Der Deutsche Herbst des Terrorjahres 1977 hat die Öffentlichkeit bewegt wie kaum ein anderes Ereignis des deutschen...
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Samstag, 1. September 2007
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Serie: Der Deutsche Herbst (Teil 1)
Es begann mit einem Massaker Vor 30 Jahren entführten Terroristen den Industriellen Schleyer, um die Spitze der RAF freizupressen VON WOLFGANG BLIEFFERT
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ontag, 5. September 1977. Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer verlässt das Büro des Arbeitgeberverbandes in Köln und lässt sich von seinem Chauffeur nachhause fahren. Hinter seinem Wagen folgen drei Personenschützer in einem zivilen Polizeifahrzeug. Seit dem Mordanschlag auf Generalbundesanwalt Siegrifried Buback im April gehört Schleyer zu den gefährdetsten Person der Bundesrepublik. Es ist 17.25 Uhr, als Schleyers Wagen von der FriedrichSchmidt-Straße in die Vincenz-Statz-Straße abbiegt. Urplötzlich stößt ein Auto auf die Fahrbahn zurück. Schleyers Fahrer muss scharf bremsen, der zweite Wagen kann nicht mehr stoppen und fährt auf. Vier Personen, die an der Ecke gewartet haben, reißen ihre Sturmgewehre vom Typ Heckler & Koch aus einem blauen Kinderwagen und eröffnen das Feuer, der Chauffeur und die drei Polizisten sterben im Kugelhagel. Der Arbeitgeberpräsident selbst bleibt unverletzt. Die Männer zerren ihn aus dem Dienstwagen und brausen in einem VW-Bully davon. Hanns Martin Schleyer ist in den Händen der RAF, der terroristischen Roten Armee Fraktion. Mit dem Kölner Blutbad startet die RAF ihre spektakulärste Aktion zur Freipressung ihrer führenden Mitglieder, darunter die seit Jahren in
Tatort Köln: Ein Wagen der Terroristen (oben rechts) stieß plötzlich zurück auf die Vincenz-Statz-Straße. Hanns Martin Schleyers Chauffeur musste scharf bremsen, das Fahrzeug der Personenschützer fuhr auf. Die Terroristen eröffneten das Feuer. Foto: dpa Stuttgart-Stammheim einsitzenden Andreas Baader und Gudrun Ensslin. Die Überlegung der RAF: Mit einer so hochkarätigen Geisel wie Hanns-Martin Schleyer in den Händen muss die Bundesregierung nachgeben. Schleyer ist für sie der
HINTERGRUND
Die Toten von Köln Im Kugelhagel der RAF-Terroristen starben die Personenschützer Reinhold Brändle (41), Helmut Ulmer ( 24) und Roland Pieler (20) sowie Schleyers Chauffeur Heinz Marcisz. Am Kölner Tatort an der Ecke Friedrich-Schmidt-Stra-
ße/Vincenz-Statz-Straße erinnern eine Stele und ein Kreuz mit Fotos der Opfer an den brutalen Mord vom 5. September 1977. Regelmäßig finden dort private oder offizielle Gedenkveranstaltungen der Stadt statt.
Erinnern Sie sich? Schreiben Sie uns!
