Leben Wie Die Nacht

August 31, 2017 | Author: Anonymous tZAknJi | Category: Antipsychotic, Antidepressant, Heroin, Substance Dependence, Psychiatry
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Carlitos Amsel vom Holunderstrauch...

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Leben wie die Nacht …weitere Jahre

Erzählungen von Carlitos Amsel vom Holunderstrauch

[email protected] Aachen. ©2013 Karlos Hutterer. Druck & Verlag Epubli GmbH Berlin Germany www.epubli.de 1

Gewidmet, meiner kleinen Schwester und meinem Kindheits- und Jugendfreund Viktor A.

Dank gebührt der Stadt Aachen, meinem Arzt und meiner Apothekerin, die mich mit vereinten Kräften am Leben halten, sowie meiner Nachbarin Marion, die einige Lasten des Alltages von mir nimmt. I

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Inhaltsverzeichnis Einführung……………………………………….7 Kleinstadt Blues………………………………...11 Die neue Lage…………………………………..19 Großstadt Rock…………………………………21 Der Goldene Schuss…………………………….29 Die Pharma Gestapo………………………........33 Luft…………………………………………….39 Shelly…………………………………………..41 Das tägliche Leben…………………………….47 Entwöhnung…………………………………...62 Weihnacht……………………………………..70 Strafe…………………………………………..74 Guten Morgen………………………………..111 Bei den Morlocks…………………………….116 Tilidin für Michael…………………………...120 Der Ausbruch………………………………...126 Regnerische Tage…………………………….138 Zweiter Teil …………………………………147 Der Drache……………………………………149 Die Furcht…………………………………….151 Nützliche Bürger……………………………...153 Traditionsflucht……………………………….155 Rivalität & Kooperation………………………157 Jenseits der Gärten……………………………159 Manuels Freunde………………………...……162 Hans Joachim Krekelkrank……………………164 Die Würde des Menschen……………………..167 Das morphinistische Manifest.……………..…171 Ein offenes Gespräch mit einem Arzt…………178 William S. Burroughs…………………………180

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Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser. Der Autor dieses Buches ist praktisch blind. Er arbeitet mit technischen Hilfsmitteln, die nicht immer hinreichend sind. Finden Sie Fehler in diesem Buch, bittet er Sie um Nachsicht.

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Leben wie die Nacht …weitere Jahre

Carlitos Amsel vom Holunderstrauch

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Man meide Schulen und lerne stattdessen, was das Leben lehrt. Carlitos Amsel vom Holunderstrauch

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Einführung Es gibt Menschen, die einer langzeitigen oder gar lebenslangen Medikation bedürfen, um in der zeitgenössischen Gesellschaft eine zum Leben notwendige Stabilität der Seele, sowie die lebensnotwendige Lebenslust zu erzielen. Psychiater verordnen diesen Menschen langzeitig oder ein Leben lang nicht ungefährliche, teils geradezu giftige Neuroleptika und Antidepressiva, die nicht nur irreparable Gehirnschäden verursachen können, sondern auch eine Kette weiterer verheerender Nebenwirkungen mit sich bringen, die wiederum Medikamente erfordern, die oft nicht weniger schädlich sind. Diese geradezu vergiftende Behandlungsweise schadet zwar den Menschen, bevorteilt aber die Pharmaindustrie, die von gut wirksamen, gut verträglichen aber nicht patentierbaren natürlichen Arzneistoffen, wie dem Morphin, nicht profitiert und sie bevorteilt die eugenische Psychohygiene Bewegung, die solche Menschen aus dem humangenetischen Pool entfernen möchte… Auch Morphine wirken antipsychotisch, antidepressiv, wirken stabilisierend auf die Psyche und steigern die Lebenslust. Sie schädigen aber, auch bei Dauergebrauch, im Gegensatz zu den Mitteln der Psychiatrie, in keiner Weise den Patienten und ihre Nebenwirkungen halten sich in erträglichen Grenzen. Wie manche moderne Antidepressiva und andere industrielle Chemikalien der Psychiatrie, erzeugen zwar die Morphine auch körperliche Gewöhnung, die aber bei gesunden Menschen durch behutsames Ausschleichen der Dosis relativ problemlos wieder rückgängig gemacht werden kann. 7

Morphine machen nicht „süchtig“. Sie hinterlassen nach vollendeter Entwöhnung kein krankhaftes Verlangen nach weiterem Morphin. Empfindet man danach tatsächlich Verlangen danach, so bedeutet das nur, dass die Gründe, derentwegen man Morphine ursprünglich verwendet hatte, weiter bestehen und eine weitere Behandlung mit Morphin erfordern, wie das ja auch nach dem Absetzen von Antidepressiva oder Neuroleptika der Fall sein kann, ohne das man dabei gleich von einer „Sucht“ nach diesen Mitteln spricht. Schleicht man moderne Antidepressiva aus und besteht danach Verlangen nach erneuter Verwendung, spricht niemand davon, es sei eine „Sucht“ entstanden. Man geht viel eher davon aus, die Depression besteht weiterhin und bedarf der weiteren Behandlung mit dem Antidepressivum. Schleicht man dagegen illegales Heroin aus und empfindet danach wieder Verlangen nach Heroin, wird sofort unterstellt, es habe sich eine „Sucht“ entwickelt, die nun ihrerseits gesondert behandelt werden müsse. Niemand denkt dabei daran, auch hier könne ein ursprüngliches Leid fortbestehen und die weitere Behandlung mit einem potenten Morphin erfordern. Warum? „Heroinsucht“, wie „Sucht“ überhaupt, ist tatsächlich nur ein medizinisch-politisches Lügenkonstrukt, das eifrig von jenen propagiert und aufrechterhalten wird, die davon profitieren. „Sucht“ an sich, ist ein Schimpf- und Schandwort, mit dem man repetitives Verhalten verurteilt, das nicht verstanden wird*, das in den Augen von Anderen unnötig viel Zeit und Geld kostet und das keine Steuern einbringt. *(dabei sind wir doch ohnehin alle

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nahezu unfähig, psychologische Beweggründe anderer Menschen zu verstehen) … Nicht jeder empfindet eine beständige Morphinwirkung als vorteilhaft. Gesunde Menschen mit stabilen Psychen, die in einem Leben stehen, das ihnen entspricht und ihre Lebenslust fördert, empfinden die Wirkung der Morphine eher als hinderlich, als in ihrem Leben im Wege stehend. Kein Mensch verwendete freiwillig dauerhaft Morphine, wenn sie ihm nicht etwas von dem gäben, woran es ihm in schmerzhafter Weise grundsätzlich mangelt. Fehlt aber etwas, das sich erfolgreich mit Morphin behandeln lässt, so ist diese Behandlung medizinisch begründet, unabhängig davon, was eine korrupte, von Politik und Pharmaindustrie beeinflusste Schulmedizin davon halten mag… „Suchtbehandlung“ ist nichts weiter als ein psychiatrischpädagogisches Strafinstrument, das zum Gehorsam gegenüber den Gesetzen des Staates und der Autorität der Wissenschaft überreden soll, wie es in ähnlicher Variation auch in anderen totalitären Staaten gegenüber Dissidenten angewandt werden. „Suchttherapie“ soll nicht medizinisch-therapeutisch behandeln, sondern, zum politischen und ideologischen Gehorsam zwingen und dabei vertuschen, dass der beanstandete Substanzgebrauch schon deshalb verboten ist, weil er den Profit der Pharmaindustrie schmälert und sein Legalisieren durch Untergraben des illegalen Handels die Weltwirtschaft schädigen würde… Seit 1970 sind unter dem Regime eines profitablen und eugenischen Betäubungsmittelgesetzes, sicher schon weit über fhunderttausend überwiegend junger Menschen zu Tode 9

gekommen. Die Lebensläufe, die dieses Gesetz schon vernichten half, die zerrütteten Ehen, Familien, Freundschaften, die es zerstörte, sind nicht mehr zu zählen. Das Betäubungsmittelgesetz schadet dem Mensch und der Gesellschaft weit mehr, als das Legalisieren aller Betäubungsmittel es jemals vermochte. Es ist ein asoziales Gesetz. Wer heute noch glaubt, Betäubungsmittelgesetz und Betäubungsmittelrechtsprechung bewahrten Bürger vor Schaden, sollte sein Gehirn untersuchen lassen! Der Staat, gelenkt von Ideologie, Wirtschaftsinteressen, Kapital und Mafia, die Medizin, schon in der Ausbildung stark beeinflusst von Kapital, Industrie und Ideologie und die allgemeine Gesellschaft, stark verblödet durch anhaltende massive politische, ideologische und wirtschaftlich orientierte Lügenpropaganda, machen nicht nur Menschen das Leben zur Hölle, die zum Überleben der Morphine bedürfen und hartnäckig danach verlangen, sondern auch ihren Familien, ihren Freunden und zunehmend dem ganzen Volk…

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Kleinstadt Blues Du meine Güte, die Zeiten waren schlecht! Arbeitsplätze gab es nur unter den rigorosen Bedingungen absoluter Lohnsklaverei. Man erhielt gerade so viel Lohn, dass man am folgenden Tag weiterarbeiten konnte. Wir lebten nur noch von Hustensäften, zerbröckelten Kodeintabletten, Tortillas und Diebereien. Ein ehrliches Dasein, berücksichtigte man die Gefahren, denen man sich dabei aussetzte… Inzwischen war man allerdings im Ort und in den umliegenden Ortschaften schon so wachsam geworden, dass wir kaum noch die Nasen aus der Türe stecken konnten, ohne sofort von der Polizei angehalten und nach Einbruchswerkzeugen durchsucht zu werden. Wie oft hatten wir nicht schon in letzter Not alles Werkzeug unter unseren Klamotten hervor gezerrt und es rasch über den nächsten Gartenzaun geworfen? Nun war uns schon seit Tagen, außer Hustensäften und einer Handvoll zerbröckelter Kodeintabletten, nicht nur jede lebensnotwendige Arznei ausgegangen, wir hatten noch nicht einmal mehr zu essen! Seit Tagen ernährten wir uns schon von Tortillas, selbstgebackene, flachgedrückte Gebilde aus Mehl, Wasser und einer Prise Salz… Kurz nach Sonnenaufgang schlenderten wir in der Nähe des großen Kaiser's Supermarktes umher. Dort lieferte man zwischen fünf Uhr dreißig und sechs Uhr Backwaren an und ließ sie unbewacht vor dem Eingang stehen. Endlich kam der Wagen des Backunternehmens in Sicht. Kaum war er wieder weg, stürzten 11

wir uns auf die Backwaren und fanden zu unserer Enttäuschung, man hatte nur zwei komplette Schwarzwälder Kirschtorten geliefert. Wir waren aber schon viel zu ausgehungert, zu abgemagert, zu ausgemergelt, um die Torten zurückzulassen. Doch unser bitter nagender Hunger war mit Schwarzwälder Kirschtorte nicht zu stillen. All die pappige Sahne und das klebrige Zuckerzeug?! Also buken wir verdrossen wieder Tortillas und stellten dabei fest, wir hatten noch nicht einmal mehr ausreichend Fett im Haus, um die Pfanne damit zu schmieren! Oh Gott, was ging es uns erbärmlich! Wie mager waren wir nicht schon geworden, wie alt sahen wir nicht schon aus mit unseren achtzehn Jahren!? Gesichter hatten wir, faltig, ledern und ausgedörrt wie vergangene Datteln! Wir wurden geradezu stündlich weniger, besaßen kaum noch Substanz, bestanden eigentlich nur noch aus der Kleidung die wir trugen und darunter etwas Ätherischem. Nach dem Verspeisen trockener und leicht angekohlter Tortillas, erwarteten wir ungeduldig die Nacht… Unweit des Ortseinganges gab es ein Nobelhotel mit eigener Forellenzucht. Die Zuchtteiche waren von einem Zaun umgeben, an dem knallgelbe Schilder verkündeten: „Warnung! Selbstschüsse! Lebensgefahr“ ! Günter und ich sahen uns an. Waren diese Schilder nur sinnlose Relikte des vergangenen Weltkrieges, oder kündeten sie tatsächlich von gegenwärtiger Gefahr? Die Aussicht auf gebackene Forelle trieb uns schließlich trotzdem über den Zaun, wobei wir fanden, die Schilder logen. Es gab gar keine „Selbstschüsse“…

