mich einzig ganz identifizieren könnte – mein wahres Heim. Sie hatte noch mehr solch prüfender Fragen. „Warum sieht No-Eyes Summer nie in festen Schuhen? Ich runzelte die Stirn und blickte fragend auf meine staubigen, bis zu den Knien reichenden Apachenstiefel. „Weil gewöhnliche Schuhe meine Füße einengen, sie rufen ein Gefühl hervor, als ob mein ganzer Körper ersticke. Ich hasse gewöhnliche
Schuhe. Außerdem kann ich in diesen den Waldboden beim Gehen spüren.“ „Siehst du? Erzähle mir davon! Ist Summer zur Lone Feather-Versammlung im Woodland Park gegangen ?“ Sie berührte ein sehr persönliches und äußerst heikles Thema. Ich schüttelte langsam meinen Kopf und starrte sie herausfordernd an. Die Alte beachtete es wohlweislich nicht. „Warum nicht?“ Ich wollte nur so viel und nicht mehr darüber sprechen. „Nun, ich ging zum Sattelclub und kaufte einige ihrer wunderschönen Handarbeiten“, antwortete ich widerstrebend. „Warum ging Summer dorthin?“ Ich wand mich: „Weil es mir bei diesen Leuten gefiel.“ O Gott, sie war zu nahe dran! Ich versuchte es im Keine zu ersticken. „Gut, ich bin Indianerin wegen meiner weit entfernten Vorfahren und wegen dieser starken indianischen Überträgerseele. Du hast mich überzeugt“, sagte ich im Versuch, das empfindliche Thema abzuschließen. Aber sie wollte es anders. Ich konnte sie nicht aufhalten. Sie lehnte sich vor und blickte tief in meine Seele; dann drang sie weiter in mich ein. „Ist Summer den Indianerumzug ansehen gegangen?“ „Nein“, flüsterte ich eingeschüchtert. Sie hielt ihre Hand ans Ohr. „Was?“ Summer hat nie einen Indianerumzug gesehen ?“ Ich konnte sie nicht anlügen. „Nur im ersten Jahr.“ „Hmmmh! Warum bist du im zweiten Jahr nicht hin gegangen, ihn anzuschauen, hm, Summer ?“ Ich wurde richtig aufgebracht über sie, da sie mich zwang, über eine derartige intime Sache zu reden – über etwas, das ich persönlich als so demütigend empfand. Kriegstrommeln begannen wütend in meinem zarten Herzen zu dröhnen. Und ein harter Klumpen der Empfindlichkeit machte sich in meiner zugeschnürten Kehle bemerkbar. Ich schwieg. „Summer muß dieser Sache hier ins Gesicht sehen. Bill weiß nicht einmal, warum Summer es abgelehnt hat, den zweiten Umzug zu sehen. Was hat Summer beim ersten Umzug getan, das sie davon abgehalten hat, den Zweiten anzusehen? Hm ? „ Die donnernden Trommelschläge erreichten ihren betäubenden Höhepunkt. Der harte Klumpen begann die Festung um mein gehütetes verletzbares Gemüt zu zertrümmern. Mein innerer heiliger Boden war entweiht worden, und aufgewühlter Zorn brach durch einen Strom herausquellender Tränen. „Hör auf! Hör damit auf! Verdammt noch mal! Also gut ... ich habe geweint“ Jawohl! Ich stand in der Menge, und als ich die Indianer in ihrer Tracht sah, kam diese verdammte Gefühlswelle hoch! Ich brach in Tränen aus, No-Eyes, ich weinte wie ein verdammtes kleines Kind! So! Bist du nun zufrieden?“ Ich ließ meinen Kopf in die Hände sinken und weinte mir die Seele aus dem Leib. Sie war in meinen geheiligten Grund eingedrungen. Meine Lehrerin erhob sich von ihrem Schaukelstuhl und setzte sich neben mich. Sie hielt mich. Sie wiegte ihr verletztes Kind. Sie schaukelte und sprach leise: „Das mußte heraus, Summer.“ Und sie hielt mich, bis die Tränen allmählich versiegten. Ich umarmte meine alte Lehrerin ganz fest. Ich klammerte mich verzweifelt an sie. Ich wollte sie nie mehr loslassen. Sie flüsterte: „Summer, wir müssen noch mehr über diese Sache reden.“ Ich nickte nur. „Warum also weintest du wie ein Baby bei diesem Umzug?“ „Weil“, zögerte ich, „Weil ich so viele verwirrende Dinge fühlte.“ Die Antwort war ungenügend. Sie war zu allgemein. Sie war bei weitem nicht
zufriedenstellend. No-Eyes angelte nach den schmerzhaften Dingen, die ganz zutage gefördert werden mußten. „Was für verwirrende Dinge?“ „Nun, ich fühlte mich verletzt. Ich spürte einen schrecklichen, tiefen Schmerz, daß dieses stolze indianische Volk die Hauptstraße hinunter ging und von all diesen Weißen angegafft wurde. Und ich ... fühlte mich gedemütigt, zutiefst gedemütigt.“ „Weiße?“ Ich erstarrte. Ich war bestürzt, als mir meine eigenen Worte klar wurden und mein Bewußtsein trafen, wie eine Ohrfeige ins Gesicht. Ich hatte tatsächlich von den Leuten in der Stadt als „Weiße“ gesprochen! Das Wort war so natürlich herausgekommen. „No-Eyes, ich weiß, was ich gerade gesagt habe, aber das war mein Gedanke damals.“ „Was sonst hat Summer geärgert am Umzug?“ Ich wußte sofort, was sie von mir wollte. Und ich wußte auch, daß ich diese Hütte nicht verlassen würde, bevor ich alles gesagt hatte. Was ich zu sagen hatte, brachte mich in Verlegenheit, aber sie rang es mir ab. „Ich war verärgert, daß an einer indianischen Parade Männer in Bürgerkriegsuniformen teilnahmen. Das machte mich so wütend. Ich wollte sie anschreien. No-Eyes, ich haßte diesen Anblick wirklich! Ich verspürte ein tiefes Bedürfnis, auf sie zuzureden, sie zu schlagen und ihnen die Augen auszukratzen.“ „Selbstverständlich hattest du das. Das ist natürlich. Merkst du nicht, Summer? Die schlummernde Erinnerung hatte deine Überträgerseele aufgestört! Das Gedächtnis der Überträgerseele hatte den Augenblick beherrscht!“ „Ja, ich sehe das nun ein. Ich verstehe, daß dies die Erklärung ist für den Haß und den plötzlichen unerklärlichen Vergeltungsdrang.“ „Warum hat also Summer so sehr geweint?“ Jetzt kommt es. Ich schaute in ihre blinden Augen und spürte erneut, wie meine Augen sich mit Tränen füllten. „Ich weinte, weil das Leben der Indianer früher so schön gewesen war ...“ „Mach weiter.“ „Ich dachte daran, wie frei sie waren, wie sehr sie ihr Land liebten und wertschätzten. Und ich dachte daran, wie sehr sich alles geändert hatte, als die Weißen kamen! Ich weinte, weil sie ihnen alles weggenommen hatten! Sie behandelten sie wie Tiere und trieben uns wie Herden auf unfruchtbares Land“! Ich faßte mich und versuchte, mich zu beruhigen, bevor ich leise flüsternd weiter sprach. „Und man hat uns nichts gelassen, außer unseren staubigen Ebenen und die trockenen Winde, die unser schönes ererbtes Land wegbliesen.“ Sie drückte meine Hände. „Wir? Uns? Unser?“ Unsere Blicke trafen sich. „Sagte ich das?“ Sie lächelte, nickte und strich sanft mein Haar zurück. „Summer“, schloß sie leise, „indianisches Blut spricht nicht so. Nur indianische Seele sagt solche Dinge.“ Sie hatte mich überzeugt. „No-Eyes?“ „Was?“ „Was, glaubst du, werden die Leute sagen darüber? Was werden sie denken?“ „Hm. Das ist No-Eyes gleich. Summer ist es auch gleich. Summer soll stolz sein. Summer hat alte, indianische Seele!“ Sie schlug mir stolz auf meine Brust. Und ich war stolz. Während der nächsten Stunde überließ mich meine Lehrerin meinen stillen Betrachtungen. Ich ruhte mich auf dem alten Sofa aus und schaute dem Feuerschein zu, wie er über die Wände des gemütlichen Zimmers tanzte, während
die neue spirituelle Vorstellung von der Überträgerseele seinen eigenen Tanz in meiner Seele aufführte. Diese Vorstellung war mir vollkommen neu, und ich fragte mich, wie viele Menschen wie ich einen geistigen Hintergrund hatten, der sich so von ihrem körperlichen Dasein unterschied. Ich schloß daraus, daß die Erinnerung an das vergangene Leben bestimmt sehr dicht unter der Oberfläche des Bewußtseins angesiedelt sein mußte. Mein Erinnerungsvermögen war so stark, daß es den dünnen Schleier der Zeit zerriß und begann, meine jetzigen Charaktereigenschaften und Persönlichkeitsmerkmale zu steuern. Mir war, als säße ich rittlings auf dem Zaun der Zeit. Und ich fragte mich auch, wie viele Menschen heute wohl leben mit so starken Erinnerungen an das vergangene Leben. Dies war eine interessante Seite der spirituellen Wahrheiten, eine Seite, die ich noch nie zuvor erwogen hatte. Ich wußte, daß man einen Menschen durch Hypnose in sein früheres Leben versetzen konnte. Es war eine relativ einfache Methode, die ich selber schon bei anderen angewandt hatte. Hingegen erschien mir unglaublich, daß man „bewußt“ dieses Gedächtnis vom früheren Leben besitzen und im jetzigen Leben unter seinem Einfluß stehen konnte – für den Verstand geradezu bestürzend. Aber laut meiner weisen Lehrerin gab es viele solcher Leute. Das war sogar etwas ganz Gewöhnliches. Ich ging im Geist unser Gespräch noch einmal durch und bedauerte tief, als ich mir meinen Wutausbruch vergegenwärtigte, wo ich meine liebe Freundin so heftig angeschrien hatte. Ich wandte mich ihr zu, um zu sehen, was die Alte machte. Sie war mit ihrem Schaukelstuhl vor das Kaminfeuer gerutscht und starrte gespannt in die flackernden Flammen. Ich drang unverschämt in ihre geistige Privatspähre ein und bemerkte eine ungewohnte Art gemischter Gefühle. Das einzige Wort, welches dieses Zustand entfernt beschreiben könnte, wäre eine Art von Müdigkeit. Die Seherin war sehr alt. Sie hatte mich früher wissen lassen, ich sei ihre letzte Schülerin. Und ich wußte, daß unsere gemeinsame Zeit bald dem Ende zuging. Ich ließ sie allein und kehrte zu meinen eigenen Gedanken zurück. Ich hatte meine alte Freundin sehr lieb gewonnen. Sie bedeutete mir eine ganze Welt. Ich würde eher sterben, als ihr in irgendeiner Weise weh zu tun. Sie hatte mir die Gelegenheit gegeben, die man nur einmal im Leben hat, von einem spirituellen Lehrer mit großem Wissen zu lernen. Und die Dinge, die ich lernte, waren unschätzbar. Sie hatte eine Novizin aufgenommen, die von sich dachte, sie sei schon bewandert in den Wegen und Gaben des Spirituellen, und sie hatte diese Novizin auf den Boden einer spirituellen Kindergartenklasse gebracht; erst danach erzog sie sie schrittweise zu einer tiefsinnigen und behutsamen Schülerin bis zur „Promotion“. Ihre Unterrichtsmethoden wurden durch die Art der Lektion, die sie lehrte, bestimmt. Sie konnte weich wie Kuchen oder hart wie Granit sein, aber sie hatte immer Erfolg. Und ich liebte sie sehr. Ich fühlte mich gedemütigt, daß ich mit ihr zornig geworden war. Ich hatte sie angeschrien. Ich konnte diese unverzeihliche Tat nicht vor meinem Gewissen verantworten. Ich wandte mich ihr erneut zu. „No-Eyes?“ sagte ich sanft. Sie blickte weiterhin ins Feuer. „Ja?“ „Es tut mir leid, daß ich dich so beschimpft habe. Es tut mir wirklich leid, ich fühle mich miserabel.“ „Summer muß sich nun ausruhen. Nachher geht es besser.“ Ich stand vom Sofa auf und kniete mich neben sie. „Ich kann mich nicht ausruhen, nicht bevor du weißt, wie leid es mir tut, was ich zu dir gesagt habe. No-Eyes, ich habe es wirklich nicht so gemeint. Du hast mich einfach wütend gemacht. Ich wollte nicht so zu weinen beginnen, und ich wußte, du würdest nicht aufhören, auf mir
herumzuhämmern, bis es soweit war. Es tut mir leid.“ „Es ist gut. Eines Tages wird Summer solches Hämmern mit anderen Menschen tun, um ihnen zu helfen. Summer kann sich dann erinnern, wie wütend sie deswegen war. Sie wird die Reaktionen der Menschen auf diese Art besser verstehen. Es ist nichts umsonst, selbst wenn Summer flucht.“ „Ich werde die Leute nicht so quälen.“ Sie schaute mich an. „Alle guten Lehrer müssen das aus den Menschen herausbringen, was sie schmerzt. Ohne das geht es ihnen nicht besser. Sie können nicht geheilt werden, wenn sie die schlimmen, schmerzenden Dinge tief drinnen behalten.“ „Ja, ich glaube, du hast recht. Aber außerdem muß ich von dir hören, daß du mir vergibst.“ „Summer mußte diese schmerzhafte Kränkung herausbringen.“ „Das ist nicht, was ich hören möchte.“ Sie blickte wieder ins Feuer. „No-Eyes vergibt Summer. No-Eyes weiß, daß dies alles Teil der Lektion ist. Summer tut hier nicht weh.“ Sie berührte sanft ihre Brust. Ich lehnte meinen Kopf auf ihren Arm. „Ich möchte dir nie weh tun. Ich würde nie etwas sage, das dich verletzt, das weißt du, nicht wahr, No-Eyes?“ Sie streichelte meinen Kopf. „No-Eyes weiß.“ Wir saßen lange zusammen, bis ich merkte, daß ihre Hand von meinem Kopf herunterrutschte. Ich schaute liebevoll zu ihrem erschlafften Gesicht auf. Die Alte war eingeschlafen, und der Feuerschein war freundlich mit ihr. Er hatte die tiefen Linien geglättet und einer alten Frau, deren Mission auf der Erde fast beendet war, eine gewisse Jugendlichkeit verliehen. Ich stand leise auf und überließ sie ihrem warmen Frieden. Ich rollte mich auf dem Sofa zusammen und wachte schützend über meine schlafende Freundin. Die ruhige Atmosphäre des warmen Raumes verleitete mich nicht wenig zum Schlafen. Meine Augenlider begannen zuzufallen. Aber jetzt wollte ich wirklich nicht schlafen. Ich stand auf und machte leise einige Turnübungen, um mich zu erfrischen. Ich berührte meine Zehen und schwang meine Arme von einer Seite zur andern. „Summer macht Lärm wie stampfender Büffel!“ Ich erstarrte mitten im Schwung. Der plötzliche Klang ihrer Stimme hatte mich erschreckt. Ich schaute auf. Sie hatte keinen Muskel bewegt. Ich eilte an ihre Seite. „Habe ich dich aufgeweckt?“ Sie suchte meinen Blick und hob eine ihrer federleichten Brauen. „Es tut mir leid. Ich hab mir Mühe gegeben, ruhig zu sein.“ Sie entblößte ihr Zahnfleisch. „Summer war ruhig. No-Eyes wachte wegen Gedanken auf. No-Eyes hat immer noch Dinge zu besprechen heute.“ „Aber ich wollte dich ausruhen lassen. Du schienst so müde.“ „Das spielt keine Rolle. No-Eyes hat dinge zu sagen. No-Eyes kann zu anderer Zeit genügend schlafen.“ „Wenn du meinst. Soll ich einen Tee machen? Möchtest du das?“ Sie nickte und streckte sich in dem harten Schaukelstuhl. Wir redeten, während ich den Tee zubereitete aus sibirischem Ginseng und Gotu Kola, das ich ihr mitgebracht hatte. „Nun, was macht der Phönix während der Ereignisse dieser Lektion?“ Sie hob mehrere male ihre Brust und ließ lange Atemzüge ausströmen. „Er atmet schwer, Summer. Er schöpft tief Atem. Dieser Atem füllt ihn mit großer Kraft. Atem sendet Energie und Stärke durch seinen Körper. Er sammelt Energie für seinen großartigen Abflug. Er wird dann über das ganze Land fliegen. Aber jetzt macht er sich nur bereit. Er schöpft Atem.“
„Ich sehe“, sagte ich und brachte ihr den Tee. „Hast du es zu warm beim Feuer? Wir könnten etwas wegrücken.“ „Es geht mir gut. Setz dich, Summer.“ Ich setzte mich neben ihren Stuhl und erinnerte mich daran, daß sie mich unerbittlich ermahnte, nicht mit gekreuzten Beinen zu sitzen, so stützte ich mich seitlich ab. „Das ist keine lange Lektion, nicht wie am nächsten Wochenende, aber es ist trotzdem wichtig.“ „Alles ist wichtig. Alles wird von Bedeutung sein – und etwas zur Summe der Warnzeichen hinzufügen. No-Eyes, jedes einzelne Zeichen, unabhängig davon, wie unbedeutend es erscheinen mag, dient dazu, die Menschen auf das letzte Ziel, dem die Zeichen vorangehen, aufmerksam zu machen.“ „Summer sagt das besser als No-Eyes.“ Ich lächelte. „Wer war die Lehrerin?“ „ich unterrichte Summer nicht im Schreiben. Summer hat ihre eigene Art zu schreiben, was in ihrem Herzen ist. Summer bringt ihr Herz zu Papier.“ „Ich werde nur sagen, wie es ist, No-Eyes.“ Die alte Frau starrte nachdenklich in die Flammen. „Summer wird über die PhönixTage erzählen?“ „Ich sagte, daß ich es tun wolle, nicht?“ „Ja. Summer schreibt die Dinge nieder, die Menschen werden lesen und im Herzen entscheiden, was daran wahr ist. Einige werden glauben. Andere nicht. Dann werden sie Ausschau halten und auf kommende Zeichen horchen. Auch Menschen, die nicht daran glauben, werden trotzdem aufpassen – sie sind nicht sicher, daß sie nicht glauben.“ „Das vermute ich auch.“ Der Schaukelstuhl begann mit seinem Vorspiel. „Wir müssen nun mit dem Stoff fortfahren.“ Sie schaute zum Fenster. „Es wird spät.“ Rumpel-Quietsch. „Summer, vor einigen Tagen sprachen wir darüber, wie Geldsachen sich verändern werden. Wir sprachen viel darüber, daß böse Zeiten kommen werden für das Geld der Leute.“ „Ich erinnere mich.“ „Das wird überall vorkommen, nicht nur hier, sondern auch in anderen Ländern. Gelddinge werden sich zwischen den Ländern verschlechtern. Man wird kein Geld füreinander mehr haben, siehst du, Summer?“ Sie gab mir einen Wink, ich möge den Sinn in meine Worte kleiden. „Summer soll richtige Worte für diese Sache finden.“ „Ich werde es versuchen, solange ich verstehe, was du sagst. Warte“, ich machte eine Pause, um das soeben Gesprochene zusammenzufassen, „Amerika wird eine große wirtschaftliche Depression erleben, die Farmer werden keine Darlehen mehr erhaltenb – niemand mehr. Die Banken und die Aktienbörse werden schließen, Industrien werden aufgeben müssen und eine dramatische Wertminderung von Grundeigentum wird eintreten. Du sagst nun, diese Dinge passieren auf der ganzen Welt, nicht wahr?“ „Ja.“ „Und es wird keine Geldanleihen oder Darlehen mehr geben zwischen den Ländern?“ Sie nickte. „Dann sagst du, daß diese wirtschaftliche Depression nicht nur den Privatsektor trifft, sondern sie erstreckt sich auch auf die Staatsfinanzen.“ „Das ist richtig.“ „Dann nehme ich an, daß die Regierungen in große Schulden untereinander
verstrickt werden und keine mehr das Einkommen aus den Steuern der Bürger oder industriellen Einkünften oder Importzöllen mehr wird einbringen können." „Das ist, was No-Eyes sagt. Ja, so wird es geschehen.“ Ich dachte darüber nach. Das hätte wahrhaftig verheerende Folgen. „Aber du sagtest, die Regierung würde den Arbeitslosen durch erhöhte Besteuerung der Bevölkerung beistehen. Wie ist das möglich, wenn die Regierung keine Einnahmen mehr hat?“ „Das kommt später, Summer. Erinnerst du dich?“ „Also zuerst werden die Leute hoch besteuert, um die Wohlfahrts- und Sozialprogramme zu finanzieren, und danach werden sie nicht ...“ Ich schüttelte meinen Kopf. „Hier fehlt etwas. Was ist der Grund für den dramatischen Stillstand der Besteuerung?“ „Dieser Stoff ist für nächste Lektion. Summer hat recht mit dem Stoff für heute.“ „Vergiß nur nicht, die Lücken zu füllen“, mahnte ich sie. „No-Eyes vergißt nicht. Wir werden später zu den Lücken kommen.“ Sie schlürfte ihren Tee. „Nun werden die Länder böse aufeinander sein. Sie werden in schlechter Verfassung sein. Es wird den Völkern sehr weh tun. Die Nationen werden nach jemand Ausschau halten, dem man die Schuld zuschieben kann. Und sie wollen kämpfen. Sie werden ihr Geld benutzen, um Kriegsmaterial herzustellen, siehst du ? “ „Warte einen Moment. Laß uns einstweilen das Gesagte betrachten. Die Politiker der verschiedenen Länder werden versuchen, einander gegenseitig verantwortlich zu machen für ihre Schwierigkeiten. Dann werden sie, im Bemühen, die Schuld abzuwälzen, ihre Arsenale aufbauen. No-Eyes, die Staaten haben ohnehin mehr, als sie brauchen, um diesen Planeten jetzt schon in die Luft zu jagen. Wieso sollten sie den Rest ihres Geldes auf diese Art vergeuden?“ Mir war das zuwider. „Das ist überhaupt nicht logisch.“ Sie schnalzte mit der Zunge. „Kein Krieg ist logisch. Aber diese Schritte, diese Kriegsmaßnahmen vieler Länder werden reine Drohungen sein. Sie sollen der Bevölkerung zeigen, wie sie stark sein können, wie sie sich schützen können.“ „Das ist lächerlich.“ Mir war übel von diesem wahnsinnigen Rüstungswettlauf. „NoEyes, die Menschen müssen einfach mehr mitzureden haben bei den Entscheidungen ihrer Länder.“ „Das kommt nächste Woche. Das ist Lektion der nächsten Woche. Aber Summer hat recht, daß Waffenwettlauf dumm ist. Es ist wirklich traurig, daß die Verantwortlichen die Dinge nicht so wie No-Eyes sehen. Traurig, daß sie so kurzsichtig sind. Sie sehen nicht, daß sie all dieses Kriegszeug für nichts planen.“ Schweigen. „Neue Länder werden sogar auch Atombomben herstellen“, schob sie geschickt ein. „Neue Länder?“ „Kleine.“ Hier hatten wir ein kleines Verständigungsproblem. Ich nannte einige kleine Länder, aber sie war mit ihnen nicht vertraut, und sie kannte auch ihre richtigen Namen nicht. Aber was sie sagte, war, daß die Bewohner anders als Amerikaner aussahen. Ich begann in einer anderen Richtung zu fragen. „Haben diese Menschen eine helle Haut?“ „Nein“ „Gelb?“ „Hm! Sie haben schon lange Atomwaffen! Sie haben viel solches Zeug unter der Mutter Erde.“ Ich beachtete diese neue Information nicht und fuhr auf meinem Weg der
Fragestellung fort. „Sind sie also braun?“ „Ja. Sie sind braun.“ Dies schränkte die Möglichkeiten etwas ein, aber da sie die Namen der Länder immer noch nicht wußte, war es mir nicht möglich, sie zu bezeichnen. „Ich vermute, das muß für heute genügen. Verschiedene Länder werden also ihre wirtschaftlichen Schwierigkeiten anderen in die Schuhe schieben und jene Länder veranlassen, einen Krieg in Ganz zu bringen. Meine nächste Frage ist nun, werden sie tatsächlich in einen Krieg eintreten?“ Rumpel-Quietsch. „No-Eyes?“ Der Schaukelstuhl stand still. „Kleines Zeug.“ „Klein? Du nennst irgendeinen Krieg kleines Zeug?“ Sie sprach ganz ruhig: „Ich werde nicht weitermachen, wenn Summer sich so aufregt.“ „Nun, du kannst mich kaum tadeln. Ich meine, ein Krieg ist schließlich ein Krieg. Kein Krieg ist klein, No-Eyes. Wenn er nur ein Leben kostet, dann ist er nicht klein.“ „No-Eyes sagt klein, weil keine großen Bomben eingesetzt werden. Sie werden keine großen Bomben fallen lassen.“ „Sie? Du meinst, es wird mehr als einen kleinen Krieg geben?“ „Ja. No-Eyes sagt nur, daß viele Länder vielen anderen Ländern Schuld geben. Summer hört nicht gut zu.“ „Nun, zum Teufel! Du drückst dich nicht sehr klar aus. Du läßt mich zwischen den Zeilen lesen. Das hier ist wichtig, No-Eyes!“ „Das ist genau, was No-Eyes vorher sagte. No-Eyes sagt, daß dies wichtige Sache ist. Übrigens Summer, fluche nicht.“ Wieder ruhiger, antwortete ich: „Ich werde nicht fluchen, wenn du nichts ausläßt.“ „Ich lasse überhaupt nichts aus hier. No-Eyes lehrt Summer gut zuzuhören. No-Eyes erwartet dies hier sogar.“ Ich besann mich neu. „Du hast recht. Ich bitte um Entschuldigung. Meine Gedanken waren weit voraus, als du anfingst, über die Eskalation der Rüstung zu sprechen. Ich nahm einfach an, es handle sich um Amerika und Rußland.“ Sie schnalzte wieder mit der Zunge. „Summer soll nie etwas annehmen – überhaupt niemals!“ Es war mir peinlich, daß sich mein Denken so unentschuldbar nachlässig gezeigt hatte. „Es tut mir leid.“ „Summer, es ist nicht gut, wenn man im Geist Ideen faßt und Schlüsse zieht ohne Anhaltspunkte, die vorher da sind.“ Ich starrte in meine Tasse. „Ich tue das gewöhnlich nicht. Zwischen uns ist es anders. Ich meine, wann immer wir so zusammen reden, dann ist dies doch ein sehr persönlicher Austausch, und wir wissen normalerweise, was der andere denkt. Ich habe mit der Zeit gelernt zu verstehen, was du meinst, ohne daß du alles genau auszusprechen brauchst.“ „Das ist wahr, Summer. Aber das heißt nicht, daß Summer nicht mehr gut zuhören soll.“ Ich war zu Recht getadelt. Ich war immer noch eine lernende Schülerin. „Nun, No-Eyes sagt, die kriege seien klein, weil sehr viele auf der ganzen Welt losgehen. Die amerikanischen Boys werden in viele, viele Länder verstreut werden. Sie werden überall kämpfen, siehst du?“ „In Rußland?“ „Nein. Sie kämpfen in kleinen Ländern, vielen verschiedenen, kleinen Ländern.“ „Aber es gibt keine Atomraketen, nicht wahr?“ „Das ist richtig.“
Schweigen. „Ist das gut, hm, Summer? Das ist also gut, kein Atomzeug?“ Schweigen. „Summer?“ Sie beugte sich vor und schaute mich an. „Kein Krieg ist gut. Ich habe so genug von Kriegen, Kämpfen und Zwietracht. Ich wünschte, dies alles hätte ein Ende. Ich wünschte, das Ende wäre gerade jetzt da. Ich wünschte, der Phönix flöge frei davon.“ „Er wird fliegen, Summer. Bald ist es soweit.” Kapitel 6 - Flügel spannen Flügel spannen Der junge Vogel reckt seinen flaumigen Hals, und er entfaltet und spannt seine mächtigen Schwingen des Wandels. Der Sonntagmorgen brachte mir eine höchst erfreuliche Überraschung. Der Herbst hatte wiederum fürsorglich eine wunderbar warme Decke über den Tag ausgebreitet. Es schien, als ob der Altweibersommer noch eine Weile bei uns ausharren wollte. Meine Fahrt wurde von warmer Luft begleitet, die durch den Wagen hindurch wehte. Ich atmete tief ein. Ich spürte das Verlangen, diesen Duft des Spätsommers in mich aufzunehmen, da er bald verflogen sein würde, weggewirbelt, so plötzlich, wie er gekommen war. Auf der Fahrt entlang der gewundenen Bergstraßen dachte ich an viele Dinge. Ich dachte an die bevorstehenden „kleinen“ Kriege. Da schoss eine seltsame Ahnung durch meine Überlegungen. Ich fragte mich, ob ein neuer Mann im Weißen Haus eine positive Wirkung haben würde auf die Wahrscheinlichkeit des Entstehens zukünftiger Kriege. Vielleicht sah No-Eyes die Kriege voraus, falls der Bewohner des Weißen Hauses unverändert da bleiben würde. Hier lag indessen ein sehr greifbarer Faktor der Veränderung hinsichtlich der zukünftigen internationalen Politik und Tätigkeit eines neuen Präsidenten. Vielleicht konnte die große Wahrscheinlichkeit von Kriegen doch noch umgangen werden. Ich bog ab und hielt am Ende der Straße. An diesem phantastischen Morgen in den Bergen fragte ich mich, ob es mir gelänge, meine alte Freundin aus ihrer Hütte herauszulocken. Solch großartige Tage waren nicht geschaffen, um sie in den vier Wänden zuzubringen. No-Eyes war drinnen. Sie war dabei, den Holzstapel neben dem gemauerten Kamin aufzuschichten. „Du wirst das heute nicht brauchen“, teilte ich ihr fröhlich mit. Brummel. Brummel. „Vielleicht kann ich nicht mit den Augen sehen, aber No-Eyes kann immerhin fühlen! Glaubt Summer, No-Eyes habe Glaskugeln verloren? Das da hier ist für einen andern Tag.“ „Du brauchst mir nicht gleich den Kopf abzureißen.“ „Summer muss auch nicht denken, No-Eyes sei dumm.“ Ich halt ihr, das Holz fertig aufzustapeln. „Es ist heute Morgen großartig draußen. Es ist richtig warm und …“ „No-Eyes war schon draußen, um den Tag zu begrüßen. Hat Summer das auch getan, hm?“ „Nicht, seit die Schule wieder angefangen hat. Du weißt, ich muss die Mädchen hinfahren, und dann muss ich…“ „Heute keine Schule. Heute ist Sonntag“, war ihre Antwort. „Nun …“ Sie hatte mich genau da, wo sie mich wollte, und ich wusste es auch.