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er Deutsche Herbst des Terrorjahres 1977 hat die Öffentlichkeit bewegt wie kaum ein anderes Ereignis des deutschen Nachkriegsgeschichte: Entsetzen über die kaltblütige Ermordung Unschuldiger; Debatten über die Frage, wie das Leben Hanns-Martin Schleyers gerettet werden könnte; Freude über die Befreiung der „Landshut“-Geiseln; Trauer um Hanns-Martin Schleyer; aber auch Sorgen, ob der Rechtsstaat bei der Bekämpfung des RAF-Terrorismus nicht auch über das Ziel hinausgeschos-
Boss der Bosse, Repräsentant des Kapitalismus schlechthin, der die Welt in seinem Würgegriff hält. Die Regierung ist in dieser Weltsicht nur der Büttel des Kapitals, lächerliche Marionette an den Fäden der Großindustrie. Und hatte Kanzler Helmut Schmidt (SPD) nicht schon der Freilassung von Terroristen zugestimmt, als die „Bewegung 2. Juni“ zweieinhalb Jahre zuvor den Berliner CDU-Politiker Peter Lorenz entführt hatte? Aber gerade die Erfahrung im Fall Lorenz ist es, die den Bundeskanzler diesmal hart bleiben lässt. Die damalige Entscheidung hält Helmut Schmidt für falsch, das Nachgeben gegenüber der Gewalt habe nur neue Gewalt nach
sich gezogen. Im großen Krisenstab, dem die wichtigsten Minister des Kabinetts und die Spitzen der Sicherheitsbehörden ebenso angehören wie Vertreter des Bundestages und der Länder sowie der parlamentarischen Opposition, wird eine gemeinsame Linie mit drei Zielen formuliert: • Es wird auf Zeit gespielt, damit Schleyer lebend befreit werden kann. Schmidt verlässt sich auf den Optimismus von Horst Herold, den Chef des Bundeskriminalamtes, dessen computergestütztes Fahndungssystem nun anläuft. • Die Geiselnehmer sollen gefasst und vor Gericht gestellt werden. • Dabei darf die Handlungsfä-
Unbequem und umstritten Hanns Martin Schleyer - Symbolfigur der deutschen Wirtschaft
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sen ist, ob Grundsätze und Grundwerte zur Disposition gestellt wurden. Wir fragen Sie, liebe Leserinnen und Leser, wie Sie heute - 30 Jahre danach - die Ereignisse des Jahres 1977 beurteilen. • Schreiben Sie unter dem Stichwort „Deutscher Herbst“ an die HNA-Politikredaktion, Frankfurter Straße. 168, 34121 Kassel • oder faxen Sie uns an 0561 203 2334 • oder mailen Sie an
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NEUE SERIE
Sechs Wochen im Herbst Sechs quälend lange Wochen dauerte das Geiseldrama um den entführten Hanns-Martin Schleyer, die bislang härteste Herausforderung, der sich der deutsche Rechtsstaat gegenübersah. In den nächsten sechs Wochen werden wir an dieser Stelle einen Blick zurückwerfen auf den deutschen Herbst 1977. Lesen Sie unter anderem:
• Die Rote Armee Fraktion (RAF) - Geschichte eines Irrweges • Der Krieg der Frontsoldaten - wie die Regierenden auf die RAF reagierten • Vom RAF-Terror zu den Antiterrorgesetzen - der Staat im Dilemma • Die Nacht von Mogadischu wie Geiseln die „Landshut“Entführung heute sehen. (bli)
higkeit des Staates und das Vertrauen in ihn nicht gefährdet werden. In der unausgesprochenen Konsequenz bedeutet das: Die RAF-Gefangenen werden nicht freigelassen. In einem Interview mit dem Dokumentarfilmer Heinrich Breloer („Todesspiel“) sagte Schmidt Jahre später auf die Frage, ob damit nicht von Anfang an das Leben Schleyers zur Disposition gestellt worden sei: „Der Ausdruck zur Disposition - das kann ich nicht akzeptieren. Dass er gefährdet war, das war uns allen klar.“ So beginnt ein wochenlanges Tauziehen um das Leben Schleyers. • Nächste Folge: Mörder aus der Mitte der Gesellschaft: die Rote Armee Fraktion.