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Die seichten Zuchtteiche waren untereinander mit schmalen Kanälen verbunden, die mit Schleusen aus Brettern zu öffnen und zu schließen waren. An den Uferrändern sahen wir im Schein des Mondes die Umrisse der Fische. Nur, wie fing man die Biester so ganz ohne Instrumente? Etwa mit bloßen Händen? Zwischen den Teichen stand ein kleiner Geräteschuppen, seine Tür verhangen mit einem Vorhängeschloss. Wir öffneten das Schloss mit dem alten Sockentrick. Man nahm eine Socke zur Hand und fädelte sie durch den Bügel des Vorhängeschlosses. Danach fasste man die Enden der Socke fest mit beiden Händen, hob die Hände so hoch die Länge der Socke es zuließ und riss sie mit aller Kraft nach unten. Dabei öffnete sich in aller Regel der Bügel des Vorhängeschlosses, weil der kleine Riegel brach, der ihn im Schlossinnern festhielt. In manchen Fällen zersprang dabei sogar das ganze Schloss und zerfiel in seine Bestandteile. Bei größeren oder stabileren Schlössern verwendete man anstatt einer Socke, entweder ein Handtuch oder ein Stück Tau… Angeln oder Fischernetze fanden wir allerdings keine in dem Geräteschuppen. Dafür aber dreizackige Heugabeln. Mit diesen Heugabeln fest in Händen, standen wir schließlich, wie Poseidon mit dem Dreizack, über die Teichufer gebeugt. Wir zielten und, ZACK, schon hatten wir den ersten Fisch gespießt. Danach ging es flott. Neben uns im Grase lagen in kürzester Zeit fünfzehn fette Forellen. Wir verstauten sie in Plastiktüten und wollten gerade gehen, als in Günter der Vandale durchbrach. Er verschwand kurz im Geräteschuppen, kam mit einem langstieligen Beil wieder und schlug damit die Bretter der Schleusen aus ihren Halterungen. „Damit die Biester sich wenigstens gegenseitig besuchen können“, argumentierte er. „Wer weiß, vielleicht hielten sie die 13

Kerle in einem Teich und die Weiber in einem anderen“? Leider zertrümmerte Günter dabei versehentlich auch die Schleuse des Hauptkanals, der das Wasser aller Teiche in den Abwasserkanal fließen ließ. Wie wir tags darauf in der Zeitung lasen, lagen am nächsten Morgen die meisten Fische tot auf dem Trockenen… Fisch, ohne Fett in der Pfanne zu braten, war ein eher hoffnungsloses Unterfangen. Man hätte die Fische freilich auch an Spießen über offenem Feuer braten können. Aber in dieser Gegend machte man nachts besser kein Feuer, wollte man nicht freiwillig die Polizei herbeirufen. Die hätten uns dann eifrig beim Fische braten angetroffen, während sie am Morgen zum Nobelhotel gerufen worden wären, wo Vandalen über Nacht die Fischteiche zerstört hatten. Die Bullen dieser ländlichen Gegend mochten nicht die Klügsten gewesen sein, aber so dämlich waren sie dann auch wieder nicht… Am Nachmittag brachten wir die Fische zu Günters Schwester, die unweit des Nobelhotels wohnte, wo nachts zuvor Fischteiche vandaliert worden waren. Wäre ihr nicht schon vor Tagen wegen Nichtbezahlung das Gas abgedreht worden, wir hätten die Fische bei ihr gebraten. So aber baten wir, sie möge sie für einige Zeit in ihrem ohnehin leeren Kühlschrank aufbewahren. Günters Schwester nahm die Fische, roch kurz daran, fand, „Die stinken ja schon“, und warf sie kurzerhand auf den Komposthaufen… Unterdessen magerten wir unaufhörlich weiter ab. Unsere Gesichter glichen schon denen alter verhärmter Weiber. Aber wir besaßen inzwischen einen Löffel voll Schweinefett, den Günter seiner Schwester abgeschwatzt hatte. In der Nacht nach unserem Fischzug schlichen wir, hungrige wie Wölfe, durch die 14

Schrebergärten der Vororte. „Was war das eben für ein Geräusch? Dieses Gurren? Waren das etwa Täubchen“!? Aus der Ferne sah der Taubenschlag aus wie eine ordinäre Gartenlaube. Doch als wir näher kamen, hörten wir deutlich das Gurren von Tauben. Durch die Ein- und Ausflugluken des Schlages passten wir nicht und die Tür war mit einem Vorhängeschloss verschlossen. Also musste der alte Sockentrick wieder her. Im Inneren des Taubenschlages gab es Fächer an den Wänden, in denen jeweils eine Taube saß. Sie saßen alle alleine. Paare, schien es unter Tauben keine zu geben… Wir holten Plastiktüten aus unseren Gesäßtaschen und begannen mit dem Morden. Unsere Mägen kannten kein Erbarmen. Eine Taube nach der anderen, zerrten wir aus ihrem Fach, drehten ihr den Hals um und stopften sie in unsere Tüten. Danach gingen wir zufrieden nachhause. Noch heute Nacht, so freuten wir uns, würde es gebratene Täubchen geben... Wir bewohnten eine kleine Wohnung unter dem Dach eines spießigen, vierstöckigen Mietshauses, das angefüllt war mit Normalbürgern, die von täglicher monotoner Lohnarbeit und Fernsehen lobotomiert auf ihren Sofas lagen. Da wir unserer Lautstärke wegen schon einige Male vom Vermieter gerügt worden waren, stiegen wir nur noch auf Zehenspitzen, leise wie die Mäuschen, die knarrende Holztreppe zu unserer Wohnung empor... Nur immer leise leise, damit ja die lobotomierten Langeweiler nicht geweckt wurden, denn weckte man sie zur Unzeit, neigten 15

sie dazu, die Polizei zu rufen. Wir waren fast schon oben angekommen, -immer nur leise leise-, als Günter plötzlich rief, „DIE BIESTER HABEN MICH GEBISSEN!“ und, bleich wie Weißbrot, ließ er die Tüte mit den Tauben fallen. Die Tüte rollte die Treppe hinab und blieb am unteren Treppenabsatz liegen. Dort zeigte sich, dass einige der Tauben noch am Leben waren! Mit verdrehten Köpfen, die Augen grotesk nach hinten gerichtet und die Federn voll dem Blute ihrer Kameraden, kamen sie aus der Tüte hervor gekrochen und versuchten, ihrem endgültigen Schicksal durch Flucht zu entkommen. Nur die Tauben, denen wir vorsorglich gleich den Kopf abgerissen hatten, blieben still in der Tüte zurck… Die noch lebenden Vögel, flatterten wild im Treppenschacht von Stockwerk zu Stockwerk. Mit umgedrehten Hälsen und nach hinten gekehrtem Blick, klatschten sie gegen die Wände, wo sie jedes Mal rinnende Blutabdrücke hinterließen. Im Gegensatz zu uns, die wir polternd Treppauf Treppab hinter ihnen her traben mussten, flatterten sie im Treppenschacht ungehindert von Stockwerk zu Stockwerk. Da öffnete sich auch schon die erste Wohnungstür und das zerknitterte Gesicht eines schläfrigen Domestizierten erschien. „Es sind Tauben im Treppenhaus!“, rief Günter geistesgegenwärtig. „Rasch! Kommen Sie und helfen Sie mit, sie einzufangen“! Das Treppenhaus glich unterdessen einer Schlachtszene. Von allen Wänden rann Taubenblut. Wir beide, inzwischen auch schon über und über mit Blut beschmiert, polterten die Treppen auf und ab, fluchten, und haschten stets vergebens nach den 16

Fliehenden. Es dauerte nicht lange und das ganze Haus war auf den Beinen. Alte, verschlafene Weiber mit Lockenwicklern oder Haarnetzen im rosarot getönten Haar, die Gesichter wie mit krümeliger Farbe auf faltiges Schweinsleder gemalt, so standen sie in ihren Wohnungstüren und kreischten. Dabei flog eine Taube in schierer Todesnot, einer der kreischenden Alten geradewegs ins aufgesperrte Maul. Den Mund umrandet mit blutigen Taubenfedern und einem stotternden Schrei, der an ein gestresstes Furzkissen erinnerte, sank die Alte in die Knie. Sie rollte seitlich zu Boden und blieb, von ihrem Nachtgewand umflossen wie von einem darnieder gesunkenen seidenen Fallschirm, reglos doch schwer atmend liegen. Schon grölten die ersten Stimmen nach der Polizei. Günter, nicht auf den Kopf gefallen, rief sofort mit barscher Stimme, „Wem gehören eigentlich die vielen Tauben? Etwa ihnen, Herr Knusemann“!? Gegen halb fünf Uhr morgens traf der Vermieter ein. Zwar war uns inzwischen gelungen, alle Tauben einzufangen, aber das Treppenhaus troff von Taubenblut. Freilich, wir bestritten alles. Geraden Blicks, sahen wir einem Jeden in die Augen und versicherten, wir seien hundemüde von der „Spätschicht“ nachhause gekehrt und hatten zu unserer Bestürzung die vielen blutenden Tauben im Treppenhaus vorgefunden. Doch es half nichts. Zu viel, hatte dieser Vermieter schon mit uns erlebt. Er glaubte uns kein Wort. Und so verließen wir noch am Nachmittag desselben Tages dieses spießige Haus und zogen vorerst bei Günters Schwester ein. Dort fielen wir sofort heißhungrig über die Obstbäume der Nachbarn her, bis Durchfall uns für Tage auf die Toilette zwang. Viel hätte nicht gefehlt und wir wären verhungert, damals, in diesem unserem 17