„Nun? Welche Entschuldigung probiert Summer diesmal aus?“ Schweigen. Eine leise, eintönige Wiederholung unterbrach die Stille. Sie stieß mit ihrem knochigen Finger in meinen Magen. „Summer hat heute Tag nicht begrüßt, weil sie und Bill immer ihren Bauch füllen!“ Sie hatte recht. Wir gingen jeden Morgen zum Frühstück aus in ein kleines Restaurant in Woodland. Aber ich hatte nicht im Sinn, mir dieses tägliche Vergnügen von ihr wegnehmen zu lassen. „Und jetzt?“ Es macht uns Freude. Wir gehen nicht so häufig aus. Außerdem, nach neunzehn Jahren des Zusammenlebens verdienen wir es auszugehen und …“ „Ich sage nicht, Summer und Bill verdienen es nicht. Du brauchst dich nicht zu verteidigen. No-Eyes sagt nicht, es sei nicht in Ordnung.“ Ich zögerte. „Es hat aber so geklungen.“ Sie zuckte die Schultern. „Fühlt sich Summer etwa schuldig?“ „Natürlich nicht!“ Ihr Grinsen wurde breit. „Es hat aber so geklungen bei Summer.“ Pause. „Drehen wir uns nicht wieder im Kreis, No-Eyes?“ „Ja, wir drehen uns manchmal rund und rund und rundherum. Das ist in Ordnung. Das ist unser Spiel.“ „Ich habe dich lieb.“ Ich umarmte sie fest und versuchte, ihr einen Vorschlag zu machen. „Da du heute in so guter Laune bist, wie wäre es, wenn wir das Schulzimmer ins Freie verlegen würden?“ Sie zog sich zurück und musterte mich. „Nun? Können wir raus?“ „Summer, geht und stellt die Stühle auf. No-Eyes wird gleich kommen.“ Ich war so aufgeregt, dass ich beinahe über mich selber stolperte in der Hast hinauszukommen. Ich hörte die Alte mit der Zunge schnalzen und etwas murmeln. Es war mir gleich, wenn sie von mir dachte, ich sei zu aufgeregt – eine so freudige Stimmung erfüllte mich. Ich stellte die Stühle in die Sonne und rückte den wackligen Kiefernholztisch dazwischen. Nach einem Blick auf mein Werk eilte ich in die Hütte zurück. „Das ist aber rasch gegangen“, sagte sie. „Ich bin noch nicht fertig. Komm schnell heraus“, rief ich zurück und raffte zwei flache Kissen vom Sofa, die ich eilig auf ihren Stuhl draußen legte. „Will Summer die ganze Hütte ausräumen?“ schnatterte sie, als sie vorsichtig die Stufen herunterschritt. „Ich wollte es dir nur bequem machen.“ „Das ist nett“, bemerkte sie und setzte sich, „aber wir wollen es uns nicht zu bequem machen. No-Eyes will zuerst sehen, ob Summer die Lektionen oder die Berge in den Kopf aufnimmt.“ Ich atmete die berauschende Herbstluft ein und lehnte mich zurück, um mir die frühe Sonne ins Gesicht scheinen zu lassen. „Ich werde sehr gut zuhören. Ich verspreche es dir.“ Sie schüttelte zweifelnd den Kopf. „Summer sieht aus, wie wenn sie ihre geistigen Flügel ausstrecken würde.“ Ich zwang mich energisch zur Aufmerksamkeit. „Das ist besser.“ Ich seufzte und atmete wieder tief. „No-Eyes! Rieche nur einmal diese Luft!“ Die Alte machte plötzlich abrupte Anstalten, wieder hineinzugehen. Sie murmelte und ächzte. „Wir gehen wieder hinein!“ „Nein! Ich werde mir Mühe geben. Ich habe nur Spaß gemacht.“
Die eine Augenbraue hob sich wieder. „Bestimmt, ich habe nur gespielt.“ Sie lehnte sich zurück, wie um mir eine weitere Chance zu geben. Ich hörte mit meinen Ablenkungsmanövern auf und schenkte meine Aufmerksamkeit der bevorstehenden ernsten Lektion. Ich war hier, um von ihr zu lernen, und ich musste immer äußerlich zum Ausdruck bringen, dass ich innerlich bereit war zu lernen. Wenn ich hier draußen bleiben wollte, musste ich zusätzliche Energie an geistiger Wachsamkeit aufwenden, um nicht abzuschweifen. Ich streckte mich und wand mich hin und her auf dem harten Stuhl, bis es mir einigermaßen bequem war. „Summer krümmt sich wie ein Wurm im Schnabel eines Vogels.“ „Ich habe keine Kissen wie jemand, den ich kenne.“ „Hm.“ Sie hörte zu, bis ich eine Lage von befriedigender Bequemlichkeit gefunden hatte. Als die Geräusche meines knarrenden Stuhles aufhörten, sprach sie: „Ist es Summer jetzt bequem?“ „Eigentlich nicht, aber es wird nicht besser werden. Schieß nur los.“ Wie immer zögerte sie, bevor sie zu sprechen begann. Sie hatte mich stets ermahnt, dies zu tun, wenn ich je mit jemandem in ein Gespräch verwickelt war. Sie sagte, dies verhinderte das Herauskommen von falschen Worten; der Geist erhalte auch zusätzlich Zeit zum Nachdenken. „Summer, der Phönix ist nun ein Jungvogel. Er hat größere Federn bekommen. Er hat viel Kraft und Stärke. Er wird den Hals weit hinaufstrecken und die Flügel schwingen. Der Phönix wird seine Flügel weit spannen.“ Sie verschränkte ihre Arme und machte flatternde Bewegungen; dann breitete sie die Arme weit aus. „Was soll dies darstellen?“ „Vielerlei. Er breitet die Flügel aus, er prüft sie. Das bedeutet, dass er bereit ist für den Aufbruch. Er ist dabei, sich selber zu erproben. Die Menschen werden Ähnliches auch tun. Die Menschen bereiten sich vor, frei zu sein, frei im Geiste.“ Ich runzelte die Stirn. „Ich glaube, ich verstehe den Zusammenhang nicht. Ich sehe zwar die Verbindung, aber ich verstehe nicht genau, was die Menschen tun. Wie machen sie sich geistig frei?“ „Die Menschen werden dies zu einer andern Zeit tun. Jetzt bereiten sie sich nur darauf vor. Es wird sich Neues ereignen, das die Menschen dazu bringt zu wünschen, dass sie frei werden. Siehst du?“ „Ich glaube. Es werden sich Dinge ereignen, die in den Menschen Besorgnis wecken, geistige Besorgnis. Diese Ereignisse werden ein Prüfstein sein für die Menschheit und einen Prozess der Zweifel und Fragestellungen auslösen, der sich immer mehr ausbreiten wird. Ist es etwa das, was du meinst?“ Sie nickte. „Das ist, was No-Eyes sagt.“ „Welcher Art sind die Ereignisse, von denen wir jetzt sprechen?“ „Das sind sehr verschiedene Dinge. Wir werden nur ein Ding aufs Mal besprechen. Summer muss dies richtig verstehen. Das ist wichtig.“ „Also gut, aber behandeln wir sie der Reihe nach?“ „Reihe? Da gibt es keine Reihenfolge. Alles geschieht, wenn die Zeit dazu gekommen ist.“ Sie spreizte ihre Finger. „Zu viele verschiedene Dinge da; zu viele freie Willen im Spiel, um endgültige Reihenfolge zu machen.“ „So hängen also einige Geschehnisse direkt mit Entscheidungen des freien Willens zusammen, mit sehr vielen ungewissen Wahrscheinlichkeiten.“ Sie stimmte zu. „Gibt es Aussicht auf irgendeine Wahrscheinlichkeit, die ein solches Geschehnis völlig ausschalten könnte?“
„Nein. Sie werden alle stattfinden. Sie werden alle eintreten. Es gibt nur keine feste Reihenfolge, das ist alles.“ „Es wird für die Menschen schwierig sein, die Dinge zu erkennen. Sie brauchen eine gewisse zeitliche Abfolge. Siehst du voraus, dass einige dieser Ereignisse gleichzeitig eintreten?“ „Vielleicht. Vielleicht nicht. Es ist schwierig zu sagen. Es kann sein, aber es hängt immer noch viel von der Sache mit der Wahrscheinlichkeit ab. Ich kann Summer heute keine Reihenfolge angeben.“ „Das ist schon recht Es genügt, wenn ich die Ereignisse offenlegen kann. Die Menschen können immer noch etwas erkennen, falls es genügend konkret ist. Ich glaube, die genaue Reihenfolge spielt keine so große Rolle, solange die Zeichen klar erkennbar sind.“ „Ja, das ist alles, was die Leute brauchen.“ Es war ein so herrlicher Tag, dass es mich größte und konzentrierte Anstrengung kostete, meinen widerspenstigen Geist zu zwingen, die schlimmen Nachrichten, die auf mich warteten, aufzunehmen. Ich rutschte unruhig auf dem Stuhl herum und wartete darauf, dass die alte Frau mir das erste Ereignis enthüllte. „No-Eyes braucht hier vielleicht Hilfe mit den Wörtern, Summer“, begann sie. „Wir finden das schon heraus. Sprich nur.“ „Es gibt heute Dinge in der Menschenwelt, die eine Ordnung haben; sie sind seit langen Zeiten so. Dinge, die sich über viele, viele Jahre nie ändern“ „Das Wort ist ´festgesetzt´. Das heißt, dass etwas etabliert ist und seit unzähligen Jahren auf gleiche Art funktioniert. Klingt das richtig, in dem Sinne, den wir hier brauchen?“ Sie schaute mich mit gerunzelter Stirn schräg an. „Was für ein Wort war das schon wieder?“ „Etabliert.“ Sie dachte nach. „Ja. No-Eyes spricht über diese etablierten Regeln der Länder und ihrer geistigen Glaubensrichtungen. Sie werden …“ „Warte einen Augenblick. Nennen wir das Regierung und Religion.“ Nach einer kurzen Überprüfung akzeptierte sie das als richtig. „Wir haben jetzt also etablierte Regierungen und Religion. Diese Religion ist lange, lange Zeit dagewesen. Sie hat einen großen Führer.“ Das war einfach. „Die katholische Religion hat einen Führer. Man nennt ihn Papst.“ „Ja, das ist der, den ich meine. Dieser Führer wird sterben. Er wird nicht sterben, weil er krank ist. Jemand wird ihn umbringen. Vielleicht werden nur wenige wissen, wie er gestorben ist. Es sieht danach aus, dass man es vielleicht vertuschen wird, die Tatsache unter den Teppich kehren wird. Einerlei, er wird auf alle Fälle getötet.“ Schweigen. „Das ist nicht Neues, Summer. Das sind keine neuen Sachen. Nach seinem Tod stellt der neue Führer neue Glaubensgesetze auf. Sie werden sogar zu den Regierungssachen gehören.“ „Es gibt aber eine Trennung zwischen den Leuten der Religion und den Leuten der Regierung. Das stimmt nicht, was du sagst. Man nennt dies die Trennung zwischen Kirche und Staat, und das ist schon sehr lange so.“ „Nein. Das mag heute so sein, aber es wird sich ändern. Die Kirchenführer werden ihre Hände im Spiel haben bei den staatlichen Gesetzen. Sie werden mit den Dingen nicht zufrieden sein. Sie werden ins staatliche Recht eingreifen, und große Schwierigkeiten werden entstehen.“ „So wird also die Kirche sich vermehrt in die Regierungsgeschäfte einmischen?“ „Ja.“
„Sie wird nach dem Tod des Papstes bei der Regierung einschreiten, und die Regierung hat das nicht gern.“ Ich überlegte noch länger. „Du sagtest, es gäbe einen Haufen Schwierigkeiten deswegen. Wird die Regierung Vergeltungsmaßnahmen treffen?“ „Was ist das? „Zurückschlagen.“ „Ja.“ „Die Regierung wird anfangen, sich bei der Kirche einzumischen.“ Sie nickte zustimmend. „Die Regierung wird also vorschreiben können und der Kirche sagen, was sie zu tun hat?“ „So wird es sein. Sie wird ihre Hände sogar in vielen Kirchen haben.“ Ich legte kühn eine Tatsache dar. „No-Eyes, die Regierung hatte nie einen Anspruch oder irgendwelche Rechte, um der Kirche Gesetze oder Maßnahmen vorzuschreiben. Hier hat es immer eine klare Trennlinie gegeben.“ „Das kümmert mich nicht. No-Eyes sagt, was sie hier sieht! Die Kirche wird großen Aufruhr machen über die schlechten staatlichen Gesetze. Der Staat wird das heimzahlen. Er wird sich mit den Kirchenführern anlegen durch vermehrte Kirchengesetze. Sie werden kämpfen.“ „Nicht wirklich.“ „Nicht körperlich, sie werden nur ihre Nasen in die Angelegenheiten der anderen stecken. Machen großes Durcheinander.“ Ich erzählte ihr, wie sich die Kirche in den letzten Jahren geöffnet und einen festen Standpunkt bezogen hat bei gewissen politischen Fragen, mit denen sie nicht einverstanden war. Ich erklärte ihr die Diskussionen um die Abtreibung, und dass die Kirche sich deutlich dagegen ausgesprochen hat. Sie pflichtete bei, dass die Schrift an der Wand bereits sichtbar war. „Summer, diese Sache zwischen Kirche und Staat wird viele Menschen erzürnen. Die Leute werden aufgebracht sein und von der Kirche nichts mehr wissen wollen. Etliche werden auf den Staat böse sein. Der Staat wird auf die Menschen böse sein. Für alle wird es sehr schlimm sein.“ „Ich kann den Zusammenhang sehen.“ „Da wird sich aber noch mehr tun. Die Menschen werden vieles in Frage stellen. Sie werden sich mit den Antworten nicht zufriedengeben.“ Ich suchte nach weiteren klärenden Worten. „Fragen, die Kirche betreffend, das Zerwürfnis mit dem Staat sowie Übergriffe.“ „Das wird nur der Anfang sein. Dass die Leute Fragen stellen. Die Menschen werden Dinge sehen, die sie zuvor nicht geglaubt haben.“ Die Angelegenheit wurde verschwommen. „Du musst langsam machen. Die Ereignisse um Kirche und Staat werden die Menschen veranlassen, fragen zu stellen. Aber was werden sie sehen, das sie zu weiteren Fragen drängt? Und was werden sie in Frage stellen, Kirche oder Staat?“ „Beiden! Die Menschen werden neue Wesen sehen. Immer mehr solcher Wesen werden kommen. Sie kommen von dort. „ Sie deutete zum Himmel. „Du meinst die fremden Wesen, die UFOs“ Sie blieb ernst und nickte nur. „Mehr und mehr Wesen werden auftauchen. Sie werden sich nicht verstecken und ein Spiel spielen. Es wird Zeit, um zu zeigen, dass sie wirklich schon lange hier sind.“ Ich war sichtlich erleichtert über diese Neuigkeit. „No-Eyes, das ist wunderbar! Die Menschen müssen sie sehen, so werden die Gerüchte ein für allemal zum Schweigen gebracht!“ „Hm.“
„Was ist los? Bist du nicht einverstanden damit, dass das gut wäre?“ „Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Es ist gut, wenn die Leute glauben, was sie mit eigenen Augen sehen werden. Sie werden es glauben müssen. Es ist aber nicht gut, wenn die Leute den Staat fragen über Dinge, die dem Staat schon lange bekannt sind. Sie werden sehr böse sein über den Staat. Sie werden erfahren wollen, warum der Staat ihnen Dinge verheimlicht. Das führt dazu, dass die Menschen dem Staat nicht mehr trauen.“ „Trotzdem … es ist besser, endlich alles offen darzulegen.“ „Damit ist dies nicht erreicht. Die Menschen werden jetzt die Kirche befragen. Wie steht es mit dem, was die Kirche über Geister sagt? Was ist mit dem, was die Kirche sagt über ersten Mann und erste Frau? Summer, das wird nicht standhalten!“ „Es ist trotzdem wunderbar. No-Eyes, siehst du nicht? Das einzige, was den Menschen übrig bleibt zu glauben, sind die nackten Tatsachen. Die Lehren der Kirche waren nicht ganz richtig, und die Regierung vertuschte Tatsachen; da bleibt nur die Wahrheit übrig! Nun, ich glaube, es ist höchste Zeit dafür.“ Sie zuckte die Schultern. „Summer muss es erleben. Vielleicht wird Summer später die Meinung ändern.“ „Nein“, beharrte ich. „Ich freue mich und erwarte dies mit großer Ungeduld! Ich kann nicht warten, die Skeptiker zu sehen, wie sie mit offenem Mund dastehen.“ Eine geballte Faust hieb auf die Armlehne. „Das ist keine Art, sich zu benehmen, Summer!“ „Vielleicht. Vielleicht nicht“, grinste ich zufrieden. „Summer ist da eine schlechte Schülerin.“ „Niemand ist vollkommen“, sagte ich boshaft. „Summer hat vorwitziges Maul!“ „Nein, das stimmt nicht. Du hast mir gesagt, ich wäre nicht hier, wenn ich vollkommen wäre.“ „Also, Summer verdreht No-Eyes` Worte wie eine Klapperschlange!“ Ich lehnte mich vor. „No-Eyes, hör mal, du weißt doch, dass dies nur ein Spiel ist. Findest du nicht, dass ich ein Recht habe, mich zu freuen, wenn die Leute erschrecken bei der Entdeckung, dass sich wirklich fremde Wesen in den UFOs befinden? Besonders einige der gleichen Leute, die mich demütigten und dachten, ich sei verrückt?“ Sie wurde sanft. „Vielleicht.“ „No-Eyes, ich habe ein Recht, etwas gerecht zu finden, wenn sich als richtig erweist, was ich vertreten habe.“ Sie drehte die Handflächen nach oben. „Summer hat recht. Summer hat wirklich dieses Recht.“ Wir machten eine Pause mit unserer Lektion, und ich bereitete uns in der Zeit einen Lunch zu. Meine Lehrerin blieb im Schatten sitzen, während ich Zichorienkaffee machte und eine Mischung von Nüssen und Keimen vermengte, die ich mitgebracht hatte. Ich machte mich in ihrer Küche nützlich mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht, wenigsten so lange, bis ein neuer Gedanke mir durch den Kopf schoss. Ich lief mit dem Essen zum Tisch hinaus. „Summer wird das Essen verschütten! Die Ameisen werden No-Eyes`Lunch essen!“ „Ich hatte gerade eine tolle Idee! Was passiert, wenn die Menschen anfangen, andere Dinge, richtige geistige Dinge und Ansichten in Frage zu stellen? Ich meine, wenn sie die fremden Wesen zu Gesicht bekommen und daran glauben, so wird das ihre früheren Glaubensanschauungen ins Jenseits befördern! Sie werden natürlich weiter forschen. Ein Ding wird zum nächsten führen, und schneller, als wir glauben, werden sie …“ Sie strahlte.
Mein Redeschwall hörte plötzlich auf. „Du hast die ganze Zeit gewusst, dass ich zu diesen Folgerungen kommen würde, nicht wahr?“ Die hinterhältige kleine Frau vermied absichtlich meinen Blick und schaute in die Bäume hinauf. Ich fühle mich etwas ernüchtert, als ich merkte, dass mein unvermittelter geistiger Höhenflug erwartet worden war. „Nun, selbst wenn du es gewusst hast, glaube ich, ist es eine wichtige Lektion. Denk nur an alles, was sich natürlicherweise daraus ergeben wird!“ Sie drehte sich um und langte nach ihrer Tasse. „Summer ist die komischste Schülerin, die No-Eyes je gehabt hat.“ Schalt sie. „Das ist schon recht; rede nur und lache herzhaft. Aber ich freue mich wirklich darüber. „ Ich nahm eine Handvoll Sonnenblumenkerne, Rosinen, Mandelsplitter und einen Löffel Yoghurt, stopfte es in meinen Mund und legte die Schale in den Schoß meiner Lehrerin. „Ich kann kaum abwarten, Bill davon zu erzählen. Er wird begeistert sein!“ „No-Eyes kaute gründlich mit ihrem festen Zahnfleisch und schüttelte ihren Kopf über meine wachsende Erregung. Neue Erkenntnisse kamen mir rascher, als ich sie in Worte fassen konnte. Von neuem begann mein Redeschwall, bis sie dem Geplapper ihrer Schülerin ein Ende setzte. „Will Summer hier die Lehrerin sein?“ Plötzliche Stille. Die Alte kaute fertig und schlürfte ein wenig schwarzen Kaffee. Ich wartete. Dann knabberte sie von der Kernmischung, aß und trank, als ob sie alleine wäre und als ob nicht eine Frau ihr gegenüber säße, die darauf brannte, mehr von ihr zu hören. Und hätte ich sie nicht besser gekannt, so hätte ich geschworen, die Alte habe vergessen, dass ich überhaupt da war. Aber ich kannte sie gut. Sie hatte wirklich keinen plötzlichen Gedächtnisschwund. Ich wusste, dass die kalte Schulter zeigen eine ihrer klugen Methoden war, einen Schüler wieder auf den Boden zurückzubringen. Sie beachtete ihn überhaupt nicht mehr, bis er einen annehmbaren Zustand an innerer Ruhe erreicht hatte. Sie würde mich heute lange mit Nichtbeachtung „behandeln“ müssen, da ich vor Aufregung förmlich zitterte. Das waren so gute Neuigkeiten über wunderbare Veränderungen anstelle jener schmerzhaften über Zerstörung und Tod. Ich lehnte meinen Kopf im Stuhl zurück und starrte in den tiefblauen Himmel hinauf. Kleine, weiße Tupfen verteilten sich hoch oben weit über den Himmel. Ich konnte mir deutlich vorstellen, wie ein großer, unsichtbarer Bäcker an den wolkigen Sahnebonbons zog und zerrte. In stiller Verzauberung schaute ich zu, wie besonders ein Teil sich so weit verlängerte, dass in seiner Mitte ein breites Loch entstand; ja, es war, als ob Gott dort oben Vanillebonbons auszöge. Ich seufzte. Die Bergmeisen begannen in den nahen Kiefern ausgelassen herumzutoben, ihr lärmiges Gezwitscher schrillte in hohen Tönen durch den Wald. Und der Fluss, der im Sonnenlicht des Tales glitzerte, sandte uns seine plätschernde Begleitmusik, in die sanfte Melodie des Windes einstimmend, der sein Lied fortwährend in den Kiefern summte. Ich schloss meine Augen. Die Sphärensymphonie winkte meiner offenen Seele. Ich ließ sie ein. „Summer, bleib hier!“ Die Musik trug mich zu ihr selbst. Ich glaubte eine entfernte, gedämpfte Stimme zu hören, eine schwache Stimme, weit fort von hier. Ich schwebte vorwärts, aufwärts. „Summer!“ Ein unangenehmer Missklang zerriss das feine Gewebe meiner Reise. Mein Körper erschauerte. Ich riss meine Augen auf. Die Alte verzog ihr Gesicht zu einem Lächeln und lehnte sich selbstzufrieden in
ihren Stuhl zurück. „Wohin hat Summer gehen wollen?“ Der laute Klang ihrer Stimme hatte mich erschüttert. Sie hatte eine kleine Schockwelle ausgelöst, die meine empfindsame Seele erfasste. Ihre List des Abwartens hatte sich gelohnt, denn ich hatte mich genügend beruhigt, um mich völlig zu entspannen und auf Reisen zu gehen durch eine der vielen mehrdimensionalen Pforten der Natur. Ich hatte tatsächlich eben eine weite Reise begonnen, als ich so unsanft unterbrochen wurde. „Du wolltest, dass ich zur Ruhe komme, und das ist genau, was ich tat.“ „Ich habe nicht gesagt, Summer könne irgendwohin weggehen. Ich habe nicht gesagt, es sei richtig, No-Eyes zu verlassen!“ Sie war wirklich klug. Sie wusste genau, was ich unternommen hatte und wann. Sie ließ mich ganz fortgehen auf meinem unbeschwerten Weg, bevor sie mich anschrie. Ich spielte also ihr eigenes Spiel und ließ sie von ihren eigenen Wermutstropfen schmecken. „Das ist sehr seltsam“, sagte ich mit einem verwirrten Gesichtsausdruck des Erstaunens, „ich hätte schwören können, dass du nicht einmal wusstest, dass ich da war!“ Ihre Augenbrauen zogen sich blitzartig zu einem umgekehrten V zusammen. „NoEyes glaubt, eine naseweise Bemerkung zu hören.“ Sie unterstrich ihren Spott, indem sie ihren Kopf aufrichtete und eine Hand hinter ihrem Ohr spreizte. Ich ahmte sie nach und setzte sie so schachmatt. Ich streckte meinen eigenen Kopf vor, um zu horchen. Ich drehte meinen Kopf nach rechts, nach links und nach hinten. „Das ist eigenartig“, flüsterte ich geheimnisvoll. „Ich kann nichts hören.“ Ungläubig schüttelte die Frau heftig ihren Kopf. „Nie hatte ich je so eine Schülerin wie Summer! Ich hatte noch nie eine Schülerin mit so geschliffenem Mundwerk!“ Ich beachtete ihren Ausbruch nicht und fuhr fort, nach diesem unverbesserlichen Schüler mit dem respektlosen, frechen Maul herumzuschauen. „Summer!“ „Was?“ gab ich mit gespielter Überraschung zurück. Sie starrte mich streng an. Ihre Blicke aus Onyxteichen bohrten sich wütend in meine braunen Rehaugen, die unschuldig zurückblinzelten. Zornig finstere Blicke. Blinzeln aus großen Augen. Lippen kräuselten sich. Grinsen. Die Sackgasse war mit dem Gackern erlösten Gelächters und einem Schlag auf das Knie überwunden. „Summer ist wirklich eine sonderbare Schülerin. No-Eyes hat noch nie zuvor eine Schülerin gehabt, die so Schlangen beschwören kann wie Summer. No-Eyes hat nie je so eine Schülerin gehabt, die mit No-Eyes spielt wie Summer.“ Meine unschuldige Miene ging in breites Grinsen über. „Ich kann nicht anders. Ich liebe dich. Ich spiele so gern mit dir und necke dich. Wenn ich dich ärgere, mache ich es wieder gut – ich bringe dich zum Lachen.“ „No-Eyes hat viele, viele Leute gehabt, die hierher kamen. No-Eyes hat keinen einzigen Menschen gesehen, der so voll mit natürlichem Sonnenschein war wie Summer.“ Sie machte eine Pause, bevor sie fortfuhr: „Es ist wahr, Summer ist wie Regen auf ausgetrockneter, heißer Ebene.“ Ich war erfreut und zufrieden mit mir, wenn wir solch heitere Augenblicke wie diesen miteinander verbrachten. Ich war erfreut darüber, etwas Frohsinn in das ernste Leben meiner alten Freundin tragen zu können. Es freute mich von Herzen, dass ich sie zum Lachen brachte. Obwohl mein gelegentliches Abrutschen in Missetaten, wie Fluchen, sie aufbrachte, gelang es mir trotzdem, auch diese Situation zu retten und
in Humor zu verwandeln. Sie dachte, mein natürlicher Humor sei einmalig, mir zugehörig. Das stimmte nicht; er war eine lebenslange Krücke zur Bewältigung von scheinbar unüberwindlichen Schwierigkeiten. Ich bin aber sicher, dass sie verstand und dies auch als erfrischende Methode auffasste, wie ich die Streiche des Lebens, das mir oft arg mitspielte, abwehrte. „Wir wollen jetzt fortfahren“, teilte sie mir mit und trank ihren Kaffee aus. „Gut.“ Ich passte meine Stimmung dem veränderten Ton an. „Summer findet den Stoff dieser Lektion großartig. No-Eyes findet das auch. Aber nur, weil die Menschen die Kirche und den Staat in Frage stellen, heißt das noch nicht, dass sie auch die richtigen Antworten finden, siehst du?“ Ich verstand nicht. „Was wird übrigbleiben außer der Wahrheit?“ Sie breitete ihre dünnen Arme aus. „Die Wahrheit ist schon immer dagewesen! Die Wahrheit versteckt sich nicht hinter der Wollpappel. Sie schläft nicht unter diesem Felsbrocken. Sie versteckt sich nicht in irgendeiner dunkeln Höhle. Summer, die Wahrheit ist die ganze Zeit dagewesen. Wenn die Menschen sie nicht vorher gesehen haben, sehen sie sie auch jetzt nicht.“ Mir passte dieser Wink nicht. „Ich höre, was du sagst, was deine Meinung ist, aber ich glaube, ich begreife nicht. Ich sage auch nicht, dass ich dir nicht glaube, aber wenn die Leute wirklich die fremden Wesen sehen, warum in Gottes Namen werden sie dadurch nicht ganz natürlich auf die Wahrheit der Tatsachen stoßen?“ Sie drehte eine Handfläche nach oben und danach die andere. „Einige werden die Wahrheit finden, andere nicht. Es wird genauso sein, wie es immer gewesen ist. Summer, die Menschen werden immer etwas als Entschuldigung finden, um die Dinge nicht glauben zu müssen.“ „Aber das ist doch reine Unvernunft! Es wird doch dann gerade vor ihren Nasen liegen!“ „Es wird ohnehin schon lange da sein. Sehen die Leute es denn jetzt? Glauben sie es, wenn es heute schon sichtbar ist? „ „Nein, denn sie brauchen mehr Beweise, mehr handgreifliche Beweise. Die Fremden werden diesen lebendigen Beweis darstellen.“ „Nun kommen wir zu etwas anderem. Die Menschen hatten auch schon früher immer Beweise. Hör gut zu, Summer. Das ist wichtig. Beweise sind eines, aber die Menschen brauchen mehr als das. Wenn die Menschen schon immer den Beweis der Wahrheit vor der Nase hatten, warum glauben sie sie denn nicht, hm?“ Ich wusste es nicht, und ich sagte es ihr. Die Menschen trieben mich zur Verzweiflung mit ihren ewigen engstirnigen Forderungen nach Beweisen von diesem und jenem. Denn alles, was sie tun müssten, wäre einfach in sich selber hineinzuschauen. Niemand will die dazu erforderliche erste Anstrengung machen. „Ich verstehe nicht, warum sie den sichtbaren Zeichen nicht glauben.“ „Summer, bist du sicher?“ Ich schüttelte meinen Kopf. „Sie können keine Art fremder Anschauung akzeptieren.“ Sie nickte ärgerlich. Schweigen. Dann merkte ich, was ich gesagt hatte. „Akzeptieren? Das ist es, nicht wahr? Sie lehnen einfach ab, etwas hinzunehmen! Aber warum ?“ Sie zuckte die Achseln. „Die Menschen machen sich eigene Gründe. Häufig ist der Grund, dass sie nicht akzeptieren wollen, dass sie schon lange unrecht hatten. Häufig auch, dass sie nicht akzeptieren wollen, dass sie nicht die besten und gescheitesten Wesen sind. Häufig wollen sie nicht …“ „Wollen. Wollen. Das und jenes nicht wollen! No-Eyes, hier gibt es kein Irgendetwas-Wollen mehr! Es ist schwarz und weiß, das liegt so klar zutage, wie es je sein
kann! Doch du sagst, wegen der Wünsche der Menschen, wegen ihres aufgeblasenen Egos werden sie handfeste Beweise leugnen?“ „Ja.“ Das war unglaublich. Und jetzt war ich es, die das fehlende Akzeptieren der Menschen nicht hinnehmen wollte. Ich schmollte. „Summer muss die Dinge nicht so schwer nehmen. Es gibt immer noch sehr viele Menschen, die den Beweis annehmen werden. Sie werden ihn sogar hochhalten wie ein großes Goldstück.“ Ich lebte auf. „Nun, es hat bei dir so geklungen, als ob alle es ablehnen würden.“ „Nein. Ich habe nicht so was gesagt. Summer vermutete wieder Sachen.“ „Nun, auch wenn ich das tat, bin ich froh, dass es einige Leute geben wird, die das Licht sehen.“ „Viele, viele Menschen werden aufwachen. Sie werden nach der goldenen Wahrheit greifen. Sie werden sie festhalten und ihr Leben ändern. Viele Menschen werden sich ändern und neue sein, anders als früher. Die fremden Wesen werden Dinge beweisen und versuchen, den Menschen hier zu helfen.“ Ich wischte den Schleier weg, der sich auf meinen Augen gebildet hatte. „No-Eyes, dieser Tag hätte schon lange kommen sollen. Die Menschen sind so rückständig. Sie denken noch wie im Mittelalter. Mir scheint, dass es trotzdem zu spät ist, etwas zur rechten Zeit zu verwirklichen, nun, da der Phönix schon so weit entwickelt ist.“ „Es ist nie zu spät für die Wahrheit. Wahrheit ist Licht in dunklen Phönixtagen.“ „Wahrheit ist Licht an jedem Tag. Was ich meine ist, es wird zu spät sein für jene Menschen mit neuem Bewusstsein, um noch Vorbereitungen zu treffen.“ Sie neigte ihren Kopf, um mich anzuschauen. „Zu spät wofür, Summer?“ „Für ihr Überleben“, gab ich zurück. Ihre Augen wurden schmal. „Was für ein Überleben, Summer“ Was werden sie retten müssen?“ „Sich selber!“ Sie zögerte, als sei sich vorbeugte und ruhig in meine flackernden Augen blickte. Sie sprach langsam und bedächtig. „Körper? Oder Geist?“ Stille. Die Medizinfrau stützte ihre Ellbogen auf ihre Knie. „Siehst du? Es wird schon zu spät sein für die Menschen, ihre Körper zu retten. Was ist hier am wichtigsten, Summer? Summer hat einen Punkt ausgelassen. Der Geist ist am wichtigsten. Den Menschen, die glauben und akzeptieren, wird es gut gehen. Siehst du?“ Ich verstand. „Ja, aber sie werden nicht …“ „Sie werden nicht an einem sicheren Ort sein und eigene Nahrungsmittel anbauen. Sie werden nicht genug Vorräte zum Überleben haben, weil sie nie genügend an die Zeichen glaubten, die anzeigten, wann die Dinge kommen würden. Sie sind nicht genug bewusst. Sie hören nicht, wenn sie keine beweise haben, da sie nicht aus der Fassung gebracht werden wollen. Sie hängen zu sehr an ihrem Besitz. So sind viele, über die Summer heute weint. Aber vielen andern wird es gut gehen, Summer. Sie werden nicht Zeit haben, ihren Körper zu retten, aber sie werden zurzeit aufwachen, um ihre Seele zu retten. Das ist ein großer Fortschritt für den Geist der Menschen. Das ist das Leben, siehst du?“ Ich sah es, aber es schmerzte deswegen nicht weniger. „Ja, du hast recht. Ich fühle mich aber immer noch bedrückt über ihr körperliches Schicksal. „ Ich machte eine Pause und schaute in dien tiefen Wald. Rauchfarbene Sonnenstrahlen brachen durch die Bäume und überfluteten den Boden. Es erinnerte mich an ein Feenland – die Wirklichkeit, die Maxfield Parrish malte. „Ich bin immerhin froh, dass sich ihre Seelen weiterentwickeln.“ „Gut! Nun … es wird sehr viele Menschen geben, die glauben werden; sie werden
auch an Gaben der Geister glauben.“ Sie ließ dies in mein melancholisches Gemüt hinabsinken. „Werden die Menschen allgemein das Paranormale akzeptieren?“ „Die meisten werden es.“ „Aber nicht als bewiesene Tatsache“, fügte ich betrübt hinzu. Sie klopfte auf ihr Knie. „Doch, Tatsache! Aber es wird immer noch welche geben, die es nicht akzeptieren, erinnerst du dich?“ Sie schnappte mir meinen eigenen Hoffnungsstrahl so rasch weg, wie sie ihn mir gegen hatte. „Ich glaube, es wird immer Skeptiker geben“, seufzte ich. „Ja, das stimmt.“ „Aber ich verstehe das nicht, ich meine die Skeptiker. No-Eyes, die Fähigkeiten des Geistes sind so wunderbar. Und sie sind mir immer so natürlich vorgekommen. Ich sehe ein, dass sie nicht einfach willkürlich an- und abgedreht werden können wie ein Lichtschalter, aber wenn sie in Funktion sind, scheinen sie mir nicht anderes als Sehen, Hören, Tasten oder Atmen. Und warum werden diese Dinge als außersinnlich bezeichnet? Das hat mich immer betrübt, nein, es hat mich wütend gemacht.“ „Summer soll nicht versuchen, die Menschen zu ändern.“ „Ich bin nicht geneigt, irgendjemanden zu ändern.“ Da erkannte ich, dass sie recht hatte. Ich empfand einen tiefen, leidenschaftlichen Hass auf die unwissenden Erörterungen von Skeptikern. Ich hasste nicht eigentlich die Menschen selber, ich hasste ihren ahnungslosen Unglauben. Ich glaube an das Paranormale, weil sein Wirken mir so selbstverständlich erschien. Es war eine unleugbare Tatsache – ein Teil meines Lebens. Aber immer, wenn ich einem Skeptiker begegnete, kochte ich innerlich. Ich kochte, weil ihre „intellektuelle Logik“ es einfach abtat. Und ich war auch auf die UFO-Skeptiker wütend. Aber wenn man persönlich Augenzeuge wurde von acht oder neun fliegenden Objekten, bei manchen aus ziemlicher Nähe, streitet man nicht mehr mit hartgesottenen Skeptikern – man bemüht sich nicht einmal mehr, den Mund aufzutun. „Nein, ich werde nicht versuchen, die Menschen zu ändern, No-Eyes.“ „Viele Menschen werden sich ändern auch ohne Summer. Sie werden sich ganz allein verändern. Sie werden sehen, glauben, sich wandeln.“ Ich versuchte dort fortzufahren, wo wir aufgehört hatten, ehe ich mich so ereiferte wegen der Skeptiker. „Wenn viele Menschen an die Wahrheit glauben und die geistigen Gaben, wird es dann auch ein allgemeines Massenbewußtsein dieser Gaben in Zukunft geben?“ Ihre blinden Augen hellten sich auf. „Ja. Es wird eine große Bewegung geben, um zu lernen. Man wird jede Information darüber und alle Bücher beschaffen wollen. Es wird eine große Bewegung auf eine Bewusstwerden der Menschen zu geben.“ „Das ist gut, No-Eyes. Obwohl ich nicht um den Eindruck herumkomme, es geschehe gewissermaßen nach dem Ereignis, wird es trotzdem etwas Gutes sein. Je mehr Leute sich bewusst werden, wie die Dinge wirklich sind, desto mehr wird der Geist Fortschritte machen. Ich bin froh darüber. Das ist die eigentliche Grundlage, glaube ich.“ „Ja. Summer muss das spirituelle Leben auch nicht vergessen. Die Menschen werden in Büchern suchen, bei Lehrern und in ihren Herzen. Sie werden geistige Wahrheit über das Leben nach dem körperlichen Tod finden. Die Menschen werden sogar mehr an geistiges Leben glauben.“ Das überraschte mich nicht. „Kommt das nicht auf ganz natürliche Weise? Wenn sie an die Gaben des Geistes glauben, werden sie automatisch sehen, wie da Leben nach dem Tod weitergeht.“ Mit einem tiefen, feierlichen Seufzer ließ die Frau ihre Schultern fallen. „Nein. Höre, Summer. Einige Menschen werden nur teilweise bewusst. Sie meinen, alle geistigen
Gaben seien Teil des Verstandes. Sie meinen, die Gaben seien im Kopf und nicht spiritueller Art.“ O Gott. „Du meinst, sie glauben, dass sie nur eine körperliche Sinnesfunktion seien?“ Sie nickte sorgenvoll. „Und dass da überhaupt kein Geist beteiligt sei?“ „Ja“. Dies stellte sich nicht als die wunderbare Lektion heraus die ich ursprünglich erwartet hatte. „Summer, es gibt immer noch Leute, die nicht an den Großen Geist glauben. Sie denken, die Gaben seien ein Teil des Werks des Verstandes.“ Sie zuckte die Schultern. „Das ist in Ordnung. Summer soll sich nicht um diese Menschen kümmern. Es wird viele, viele Menschen geben, die an die Dinge des Geistes glauben. Sie werden bereit sein zu sterben, sie kennen die Wahrheit in ihren Herzen.“ „Dann sag mir eines: Sieht es danach aus, dass das Weiterleben der Seele allgemein angenommen wird?“ „Es sieht so aus.“ Ihre Antwort bracht eine gewisse Erleichterung, wenn auch keine große. „Warum bleibt die Existenz des Geistes eine solch ununterbrochene Streitfrage? Ich kann den Zweck des Unglaubens nicht erfassen, wenn es doch so viele Beweise gibt. Selbst nachdem Menschen in tiefe hypnotische Trance versetzt wurden und in vergangene Leben zurückkehren, langen Skeptikern noch immer in ihre zerlumpte Tasche der Logik, um eine Entschuldigung für ihren Unglauben auszugraben. Es wirft mich um.“ Sie zeigte teilnahmsvolles Verstehen. „Wir haben den Kreis geschlossen, Summer. Wir kommen da wieder zum Akzeptieren zurück. Sie werden die Dinge, an die sie nicht glauben, nicht annehmen. Sie haben viele Gründe, um nicht zu akzeptieren. Sie finden die Dinge zu hart, um sie anzunehmen; das ist alles.“ Und ich fand sie auch zu hart, um sie zu akzeptieren. Aber ich hatte die natürlichen Seiten des Lebens hingenommen, seit ich sehr jung war. Jetzt, da ich älter und weiser war, musste ich lernen, das Nichtakzeptieren hinzunehmen. Es war nicht einfach. Kapitel 7 – Wehklagen Wehklagen Der flügge Vogel spricht. Sein schauerndes Klagen hallt als unheilvolles Omen über dem ganzen Land wider. Wieder einmal wurde mir eine Woche gegeben, um den neuen Stoff zu verdauen. Bill und ich verbrachten viele Nächte im Gespräch bis in die Morgenstunden. Auch er war zuerst der irrigen Meinung, meine letzte Lektion gebe Anlass zur Freude. Auch er verfiel dem gleichen Irrtum falscher Annahmen wie ich. Als ich ihm das ganze Bild gründlich erklärte, war er weniger begeistert von der Aussicht auf die neue Wahrheitserkenntnis der Menschen. Auch er stand unter dem Eindruck, dass es nach dem Ereignis zu spät sein würde. Wir wussten jedoch beide, dass es für das Erwachen des Geistes, selbst wenn es im letzten Augenblick des körperlichen Lebens geschah, nie zu spät war. Während dieser besonderen Woche drehten sich mehrere Familientischgespräche
um die geistigen Wahrheiten. Diese improvisierten Diskussionen wurden gewöhnlich durch eine gedanklich herausfordernde Frage unsere Mädchen ausgelöst. Sie waren im Wissen um die natürlichen Gaben des Geistes aufgewachsen und kannten alle Seiten der Wahrheit. Und angesichts des riesigen Bereichs von Anschauungen, den die Wahrheit umfasste, bracht ihr aufgeweckter Geist einige sehr kluge Fragen hervor. Diese ungewöhnlichen Abendmahlzeiten dauerten häufig recht lange. Oft saßen wir stundenlang vor leeren Tellern und redeten in aller Offenheit, da eine Frage natürlich zur nächsten führte. Uns allen bereiteten diese Stunden großes Vergnügen. An einem Tag dieser Woche begann meine jüngste Tochter, Sarah, allerlei zusätzliche Arbeiten für mich zu tun. Sie bemerkte, dass ich besonders müde schien, als ich mich in meinem Bostoner Schaukelstuhl ausruhte. Sie trat ins Wohnzimmer und kam zu mir. „Darf ich dir die haare bürsten, Mama?“ Ich fiel benahe vom Stuhl. „Was? Ich dachte du wolltest heute mit Carrie reiten gehen?“ Sie zog schüchtern eine Haarbürste hinter ihrem Rücken hervor. „Ich dachte nur, du würdest dich besser fühlen, wenn ich dir die Haare bürste.“ Irgendetwas war los. Eine Mutter braucht keine übersinnlichen Fähigkeiten, um gewisse Dinge zu spüren. Es war ein herrlich sonniger Tag, die Mädchen hatten schulfrei und waren erpicht auf ihre Spielzeit. Etwas stimmte nicht. „Sarah, du hast mir den ganzen Morgen Arbeit abgenommen, sag mir nun, warum du nicht hinaus zum Spielen gehen willst.“ Sie musterte ihre Turnschuhe. „Ich will ja hinausgehen.“ „Dann geh nur. Mir geht es gut“ munterte ich sie auf und tätschelte ihren Rücken, um sie fortzuschicken. Sie blieb neben dem Stuhl stehen. “Aber kann ich deine Haare nicht nur ein wenig bürsten? Ich zog sie zu mir auf den Schoß. Ich wollte der Sache auf den Grund gehen. „Ich sag dir was, wir machen ein Abkommen. Ich erlaube dir meine haare zu bürsten, wenn du mir sagst, warum du es tun willst:“ Ihre kleinen Finger spielten mit den Borsten. “Wirst du mich nicht auslachen?“ Ich runzelte die Stirn. „Habe ich das je getan?“ Die schüttelte ihr langes goldseidiges Haar. „Also?“ „Nun ich wollte sicher sein, dass im bericht über mich mehr gute als schlechte Dinge stehen“ Ich lächelte über diesen rührenden Gedanken. „machst du dir Sorgen, dass dein geistiges Zeugnis nicht ausgeglichen sein könnte?“ Sie nickte.. „Sarah ich bin sicher, dass es ganz in Ordnung ist, aber wenn du einige gute Taten hinzufügen möchtest, dann ist es mir auch recht.“ Mit breitem Lächeln sprang sie auf und bürstete das haar ihrer müden Mutter. Später schickte ich sie hinaus und sprach mit Bill über den Vorfall. Wir freuten uns über das tiefe Verständnis unserer Kinder für die schwierigen, geistigen Vorstellungen, weil wir auch gewahr wurden, wie sie tatsächlich diese Wahrheiten selber praktisch anwandten. Richtig verstanden bringt das Gesetz des Karma naturgemäß gute Menschen hervor. Dieses Gesetz sorgt für den großen Ausgleich unter den Menschen. Es veranlasst die Menschen zweimal zu denken, bevor sie unfreundliche Worte äußern oder müßiges Geschwätz wiederholen. Es macht die Menschen ehrlich und vertrauenswürdig. Es lässt sie anderen den Vortritt geben. Es sorgt dafür, dass Menschen weniger dazu neigen, andere zu kritisieren. Das Gesetz des Karma ist die schönste Wahrheit, die wir haben, weil es die Grundlage ist für die Gerechtigkeit der Seele allen anderen geistigen Anschauungen vermittelt.