Hanns Martin Schleyer - am 5. September 1977 in Köln entführt, am 19. Oktober im Elsass ermordet aufgefunden. Foto: dpa
anns Martin Schleyer der Mann mit dem markanten Schmiss im Gesicht war 1977 eine der Symbolfiguren der deutschen Wirtschaft - und damit das ideale Opfer für die RAF. Seit 1963 im Vorstand von Daimler-Benz, seit 1973 Präsident der deutschen Arbeitgeber (BDA), seit 1977 zusätzlich Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), zudem als unbequemer Verhandler in Tarifrunden gefürchtet - aus der Sicht der Terroristen der skrupellose Kapitalist schlechthin. Aber auch wegen seiner Vergangenheit im Dritten Reich - Schleyer, 1915 in Offenburg geboren, war früh Mitglied der SS, dann Nazi-Studentenführer und schließlich an einflussreicher Stelle im besetzten Prag tätig - war er für viele eine Reizfigur. 1939 heiratete Hanns-Martin Schleyer Waltrude Ketterer. Aus ihrer Ehe gingen vier Söhne hervor. Nach seinem Tod gründeten der BDA und der BDI die Hanns-Martin-Schleyer-Stiftung, die junge Wissenschaftler im Bereich der Rechts-, Wirtschafts- und Kulturwissenschaften fördert. (dpa/bli)
Chronik eines Dramas Der „Deutsche Herbst“ im Terrorjahr 1977 dauerte mehr als sechs Wochen. Eine Chronologie: • 5. September: Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer wird in Köln von einem Kommando der Roten Armee Fraktion (RAF) entführt. Schleyers Fahrer und drei Leibwächter sterben im Kugelhagel. Eine sofort ausgelöste Großfahndung bleibt ohne Erfolg. In Bonn tritt ein „Großer Krisenstab“ unter Leitung von Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) zusammen. • 6. September: In einem ersten von mehreren Ultimaten an die Bundesregierung drohen die Entführer mit der Ermordung Schleyers, falls nicht elf RAF-Häftlinge freigelassen und an einen Ort ihrer Wahl ausgeflogen würden. • 7. September: Die Regierung verordnet eine „Kontaktsperre“ für inhaftierte RAF-Mitglieder, die Ende des Monats in einem Eilverfahren auch gesetzlich beschlossen wird. • 9. September: Ein Hinweis auf Schleyers erstes Versteck in einem Hochhaus in Erftstadt-Liblar südwestlich von Köln wird übersehen.
Unnachgiebiger Kanzler: Helmut Schmidt 1977 • 13. Oktober: In Absprache mit der RAF kapern vier Palästinenser die Lufthansa-Maschine „Landshut“ mit 91 Menschen an Bord. Die Luftpiraten bekräftigen die Forderungen der SchleyerEntführer. Der über 9000 Kilometer lange Irrflug endet am 17. Oktober in Mogadischu (Somalia). Am Tag zuvor hatten die Terroristen in Aden (Jemen) Flugkapitän Schumann erschossen. • 16. Oktober: Das Bundesverfassungsgericht weist einen Eilantrag von Schleyers Familie ab, mit der die Regierung zur Freilassung der RAF-Gefangenen gezwungen werden sollte. • 18. Oktober: Kurz nach Mitternacht stürmt die Anti-Terroreinheit GSG 9 die Maschine und befreit die Geiseln unversehrt. Bei der Aktion werden drei Terroristen getötet. Schmidts Krisenmanager, Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski, meldet dem Kanzler telefonisch: „Die Arbeit ist erledigt.“ Wenige Stunden danach begehen die RAF-Häftlinge Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in StuttgartStammheim Selbstmord. • 19. Oktober: Schleyers Leiche wird mit Kopfschüssen im Kofferraum eines Autos in Mülhausen (Elsass) gefunden. (dpa)
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Samstag, 8. September 2007
SZ−ZG2
Serie: Der Deutsche Herbst (Teil 2)