Wohlfahrtsstaate, hätten wir nicht noch rechtzeitig die Hasenställe der Nachbarn entdeckt... Es war kein Leben, in dieser Kleinstadt. Es war ein anstrengendes Überleben. Während Günter noch einige Zeit bei seiner Schwester blieb, packte ich meine Reisetasche voll Hustensäfte und zerkrümelter Kodeintabletten und zog in die große Stadt. Jahre später traf ich Günter im Irrenhaus wieder, wo er einige Wochen wegen eines Selbstmordversuchs verbrachte und ich einige Monate zur Beobachtung, um endgültig zu ergründen, ob ich vielleicht ein „Drogensüchtiger Krimineller“ sei…

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Die neue Lage München, neunzehnhundertdreiundsiebzig. Die Preise für Medizin waren ungeheuer hoch, die Qualität dagegen, teils mit nur rund fünfzig Prozent, ungeheuer schlecht. Hatte man Glück und besaß die Möglichkeit, auf ein Mal ganze Gramme zu erwerben, zahlte man in aller Regel zweihundert Mark pro Gramm. Dabei musste man aber froh sein, wenn die Ware tatsächlich abgewogen war. In aller Regel wog „ein Gramm“ nicht mehr als nullkommaacht bis nullkommaneun Gramm. Zweihundert Mark kostete es dennoch… Meist hatten die Leute aber nicht das Geld um ein ganzes Gramm zu erwerben. Sie waren auf die kleinen Päckchen angewiesen, die auf Drogenszenen gehandelt wurden. Dort gab es Päckchen mit einem „halben Gramm“, ein „Halbes“ genannt, das in Wahrheit zwischen nullkommadrei und nullkommavier Gramm wog und einhundert bis hundertfünfzig Mark kostete. Eines dieser „Halben“ gab etwa zwei bis drei Anfängerdosen her. Dann gab es noch ein „Viertel“, das nullkommaeins bis nullkommazwei Gramm wog, meist nur eine Anfängerdosis hergab und fünfzig Mark kostete. Dabei war aber noch nicht von den verschiedenen Mischungsverhältnissen die Rede. Kaufte man beispielsweise ein „Halbes“ von Hundeklaus, mochte es tatsächlich ein halbes Gramm wiegen, war aber so sehr mit Milchzucker vermengt, dass das Pulver klebte sobald die Feuchtigkeit der Umgebungsluft zunahm…

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Über den Daumen gepeilt kostete damals eine Anfängerdosis mindestens fünfzig Mark. Um sich gesund zu halten, benötigte man pro Tag wenigstens zwei davon. Jene, die mit einem „Viertel“ für fünfzig Mark durch den Tag kommen wollten, waren schon gegen Abend wieder krank und gingen einer schlaflosen Nacht entgegen. Wir reden hier aber von Anfängern. Fortgeschrittene und Veteranen dagegen, benötigten zwei, vier, sechs, acht Gramm und mehr am Tag. Sie waren grundsätzlich zur Kriminalität verurteilt, zum Rauben, zum Stehlen, zum Betrügen oder aber zum Handeln mit der begehrten illegalen Ware… Drogenszenen, die Versammlungsstätten von Morphinbedürftigen, wurden von der Pharmagestapo zunehmend wie Gärten genutzt, in denen sie behutsam ihre „Fälle“ heranzogen, um sie im Bedarfsfalle unter Applaus zu „lösen“. Auch hier, waren es erbärmliche Zeiten…

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Großstadt Rock Wahrhaftig, die Pharmagestapo sprang mit uns um, als wären wir ihr Nutzvieh, das jederzeit geschlachtet werden konnte, so man seiner Haut bedarf. Daraus, bezogen sie nicht nur berufliche Beförderung und finanzielle Vorteile, daraus bezogen sie die Freude ihres Lebens und den Sauerstoff ihrer perversen Seelen! Wie Scheiße, liefen solche Spiele von oben nach unten und wir waren nun mal unten, dagegen war schwer anzukämpfen! Das Pack hielt uns durchgeladene und entsicherte Schusswaffen ins Gesicht, fesselte uns, sperrte uns über Nacht ein und übergab uns am Morgen sogenannten „Richtern“, Büttel derselben Industrie, die uns zu Akten verarbeiteten und dafür sorgten, dass wir die Freiheit oft erst nach Jahren wiedersahen. Und dann war es noch nicht einmal wirkliche Freiheit, denn wir waren nur von Untersuchungshaft, über Strafhaft in Wohnhaft geraten, wo Bewährungsauflagen und Führungsaufsichten jede Aussicht auf wirkliche Freiheit im Keim erstickten! Gerade fuhren sie wieder vorbei, in ihrem hellblauen BMW, der zu Tarnzwecken verbeult war, keine Radkappen hatte und mit schwarzen Rennstreifen auf der Haube und an den Seiten versehen war. Doch sie tarnten sich vergebens. Kommissar Saumann und seinen Vorgesetzten, Oberkommissar Majnek, erkannte ich noch, schnitte man ihnen die Köpfe vom Leib, gäbe sie in große Gläser und gösse Teer darüber…

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Doch sie sahen mich nicht. Ich saß nämlich mit fremden Leuten am Tisch eines Straßencafes und war als behäbiger, wohlhabender Bürger getarnt, der an sonnigen Nachmittagen in Straßencafes saß und es sich gut sein ließ. Die Fähigkeit des Chamäleons, jederzeit mit seiner Umgebung zu verschmelzen, wuchs einem mit der Zeit, die man in dieser Branche verbrachte, zunehmend an den Leib. Man beherrschte sie von Tag zu Tag besser. Wie man hörte soll es Fortgeschrittene geben, die sich mühelos mit einem Ruck vom stinkenden, dahin schlurfenden Morphinbedürftigen, zur parfümierten älteren Dame wandeln konnten, komplett mit hochtoupierten rosa Haaren, Handtäschchen, Regenschirm und Gesundheitsschuhen… Weniger einfach war es allerdings, die Tarnung unter den misstrauischen Blicken des Restaurantpersonals aufrechtzuerhalten, wenn man von beginnenden Entwöhnungssymptomen gequält zur Toilette schlich, um dort aus etwas braunem Staub, der guten alten Kunststoffpumpe und dem stumpfem Spike etwas Gesundheit zu empfangen… „Ich bin gleich zurück“, sagte ich zu meinen Tischnachbarn und legte einen Bierdeckel auf meine Tasse Kakao. Ich ging mit lautlos schreienden Gelenken und schmerzenden Eingeweiden zur Toilette, krampfhaft bemüht, in den Augen des Restaurantpersonals meine Tarnung als domestizierter Bürger nicht zu verlieren... Die Zeiten, da ich noch bei stockfinsterer Nacht in unbeleuchteten Fahrzeugen Venen nur mit den Fingern ertastete, auf Anhieb traf und makellose Injektionen vollbrachte, waren 22

schon lange vorüber. Außer am Hals und am Schwanz fand ich nirgendwo mehr welche. Am Schwanz zu Injizieren, war so eine Sache. Immerhin verringerte man dabei mit der Zeit auch die Durchblutung der dünnen Blutgefäße des guten Stücks, die man dann eigentlich doch noch für andere Vergnügen aufrechterhalten wollte. Am Hals war das weniger der Fall. Dort waren die Venen dicker... Dachte ich an intravenöse Injektionen in den Schwanz, so fiel Lou mir ein, der inzwischen auch schon an vergangenen Leberzellen gestorben war. Injizierte man am Schwanz, sollte man nach dem Herausziehen der Nadel, um Unterhautblutungen zu vermeiden, unbedingt noch einige Zeit den Daumen auf die Einstichstelle drücken. Um zu demonstrieren wie es aussah, versäumte man es, stand eines Tages Lou in meinem Hotelzimmer. Lou ließ seine Hose herab, deutete mit energischer Gebärde seines Zeigefingers auf sein Gehänge und rief, „Sieh dir das an“! Ich sah hin und erschrak. Lous Schwanz, seine Klöten, die ganze schlappe Geschichte und ihre unmittelbare Umgebung waren von schwarzblauen Blutergüssen unterlaufen. Lous Gehänge sah aus wie ein violettes Obstschälchen voll vergangener Bananen… Mit Lous abschreckendem Beispiel vor Augen, zog ich es dann doch vor, in die Halsvene zu injizieren. Zu empfehlen ist es allerdings nicht. Es kann höllisch gefährlich sein! So hatte ich beispielsweise eines Tages beim Versuch einer Injektion in die Halsvene, versehentlich die Vene durchstochen und war, ohne es zu ahnen, mit der Nadelspitze in eine darunter liegende Arterie geraten. Kaum abgedrückt, strömte die Lösung in meinen Schädel, 23

schraubte sich, brennend wie flüssiges Metall schneckenförmig sie schraubte ich durch mein Innenohr und floss wie glühende Lava in meine Zunge. Der Schmerz war so gewaltig, dass ich aufschrie und meinen Kopf unter dem Bettkissen vergraben musste, damit die Putzkraft des Hotels, die draußen im Gang mit ihren Geräten klapperte, meine Schreie nicht hörte… Mit der Zeit gewann man allerdings Routine. Man hätte Opioide natürlich auch oral verwenden können. Es gab nur keine mehr, die sich dazu eigneten. Es gab nur noch Heroin das so teuer war, dass man es nicht durch orale oder nasale Verwendung oder gar durch es zu rauchen, vergeuden wollte. Alle anderen Opioide waren längst von den Medizinmännern, hörige Agenten der Industrie, monopolisiert worden. Sie wurden nur noch molekülweise an handverlesene Patienten ausgegeben. Sahen Ärzte morphinbedürftiges Volk auch nur von weitem nahen, verriegelten sie sofort alle Türen und ließen ratternd die Rollos herab... Mithilfe der Medien war es staatlicher, medizinischer und pharmazeutischer Propaganda gelungen, die Bevölkerung davon zu überzeugen, Morphinbedürftige bezögen aus Morphin irrsinnige Lust und ein Vergnügen, für das gewöhnliche, gesetzestreue Bürger hart arbeiten mussten. Das weckte den alten Neidfaktor und machte Morphinbedürftige in den Augen der Domestizierten verhasst. Tatsächlich bezogen die meisten, wie auch aus jeder anderen guten Medizin, nur eine Besserung ihrer Gesundheit, dadurch eine Steigerung ihrer Lebenslust und damit ein Mehr an Leistungsfähigkeit…