Dieser neueste Vorfall mit Sarah reihte sich an alle früheren, die unsere Kinder ausgelöst hatten. Sie zeugten von einem bemerkenswerten begreifen dieser schwierigen Ideen, aber so sollte es sein mit jungen Menschen. Unsere Kinder hatten das Glück, uns als ihre Eltern ausgesucht zu haben. Sie sind mit dem persönlichen Wissen um das verschlungene Wirken der geistigen Begleiterwesen aufgewachsen. Sie waren dabei, wenn solche Verbindungen zustande kamen; sie haben mit geistigen Begleitern gesprochen. Ja, sie bemerkten die Veränderungen, wenn sich der Begleiter offenbart, und sie wurden plötzlich verlegen, wenn er ihnen eine Frage stell, aber sie sind auch ganz aufgeregt und versessen darauf, eigene Fragen zu stellen. Und sie werden ihnen immer zu ihrer vollkommenen Zufriedenheit beantwortet. Unsere Mädchen wurden mit jedem Tag bewusster. Beispiele ihrer wachsenden Wachheit tauchten unerwartet auf, und sie wurden der Familie eifrig mitgeteilt. Ein solcher Fall geschah, als Sarah beiläufig erwähnte, sie habe während der Nacht meinen geistigen Begleiter gesehen. Ich war überrascht über dieses neue Vorkommnis und fragte sie weiter aus: „Erzähl mir davon.“ Sie sprach in einem sehr nüchternen Ton. „ Nun, alle schliefen und es war sehr dunkel. Ich weiß nicht , warum ich aufwachte, es passierte einfach. Und da warst du – du standest auf der Schwelle meines Schlafzimmers und schautest mich an.“ „Wie hast du gewusst, dass ich das war? Es hätte dein eigener Begleiter sein können. Es hätte Jenny sein können, die durchs Haus ging.“ „Nein, ich weiß, dass du es warst. Ich konnte es sehen. Außerdem ist mein eigener geistiger Begleiter viel größer als du und Jenny war schon im Bett.“ Was hast du gemacht, als du mich dort stehen sahst?“ Sie grinste offen. „Zuerst meinte ich, du seiest es wirklich, weißt du dein Körper. Und ich sprach dich an. Aber als du nicht geantwortet hast und nur dort standest…. Nun da habe ich die decke über meinen Kopf gezogen.“ Ich lacht und umarmte sie. „Sarah, du weißt, mein Geist würde dir nichts tun, du Dummes.“ Sie lächelte breit. !Ja, ich weiß, aber es war doch recht gespenstisch. Dann guckte ich unter der decke hervor, und du warst weg. Ich lauschte einen Augenblick, und dann ging ich in dein Zimmer, weißt du um sicher zu sein.“ „Und?“ „Und du hast tief geschlafen.“ „Du hattest keine Angst, durch das finstere Haus zu gehen, nachdem du den Geist gesehen hattest?“ „Ein bisschen, aber ich habe das weiße Licht um mich herum getan und außerdem ging mein Begleiter mit mir.“ So sah Sarah zum ersten Mal einen Geist. Obwohl meine Kinder gut bewandert waren im Gebaren der Geister, kann eine erste Begegnung eine furchterregende Erfahrung sein, so schlimm sogar, dass man vor lauter Angst – ganz gleich wie gut vorbereitet man ist – möglicherweise alles vergisst, was man vorher gelernt hat. Es ist eine Sache zu glauben und mutig darüber zu reden, aber es ist eine ganz andere, wenn man wirklich eine körperliche Begegnung hat. Bill und ich waren stolz auf Sarah, wie sie ihre erste Begegnung gemeistert hatte. Wir waren auf alle unsere Mädchen stolz. Sie bemühten sich so sehr, rechte Menschen zu sein, so wie Gott sein Volk haben wollte. Ich wünschte mir nur, die heutigen Erwachsenen hätten so wie sie aufwachsen und glauben können. Welch erfüllte und zufriedene Welt hätten wir heute, was für eine großartige Welt! Aber es hat nicht sein sollen. No-Eyes sagte, dass die zukünftigen Leiden der Menschheit nicht letztlich durch Gottes Zorn hervorgerufen würden, sondern eher durch das Überhandnehmen negativer, von den Menschen selber verursachter Vibrationen. Was haben wir angerichtet? Nun müssen wir wie die kleinen Kinder werden,
zuversichtlich, gläubig und erfüllt von einem unerschütterlichen Vertrauen. Auf meiner Fahrt zur Hütte der alten Frau dachte ich über diese Dinge nach. Ich fühlte mich getröstet durch die schlichte, annehmende Haltung meiner Kinder. Sie brauchten nicht zu sehen, um zu glauben. Sie glaubten und ihr Geist wurde natürlicherweise wach genug, um zu sehen. Sie glaubten und sie akzeptierten. Ich fühlte mich in gehobener Stimmung, als ich meinen Lieferwagen parkte und den Weg zur einsamen Hütte hinaufging. No-Eyes saß auf der Veranda mit verschiedenen, großen Körben voll Pinienzapfen um ihren Stuhl. Sie war dabei die kerne herauszupulen. „Summer heute Glücklich, hm?“ Ich grinste. „Ja, das bin ich.“ Sie zuckte die Achseln. “Summer will nicht sagen, warum?“ Mein Grinsen wurde breiter. „Sag du es mir.“ „Hm. Meint Summer, No-Eyes habe eine Kristallkugel?“ „Ja, da oben“ antwortete ich und zeigte auf meinen Kopf. Sie runzelte die Stirn und schaute weg in den Wald. Sie war angespannt. Ich wartete geduldig, bis meine Lehrerin ihre geistige Magie vollbracht hatte. Und ohne ihren Blick abzuwenden sagte sie: „Es ist wegen den Mädchen von Summer. Es handelt sich um die letzte Lektion, um die Lektion des Akzeptierens.“ Sie wandte sich mir zu und ihre Augen glänzten. „Summer hat frohes Herz, weil die Mädchen die Dinge annehmen.“ Ich verzog mein Gesicht zu einem widerwilligen Lächeln. „Kann ich denn gar nichts vor dir geheim halten? Das ist einfach zuviel.“ „Das ist nicht zuviel. Die Welt kann nicht zuviel an Wahrnehmung haben. Außerdem, warum sollte Summer das überhaupt geheim halten?“ Es ist nicht, weil ich es möchte, No-Eyes. Ich kann es nur einfach nie.“ „No-Eyes wäre ein schlechte Lehrerin, wenn die Schüler etwas verbergen könnten.“ Ich glaube, sie wollte ihre weise, hellseherische Fähigkeit verteidigen. „Ich weiß. Darum bist du meine Lehrerin und ich bin nur die unbedeutende, strauchelnde Schülerin.“ Sie fuhr auf. “Nur? Unbedeutend? Summer ist nicht nur eine irgendeine Schülerin. Summer ist eine besondere Schülerin!“ Sie war ganz aufgeregt und warf ihren Korb um, der randvoll mit Pinienkernen war. Ich beachtete das Durcheinander nicht. „Du hast mir immer gesagt, du habest noch nie so eine Schülerin wie mich gehabt. Ich bin respektlos wenn ich fluche. Ich bin unaufmerksam, wenn meine Gedanken über die berge schweifen. Ich bin ungezogen, wenn ich Witze mache zur falschen Zeit. Ich bin…“ Sie stampfte mit dem Fuß. „Hör auf!“ Schweigen. „No-Eyes sagt, Summer ist eine bedeutende Schülerin. No-Eyes meint…“ Sie senkte den Kopf und zog sich in sich selbst zurück. Ich sah, dass sie den Tränen nah war und ich kniete rasch an ihre Seite. „Und ich bin gefühllos.“ Ich legte meine Hand auf ihre zitternden Hände. „Es tut mir leid, dass ich dich durcheinandergebracht habe.“ Ich griff zärtlich nach ihrem Kinn und schaute in ihre dunklen Augen. „Ich bin wirklich alle diese Dinge, weißt du. Aber trotz all meinen Neckereien, meinem Abschweifen und fluchen habe ich mehr von dir gelernt als ich je hätte lernen können von hundert Bergheiligen. Du bist die beste Lehrerin der Welt und …. Und ich liebe dich“. Sie nahm einen tiefen Atemzug von der Bergluft und atmete langsam aus, während sie meine Hand drückte. „Summer ist wie kühler Regen in trockenen Wäldern. Summer ist No-Eyes letzte Schülerin. An manchen Tagen ist Summer schlimm, aber sie ist erfrischend schlimm für No-Eyes. Wenn Summer nach den Lektionen weggeht, dankt No-Eyes dem Großen Geist für…..“ Dankt?“ Es gab Zeiten, da war ich sicher, dass sie den Tag, wo sich unsere Wege gekreuzt hatten, verwünschte.
„Summer unterbricht auch zuviel“ grinste sie „No-Eyes dankt dem Großen Geist für den Tag wo Er Summer in die Wälder geschickt hat. Nie zuvor hat No-Eyes Schülerin gehabt, die so viele Fragen gestellt hat. Nie zuvor hatte No-Eyes Schülerin, die ihren Gefühlen so freien Lauf ließ. Nie war ein Schüle No-Eyes so nah wie Summer.“ Das waren wirklich große Worte und ich wusste wie schwer es sie ankam, solch tief empfundene Gefühle auszudrücken. Und nun war es an mir, den dicken Klumpen in meinem Hals herunterzuwürgen. Das einzige was ich tun konnte war, ihr um den hals zu fallen. Ich hielt meine alte. Blinde Seherfreundin fest umschlungen. Schließlich klopfte sie auf meinen Arm. „Wir werden nichts zu7wege bringen. Wir können die Lektion nicht durchführen, wenn wir so rührselig sind. Ich zog mich zurück und fasste mich langsam wieder. „Willst du jetzt hinein gehen?“ „Wir werden uns heute an den Fluss setzen“, kündigte sie mit einem Augenzwinkern an. Nachdem ich die verstreuten Pinienkerne und Zapfen aufgelesen hatte, machten wir uns zum Abstieg auf. „No-Eyes, was macht jetzt der Phönix ?“ „Wenn er seine Flügel ein paar Mal erprobt und ausgespannt hat, wird er anhalten und aufmerksam horchen. Er hat nicht gern, was er kommen sieht, und er wird schreckliche, schrille Töne ausstoßen. Er bricht in großes Wehklagen aus über die Zukunft der Menschheit.“ Wir wanden uns vorsichtig durch ausgedehnte Squawbuschsträucher. „Weint er um die Menschen oder um das, was geschieht? Was jetzt geschehen wird?“ „Das erste zuerst. Er weint um beides, um die Menschen und um das , was er kommen sieht.“ Wir ließen die leuchtend roten Sträucher hinter uns und stiegen langsam durch das Gras den Bergabhang hinunter. „Und dann, wie geht es weiter?“ Sie packte meinen Arm als sie ausglitt und fing sich wieder. „Wir gehen zuerst zum Fluss hinunter.“ Als wir uns den Biegungen des Flusses näherten, schwelgte ich in einem ganz selbstsüchtigen Entzücken über den Herbsttag. Ein Falke glitt schwerelos durch seine eigene kobaltblaue Sphäre. Seine „Eigentumsurkunde“ war frei und unbelastet. Keine einschränkenden Dienstbarkeiten waren seinem Gebiet aufgezwungen. Der elegante Vogel flog durch reinen und klaren Himmel. Ich fragte mich, ob er wusste , wie glücklich er war. Er brauchte sich nicht um die auf Land Habsüchtigen zu sorgen. Er brauchte keinen Gedanken zu verlieren über die geldhungrigen Planer und Entwickler, die das Land einteilten und zerschnitten, wie viele weiche Kuchenstücke. Und er weinte keine Träne über die Wunden, die grausam in die Mutter Erde gegraben wurden durch Bergbauunternehmen. Nein, der Falke war sorglos in seinem herrlichen Revier, auf das kein Mensch Anspruch erheben würde niemand ihm wegnehmen und entweihen könnte. Ich beobachtete seinen Flug und wünschte, ich könnte es ihm gleichtun. Plötzlich wurde ich an meinem Arm gezogen und rasch wieder in die Gegenwart zurückgebracht. „Summer, das ist nicht gut.“ „Ich weiß“, gab ich niedergeschlagen zu, „aber es ist nicht Recht. Das Land gehört nicht mehr unserer Mutter Erde,“ Sie schnalzte mit der Zunge. „Di kannst die Dinge nicht ändern. Summer soll nicht an so traurige Sachen wie diese denken. Außerdem sind wir jetzt beim Fluss. Setz dich. Ich erzähle jetzt von den Phönixtagen, Tage, an denen er laut klagen wird über alle Länder“ Ich half der Alten, sich auf einem weichen Graspolster niederzulassen neben dem rauchenden Wasserlauf und fegte einige Zweige weg, die auf meinem Platz
herumlagen. Es war ein herrlicher Ort für unser Gespräch. Das Sonnenlicht fiel weich durch den Wald und ließ mich an glücklichere Zeiten denken. Plötzlich hob No-Eyes ihren gestreckten Finger, und ich sah vol Freude einem grün und rot schillernden Kolibri zu, wie er einen Augenblick rastete, bevor er geräuschvoll wegflog auf der Suche nach einem nahrhafteren Rastplatz. Wir lachten über den winzigen, lustigen Vogel. Die alte Frau lehnte sich vor und stützte ihre Ellbogen auf ihre gekreuzten Beine. Sie wollte keine Zeit verlieren. „Phönix ist bereit zu warnen. Er wird laut und lange kreischen. Sein Wehklagen wird zur gleichen Zeit kommen, wie die Atomsachen.“ Sie spielt mit ihren Fingernägeln. „Nein, das ist für später, Summer, die Menschen sind dumm. Sie begraben lebendiges Zeug im Innern der Mutter Erde. Sie hat dieses Zeug nicht gerne. Es tut ihr sehr weh, es verbrennt sie richtig. Mutter Erde weint vor Schmerz. Sie versucht dieses schlimme, brennende Zeug, das die Menschen dorthin gebracht haben, loszuwerden. Sie wird es auch tun.“ „Warte, wir müssen die richtigen Wörter finden. Du hast lebendiges Zeug gesagt, das brennt…“ „Ja, No-Eyes meint nukleares zeug, das die Mutter Erde verbrannt. Welches ist Summers Wort dafür?“ „Strahlung. Radioaktives Material und Abfall.“ „Das ist es , was No-Eyes meint, ja. Sie schien dem Fluss zuzuhören, bevor sie weitersprach. „Mutter Erde hat genug davon und ist es müde, dass die Menschen Abfall in ihrer Brust verbrennen. Sie wird es den Menschen zurückgeben. Sie wird den Menschen zeigen, wie sehr es sie verletzt. Sie wird den Menschen sogar ihre eigene schlecht Medizin zurückgeben.“ Sie spitzte ihre Lippen und nickte voller Selbstzufriedenheit. Ich war nicht so beglückt über die beabsichtigte Rache von Mutter Erde. Ich konnte es gut verstehen, aber ich freute mich nicht, wie es offensichtlich meine Lehrerin tat. „ Wird die Erde beben an den Abfallplätzen?“ „Nur an zwei Orten“ „Wie viele Gebiete werden im Ganzen davon betroffen sein?“ „Zehn, vielleicht zwölf“ „Bevölkerte Gegenden?“ „Einige“ „Wenn in zwei Gebieten Beben vorkommen, was wird mit den anderen geschehen?“ Sie zuckte ungerührt die Schultern. „Sie werden einfach mit Schlamm bedeckt.“ „Einfach? No Eyes, wie kannst du darüber so gleichgültig sein? Wenn Giftmüll zur Erdoberfläche zurück quillt, werden Hunderte von Menschen in schrecklicher Gefahr sein.“ „Sogar mehr.“ „Tausende?“ Sie nickte nur. „Ich kann es nicht glauben, dass du darüber so gleichgültig bist. Früher hattest du immer ein starkes Mitgefühl für die Menschen gezeigt. Warum bist du plötzlich so anders?“ Sie lächelte. „No-Eyes ist nicht anders. No Eyes war immer mit dieser einen Sache zufrieden. Die Leute sind dumm. Sie werden endlich zurück bekommen. Was sie Mutter Erde angetan haben.“ „Aber die Allgemeinheit hat nicht dazu beigetragen, dass das Material in Mutter Erde abgelagert wurde. Die Leute haben nichts zu sagen dabei. Warum sollten die Menschen darunter leiden, was andere Schlimmes angerichtet haben?.“ „Es spielt keine Rolle, wer die Ablagerung auf dem Gewissen hat. Was zählt, ist, dass diese Müllablagerung überhaupt gemacht wurde. Die Tat selber ist von Bedeutung.“ „Nicht für mich. Ich sehe keine Gerechtigkeit.“ Man hat Mutter Erde keine Gerechtigkeit getan. Hm, Summer, wo bleibt da die Gerechtigkeit? Höre, wenn Summer von Menschen verletzt wird, versucht Summer, wieder heil zu werden, gleich wer Summer Verletzungen zugefügt hat? Siehst du? Die Heilung ist am wichtigsten.“ Ja, aber ich schlage auch nicht wegen meiner Verletzungen zurück auf unschuldige Menschen.“ „Summer schlägt ohnehin nicht. Aber zuerst versucht Summer die Wunden heilen zu lassen. Richtig?“ „Ja.“ „Das ist alles, was Mutter Erde auch versuchen wird. Sie wirft den brennenden Stoff aus ihrer verletzten Brust heraus. Das ist alles. Sie will nicht den Menschen Schaden zufügen – sie will nur
das Zeug, das weh tut, loswerden.“ „Aber vorher hörte es sich so an. Als ob sie sich an den Menschen rächen wollte. Du sagtest, sie würde ihnen ihre eigene schlechte Medizin zurückgeben. Das klang für mich wirklich wie eine beabsichtigte Vergeltungsmaßnahme.“ „Mutter Erde will nur das Zeug loswerden. No-Eyes war es, die sagte, sie gebe den Menschen ihre eigene Medizin zurück. Mutter Erde sagt das nicht.“ „Dann bist du also erfreut über das zukünftige Geschehen?. Schweigen. Ich konnte nicht fassen, dass meine Freundin erfreut sein sollte über eine so furchtbare Katastrophe. In der Vergangenheit hatte sie eine so teilnahmsvolle Haltung und sogar Tränen gezeigt, wann immer wir über das Unheil sprachen, das über die Menschheit kommen sollte. „Du bist erfreut!“ Sie hatte meine schockierte Reaktion nicht gern. Sie warf ihre Arme in die Luft und begann sich zu ereifern. „Was soll Mutter Erde tun? Die Menschen denken, sie seien so schlau! Sie denken, sie seien so fortgeschritten. Sie laufen gerade in ihr selbstgemachtes Unglück. Die Menschen sind dumm, Summer. Die Menschen sind blöd und dumm mit ihrer Fortgeschrittenheit! Sie sehen nicht! Sie sehen nicht einmal was sie selber machen.“ Ich wollte das nicht. Es war schwierig, sie wieder aus ihren Tiraden herauszubringen, wenn sie einmal in Fahrt war. „No-Eyes, bitte“ versuchte ich. No-Eyes hat recht! No Eyes hat ein Recht, wütend zu sein! Glaubt Summer, Indianer würden solches der Mutter Erde antun, wie die Weißen? Die Indianer sind voller Liebe zu ihr. Sie tun ihr nicht weh, sie verbrennen oder verletzen sie nicht!“ Ich verstand ihre tief sitzenden Gefühle und sprach sanft: „Ich weiß, aber die Indianer sind nicht mehr das Volk dieses Landes, und…“ Plötzlich veränderte sich ihre Laune. Die Dame entspannte sich und ein wissendes Lächeln kroch langsam über ihr Gesicht. „Summer sagt komisches Zeug. Ich sage da auch etwas. Es ist zwar für letzte Lektion . aber ich sage etwas, weil Summer jetzt darauf zu sprechen kam.“ Sie machte eine Pause und hob ihr runzeliges Gesicht gegen die Sonne. Leuchtender ‚Stolz stand ihr ins Gesicht geschrieben, als sie es wieder mir zuwandte und flüsterte: „Summer, das indianische Volk wird wieder auferstehen, wie der große Phönix. Das indianische Volk wird eins sein! Es wird so stark wie früher sein.“ Mein Herz schlug heftig mit jedem Wort, das sie äußerte. „Aber wie….“ Sie berührte ihre dünnen Lippen mit ihrem Finger. No-Eyes sagt, dass dies für letzte Lektion ist.“ Ich grinste. „Du neckst mich. Du willst mich einfangen.“ Sie hob ihr kantiges Kinn in die Luft. „Nein, Summer hat die Sache zur Sprache gebracht. No-Eyes hat nur Summers falsche Idee korrigiert.“ „Kannst du mir nicht ein klein wenig erzählen? Bitte?“ „Wir wollen die Dinge nicht durcheinander bringen hier. Heute sprechen wir über die nuklearen Sachen.“ Und das war ihr letztes Wort darüber. Das Thema über den Aufstieg der indianischen Nation was damit endgültig geschlossen, solange, bis sie allein den Zeitpunkt für gekommen hielt, es wieder aufzugreifen. Ich fühlte mich ernüchtert und enttäuscht, diesen herrlichen Herbsttag über Lecks bei der Atommüllagerung verbringen zu müssen, während wir über schönere Dinge hätten reden können. Doch wir stimmten darin nicht überein, und immer, wenn das passierte - verlor ich. „So!“ begann sie „Mutter Erde wird das brennende Zeug den Menschen wieder ins Gesicht werfen. Das ist nur der Anfang…“ „Prächtig“, murmelte ich sarkastisch. Eine braune hand formte eine Schale hinter einem braunen Ohr. „No-Eyes hört wieder einen vorwitzigen Mund?“ „ Nein, eigentlich nicht. Ich verstehe nur nicht wie es noch viel schlimmer werden kann, wenn du jetzt sagst das herausquellen sei nur
der Anfang !“ „Ja, stimmt. Summer will vielleicht nicht hören, aber Summer muss trotzdem zuhören.“ „Habe ich eine Wahl?“ Sie warf mir einen jener vorwurfsvollen Blicke, die einem schlechten Schüler gelten, zu. „Oh, also gut, mach weiter.“ „Hm. Das ist besser. Große nukleare Anlagen werden in Gefahr geraten. Summer gib das richtige Wort dafür.“ Ich überlegte, was sie mit Gefahren meinen könnte, und erklärte, was die Kernschmelze eines Atomreaktors war. Das ist das richtige Wort. Es wird nicht bei allen vorkommen, aber sie werden nahe daran sein, sehr nahe.“ „In bewohnten Gegenden?“ „Manche ja.“ „Werden diese Beinahe-Unfälle die Menschen veranlassen, ihre Atomreaktoren nochmals einer genauen Kontrolle zu unterziehen? Werden sie außer Betrieb gesetzt werden?“ Sie schüttelte nur ihren Kopf. „Oh, um Himmels willen! Was kommt dann?“ murmelte ich voller Abscheu. Sie nahm meine Bemerkung wörtlich. „Dann wird der Phönix kreischen, wenn anderes brennendes Material herausquellt. Er wird..“ „Warte ! Was für anderes Material? Verschiedenes radioaktives Material?“ „Ja, das ist Kriegszeug.“ Sie meinte wohl chemische Waffen. Oder vielleicht hochradioaktive Waffen. Und mein erster Gedanke schoss wie ein Pfeil in Richtung des Rocky Mountain Arsenal. Obwohl mein Herz wie wild klopfte, versuchte ich ruhig zu bleiben. „No-Eyes , du meinst doch wohl nicht, dass etwas mit dem Rocky Mountain Arsenal passieren wird?“ Und ich wollte die Antwort eigentlich nicht hören. Ich wusste schon, wie sie sein würde. „Ja“ „Wird es einen Unfall geben?“ „ Mutter Erde wird aufgewühlt sein. Sie wird stark beben.“ „ Ein Erdbeben?“ Sie zuckte nur die Schultern und schaute hinauf in die dichten Bäume. „Ich habe das bestimmte Gefühl, dass dies für einen anderen Tag vorbehalten ist.“ „Ja.“ „ So wird also das Arsenal erschüttert, und dadurch werden radioaktives Material und chemische Stoffe freigesetzt; aber du willst bis zu einer anderen Lektion nicht sagen, was wirklich das beben verursacht hat.“ „Summer hat es richtig gesagt.“ „Morgen.“ „Ja, aber für heute haben wir noch ein Ding. Summer, es wird Lecks mit nuklearem Stoff geben, aber es werden noch zwei letzte große Sachen losgehen. Sie werden an Orten passieren, wo viele Menschen sind. Viele Menschen werden betroffen sein.“ Mein Herz schien auszusetzen. Sie hatte das Allerschlimmste für den Schluss aufgespart. „ Richtige Kernschmelzen?“ Und die tödliche Stille, die folgte, sagte alles. Kapitel 8 - Klauen spreizen Klauen spreizen Und der Jungvogel gräbt seine mächtigen Krallen tief in die weiche, nachgiebige Brust der Mutter Erde. Nach meinem aufwühlenden Nachmittag mit der alten Frau sehnte ich mich verzweifelt nach der Normalität familiärer Zerstreuung. Ich konnte nicht mit dem Wissen, das mir heute mitgeteilt wurde, weiterleben. Ich hatte mich mit dem Gedanken getragen, hinauf zu fahren in meine heiligen Gründe, um allein zu sein und über meine Lektion zu grübeln, aber dann besann ich mich eines Besseren und beschloss heimzukehren in die aufreizenden Geräusche, die mich manchmal die Wände hochgehen ließen. Als ich ins Haus trat, plärrte aus dem Fernsehapparat ein Fußballspiel. Bill und Jenny hopsten auf und ab und feuerten unsere Mannschaft, die am Verlieren war, mit lauten Zurufen an. Aimees Stereoanlage ließ ihre Zimmerwände erzittern, und
Sarah beklagte sich bitterlich, dass der Hund ihre Verstecke immer viel zu schnell aufspürte. Mir war dieser totale Tumult richtig willkommen. Ich hatte genau das gefunden, was ich brauchte, was der Arzt verordnete – geistige Zerstreuung. Ich beförderte Rainbow, die Hündin, aus dem Haus. Und ich hielt sie fest, bis Sarah voller Aufregung das perfekte Versteck gefunden hatte – eines, das die Hündin bestimmt nie finden würde. Endlich, als das Suchzeichen gegeben wurde, ließ ich Rainbow wieder ins Haus. Ich musste lachen, als sie schnurstracks zu ihr ging. Sie war vergnügt und schüttelte sich immer aus vor Lachen, wenn die Hündin um ihr Versteck schnüffelte. Dann rollten sich beide voller Freude auf dem Boden in einem neuen Ringkampfspiel. Auch hier gewann immer die Hündin. Wir wiederholten das Versteckspiel, bis es Zeit wurde für Sarah, dass sie sich vor dem Zubettgehen beruhigte; wir spielten also Rommé, bis es ihr zu dumm wurde, die arme, alte Mama immer zu schlagen. Ich glaube, ich tat ihr leid. Sie drückte aber diese Gefühle nicht aus, und ich erwähnte nicht, dass ich sie hatte gewinnen lassen. Das Spielen mit den Kindern und ihnen behilflich zu sein beim Zubettgehen machte mich körperlich und geistig müde. Ich deckte Sarah und Aimee in ihrem großen Doppelbett zu. Sarah umarmte mich fest und bat mich, die Steppdecke auf ihrer Seite hineinzustecken. Das war ein neuer Wunsch. „Warum willst du die Decke eingesteckt haben?“ fragte ich. „So können keine Knochenhände herankommen und mich packen.“ Ich schaute auf den Boden, wo ihre Versammlung an ausgestopften Stofftieren zu einem Berg aufgehäuft lag. „Glaubst du nicht, dein Zoo wird dich beschützen?“ Sie schüttelte den Kopf, und ihr langes goldenes Haar raschelte von einer zu anderen Seite. „Nein, du Dumme, das tut doch mein Begleitergeist.“ „Was soll denn das mit deiner Steppdecke?“ „Das ist nur zweifacher Schutz. Ich kann so meinem Schutzengel helfen, mich zu beschützen.“ Ich lächelte über ihren kindlichen Vorwand. Natürlich wusste ich, was ihr kleines Gemüt quälte; sie war heute im Kino gewesen. „Du glaubst nicht etwas, ein entlaufener Gremlin habe sich zufällig hierher verirrt, oder?“ Sie war leicht empört. „Ich bin zu alt, um so etwas zu glauben!“ „Das habe ich auch gedacht.“ Ich gab ihr einen Gutenachtkuss und schaute, dass die Steppdecke besonders gut eingesteckt war. Aimee war die nächste. Ich ging um das große Bett herum an ihre Seite. Sie blinzelte mir wissend zu und kicherte leise über den vorgetäuschten Mut ihrer Schwester. „Mama, ich habe dich so lieb“, sagte sie und quetschte die Luft aus mir, „geh nie fort.“ Ich drückte sie auch. „Ich werde nicht fortgehen, wenn ich es vermeiden kann, mein Liebes.“ „Ich hoffe, Gott ruft dich nie vor mir zu sich.“ Ich zog mich zurück und fasste nach ihrem Kinn. „Das ist kein sehr glücklicher Gedanke vor dem Schlafengehen. Aimee, niemand weiß, was Gott im Sinn hat. Das einzige, was wir tun können, ist uns jeden Tag liebzuhaben.“ Dieser Gedanke beschäftigte sie sehr. „Wieso tun das nicht mehr Leute?“ „Was tun?“ „Nun, wie du immer sagst, man solle den anderen so behandeln, als ob man wüsste, dass er am nächsten Tag sterben müsse. Warum sind die Menschen nicht nett miteinander?“ „Weil sie einen freien Willen haben, erinnerst du dich? Obwohl sie in ihrem Herzen wissen, was recht ist, können sie trotzdem wählen, auf welche Weise sie handeln
wollen. Warum fragst du das alles?“ „Na ja, die Nachrichten sind voll von Mord und solchen Dingen….“ „Aimee, das einzige, was dich kümmern muss, ist, wie Aimee die Menschen behandelt. Die am Fernsehen werden selber eine Antwort finden müssen für ihre schlechten Taten. Überlas nun diese hässlichen Geschichten den andern, und mach dir in deinem hübschen Köpfchen keine weiteren Sorgen mehr darüber. Hörst du?“ „Ja, aber ich möchte trotzdem, dass Gott mich zuerst zu sich nimmt.“ Ich zog die Decke glatt um ihre Schultern. „Ich glaube, es wäre besser, wenn du mehr ans Leben als ans Sterben dächtest.“ „Ws wäre ein besserer Ort hier zu leben, wenn mehr Leute ans Sterben dächten und daran, wie das Verzeichnis ihrer Taten aussieht.“ Sie hatte einen Punkt. Ich küsste sie und sagte ihr, sie solle sich einen schönen Ort ausdenken, wo sie ihren geistigen Begleiter treffen könne. Jenny war zu groß, um zugedeckt zu werden. Sie kam ins Zimmer ihrer Schwestern, um mir gute Nacht zu sagen. Sie legte ihre Arme um mich und sagte unschuldig: „Ich möchte nicht, dass sich irgend etwas verändert.“ Diese morbiden Launen wirkten ansteckend. „Die Dinge verändern sich immer, Jenny.“ „Ich meine uns“, erklärte sie. „Die Dinge um uns herum werden sich verändern, aber wir werden trotzdem zusammen bleiben.“ Sie gab sich damit zufrieden und ging ins Bett. Dann rief sie mir noch laut zu: „Mama, ich bin froh, dass du darüber Bescheid weißt.“ Ich war es nicht. „Ich bin froh, dass du froh bist, mein Liebes; träume süß.“ Ich ging ins Wohnzimmer und setzte mich zu Bill. Er legte die Zeitung weg und klopfte sich auf den Oberschenkel. „Was hatte die weise Frau heute zu sagen? Etwas Gutes?“ „Es kommt darauf an, was du als gut bezeichnest. Es scheint, des einen Freude ist des anderen Leid.“ Er blickte verwundert. „War sie froh oder traurig?“ Ich stand auf und steuerte in die Küche. „Ich will nicht darüber reden.“ Er folgte mir auf den Fersen. „He! Seit wann reden wir nicht mehr miteinander?“ Er war, wie immer, besorgt über meine Gefühle. Er zog mich an sich. „Hör mal, was ist los? Was hat sie gesagt?“ Ich hatte die schlechte Gewohnheit, eine eiserne Schale über mein verletzliches Gemüt zu ziehen, wenn ich über etwas Heikles nicht sprechen wollte. Es war ungerecht und grausam, jemanden, den ich liebte, so zu behandeln, aber es war meine einzige Abwehr, um nicht gezwungen zu werden, über etwas Schmerzhaftes zu sprechen. Bill war erfahren darin, wie er diese Schale knacken musste, und ich hoffte, er würde es heute Abend nicht versuchen, weil ich immer in Tränen ausbrach, wenn meine Abwehr zerbrach. Einzig Bill verstand es, meine tief unterdrückten Gefühle an die Oberfläche und zum Herausströmen zu bringen. Ich versuchte, gegen seinen Versuch hart und kalt zu bleiben. „Nicht!“ knurrte ich. „Du warst den ganzen Nachmittag dort, und sie hat überhaupt nicht gesprochen? Sie hat nichts gesagt?“ Ich trat aufgebracht von einem auf den andere Fuß. „Musst du alles wissen?“ Er drückte mich an sich. Verdammt! Er würde es wieder fertig bringen. Er streichelte mein Haar. „Mein Schatz, bitte, ich liebe dich so sehr. Behalte den Schmerz nicht in dir drin. Schließ mich nicht aus.“ Alles wäre in Ordnung gewesen, wenn er mich nur angeschrien hätte. Mit einem
Wortwechsel wurde ich fertig – aber nicht mit Zärtlichkeit. Mir war zuwider, wenn ich dagegen kämpfte, meine Gefühle herauszulassen, wenn er besonders liebevoll wurde. Ich hasste das geradezu. „Ich will jetzt einfach nicht darüber reden.“ Und ich sträubte mich hartnäckig in seinen Armen. Er war eigensinnig. Er umarmte mich nur umso fester. „Mary, ich habe dich lieb, bitte sprich mit mir, bitte, mein Schatz“, flüsterte er mir sanft ins Ohr. Der Klumpen blieb stecken. Die Augen begannen zu brennen. Die Schultern zuckten. Meine Schale brach weit auf und zerbarst in Stücke. Er wiegte mich in seinen Armen und führte mich in unser Zimmer. Ich schüttelte den ganzen niederdrückenden Tag aus, und wir redeten lange. Wir sprachen lange miteinander, bevor wir still wurden. Wir schauten einander fest in die Augen, und bald waren wir die einzigen Menschen auf der ganzen Welt. Er hatte meine emotionale Schale durchbrochen und schönte mir die Welt mit seiner Liebe. Ich schlief wie ein neugeborenes Kind. Da blinkten plötzlich rote, kugelige Augen vor mir. Ohrenbetäubende, kreischende Töne durchrangen die Stille der Nacht, und meine Augen öffneten sich. Ich träumte von Phönix und fürchtete mich. Ich schaute Trost suchend zu Bill hinüber. „Bill?“ flüsterte ich. Er stöhnte und drehte sich auf die andere Seite. Es war unsinnig, ihn zu wecken. Was hätte er überhaupt tun können? Die Phönixtage drangen in meinen Schlaf ein. Ich hatte das fast erwartet. Ich versuchte, es mir wieder bequem zu machen. Ich versuchte, mich auf glücklichere Gedanken zu konzentrieren. Hatte ich dies nicht Aimee vorher geraten? Ich drehte mich hin und her, aber jedes Mal, wenn ich meine Augen schloss, kauerte der große Phönix da, und er starrte mich mit flackernden, roten Augen an, die sich wild bewegten. Da wurde langsam lächerlich; die Sache geriet mir aus der Hand. Ich hatte doch sonst bessere Kontrolle über meinen Geist! Ich drehte mich auf den Rücken, und ein leerer Film rollte vor meinem geistigen Auge ab. Bald spürte ich die vertrauten kribbelnden Empfindungen, die Schwerelosigkeit, und dann nichts als süßes Vergessen. Vogelkrallen, so ungeheuerlich wie Häuser, gruben sich in die weiche Erde. Die Muskelsehnen der Beine spannten sich, als die schuppigen Zehen sich krümmten und die gelben Klauen tief in den lebenden Boden hackten. Der Boden wurde weit aufgerissen. Die Klauen, scharf wie Rasiermesser, schnitten jedes Mal tiefe Gräben, wenn sie sich grausam an der Erde festhielten. Und den Krallen spritzte es scharlachrot hervor, und Bäche von Blut strömten heraus. Die Füße hoben und gruben sich in andere Stellen am Boden; rastlos zogen und rissen die gewaltigen Zehen, und die Klauen kneteten gnadenlos Mutter Erdes empfindliche Brust. Und das frische Blut floss über das ganze Land. Die Städte waren ein Schlachtfeld, in denen die aufrührerische Menge tobte. Alle Minderheiten rächten sich an einer ungerechten Welt. Die Gebäude brachen unter höllisch züngelnden Flammen, die sie aushöhlten, zusammen. Fensterscheiben barsten. Immer wieder Explosionen. Wilde, Waffen schwenkende Banden streiften durch die mit Trümmern übersäten Straßen auf der Suche nach jemandem, an dem sie ihre Wut auslassen konnten. Sirenen schnitten durch den betäubenden Lärm. Schüsse krachten. Das Gelächter von Wahnsinnigen tönte an meine Ohren. Ich rannte in eine Seitenstraße und watete in der Dunkelheit durch nassen Schlamm. Unter einer intakten Straßenlampe angekommen, sah ich, dass ich durch Blut gestapft war, dickes, rotes Blut. Ich fuhr herum, gerade rechtzeitig um zu sehen, wie alles in einem grellen Blitz einer pilzartigen Wolke unterging. Und alles, was an Energie mir noch übrig blieb, entlud