Von der Spaß- zur Stadtguerilla
Die Panne
Was als moralischer Protest begann, endete in mörderischem Terror - die RAF und ihre Vorgeschichte
Frankfurter Kaufhausbrandstifter-Prozess 1968: Die Angeklagten (von links) Thorwald Proll, Horst Söhnlein, Andreas Baader und Gudrun Ensslin rauchen vor der Urteilsverkündung demonstrativ im Gerichtssaal. Sie erhielten jeweils drei Jahre Haft. Baader und Ensslin gehörten später zu den Gründern der Roten Armee Fraktion und nahmen sich 1977 in der Haft das Leben. Söhnlein saß seine Strafe ab, ebenso der aus Kassel stammende Proll, der seit 1978 als Buchhändler in Hamburg lebt. Foto: dpa VON WOLFGANG BLIEFFERT
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er Gerichtssaal als Komödienstadl, die Angeklagten als Politclowns – so inszenieren sich die vier jungen Leute, denen im Oktober 1968 in Frankfurt der Prozess gemacht wird. Die Anklage lautet auf Brandstiftung, hatten die vier doch dafür gesorgt, dass in zwei Warenhäusern Feuer ausbrach und Sachschaden entstand. Die Angeklagte Gudrun Ensslin, Pfarrerstochter aus Tuttlingen, spricht von einer Protestaktion: „Ich interessiere mich nicht für ein paar verbrannte Schaumstoffmatratzen, ich rede von verbrannten Kindern in Vietnam.“ Was als moralische Empörung über den Krieg der Amerikaner in Südostasien begann, eskaliert in den folgenden Monaten und Jahren. Aus Brandstiftern werden Terroristen, aus der Spaßguerilla die Stadtguerilla. Nicht einmal zehn Jahre später - im Herbst 1977 - fordert die Rote Armee Fraktion (RAF) den Staat in
noch nie gekannter Weise heraus. Zu den Toten gehören am Ende auch Ensslin und Andreas Baader. Rückblick in die 60er-Jahre: Die Jugend, vor allem die studentische, begehrt auf, nicht nur in Deutschland. Demonstrationen, Go-ins und Sit-ins sind an der Tagesordnung, protestiert wird gegen den Vietnamkrieg und die Notstandsgesetze, demonstriert wird für Studienreformen und mehr Demokratie. In Wohnkommunen werden neue Lebens- und Liebesformen ausprobiert, in den Familien wird die Elterngeneration nach der Nazi-Vergangenheit gefragt. West-Berlin ist ein Zentrum des Protests. Bei einer Demonstration gegen den Schah von Persien wird am 2. Juni 1967 der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen - es ist ein Schuss in viele Köpfe. Und als am Gründonnerstag 1968 der Studentenführer Rudi Dutschke von einem rechtsradikalen Arbeitslosen angeschossen und schwer verletzt wird, brechen
tagelange Unruhen in vielen westdeutschen Städten aus. Es gibt zwei Tote. In Teilen der Protestbewegung setzt nun eine schnelle Radikalisierung ein. Diskutiert wird nicht mehr nur über Gewalt gegen Sachen. Mit der Befreiung des Kaufhausbrandstifters Andreas Baader am 14. Mai 1970 beginnt sich die Rote Armee Fraktion zu for-
LESER
Schreiben Sie uns Wir fragen Sie, liebe Leserinnen und Leser, wie Sie heute - 30 Jahre danach die Ereignisse des Jahres 1977 beurteilen. Schreiben Sie uns unter dem Stichwort „Deutscher Herbst“ • an die HNA-Politikredaktion, Frankfurter Straße 168, 34 121 Kassel • oder faxen Sie an 0561 203 2334 • oder mailen Sie an
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mieren. Sie sieht sich als Teil einer weltweiten Befreiungsarmee gegen US-Imperialismus und Kapitalismus. Die RAF begeht Banküberfälle, unter anderem in Kassel und Berlin, und verübt Bombenanschläge, etwa auf Einrichtungen der US-Truppen und das Springer-Hochhaus in Hamburg.