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Es war ein gewöhnliches Toilettenabteil, wie man es aus Restaurants und Bahnhöfen kannte, wo weder die Trennwände noch die Türen bis zum Boden oder zur Decke reichten. Ich holte ein Etui aus meiner Jacke, klappte es auf und legte es behutsam auf den Toilettendeckel. Im Etui befanden sich, meine Kunststoffpumpe, der dazugehörende Spike, ein Esslöffel mit gekürztem Stiel, damit er ins Etui passte, ein Papierbriefchen voll Ascorbinsäure und ein kleiner Spiegel mit einem Saugnapf auf der Rückseite. Das Wasser für die Injektion zog ich, wie üblich in solchen Fällen, aus dem Toilettenspülkasten, worin sich in aller Regel doch nur gewöhnliches Leitungswasser befand, das obendrein in kurzen Zeitabständen erneuert wurde… Nachdem die Lösung bereitet und aufgezogen war, benetzte ich den Saugnapf auf der Rückseite meines Spiegels mit etwas Speichel und drückte ihn an die Trennwand des Toilettenabteils. Um die Halsvene hervor zu locken, holte man tief Atem, hielt ihn an und drückte dabei als wolle man ausatmen und könne nicht. Dadurch schwoll die Vene an der Seite des Halses ausreichend hervor... Ich hatte Leute erlebt, die aus der Toilette kamen und vergessen hatten, nach vollendeter Injektion den Ärmel herab zu rollen. Mit einem Ärmel hochgerollt, betraten sie das Restaurant, während noch Blut aus ihrer frischen Einstichstelle rann und in roter Spur den Arm hinab lief. Noch schrecklicher sah es freilich aus, hatte man in die Halsvene injiziert und betrat mit auffallend kleinen Pupillen das Restaurant, während am Hals Blut aus der Einstichstelle rann und in den Hemdkragen sickerte. Es war mir ein Mal geschehen und ich bemerkte es erst, als ich die entsetzten 25

Blicke der Gäste auf mich gerichtet sah. Seitdem drückte ich immer solange ein Stück Toilettenpapier an die Einstichstelle, bis es sich nicht mehr rötete... Ich hatte gerade wieder am Cafetisch platzgenommen, als Australier John daher kam. Australier John, der während des Vietnamkrieges von einer australischen Einheit desertiert war und sich durch Minenfelder und fremde Länder bis nach Europa durchgeschlagen hatte, wo er auf mysteriöse Weise an einen Deutschen Reisepass gekommen war. Dieser Reisepass musste dringend erneuert werden, weil er schon so viele Ein- und Ausreisestempel fremder Länder enthielt, dass keine mehr Platz hatten… Die meisten Stempel in Johns Pass stammten aus Thailand. Damals unternahm „Air America“ noch rege Transportflüge von Laos, Burma und Kambodja, wo CIA Agenten Rohopium aufkauften und in Thailand zu Heroin verarbeiten ließen. Aus diesen CIA Aktivitäten entstand damals das sogenannte Goldene Dreieck, das größte Opiumanbaugebiet der Welt. Das fertige Heroin verkauften sie an die eigenen Soldaten in Vietnam, schmuggelten es in den Arschlöchern ihrer gefallenen Kameraden in die USA und brachten es auf jede erdenkliche Weise gewinnbringend in alle Welt. Mit dem Gewinn finanzierten sie, damals wie heute, Staatsstreiche und verdeckte militärische Operationen die ihre Regierungen nicht offiziell finanzieren konnten, da sie illegal waren… Damals galt Thailand noch als das Land, in dem man Heroin bester Qualität zu günstigsten Preisen erwarb. Heute, da die U.S. 26

Armee nicht mehr in Vietnam weilt, sondern in Afghanistan, kaufte man nicht mehr in Thailand, man kauft in Afghanistan oder in den Nachbarländern Pakistan, Iran und so weiter. Hießen Thailand und seine Nachbarländer damals noch Das Goldene Dreieck, so heißen heute Afghanistan und seine Nachbarländer Der Goldene Halbmond. Seit dem Überfall der NATO auf Afghanistan, ist die jährliche Opiumernte um das dreizehn fache gestiegen. Was benötigt der einfache Bürger eigentlich um zu begreifen, nicht einige zerlumpte Gestalten an der Straßenecke oder gar die eigenen Kinder, die sich in aller Unschuld krümelige Pflanzenreste zuschieben, sind „Die Dealer“, sondern mächtige, weltumspannende Geheimorganisationen westlicher Regierungen? Thailand, Bangkok, die Blue Fox Bar. Man erwarb jede beliebige Menge in einem der Puffzimmer in den oberen Stockwerken, während die Nachbarn darauf achteten, dass sich kein Polizist der Bar näherte, der nicht billig zu schmieren war. Ich hatte Ferdinand zu seinem ersten Thailandtrip mitgenommen. Da im Blue Fox eine Verabredung auf mich wartete, ließ ich ihn für einige Stunden alleine im Hotel zurück. Als ich wiederkam, sah ich gerade noch, wie eine junge thailändische Nutte aus Ferdinands Zimmer huschte und im Aufzug verschwand. „Klasse!“, rief ein begeisterter Ferdinand. „Eine geschlagene Stunde mit der Kleinen für nur zwanzig US Dollar! Und das Beste war, sie hatte auch gleich ein Röhrchen voll feinstem Heroin bei sich“! Ich reichte Ferdinand die Hand, „Herzlichen Glückwunsch zum ersten asiatischen Tripper“! Fünf Monate und eimerweise Antibiotika, benötigte Doktor Scheiler in München, um Ferdinand wieder von den hartnäckigen asiatischen Erregern zu befreien... 27

Australier John sah mich am Tisch des Straßencafes sitzen. Er kam heran und setzte sich zu mir. „Ist dir schon dieser blaue verbeulte BMW mit Rennstreifen aufgefallen?“, fragte ich ihn. John nickte. „Du meinst Majnek und Saumann“? „Ja“, antwortete ich, „Majnek und Saumann“. Wir tranken jeder ein Näpfchen heißen Kakao mit Sahnehäubchen und schwatzten über vergangene Zeiten. Danach musste Australier John weg, um seine neue Flamme von der Bushaltestelle zu holen. Sie arbeitete als Krankenschwester im Schwabinger Krankenhaus, wo neuerdings ein merkwürdiger Schwund an L-Polamidon und Valoron herrschte. „Hier. Für Notfälle“, sagte Australier John und ließ eine 10cc L-Polamidon Stechampulle in meine Hand gleiten, vermutlich von seiner Freundin, aus den Beständen des Schwabinger Krankenhauses...

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Der Goldene Schuss Man erzählt sich, Menschen stürben an Heroin. Das mag schon sein, wennschon ich annehme, sie sterben weit eher an den verheerenden Folgen der Heroinprohibition. Ich jedenfalls, bin noch nie daran „gestorben“. Selbst dann nicht, wenn ich es absichtlich wollte… Genau besehen, war es mir damals nicht schlecht gegangen. Es war letztlich wohl nur ein Zusammenspiel verschiedener bedrückender Faktoren, die meinen Weltschmerz so ansteigen ließen, dass ich beschloss, die Tragödie durch eine Überdosis Heroin zu beenden. Ich vertrieb damals weißes Heroinhydrochlorid von hoher Reinheit. Es verkaufte sich so gut, man riss es mir förmlich aus den Händen… Es war an einem regnerischen Abend, ich stand mit meiner Frau vor einer neu eröffneten Discothek in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofes, als drei Kerle erschienen. Sie nahmen meine Frau zur Seite, sprachen mit ihr und liefen dabei ein Stück die Straße hoch. „Ich komme gleich wieder“, hatte sie noch gerufen. Vier Jahre sollte es dauern, bis ich sie wiedersah…! Meine Frau war in Horst Herolds Fahndungsnetz getreten, dass damals in allgemeiner Terroristenhysterie (RAF), kreuz und quer durchs Land gezogen wurde. Irgendeine Geschichte mit einer Maschinenpistole der Marke „Skorpion“, die über hundert Verzweigungen mit Betäubungsmittel verbunden war, hatte sie zu Fall gebracht. Traurig und alleine, ging ich an jenem Abend durch den Regen zu meinem Hotel. Dort verschloss ich die Tür, 29

öffnete meinen Aktenkoffer und holte mein Spritzbesteck hervor, eine zehn Kubikzentimeter Spritze und eine kleine Soßenkelle zum Aufkochen der Brühe… Der berühmte „Goldene Schuss“, der von den Medien so pervers hochgeputscht wurde, war ursprünglich der Name einer dümmlichen Fernsehsendung, in der Kandidaten mit einer elektronisch gesteuerten Armbrust auf Ziele schossen. Die gesamte verblödete Nation fieberte mit, schwebte auf dem Bildschirm ihres TV-Gerätes die runde Zielvorrichtung der Armbrust in der Nähe des Zieles. „SCHIESS!“, grölten dann die Gimpel in den Wohnzimmern von Flensburg bis Niederbayern. Als Preise gab es modernste Errungenschaften der Technik, vollautomatische Waschmaschinen, die sich auch zum Reinhalten von Haustieren eigneten, Rasierapparate, die auch Fußnägel manikürten und gewiefte Apparate, die Haare vom Arsch zupfen, ohne dass dabei Tränen in die Augen traten. Der Moderator des Spektakels, ein öliger Niederländer namens Lou van Burgh, mit seiner großen Schnauze, seinem niederländischen Akzent und seinen silbernen Schläfen, war der Schwarm aller alten, ausgetrockneten Weiber des Landes. Kaum erschien er auf der Röhre, schon jaulten die ergrauten, verdorrten Fregatten ganz Deutschlands wie Luftschutzsirenen aus den Fenstern, „Ooooh Loouuuuu Oooooh Loouuuu Oooöh Loouuuu Ooooh Louuuu“! Zwei ganze Gramm des hochprozentigen Stoffes brachte ich in Lösung. Das sollte reichen, dachte ich, um den Vorhang endgültig fallen zu lassen und stille von der Bühne zu treten. Merkwürdig. Weißes Heroinhydrochlorid konnte noch so weiß und rein sein, war die Lösung nur ausreichend genug gesättigt, 30

färbte sie sich immer gelblich oder gar leicht braun. Nach dem Aufziehen der Lösung ließ ich für gewöhnlich einige Tropfen wieder auf den Wattefilter zurück fallen. Ich ließ ihn trocknen und bewahrte ihn für schlechte Zeiten. Waren diese Wattefilter getrocknet, waren auch sie braun. Lag es am Heroinhydrochlorid selbst, oder sollten Opiumalkaloidrückstände, Traubenzucker, Milchzucker oder andere Streckstoffe dafür verantwortlich sein? Löste man Kodeinphosphat aus der Apotheke in Wasser, weiß wie frisch gefallener Schnee und pharmazeutisch rein, verfärbte die Lösung sich, abhängig von der Konzentration, allerdings ebenfalls gelblich bis hellbraun… Ich drückte den Spritzenkolben ohne Abschiedssentimentalitäten nieder. Es gab einen gewaltigen Knall in meinem Schädel und alles um mich her wurde Preußisch Blau. Dann verlor ich das Bewusstsein... Als ich drei Stunden später wieder zu mir kam, fühlte ich mich großartig, stark und zuversichtlich. Keine Spur mehr von Weltschmerz. Und ich verspürte Appetit, ja, Heißhunger geradezu, nach Walderdbeeren mit Schlagsahne! So war es mir mit Heroin schon immer ergangen. Das Zeug regte meinen Appetit an. Mir schien, es sensibilisiere die Geschmacksnerven, wodurch gute Nahrungsmittel noch besser schmeckten. Ich nahm zu, sobald ich längere Zeit regelmäßig Heroin verwendete. Nach wenigen Wochen musste ich neue Klamotten kaufen, weil die alten zu eng geworden waren. Ich wurde dabei aber nie fett. Ich wurde nur mehr und sah dabei gesund und sportlich aus… Ich rief über das Hoteltelefon ein Taxi herbei und ließ mich in 31

ein Restaurant bringen, das die ganze Nacht geöffnet war (Münchens Weinschatulle). Dort bestellte ich eine große Schüssel voll Walderdbeeren mit Schlagsahne, streute etwas feingemahlenen Kandiszucker darüber und mampfte fröhlich darauf los. Dabei war die Frage, wie ich die verjubelten zwei Gramm bezahlen würde, noch meine größte Sorge. Doch davon abgesehen, war meine Welt wieder völlig in Ordnung… Letzten Endes wird Heroin, wie alles andere auch, von unterschiedlichen Menschen unterschiedlich vertragen. Man darf deshalb nie leichtsinnig damit umgehen, so man weiterleben will. Das gilt doppelt dort, wo der Staat seine Bürger durch eine rücksichtslose Prohibition der Gefahr aussetzt, nie genau zu wissen, was sie injizieren und wie stark es ist Ich jedenfalls, vertrug auch das stärkste Heroin, wie andere Leute Buttermilch vertragen…