sich in einem tonlosen Schrei. Kalte Schweißperlen klebten an meiner Stirn, als ich erwachte. Meine Hände waren klamm. Ich schaute zu Bill hinüber, nein, ich wollte ihn nicht wecken. Ich verließ leise das Schlafzimmer und schielte zur Schulhausuhr, die an unserer Küchenwand tickte. Ich sah, dass es drei Uhr morgens war. Ich hätte wissen müssen, wie spät es war – meine magische Traumzeit war immer ungefähr um drei Uhr. Ich zündete die Kerosinlampe an und wärmte mich am sanften Schimmer, der meine große ländliche Küche erfüllte. Ich setzte mich an den Küchentisch und zündete eine Zigarette an, während ich über meinen grauenvollen Alptraum nachdachte. Er hatte mich furchtbar erschreckt. Ein Schauer lief mir über die nackten Schultern. Die Schauer kamen und gingen mit den Gedanken wie dreidimensionale Kinoeffekte, die geschickt darauf abzielten, das Publikum in Angst und Schrecken zu versetzen. Ich ging die scheußlichen, bildhaften Szenen nochmals durch, bis ich mit dem Verstand die Traumsymbole zu entziffern vermochte. Das Uhrpendel schwang im Gleichklang mit meinen methodischen Überlegungen. Es tickte die Sekunden weg. Es tickte meiner Zukunft entgegen. Im Geist legte ich alles richtig aus, aber es gelang mir nicht, logische Assoziationen zu machen und Begründungen zu finden. Früher hatte ich nie Schwierigkeiten gehabt mit Traumsymbolen. Das hier war äußerst verwirrend. Tick – tack. Tick – tack. Dann wurde mir klar, dass die Symbole keinen entsprechenden Sinn ergaben – sie waren gar keine Symbole, es war Wirklichkeit! Ich schauderte beim bloßen Gedanken, dass ich wieder einmal von einem zukünftigen Ereignis geträumt hatte. Die vorausschauenden Träume waren nicht Ungewöhnliches, aber ich schauderte wegen des Inhalts meines Traums. Ich zündete mir eine weitere Zigarette an und schaute zu, wie blaue Rauchkringel sich von der glühenden Zigarettenspitze lösten; so hielt ich Rückschau auf die Dinge, die ich an den vergangenen Wochenenden bei meiner alten, weisen Frau gelernt hatte. Ich war neuerdings beinahe soweit, meine Besuche bei No-Eyes wegen des deprimierenden Inhalts der Lektionen zu verabscheuen. Ich konnte ein Hassgefühl nicht verleugnen, das unmittelbar unter der Oberfläche in meinem Herzen schlummerte, wenn ich an den Phönix dachte. Obwohl ich wusste, dass er nicht die eigentliche Ursache der bevorstehenden, schrecklichen Veränderungen war, spürte ich doch eine Art zufriedener Genugtuung, die von seinem Unbewußten ausging. Er war immer noch zu eng mit der Zukunft verknüpft, als dass er sich völlig davon lösen konnte. Darauf wanderten meine Gedanken zur Bemerkung No-Eyes übe den Aufstieg des indianischen Volkes. Ich konnte mir immer noch nicht logisch ausdenken, wie dieses seltsame, scheinbar unmögliche Ereignis eintreten könnte. Aber wenn sie es voraussah, so glaubte ich es standhaft. Vielleicht kündigte der Phönix eine neue Zivilisation bewusster Menschen an. Diese neue Vorstellung hellte mein Gemüt auf. Vielleicht würde die neue Nation, nachdem alles zerstört und gereinigt war, so gedeihen, wie Gott ursprünglich die Menschen geplant hatte. Es wäre auf alle Fälle ein Neubeginn. Ja, vielleicht würde dieser Phönix reinen Tisch machen, aufräumen mit allem wertlosen Plunder, um Raum zu schaffen für ein neues, friedliches Zeitalter der Erkenntnis, die im Sonnenlicht wachsen und blühen würde – gedeihen beim Aufbau einer neuen Welt auf der Grundlage des Einsseins mit Mutter Erde. Das könnte aber auch nur eine Vermutung sein. Jedoch hielt ich unter all den einleuchtenden, gegenwärtigen Möglichkeiten an dieser Annahme fest, kehrte ins Bett zurück und schlief fest, bis Rainbow am Morgen mich leicht an meine Wange stieß. Es war spät. Ich war verspätet. Ich hätte an diesem Tag bei der Medizinfrau sein
sollen, um am heiligen Ritus unserer Weihe des Tagesanbruchs teilzunehmen. Aber ich hatte leichtfertig verschlafen. Sie würde wütend sein, oder, schlimmer noch, sie würde der fehlbaren Schülerin die kalte Schulter zeigen. In rasender Eile zog ich meine Jeans und eine Flanellbluse an, packte meinen Wollumhang, ließ den Hund hinaus und wieder herein und verließ das Haus. Durch Woodland zu fahren war nervenaufreibend, weil ich mich an die Geschwindigkeitsgrenzen halten musste. Aber nachdem ich die Außenquartiere hinter mir hatte, raste ich auf den verlassenen Nebenstraßen durch den National Forest, bis ich die Lichtung bei ihrer Hütte erreichte. Atemlos rannte ich den Hügel hinauf und durch die knarrende Tür. Sie konzentrierte sich gerade darauf, die Mischung einer ihrer speziellen Kräuterrezepte richtig abzumessen. Ohne ihre intensiven Berechnungen zu unterbrechen, knurrte sie mich an: „Die Tür wird kaputt gehen! Komm hierher! Ich werde Summer heute neue medizinische Dinge zeigen.“ Ich traute meinen Ohren nicht. Wie war nicht böse mit mir, weil ich zu spät zu unserer Gebetszeremonie auf dem Hügel kam. Heute hätte wieder eine schreckliche Lektion des Phönixberichts stattfinden sollen, und ich war hocherfreut, dass sie den Lektionenplan geändert hatte. Ich zog meinen schweren Wollumhang ab und ging zu ihr in die winzige Küche. „Was machst du?“ frage ich neugierig und blickte auf die verschiedenen zugepfropften Gefäße. Mit ihren Fingern maß sie peinlich genau Mengen ab, bevor sie sie in ein sonderbar geformtes Gefäß schüttelte. „Das wird Summer helfen, besser zu schlafen.“ Sie wusste von meiner schlechten Nacht. Ich musterte ihr zerfurchtes Gesicht von der Seite, während sie arbeitete. „Du weißt es also.“ „Ja. Das ist keine gute Lehrerin, wenn sie nicht ein wachsames Auge auf ihre Schülerin hat.“ Sie stellte die herumstehenden Gefäße in ihren großen Vorratsschrank, kam an den Tisch zurück und stopfte einen Korkzapfen in das Arzneifläschchen, bevor sie es mir aushändigte. „Da, Summer, gib einen Viertel Teelöffel in eine Tasse Tee vor dem Zubettgehen.“ Ich prüfte den seltsamen Inhalt des grünen Glasfläschchens genau. „Ein Viertel? Das ist nicht sehr viel!“ rief ich aus, als ich die pulverartige Mischung schüttelte. Darauf begannen meine Finger zu kribbeln voller Bewegungsenergie. Sie erhob warnend den Finger und klopfte ans Glas. „Summer darf nicht mehr nehmen! Wenn Summer mehr nimmt, wird Summer vielleicht nicht mehr aufwachen!“ Ich richtete meinen Blick wieder auf das geheimnisvolle Gebräu. Und ich wusste, dass sie einige von ihren narkotischen Pflanzen verwendet hatte. Sie hatte meinen Schlaftrunk in einer unglaublich starken Dosis zusammengesetzt. „Vielleicht werde ich nur die Hälfte der verschriebenen Menge nehmen“, sagte ich nachdenklich. „Summer soll nehmen, was No-Eyes sagt. Das ist ein sehr starkes Mittel, man muss es in der genau verordneten Menge nehmen!“ „Gut … aber ich glaube nicht, dass ich das ganze Fläschchen brauche. Da ist genügend drin, um die Lichter der ganzen Stadt auszulöschen!“ Sie legte sanft ihre Hand auf meine. „Nimm es, Summer. Dieser Stoff verdirbt nicht. Eines Tages wird Summer es vielleicht brauchen können, um Leuten zu helfen.“ Und mein Herz klopfte heftig bei ihren Worten. Ich wollte gerade widersprechen, als sie mich kurz angebunden unterbrach. „Summer meint, sie weiß, was sie nie tun muss. Summer gibt sich keine Rechenschaft, wie sie Menschen helfen wird in Zukunft. Es wird hart werden für die Menschen. Sie werden Schmerzen erleiden und nicht gesund werden. Diese Arznei wird das Leiden sterbender Menschen erleichtern, verstehst du?“ Ihre Finger strichen zärtlich über das Fläschchen, das
ich in der Hand hielt. „Summer soll es jetzt für guten Schlaf nehmen. Dann – Summer hat auch Mittel, um später zu helfen.“ Ich schaute auf das grüne Fläschchen hinunter, und dann fixierten sich meine Blicke auf den ihrigen. „Danke, No-Eyes.“ Und ich glaubte, ein feuchtes Glänzen in den dunklen Seen zu erhaschen, bevor sie sich abwandte und ins Wohnzimmer schlurfte. Ich sah, wie sie am Schaukelstuhl herumfummelte und sich setzte. Rumpel-quietsch. Rumpel-quietsch. Unvermittelt kroch mit ein kalter Schauer über den Rücken. „Wie wäre es, wenn ich ein gemütliches Feuer für uns machte? Möchtest du das?“ Sie seufzte tief. „Das wäre nett, Summer.“ Das Holz war frisch aufgestapelt worden, ich suchte einige kleine Espenscheite hervor und legte sie auf das Anfeuerholz aus Wacholder. Bald darauf sandten die knisternden, flackernden Flammen wärmende Strahlen in den Raum. Ein süßer Duft wehte leise über unsere Köpfe. Ich legte einige Apfelbaumäste, die sie von Freunden bekommen hatte, auf den Stoß nach und setzte mich neben meine Freundin auf das Sofa. Sie war verdrossen. „Was ist los?“ fragte ich ruhig. Rumpel-quietsch. Rumpel-quietsch. Die Kälte zog sich aus dem Raum zurück, aber in der Hütte wurde es dunkel von den draußen unheilvoll aufziehenden Gewitterwolken. Wir würden wiederum eines unserer berüchtigten Rocky Mountains-Gewitter haben. Ich dachte darüber nach, wie in letzter Zeit die Unwetter an Gewalt zugenommen hatten. Es schien, als ob sie mehr Energie entluden. Der Regen fiel nun mit der Kraft von Wurfspießen, und der Donner war ohrenbetäubend, wie er zwischen den Bergketten endlos krachte und hallte. Rumpel-quietsch. Rumpel-quietsch. Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder meiner Freundin zu. Sie starrte mich an. „No-Eyes tut es leid, dass sie Summer einen bösen Traum geschickt hat.“ „Du hast es nicht getan. Du hast nur übermittelt, was du voraussahst. Ich ließ es mir unter die Haut gehen, das ist alles.“ Sie schüttelte feierlich den Kopf. „Summer versteht das hier nicht. Ich glaube, wir sprechen heute noch mehr über nukleare Sachen.“ „Ja, wir wollen das“, ermutigte ich sie. „Summer hat noch nicht ganz begriffen. Wann hatte Summer diesen schlimmen Traum? „Gestern Nacht.“ „Nacht?“ „Nun, eigentlich war es um drei Uhr herum … morgens – heute“, wurde mir die bohrende Wirklichkeit bewusst. Rumpel-quietsch. Sie hatte es getan. Sie hatte mir die Lektion schon gegeben. „Warum hast du es auf diese Weise getan? Hättest du nicht bis heute warten können – während des Tages?“ Sie beugte ihre Schultern zu mir. „Wir reden über die Zukunft. Summer, Gespräche sind nur Worte. Gewisse Dinge bedeuten nicht viel, wenn sie nur Worte sind, verstehst du?“ „Du meinst, dass ich tatsächlich sehen, die Zukunft fühlen musste, um ihren Ernst zu erfassen?“ „Ja, das ist hier nötig.“ „Aber ich erfasse doch ihren Ernst. No-Eyes, die Dinge, die wir besprochen haben,
sind absolut scheußlich! Du solltest wissen, dass gerade ich dies alles sehr ernst genommen habe. Meinst du nicht, dass ich eine genügend gute Einbildungskraft habe, um mir all diese Dinge bildlich vorstellen zu können? Warum glaubst du, muss ich den Schmerz und das Leiden, das ich für die Zukunft spüre, abladen?“ Sie lehnte sich zurück. „No-Eyes weiß das alles. No-Eyes ist keine dumme Lehrerin.“ „Das habe ich nicht gesagt.“ Rumpel-quietsch. „Summer musste das sehen, das ist alles. Wir sprechen jetzt über die Dinge im Traum.“ „Müssen wir das? War es nicht deutlich genug?“ „Nicht genug. Summer hat etwas übersehen. Wir werden nun darüber sprechen.“ Tiefes Donnergrollen erschütterte die wacklige Hütte, die in Vibrationen mitschwang, während meine entschlossene Lehrerin ihre Gedanken sammelte. „Wen hat Summer auf den Straßen im Traum gesehen?“ „Die Leute gehörten verschiedenen Minderheiten an.“ Sie zögerte spürbar, als ob sie sich reiflich überlegen musste, was sie als nächstes sagen sollte. Dann fuhr sie fort. „Was taten diese Leute im Traum?“ „Sie machten Aufruhr. Sie waren zornig, verrückt vor Wut. Sie zogen in großen Gruppen herum mit Knüppeln, Äxten und Gewehren – mit allem, was sie als Waffe oder Zerstörungswerkzeug brauchen konnten.“ „Aber warum, Summer?“ „Ich vermute, sie lehnten sich gegen Ungerechtigkeiten auf, die ihnen angetan wurden. Sie hatten wahrscheinlich genug von der Unterdrückung und beschlossen, die Dinge in ihre eigenen Hände zu nehmen.“ „Das stimmt, aber Summer hat immer noch weggelassen warum. Außerdem“ … sie machte eine Pause, „da gab es sogar auch weiße Menschen in diesen Banden im Traum. Summer nahm sich nicht die Zeit, diese Leute anzusehen. Summer hat zu sehr versucht, sich erst in der Seitenstraße zu verstecken.“ „Ich dachte, in der Bande seien die Minderheiten vertreten.“ „Das ist auch wahr. Diesmal sind alle Menschen Minderheiten.“ Sie verlor sich rasch im Wald ihrer Worte, denen ich nicht folgen konnte. „Wie kann das sein? Ich meine, wer bleibt da als Überlegener?“ Ihre Brauen zogen sich zusammen. „Staatsleute, Summer.“ „Die Regierung?“ Sie beugte sich wieder zu mir und sagte sanft: „Höre Summer, das hier ist eine äußerst wichtige Sache. Leute vom Staat machen zuerst zwei oder drei schlechte Gesetze für das Volk. Die Leute werden nicht mitreden können. Diese Gesetze werden in großem Gebäude des Staates gemacht.“ „Warte. Wir müssen das klären. Ich weiß, wenn du das Wort Staat brauchst, meinst du die Regierung. So wird also die Regierung einige Gesetze erlassen, ohne dass die Leute darüber abstimmen können. Das ist klar. Aber dieses große Gebäude in der Regierung, da bin ich nicht sicher. Kannst du mir mehr darüber sagen?“ Sie dachte nach und fügte dann hinzu: „Da gibt es sieben oder acht Männer in dunklen Anzügen.“ „Könnten auch Frauen in dieser Gruppe sein? Könnten darin sogar neun Leute in langen, schwarzen Roben sein?“ Sie prüfte nach. „Ja, auch Frauen. Summer hat recht. Es sind neun.“ „No-Eyes, diese Leute nennt man Richter des Obersten Bundesgerichts. Sie erlassen Gesetze, die für das ganze Land Gültigkeit haben.“ Ich dachte einen Moment nach. „Und doch sagst du, dass sie Gesetze erlassen, die nicht gut für das Volk sind.“ „Das ist richtig.“
„Aber zwei oder drei Gesetze stacheln die Massen noch nicht zu großen Aufständen an.“ „No-Eyes hat das nicht gesagt. No-Eyes sagt zuerst zwei oder drei. Aber sie werden viel mehr schlechte Gesetze machen für das Volk. Sie machen Gesetze, die den Menschen das Privatleben, das private Recht auf geistige Freiheit wegnehmen, sogar alles was privat ist!“ „Das würde uns einen Polizeistaat bescheren! Bist du da ganz sicher?“ „Ja, No-Eyes ist sicher. Summer, habe ein waches Auge auf diesen Gerichtshof, kontrolliere alle Gesetze, die er erlässt. Zuerst sieht es nicht wie eine sehr wichtige Sache aus, aber dann gewinnt es immer mehr Macht über die Privatangelegenheiten der Menschen. Mein geistiges Auge wanderte durch die schrecklichen Szenen des Traumes. „Es wird ein Alptraum sein. Ich kann verstehen, warum die Menschen einen Aufstand machen. No-Eyes, wird diese Art öffentlicher Reaktion sich überall ausbreiten, oder wird sie sich auf eine oder zwei bestimmte große Städte konzentrieren?“ Ihre Augen funkelten. „Sie wird überall sein. Sie wird sich über das ganze Land ausbreiten. Aber es wird der Anfang vom Ende sein.“ Der Wolkenpilz stieg vor mir beklemmend klar auf. „Woher wird die Atomexplosion kommen?“ „Summer erinnert sich, dass wir über das brennende Zeug sprachen, das Mutter Erde wieder auswerfen würde?“ „Ja“, gab ich zögernd zu. „Und erinnerst du dich, dass Summer sagte, No-Eyes solle den fehlenden Teil, die Lücke in der Geschichte ausfüllen?“ „Ja. Das war der Teil über das Arsenal von chemischen Waffen. Du hast mir gesagt, dass es durch ein Beben erschüttert wird …“ Sie zwinkerte. „Aber du hast auch gesagt erschüttert, nicht explodieren!“ „Es wird zuerst erschüttert und dann in die Luft gejagt.“ Ich spürte, dass wir uns wieder in Wortspielen verfingen, das heißt genauer, in Gedankenspielen. „Ich werde versuchen, dies zu klären, No-Eyes. Du dehnst das zu lang aus. Ich will nur versuchen zu sagen, was du meiner Meinung nach anpeilst, aber ich möchte, dass du mich unterbrichst, wenn ich unrecht habe.“ Rumpel-quietsch. „Ich denke also, die Mutter Erde wird beben und dadurch das Austreten von radioaktivem Abfall bewirken, einige Atomkraftwerke werden mit knapper Not einem Supergau entrinnen, zwei werden eine totale Kernschmelze erleben und dann …“ ich zögerte, weil ich nicht sicher war, „und dann wird ein Schlagabtausch mit Atomwaffen passieren. Einer wird New York City treffen und ein anderer das Arsenal in die Luft jagen.“ Da, ich hatte es gesagt. Richtig oder falsch, ich hatte meine Theorie ausgesprochen. Schweigen. Ich wartete auf einen Kommentar. Ich wartete auf eine feste Bestätigung oder Verneinung. Schweigen. „Nun?“ „Nun was? Summer hat No-Eyes gesagt zu sprechen, wenn Summer unrecht hat. Ich spreche nicht.“ Ich wünschte, sie hätte. „So habe ich also recht?“ „Hat No-Eyes Summer unterbrochen?“ Kein Kommentar. „Warum spricht Summer nicht? Summer hat da richtigen Gedanken.“
„Es geht mir nicht ums Sprechen.“ Sie versteifte sich ärgerlich. „Summer kann dieses Spiel vielleicht mit Bill treiben – sie kann es nicht mit No-Eyes! Wir werden trotzdem reden!“ Nun gut. „Wer sendet diese ferngesteuerten Raketen, Bomben?“ Sie schob ihre Unterlippe vor und zog sie ein. „Das ist hier nicht wichtig …“ Ich war nicht einverstanden. „Ich finde, es ist! Wer schickt sie, No-Eyes?“ Schweigen. Sie wollte keine Antwort geben. Sie schaukelte, bis ich mich beruhigt hatte, dann lehnte sie sich vor und legte ihre Hand auf meinen Schoß. „Was ist hier wichtig, Summer? Denk über die Lektionen vom Geist nach, bevor du antwortest.“ Ich musste überhaupt nicht nachdenken, weil ich es schon wusste. „Aufräumen, das sich um die Überlebenden Kümmern wird am wichtigsten sein – das heilen.“ Sie tätschelte mein Knie. Ich war eine brave, kleine gehorsame Schülerin. „Das ist richtig. Es spielt keine Rolle, wer die schlimmen Verletzungen zufügt, was von Bedeutung ist, ist das Heilen.“ Ich schaute hinaus und sah, wie der Sturm die Wolken aufriss. Die Menschheit musste mit der Natur wetteifern. Sie konnte fürchterlich zerstörend sein durch Dürre, dann erquickte sie und machte das leben wieder gut mit ihrem Regen. Zwischen ziehenden Wolken schien die Sonne durch und sandte ihre hellen Strahlen durch die dünnen Vorhänge. „Du hast recht“, räumte ich ein, „die Menschen werden sich zusammentun müssen, um anderen zu helfen, das ist am wichtigsten.“ Die Alte erhob sich plötzlich vom Stuhl. „Summer, No-Eyes hat ein paar Freunde, die bald hierher kommen. Wir sprechen heute nicht mehr weiter. Summer geht jetzt zur Familie heim. Wir sind fertig für heute.“ „Ist es persönlich? Könnte ich nicht dableiben und sie treffen?“ „Summer könnte, aber No-Eyes möchte, dass Summer mit der Familie zusammen ist. Summer braucht eine Unterbrechung.“ Das war wahr, aber ich war noch unentschieden, was ich zu tun wünschte. Ich wollte gehen und wollte doch auch bleiben. „Sie würden begreifen. Ich könnte noch eine Weile bleiben.“ Sie hob meinen Wollumhang hoch. „Zuviel reden über schlimme Zukunft ist nicht gut. Die Familie wird frohen Herzens sein, wenn Summer früh zu Hause ist.“ Ich fühlte mich, als ob ich fortgeschickt würde. „Ich glaube, du hast recht. Ich könnte wirklich einen Sonntagnachmittag brauchen, weg von diesen Scheußlichkeiten.“ Und ich umarmte die kleine Frau, bevor ich zur Tür ging. „Summer?“ rief sie sanft. Ich drehte mich um. Sie hielt das Arzneifläschchen in ihrer Hand. „Du hast etwas vergessen.“ Ich nahm das Fläschchen und öffnete die Tür. „No-Eyes?“ „Ja?“ „Ich habe dich lieb.“ Schweigen. Die schmalen Bergstraßen waren von orangefarbenem Schlamm überspült; sie waren zerklüftet von Bächen abfließenden Regenwassers, das Abkürzungen durch sie eingegraben hatte. Es hatte offensichtlich heftiger geregnet, als ich geglaubt hatte. Als ich die Hauptstraße von Woodland erreicht, war auch sie mit einer Dreckschicht bedeckt, der von den Wassermassen auf die Straße geschwemmt worden war, die sich in die Stadt ergossen. Das war nicht ungewöhnlich nach starkem Regenfall, da Woodland an einem Bergpaß gelegen war. Wenn Sturm wütete, strömte das Wasser die Berghänge hinunter durch die Naturstraßen. Nach
den Schlammbergen zu schließen, hatte Woodland einen der schlimmsten Stürme erlebt. Ich fuhr in die Garage, und bevor ich aussteigen konnte, waren schon Jenny und Rainbow da, mich zu begrüßen. Wir traten ins Haus, und ich wurde von einer aufgeregten Familie überfallen. Bill machte sich Sorgen, dass ich schon so früh zu Hause war. Nachdem ich ihn beruhigt hatte, dass alles in Ordnung war, beschlossen wir, auf Einkaufstour hinunter nach Colorado Springs zu fahren und dort Pizza zu essen. Wir genossen den Nachmittag zusammen; sie waren so erfreut, dass No-Eyes mir diese zusätzliche Zeit für sie gegeben hatte. Auf dem Heimweg den Pass hinauf hielten wir beim Haus von Freunden und blieben, bis es Zeit zum Schlafen war für Sarah. Es war für uns alle ein ausgefüllter Tag gewesen, und die Mädchen sanken erleichtert ins Bett; ich selber war auch müde, aber Bill hatte andere Pläne. „Lass uns einen Spaziergang machen.“ Mein Körper wollte nicht, aber es war schon lange her, seit wir nachts in der Umgebung spazieren gegangen waren, und so stimmte ich zu. Nachdem wir Jenny die üblichen Anweisungen fürs Aufpassen gegeben hatten, machten wir uns auf den Weg. Es war dunkel, aber der Mond leuchtete, und in seinem Schein funkelten die glänzenden Regentropfen, die von den schwankenden Kiefern fielen. Die Luft war von einem frischen, neuen Geruch erfüllt. Da und dort sahen wir, wie Holzrauch gemütlich aus den Kaminen hervorkräuselte, und ich glaubte, die knisternde Stimme der freundlichen Feuer zu hören. Unsere Spaziergänge waren wohltuend, sie besänftigten den erschöpften Geist und belebten den Körper mit neuer Energie. Wir gingen sonst jeden Abend spazieren, aber seit die Schule wieder begonnen hatte, waren wir meistens zu beschäftigt damit, den Mädchen bei den Hausaufgaben zu helfen. Wir waren froh, dass es Sonntag war. Wir freuten uns, wieder einmal draußen in der frischen Herbstluft zu sein. Die Umgebung war still, und unsere Schritte waren auf der feuchten Erde des Wegs kaum zu hören. In manchen Nächten wanderten wir eine Stunde lang, ohne dass einer von uns ein Wort sagte. Wir hielten uns nur an den Händen und ließen unsere Liebe zueinander durch das fest geschlossene Band strömen. „Das war eine gute Idee“, sagte ich ruhig im Bemühen, die Stille nicht zu stören. „Es ist eine Weile her.“ „Ja, schade, dass wir soviel zu tun haben.“ Wir gingen noch ein Stück, bevor er wieder sprach. „Da du nicht viel sagst über deinen Morgen, nehme ich an, dass du nicht darüber reden willst.“ Ich zuckte die Achseln. „Nein, es ist in Ordnung. Ich genieße es nur – es ist so friedvoll.“ „Es ist gut“, sagte er leise, „Wir sollten dies wirklich auch in den Bergen oben tun. Ich weiß, wie sehr du unseren alten Platz vermisst.“ Mir fehlte wirklich die kleine Holzhütte, aber ich wusste auch, dass wir eines Tages einen eigenen Besitz mit meilenweiten bewaldeten Bergen als Nachbarn haben würden. „Wir werden einmal unseren eigenen Platz dort oben haben, wo wir herumwandern können. Das hier genügt für jetzt.“ „Also, wenn es dir recht ist zu reden, was ist heute Morgen vorgegangen?“ „Sie machte mir eine besondere Medizin-Mischung. Erinnere mich daran, es aus dem Campingwagen zu holen, wenn wir zurück sind. Es soll mir besser helfen zu schlafen. Es sind stark wirksame Substanzen drin; ich muss es darum den Mädchen erklären.“ Er runzelte die Stirn. „Sie rühren nie etwas von deinen Arzneien an.“
Ich hob die Brauen. „Das ist nicht nur eine gewöhnliche Mischung“, ich zögerte, „sie hat einige ihrer giftigen Pflanzen darein getan – das kann tödlich wirken.“ Er unterbrach unseren gleichmäßigen Schritt. „Warum brauchen wir das?“ Ich erklärte ihm die Überlegungen der Medizinfrau, und er stimmte der Möglichkeit bei, dass diese Mischung uns in Zukunft einmal nützlich sein könnte. Ich übermittelte ihm den Rest meiner Lektion und brachte dann meine schlimme Nacht zur Sprache. „Ich hatte wieder einen Alptraum letzte Nacht, aber ich wollte dich nicht wecken.“ „ich sagte dir doch, du sollst mich immer wecken, wenn du einen schlimmen Traum hast! Warum hast du es nicht getan?“ „Weil du gar nichts hättest tun können“, beschwichtigte ich ihn. „Außerdem, als ich merkte, dass der Traum nüchterne Wirklichkeit war, blieb nichts zu tun. So ging ich wieder ins Bett zurück und schlief, bis Bo mich aufweckte. Jedenfalls, die Alte sprach über meinen Traum. Errate, was?“ Er lachte. „Du machst einen Witz. Ich hab nie etwas erraten können, worüber ihr beide gesprochen habt. Erspar mir die Mühe.“ „Sie hat den Traum geschickt.“ Sein Mund stand offen. „Wieder? Sie hätte das doch nicht mehr tun sollen.“ „Ich weiß, aber sie sagte, dass ich die Dinge tatsächlich habe sehen müssen.“ „Ich kann nicht behaupten, dass ich damit einverstanden bin. Die Schwierigkeit ist, dass du die Dinge zu klar siehst.“ „Nicht immer. Es scheint, ich habe noch einige wichtige Punkte übersehen.“ Ich erzählte von den Minderheiten und dann von den Atomraketen. Er stieß nachdenklich mit dem Fuß an einen Stein auf dem Weg. „Ich nehme an, sie wollte nicht sagen, wo sei herkommen.“ „Nein“, ich wusste, was er dachte, und ich hatte gehofft, er würde es nicht aussprechen. Er tat es trotzdem. „Meinst du, wir könnten es herausfinden?“ Er suchte nach der Erlaubnis, seinen Begleitergeist um die fehlende Information zu bitten. Ich machte einen schwachen Versuch, der Frage auszuweichen. „Du weißt, du kannst immer fragen, aber du bekommst nicht immer die Antwort, die du willst. Ich vermute, er würde das gleiche wie sie sagen.“ „Nein, ich glaube, er würde es uns sagen. Er verbirgt selten Tatsachen wie diese, besonders, wenn ich ihn geradewegs ausfrage.“ Ich war müde und wollte mich mit so etwas heute Abend nicht beschäftigen. „Ich bin schrecklich müde“, wand ich mich. Er drängte. „Nur eine Minute?“ Ich seufzte. Ich konnte ihm seine nächste Informationsquelle, seinen nebelhaften Gefährten, nicht verweigern. Ich wechselte geistig den Gang und fühlte sogleich, wie ein Schwindel mein Bewusstsein zu verwirren begann. Das nächste, was ich wusste, war, dass wir zu Bett gingen. „Er war länger als eine Minute hier“, neckte ich ihn ermahnend. Bill grinste schüchtern. „Er hatte viel zu sagen. Es scheint eine Wendung zu geben in dieser Raketensache. Willst du es hören?“ Ich erinnerte mich an die Worte der alten Frau, dass Heilen am wichtigsten sei. „Ich glaube nicht, noch nicht jedenfalls.“ Ich kroch ins Bett, küsste ihn und löschte das Licht. Kapitel 9 - Kauern Kauern
Der junge Vogel reckt sich, geht tief in die Hocke und macht sich bereit, sein zerrissenes Geburtsland zu verlassen Ich hatte die ganze Woche vorbeigehen lassen, ohne Bill über sein privates Gespräch zu befragen in jener Nacht, als wir zusammen spazieren gingen. Wissen war eine so schwere Bürde, und ich war der Meinung, herauszufinden, wer unser Land bombardieren würde, sei nichts, was ich zu wissen brauchte. Wir erhielten Informationen von beiden Seiten unserer Welt, und obwohl beide Quellen immer einander ohne Widersprüche entsprachen, musste ich eine Grenze ziehen. Ich brauchte einen festen Halt in der tatsächlich vorhandenen Wirklichkeit, um mit den Schwierigkeiten der Übermittlung solch spirituellen Wissens umzugehen. Um dies zu erreichen, musste ich die Aufnahme von Informationen regulieren. Ich besaß einen freien Willen, solche Diskussionen mitzuhören oder mich ganz davon fernzuhalten. Meistens entfernte ich mich. Bill wiederholte dann jeweils die Nachricht, wann immer ich bereit war, sie anzuhören. Ich berührte also das Thema nicht mehr und machte mich wieder einmal auf den Weg zur Hütte meiner Freundin. Dies sollte mein letztes Wochenende über das Thema des erwachenden Phönix sein. Ich wollte es hinter mich bringen. Ich fuhr langsamer, um mir mehr Zeit zu lassen, die wechselnde Stimmung in der natur wahrzunehmen. Es war jetzt Oktober und die sintflutartigen Regenfälle am vergangenen Wochenende hatten viele Espen ihres goldenen Kleides beraubt. Die Zeichen waren da. Sie kündigten einen frühen Winter an, und ich freute mich auf den Geruch von Holzfeuerrauch, der in unserem Haus schweben würde. Für mich hatte jede Jahreszeit ihren eigenen Glanz. Jede Jahreszeit brachte Sehenswertes mit sich, Töne und Düfte, die mein ganzes Wesen durchdrangen und mit einer vollkommenen Wertschätzung des Lebens füllten. Ja, ich wusste von vielen schrecklichen Ereignissen; aber war das Grund genug, um das pulsierende Weltall nicht zu sehen, das in einem goldenen Espenblatt sich entfaltete? War das ein Grund, um die unglaubliche Schönheit eines Sonnenunterganges in den Bergen nicht zu sehen? Nein, ich weigerte mich, die Kostbarkeiten der Mutter Erde zu übersehen. Die Welt würde Katastrophen erleben, aber sie würde es überleben und von neuem schön sein, und ich will von neuem danken für die immerwährende Schönheit. Ich kam bei No-Eyes Hütte an und blieb beim Wagen stehen, um über meine Bestimmung nachzudenken. Die Sonne schien mir hell ins Gesicht. Der Tau glitzerte auf den Hängen. Der hier heimische Falke glitt lautlos über das tiefe Tal. Und mir wurde leicht zumute in meiner Beziehung zu seiner Ganzheit. Ich liebte wirklich das Leben. „Will Summer den ganzen Tag dort unten stehen bleiben?“ rief die alte Frau mit schallender Stimme mir von der Haustür zu. Ich schaute zu ihrer Hütte hinauf. Sie stand ungeduldig auf der Veranda und rief, mich zu beeilen. Ja, ich liebte das Leben. „Ich komme!“ rief ich zurück und ging zu ihr hinauf. Sie stand ungeduldig auf der Veranda und rief, mich zu beeilen. Ja, ich liebte das leben. „Ich komme!“ rief ich zurück und ging zu ihr hinauf, sie zu begrüßen. „Wir brauchen heute kein Feuer. Es ist schön warm hier drin.“ Sie schloss die Tür, nachdem ich eingetreten war. „No-Eyes schließt die Türe selber, damit Summer sie nicht kaputt macht.“ Ich lächelte leise in mich hinein über ihre freundlich derbe Art. Der Schaukelstuhl stand an seinem Ort neben dem Sofa, und wir nahmen unsere gewohnten Plätze ein. „Hat Summer das Schlafmittel genommen, das No-Eyes gegeben hat?“