Zu Tode gehungert Aber schon zwei Jahre später gehen Baader, Ensslin und Meinhof den Sicherheitsbehörden ins Netz. Die Haftbedingungen sind umstritten, die RAF spricht von Isolationsfolter und organisiert Hungerstreiks, der Terrorist Holger Meins kommt dabei ums Leben. Es gelingt der RAF, eine Sympathisantenszene zu mobilisieren, die weit ins bürgerliche Lager reicht. Hilflos verweist der Staat auf Fernseher, Radios, Zeitschriften und andere Sondervergünstigungen in den Zellen. Vom Anspruch des antiimperialistischen Kampfes ist bei der so genannten zweiten Ge-
neration der RAF nicht mehr viel zu spüren. Die Befreiung der Genossen in deutschen Haftanstalten ist zum Hauptziel geworden. Im April 1975 überfällt ein RAF-Kommando die deutschen Botschaft in Stockholm, um deren Freilassung zu erpressen, zwei deutsche Diplomaten sterben. Doch die Regierung von Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) bleibt hart. Aus ihren Zellen heraus drängt die RAF-Spitze nun immer entschiedener auf den großen Befreiungsschlag, auf „big raushole“. Generalbundesanwalt Siegfried Buback und Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto werden ermordet. Und am 5. September 1977 wird Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer entführt, seine vier Begleiter werden erschossen. • Dritte Folge: Der Kampf der Frontsoldaten Kanzler Schmidt und der Krisenstab. • Die einzelnen Teile der Serie „Der Deutsche Herbst“ können Sie online nachlesen unter www.hna.de/politik
„Und natürlich kann geschossen werden“ Zur Person: Ulrike Meinhof, Gründungsmitglied der RAF VON WOLFGANG BLIEFFERT
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lrike Marie Meinhof, geboren 1934 Oldenburg, war nicht nur Gründungsmitglied der Roten Armee Fraktion (RAF), sondern auch lange Zeit deren intellektueller Kopf. Von 1959 bis 1969 arbeitet sie für die linke Zeitschrift konkret, mit deren Herausgeber Klaus Rainer Röhl sie verheiratet ist und zwei Kinder die Zwillinge Regine und Bettina - hat. In dieser Zeit lernt sie das Leben der Hamburger Schickeria kennen, dennoch wird sie durch ihre Kommentare in konkret zu einer bundesweit bekannten Symbolfigur der außerparlamentarischen Linken. Bei der Berichterstattung über den Frankfurter Kaufhaus-Brandstifterprozess lernt sie die Angeklagten kennen. Sie ist vor allem beeindruckt von Andreas Baaders Radikali-
tät. Zum Prozess schreibt sie: „Das progressive Moment einer Warenhausbrandstiftung liegt nicht in der Vernichtung von Waren, es liegt in der Kriminalität der Tat, im Gesetzesbruch.“ Und so ist Ulrike Meinhof dabei, als der verurteilte Baader am 14. Mai 1970 befreit wird. Im Lesesaal des Deutschen Zentralinstituts für Soziale Fragen in Berlin wird dabei ein Angestellter angeschossen und schwer verletzt. Die Befreiung kann als eine Art Gründungsakt der RAF bezeichnet werden. In einem Tonbandinterview erklärt Meinhof einer französischen Journalistin wenige Tage später: „Wir sagen natürlich, die Bullen sind Schweine. Wir sagen, der Typ in Uniform ist ein Schwein, kein Mensch. Und so haben wir uns mit ihnen auseinanderzusetzen. Das heißt, wir haben nicht mit ihm zu reden, und es ist
falsch, überhaupt mit diesen Leuten zu reden. Und natürlich kann geschossen werden.“ Meinhof hat den Weg in die Illegalität gewählt, ist in den folgenden Monaten an Banküberfällen und Bombenanschlägen beteiligt, bei denen vier Menschen sterben. 1972 wird sie verhaftet, erhält wegen des Attentats auf das Stammhaus des Axel Springer Verlages in Hamburg acht Jahren Freiheitsstrafe. Im Mai 1975 wird sie im Stammheimer RAF-Prozess wegen Mordes angeklagt. In den folgenden Monaten verschlechtert sich das Verhältnis zwischen ihr und den anderen Angeklagten. Gudrun Ensslin beschimpft sie in einem Kassiber als „zu schwach“ für den revolutionären Kampf“. Am 8. Mai 1976 erhängt sich Ulrike Meinhof mit Handtuchstreifen an ihrem Zellenfenster.
Tod in Stammheim: Ulrike Meinhof (1934-1976).