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Die Pharma Gestapo „Hey, warte mal“, rief eine Stimme hinter mir her. Ich kannte die Stimme. Sie gehörte Kommissar Majnek von der Pharmagestapo. Ich wollte nichts mit ihm zu tun haben, deshalb wartete ich nicht, sondern ging weiter. „So warte doch. Wir wollen dich doch nur was fragen“, rief die Stimme erneut, diesmal schon etwas außer Atem, wie mir schien. Schwer atmend, verstellte der Kommissar mir schließlich den Weg. „Lass mich in Ruhe“, sagte ich. „Ich will nicht befragt werden“. Ich schob den Kommissar beiseite und wollte weiter gehen, doch er rief, „Warte!“ und verstellte mir erneut den Weg. Der Kommissar kramte in seiner Jackentasche. „Wenn du es so spielen willst“, sagte er, „dann habe ich eben dies hier an dir gefunden“. Damit hielt er ein kleines geöffnetes Papierbriefchen mit augenscheinlich einem halben Gramm braunem Pulver in der Hand. „Was war das für Pulver?“, fragte ich und tickte mit meiner Hand unter die Hand des Kommissars, die das Papierbriefchen hielt. Das Pulver auf dem Papier hüpfte in die Höhe, es wurde von der Brise erfasst und wehte davon. Nun war das Briefchen in der Hand des Kommissars leer. „Du kommst dir wohl besonders komisch vor, wie?“ bemerkte er barsch, fügte aber gleich listig hinzu, „Ich habe aber noch eines“. Damit zog er ein weiteres Papierbriefchen aus seiner Jacke. Diesmal öffnete er es nicht, um mir den Inhalt zu zeigen. Ich blickte auf das geschlossene Briefchen und fand, es gab in dieser Stadt nur einen, der Briefchen auf diese Weise faltete und das war Dieter, wegen seiner syphilitischen Pickel auf seinem Rücken, auch Pickel Dieter genannt. Dieter packte stets zu wenig Pulver in seine Briefchen. Um dennoch den Anschein zu erwecken, sie seien wohl gefüllt, fertigte er die Briefchen besonders lang und 33

verteilte die geringe Pulvermenge über die ganze Länge. Das längliche Briefchen in der Hand des Kommissars, stammte eindeutig von Pickel Dieter. Wie ich später erfuhr, saß Dieter zu diesem Zeitpunkt tatsächlich in Untersuchungshaft. Er war am Vormittag desselben Tages festgenommen worden... „Okay Sheriff“, sagte ich ergeben. „Was wolltest du mich fragen“? Der Kommissar grinste überlegen. Statt seiner, nahm aber seine Kollegin, Donnerelse, das Wort. „Wir wollen wissen, wo Peter Rede sich verborgen hält“. „Peter Rede?“ fragte ich so nonchalant wie möglich. „Der wohnt doch in der Giselastraße hundertdreiundfünfzig, zweiter Stock rechts“. Kommissar Majnek zog ein Gesicht, als bisse er auf Quallen. „Das wissen wir bereits“, sagte er, „Dort wohnt er aber nicht mehr“. Ich gab mich überrascht. „Ach? Das ist mir neu. Tut mir den Gefallen und gebt mir seine neue Anschrift, sobald ihr ihn gefunden habt. Der Schuft schuldet mir nämlich noch Geld“. „Du weißt tatsächlich nicht, wo Peter Rede steckt?“, bohrte der Kommissar. „Nein“, sagte ich, aufrecht wie ein katholischer Grundschullehrer. „Ich wusste noch gar nicht, dass er umgezogen war. Ehrenwort“…! Kaum hatten die Beiden von mir gelassen und sich ausreichend weit entfernt, schlüpfte ich in eine Telefonzelle und rief Peter Rede an. Dabei hielt ich eine Hand vor den Mund, damit meine Lippenbewegungen von der Straße aus nicht gelesen werden konnten. Oh ja, man wurde gewieft in dieser Branche, wie ein KGB Agent. „Majnek interessiert sich sehr für deinen neuen Aufenthaltsort“, sprach ich in die Muschel. „Ich fürchte, es wird Zeit für dich, die Stadt zu verlassen“. Einen Augenblick herrschte Stille am anderen Ende. Dann sagte Peter, „Ich hatte ohnehin vor, 34

morgen nach Westdeutschland zu reisen“. Anfangs gehörte auch ich zu den Leuten, die rätselten, wo zum Teufel Westdeutschland liegen mochte, bis ich begriffen hatte, damit war Westberlin gemeint… Zwei Wochen später stieß ich wieder auf Majnek. Sie hatten inzwischen zwar Peters neue Wohnung gefunden, wusste der Kommissar zu berichten, aber sie war leer, der Vogel war ausgeflogen. „Ich weiß inzwischen, wo Peter Rede steckt“, sagte ich verlockend. „Er hatte es mir erzählt, kurz bevor er verschwand“. Majnek machte große Augen. „Nun sag schon! Wo steckt er“? Ich holte tief Atem, um die Spannung zu steigern und verkündete schließlich, „Peter Rede ist in Westdeutschland“. „In Westdeutschland?“, grübelte der Kommissar. „Ja, Majnek. Peter Rede sitzt in diesem Augenblick fröhlich in Westdeutschland. Dort zählt er sein Geld, jubelt sich zwischendurch Eine und dreht dir eine lange Nase“! Einige Abende später, stand ich mit meinem Partner Rolf vor der Disco Down Town in der Dachauerstraße und vertrieb das feine weiße Heroinhydrochlorid, das Peter Rede aus „Westdeutschland“ sandte. Während wir uns tummelten, fiel mir ein Mann auf, der so gar nicht ins Straßenbild passte. Ein einfach gekleideter Mann mittleren Alters, augenscheinlich ein Gastarbeiter. Er bemerkte, dass ich ihn beobachtete und trat auf mich zu. Im schlechten Deutsch der ersten Generation türkischer Gastarbeiter fragte er, ob ich Heroin kaufen wolle. Ich rief Rolf herbei. „Du willst uns Heroin verkaufen? Wie viel hast du und was soll es kosten“? Zehn Gramm, so erklärte der Mann, habe er und kosten soll es hundertfünfzig Mark pro Gramm, für damalige 35

Verhältnisse ein guter Preis. Er habe zwar die Ware nicht bei sich, sie sei bei ihm zuhause, aber er wolle uns gerne in seinem Wagen dorthin bringen, erklärte er… Wir verließen die Stadt entlang der Dachauerstraße. In der Nähe von Allach, gegenüber den MAN und MTU Werken, bogen wir von der Hauptstraße ab und fuhren auf einer Nebenstraße in eine Wohnsiedlung. Dort verließen wir den Wagen und betraten ein Haus. Unser Gastgeber führte uns in ein kleines Zimmer, in dem drei Stockbetten standen. An der Wand hingen Blechspinde, in der Ecke hinter der Tür, ein Waschbecken und darüber ein kleiner Spiegel. Wir befanden uns in einer Sklavenbehausung, wie sie in Deutschland Mitte der sechziger Jahre für Gastarbeiter bereit gestellt wurden. In der Mitte des Zimmers stand ein naturhölzerner Küchentisch, umgeben von einigen Stühlen. Der Tisch war mit alten Zeitungen bedeckt. In der Mitte lag ein schweres Messer, offenbar eigenhändig aus einem Stück Federstahl geschliffen und scharf wie ein professionelles Schlachtmesser... Wir setzten uns an den Tisch. Unser Gastgeber nahm etwas aus einem Spind und kam damit zu uns. Er hielt einen Kunststoffbehälter mit hellbraunem Pulver in der Hand. Der Mann schien nicht unerfahren im Umgang mit Heroin. Er legte vor jeden von uns einen Teelöffel. Rolf und ich sahen einander an. Die Zeiten der Teelöffel, hatten wir hinter uns. Wir griffen in unsere Jacken und holten kleine Soßenkellen hervor. Als unser Gastgeber sah, wie viel seines Pulvers wir auf unsere Kellen schaufelten, wurde er unruhig und warnte, „Nicht so viel“. Doch hochdosiert wie wir waren, bezweifelten wir, überhaupt etwas 36

von dieser Probeinjektion zu spüren. So war es schließlich auch. Keiner von uns verspürte auch nur den Hauch einer Wirkung. Wir sahen einander in die Augen, um festzustellen, ob wir vielleicht kleinere Pupillen bekommen hatten. Doch auch das war nicht der Fall. Unsere Pupillen reagierten nicht mehr auf Heroin, es sei denn, wir befanden uns am Rande der Entwöhnung und dann wurden sie nur von extrem groß zu gewöhnlich groß. „Ich kaufe das Zeug“, beschloss ich und blätterte unserem Gastgeber tausendfünfhundert Mark auf den Tisch. Ich vertraute der Sache. Das Material sah gut aus und es schmeckte ausgezeichnet. Dass weder ich noch Rolf etwas davon verspürten, lag nicht am Heroin, es lag an unserer hohen Herointoleranz. Ich wog das Zeug ab und fand, obwohl wir schon große Probemengen entnommen hatten, wog es immer noch zehnkommaacht Gramm... „Wie kommst du an das Zeug?“, fragte ich unseren Gastgeber. „Kannst du noch mehr davon beschaffen“? Nun bekamen wir eine interessante Geschichte zu hören. Das Heroin war eigentlich nicht das seine. Es gehörte seinem Bruder, der wie unser Gastgeber, eigentlich auch nebenan bei der MAN arbeitete. Jetzt saß er allerdings im Gefängnis. Sein Bruder, wir wollen ihn Mehmet nennen, hatte eines Abends in der Stadt einen Mann kennen gelernt, mit dem er ins Gespräch gekommen war. Als der Fremde erfuhr, aus welcher Gegend der Türkei Mehmet stammte, fragte er rundheraus, ob er von dort Heroin besorgen könne. Der Fremde malte Mehmet aus, wie viel Geld damit zu verdienen sei und Mehmet willigte ein, sich wenigstens danach umzuhören. Am Ende schaffte Mehmet tatsächlich etwas über tausendachthundert Gramm aus seinem Heimatort herbei. Als er es seinem vermeintlichen Freund zeigte, wurde er festgenommen. 37