„Ich habe es noch nicht nötig gehabt.“ „Das ist gut. Es ist aber immer noch da.“ „Nun“, begann ich, „wird es heute lange dauern?“ „Hm! Muss Summer irgendwo anders hin?“ Ich war entspannt und grinste. „Nein, natürlich nicht, ich habe mich nur gefragt, ob diese letzte Lektion lang sein würde.“ „Das kommt darauf an. Vielleicht wird sie lang, vielleicht kurz. Wir müssen zuerst sehen, wie viele Fragen Summer hat.“ Eine logische Antwort. Ich begann mit meiner üblichen Frage. „So, was macht der Vogel jetzt?“ Sie schnalzte aufgebracht mit der Zunge über meine leichtfertige Respektlosigkeit. „Er ist nicht irgendein Vogel! Er ist der große Phönix!“ „Ich meinte es nicht so“, verteidigte ich mich. „Summer muss darauf hören, was sie sagt, wie sie es sagt.“ Das wusste ich nur zu gut. Ich wurde immer wieder ermahnt wegen meiner unverblümten Bemerkungen. Es war mir ziemlich gut gelungen, sie im Zaum zu halten. Ich war einen weiten Weg gegangen, seit ich meine Lehrerin getroffen hatte, aber es gab immer Augenblicke, wo sie mir herausrutschten, wenn ich mich entspannt fühlte. „Ich weiß, es tut mir leid.“ „Pah! Summer tut es nicht leid! Summer glaubt, es sei hier lustig.“ Ich lachte. „Du bist meine Lehrerin. Du kennst mich besser als ich mich selber.“ Sie war ganz stolz über dieses Kompliment. „Zum Glück für Summer. Jetzt wird der große Phönix sich so zusammenkauern.“ Sie beugte sich vor und streckte den Hals weit vor. „Siehst du?“ Sie schaute mehr wie eine hungrige Schildkröte aus. Ich kicherte bei dem Gedanken. Sie richtete sich auf. „Das ist nichts für Witze!“ „Ich weiß“, antwortete ich, ohne mich zu entschuldigen. Stattdessen setzte ich eine ernsthafte Miene auf. „Wir werden den ganzen Tag vertrödeln, wenn wir uns nicht ernsthaften Gedanken zuwenden.“ Die Medizinfrau machte eine Pause und blickte mich warnend an. „Der Phönix kauert sich also tief hin. Er macht sich bereit, Mutter Erde, die ihn geboren hat, zu verlassen. Er macht sich auf, frei über das Land zu fliegen.“ „Was geschieht, wenn er frei ist?“ Nun war sie an der Reihe zu lächeln. „Das wird das Thema unserer morgigen Lektion sein.“ „Dann wird es zur Abwechslung etwas Gutes sein?“ „Ja. Aber jetzt sprechen wir über das, was geschieht, wenn er sich zusammenkauert und sich bereit macht, wegzufliegen. Das ist der Moment, wo vieles aufhört.“ „Dann ist das auch eine gute Lektion“, sagte ich erwartungsvoll. „Nein.“ Seufzer. „Das ist zwar der Moment, wo die schlimmen Dinge aufhören.“ Sie hob warnend einen Finger. „Aber schlimme Dinge werden Schlimmes erst beenden. Verstehst du?“ Ich verstand nicht. „Hör zu, Summer, erinnerst du dich, wie wir letzte Woche über die schweren Fehler, die der Staat begehen wird, sprachen? Jetzt, wenn der Phönix sich zusammenkauert, werden die Menschen die Dinge umkehren. Sie sind sehr erbost über den Staat. Sie bekämpfen ihn.“ „Aufruhr?“ „Das wird später sein. Zuerst zahlen sie dem Staat kein Geld mehr.“
„Die Menschen weigern sich, dem Staat Steuern zu zahlen?“ „Ja. Sie sind es müde, so viel Geld zu zahlen. Sie zahlen nicht mehr, bis die Gesetze geändert werden.“ Ich sann darüber nach. Ich dachte an Leute, von denen ich gelesen hatte, dass sie bei der Steuererklärung schwindelten, oder noch schlimmer, die sich weigerten, überhaupt Steuern zu zahlen. Die Folgen waren es nicht wert, selber zu rebellieren. Ich dachte an den Aufruhr, der entstünde, wenn Millionen die Steuern verweigerten. „Ich glaube nicht, dass das alle tun würden, No-Eyes. Die meisten Menschen möchten die Dinge recht tun – innerhalb des Gesetzes.“ „Sogar, wenn der Staat zuviel nimmt?“ „Ja, sogar dann. Die Leute wollen nicht Gefahr laufen, in Schwierigkeiten zu geraten.“ „Sie werden. Summer braucht nicht dazu gehören.“ „Ich glaube nicht, dass ich es könnte. Ich werfe nicht gern den Apfelkarren um.“ „Was soll dieser Apfelkarren sein?“ „Nur eine andere Ausdrucksweise für die Auflehnung.“ „Der Apfelkarren wird kippen und sich ausleeren. Es wird sogar ein großes Durcheinander geben. Aber die Sache mit den Steuern wird nicht das einzige sein, was die Leute aufhören zu tun. Sie wollen nicht, dass der Staat ihre Söhne in den Krieg schickt. Die Menschen werden ihre Söhne verstecken. Die Söhne werden sogar in andere Länder fliehen. „Das nennt man Kriegsdienstverweigerung“, erklärte ich. „No-Eyes kümmert es nicht, wie man das nennt.“ „Gut, aber wenn das geschieht, wird man den allgemeinen Wehrdienst wieder einführen; jetzt ist das nicht der Fall.“ „Der Staat wird das sicher tun. Der Staat braucht mehr Söhne, um in Kriegen zu kämpfen. Kriege, die nicht einmal Kriege sind.“ „Und die Menschen werden sich weigern und ihre Söhne wegschicken, oder als ganze Familie in ein anderes Land ziehen.“ „Das ist richtig. Aber etliche Familien werden nicht wegziehen. Sie bleiben, um den Staat in dieser Sache zu bekämpfen.“ „No-Eyes, diese Söhne werden ins Gefängnis gesteckt, wenn sie sich weigern zu kämpfen.“ Sie überlegte, bevor sie antwortete. „Einige vielleicht, aber es werden zu viele sein. Dieses Gesetz ist nur ein ganz kleiner Teil von allem. Die Menschen wollen keine Kriege, die keine sind. Siehst du? Sie werden den Staat bekämpfen wegen der Kriege. Die Menschen werden so wütend sein, dass sie zurückschlagen!“ Ich konnte mir immer noch nicht vorstellen, wie die große Masse einen solchen Widerstand wirkungsvoll organisieren würde. „Ich sehe es immer noch nicht.“ „Was sehen? Die Menschen wollen keine Kriege, keine Steuern. Sie werden sich niedersetzen und sich weigern. Es sind zu viele, als dass der Staat sie zu etwas zwingen könnte. Verstehst du?“ „Ich glaube, ich muss es. Was passiert, wenn so viele Menschen sich auflehnen?“ Ihre Augen leuchteten auf. „Das ist jetzt das allerwichtigste, Summer. Das ist das Gute.“ Ich war froh, endlich bei ihren guten Dingen angelangt zu sein. „Die Beamten vom Staat sehen, wie stark das Volk ist. Sie sehen, wie sehr die Menschen gegen den Krieg, gegen die Steuern aufgebracht sind. Die Leute vom Staat sind verwirrt, sie kämpfen gegeneinander.“ „Das ist nicht klar. Wer kämpft gegen wen? Das Volk gegen den Staat?“ Sie schlug auf ihr Knie angesichts dieser Ironie. „Nein! Die Beamten vom Staat
kämpfen selber untereinander. Siehst du, Summer, die Staatsbeamten sind so verwirrt! Sie stimmen in Gesetzesdingen nicht mehr überein. Es wird großen Kampf geben!“ „Das ist ganz klar. Die Regierung wird erkennen, dass ihre Gesetze nicht funktionieren, dass die Menschen sich nicht länger abfinden mit der Ausbeutung durch Steuern oder mit der Zwangseinberufung ihrer söhne in einen krieg, an den sie nicht glauben, und die Regierung wird sich uneinig sein über die Gültigkeit ihrer eigenen Politik und Gesetze. Die Regierung wird eine eigene innere Revolte erleben.“ „Das ist richtig. So wird es sein!“ Mir macht diese Zukunftsaussicht Sorgen. Sie runzelte die Stirn. „Was ist los?“ Ich zuckte die Schultern. „Ich mag Aufstände nicht. Es gibt immer Blutvergießen. Gibt es keinen anderen Weg, die Politik der Regierung zu ändern?“ „Pah! Das Volk wird ja endlich siegen! Das ist gut, hm, Summer.“ Schweigen „Summer?“ „Was“, antwortete ich in leisem, widerwilligem Ton. „Es wird in Ordnung sein. Es wird nicht so schlimm sein“, tröstete sie mich. Alles war schlimm. Sicher war es gut, dass schlechte Gesetze geändert würden. Es war gut, dass schlechte Politik auf den Kopf gestellt würde. Es war gut, dass junge Männer nicht mehr gezwungen würden, in sinnlose Kriege zu ziehen, die nicht einmal erklärte Kriege waren. Aber ich war nicht einverstanden mit der Methode, die benutzt würde, um diese positiven Veränderungen herbeizuführen. Ich fand die Mittel nicht gerechtfertigt und sagte es ihr auch. Sie hielt die Meinungsverschiedenheit beharrlich aufrecht. „Etwas davon wird auf alle Fälle eintreten. Summer hat da nichts zu sagen.“ Ich versuchte einen neuen Anlauf. „Falls ein neuer Regierungschef im Amt wäre, würde eine solche Wahrscheinlichkeit etwas verhindert können?“ „Nein. Der Regierungschef ist nicht die einzige Person, die Gesetze erlässt. Er hat viele Leute um sich, die ihn beraten und Gesetze machen. Verstehst du?“ „Aber würde ein Wechsel bei den Beratern nicht eine Veränderung bewirken?“ Rumpel-quietsch. Rumpel-quietsch. „Sag, stimmt das nicht?“ fragte ich. „Es steht bereits so für die Zukunft fest. Summer versucht, die Dinge zu ändern. Aber sie werden trotzdem kommen.“ Ich graste im Geist alle möglichen Wege ab, die vom vorausgesagten Widerstand und den darauf folgenden tobenden Ausschreitungen wegführten. „Wie ist es denn mit dem Wahrscheinlichkeitsgesetz, hm? Wie steht es damit?“ knurrte ich abwehrend. Sie schüttelte ihren Kopf über meine Hartnäckigkeit. „Summer hat den Kopf im Sand. Das Gesetz wird die Dinge nur aufschieben.“ Rumpel-quietsch. „Die Dinge werden trotzdem eintreten.“ Plötzlich war mir der schöne Tag gleichgültig. Ich war wieder eingetaucht in die dunkle Wirklichkeit der Irrwege der Welt, und die unvermeidliche Verheerung würde weiter heranreifen. Kapitel 10 - Frei in der Luft Frei in der Luft
Und mit seinen riesigen Schwingen hebt sich der Phönix hoch in die Luft, hoch und höher fliegt er und lüftet den Schleier der Unwissenheit, bringt Freiheit den Unterdrückten und Wahrheit der ganzen Menschheit. Am Samstagabend kamen einige Freunde zu uns. Sie waren Intellektuelle mit wachem Bewußtsein und als Collegelehrer und Ingenieure tätig. Ihr Interesse an meinen Lektionen wurde verstärkt durch deren gegenwärtige Thematik. Wir saßen zu siebt in unserem Wohnzimmer und besprachen das Thema gründlich und intensiv. Es fesselte uns mit seinen endlosen Möglichkeiten bis in die frühen Morgenstunden. Am Sonntag erwachte ich bei einem unheilvoll dunklen Himmel, und ich hoffte, daß Mutter Erde mir kein böses Vorzeichen bescherte über meine letzte Lektion über den Phönix. Meine tiefe Unruhe weckte mich früher als gewöhnlich, alle schliefen noch fest. Ich bürstete meine Haare im Badezimmer, während Rainbow noch schläfrig vor dem Eingang auf und ab wanderte und mit dem Schwanz wedelte. Die Familie liebte die Hündin abgöttisch. Wir nahmen all ihre Bedürfnisse ernst, und sie brauchte sich nie um eine böse Zukunft zu sorgen. Sie lebte vergnügt von einem Tag in den nächsten ohne beunruhigende Gedanken. Ich legte meine Arme um sie und drückte sie fest an mich. Sie pflasterte mir ein paar feuchte Küsse aufs Kinn und schlenderte dann zurück zum weichen Bett der Mädchen. Ich wünschte mir, das Leben wäre ebenso für die Menschen. Als ich ins Freie trat, schlug mir schneidende Kälte entgegen. Ich glaubte zu spüren, und es sah auch danach aus, als ob es bald zu schneien anfangen würde, aber ich wußte, daß es noch nicht soweit war. Die Straßen waren leer, und während ich die Heizung höher gedreht hatte, hatte ich mir vorgestellt, wie die Wärme die Hütte meiner Lehrerin durchströmte. Sie würde neben dem Kaminfeuer in ihrem Schaukelstuhl sitzen und geduldig auf ihre Schülerin warten. Ich konnte das Rumpeln und Quietschen des wackligen Stuhls deutlich hören. Ihre glänzenden Augen wären auf die flackernden Flammen gerichtet, und sie würde sich in Gedanken den Plan für die heutige Lektion zurechtlegen. Auch ich mußte mich für meine Lektion bereit machen. Ich war sehr froh, daß dieser Tag den Abschluß unserer Zukunftsgespräche brachte. Obwohl sie gesagt hatte, daß die letzte Lektion gute Nachrichten vermitteln würde, war ich sehr zurückhaltend. Aber in meinem Herzen wünschte ich mir, daß das Schlimmste vorüber war, daß nun der große Phönix frei fliegen konnte. Genau, wie ich mir vorgestellt hatte, kräuselte sich der Rauch über ihrem Steinkamin und zeugte vom prasselnden Feuer, das mein Schulzimmer wärmte. Das war ein tröstlicher Anblick, und ich verlor keine Zeit, die Hütte zu erreichen. Wiederum riß ich vehement die Tür auf. Wie der Blitz drehte sich die alte Frau auf ihrem Stuhl herum. „Summer ...“ „Ich weiß, ich weiß“, unterbrach ich sie sofort, „ich werde deine Tür zertrümmern. Aber schau“, sagte ich, während ich sie sanft schloß, „schau, wie leise ich sie schließen kann?“ Sie klickte mit der Zunge, grinste und blickte wieder ins Feuer. „Summer erschreckt No-Eyes. No-Eyes dachte, diese Tür würde diesmal sicher kaputtgehen.“ Ich legte meinen Wollumhang ab und ging zu ihrem Stuhl. „Das ist mir neu. Denk an alle die Lektionen, als du mich so erschrecktest. Man fühlt sich nicht besonders gut, nicht wahr?“ neckte ich sie vergnügt. Sie schüttelte ihren knochigen Finger in meine Richtung. „Glaubt Summer, No-Eyes spürt nicht auch den Schrecken, wenn wir jene wichtigen Lektionen behandeln? No-
Eyes ist nicht sicher, ob Summer es recht machen wird, nicht sicher, ob Summer die richtigen Entscheidungen treffen wird. Das erfüllt No-Eyes mit großem Schrecken. „ Ich war wirklich überrascht über diese Enthüllung. „Du kleine Geheimniskrämerin! Du hast mir nie gesagt, daß du auch erschreckt warst. Du schienst immer so ruhig und gelassen.“ Sie hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. „Die Lehrerin soll sich nicht anmerken lassen, daß sie auch Angst hat. Das ist kein Zeichen einer guten Lehrerin. Siehst du?“ Ich schüttelte den Kopf und tätschelte ihre Hand. „Ah ja, so ist das. Aber warum gibst du es jetzt zu?“ „Was soll´s! Summer weiß jetzt viel mehr. Wir kennen uns nun schon ganz genau. Wir sind hier wie ein Mensch.“ Und sie zeigte ein breites Lächeln. „No-Eyes, wir sind nun schon lange wie ein einziger Mensch.“ Das Lächeln war plötzlich verschwunden. Sie langte zu mir hinüber, legte ihre Hand auf meine und drückte sie. „Summer, auch wenn ich nicht mehr da sein werde ...wir werden immer noch ein wie Mensch sein.“ Der Ernst erstickte unsere unbeschwerte Laune, als wäre eine feuchte Decke über ein glimmendes Feuer geworfen worden. Mir gefiel diese Wendung nicht, die sie unseren leichten Scherzen gab. „Du wirst immer in meinem Herzen sein, No-Eyes; ganz gleich wo du bist.“ Die Medizinfrau blickte fest in meine Augen. „Und ich werde immer bei Summer sein.“ Das Feuer flackerte wild. Aufgeregt tanzten die Flammen vor uns, während wir sie schweigend betrachteten. Und da geschah es, daß die volle Bedeutung ihrer Worte mir ans Herz griff. Dieser eine Satz würde mir in den kommenden Zeiten mehr bedeuten als irgend etwas anderes, das je von ihren Lippen gekommen war, denn wenn sie körperlich einmal von mir weggenommen war, würde ihr Geist sich zu mir gesellen und mir helfen, die Tage unserer Lektionen wieder zu beleben – unsere wortwörtlichen Gespräche – in den frühen Morgenstunden, wenn ich diese Bücher schreibe. Und ich wußte, daß ich meine liebe, alte Freundin nie wirklich verlieren würde. „An was denkt Summer?“ fragte sie weich. Mein herz war von einem neuen Trost erfüllt, der mich wärmte. „Daß du mich letzten Endes nie wirklich verlassen wirst.“ Sie lächelte mit glänzenden Augen. „Wir werden nur von einem Schleier getrennt sein.“ „Und wir können diesen Schleier wegziehen, nicht wahr, No-Eyes?“ „Ja, das können wir“, bestätigte sie. Rumpel-quietsch. Rumpel-quietsch. Der Schaukelstuhl tönte wie der Gong, der ein neues Thema ankündigte. Ich streckte mich aus und verschränkte meine Arme unter dem Kopf. Das Feuer war gemütlich, und ich saß so, um meiner Lehrerin ins Gesicht zu blicken, während sie sprach. Ich wartete. Sie schaute zuerst hinaus in den grauen Himmel, dann wieder ins Feuer und begann dann zu sprechen. „Der große Phönix verläßt nun sein zerrissenes Geburtsland. Er spannt weit seine mächtigen Flügel aus, kauert tief und hebt ab zu seinem ersten langen Flug über alle Länder. Er wird gleiten und die Wahrheit bringen, Freiheit allen Menschen, die übrig sind.“ „Übrig. Heißt das, daß die schrecklichen Ereignisse endlich vorbei sind?“ fragte ich hoffnungsvoll. „Vermutet Summer das?“ „Nein, ganz und gar nicht. Ich frage.“
Rumpel-quietsch. Warten. „Ja, ziemlich.“ Dann: „Ja, sie sind ganz vorbei.“ Erleichterung. Vielleicht würde das wirklich die gute Lektion werden, auf die ich so ungeduldig gewartet hatte. „Keine unerklärlichen Unfälle mehr? Keine Naturkatastrophen, aufrührerische Massen oder unvorhergesehene Bomben?“ „Das ist richtig. Nichts Schlimmer mehr jetzt.“ Ich rollte auf die Seite, damit ich ab und zu gerade ins Feuer schauen konnte. Ich hatte viele Fragen. „No-Eyes, wird es noch irgendeine Regierung geben?“ „Ja. Eine gute. Sie wird für alle Menschen sein.“ Sie gab nicht mehr preis. Sie erwartete von der Schülerin, daß sie mit den nötigen Fragen die Lektion selber ausdachte, und sie würde das ergänzen, was ich ausließ. „Dann werden der Widerstand und die Revolten des Volkes die gewünschten Veränderungen herbeiführen.“ Sie nickte nur. Ich blickte suchend in ihr Gesicht. „Was wird die Erde veranlassen, sich so plötzlich zu beruhigen?“ Schweigen. Ich mußte es selber herausfinden. Und mir wurde klar, als ich darüber nachdachte, was zu Beginn der Grund dafür gewesen war, daß die Erde so außer sich geraten war. „Der Friede unter den Menschen wird die Erde zur Ruhe bringen.“ Sie stimmte mir zu. „Ja. Wenn die Menschen so böse sind, bringen sie die Mutter Erde zum Beben, Brodeln und sogar zum Explodieren. Danach werden sie gut, friedfertig und haben wieder gute Vibrationen. Mutter Erde hat das gern, sie beruhigt sich und wird auch friedlich. Außerdem fliegt der Phönix dann frei.“ „Ja, er fliegt dann über uns. Er bringt friedvolle Zeiten für jene, die übrig geblieben sind.“ Wir waren beide still. Ich sann über weitere Fragen nach, während sie geduldig wartete. „No-Eyes, du hast früher erwähnt, daß das indianische Volk wieder stark sein würde. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das geschehen soll, und ich finde auch nicht die richtigen Fragen dafür. Kannst du mir dabei helfen?“ „Ja.“ Ich wartete auf mehr als nur ein Wort. Rumpel-quietsch. „Überlege!“ Ich dachte laut. „Nun, wenn der Widerstand des Volkes siegt und die Regierung ihre Fehler in der Politik einsieht“, ich machte eine Pause aus Unsicherheit, „und die neue Regierung gut ist für das Volk, dann nehme ich an, daß alle gleich sind; es wird keine benachteiligten Rassen mehr geben.“ Rumpel-quietsch. „Und?“ drängte sie. Weiter kam ich nicht. „Mehr kann ich nicht herausfinden“, gab ich schüchtern zu, wohl wissend, wie ihre Antwort sein würde. „Pah! Summer kann es besser, geht weiter. Denk weiter nach!“ Ich drehte mich auf den Bauch und stützte das Kinn auf die Hände. Das Feuer war fast zu warm auf meinem Gesicht, aber ich achtete nicht darauf, während ich intensiver über das Problem nachsann. Als es mir dämmerte, plagte es mich, mein oberflächliches Denken einzugestehen. Da riß ich die Augen auf bei einer neuen Erkenntnis, und ich drehte mich schnell wieder auf die Seite. Die Augen der Frau blitzten vor Stolz. „Siehst du? Summer ist nicht so dumm. Rede
weiter, sage No-Eyes, warum das indianische Volk sich wieder erhebt.“ Ich strahlte. „Weil die friedfertigen Menschen achtsam werden. Sie sehen, daß die Indianer daran glauben und seit je richtig lebten – auf die Art der Erde. Sie werden sie aufsuchen, um mehr von ihnen zu lernen. Richtig?“ Ihr rosa Zahnfleisch sagte alles. „Das ist richtig. Die Menschen werden zuerst einsehen, daß Schwarze, Asiaten und Hispanoamerikaner genauso gut sind wie Weiße. Die Menschen werden sodann erkennen, daß die Frauen sogar genauso gut sind wie die Männer. Alle Menschen werden gleich sein, wie Brüder – ein Volk.“ Mein Herz setzte kurz aus: „Du hast die Indianer nicht genannt.“ Rumpel-quietsch. Ich stützte mich auf einen Ellbogen. „No-Eyes, werden die Indianer nicht auch gleich sein, eins sein mit allen?“ Schweigen. Ich dachte wieder nach. „Nun, wenn die Indianer nicht gleich sind und es keine benachteiligten Rassen mehr gibt, dann ... dann, ich begreife immer noch nicht, weil du gesagt hast, auch niemand würde überlegen sein.“ Sie beugte sich vor. „Summer hat recht. Es wird keine überlegenen Rassen mehr geben, wenn der Phönix frei fliegt.“ Ich war frustriert über diese Sackgasse. Sie lehnte sich zurück. „Wir wollen sehen. Sammle deinen Geist.“ Ich wollte auf den Grund dieses verwirrenden Geheimnisses gelangen. Seufzend legte ich mich wieder hin. Das Feuer knisterte in meinen Ohren, und die Schatten flackerten über meine geschlossenen Augenlider. Mein Herz klopfte heftig, und ich bemühte mich bewußt, den raschen Schlag zu verlangsamen. Ich konzentrierte mich auf die Empfinden, die ich vom Feuer hatte. Ich ließ die Wärme wie eine warme Welle sich über meinen Körper ausbreiten. Die krachenden Holzscheite vermittelten anheimelnde Phantasiebilder, und ich wurde von Ruhe erfüllt. Meine Arme wurden locker, und mein Rückgrat sank auf den Flickenteppich. Die körperliche Anstrengung ließ nach. Der Herzrhythmus verlangsamte sich, und ich begann flach zu atmen. Die hellen Flammen standen vor meinen Augen und ich ließ sie im Geist zur Stirn hinaufziehen, wo sie flackerten und aufwärts leckten, bis ich endlich befreit war. Ich ergriff die ausgestreckte Hand meiner Lehrerin. „Es wird nicht zu lange dauern. Wir werden jetzt sehen gehen.“ Wir schwebten eine kleine Weile, bis wir wieder in den Korridor der Zeit gelangten. Die Wesen bewegten sich zielgerichtet hin und her in dem mächtigen ätherischen Tunnel. No-Eyes blinzelte mir zu. „Summer fühlt sich hier jetzt besser?“ „Ja, ich habe keine Angst mehr.“ Sie lächelte. „Du mußt dich vor nichts fürchten.“ „Nun“, wehrte ich ab, „jetzt weiß ich, wo ich bin.“ Sie zuckte die Schultern. „Summer an vielen Orten vielleicht erschreckt. Das ist nicht nötig. Summer soll sich entspannen und sich nicht fürchten, das ist alles. Es ist einfach.“ „Ja, das ist wirklich alles“, sagte ich spöttisch. Sie seufzte über das schlechte Benehmen ihrer Schülerin. „Wir werden aber trotzdem Dinge sehen, von denen Summer keine Ahnung hat.“ Wir bewegten uns schwerelos durch die geschäftige Geisterstraße. Ich sah aufgeregte Wesen, die offensichtlich völlig in Anspruch genommen waren von ihren besonderen Aufträgen, und andere, die tieftraurig waren. Ich beobachtete einige von ihnen, die sich Zeit nahmen, Trost zu spenden mit ihrer einzigartigen, mitfühlenden Liebeserklärung. Und alles, was ich sah, gab meinem Geist Anlaß zur Freude. Ich erlebte die Wahrheit im Leben, den lebendigen Beweis
der fortwährenden Wirklichkeit des Geistes. Plötzlich merkte ich, daß meine wissende Gefährtin nicht mehr an meiner Seite war. Ich war allein. Aufgeregt wirbelte ich herum und spürte unvermittelt Erleichterung, als ich sie zwanzig Schritte hinter mir entdeckte. Ich eilte zurück an ihre Seite. „Was dachte sich Summer, wie sie hingeht?“ mahnte sie mich humorvoll. „Es tut mir leid. Ich war so eingenommen von all diesen ....“ „Summer ging zu weit in die Zukunft.“ Sie zeigte auf die flimmernde Wand. „Hier gehen wir weg.“ Und sie verschwand durch das neblige Gebilde im Tunnel. Ich folgte ihr hastig und fand sie schon im Begriff, hinunterzuschweben durch die wärmende Atmosphäre der zukünftigen Erde. Ich holte sie rasch ein. „Warte auf mich!“ schnappte ich atemlos. Sie überhörte meinen heftigen Ausruf und stand plötzlich wie angewurzelt. Sie horchte angestrengt. Ich tat ebenso. Die Erde schien zu pulsieren. Es war ein sanfter und gleichmäßiger Rhythmus. Ich strengte mich an herauszufinden, was die Ursache des gedämpften, pochenden Geräusches war. Zu No-Eyes gewendet, warf ich ihr einen verwirrten Blick zu. Sie legte einen Finger auf ihre Lippen und führte mich langsam abwärts. Das beharrliche Klopfen blieb gleichmäßig. Ich erwartete, daß es beim Nähern an die Erde an Lautstärke zunahm, aber es fuhr fort, im gleichen sanften Ton zu schlagen – ein beinahe unhörbares Pulsieren. Wir kamen auf eine sonnige Ebene im Westen hinunter, auf der große Viehherden weideten. Das vielstimmige Muhen klang komisch. Ich schaute meine Freundin an, um eine Erklärung zu erhalten für diese alltägliche Szene. „Was ist daran so ungewöhnlich?“ „Summer soll genauer hinsehen“, wies sie mich an. Ich lenkte meinen Blick auf die Vierbeiner. Und nachdem ich ihnen eine kurze Weile zugeschaut hatte, merkte ich, was an ihnen so ungewöhnlich war. „Da gibt es ja ganze Viehfamilien hier! Schau, No-Eyes! Schau dir diese Alten an!“ Ich war von diesem verblüffenden Schauspiel so fasziniert, daß es mir vorkam, als ob ich diejenige sei, die ihr etwas Neues zeigte. Sie lächelte. Ich konnte es nicht fassen, meinen eigenen Augen kaum Glauben schenken, und mein Herz machte einen Freudensprung, als ich mich den Tieren näherte. Ich blickte tief in ihre großen, braunen Augen und erkannte, daß sie nie herzlos ins Schlachthaus geführt würden; sie würden nie gegessen werden! Mir war zum Weinen zumute, als ich versuchte, das weiche, dichte Fell am Kopf des Kalbes zu berühren. Es spürte meine Gegenwart und drängte sich Schutz suchend an die Seite seiner Mutter. Ich blickte zu meiner Lehrerin zurück. Sie gab mir ein Zeichen, in eine andere Richtung zu schauen. Und als ich ihrem Fingerzeig folgte, sah ich Hunderte und Aberhunderte von Hektar Weizen, der sich sanft im Winde wiegte. Darauf zeigte sie auf weitere Flächen, wo hoher, gesunder Mais wuchs. Auf einer anderen Seite gedieh Luzerne. Es war wunderschön. Der Weizen raschelte, als die Brise ihn sanft von einer Seite zur andern wehte. Der Mais schwirrte und sang ebenfalls sein frohes Lied, während die Luzerne nur flüsterte unter den zarten Fingern des Windes, der an den tief grünen Stengeln zerrte. Ich hätte dieser heiligen Symphonie des Erdenfriedens für immer zuhören können, aber das war nur gerade der Anfang für meine Lehrerin. Sie führte mich woanders hin. „Wir werden jetzt Bauwerke sehen“, sagte sie unbeschwert, während wir auf ein
Wohnviertel zuschwebten. Neue Geräusche drangen an unser Ohr. Die Männer lachten und summten bei der Arbeit; sie hämmerten und nagelten geschäftig und sägten an den neuen Häusern. Die Geräusche waren verschieden vom Baulärm, an den ich gewöhnt war. Und das Ergebnis ihrer Anstrengungen war sehr ungewöhnlich anzuschauen. Die Männer bauten Häuser, die überhaupt nicht wie Häuser aussehen. Sie waren rund. Sie waren teilweise unter der Erde und verwendeten die Sonne als Energiequelle. Da merkte ich, warum der Baulärm verschieden war – ich hörte keine einzige der üblichen Baumaschinen. Die Männer sägten und nagelten von Hand! Meine Lehrerin sprach: „Vieles wird in Zukunft verschieden sein.“ Ich war wirklich verblüfft. „Aber die Häuser sind alle in der Erde.!“ Sie lächelte warm. „Ja, sie sind wie Mutter Erde. Mutter Erde mag sie hier. Sie hat es gern, die Menschen zu halten." Bei näherer Betrachtung stellte ich Beobachtungen an über die neue Form der Häuser. „Sie sind kreisförmig.“ „Ja. Sie sind rund, um die Energie darin einheitlich zu bewahren.“ Ich war so beglückt, daß ich wie ein richtiger Dummkopf ausgesehen haben muß, als ich so dastand und von einem Ohr zum anderen grinste. Sie zog an meinem Arm. „Wir sind noch nicht fertig.“ Ich folgte ihr zu einer Art Kirche. Es war unter freiem Himmel. Die Menschen saßen auf dem Boden. Sie hielten ihre Beine gekreuzt. Plötzlich erhoben sie sich und hoben ihre Arme zum blauen Himmel, um zu danken. Sie dankten Gott für die reiche Erde. Sie dankten für die fließenden Wasser und die warme Sonne. Und sie dankten Gott füreinander, für ihre Brüder und Schwestern. Es schien kein Leiter vorhanden zu sein, der die Zeremonie führte. Sie handelten als eine Einheit. Ich wandte mich zu No-Eyes für eine Erklärung. „Sie brauchen da keinen Leiter. Sie wissen, wofür sie dankbar sind. Sie beten, das ist alles, was nötig ist. Wir gehen jetzt zurück. No-Eyes glaubt, Summer hat nun eine genügend gute Idee bekommen.“ Und so war es. Wir schwebten weg von der Erde und machten eine Pause im All. Ich flüsterte zu meiner Lehrerin: „Warum sind wir nicht einfach zur Hütte zurückgekehrt?“ „Schsch, schau.“ Sie zeigte auf den sich drehenden Planeten hinunter. Ich blickte hinunter und sah eine Erde in Frieden. Der schöne Himmelskörper dreht sich unter einem Schleier fliegender weißer Wolken. Es war so herrlich ruhevoll. Ich wollte weinen, aber was mich erst eigentlich zu Tränen rührte, war die rosige Aura, die um die Erde pulsierte – es war die Aura der vollkommenen Liebe. „Nun kann Summer an die Hütte denken.“ Und sie verschwand. Ich schwebte über dem behaglichen Zimmer in der Hütte. Ich liebte dieses Zimmer. Ich sah zu, wie das Feuer die Choreographie einer verrückten Mazurka entwarf, die im Schattenspiel fröhlich durch das Zimmer paradierte und hüpfte. Die nachgedunkelten vom Rauch geschwärzten Wände waren buchstäblich lebendig geworden unter dem blitzartigen Widerschein des taumeligen Volkstanzes, den das Feuer aufführte. Ich atmete den Geruch des Holzrauches tief ein, und der schwere Duft der Kiefernzapfen und des Wacholders wehte zu mir hinauf an meine bevorzugte Stelle an der Decke. Und im brüchigen Schaukelstuhl saß meine alte Freundin. Ich glitt zu ihr hin und sah, wie sie über meine zurückgebliebenen Hülle wachte. Sie wußte, daß ich zurück war, aber sie respektierte den melancholischen Augenblick meines Geistes. Ich wartete einen Moment und schlüpfte dann wieder hinein in meine leibliche Form.