Foto: dpa
Ferdinand Schmitt hätte ein Held werden können. So dicht wie der Polizist aus Erftstadt-Liblar bei Köln war im September 1977 niemand der Roten Armee Fraktion (RAF) auf den Fersen. „Hanns Martin Schleyer könnte noch leben“, sagt der Polizeibeamte a.D. heute. Rückblick: Im Großraum Köln schwärmen gleich nach der Entführung hunderte Polizeibeamte aus, um Wohnungen zu finden, die in das Raster passen, das die Computer von BKA-Präsident Horst Herold für die RAF-Wohnungen ermittelt haben: anonym, in unmittelbarer Nähe einer Autobahn gelegen sowie mit Tiefgarage und Lift ausgestattet. Das Haus „Zum Renngraben 8“ in Erftstadt-Liblar mit 130 Wohnungen passt in dieses Raster. Und als Polizist Schmitt am 7. September den Hausmeister nach Auffälligkeiten bei Anmietungen in letzter Zeit fragt, wird in Apartment 104 tatsächlich gerade Schleyer gefilmt. Er fleht, die Forderungen der Terroristen zu erfüllen. Als Schmitt mit der Hausverwaltung spricht, riecht er Lunte: Die 800 Mark Kaution sind von ei-
1977 der RAF auf der Spur: Ferdinand Schmitt, damals Fot: dpa. Polizist. ner Frau namens Annerose Lottmann-Bücklers mit einem Bündel Geldscheinen bar bezahlt worden. Und beim Einzug wurden keine Möbel in die Wohnung getragen. Annerose LottmannBücklers war in Wahrheit die RAF-Terroristin Monika Helbing. Schmitt lässt am Nachmittag ein Fernschreiben absetzen - doch dann passiert das Unglaubliche: nichts. Ein Kollege von der Dienststelle Hürth sagt ihm später: „Ferdi, der Hinweis ist als nicht relevant eingestuft worden.“ Dabei hätte das Computersystem PIOS (Personen, Institutionen, Objekte, Sachen) schon bei einer schnellen Überprüfung des Namens LottmannBücklers, der auch auf dem Klingelschild stand, Alarm ausgelöst. Lottmann-Bücklers hatte binnen kurzer Zeit viermal den Personalausweis und zweimal den Reisepass als gestohlen gemeldet. Es wurde vermutet, dass sie die Pässe der RAF zur Verfügung stellte und die Terroristen ihre Identität für Anmietungen benutzten. Aber Schmitts Fernschreiben versandet irgendwo auf dem Dienstweg zwischen Hürth und Köln - die größte Fahndungspanne der deutschen Polizei. (dpa)
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Samstag, 15. September 2007
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Serie: Der Deutsche Herbst (Teil 3)
Der Krieg der Frontsoldaten Helmut Schmidt und der Krisenstab waren sich einig: Die RAF-Gefangenen werden nicht frei gelassen VON WOLFGANG BLIEFFERT
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eutschland im Herbst 1977 – das bedeutet auch Ausnahmezustand für Bonn. Panzerwagen vor dem Kanzleramt, Hubschrauber über dem Regierungsviertel, endloses Warten für hunderte Journalisten aus aller Welt, ergebnislose Sitzungen des großen Krisenstabes. Die Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer, die Ermordung seiner vier Begleiter und die Forderung nach Freilassung von 20 RAF-Häftlingen, zerren an den Nerven aller Beteiligten. Geschockt von den dramatischen Ereignissen sucht die Nation den Alltag zu bewältigen. Während Schleyer von den Fahndern immer noch im Großraum Köln vermutet wird, ist er tatsächlich inzwischen in die Niederlande gebracht worden. Horst Herold, Präsident des Bundeskriminalamtes, hat Kanzler Helmut Schmidt (SPD) versichert, es bestehe ein gute Chance, Schleyer mittels seiner computergestützten Fahndung finden und befreien zu können. Die Bundesregierung spielt deshalb auf Zeit, versucht, die Entführer mit immer neuen Botschaften hinzuhalten. Mal wird ein Lebenszeichen Schleyers verlangt, mal sollen die inhaftierten RAF-Mitglieder Länder benennen, in die sie ausgeflogen werden möchten. Doch intern ist die Linie des Kanzlers klar: Die Gefangenen sollen nicht frei gelassen werden.
Peter Lorenz entführt Schmidt zieht damit die Konsequenzen aus dem, wie er es später nennt, schwersten Fehler seiner Amtszeit. Anfang 1975 hatte er der Bewegung 2. Juni nachgegeben, die den Berliner CDU-Politiker Peter Lorenz entführt und ebenfalls die Freilassung von Gefangenen gefordert hatte. Das Nachgeben ermunterte die Terroristen: Nur wenige Wochen später versuchte ein RAFKommando mit dem Sturm auf die deutsche Botschaft in Stockholm, die RAF-Spitze um Andreas Baader und Gudrun Ensslin freizupressen. Zwei Diplomaten und zwei Terroristen starben.