Sein Freund, der Fremde, so zeigte sich, war ein Beamter des Landessicherheitsdienstes. Nur dem Zufall war es zu verdanken, dass Mehmet rund zehn Gramm der Ware bei seinem Bruder gelassen hatte, bevor er in die Stadt fuhr, um den Rest seinem vermeintlichen Freund zu zeigen. Einmal, während einer Fahrt in die Stadt, hatte unser Gastgeber das Gesicht dieses Fremden und vermeintlichen Freundes seines Bruders gesehen. „Wie hatte er ausgesehen?“, fragte ich neugierig. „War er klein, hatte er schwarze kurze Haare und ein blasses Gesicht, spitz wie das einer Ratte“? Ja. Genauso, hatte der Fremde ausgesehen, bestätigte unser Gastgeber. Ich hatte es gleich geahnt, als ich die Geschichte hörte! Es war der unermüdliche Kommissar Majnek, der Mehmet so hinterhältig hereingelegt hatte… Die Pharmagestapo kannte schon lange keine Hemmungen mehr, keine Ethik, keine Moral. Sie war wie ein wilder, losgelassener Hund, der sich frei austoben durfte. Niemand hinderte sie daran, selber „Rauschgiftringe“ zu bilden, um sie hinterher „hochgehen zu lassen“ und dafür Lorbeeren einzustreichen. Die meisten mittleren bis größeren Geschäfte, wurden inzwischen von der Pharmagestapo selber getätigt. Wir ließen Grauzonen zu, im Betäubungsmittelrecht und erwarteten, eine Macht wie die Pharmagestapo verhielte sich darin ethisch verantwortlich. Wir waren Dummköpfe, das zu erwarten…! Das Heroin unseres neuen türkischen Freundes war von ausgezeichneter Qualität. Die Leute kamen kurz nach dem Kauf wieder und wollten noch mehr davon. Es dauerte keine halbe Stunde und die zehn Gramm waren unter die Leute gebracht und in ihren Blutkreisläufen versickert…38

Luft Kokain, müsste farbig sein, damit es in Wasser gelöst nicht nahezu unsichtbar bliebe und wie klares Wasser erschien, so dass man denken konnte, der Löffel sei leer. Sogar weißes Heroinhydrochlorid, löste man nur genügend davon, nahm leichte Färbung an. Kokain dagegen, in Wasser gelöst, sah aus wie reines Wasser, das im Löffel auf den ersten Blick unsichtbar blieb… Ich warf einen Blick auf den Tisch und sah neben einem scheinbar leeren Löffel die Pumpe mit zurück gezogenem Kolben liegen. Ich nahm sie und bohrte die Nadel in eine Armvene. Ich verwendete Nadeln mit leicht transparentem Aufsatzkonus. Damit erübrigte sich das Ziehen von Blut um zu prüfen, ob man auch in einer Vene stak. Traf man eine, erschien am untersten Teil des transparenten Aufsatzkonus, dort, wo die Stahlnadel begann, sofort ein winziges Blutströpfchen… Ich stach zu und das Blutströpfchen erschien. Zufrieden mit dem Sitz der Nadel, drückte ich den Kolben nieder. Es fühlte sich an, als rollten kleine Bällchen im Innern meines Armes nach oben und verschwänden irgendwo in der Achselgegend. Ich zog die Nadel heraus und legte die abgedrückte Spritze neben den Löffel. Dabei fiel mir auf, der Löffel war nicht leer. Er enthielt Kokainlösung. Es bestand kein Zweifel. Ich hatte soeben intravenös rund zwei Kubikzentimeter Luft geknallt. Doch es blieb ohne Folgen. Außer einem Gefühl kleiner Bällchen, die im Arm nach oben rollten, vermutlich die Luftbläschen, die in der Vene nach oben glitten um in den Tiefen des Blutkreislaufes zu verschwinden, spürte ich nichts von dieser Luftinjektion. Ärzte 39

berichten, intravenöse Luftinjektionen seien erst ab dreißig vierzig - fünfzig Kubikzentimeter und mehr lebensgefährlich. Bestätigen, kann ich das natürlich nicht, weil ich nie über diese versehentlich injizierten zwei Kubikzentimeter hinaus gekommen bin. Trotzdem scheint es mir am vernünftigsten zu sein, das Injizieren auch geringster Luftmengen, und sicher kleinster fester Partikel, möglichst zu vermeiden. Lasst uns den Tempel so sauber wie möglich halten…!

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Shelly Shelly und Michelle waren beide sehr gut aussehende junge Frauen. Sie arbeiteten als Prostituierte und ich liebte sie beide. Daraus entstand ein Problem, das mir sehr zu schaffen machte, bis ich eine Lösung fand. Wir lebten zu dritt in Hotels und schliefen zusammen in einem Bett. Vögelte ich Michelle, rannte Shelly flennend aus dem Zimmer, vögelte ich Shelly, rannte Michelle davon. Sie konnten sich nie daran gewöhnen, dass ich sie beide liebte… Schließlich erzählte ich jeder unter vier Augen, sie sei meine einzige Liebe. Wir ließen die andere zurück, zögen zusammen in ein anderes Hotel und lebten nur noch miteinander. Danach verbrachte ich die Nächte abwechselnd mit beiden, eine Nacht mit Michelle in einem Hotel, die andere Nacht mit Shelly in einem anderen… Es war schwer zu verhindern, dass sich beide trafen und aussprachen. Ich war deshalb gezwungen, ihre Arbeitszeiten und Arbeitsorte zu regeln. Zum Teufel! Ich kannte Leute, die aus Liebe zu einer Frau ihre eigenen Eltern ermordet hatten! Ich sehe deshalb keinen Anlass, diese List aus Liebe zu zwei Frauen zu rechtfertigen! Wäre Shelly nicht so verrückt gewesen, ich wäre eines Tages vielleicht sogar alleine nur mit ihr weitergezogen. Wie die Dinge aber lagen, verschwand ich am Ende dann doch mit Michelle… Ging es um die Verwendung ihrer Medizin, wurde Shelly überraschend erfindungsreich. Bei Gott, fehlte es ihr an Wasser, 41

um ihre Medizin aufzukochen, spukte sie kurzerhand in den Löffel, kochte das Zeug im eigenen Speichel auf und murmelte unterdessen, „Das ist doch homogen, oder nich“? Sie dachte offenbar, das „homo“ im Wort „homogen“, bedeute „Mensch“, weshalb „homogen“ wahrscheinlich so viel wie „Zum Menschen gehörend“ bedeute, was in ihren Augen rechtfertigte, menschlichen Speichel intravenös in menschliche Körper zu knallen. Herrschte Mangel an originaler Medizin, griff Shelly zu Nembutal, (Pentabarbitalnatrium), das es damals noch in den Apotheken auf Normalrezept in gelben Gelatinekapseln als Schlafmittel gab. Man öffnete die Kapseln, löste den weißpulverigen Inhalt in Wasser und knallte sich das Zeug. Dabei entstand zwar nur ein spärliches Surrogat zur Heroinanflutung, das auch rasch wieder abebbte, aber es blieb ein schläfriger, belämmerter Zustand zurück, der in nebelhafter Weise beglückte. Ein Teil dieser Beglückung war darauf zurückzuführen, dass man mit dem Zeug im Blut zum kompletten Idioten wurde und damit noch die größten Dummheiten rechtfertigen konnte. Nembutal war somit der Stoff aus dem Narren ihre Freiheit woben. Heute verwenden sie das Zeug in der Schweiz zum vergiften von Lebensmüden, um Sterbehilfe zu leisten… Befand man sich unter dem Einfluss von Nembutal, gewöhnte man sich rasch an den Zustand und kam sich nach einiger Zeit völlig nüchtern vor. Das verleitete zu weiteren Injektionen, wodurch das Zeug im Blut akkumulierte und die Wirkung zunehmend stärker und stärker wurde, bis man am Ende lallte und torkelte wie ein Volltrunkener. Dabei kam man sich aber weiterhin völlig fit und zurechnungsfähig vor. Dass man kaum noch laufen und sprechen konnte, entging einem irgendwie. In 42

einem solchen Zustand befand sich Shelly, als sie im Hause ihrer Eltern zur Toilette wollte, die Tür öffnete und anstatt in den Toilettenraum, geradewegs in einen Wandschrank voll Porzellan marschierte. Da Shelly sich immer öfters unter dem Einfluss von Nembutal befand, war mit dem Weib zunehmend schwieriger zu leben. Ich versuchte es dennoch, zumindest solange, bis das Schicksal sie aus meinen Händen nahm… Wir erhielten von einem Arzt regelmäßig L-Polamidon Injektionslösung verordnet. Von diesem Arzt erfuhr ich eines Tages, Shelly sei schon seit Tagen nicht mehr bei ihm gewesen. Dafür hatten irgendwelche Leute aus einem kleinen Ort auf dem Lande angerufen und mitgeteilt, Shelly sei bei ihnen versumpft und befände sich in ziemlich hilflosem Zustand. Ich ließ mir die Anschrift geben, bestieg eine S-Bahn und fuhr hin… Die Leute wohnten in einem alten, rustikalen Bauernhaus. Shelly lag im oberen Stock in einem Kastenbett mit Christenkreuz darüber und schlief. Auf dem Nachtkästchen lagen ein Fläschchen Nembutal, eine Handvoll leerer Kapseln, ein Glas Wasser, ein Löffel und eine blutige Injektionsspritze. Eine geschlagene Stunde benötigte ich, bis ich die Göre auch nur halbwegs wach bekam. Kaum wieder in dieser Welt, ging ihr Griff sofort zum Nembutalfläschchen. Ich strich ihre Hand beiseite, nahm sie unter den Achseln und hob sie in sitzende Stellung. Ihr Kopf baumelte auf ihrem Hals wie der eines Neugeborenen. Ihre Augen hielt sie nur mit Mühe geöffnet. Als sie mich erkannte, lallte sie etwas von Zuckerstangen…