Meine Augenlider zitterten. Ich streckte mich. Der Rücken tat mir weh vom harten Holzboden, den ich durch den dünnen, abgenutzten Teppich spürte. „Summer setzt sich besser wieder aufs Sofa“, riet sie mir teilnahmsvoll. Ich lächelte und befolgte sogleich ihren Vorschlag. Als ich mich eingerichtet und sie ihren Stuhl zu mir hin gedreht hatte, fragte ich drängend. „Was war das für ein pulsierendes Geräusch, das wir zuerst hörten, als wir die Erde sahen?“ „No-Eyes wird darauf zurück kommen. Als erstes, was denkt Summer von der zukünftigen Welt?“ Ich starrte in die glimmenden Gluten. „Es war schön, so unglaublich schön.“ „Ja. Es wird so sein.“ Mein Kopf schwirrte von all der Schönheit. „Es gab so viele positive Neuerungen, Wendungen zum Guten. Ich weiß gar nicht, was mich am meisten begeistert.“ Ich dachte darüber nach. „Die neue Form der Häuser wird viel für die Menschen bedeuten. Sie bringt die Menschen in nähere Beziehung zur Erde, und die neue Form wird die Energie zusammenhalten. Die endlosen Getreidefelder waren wunderbar, aber ich glaube, am meisten beeindruckt bin ich von den Vierbeinern – sie werden endlich frei sein dürfen. Ihr geschütztes leben hat mir am meisten gefallen. Nicht nur der Tiere selber wegen, sondern auch wegen der Menschen, denen es so viel besser gehen wird und die gesünder sein werden.“ „Aber Summer hat nicht alle Tiere dort gesehen. Es gibt auch ganze Wälder voller Familien von Rehen, Kaninchen und Elchen. In den Prärien streifen viele Büffelfamilien frei herum!“ „Oh, Gott wirklich ?“ „Summer hat es mit eigenen Augen gesehen. Das sind nicht nur Worte. Summer hat es gesehen.!“ Rumpel-quietsch. Rumpel-quietsch. Der Film lief noch einmal blitzschnell vor meinem inneren Auge ab. „Und diese Häuser! Sie erinnerten mich an... „ Rumpel-quietsch. „Indianische Häuser. Sie sind immer kreisförmig.“ Mir dämmerte eine Licht. „Und die Männer, die mit Werkzeugen von Hand arbeiteten, und die Gebete! No-Eyes!“ „Ja, so werden sich die Indianer den Gegebenheiten anpassen. So wird die indianische Nation wieder stark werden. Alle Menschen werden darauf zurückkommen und wie die Indianer leben. Sie nehmen die spirituelle Lebensart der Indianer an. Sie werden in Frieden leben mit allem Lebendigen, mit Mutter Erde, genau wie die Indianer es ihnen zeigen werden – nach Art der Erde zu leben.“ Ich lehnte mich im Sofa zurück, und ich spürte, wie eine sanfte Welle der Entspannung und Ruhe über mich flutete. Da merkte ich, daß meine Freundin meine ursprüngliche Frage immer noch nicht beantwortet hatte. „Ist nun die Zeit gekommen, um über meine Frage zu sprechen?“ „Welche Frage war das?“ „Du weißt, dieses rhythmische Pulsieren, das ich hörte.“ Sie spreizte ihre Hände auf ihrem Schoß und hob ihre buschigen Brauen über ihren großen Eulenaugen. „Summer weiß das nicht?“ fragte sie mit bewegtem Erstaunen. Rumpel-quietsch. Rumpel-quietsch. „Ich glaube, ich sollte es wissen, hm.“ Ich biß auf meine Lippen. „Aber ich weiß es wirklich nicht. Kannst du mir einen Hinweis geben?“ Der Schaukelstuhl wurde ruhig. Die alte Frau lehnte sich so weit vor, bis ihr Gesicht im hüpfenden Feuerschein die neu strahlende Freude widerspiegelte. „Summer das ist der Rhythmus des großen, neuen, universellen Herzschlags. Freiheitstrommeln klopfen diesen neuen Herzschlag, der jetzt gerade beginnt.“ Sie kam näher und legte ihre braune Hand auf mein Knie. „Horch, Summer, horch
und hör das weiche Trotten von Tausenden von eifrigen Mokassins. Sie bewegen sich ruhelos auf der Mutter Erde – sogar jetzt. Dieses pulsierende Geräusch ist der Beginn der Zukunft – jetzt.“ Ich wollte etwas sagen, als sie ihren Finger mahnend hob und flüsterte: „Summer, sei still. Horch!“ Gespannt streckte sie ihren Kopf. „Hörst du den schwachen Trommelschlag, der vom Wind zu uns getragen wird. Schsch ... hörst du?“ Ich versuchte, mein dröhnendes Herz zu beruhigen. Der starke Wind gewann an Wucht außerhalb meines ruhigen Schulzimmers. Er klopfte kühn an die Tür und rüttelte unerbittlich an den Fensterscheiben. Doch hinter dem lautstarken Tumult des Windes entdeckte ich den stetigen Takt eines nebelhaften Geräusches. Ich beugte mich hinunter und legte die Handflächen auf den warmen Holzboden; ich spürte die deutliche Schwingung des Herzschlags der Erde, den eigenen, klaren Rhythmus ihrer starken Trommeln. Mein Herz galoppierte wie ein wildes Pferd über eine goldene Schlucht, und ich lächelte zu meiner Lehrerin hinauf, die das Wissen ausstrahlte um die selten mitgeteilten Geheimnisse der Erde. „Summer spürt es, hm?“ Als ich mich wieder in die Kissen zurücklehnte, war es mir, als ob ich mir eben einer sehr geheimnisvollen, mystischen Wirklichkeit bewußt geworden war. „Aber bestimmt sind wir beide nicht die einzigen, die das spüren“, bemerkte ich sanft. Rumpel-quietsch. Was hatte das zu bedeuten? Ich versuchte es nochmals. „Es gibt eine Menge wissender Menschen auf der Welt, No-Eyes. Warum haben sie nie von diesem schönen Pulsieren gesprochen?“ „Hm“. Schweigen Nachdenken. „Nun ... ich bin mir im klaren, daß einige Indianer, die Weisen, die die alten Lebensweisen in ihrem Herzen bewahrt haben, es wahrnehmen. Aber es muß doch auch Menschen anderer Rassen geben, die genügend bewußt sind, um es wahrzunehmen.“ Der klapprige Schaukelstuhl hielt für den Bruchteil einer Sekunde, dann nahm er wieder seinen alten Rhythmus auf. Ich mußte die richtige Saite angeschlagen haben. Ich sann weiter nach. Ein plötzliches Geräusch brach in meine selbstvergessenen Träume ein. „Tz-tz. Summer wird nicht auf den richtigen Gedanken kommen, weil ich nie den Grund sagen werde, warum die Menschen nicht von diesen Trommelschwingungen der Erde reden.“ Da war sie wieder und erwartete von mir, daß ich etwas herausfinden würde, ohne die Kenntnisse zu haben, von denen ich etwas ableiten konnte. Sie spielte mit mir wie ein ausgelassenes Kätzchen mit einem neuen Garnknäuel. „Wirst du es mir sagen, oder läßt du mich einfach in meiner Unwissenheit hängen?“ „Ich lasse Summer nicht hängen“. „Gut.“ Ich unterbrach das Gespräch, um in den Gluten zu stochern und einige knorrige Kiefernäste nachzulegen. „Laß uns näher ans Feuer rücken, ja?“ Sie nickte freundlich und drehte den Stuhl herum, um ins Feuer zu sehen, das knisterte und mit erneuter Kraft Funken sprühte. Ich holte zwei der klumpigen Kissen vom Sofa, warf sie auf den Boden und machte eine bequeme Sitzgelegenheit vor den unebenen, rauhen Steinen des Kamins. „Du walkst ja No-Eyes Kissen durch!“ knurrte sie. Ich lachte. „Nein, nein, ich schüttel nur die Klumpen aus. Die sind ohnehin schon ganz schön durchgewalkt. Aber ich habe sie gern so.“ Ich sank tief in die Kissen und blickte ins freundliche Feuer. Dann wandte ich mich meiner alten Freundin zu
und sah, wie der orangefarbene Wiederschein der Flammen über das tief gefurchte Gesicht huschte. „Was sieht Summer?“ flüsterte sie in einem Ton berechnenden Wissens. Ihre prüfende Frage versetzt mich in ganz feierliche Stimmung. „Weisheit. Liebe. Eine besondere Freundin.“ Ihre trockenen Mundwinkel hoben sich merklich, dann gaben sie wieder nach. „Was noch?“ Ich stützte das Kinn auf mein Knie. Ich antwortete nicht sogleich, denn ich wußte nicht recht, wonach sie angelte. „Ich bin nicht sicher, No-Eyes. Ich weiß wirklich nicht. Manchmal, wenn ich mir in Erinnerung rufe, wie seltsam unser erstes Treffen war, und wie wir dann so viele Tage des Unterrichts zusammen verbrachten, versuche ich, etwas wie gesunde Logik darin zu finden. Es ist unglaublich, das ganze Szenario ist manchmal so unwirklich, es ist so ....“ „Was sieht Summer?“ wiederholte sie sanft. Der Schaukelstuhl stand still – sie war jetzt sehr angespannt, aber sie sprach mit liebevoller Zartheit. Ich suchte in ihren dunklen Augen. „Ich sehe eine Indianerfrau.“ Die ebenholzfarbenen, riesigen Augen waren wie bodenlose Teiche, durch die die wogende Grundsubstanz silbrigen Quecksilbers schimmerte. „No-Eyes sieht auch eine Indianerfrau.“ Ihre unerwarteten Worte hatten eine machtvolle Lanze ausgelöst, die durch die Luft schoß und tief in mein Herz eindrang. Ich starrte auf die mächtigen Dachsparren im Versuch, den plötzlichen Schmerz zu lindern. Es tat inwendig weh. Rumpel-quietsch. Schweigen. Inwendig bluten. „Summer glaubt nicht, was No-Eyes sieht?“ Schweigen. „Nun?“ Ich warf ihr einen schnellen Blick zu, dann musterte ich die huschenden Figuren an der Decke. Als ich sprach, war meine Stimme heiser vor Unsicherheit. „Es ist nicht, daß ich dir nicht glaubte, aber es nicht ganz dasselbe, das ist alles.“ Die Alte beugte sich vor. „Warum nicht dasselbe? Summer blickt No-Eyes an und sieht Indianerfrau. No-Eyes blickt Summer an und sieht auch Indianerfrau. Was ist dabei?“ Sie wußte, welche Qual mein Herz marterte und versuchte, es zu heilen. Ich blieb stumm. Sie lehnte sich im Schaukelstuhl zurück, schloß die Augen und wartete weise, bis ihre Patientin die Symptome beschrieb. Meine nächsten schmerzerfüllten Worte waren kaum hörbar. „Ich glaube immer noch, ich bin die falsche, No-Eyes.“ Sie kippte ihren Stuhl wieder nach vorn und näherte ihr Gesicht dem meinen. „Die falsche? Hier gibt es nichts Falsches, Summer. Alles wird so kommen, wie es gemeint ist.“ Ich hatte immer noch nagende Zweifel. „Vielleicht, vielleicht nicht“, flüsterte ich kaum hörbar. Sie hielt ihren Kopf schräg, und der Feuerschein umspielte ihr Haar, das sich gelöst hatte und ihr Gesicht umrahmte wie eine silberne Aura. Sie sprach mit sanfter Autorität. „Hier werden keine Fehler geduldet. Summer kann sich nicht daraus zurückziehen. Es gibt keine geheimnisvolle Hintertür, durch die Summer hinaus schlüpfen kann. Alles darauf angelegt, daß es kommen muß. Summer ist die Frau, die hier gemeint ist.“ Ich heftete meinen Blick fest auf ihre Augen. „Ich versuche überhaupt nicht, mich zu drücken. Ich ... ich glaube nur nicht, daß diese Idee mit der Überträgerseele
überzeugt; es ist zu neu, die Menschen werden es nicht verstehen. No-Eyes ... sogar ich habe Mühe, damit fertig zu werden. Ich fühle mich so ... so unpassend. Ich fühle mich wie ein Außenseiter, der versucht, sich in den Hauptstrom des Lebens einzufügen.“ Ein harter Klumpen bildete sich tief in meiner Brust. Ich versuchte, ihn nicht zu beachten. „Mein Herz, mein Geist, meine Erinnerung sind vollkommen indianisch, und doch, wo ist meine indianische Nation? Ich betrachte die Welt und alles in ihr durch die Augen einer Indianerin.“ Mein Blick richtete sich zur Decke in einem schwachen Versuch, das plötzliche Überfluten meiner Augen zurückzuhalten. „Ich ... ich denke sogar wie eine uralte Indianerin...“ „Nun, warum weint Summer?“ fragte sie teilnahmsvoll. Schweigen. Rumpel-quietsch. Unter Tränen blinzelnd gewann ich wieder etwas Haltung zurück. „Ich glaube, ich bin die falsche. Eine Vollblutindianerin hätte in deine Wälder geführt werden sollen an jenem Tag – nicht ich. Manchmal liege ich nachts im Bett und frage mich, warum ich?“ Ein Blitz des Verständnisses erleuchtete das Gesicht der alten Frau. „Summer meint, sie sei nicht würdig für den Auftrag?“ „Ich weiß es nicht sicher, ich glaube, ich habe das Gefühl, irgend etwas sei nicht ganz genau an seinem Platz. Und ich meine, ich sei das sonderbare Puzzleteilchen, das allein da liegt. Verstehst du nicht?“ „Pah!“ „Das ist keine Antwort. Du weichst mir aus.“ „Nein. Das ist No-Eyes Antwort auf eine dumme Feststellung, das ist alles.“ „Es war nicht dumm.“ „Es war dumm. Es ist dumm, dumm, dumm. Summer, das indianische Volk ist jetzt voller verweichlichter Indianer. Sie sind ganz in der weißen Lebensweise aufgegangen, sie vergessen alle alten heiligen Bräuche und Glauben. Sie wollen sich nicht mehr erinnern, wie man das Wetter ändert in einem Augenzwinkern, sie haben kein Interesse daran, die harte Arbeit auf sich zu nehmen, um zu lernen und die heiligen Dinge in ihren Herzen zu bewahren. Es gibt zwar einige wenige, die die heiligen Dinge lebendig halten; nur tut es ihnen innerlich sehr weh, weil so wenig Junge sich der harten Anstrengung unterziehen, um zu lernen. Aber das wird sich ändern. Summer wird das Erbe wieder zurückbringen. Summer wird die indianischen Herzen wieder von Stolz schwellen lassen und neue Bedeutung der alten Weisheit verleihen. Summer wird die Medizinfrau sein.“ Schweigen. Zweifel. „Summer höre. All dies ist vor langer zeit schon aufgeschrieben worden.“ Sie schwang ihre Arme durch die Luft. „Oh, es ist nicht auf Papier geschrieben worden, weil das nicht die Art der Indianer ist. Es ist in den Wind geschrieben. Es ist altes Wissen, das uns von den Bergen zugeflüstert wird. Die Bäume wissen es. Die Vierbeiner wissen es. Weise Menschen, die sich Zeit nehmen zu hören, wissen es auch. Alle Wahrheit ist umfassend in der Natur, wir brauchen keine geschriebenen Worte, um sie kennenzulernen. Wir lernen die Wahrheit aus ihrem Ursprung kennen, und das ist die Natur! Einige Menschen können es sich nicht aussuchen, sie haben keine Wahl im Leben. Einige Menschen müssen ihrem eigenen Weg folgen, dem Weg, der ihnen in ihrem Herzen und Geist als richtig erscheint. Alle Menschen sind dazu da, das Beste aus sich zu machen und das, wofür sie bestimmt sind. Summer hat viele Jahre gelitten auf der Suche nach ihrem rechten Weg. Summer ist hierhin und dorthin gegangen, aber sie hat trotzdem den rechten Pfad gefunden. Die Richtung im Leben ist nicht
immer jene, die die Menschen erwarten. Summer hat das Ziel ihrer Richtung in NoEyes Wald hier draußen gefunden. No-Eyes wird nie getäuscht. Kein Koyote hat je No-Eyes zum Narren gehalten. Ich wußte, wer du warst, das erste Mal, als du mir begegnetest. Nein, Summer, hier werden keine Fehler gemacht. Summer kam nicht in einer Koyotenhaut. Außerdem, hör mir zu, ein Vollblutindianer ist ungeeignet für diesen Auftrag.“ Diese letzte rätselhafte Äußerung ergab überhaupt keinen logischen Sinn. „Was soll das heißen?“ Sie schenkte mir ein warmes, wissendes Lächeln. „Nun ... No-Eyes kommt gleich zu dieser Sache. Summer hat viele, viele Jahre als Vollblut-Shoshoni gelebt. Summer kann nichts daran ändern, daß ihre indianischen Erinnerungen, ihr Kopf, Geist und Herz gleich sind wie die einer indianischen Frau. Aber am wichtigsten ist jetzt, daß Summer eine alte indianische Prophezeiung erfüllt.“ Sie grinste breit über ihr mir unbekanntes Geheimnis. Ich war auf der Hut. Ich glaubte, sie wolle mir nur zu einem besseren Gefühl verhelfen. „Keine Scherze, No-Eyes, mir ist nicht danach zumute.“ Ich drehte mich auf den Bauch und zupfte in Gedanken an den ausgefransten Fäden des abgenutzten Flickenteppichs. Nach außen war sie erzürnt über mein ungläubiges Verhalten. Sie stampfte mit dem Fuß auf. „Ich mache hier keine Scherze! Das ist nicht der Augenblick für Scherze. Das ist eine verdammt ernste Sache!“ Ich warf ihr einen harten Blick zu. Sie grinste nicht mehr, und zudem hatte sie zum erstenmal geflucht. Ich war richtig schockiert. „Du hast geflucht“. Sie zuckte die Achseln. „Das ist die einzige Art, um den Worten Gewicht zu geben, nicht wahr?“ Ich kicherte. „Richtig.“ Ihr dünner Finger krümmte sich. „Aber Summer macht No-Eyes nicht mehr fluchen. Summer hört mit diesem Selbstmitleid auf und hört gut zu!“ In ihrer Stimme schwang halb Zorn, halb Mitgefühl. Sie wußte genau, wie es mir zumute war, und sie machte sich nun daran, den Schaden, den ich mir zugefügt hatte, wieder zu beheben. „Nun“, begann sie, „No-Eyes spricht über diese Sache der Prophezeiung. Ich murmle nichts in den Bart. Ich bin keine senile, alte Frau.“ Ich grinste. „Das ist auch nichts Lustiges. Das ist etwas Ernsthaftes!“ mein lächeln verschwand, und ich bereitete mich auf die ernsten Dinge vor. „Nun, Summer hat recht, daß auch Menschen anderer Rassen die Dinge spüren. Aber sie sprechen nicht darüber, weil noch nicht die rechte Zeit ist; sie warten.“ Summer hat auch recht, daß es einige weise Indianer gibt, die die Dinge wissen. Aber sie behalten sie da oben“, sie deutete auf ihre Stirn, „und hier drin“, und klopfte auf ihre schmale Brust. „Sie behalten sehr viel Ernstes nur untereinander ...“ „Wie kommt es, daß ich nie von dieser alten Prophezeiung gehört habe?“ „Wie kommt es, daß Summer hierher geführt wurde?“ ich gab auf und fühlte mich gebührend zurecht gewiesen. „Ich lerne immer noch, nicht wahr?“ Rumpel-quietsch. Schweigen. Das krachende Feuer warf wilde Schattentänze über die Balkenwände. Die Flammen erwärmten meinen erschöpften Körper, und No-Eyes Worte glühten in meinem Geist. Ich dachte darüber nach. Vielleicht verfügte ich über kein eigenes Bollwerk gegenüber meinem Schicksal. Vielleicht hatte ich das nie gehabt. Die Dinge hatten sich letztlich nicht so entwickelt, wie ich es mir stets vorgestellt hatte. Und laut
meiner weisen Lehrerin können wir nicht unser eigenes Lied komponieren oder den Schluß unseres Lebens selber schreiben. Wir laufen nur nach unserer persönlichen Melodie oder folgen dem Weg, den das Schicksal für uns aufgeschrieben hat. Daher nimmt am Ende unsere Bestimmung plötzlich eine ganz andere Wendung, als wir es erwartet, geplant oder gesucht hatten. Gerade dieser Gedanke rief mit einen Traum in Erinnerung, den ich vorige Nacht gehabt hatte, und ich verweilte im Geist dabei, während No-Eyes ruhig schaukelte, tief in ihre eigene Einsamkeit versunken. „Mein Summer, No-Eyes macht ein Mittagsschläfchen?“ Ihre unerwartete Stimme schreckte mich auf. „Du hast tatsächlich ausgesehen, als ob du am Einschlafen seist.“ „Nein. Summer soll No-Eyes von diesem Traum erzählen.“ Es war ein seltsamer Traum gewesen, aber auch besonders wirklichkeitsnah. Ich hatte nicht vor gehabt, ihn meiner Freundin mit zuteilen, da sie jedoch danach fragte, hätte es mir nichts gebracht abzulehnen, und so gab ich rasch nach. „Du bist wieder in meinem Kopf gewesen“, tadelte ich sie beiläufig. „Ja“, gab sie offen und unumwunden zu, „und das ist auch gut so. Dieser Traum ist eine wichtige Botschaft für die Träumerin. Vielleicht weiß das die Träumerin noch nicht. Der Traum sagt etwas sehr Wichtiges. Summer soll erzählen.“ Ich setzte mich auf und schlang meine Arme um meine Knie. Vielleicht hatte ich mir unbewußt die ganze Zeit schon gewünscht, daß sie mich bat, ihn zu erzählen. Vielleicht brauchte ich ihre Interpretation, um meine Zweifel ein für allemal auszuräumen. Und ich begann zu erzählen. „Es war Nacht. Der Mond hing als große, silberne Scheibe in einem bitterkalten Himmel. Ich kniete und begann mit bloßen Händen in der schneebedeckten Erde zu graben. Ich grub an einer Stelle, wo eine Frau, genannt die Weberfrau, mir angab zu graben. Mir war sehr daran gelegen, etwas zu entdecken, was ich hätte finden sollen. Jemand kniete neben mir und schaute mir beim Graben zu. Diese Person war auch darauf bedacht zu sehen, was ich finden würde. Plötzlich fror mein langes Haar am Boden fest, im Loch, das ich ausgegraben hatte. Ich zog mich zurück im Versuch, mein Haar zu befreien, aber irgend etwas war daran festgemacht innerhalb des dunklen Loches. Ich fühlte mich angewidert, als ich sah, daß es eine Medizinmann-Klapper aus einem menschlichen Haarknoten war. Ich glaubte, er stamme von dem Menschen, in dessen Grabstätte ich grub. Ich war furchtbar entsetzt über dieses Ding, das an meinen Haarspitzen fest gefroren war. Ich schrie nach der Gestalt, die neben mir stand, sie solle es wegreißen. Sie war aber wie gelähmt vor Schrecken und rannte schließlich fort von mir. Dann versuchte ich , ohne den Haarknoten zu berühren, ihn wegzuschleudern, indem ich mein Haar mit der Klapper heftig gegen einen Pfosten einer hellen Gaslaterne schlug; der Pfosten zeigte aber nur eine leichte Schlagspur. Danach trat ich in ein mir vertrautes Haus. Ich hielt meine Hände schützend über die Klapper, um sie zu verstecken, bis ich diejenige fand, die ich suchte. Ich erblickte die Weberfrau, die die Zeitung las, und ich beugte mich heimlich über sie, um ihr zu zeigen, was an meinem Haar angemacht war. Ihre Augen leuchteten auf beim Anblick des geheiligten Gegenstandes, und sie griff vorsichtig danach. Als sie ihn berührte, fiel er sanft von meinem Haar ab in ihre Hände. Darauf tat sie etwas Erstaunliches. Sie schien die Haarknotenklapper zu entrollen. Sie entrollte sich zwischen ihren zierlichen Händen und verwandelte sich in eine papyrusähnliche Rolle. Das wunderschön beschriebene Blatt war zwischen zwei Stäben befestigt und enthielt eine Kombination ägyptischer Hieroglyphen und indischer Petroglyphen. Das ist der heilige Medizinschild der Medizinfrau, und jetzt gehört er rechtmäßig dir ... sagte sie sanft, während sie ihn mir wieder reichte.