Der Kanzler und die Geisel: Helmut Schmidt während einer Fernsehansprache zur Entführung von Hanns Martin Schleyer. Das kleine Bild zeigt den Arbeitgeberpräsidenten auf einem Foto, das die RAF der Bundesregierung zuschickte. Fotos: dpa Wie im Fall Stockholm ist der Kanzler auch diesmal nicht gewillt nachzugeben. Um den Terroristen zu demonstrieren, dass die Regierung getragen wird von einem breiten Konsens, beruft Schmidt einen großen Krisenstab ein, in dem auch Vertreter der Opposition wie CDUChef Helmut Kohl und Vertreter der Länder wie Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU) sitzen. Sie alle sollen über die Botschaften der Entführer ebenso informiert werden wie über die wichtigsten Schritte der Regierung. Damit bindet der Kanzler sie zudem in die Verantwortung ein, damit im Fall des Todes Schleyers niemand daraus parteipolitischen Profit schlagen kann. Die Diskussionen im Krisenstab verlaufen bei aller per-
sönlichen Betroffenheit – Helmut Kohl etwa ist ein Freund des entführten Schleyer – sehr sachlich. Das haben alle Beteiligten später ausdrücklich betont. Nur über die Antworten auf Schmidts einmal geäußerte Bitte, doch auch exotische Lösungsmöglichkeiten anzudenken, gehen die Darstellungen auseinander. Hat Strauß, der 1988 gestorben ist, tatsächlich gesagt, der Staat solle RAF-Gefangene foltern oder gar töten? Oder sagte er nur sibyllinisch „Wir haben doch auch Geiseln“?
Vom Krieg geprägt Einigkeit bestand unter den Teilnehmern des Krisenstabes jedenfalls, dass die Gefangenen nicht frei gelassen werden dürften. Der Dokumentarfilmer Heinrich Breloer, dessen ARD-Zweiteiler „Todes-
spiel“ das Drama des Deutschen Herbstes sehr exakt nachgezeichnet hat, machte unter vielen der damals handelnden Politiker ehemalige Soldaten des Zweiten Weltkrieges aus: Schmidt, Strauß, Herold, Innenminister Werner Maihofer (FDP), Kanzleramtsminister Hans-Jürgen Wischnewski (SPD) - sie alle hatte das Kriegserlebnis geprägt, und sie sahen sich jetzt wieder an einer Front stehen, herausgefordert durch die Rote Armee Fraktion. „Kriegserklärung annehmen oder Kapitulation verkünden, war das die Alternative“, fragte Heinrich Breloer Friedrich Zimmermann (CSU). Und der spätere Innenminister sagte: „Wir haben den Krieg angenommen.“ Die ehemaligen Frontsoldaten sahen zudem den Staat, den sie mit aufgebaut hatten,
in Gefahr. Zu seiner Sicherung waren sie bereit, hart zu bleiben und zu kämpfen. Schmidt, der bis heute ein Verehrer des Soziologen Max Weber (1864–1920) ist, mag in jenen Tagen in dessen Aufsatz „Der Beruf zur Politik“ nachgelesen haben. Das politische Tun, heißt es da, sei in Tragik verflochten. Und den Staatsmann zeichne „die geschulte Rücksichtslosigkeit des Blickes in die Realitäten des Lebens und die Fähigkeiten, sie zu ertragen und ihnen innerlich gewachsen zu sein“, aus. • Nächste Folge: Der Staat reagiert: Auf den RAF-Terror folgte das erste Anti-Terrorgesetz. • Die bislang erschienenen Teile der Serie „Der Deutsche Herbst“ können Sie online nachlesen unter www.hna.de/politik
Schmidt: Ich bin verstrickt in Schuld
STICHWORT
Deutscher Herbst Der Begriff „Deutscher Herbst“ für die Ereignisse im Jahr 1977 entstand erst später: Im Frühjahr 1978 kam der Film „Deutschland im Herbst“ in die Kinos, eine Gemeinschaftsaktion von elf Regisseuren des so genannten Neuen deutschen Films, unter ihnen Rainer Werner Fassbinder (gestorben 1982), Alexander Kluge und Volker Schlöndorff („Die Blechtrommel“). Sie befassten sich in ihren Beiträgen vor allem mit dem innenpolitischen Klima jener Monate, dem pauschalen Verdacht gegen angebliche und tatsächliche Sympathisanten der Rote Armee Fraktion (RAF), sowie Reaktionen des Staates auf den Terrorismus. (bli)