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Es waren keine „Experten“ nötig um festzustellen, Methadon taugte nicht als Ersatz für Heroin. Taugte es, gäbe es Menschen wie Shelly nicht. Da L-Polamidon sie nur ungenügend befriedigte, versuchte sie mit tragischen Resultaten, die fehlende Befriedigung mit Nembutal zu erlangen. Ich sah es als meine Aufgabe an, Shelly vom Nembutalfläschchen weg, aus diesem Haus und in die Stadt zu unserem Arzt zu bringen. Der Weg zur S-Bahn Haltestelle war reine Tortur. Ich trug Madam mehr, als dass sie lief… Im Bahnhof angekommen, nahmen wir in der bereitstehenden S-Bahn Platz. Ich sah auf die Uhr. Die Bahn hätte längst schon losfahren müssen. Zwanzig Minuten nach der geplanten Abfahrtzeit, stand sie noch immer am Bahnhof. Plötzlich betraten zwei uniformierte Polizisten den Wagon, begleitet von einem merkwürdigen Mann um die Sechzig, in Trachtenjacke und Kniebundhosen. Er sah erst zu uns, dann zu den beiden Polizisten, nickte und sagte, „Ja, das ist sie“… Es war der Landarzt der Gegend, den Shelly einige Tage zuvor wegen brauchbaren Rezepten aufgesucht hatte. Sie hätte auch jedes Rezept erhalten, hätte sie nur mit dem Schwein gevögelt. Aber sie hatte sich geweigert und die Praxis lieber ohne Rezepte wieder verlassen. Daraufhin beschloss dieser ethische Landarzt, Shelly aus Rache mithilfe der Polizei zwangsweise als „Drogensüchtige“ in ein Krankenhaus zu entführen. Verbittert, weil diese junge Frau ihm nicht die Beine breit gemacht hatte, stand er in der S-Bahn, die auf Befehl der Polizei extra auf sein Eintreffen gewartet hatte. Er dachte wohl, „Was bildeten solche drogensüchtigen Schlampen sich ein? Glaubten sie etwa, sie seien 44

noch Menschen mit Menschenrecht und Menschenwürde“? Sie nahmen Shelly mit und ich fuhr alleine zurück in die Stadt… Wie ich erfuhr, war Shelly in ein Landeskrankenhaus bei Mannheim gebracht worden, wo sie zur abrupten, medikamentenlosen Entwöhnung gezwungen wurde. Als sie die Folter hinter sich hatte, schaffte man sie „Zur weiteren Behandlung“ in das Landeskrankenhaus Haar bei München, wo man während der Kriegsjahre epileptische Kinder mit dem Nembutal verwandten „Luminal“ ermordet hatte. Dort gelang mir schließlich, sie zu befreien. Auf ihrem Weg zum Zahnarzt, nahm ich sie aus der Obhut zweier Krankenschwestern und fuhr mit ihr davon. Ich brachte sie sofort zu unserem Arzt, wo sie ohnehin hin wollte, als sie so brutal entführt worden war… Der ethische Landarzt hatte inzwischen viel Pech im Leben. So verlor beispielsweise sein BMW bei achtzig km/h ein Vorderrad. Er hatte Glück im Unglück und kam mit einer gebrochenen Hand davon. Wie der ADAC feststellte, waren die Halteschrauben des Rades nicht fest genug angezogen. Wenige Tage später verbrannte der gute Wagen bei einem Garagenbrand. Kaum waren die Versicherungsformalitäten erledigt, brannte das ganze Haus des ethischen Landarztes bis auf die Grundfesten nieder. So erging es zuweilen bösen Menschen. Ein kleiner Teufel erscheint und sorgt für ausgleichende Gerechtigkeit. In diesem Falle war es offenbar ein kleiner Feuerteufel. Nein, ich war nicht daran beteiligt, weder direkt noch indirekt. Ehrenwort! Ich erfuhr vom Pech des Schweins per Telefon von den Leuten aus dem rustikalen Bauernhaus…

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Solange Shelly nicht wieder morphingewöhnt war, verhinderte das Betäubungsmittelgesetz, dass ein Arzt L-Polamidon verordnete. Das trieb sie, und diesmal verschärft, direkt wieder zum Nembutal. Als ich eines Tages beim Arzt erschien, erfuhr ich, Shelly saß in der Praxis einer fremden Ärztin, die angerufen und gebeten hatte, jemand möge Shelly bei ihr abholen. Ich fuhr hin. Ich betrat die Praxisräume der fremden Ärztin, warf einen Blick in ihr volles Wartezimmer und klopfte dann an die Tür ihres Praxiszimmers. „Ich bin wegen Shelly hier“, erklärte ich. Die Ärztin bat, ich solle im Wartezimmer Platz nehmen und einige Augenblicke warten. Als ich im Wartezimmer saß, kam mir die ganze Situation merkwürdig vor. Wo, zum Teufel, steckte Shelly? Ich trat in den Korridor und öffnete dort eine Tür nach der anderen. Shelly lag in einem verdunkelten Zimmer auf einem Untersuchungstisch und schlief. Ich ohrfeigte sie wach, stellte sie in ihre Schuhe und drängte, „Komm! Wir müssen hier weg“! Als wir in den Korridor traten, standen dort zwei Polizisten. Unnötig zu sagen, sie brachten Shelly sofort wieder ins Irrenhaus… Da ich Shelly schon ein Mal aus dieser Klapsmühle entführt hatte, durfte ich sie nicht besuchen. Wenige Tage nach Shellys erneuter Unterbringung, flog ich mit Michelle in Urlaub. Zwei Wochen, wollten wir in Thailand verbringen. Es dauerte zwei Jahre, bis ich wieder nach Deutschland kam. Dort erfuhr ich nie, was aus Shelly geworden war. Trotz intensiver Suche, sah ich sie nie wieder…

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Das tägliche Leben Peter schaffte per Luftlinie Heroinhydrochlorid aus „Westdeutschland“ herbei. Wie es schien, kam es aus der DDR, wurde nach Westberlin gebracht und von Peter nach München geflogen. Schneeweißes Heroinhydrochlorid war damals schon selten. Es war bereits die Zeit der Heroinbase, braunes, oft übelriechendes Zeug, wie es zuvor noch keiner gesehen hatte. Nicht dass ich Basen grundsätzlich ablehnte. Es gab sogar ausgezeichnete Basen. Tatsächlich zog ich gute Basen jedem pharmazeutischen Heroinhydrochlorid vor. Opiumrückstände, Alkaloide, mit verestert während der Reaktion des Morphins zu Heroin, ergaben im Endprodukt nicht selten fantastisch wirkende Mischungen… Ich bekam das Zeug auf Pump und bezahlte erst wenn es verkauft war. Ich vertrieb es überwiegend auf dFen beiden Münchener Szenen, tagsüber an der Münchner Freiheit, gegen Abend bei der Discothek Down Town in der Dachauerstraße, unweit des Münchner Hauptbahnhofes und gleich neben dem Wienerwald Restaurant, wo diese verrückte alte Schrulle arbeitete, die einen kaltblütig auf die Straße warf, kam ihr der Verdacht, man habe mit „Drogen“ zu tun… Ich wohnte schon seit über einem Jahr nur noch in Hotels und Absteigen. Buden zum Teil, die der Bezeichnung Hotel lange nicht gerecht wurden. Ich kannte so ziemlich jede Übernachtungsmöglichkeit der Stadt, vom Sheraton bis hinab zur Pension Enzian in der Schillerstraße, an der Ecke mit dem 47

Musikladen, wo es günstig seltene Ibanez Gitarren zu kaufen gab. Dass ich so ziemlich alle Hotels und Absteigen der Stadt kannte, hatte natürlich seine Gründe. Es gelang mir einfach nie, längere Zeit in ein und demselben Hotel zu bleiben, weil ich jeden Abend mit brennender Zigarette einschlief und dadurch grundsätzlich das Bettzeug samt Matratze verbrannte. Faustgroße Löcher schmorte ich in die Matratzen. Um den Schaden vor dem Zimmermädchen zu verbergen, drehte ich sie auf die andere Seite. Doch waren erst beide Seiten mit faustgroßen Löchern besät, war es Zeit wieder weiterzuziehen. Am Morgen dieses Freitag des 13. hatte ich mich hinter der Bayerstraße, an einer Eck der Dachauerstraße, im zweiten Stock eines Hotels einquartiert… Rolf half mir beim verkaufen von Peters Ware. Er fuhr ein japanisches Auto, klein, wendig und flitzeschnell. Eines Abends folgte uns ein Wagen. Er fuhr schon seit einer halben Stunde hinter uns her. Niemand, außer der Polizei, hatte ein Interesse uns zu verfolgen. „Fahre hier rechts ab“, riet ich Rolf, „und hier wieder rechts, die nächste wieder rechts und dann wieder rechts“. Dadurch fuhren wir im Kreis. War dieser Wagen dann noch immer hinter uns her, bestand kein Zweifel daran dass er uns verfolgte. Und tatsächlich, er war danach noch stets hinter uns. Wir hielten an einer roten Ampel. „Schalte den rechten Blinker ein“, riet ich Rolf. Durch den Rückspiegel sah ich, dass nun auch der Wagen hinter uns nach rechts blinkte. Sobald die Ampel auf Grün sprang und der Verkehr zu fließen begann, rief ich, „Und jetzt fahre rasch links weg“. Der Trick klappte meist. Durch das Rückfenster sah ich, wie der Wagen hinter uns in die Falle gegangen war. Der Verkehr floss bereits und es blieb ihm nichts anderes übrig, als tatsächlich nach rechts abzubiegen. Ich sah 48

noch, wie der Beifahrer sich nach uns umdrehte und verärgert die Faust schwang. Pfeifen! Wollten sie uns verfolgen, mussten sie schon früher aufstehen…! Wir fuhren aus der Stadt und verbargen ein Päckchen mit zehn ein Gramm Briefchen hinter einem dieser dreieckigen Streusandkästen in denen Sommers Stadtstreicher schliefen und Winters Streusand aufbewahrt wurde. Danach fuhren wir ohne Ware wieder in die Stadt zurück und direkt vor das Down Town. Wir nahmen zehn Bestellungen für je ein Gramm entgegen, verteilten die Kunden über verschiedene Stellen der Stadt und ließen sie dort warten. Danach achteten wir gut darauf dass uns keiner folgte. Wir holten die Briefchen wieder hinter dem Streusandkasten hervor, fuhren alle wartenden Kunden ab und bedienten jeden… Es war bereits spät geworden. Wir wollten noch zu Peter um die letzte Ladung zu bezahlen und eine neue für den nächsten Tag zu holen. Wir wollten gerade losfahren, als Albert daherkam. Albert war so entwöhnungskrank dass er vor Elend kaum auf den Beinen halten konnte. Geld, um die richtige Medizin zu kaufen, hatte er keines. Er tat uns so leid dass wir beschlossen ihm zu helfen. „Rolf und ich holen neue Ware“, sagte ich zu ihm. „Davon geben wir dir etwas ab, damit du dich gesund machen kannst“. Wir packten Albert auf den Rücksitz von Rolfs Japaner und fuhren los… Ich ließ Rolf einige Ecken vor Peters Wohnung parken. Es dauerte keine zwanzig Minuten und ich war mit einem weißen Briefumschlag, gefüllt mit fünfzehn Gramm Heroinhydrochlorid 49