Plötzlich war ein strahlend schöner Morgen angebrochen. Ich stand auf einem Grashügel und hielt die Rolle aus dünner Birkenrinde in meinen Händen; ich stand unter einem mächtigen Baum. Die Weberfrau kam mir entgegen. Sie trug einen Arm voller Silberbarren mit einem herrlichen, blauen Stein, der oben darauf thronte. Das gehört dir ... sagte sie und streckte mir den Schatz entgegen ... wenn du tiefer gegraben hättest in dem Loch, so hättest du ihn gefunden ... Dann sah ich einen großen Wolkenkreis, der sich über uns drehte. Er senke sich langsam vom Himmel herunter.“ Ungeduldig wartete ich darauf, daß No-Eyes sich zu dem Traum äußerte. Schweigen. „Nun?“ Was meinst du?“ fragte ich eifrig. „Nicht, was No-Eyes denkt, zählt hier. Was denkt Summer?“ „Ich glaube, die Weberfrau stellt die Geschichtenerzählerin dar – die Frau, die die Wahrheit lebendig erhält, mit anderen Worten, den Geist der Wahrheit.“ Ich schaute zu meiner Lehrerin und wartete auf Bestätigung. Es kam keine. Ich fuhr mit meiner Interpretation fort. „Ich grub in der Nacht, die ein Geheimnis oder ein unbekanntes, verstecktes Wissen verkörpert.“ Wieder blickte ich kurz zu meiner stillen Ratgeberin auf. Dann fuhr ich fort. „Der Schnee, der die Erde bedeckte, bedeutete Wahrheit knapp unter der Oberfläche, lange Zeit eingefrorene Wahrheit. Das Grab bedeutet ein längst begrabenes Volk oder Lebensweise. Die Gestalt neben mir verkörperte die Menschheit, die auch begierig ist, die Wahrheit zu finden. Mein Haar stellt meine Gedanken dar, die plötzlich fest gebunden wurden an .... an dich, No-Eyes. Die Medizinmann-Klapper warst du, die mir die alte Weisheit aus der vergessenen Vergangenheit in meine Gedanken, mein Bewußtsein brachtest.“ Sie bewegte sich. Sie beugte sich tief vor und fragte: „Wenn diese Haarknotenklapper No-Eyes darstellte, warum war Summer dann so angewidert davon?“ Ich dachte über die Ungereimtheit nach. „Weil ich Angst hatte, die heilige Wahrheit zu berühren, ich fühlte mich ihr nicht gewachsen.“ Sie lehnte sich friedlich in ihrem Stuhl zurück und begann leise zu schaukeln. „Mach weiter, Summer.“ „Nun ... diese andere Gestalt war entsetzt, mich mit der heiligen Wahrheit zu sehen.“ Sie unterbrach mich. „Viele Menschen erkennen die Wahrheit nicht, ganz gleich wer sie hat. Sie sind bestürzt, jemanden mit der reinen Wahrheit zu sehen. Die reine Wahrheit verkörpert große Macht.“ Ich nickte. „Aber warum versuchte ich, die Klapper loszuwerden, indem ich sie gegen den Pfosten schlug?“ „Summer wollte sie nicht berühren. Erinnerst du dich, wie du vorhin gesagt hast, du glaubst nicht, du seiest die Richtige? Summer wollte nicht diejenige sein, die die Wahrheit ans Tageslicht bringt? Im Traum versucht Summer, die Wahrheit der Wahrheit zurückzugeben, das Gaslicht stellt das ewige Licht dar – die Wahrheit.“ Ich sann darüber nach, wie gut No-Eyes meinen Traum auslegte, und erzählte ihn dann zu Ende. „Ich glaube, ich hatte dann keine Angst mehr, denn als ich mich in dem Haus mit den anderen befand, wollte ich die Klapper beschützen und bedeckte sie sorgsam, bis ich den Geist der Wahrheit, die Weberfrau, fand. Und die Wahrheit entwirrte meine Klapper, meine Verbindung mit dir, die mir zeigte, daß ich stark und beschützt war. Am folgenden Tag brachte mir die Wahrheit Reichtümer; nicht Gold, was materielle Güter wären, sondern Silber, das heißt geistige Güter. Und der mächtige Baum, unter dem ich stand, deutete auf den heiligen Baum des alten Erbes, und der Wolkenkreis bedeutete die Rückkehr der Einheit auf die Erde.“
„Nicht ganz“, war ihr Kommentar. „Summer hat alle Symbole richtig gedeutet, außer diesen Wolkenkranz. Höre. Diese Wolken bedeuten, daß der große Ring wieder ganz und zu einem starken, vollkommenen Baum wird, der große Ringe der Nationen wird herabkommen und wieder stark werden.“ Schweigen. „Erinnert sich Summer an den großen Ring der Nationen und den Heiligen Baum?“ „Natürlich, jedermann kennt sie.“ „Nicht jedermann, Summer.“ Schweigen. „Aber alle werden ihn bald genug kennen, hm.“ Schweigen. Ich war in die Betrachtung meiner schönen, unberührbaren Vergangenheit versunken. Ich erlebte in meinem Geist unterbewußte Szenen einer Lebensweise, die ich weit zurück gelassen hatte – eine Zeit, als wir der ganzen Natur mit Ehrfurcht begegneten, als wir den vierbeinigen Geistern dankten für ihre körperlichen Gaben zu unserm Unterhalt, als wir es nie unterließen, großzügige Opfergaben darzubringen, um mit unserer tief empfundenen Dankbarkeit ihren Geist zu besänftigen. Ich mischte mich in den Kreis der Frauen, die fröhlich plauderten, während sie neue Büffelfelle geschmeidig schabten. Ich schaute meiner eigenen kleinen Tochter zu, wie sie ungeschickt versuchte, einen spiralförmigen Streifen weißen Kaninchenfells auszuschneiden für ihr Haar. Und ich lachte, als mein Kriegermann mich fröhlich auf die weichen Felle in unserer warmen Hütte legte. Ein sanftes Flüstern zerriß das verschlungene Netz meiner schönen Meditation. „Summer?“ „Ich bin da“, antwortete ich betrübt. „Es ist gut gewesen, hm, Summer?“ „Ja, sehr gut.“ Ich starrte in die hochschießenden Flammen. „Aber Summer weiß jetzt, daß es wieder einmal kommen wird. Summer hat die Vision gehabt, die zu ihr auf sanften Flügeln in einem Traum gekommen ist und sagt, daß hier keine Fehler passieren.“ Sie stieß mit ihrer Zehe an mein Bein. „Berühre nochmals den Boden. Spüre die feinen Vibrationen der stillen Trommeln, die für die Wiederkehr alter Zeiten schlagen. Summer, es wird alles wiederkommen, genau wie du dich erinnerst. Und wenn der große Phönix frei fliegt, schau gut, was er behutsam zwischen seinen Krallen trägt. Es wird ein frisches, grünes Blatt sein, nicht von einem Olivenzweig, sondern von dem neu erstandenen Heiligen Baum, der kräftig blühen wird innerhalb des Rings der Menschheit neuer Nation.“ Schweigen. Es waren keine Worte mehr nötig. Keine Worte würden je annähernd das Gefühl ausdrücken könne, das der Kloß in meinem Hals mir gab. Wir blieben in einer tief beschaulichen Stille versunken im Angesicht einer neuen Zukunft. Die beredten Worte meiner Lehrerin beschäftigten meinen Geist, während ein geheimnisvoller Trommelschlag in mir erregt pulsierte. Mein Herz klopfte im Takt mit dem donnernden Hufschlag der wiederkehrenden Büffelherden, und eine einsame Träne fiel auf den abgenutzten Holzboden – die erste Freudenträne, die ich endlich für die Menschheit vergießen konnte.
nsere Bestimmung plötzlich eine ganz andere Wendung, als wir es erwartet, gepla t oder gesucht hatten. Gerade dieser Gedanke rief mit einen Traum in Erinne ung, den ich vorige Nacht gehabt hatte, und ich verweilte im Geist dabei, während No-Eyes ruhig schaukelte, tief in ihre eigene Einsamkeit versunken. „Mein Summ r, No-Eyes macht ein Mittagsschläfchen?“Ihre unerwartete Stimme schreckte mich uf. „Du hast tatsächlich ausgesehen, als ob du am Einschlafen seist.“„Nein. Su mer soll No-Eyes von diesem Traum erzählen.“Es war ein seltsamer Traum ewesen, aber auch besonders wirklichkeitsnah. Ich hatte nicht vor gehabt, ihn mein r Freundin mit zuteilen, da sie jedoch danach fragte, hätte es mir nic ts gebracht abzulehnen, und so gab ich rasch nach. „Du bist wieder in meinem Kopf ewesen“, tadelte ich sie beiläufig. „Ja“, gab sie offen und unumwunden zu, „und d s ist auch gut so. Dieser Traum ist eine wichtige Botschaft für die Träumerin. Vi lleicht weiß das die Träumerin noch nicht. Der Traum sagt etwas sehr Wichtiges. Su mer soll erzählen.“Ich setzte mich auf und schlang meine Arme um meine Kni . Vielleicht hatte ich mir unbewußt die ganze Zeit schon gewü scht, daß sie mich bat, ihn zu erzählen. Vielleicht brauchte ich ihre Interpreta ion, um meine Zweifel ein für allemal auszuräumen. Und ich begann zu erzähl n. „Es war Nacht. Der Mond hing als große, silberne Scheibe in einem bitt rkalten Himmel. Ich kniete und begann mit bloßen Händen in der schneebedeckten Erde z graben. Ich grub an einer Stelle, wo eine Frau, genannt die Weberfrau, mir angab zu graben. Mir war sehr daran gelegen, etwas zu entdecken, was ich hätte fi den sollen. Jemand kniete neben mir und schaute mir beim Graben zu. ese Person war auch darauf bedacht zu sehen, was ich finden würde.Plötzlich fr r mein langes Haar am Boden fest, im Loch, das ich ausgegraben hatte. Ich z g mich zurück im Versuch, mein Haar zu befreien, aber irgend etwas war daran festgem cht innerhalb des dunklen Loches. Ich fühlte mich angewidert, als ich sah, daß es ine Medizinmann-Klapper aus einem menschlichen Haarknoten war. Ich glaubte, er stamme v n dem Menschen, in dessen Grabstätte ich grub. Ich war furchtbar entsetz über dieses Ding, das an meinen Haarspitzen fest gefroren war. Ich schrie nach der estalt, die neben mir stand, sie solle es wegreißen. Sie war aber wie geläh t vor Schrecken und rannte schließlich fort von mir. Dann versuchte ich , ohne den aarknoten zu berühren, ihn wegzuschleudern, indem ich mein Haar mit d r Klapper heftig gegen einen Pfosten einer hellen Gaslaterne sch ug; der Pfosten zeigte aber nur eine leichte Schlagspur. Danach trat i h in ein mir vertrautes Haus. Ich hielt meine Hände schützend über die Klapper, um sie zu verstecken, bis ich diejenige fand, die ich suchte. I h erblickte die Weberfrau, die die Zeitung las, und ich beugte mich heimlich ü er sie, um ihr zu zeigen, was an meinem Haar angemacht war. Ihre Augen leuchtete auf beim Anblick des geheiligten Gegenstandes, und sie griff vorsichtig danac . Als sie ihn berührte, fiel er sanft von meinem Haar ab in ihre Hände. Darauf tat ie etwas Erstaunliches. Sie schien die aarknotenklapper zu entrollen. Sie entrollte sich zwischen ihren zier ichen Händen und verwandelte sich in eine papyrusähnliche Rolle. Das wunderschön b schriebene Blatt war zwischen zwei Stäben befestigt und enthielt eine Ko bination ägyptischer Hieroglyphen und indischer Petroglyphen. Das ist der h ilige Medizinschild der Medizinfrau, und jetzt gehört er rechtmäßig dir ... sag e sie sanft, während sie ihn mir wieder reichte.Plötzlich war ein st ahlend schöner Morgen angebrochen. Ich stand auf einem Grashügel und hi lt die Rolle aus dünner Birkenrinde in meinen Händen; ich stand unter einem mächtig n Baum. Die Weberfrau kam mir entgegen. Sie trug einen Arm voller Silberbarren it einem herrlichen, blauen Stein, der oben darauf thronte. Das gehört dir ... sa
te sie und streckte mir den Schatz entgegen ... wenn du tiefer gegraben hätte t in dem Loch, so hättest du ihn gefunden ... Dann sah ich einen großen Wolke kreis, der sich über uns drehte. Er senke sich langsam vom Himmel h runter.“Ungeduldig wartete ich darauf, daß No-Eyes sich zu dem Traum ußerte. Schweigen.„Nun?“ Was meinst du?“ fragte ich eifrig.„Nicht, was No-Eyes enkt, zäh t hier. Was denkt Summer?“„Ich glaube, die Weberfrau stellt die Geschichtene zählerin dar – die Frau, die die Wahrheit lebendig erhält, mit anderen Worten, den Geist der Wahrheit.“ Ich schaute zu meiner Lehrerin und wartete auf Bestätig ng. Es kam keine. Ich fuhr mit meiner Interpretation fort. „Ich grub in de Nacht, die ein Geheimnis oder ein unbekanntes, verstecktes Wissen verkörpe t.“ Wieder blickte ich kurz zu meiner stillen Ratgeberin auf. Dann fuhr ich for . „Der Schnee, der die Erde bedeckte, bedeutete Wahrheit knapp unter der Oberfläche, lange Zeit eingefrorene Wahrheit. Das Grab bedeutet ein längst egrabenes Volk oder Lebensweise. Die Gestalt neben mir verkörperte di Menschheit, die auch begierig ist, die Wahrheit zu finden. Mein Haar stellt eine Gedanken dar, die plötzlich fest gebunden wurden an .... an dich, No-Eyes. Di Medizinmann-Klapper warst du, die mir die alte Weisheit aus der vergessenen Ve gangenheit in meine Gedanken, mein Bewußtsein brachtest.“Sie bewegte sich. Sie beugte sich tief vor und fragte: „Wenn diese Haarknotenklapper No-Eyes darstellt , warum war Summer dann so angewidert davon?“Ich dachte über ie Ungereimtheit nach. „Weil ich Angst hatte, die heilige Wahrheit zu berühren, i h fühlte mich ihr nicht gewachsen.“Sie lehnte sich friedlich in ihrem Stuhl zurüc und begann leise zu schaukeln. „Mach weiter, Summer.“„Nun ... diese andere Gest lt war entsetzt, mich mit der heiligen Wahrheit zu sehen.“Sie unterbrach mich. „Viele Menschen erkennen die Wahrheit nicht, ganz gleich wer sie hat. Sie sin bestürzt, jemanden mit der reinen Wahrheit zu sehen. Die reine Wahrheit verkö pert große Macht.“Ich nickte. „Aber warum versuchte ich, die Klapper loszuw rden, indem ich sie gegen den Pfosten schlug?“„Summer wollte sie nicht berüh en. Erinnerst du dich, wie du vorhin gesagt hast, du glaubst nicht, du seiest die Ri htige? Summer wollte nicht diejenige sein, die die Wahrheit ans Tageslicht bringt? m Traum versucht Summer, die Wahrheit der Wahrheit zurückzugeben, das Gaslicht stellt das ewige Licht dar – die Wahrheit.“Ich sann darüber nac , wie gut No-Eyes meinen Traum auslegte, und erzählte ihn dann zu Ende. „Ich glaube, ich hatte dann keine Angst mehr, denn als ich mich in dem Haus mit den anderen befand, wollte ich die Klapper beschützen und bedeckte sie so gsam, bis ich den Geist der Wahrheit, die Weberfrau, fand. Und die Wahrh it entwirrte meine Klapper, meine Verbindung mit dir, die mir zeigte, daß ich tark und beschützt war. Am folgenden Tag brachte mir die Wahrheit Reichtümer; nic t Gold, was materielle Güter wären, sondern Silber, das heißt geistige Güter. Und der mächtige Baum, unter dem ich stand, deutete auf den heiligen Baum des alte Erbes, und der Wolkenkreis bedeutete die Rückkehr der Einheit auf die Erde.“ „Nicht ganz“, war ihr Kommentar. „Summer hat alle Symbole richtig gedeutet, außer d esen Wolkenkranz. Höre. Diese Wolken bedeuten, daß der große Ring wieder ganz und zu einem s arken, vollkommenen Baum wird, der große Ringe der Nationen wird herabkom en und wieder stark werden.“Schweigen. „Erinnert sich Summer an den groß n Ring der Nationen und den Heiligen Baum?“„Natürlich, jedermann kenn sie.“„Nicht jedermann, Summer.“Schweigen.„Aber alle werden ihn bald genu kennen, hm.“Schweigen. Ich war in die
Betrachtung meiner schönen, unberührbaren Vergangenheit versunken. Ich erlebte i meinem Geist unterbewußte Szenen einer Lebensweise, die ich weit zurück gelass n hatte – eine Zeit, als wir der ganzen Natur mit Ehrfurcht begegneten, als wir de vierbeinigen Geistern dankten für ihre körperlichen Gaben zu unserm Unter alt, als wir es nie unterließen, großzügige Opfergaben darzubringen, um mit u serer tief empfundenen Dankbarkeit ihren Geist zu besänftigen. Ich mischte mich n den Kreis der Frauen, die fröhlich plauderten, während sie neue Büffelfe le geschmeidig sc abten. Ich schaute meiner eigenen kleinen Tochter zu, wie sie ungeschickt versu hte, einen spiralförmigen Streifen weißen Kaninchenfells auszuschneiden für i r Haar. Und ich lachte, als mein Kriegermann mich fröhlich auf die weichen Fell in unserer warmen Hütte legte. Ein sanftes Flüstern zerriß das verschlungene etz meiner schönen Meditation. „Summer?“„Ich bin da“, antwortete ich betrüb . „Es ist gut gewese , hm, Summer?“„Ja, sehr gut.“ Ich starrte in die hochschießenden Flammen. „A er Summer weiß jetzt, daß es wieder einmal kommen wird. Summer hat die Vis on gehabt, die zu ihr auf sanften F ügeln in einem Traum gekommen ist und sagt, daß hier keine Fehler passieren.“ Sie stieß mit ihrer Zehe an mein Bein. „Berühre nochmals den Boden. Spüre die einen Vibrationen der stillen Trommeln, die für die Wiederkehr alter Zeiten schlagen. Summer, es wird alles wiederkommen, genau wie du dich erinnerst. Un wenn der große Phönix frei fliegt, schau gut, was er behutsam zwischen seinen Kral en trägt. Es wird ein frisches, grünes Blatt sein, nicht von einem Olivenzweig, sondern von dem neu erstandenen Heiligen Baum, der kräftig blühen w rd innerhalb des Rings der Menschheit neuer Nation.“Schweigen.Es waren keine Worte mehr nötig. Keine Worte würden je annähernd das Gefühl ausdrücken könne, das der Klo in meinem Hals mir gab. Wir blieben in einer tief beschaulichen Stille versu ken im Angesicht einer neuen Zukunft. Die beredten Worte meiner Lehrerin bes häftigten meinen Geist, während ein geheimnisvoller Trommelschlag in mir err gt pulsierte. Mein Herz klopfte im Takt mit dem donnernden Hufschlag der wied rkehrenden Büffelherden, und eine einsame Träne fiel auf den abgenutzten Holzboden – die erste Freudenträne, die ich endli h für die Menschheit vergießen konnte. Kapitel 11- Zeichen der Zeit Zeichen der Zeit – eine zukunftweisende Schau Und der Schatten des wieder erstandenen Phönix gleitet sachte über das ganze Land als Zeichen eines neuen Zeitalters des Friedens für die Menschen – Friede in einer umfassenden Brüderlichkeit mit der Mutter Erde, und Friede mit Gott. Die bevorstehenden Veränderungen in der Welt waren für Bill und mich kein neues Thema. Wir hatten viel gelesen und von verschiedenen Voraussagungen für die Zukunft gehört, die auch einiges zum Inhalt hatten, was meine weise Lehrerin auch prophezeit hatte. No-Eyes war hingegen nie daran interessiert, solche wichtigen Ereignisse in Form weitgefaßter Verallgemeinerungen zu enthüllen. Sie ergründete genau jedes zukünftige Ereignis, und wir besprachen detailliert die sich daraus ergebenden vielfältigen Möglichkeiten. Sie verriet mir auch im Vertrauen wahrscheinliche Daten, welche ich absichtlich auslasse, weil es letztlich, wie ich früher erklärt habe, zwecklos wäre, die Daten ganz genau anzugeben, da
verändernde Wahrscheinlichkeiten auftreten könnten. Sie betonte unerbittlich, dass kein Mensch von tiefer Einsicht und Erleuchtung je genaue Daten der Öffentlichkeit preisgegeben hat, denn wenn sie es taten, war dies ein klares Zeichen dafür, dass sie nichts verstanden vom höheren Plan der universellen geistigen Gesetze, die die Wirklichkeit steuerten. Daher überlasse ich die „datierten“ Vorhersagen und Prophezeiungen des Hollywood-Wahrsagern und Zukunftsdeutern. Als meine Phönixlektionen endlich abgeschlossen waren, diskutierten Bill und ich sie ausgiebig mit unseren besten Freunden, die in einigen wissenschaftlichen Gebieten, die von den Veränderungen betroffen würden, bewandert waren. Wir waren äußerst vorsichtig, nichts zusätzlich in die Ereignisse hineinzuinterpretieren. Wir vermieden es tunlichst, die Dinge zu verändern oder falsche Annahmen zu machen. Wir prüften jedoch jede Situation einzeln und beurteilten unmittelbar die nackten Tatsachen, wie sie unsere alte Seherin vorausgesehen hatte. Die ersten Zeichen des Wandels, die ersten Bewegungen des großen Phönix sollten äußerlich sichtbar werden in bedeutenden Veränderungen der wirtschaftlichen Strukturen, nicht nur jener der Vereinigten Staaten, sondern auch anderer Nationen. Es hatte keine großen Streiks mehr seit der letzten Rezession gegeben. Es scheint, als ob die Arbeiter tatsächlich dankbar sind für eine volle Dauerstelle, die ihnen eine regelmäßige Zahlung einbringt. Und die sich daraus ergebende finanzielle Sicherheit dieser Stellen verhindert natürlich jeden Antrieb, eine Firma unter Druck zu setzen, um mittels Streik höhere Lohnforderungen durchzusetzen. Wenn die Arbeitslosigkeit in einem Staat stark zunimmt, sind die Arbeitnehmer nicht geneigt, die Hand, die sie füttert, zu beißen. No-Eyes hat jedoch deutlich die Massenbewegungen von Streiks unter der Arbeiterschaft des Landes vorausgesehen. Das würde also auf eine Art wirtschaftlichen Aufschwungs unmittelbar vor den Streiks hinweisen. In letzter Zeit haben viele Wirtschaftsfachleute die Trommel über die glänzenden Aussichten gerührt. Sie argumentieren und bauen ihre positive Haltung auf den zusätzlichen Geldmengen, die für Darlehen, niedere Zinssätze und einen größeren Anteil an Kreditkäufen zu Verfügung stehen. Aber diese wirtschaftlichen Bausteine waren schon früher da, und genauso wie früher sind sie für eingreifende Wahrscheinlichkeiten anfällig, die sie in Schutt zerfallen lassen können. No-Eyes warnte vor oberflächlichen Erscheinungen, und dieses positive Wirtschaftswachstum würde tatsächlich in dieses Bild passen. Es ist klar, wenn die Wirtschaft angeblich gesund ist, wird die Arbeitslosigkeit vorübergehend abnehmen, und die Arbeitnehmer werden aus einem Sicherheitsgefühl heraus um mehr Einfluss verhandeln; Streiks werden unweigerlich darauf folgen. So beginnt die wirtschaftliche Abwärtsbewegung auf einer gewaltigen Rutschbahn. Werden die Massenstreiks dazu führen, dass die Forderungen durchgesetzt werden? Wahrscheinlich nicht, weil viele Fabriken auf diese Art leer bleiben werden – nur von den stillen Gespenstern von dem, was einst war, besetzt. Die Besitzer werden ihre Firmen in den USA einstellen und ihre Geschäfte ins Ausland verlegen, wo sie sicher sind, größere Gewinne zu machen. Viele Firmen und Multis werden ihre Heimat im Stich lassen wegen der verlockenden Profite auf fremdem Boden. Und die ernüchterten Streikenden werden eine immense Steigerung der Arbeitslosigkeit bewirken. Die verlegten Firmen werden ein großes Loch hinterlassen im feinen Netz der Börse, und Wall Street wird in ein heilloses Chaos stürzen. Während dieses wirtschaftlichen Debakels werden weitsichtige Investoren rasch ihre Wertpapier abstoßen, ihre Aktiva liquide machen und ihre Gelder zurückziehen, so dass die Großbanken bedenklich überschuldet werden. Die Großbanken werden
dann von einem Ansturm überrollt werden, weil die Menschen versuchen werden, ihre Anlagen zurückzuziehen. Sie werden aber bitter enttäuscht sein bei der Entdeckung, dass das F.D.I.C. (eine Art Bundesanstalt für Einlagenversicherung) nicht imstande war, ihre hart verdienten Ersparnisse sicher zu stellen. Diese Faktoren werden zur kommenden großen Rezession beitragen, die in eine hoffnungslose Depression abgleiten wird. Das Geld wird knapp, und die verbleibenden zahlungsfähigen Banken werden sehr zurückhaltend sein mit ihrer Darlehenspraxis. So rutschen wir noch weiter die Spirale hinunter bis zum Bankrott mittlerer und kleiner Unternehmen, was mit einer Flaute im Bauwesen einhergeht. Die Unternehmen werden keine Darlehen mehr erhalten, Baugeschäfte werden fallen wie eine Reihe Dominosteine, und Immobilien werden rasch an Wert verlieren; dies alles wegen mangelnder Geldmittel der Finanzierungsinstitute. Wir diskutieren die enorme Kostensteigerung, die unser Wohlfahrtssystem plötzlich überlasten würde. Es war fast unvorstellbar. Wir vermuteten aber, dass es trotzdem noch funktionstüchtig bleiben würde mittels einer staatlichen Nahrungsmittel- und Benzinrationierung, zusätzlichen Steuern auf Importwaren und eine Anpassung der Einkommenssteuergesetze, die die übriggebliebene, werktätige Bevölkerung noch mehr schwächen würde durch die Verweigerung vieler angemessener Steuerabzüge. Während unserer Gespräche über diese deprimierenden Veränderungen in unserem gegenwärtigen ökonomischen Lebensstil fragten wir uns, auf welchen Wegen wohl die zukünftigen finanziellen Bürden erleichtert werden könnten, auf Wegen, die allen zugute käme. Die Menschen müssen erkennen, dass es vorausschauend ist, schon jetzt Anpassungen in ihrem Lebensstil, ihren Ausgaben- und Spargewohnheiten vorzunehmen. Wir haben gesehen, dass Aktien in Zukunft nur noch wertloses Papier sein werden. Langzeitersparnisse würden nur zu großen Anlagen führen, Anlagen, von denen man möglicherweise nie mehr etwas zu sehen bekäme. Wir müssen uns vor Augen halten, dass, wenn diese Ereignisse wahr werden, man den Bedarf nicht mehr mit US-Anleihen, Aktienpapieren, Pfandbriefen oder Kreditkarten zahlen kann – Bargeld wird das einzige akzeptierte Zahlungsmittel sein. Zurzeit glauben noch viele Leute, dass unsere Gesellschaft eines Tages eine Plastik-Gesellschaft sein wird. Indessen sehen mehr und mehr Wirtschaftsfachleute Anzeichen dafür, dass dies nicht der Fall sein wird. Der neuerliche Anstieg an Kreditkäufen wird noch eine kurze Weile andauern, bis man erkennt, dass diese Methode letztlich nur die wirtschaftlichen Übel vermehrt, die uns befallen werden. Jeder wird die äußeren sichtbaren Zeichen wahrnehmen, wenn der Phönix in Erscheinung tritt. Das wird etwa der zeitliche Rahmen der Naturkatastrophen sein. In unseren Diskussionen am Kaminfeuer stimmten wir überein, dass das Großereignis von Kalifornien seit Jahren zu sehr von Boulevardblättern, Spiritisten und Unglückskündern ausgeschlachtet worden war, dass aber die Möglichkeit seines Eintretens nicht negiert werden konnte. Ein unglaublicher Druck hat sich unter der Pazifischen Platte seit vielen Jahren aufgebaut, und die Zeit ist überfällig, dass sie abrutscht und den aufgestauten Druck loslässt. Es ist zu einfach, fröhlich seinem täglichen Leben nachzugehen und die unvermeidliche Wahrheit nicht zu beachten. Die Menschen müssen auf die nackten Tatsachen aufmerksam gemacht werden, auf die zerstörerische Seite der Natur. Der Druck baut sich wirklich auf. Er bahnt sich gerade im jetzigen Moment seinen Weg zum größten Erdbeben, das der moderne Mensch unglücklicherweise miterleben muss. Die Erde ist in sich instabil. Sie bebt und bewegt sich und baut Druck auf. Wir
werden das Freiwerden dieses Drucks durch neue Öffnungen erleben, da die Erde ihn auf jede Art loszuwerden sucht. Man wird Erdbeben in Gegenden haben, wo nie zuvor von seismischer Aktivität berichtet wurde. Aktive Vulkane werden gewaltig speien, während in ruhenden Bergketten und alten, überwachsenen Kratern neue Aktivität ausbricht. Mount S. Helens war eine schockierende Überraschung für alle, als er ausbrach, sogar für erfahrene Geologen. Wir werden jedoch Dutzende solcher mächtiger Überraschungen in Zukunft erleben. Als No-Eyes während der Phönix-Lektionen von den Überflutungen sprach, brachte sie die Großen Seen nie ins Spiel, aber ich weiß, dass sie die unausgesprochen einbezog. Als wir unsere Seelenreise in die Zukunft machten, um die völlige Verwüstung des Planeten zu sehen, flossen die Großen Seen in dem Moment durch den Mississippi-River hinunter, da die Erde in ihre neue Achsenposition kippte. Das Land, das an die Küstenlinie aller Küstenregionen angrenzt, wird von gewaltigen Wassermassen überschwemmt werden. Sümpfe werden entstehen, wo einst trockene Gegenden waren. Und der Mississippi wird seine jetzige Küstenlinie in unglaublichem Maße ausdehnen, um die hereinströmenden Wasser der großen Seen aufzunehmen. Wenn die heißen Winde über das Land blasen, werden sie die Erde in Staubbecken verwandeln. Sie werden auch unterirdische Quellen und artesische Brunnen zum Verdampfen bringen und große Dolinen, wie riesige Mondkrater, über das ganze Land verteilt, entstehen lassen. Und als Folge davon werden in diesen Löchern ganze Wohngegenden und Städte versinken. Diese trockenen Winde werden die Feuchtigkeit von der Oberfläche der fruchtbaren Tiefebenen aufsaugen und eine schreckliche Erosion nach sich ziehen. Extrem starke Winde werden über das Land toben ohne Rücksicht auf die Toten, die sie auf ihrem Weg zurücklassen. Tornados werden an Häufigkeit zunehmen und in gewissen Gegenden eher zur Regel als zur Ausnahme werden. Orkane werden die Küstenregionen mit vermehrter Wucht und Zerstörungskraft treffen. Sommergewitter werden eine zehnfache Energie mit Blitz und Hagelschlag entfachen. Im Winter werden eiskalte Temperaturen und wütende Schneestürme das Land heimsuchen und dadurch Stromausfälle an ganzen Wochenenden und ungezählte Todesfälle zur Folge haben. Und wenn man meint, man nehme einen grünlichen Schimmer am Himmel wahr, verwundere man sich nicht, was es sei – es sind die Phönixtage Bill und ich und unsere Freunde besprachen diese Veränderungen in jeder Einzelheit, und sie äußerten oft ihren Kummer über das Ausmaß, das die Veränderungen annehmen würden. Ein Aspekt, den No-Eyes berührte, war uns vollkommen neu, nämlich jener über die große Zunahme an Unfällen mit Verkehrsmitteln. Natürlich merkten wir, dass die meisten Unfälle durch Unaufmerksamkeit der Menschen verursacht wurden, und wir wurden immer wieder daran erinnert, dass die Erdbewacher aufgefordert worden waren, einen Teil ihres Schutzes aufzugeben, aber wir brachten dies nicht miteinander in Verbindung, bis No-Eyes es aussprach. Es ist logisch, dass die Menschen sich häufiger verletzen, wenn sie nicht länger von unsichtbaren Mächten beschützt werden. Alles konnte auf den einen gemeinsamen Nenner der geistigen Nachlässigkeit der Menschen gebracht werden. Flugunfälle würden vorkommen wegen des Übersehens eines Mechanikers bei Routine-Wartungsarbeiten, oder wegen einer Fehlberechnung eines Flugkapitäns, oder wegen der Müdigkeit eines Fluglotsen. Zugentgleisungen würden wegen des Fehlers eines Weichenstellers oder eines schläfrigen Technikers passieren oder
wegen schadhafter Gleise, Busse, Autos, Motorräder, Untergrundbahnen und Fahrräder gehören alle in No-Eyes Rahmen unnötiger Todesfälle. Was uns erstaunte, ist die Tatsache, dass all diese Verhängnisse vermieden werden könnten, wenn die beteiligten Menschen sich einfach die nötige Zeit nähmen, aufmerksamer zu sein. Das ist ein trauriger und vermeidbarer Aspekt der Phönixtage. Wenn der neugeborene Phönix innehält und auf die Welt horcht, hört er die gequälten Schreie der leidenden Menschen. Sie tun einander weh und verletzen sich. Die vermehrten Unfälle in Vergnügungsparks wegen fehlerhafter Ausrüstung haben niemanden von uns überrascht. Dies ist eine natürliche Begleiterscheinung, die Hand in Hand geht mit den Verkehrsunfällen, die aus Unachtsamkeit verursacht werden. Aber das Wissen, dass Menschen unter dem Druck der Veränderungen durchdrehen würden, was sich in einer Folge von Morden und Selbstmorden zeigen würde, war zutiefst niederdrückend für uns. Wir treten nicht dafür ein, dass man sich bis auf die Zähne bewaffnen soll, aber wir raten sehr zu äußerster Vorsicht. Man soll sich des Risikos, in das man sich oft sorglos begibt, bewusster sein. Es ist wichtig, dass man mit elektrischen Werkzeugen sorgfältig umgeht. Die Enthüllung über die wiederkehrenden alten Krankheiten war überraschend. Es könnte scheinen, dass die moderne Medizin mit ihrer fortgeschrittenen, gesicherten Technik selbstzufrieden geworden ist und vergessen hat, wie man die Massen vor den Krankheiten und Seuchen vergangener Zeiten schützt. Die Beulenpest wird von Flöhen kleiner Nager, wie Erdhörnchen, Mäusen, Ratten, Eichhörnchen etc., übertragen. Diese krankheitsverseuchten Flöhe können unsere Haustiere anstecken und im Weiteren uns selber. Man soll sich nicht verleiten lassen, die allerliebsten Erdhörnchen im Park zu füttern, das könnte tödlich sein. Es ist wichtig, die Haustiere zu schützen und die Häuser von Nagern frei zu halten. Obwohl No-Eyes hauptsächlich von der Beulenpest sprach, gab sie später zu, als wir diesen besonderen Aspekt unserer Lektion im Detail besprachen, dass noch drei weitere Krankheiten auftreten würden, die die Menschen dezimieren. Zwei der vier Epidemien weisen deutlich auf fremde Herkunft, nicht fremd im Sinne von einem fremden Lande stammend, aber fremd in Bezug auf die verheerenden Produkte der Forschung über biologische Waffen (biologische Kriegsführung). Eine Epidemie wurde direkt ausgelöst durch ein „zufälliges Leck“ in den UtahForschungslaboratorien, und ein zweiter Ausbruch wurde als beabsichtigt angesehen. Und der Phönix horcht, er seufzt und atmet tief. Die Staaten stritten miteinander. Sie hackten aufeinander ein und provozierten sich. Sie machten falsche Anschuldigungen. Sie wiesen die Schuld anderen zu und schadeten schließlich sich selber. Die wirtschaftlichen Aspekte der Phönixtage überschritten Grenzen und Meere und betrafen alle Länder. Während ein Land ums andere in die Depression abrutschte, förderten sie die Dominotheorie, indem sie gegenseitig Importe mit Embargos belegten. Und die Kettenreaktion gewann an Stärke und Beschleunigung, bis sie sich so weit gesteigert hatte, dass man glaube, die Waffenproduktion erhöhen zu müssen. Da nun jedes Land mehr Waffen herstellte, brauchte man eine Rechtfertigung für diese drastischen Maßnahmen. Anschuldigungen und Propaganda nahmen zu. Der Terrorismus verstärkte sich. Man spionierte und stahl von den anderen Staaten. Es war jetzt zu spät zuzugeben, dass man im Unrecht war. Eine Regierung gibt nie ihre Irrtümer und Fehler zu. Und die sogenannten kleinen Kriege, die nicht „erklärte“