wieder zurück. Wir fuhren zu meinem Hotel. Dort parkte Rolf seinen Flitzer an einer schlecht beleuchteten Stelle und wartete im Wagen bis ich in meinem Hotelzimmer seine Portion abgewogen hatte. Albert nahm ich mit ins Zimmer, damit er sich dort gleich eine Injektion verabreichen konnte. In der Empfangshalle des Hotels war kein Pförtner zu sehen. Er vertrieb sich wohl die Zeit mit einem Stapel Kinderpornohefte auf der Toilette, dachte ich, während ich den Zimmerschlüssel vom Brett nahm… Im Zimmer angekommen, verschloss ich die Tür und holte meinen Aktenkoffer aus dem Schrank. Der Inhalt dieses Koffers mochte manchen Leuten ein Rätsel sein. Unterlagen oder Kleidungsstücke enthielt er jedenfalls keine. Dafür aber mehrere Einmalspritzen, neue und gebrauchte, einen verrußten Esslöffel, eine ebenfalls verrußte kleine Soßenkelle, einige zerrupfte Tampons, eine Batterie betriebene Digitalwaage und einen kleinen, in der Hand zu haltenden Bunsenbrenner, der mit Feuerzeuggas zu füllen war, plus drei Flaschen Feuerzeuggas und ein merkwürdiges kleines Kunststoffschächtelchen voll staubiger brauner Wattebällchen… Diese Wattebällchen waren meine Notreserve. Ich machte es wie Eichhörnchen und schaffte für schauerliche Zeiten Notrationen beiseite. Bereitete ich eine Injektion, zupfte ich etwas Watte von einem Tampon, drehte sie zwischen den Fingern zu einem Bällchen und warf das Bällchen in die aufgekochte Heroinlösung. Ich drückte die nadellose Spitze der Injektionsspritze auf das mit Lösung durchtränkte Wattebällchen und sog die Lösung durch das Bällchen in die Spritze. Danach 50

drückte ich gerade so viel Lösung wieder ins Bällchen zurück, wie es fassen konnte und gab es dann in mein Kunststoffschächtelchen wo es trocknete. Auf diese Weise entstand mit der Zeit eine gute Notreserve. Zwei dieser getrockneten Wattebällchen, aufgekocht in etwas Wasser, ergaben eine Heroinlösung, stark genug um die meisten Verwender der Straße aus den Schuhen zu fegen. Bevor ich anfing diese Wattebällchen zu sammeln, ließ ich vor jeder Injektion einige Tropfen in meine Hemdtasche fallen. Diese Hemdtasche wurde mit der Zeit steif imprägniert mit Heroin. Das Hemd sollte in Notfällen als letzte Rettung dienen. Da aber keine Notfälle eintraten, trennte ich eines Tages die Hemdtasche und das darunter liegende Gewebe vom Hemd, kochte alles aus und hielt mich mit der gewonnenen Lösung mehrere Tage lang fröhlich… Albert nahm auf dem Bett Platz. Ich reichte ihm aus dem Umschlag eine Messerspitze des weißen Pulvers. Mit den fahrigen Bewegungen des Entwöhnungskranken, nahm Albert es entgegen. Er kramte sein Spritzbesteck hervor und bereitete eine Injektion. Ich verpasste mir unterdessen auch eine. Danach nahm ich die Digitalwaage aus meinem Koffer, wog aus dem Umschlag vier einzelne Gramm ab und packte jedes in ein Papierbriefchen. Man faltete diese Briefchen übrigens genauso wie man in der Diamantbranche einzelne Diamanten verpackt. Nur verwendete man dort kein Papier, gerissen aus alten Zeitungen oder einem Bogen Briefpapier, sondern so genanntes Diamantpapier, hellblaue, quadratische Papierstücke, die auf einer Seite mit dünnem, durchsichtigem Kunststoff beschichtet sind...

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Eines der vier Gramm war für Rolf gedacht, der unten im Wagen wartete. Es sollte ihn über die Nacht helfen, bis wir uns am nächsten Tag wieder trafen. Die restlichen drei Gramm waren für drei Nutten gedacht, die in einem Puff in der Schillerstraße arbeiteten und darauf vertrauten dass ich sie zuverlässig versorgte… Albert lag unterdessen mit geschlossenen Augen auf dem Bett. Die Injektion hatte ihm sichtlich gut getan. Sein Gesicht wirkte entspannt und er atmete ruhig und regelmäßig. Seine blutige Spritze und sein rußiger Löffel lagen auf der Bettdecke neben ihm. Auf dem Tisch lagen die Digitalwaage, mein Messer, vier säuberlich gefüllte und gefaltete ein Gramm Briefchen, der Umschlag mit den restlichen zehn Gramm und mein geöffneter Aktenkoffer… Plötzlich wurde an die Tür geklopft, ein kräftiges Klopfen, fast schon ein Hämmern und eine Männerstimme rief, „Aufmachen! Polizei“! Diese Worte, gerufen in der gegebenen Situation, hatten in etwa die Wirkung eines Eiszapfens, der einem urplötzlich in den Arsch gerammt wurde. Albert war mit einem Schlag auf den Beinen. Hellwach, packte er hastig seine Utensilien weg. Ich warf die Digitalwaage in den Aktenkoffer und schloss ihn. Danach reichte ich Albert den Umschlag mit den restlichen zehn Gramm und befahl, „Nimm das und werfe es sofort aus dem Fenster“! Zwischen Zimmer und Zimmertür lag ein Korridor von etwa vier Metern. In der Annahme, Albert werfe das Zeug aus dem Fenster, ging ich den Korridor entlang und öffnete die Tür. Zwei uniformierte Polizisten traten ein. Einer war europäischer, der 52

andere afrikanischer Abstammung. Sie hatten einen Haftbefehl auf meinen Namen bei sich. Ich ging den beiden voraus zum Zimmer. Dort sah ich Albert am Fenster stehen, unschlüssig, ob er den wertvollen Umschlag tatsächlich hinaus werfen sollte. Das Fenster war in gekippter Stellung geöffnet. Albert stand davor und hielt den Umschlag am hochgestreckten Arm aus dem geöffneten Fenster. „Nun mach schon“, raunte ich ihm zu. Doch Albert warf den Umschlag nicht hinaus. Er legte ihn oben auf das aufgekippte Fensterblatt, wandte sich ab und trat zur Zimmermitte… All dies geschah während die Polizisten noch hinter mir im Korridor standen und das Zimmer noch nicht überblicken konnten. Doch im nächsten Moment traten sie nach vorne und sahen Albert stehen. Der verlor beim Anblick der Polizei sofort alle Fassung. Er wurde kalkweiß und begann am ganzen Leib zu zittern. Der farbige Polizist sah überrascht auf Albert und murmelte seinem Kollegen zu, „Weshalb zittert der so“? Sein Kollege, nicht auf den Kopf gefallen, kam sofort zu dem Schluss, „Das ist bestimmt ein Rauschgiftsüchtiger“. Kaum war dies Wort gefallen, stürzten die beiden sich auf Albert… Der „Rauschgiftsüchtige“ musste seine Taschen leeren und die Hose herablassen. Dabei fielen seine blutige Spritze und sein rußiger Löffel zu Boden. Das überzeugte die beiden Polizisten endgültig, hier war „Rauschgift“ im Spiel. Ich stand unterdessen völlig unbeachtet am Tisch als gehörte ich nicht dazu. Dabei waren die beiden Polizisten doch ursprünglich wegen mir gekommen. Sie hatten einen Haftbefehl auf meinen Namen…

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Ich blickte auf den Tisch, wo noch die zuvor abgepackten vier Briefchen mit je einem Gramm lagen. Sie reichten für mehrere Jahre Gefangenschaft. Die Polizisten standen mit ihren Rücken zu mir und waren weiterhin mit ihrem „Rauschgiftsüchtigen“ beschäftigt. Ich nahm die vier Briefchen vom Tisch und ließ sie in meine Unterhose gleiten. Völlig im Rauschgiftwahn gefangen, stellten die Polizisten das Zimmer auf den Kopf… Während der Europäische der beiden das Bett auseinander riss, marschierte sein farbiger Kollege zum Fenster. Dort tastete er mit den Fingern zuerst die Unterseite des Fensterbrettes ab. Ich sah ihm aus den Augenwinkeln zu. Über ihm, auf dem gekippten Fensterblatt, sah ich deutlich den Umschlag liegen. Schon glitten die Finger des Polizisten an den Seiten des Fensterblattes hoch. Oben angekommen, tasteten sie die Oberkante des Fensters ab. Schon näherten die Finger sich bedrohlich dem Umschlag, sie berührten ihn schon fast, als der Polizist seine Hände herab nahm und seinem Kollegen über seine Schulter hinweg zurief, „Am Fenster ist nichts“! Vorsichtig, damit niemand es hörte, ließ ich meinen angehaltenen Atem aus… Der farbige Polizist hatte sich schon vom Fenster abgekehrt, als ihm einfiel, er müsse es schließen. Er drehte sich abermals zum Fenster, packte den Fenstergriff und drückte dagegen. Doch das Fenster schloss nicht, weil oben, zwischen Fensterblatt und Fensterrahmen, der Umschlag eigeklemmt wurde. Der Polizist bemerkte den Widerstand, begriff aber nicht seine Ursache. Er glaubte offenbar, das Fenster schlösse nur schlecht. Er hämmerte mit der Faust gegen den Rahmen des Fensterblattes. Dabei riss 54

oben der Umschlag und weißes Pulver rieselte wie Kalk direkt vor der Nase des Bullen herab. Er mochte es tatsächlich für Kalk gehalten haben, denn er registrierte es nicht. Nach einem letzten kräftigen Hieb seiner Faust, schloss das Fenster. Er packte den Griff, drehte ihn, verriegelte somit das Fenster und wandte sich endgültig ab. Oben, zwischen Fensterblatt und Fensterrahmen eingeklemmt, quoll der gerissene Umschlag hervor und sandte, als ringe er gequält nach Atem, kleine, weiße Staubwölkchen in den Raum… Beim Fenster fertig, half der Polizist seinem Kollegen, unter den Teppich zu sehen. Danach sah er auf dem Tisch mein Schnappmesser liegen, ein teures, automatisches Messer mit Griffschalen aus grünem Perlmutt. Er nahm es, sah kurz zu mir, sagte, „Das ist ein verbotenes Messer“, und schob es in seine Hosentasche. Ich sah es nie wieder. Menschen meiner Sorte, durfte man getrost bestehlen. Sie waren keine wirklichen Menschen. Sie waren nicht mehr als der Schmutz in den Ritzen des Asphalts. Recht auf persönlichen Besitz, stand ihnen nicht zu. Schließlich untersuchten die beiden noch den Schrank. Als auch dort kein „Rauschgift“ zu finden war, kamen sie zu dem Schluss, in diesem Zimmer gäbe es nichts mehr zu finden. Derweil hing gut sichtbar oben am Fenster der Umschlag mit meinem feinen Heroin und gab in aller Stille weiße Staubwölkchen von sich… Fertig mit dem Durchsuchen des Zimmers, wandten die Polizisten sich wieder dem „rauschgiftsüchtigen“ Albert zu. Sie standen mit ihren Rücken zu mir und stellten Albert irgendwelche dummen Fragen. Dabei fiel mein Blick auf die Pistolen, die an ihren Gürteln hingen und mir fiel ein, eine solche Pistole hatte ich auch. Sie lag in der Schublade des Nachtkästchens. Es war zwar 55

nur eine Gaspistole, aber sie sah exakt so aus, wie die Walther PPK's an den Gürteln der Polizisten. Ein Plan kam mir in den Sinn. Ich nähme die Pistole aus dem Nachtkästchen und bedrohte damit die beiden Polizisten. Daraufhin müsste Albert ihnen die Waffen abnehmen und sie mir zuwerfen.
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