Kriege waren, dauerten an. Die kleinen Kriege forderten weiterhin das leben Tausender patriotischer junger und unschuldiger Männer. Heimliche Verschwörungen und Geheimnisse auf hoher Ebene würden ein Zeichen sein für die wachsende Unehrlichkeit, Korruption, dem verborgenen Treiben hinter dem Rücken der Öffentlichkeit. Und die breite Bevölkerung wird immer enttäuschter werden von den Führern, in die sie ihr Vertrauen gesetzt hatte. Und der Phönix reckt seinen Kopf himmelwärts, als er seine mächtigen Schwingen spannt im Versuch, von seinem Krieg führenden Geburtsland zu fliehen. Er beugt sich, und so tat auch die ganze Menschheit. Das ist der zeitliche Rahmen für die großen Tage, wenn vieles in Frage gestellt wird. Ein paar strenge, politische Maßnahmen werden bezüglich Regierung und Ausbildung getroffen werden, und die Idee der Trennung zwischen Kirche und Staat scheint nicht mehr zu bestehen. Sicherlich wird die Regierung nicht müßig abseits stehen, sondern den Kirchen Einhalt gebieten, wenn sie illegalerweise in ihr geheiligtes Gebiet eindringen. Religiöse Sekten werden versuchen, der durchschnittlichen breiten Öffentlichkeit ihren Willen aufzuzwingen; immer mehr Sekten wollen die Rückkehr des repressiven, schrecklichen Zeitalters der Inquisition erzwingen. Seien wir auf der Hut, denn das bedeutet eine Zeit religiöser Verfolgung – eine finstere Zeit des Unwissens und paranoider, religiöser Verdächtigungen. Später werden die Kirchen die Früchte ihres eigenen Tuns ernten, indem die Regierung ihrerseits sich in ihre Angelegenheiten mischt. Neue Maßnahmen und Gesetze, werden durchgesetzt. Es werden weniger Freiheiten gewährt, viele steuerliche Vergünstigungen für wohltätige Institutionen und Abzüge werden rückgängig gemacht und größere Steuern auferlegt. Die Regierung wird eine totale Vergeltungspolitik betreiben. Der aufregendste Teil dieser zukünftigen Phase der Erkenntnis ist für uns die erwartete Zunahme der Beobachtungen von Raumschiffen. Wir haben bei verschiedenen Gelegenheiten solche Raumschiffe mit eigenen Augen gesehen. Und als wir nun diese zukünftigen Erscheinungen diskutierten, waren wir von erwartungsvoller Erregung erfüllt. No-Eyes hatte auch tatsächliche Begegnungen dieser Fremden mit Menschen in ihren Voraussagen mit eingeschlossen. Das war auf alle Fälle ein Fortschritt für die Menschheit, und wir freuten uns sehr auf die positiven Ergebnisse solcher epochemachender Errungenschaften. Es würde aber auch negative Reaktionen geben auf diese intergalaktischen Kontaktaufnahmen. Das Volk wird in Wut geraten über die Regierung, die solche Informationen zurückbehält. Das Volk wird die religiösen Führer über die Gültigkeit der Doktrin der Schöpfungsgeschichte befragen. Es wird sicherlich eine massive Bewegung geben für die Bewusstwerdung und Neueinschätzung dieser Fragen. Aber auch das ist gut, weil es die Menschen zusammenbringen und in einem Kreis auf der Suche nach der geistigen Wahrheit vereinen wird. Der Samen der Erkenntnis wird gesät werden und der Durst nach Wahrheit geweckt. Dieser Wahrheitsdurst dient dazu, die Erinnerung an die einzigartigen Gaben des Geistes zu wecken, an die besonderen Sinne des Geistes, und die Menschen werden das Paranormale akzeptieren als eine neue, klare Seite der Wirklichkeit. Vermehrte Lernbemühungen werden den Horizont erweitern, und die Menschen werden das Paranormale als Lehrstoff in den Schulen einführen. Es wird gleicherweise anerkannt sein wie Mathematik und Naturwissenschaften. Und es wird wunderbar sein, dies zu erleben. Ebenso wird man allgemein akzeptieren, dass der Geist lebt und sich weiterentwickelt. Obwohl wir heute schon viele belegte Zeugnisse haben von Geistererscheinungen und Menschen, deren Seele den Körper verlässt nach
Unfällen, oder während der traumatischen Augenblicke bei schweren Operationen, wird dies von den meisten immer noch nicht als eine bewiesene Tatsache betrachtet. Aber wenn die Wahrheit vor uns offen dargelegt wird, damit alle sie sehen können, wird die Anerkennung letztlich eine erleuchtende Erfahrung sein. NoEyes sagte zwar, dass es immer Skeptiker geben würde, aber ich glaube, wenn der Beweis da ist und die Tatsachen unbestritten für sich sprechen, so werden die Skeptiker sich nicht damit brüsten, ihre alten Überzeugungen offen einzugestehen. Wenn der große Phönix die Stille mit seinen ersten Klagerufen erschüttert, wird die Zeit der nuklearen Katastrophen auf der Erde über uns kommen. Als ich meiner alten Lehrerin zuhörte, wie sie darüber sprach, wurde ich ganz klein. Ich hatte unschuldig und törichterweise die kindliche Hoffnung genährt, dass der verrückte Atomgötze der Nation ohne Unfall überlebt würde. Aber meine friedliche Seifenblase platzte mit ihren Worten der Entmutigung. Ich erkannte zwar deutlich die gegenwärtige Gefahr der Lagerstätten für radioaktiven Müll und Brennelemente und die verantwortungslosen Transportmethoden – die allgemeine Beunruhigung darüber wuchs ja mit jeder Stunde - dass es jedoch so viele Stellen geben würde, wo diese tödlich wirkenden Verunreinigungen in dicht besiedelte Gebiete sickern werden, war für mich eine verheerende Neuigkeit. Ich sah keine gangbare Lösung für dieses gigantische Problem, das die Menschheit bewusst auf sich geladen hatte. Ich war auch naiv genug zu glauben, dass die Zwischenfälle mit Beinahe-Supergaus einen solchen öffentlichen Aufruhr verursachen würden, dass die restlichen, funktionierenden Atomkraftwerke endgültig stillgelegt würden. Aber nein, die Menschheit würde nicht intelligent genug sein für eine solch endgültige Lösung. War das übrigens nicht geradewegs ein Eingeständnis des Irrtums bei der ursprünglichen Beurteilung? Die Atomkraftwerke würden also weiterhin „sicher“ funktionieren, bis die letzte Kernschmelze, ähnlich Tschernobyl, Tausende von Unschuldigen mit langsamem radioaktivem Zerfall auslöscht. Ich habe Mühe, mir vorzustellen, dass die heutige fortgeschrittene Technik einen so schwerwiegenden Schritt in die falsche Richtung macht, da so viele andere, saubere Wege offen sind. Vielleicht sind die hochintelligenten Wissenschaftler zu weit geschritten, zu erhaben über die einfache, logische und humanitäre Sorge um die Erde und all ihre gefährdeten Lebensformen. Unser Rat wäre also folgender: Alle Lagerstätten mit Atommüll bekämpfen, sich so weit als immer möglich von einem Atomkraftwerk fernhalten – wegziehen, wenn nötig, und den Parlamentariern des Staates schreiben. Es soll uns nicht kümmern, radikal zu ein, solange wir uns innerhalb der Gesetze bewegen, aber wir müssen unsere Ansichten denen bekanntgeben, die die Kompetenz haben, Veränderungen in Gang zu setzen. Radikale Aktionen rufen unharmonische Vibrationen hervor. Man muss immer die Leute, mit denen man zu tun hat und die man zu einem Wandel bewegen will, zu begreifen suchen. Wir müssen die Atomenergiekommission unerbittlich unter die Lupe nehmen und versuchen, ihren sogenannten „vernünftigen“ Denkprozess logisch zu erörtern und in Frage zu stellen. Glauben wir wirklich, wir kommen auf einen grünen Zweig mit Leuten, die viele Jahre damit zugebracht haben, in intensiver und kostspieliger Forschungsarbeit die geologischen Sicherheitsfaktoren zu untersuchen für den Standort von Atomkraftwerken, und die dann die Diablo Canyon-Anlage bauen in der Nähe eines großen Grabenbruchs in Kalifornien? Wo bleibt da die Vernunft? Die Rücksicht auf das Leben? Wo bleibt die Hochtechnologie-Intelligenz unserer fortgeschrittenen Wissenschaftler? Wir müssen unseren Parlamentariern schreiben, und vielleicht, falls genügend viele darauf eingehen, können wir mit vereinten Kräften eine nicht
vorausgesehene Wahrscheinlichkeit schaffen, dass eine nukleare Katastrophe abgewendet wird. Ich möchte das so gerne glauben. Ich möchte glauben, dass die Menschen sich genügend sorgen, um die Erde zu retten – um unsere Mitmenschen zu retten. Und der Phönix gräbt seine Krallen in die weiche Erde, während die Menschen in ihrer Unzufriedenheit Krawalle machen. Nach mehreren langen Aussprachen mit unseren gebildeten und kenntnisreichen Freunden kam ich zum Schluss, dass diese Phase der Veränderungen als positiv betrachtet werden kann; nicht völlig zwar, aber es gab da gute Seiten. Ein Aufruhr ist schrecklich mitanzusehen, aber weit weniger schlimm, wenn man aktiv darin verwickelt ist. Ich bin jedoch ein sehr friedfertiger Mensch und bin der Ansicht, dass Aufruhr kein zu rechtfertigendes Mittel ist, ganz gleich, welch gutes Ziel am Ende damit erreicht wird. Für mich war nur das Ziel gut. Aber No-Eyes versicherte mir, dass nur wenige Menschen tatsächlich verletzt würden, da es eine Revolte, die zerstört, aber keine, die töten will, geben würde. Das Ergebnis wird religiöse und Rassengleichheit für alle bringen. Dieser Zeitraum wird aber seiner letzten Phase nicht entgehen können, jener des nuklearen Schlagabtauschs. Bill hat herausgefunden, wie sich dies abspielen wird. Ich habe nie danach gefragt. Er bot mir aber ein Stück Information an, um darüber nachzudenken. Er fragte mich, ob mir je in den Sinn gekommen sei, dass ein tödlicher Fehler wirklich in einem der Raketen-Kommandozentren eines Landes passieren könnte. Nun, wenn man in der Nähe von NORAD lebt, hört man über Zwischenfälle von Beinahe-Fehlern, die vorkommen. Das ist kein Geheimnis, es steht in den Zeitungen. Wir konnten kürzlich auch eine Feststellung eines ehemaligen Colonel lesen, der eingestand, dass auf jeden veröffentlichten Fehler zehn nicht veröffentlichte Beinahe-Versehen kommen. Aber zu denken, dass wirklich ein Knopf versehentlich gedrückt würde von einem Land, oder ein Signal falsch abgelesen oder ein Computer seine Dienste versagt, war unvorstellbar – bis heute. Und der Phönix lauert, während die Welt sich wieder aufrichtet. Das wird die Zeit der großen Unruhen unter den Bürgern sein, die größte Revolte der Völker, die je in der Geschichte vorgekommen ist. Erinnern wir uns an die Zänkereien zwischen den Staaten. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo die Menschen den Krieg verweigern. Sie werde sich weigern, ihre geliebten Söhne in Gegenden zu schicken, wo nicht erklärte Kriege herrschen. Die Massen haben genügend Unterdrückung und Leiden erfahren. Es gibt eine kollektive Einigung im Bewusstsein und führt zu einer besseren Welt. Die Menschen ertragen es nicht länger. Sie setzen sich einfach nieder und widersetzen sich gegen Kriege, Steuern und schädliche politische Maßnahmen. Und die Erkenntnis setzt sich bis in die höchsten Regierungsebenen durch. Es folgen Auseinandersetzungen. Hochrangige Regierungsbeamte werden ausgetauscht, und in der Politik wird ein Kurswechsel stattfinden. Friede herrscht im Land, und die Regierung ist wieder einmal für und durch das Volk da. Einigkeit gewinnt die Oberhand. Der Schatten des frei fliegenden Phönix gleitet leise über das Land, und die Welt ist eins mit der Erde. Das Ende der Veränderungen war schließlich gekommen. Darum hatten sie überhaupt begonnen. Nun werden alle Rassen gleich sein. Alle Menschen werden leben und arbeiten und spielen als harmonische Einheit. Die Schranken werden niedergerissen. Aber das Schönste wird die Art sein, in der die Menschen leben
werden. No-Eyes zeigte mir eine einzigartige neue Zivilisation, in der die Technologie neue Energiequellen entwickelte. Das Problem der Schwerkraft war gelöst durch eine Methode, die den Menschen ermöglichte, die magnetische Polarität der Erde umzudrehen und zu kontrollieren. Diese eine Entdeckung hat endlose weitere Entdeckungen zur Folge. Alle niederen Lebensformen werden ungestört herumziehen können. Die Menschen werden lernen, entsprechend der Art der Natur zu essen. Man wird neue Techniken und Strukturen im Bauwesen entwickeln. Getreideernten mit hohem Proteingehalt werden den Hunger in der Welt zum Verschwinden bringen. Die Menschen werden sich in einem weltweiten Gottesdienst zusammentun und den Planeten als ein lebendiges Wesen anerkennen, das freiwillig alle Bedürfnisse stillt. Die Menschen werden ein werden in einer humanen Brüderlichkeit. Sie werden mit allem Lebenden eins sein in der Anerkennung der friedlichen Lebensweise des indianischen Volkes – das Leben nach Erdenart. Die nachfolgende Liste stellt die Reihenfolge der Ereignisse der Phönixchronik dar, wie No-Eyes sie vorausgesehen hatte; wir müssen uns jedoch vor Augen halten, dass das Gesetz der Wahrscheinlichkeit immer wieder ins Spiel kommt im Zusammenhang mit zukünftigen Begebenheiten. Zur Zeit der Lektionen erwähnte sie, dass einige der Ereignisse sehr wohl gleichzeitig eintreten könnten. Wir müssen also gewärtigen, dass einige dieser Begebenheiten tatsächlich gleichzeitig oder in anderer Reihenfolge auftreten können. Was hier wichtig ist, ist nicht eine in Stein gemeißelte Reihenfolge, sondern das Wissen über diese bevorstehenden Dinge und unsere Wachheit, die Zeichen zu erkennen, und unsere Fähigkeit, uns entsprechend anzupassen. Ich bin keine Wahrsagerin und habe nie behauptet, eine zu sein. Ich habe nur die Worte der alten Seherin übermittelt, wie sie es von mir wünschte – und wie ich ihr versprochen hatte, es zu tun. Ich bin auch keine Radikale, die Unfrieden innerhalb unseres wunderbaren Landes stiftet. Ich glaube fest, dass die Vereinigten Staaten das schönste Land sind, wo man leben kann. Ich glaube auch, dass unsere demokratische Regierungsform an erster Stelle das Interesse des Volkes im Sinne hat, und dass sie für das Volk wirkt. Ich richte mich nach den Gesetzen und ermutige jeden, dasselte zu tun. Ich ermutige jeden, den anderen zu lieben, einander zuzuhören und die Herzen füreinander zu öffnen. Suchen wir alle tief in uns selber nach der leuchtenden Wahrheit, die dort sanft pulsiert. Der Phönix erwacht wurde nicht in der Absicht geschrieben, die Herzen und den Geist der Menschheit zu bedrücken. Wer zwischen den Zeilen zu lesen versteht und unter die Oberfläche der Anschauungen sieht, wird klar erkennen, dass die Menschheit immer kräftig und flexibel sein wird, dass sie letztlich alle Hindernisse überwinden und siegen wird in der Form einer allumspannenden Brüderschaft der Menschen. Da wir nun wissen, was auf uns zukommt, werden wir vielleicht unsere geistige Haltung verbessern, den bedrohlichen Kräften begegnen und Veränderungen in der Realisierung unserer gemeinsamen Zukunft herbeiführen. Vielleicht wird die positive Kraft dieser korrigierenden Maßnahmen wirklich etwas von dem abwandeln, was kommen soll. Vielleicht wird der Mensch mit gesteigertem Bewusstsein tatsächlich einige der verheerenden Ereignisse vereiteln können. Diese Möglichkeit, zukünftige Folgen heutiger Taten zu betrachten, bringt uns letzten Endes den Vorteil, diese kostbare „Gabe der Gelegenheit“ zu nutzen und jene negativen Wege, die Schaden und Verwüstung bringen, zu vermeiden. Wir müssen den Nutzen der klaren Voraussicht schätzen, die Erkenntnis hochhalten
und sie in die Tat umsetzten auf eine geeinte zukünftige Welt hin – eine Welt des menschlichen Mitgefühls, tiefer Geistigkeit und Frieden auf der Erde. Kapitel 12 - Die Phönix-Chronik Die Phönix-Chronik Kontraktionen / wirtschaftliche Aspekte - Massive Streiks der Arbeiterschaft - Verlegung wichtiger Industrien ins Ausland - Umrüstung der Fabriken auf Computer - Ausgedehnte Import / Export-Embargos / Besteuerung - Erhöhte Arbeitslosigkeit - Weit verbreitete Fabrikschließungen - Überhöhte Besteuerung - Bankrott mittlerer und kleinerer Betriebe - Zahlungsunfähigkeit vieler Banken - Schlechte Lage der Börse / Verfall - Drastischer Rückgang im Bauwesen - Wertverlust bei Immobilien - Zunahme der Wirtschaftsverbrechen - Rückgang der einheimischen Produktion - Zunahme von Monopolen großer Gesellschaften - Zunahme persönlicher Bankrotte - Weitverbreitete Entlassungen - Aufhören von Kreditkäufen - Bargeld als einziges akzeptiertes Zahlungsmittel Sichtbarwerden / Naturkatastrophen - Große Verwüstungen in Kalifornien - Erdbeben in neuen Gebieten - Ruhende Krater werden aktiv - Berge werden unsicher, instabil - Wiederkehr von Sandwüsten - Flutkatastrophen ungekannten Ausmaßes - Tornados gewinnen an Stärke und Häufigkeit - Erdverflüssigung unter Verwerfungen - Größere Verheerungen durch Hurrikane - Unfälle durch unerwartete, stürmische Windböen - Bodenerosion - Erhöhte radioaktive Strahlung - Felsstürze und Erdrutsche - Insektenplagen - Dolinen, Erdeinbrüche - Plötzliche Temperaturumkehrungen - Eiskalte Winter / tödliche Schneestürme - Sommergewitter mit verstärktem Hagel und Blitzeinschlägen - Austreten von Naturgas (Feuer / Explosionen) - Unterirdische Feuer - Ausgedehnte Oberflächenfeuersbrünste - Großes Erdbeben im Gebiet der New Madrid-Verwerfung
- Grünlicher Schimmer in der Atmosphäre – Phönixtage - Höhere Umweltverschmutzung Die suchenden Augen / Unfälle mit Verkehrsmitteln - Zunahme von Unfällen in der Luftfahrt - Zunahme an Schiffsunglücken - Häufigere Zugentgleisungen / Unfälle Horchen / Unvorhersehbare Todesfälle und Unfälle - Katastrophen in Vergnügungsparks - Steigerung der Mord- und Selbstmordraten - Unvorhersehbare Unfälle im Haushalt - Ausbruch von Krankheiten und Epidemien - Gasexplosionen - Zwischenfall mit Viren aus biologischer Kriegsführung Atem holen / Entzweiung zwischen den Nationen - Schwerwiegende wirtschaftliche Differenzen - Rüstungseskalation - Kriegerische Auseinandersetzungen - Zunahme des Terrorismus - Nicht erklärte Kriege - Heimliche Machenschaften unter den Ländern - Geheimnisse in hohen Stellen der Politik und Industrie Flügel spannen / Geistige Unrast und Erwachen - Die fragenden Massen - Politische Aktionen der Kirchen - Regierungsinterventionen - Unterdrückung durch bestimmte religiöse Sekten - Vermehrtes Sichten von UFOs - In Kontakttreten mit außerirdischen intelligenten Geschöpfen - Akzeptieren des Paranormalen - Akzeptieren der Weiterexistenz des Geistes / Leben nach dem Tod - Mehr religiöse Sekten versuchen vor Gericht, ihre eigenen Restriktionen der Allgemeinheit aufzuzwingen Wehklagen / Nukleare Zwischenfälle - Einige Beinahe-Supergaus / Lecks - Austreten von Radioaktivität an Atommüll-Lagerstätten - Zwei katastrophale Kernschmelzen - Radioaktive Verseuchung von Land und Flüssen - Einige schwere Unfälle mit Atomraketenträgern und beim Transport von radioaktivem Müll - Austreten von Radioaktivität wegen geologischer Instabilität Klauen spreizen / Unrast der Bürger - Aufstand des Volkes und Widerstandsbewegungen - Steuerhinterziehung als Massenbewegung - Aufdecken heimlicher Machenschaften - Nuklearer Schlagabtausch
Kauern / Massive Revolten und Unruhe in der Regierung - Weigerung, Steuern zu zahlen - Widerstand gegen Kriegsdienst - Uneinigkeit innerhalb der Regierung in Bezug auf politische Maßnahmen. - Große Umwälzung innerhalb der Regierung Frei in der Luft / Anbruch des Zeitalters des Friedens - Vollkommene Gleichheit unter den Menschen - Verzicht auf jeglichen Fleischkonsum - Neuerungen im Bauwesen - Beendigung der schlimmsten Naturkatastrophen - Neuerungen in der Energiegewinnung ohne Umwelt-Verschmutzung mit Hilfe des Magnetfeldes der Erde - Wiedererwachen des indianischen Volkes durch weit verbreitete Anpassung an seine Art der natürlichen Lebensweise und seiner zutiefst humanen Philosophie Anhang Zeichen der Zeit - ein persönlicher Ausblick -----------------------------------------------------------(von Mary Summer Rain) Das Folgende bezieht sich unmittelbar auf die bevorstehenden Veränderungen. Es ist von größter Wichtigkeit, weil das, was heute geschieht, einbezogen wird in die Welt der bewußtseinserhellenden Lehren und dem damit einhergehenden Willen, geistige Erkenntnis zu erlangen, um menschliches Mitgefühl und Weltfrieden zu erreichen. Ich sehe mich genötigt, dies jetzt auszusprechen, da dies die einzige Gelegenheit dazu ist. Nach dem Erscheinen des ersten, einführenden Buches der No-Eyes Serie "Spirit Song", erhielt ich wunderbare Briefe von Lesern aus den ganzen Vereinigten Staaten. Es ist offensichtlich, No-Eyes´ gütiges Herz und tiefe Weisheit reichen weit, sie haben die Herzen gerührt und viele spirituelle Menschen geweckt. Ich möchte nun euch allen meinen tief empfundenen Dank aussprechen, daß ihr mich so sehr ermutigt habt, weiterzuschreiben. Ich habe die feste Absicht, dies zu tun, denn das Mitteilen meiner herzerfreuenden Erlebnisse mit der alten Seherin und anderen Menschen wie sie, verbunden mit der von ihnen vermittelten uralten Weisheit und universellen Philosophie, wird noch viele Bände mehr füllen. Die nächsten vier Bücher liegen schon bereit und warten. Das große Interesse, das ihr ausgedrückt habt, euer Durst für mehr, hätte das Herz der alten Frau erwärmt. Das lebhafte Echo auf "Spirit Song" hat mich überwältigt. Die vielen Briefe sind ein klares Zeugnis für ein wunderbares, weit verbreitetes Erwachen, das innerhalb des Geistes der Menschheit heraufdämmert. Die Menschen wachen aus ihrer Teilnahmslosigkeit auf und hören auf die nebelhafte, drängende Stimme ihres wissensdurstigen Geistes. Sie erkennen nun, von welch lebenswichtiger Bedeutung der jetzige Zeitabschnitt ist, und sie gelangen zur erleuchtenden Einsicht, daß sie jetzt die weltlichen Hüllen von ihrem Leben abstreifen müssen, um den inneren Wandel zu erleichtern; nämlich den des Sammelns der inneren Kräfte und des Anpackens der schwierigen Aufgabe, den eigenen geistigen Pfad und Ziel zu finden. Sie erzählen mir von einer tiefen, feinen Stimme, die ihnen eingibt, in andere geographische Regionen zu ziehen - besonders in die südwestlichen und Berggegenden -, wo sie um wichtige geistige Bestimmungen wissen, die sie zu erfüllen haben.
Viele haben ausgedrückt, dass sie für sich selber feine Veränderungen im Lande wahrgenommen haben. Sie haben persönlich das erste Rascheln vernommen von Tausenden durchlöcherter und abgenutzter Mokassins, die sich zur Zeit bereit machen für das kommende Große Vereinigende Ereignis. Und obowhl diese einzelnen wissenden Menschen in allen Rassen vertreten sind, haben sie in ihren Herzen und ihrem Geist uralte Erinnerungen aufbewahrt und innerhalb dieser wichtigen Zeit verweilt, um die Kräfte zu sammeln für die Hauptaufgabe - nämlich den Heiligen Baum zu hegen und den Großen Ring der Menschheit zu vollenden. Einige Leser schreiben mir einfach darum, weil sie sich dazu getrieben fühlen, oft sich selbst nicht einmal bewußt, warum sie schreiben oder was sie sagen möchten sie wollen nur in Berührung kommen. Besonders in diesen Briefen ist der warme Glanz des Geistes zum Vorschein gekommen. No-Eyes hat ihre Herzen gerührt, so daß Funken ihres Geistes eine neue, gesteigerte Wahrnehmungskraft entzündeten. Es war etwas Außerordentliches, und alle diese Singe sind wahrhaftig wunderbar. Sie helfen, meine Verpflichtung No-Eyes gegenüber zu unterstreichen, und mein Herz ist von Freude erfüllt, daß ihr von Mitgefühl bestimmtes Leben und ihr hohes Ziel nicht verloren sind, sondern daß ihre Botschaft von so vielen wunderbaren Menschen liebevoll aufgenommen worden ist. All diese positiven Reaktionen aus der Leserschaft legen ein gültiges Zeugnis ab von der harten und unleugbaren Tatsache, daß das Suchen nach Erkenntnis und Erleuchtung in unserer Zeit von vorrangiger Bedeutung ist. Es bleibt auch ein Thema von großem Bedürfnis und Interesse. Diese Angelegenheit ist es auch, die mich zutiefst beschäftigt, und ich verspüre die dringende Notwendigkeit, mich ihr jetzt zuzuwenden. Verschiedene Leserbriefe haben mir neue Information über die vielen, heute wirkenden Organisationen, Gruppen, Zentren und Einzelpersonen im Land, die über die Erweiterung geistiger Erkenntnisse, über natürliche Ernährung, meditative Übungen in der Natur, Neuerungen in Umweltfragen bis hin zum Unterricht über Paranormales reichen. Ob diese Zentren nun mehr für körperliche oder geistige Bewußtheit arbeiten, ist für mich nicht unbedingt von grundsätzlicher Bedeutung. Ob die Organisatoren dieser Gruppen die nötige Erfahrung und Ausbildung haben, ist auch unwichtig. Ich stelle fest, daß die Absichten der meisten dieser Menschen gut sind; hingegen ist es die Art ihrer Unternehmungen, die mir sehr großen Kummer macht. Meine Leser haben mir alle Arten von Broschüren, Rundschreiben, Reklamen und Zeitschriften gesandt, die von diesen verschiedenen Organisationen für geistigen Fortschritt verbreitet werden. Einige dieser Produkte waren deutlich in "Heimarbeit" hergestellt, während andere dieser teuren Glanzpapierartikel hohe technische Perfektion zeigten. Ich habe jedoch keine Vorbehalte oder Probleme, weder mit dem einen noch mit dem anderen Erscheinungsbild. Wogegen ich mich aber unerbittlich wehre, ist, daß die meisten dieser Organisationen, ob wohltätig oder nicht, die Kühnheit haben, einerseits geistige Erleuchtung zu beanspruchen, aber andererseits etwas so Ungeistiges wie "Preisschilder" an das, was sie dem aufrichtig Suchenden anzubeiten haben, heften. Die beiden Dinge sind diametral entgegengesetzt. Und diese weit verbreitete Praxis entsetzt mich. Das zeugt von sich selber dienenden Absichten, von persönlichem Gewinn auf Kosten unschuldiger Erkenntnissuchender. Die Tatsache, daß es Lehrer geistiger Wahrheiten und / oder Lehrer für neues, umweltbewußtes Leben gibt, die tatsächlich überhöhte Zulassungsgebühren, Honorare und / oder Beiträge für Seminare, Symposien, Kurse und ähnliches in
Rechnung stellen, steht in direktem Gegensatz zur eigentlichen, grundlegenden Voraussetzung der Spiritualität! Aus geistiger Erleuchtung eine gewöhnliche Handelsware oder ein käufliches Gut zu machen, bedeutet Entwürdigung der ganzen Idee der Spiritualität! Wahre und reine Geistigkeit wurde aus dem gemeinsam Teilhaben an Erleuchtung entfernt und zu dem gemacht, was man heute mit Abscheu als den Verkauf von Erkenntnis und Erleuchtung erlebt. Was daraus wird, ist eine Feststellung, die einem den Magen umdreht; sie hört sich so an: "Wenn du nicht dein Geld bringst, wirst du keine geistige Unterweisung erhalten." Sollen diese empörenden Preisschilder bedeuten, daß nur jene, die es sich leisten können, Anrecht haben auf geistiges Wissen, Weisheit, Information oder Hilfe ? Ist die Mehrheit der Bevölkerung ausgeschlossen von solcher Kenntnis des Lichts, nur weil die Suchenden es sich nicht leisten können ? Es scheint wirklich so, und mit dem Herannahen solch kritischer Zeiten, wo so viele, viele nach geistiger Sinngebung verlangen, ist diese Situation gänzlich unannehmbar ! Die schöne Tradition der indianischen Weise, die Idee des Großen Verschenkens sollte an erster Stelle stehen im Geist der heutigen Lehrer neuer Gedanken. Das Große Verschenken ist nur bescheidenes Geben, das Teilen dessen, was wir anderen anzubieten haben. Ob dieses Weitergeben geistige Weisheit, aufgeklärte Philosophie, Lebenshilfe, ökologische, umweltbezogene Neuerungen oder nur gewöhnlicher, mitmenschlicher Trost für jemanden, der in Not, darstellt, macht überhaupt keinen Unterschied. Unentgeltlich und freiwillig zu geben ist die Art der Indianer. Etwas zu geben ohne Erwartung auf Rückvergütung irgendwelcher Art ist die wahre indianische Weise. Es ist die Art wahrer menschlicher Spiritualität. Etwas zu geben, allein aus reiner Menschlichkeit, das ist die Art der Indianer. Schauen wir die Natur an. Alle die herrlichen Gaben der Natur sind dem Menschen unentgeltlich gegeben. Es ist natürlich zu geben. Geistiges Wissen, ganz gleich über welches Thema es weitergegeben wird, wird entwürdigt durch das Klimpern der Münzen in der Hand des Vermittlers. Diese haarsträubende Gepflogenheit muß aufhören. Sie muß sich ändern, soll wahre Spiritualität zum Erblühen kommen. Die Organisatoren und Gründer solcher Lern- und Wissenzentren müssen nach anderen Mitteln suchen, ihr Geld zu verdienen, als aus der Tasche dieser aufrichtig Suchenden. Eine Verzerrung ins Lächeliche widerfährt auf diese Art jenen, die eine erweiterte Bewußtheit erlangen möchten. Das muß aufhören, wenn der Mensch wahre und reine menschliche Spiritualität erfahren soll und in einem Band der Einigkeit mit der liebevollen Erde zusammenleben soll. Friede. Liebe. Geben. Spiritualität. Menschlichkeit. Erleuchtung. Diese zarten Worte sind nur leere Schalen, wenn die Erwartungshaltung auf der Seite des Gebers nicht verschwindet. Leere Phrasen. Wortschwall. Heuchelei. Habgier. Falsche Führer. Im besten Fall sind die "Preisschilder-Geschöpfe des geistigen Wissens" gutmeinende, aber fehlgeleitete Einzelmenschen. Dieser Zeitabschnitt ist aber, bitte sehr, viel zu entscheidend für den ernsthaft Suchenden, um noch bezahlen zu müssen, für das, wonach er so verzweifelt trachtet. Es ist zu wichtig, als daß unser geistiger Weg abgelenkt werden darf, um nur beim Zuhören von Vorlesungen zu enden, oder der Teilnahme an Seminaren, Kursen und Symposien, die unser Geld benötigen, um fortbestehen zu können. Hört mir bitte zu. Das Blut des Wahrheitssuchenden darf nie die Adern des Lehrers nähren! Der Lehrer muß inwendig seine Nahrung suchen, anstatt das anzuzapfen, was außerhalb ist! Ein wahrer Weiser, ein erhabener Lehrer nimmt nie ... sondern er
gibt ! Behaltet diesen Grundsatz in Erinnerung - geistige Weisheit ist an sich eine universelle Größe und kann deshalb von niemandem besessen werden, und niemand kann daher verkaufen, was er nicht besitzt. Wegen der vielen Briefe, die wir bekommen, haben wir ein Zetrum der Erleuchtung ins Leben gerufen, das wir The Mountain Brotherhood nennen. Sie arbeitet von unserem Haus aus und dient als Standort für die Suchenden, die dort Antwort erhalten können auf ihre vielen Fragen im Zusammenhang mit den philosophischen Ideen und den Dingen, die No-Eyes lehrte. Wir sind dazu da, alle Briefe zu beantworten über irgendeines der vielen themen, die No-Eyes berührte und über die in dieser Bücherfolge geschrieben wird. Wir haben Anfragen erhalten, sowohl allgemeiner als auch spezieller Art in bezug auf Gesundheit und natürliches Heilen, die Zukunft der Menschen, das Paranormale, indianische Gepflogenheiten, persönliche geistige Wege, Lebensstil, die besonderen Sicherheitsfaktoren bestimmter geographischer Regionen etc. Wir antworten immer so schnell als möglich. Wir treffen uns auch immer mit jenen Menschen, die in unserer Gegend leben oder zu Besuch sind. Wir fühlen uns verpflichtet, jedem zu helfen, der solchen Beistand, Führung oder Teilnahme wünscht. Viele stammen aus allen Lebensbereichen, Rassen und Einkommensklassen. da waren Landwirte, Pfarrer, Professoren, Arbeiter, Direktoren von Unternehmen und sogar ein Hopi-Ältester. Jung, alt, reich oder arm macht keinen Unterschied, denn sie sind alle gleich für mich. Viele sind scheu, wenn sie kommen, was aber bald vergeht. einige sind gekommen, um mir zu sagen, ich müsse ein neuer Führer werden, was ich ablehne. Und einige sind gekommen, um unverfroren ihr Können an psychischen Fähigkeiten zur Schau zu stellen, die aber bald vorn mir gedämpft wurden (spirituelle Talente sind nicht für eine Sonderausstellung da!). Da gab es aber auch welche, die kamen, um die Autorin zu "testen", was von ihrer eigenen, mangelnden exakten Erkenntnisfähigkeit kommt. Dieser Art Begegnung trete ich entweder entgegen oder beachte sie einfach nicht, je nach Einzelfall. Ich treffe nicht mit Menschen zusammen, um ihre erworbenen Talente zu rühmen, noch um micht zu verteidigen und zu beweisen, was ich weiß, noch um selbst gelobt zu werden. Ich treffe die Menschen nur, um bei einer Tasse affee ihren worten der Besorgnis zu lauschen oder Fragen zuzuhören. Sie wissen, daß sie mit mir frei sprechen können. Sie wissen, daß ich sie nicht in Verlegenheit bringe (obwohl ich dafür bekannt bin, daß ich die Anmaßenden ein oder zweimal auf ihren Platz verweise). ich treffe mich mit Menschen einfach, um jede Hilfe, die mir zur Verfügung steht, anzubieten, Hilfe, die ihr leben oder ihre Geistigkeit bereichert, oder um mehr Klarheit in ihren Lebensweg zu bringen. Ich treffe sie, um ihnen beim Reden zuzuhören, weil sie wissen, daß ich sie verstehen werde. So viele Menschen fühlen sich einsam. Das ist eine Zeit, wo wir alle als Mitglieder der Menschenfamilie unsere Herzen öffnen und unser reiches Mitgefühl anderen zufließen lassen müssen. wir alle treiben auf dem warmen Strom des Lebens und wir müssen wie Rettungsboote für die sein, die das Gefühl haben unterzugehen. Wir dürfen keine Angst haben, unsere Hand auszustrecken und Kameradschaft auf dem Weg zu schenken. Wir dürfen uns nicht vor dem Berühren fürchten. Für mich gibt es keinerlei Hintergedanken der Selbstbestätigung für das, was ich tue, und es kann wirklich auch keine geben. Denn das ist eindeutig nicht meine Art. Das gehört nicht zur schönen Tradition des Großen Verschenkens, die in meinem
Herzen lebt. Das gehört nicht zum wahren Licht menschlicher Spiritualität, die in meinem Geist pulsiert. Es war vielleicht damals, als ein älterer Hopi-Weiser unerwartet an meiner Tür erschien, daß dieses häßliche Thema des "Bezahlens" für Erleuchtung, einfache Beratung und / oder Hilfe mir richtig deutlich wurde. Ich war im Moment nicht zu Hause, aber als er später anrief, traf seine Frage mein Herz zutiefst: "Wieviel verlangen Sie für eine Konsultation?" Mir hatte die schockierende Frage dermaßen den Atem verschlagen, daß ich für ein paar Sekunden vollkommen sprachlos war. "Was? Nichts !" sagte ich. Der Mann am Telefon lachte leise und verhalten. "Nun, Sie wissen ja, wieviel alles kostet in der Welt der Weißen", fügte er hinzu. Ich seufzte. "Ja, ich weiß, aber ich gehe nicht diesen Weg." Mir war traurig zumute, als es mir klar wurde. "Das ist nicht der gleiche Weg", antwortete ich, "überhaupt nicht". Als ich aufgehängt hatte, bekam ich die volle Wucht seiner Frage zu spüren. Ich überlegte mir, was er gerade gesagt hatte über die "Kosten" nur des Redens, und es wurde mir richtig übel. So wissend, wie No-Eyes war, so zutiefst weise und enorm mitreißend ihre Lektionen waren - so war sie der Inbegriff der Bescheidenheit und des Mitgefühls. Wie können solche, die keinen Bruchteil ihrer Weisheit und zeitloser Vision besitzen, die Kühnheit haben, anderen Rechnungen zu stellen für ihren persönlichen Rat ? Das war eine Situation, die in krassem Widerspruch stand zu dem, was No-Eyes lehrte, daß jeder nämlich ein liebenswertes Mitglied der Menschenfamilie sei. Es widersprach allem wofür sie einstand. Es ging gegen das kostbare Leben und die zärtlich gehütete Erinnerung an No-Eyes selber. Wenn es für uns durchführbar ist, werden wir in die zentralen Berge von Colorado umziehen, wo wir in eine wunderschöne, entlegene und ursprüngliche Gegend geführt worden sind. Ein klarer Fluß rauscht dort während des ganzen Jahres durch unser Grundstück, das an einen hohen Bergsee grenzt - wo wir endlich auf unserem lang ersehnten, heiligen Grund leben werden. Bis wir umgezogen sind, erwarten wir gerne Ihre Post via unserem Verleger. Möge Friede in Euren Herzen sein und möge Wahrheit hell Euren Geist erleuchten. Mary Summer Rain
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