Der Fahnder und die RAF-Chefin
Das Regierungsviertel im Ausnahmezustand: Ein großes Polizei- und Bundesgrenzschutzaufgebot sichert im Herbst 1977 die Sitzungen des Krisenstabes im Kanzleramt. Foto: dpa
In einem Interview der „Zeit“ antwortet Helmut Schmidt jetzt auf die Frage, ob der Rechtsstaat 1977 gesiegt habe: „Der Rechtsstaat hat nicht zu siegen, er hat auch nicht zu verlieren, sondern er hat zu existieren.“ Und auf die Frage, was bei ihm selbst von 1977 übrig geblieben sei: „Ich würde das wiederholen, was ich in der von Ihnen zitierten Rede im Bundestag gesagt habe: Ich bin verstrickt in Schuld - Schuld gegenüber Schleyer und gegenüber Frau Schleyer und gegenüber den beiden Beamten in Stockholm - dem Militärattaché Andreas Baron von Mirbach und dem Wirtschaftsattaché Heinz Hillegaart, die umgebracht wurden.“
ls Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA) ist Horst Herold in den 70erJahren Deutschlands erfolgreichster Terroristenjäger. Seit 1. September 1971 im Wiesbadener Amt wird unter seiner Ägide massiv aufgerüstet personell und technisch. „Mister Computer“ erkennt die neuen technischen Möglichkeiten, baut die zentrale Datenbank INPOL auf. Die elektronische Aufbereitung macht eine bis dahin unbekannte Rasterfahndung möglich, bei der große Datenbestände nach bestimmten Merkmalen durchkämmt werden. Allerdings machen seine Methoden den früheren Richter und Staatsanwalt für viele zur Verkörperung des Überwachungsstaats. Als der Deutsche Herbst vorüber ist, werden seine Datenbanken mehr und mehr als Bedrohung bürgerlicher Freiheiten angesehen. Nach Meinungsverschiedenheiten mit FDPInnenminister Gerhart Baum wird Herold 1981 in den Ruhestand geschickt. Zum Schutz vor Anschlägen lebt der 83-Jährige heute noch auf einem Militärgelände.
Mister Computer: Horst Herold, Präsident des Bundeskriminalamtes. Foto: dpa
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ie frühere Philosophiestudentin Brigitte Mohnhaupt gehört schon Anfang der 70er-Jahre zum Kreis der RAF. Wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung wird die Tochter eines Verlagskaufmanns zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Im Februar 1977 kommt sie frei - und übernimmt sogleich eine führende Rolle bei Planung und Ausführung der RAFMorde in diesem Jahr. Im Mai 1978 wird Mohnhaupt in Jugoslawien verhaftet, entkommt aber einer Auslieferung. Im November 1982 geht sie der Polizei in Hessen dann doch ins Netz, als sie im Wald ein Depot ausheben will. Erst im März 2007 kam Mohnhaupt frei. Heute ist sie 58 Jahre alt - 26 davon verbrachte sie in der Haft.
Kopf der zweiten RAF-Generation: Brigitte Mohnhaupt. Foto: dpa
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Samstag, 22. September 2007
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Serie: Der Deutsche Herbst (Teil 4)
Ein Klima der Verdächtigung Als Sympathisant zum Schimpfwort wurde: Das gesellschaftliche Umfeld der RAF-Jahre VON SYLVIA GRIFFIN
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ie Täter kamen aus der Mitte der Gesellschaft. Bürgerliche Elternhäuser, hoher Bildungsstand - es rief zunächst ungläubiges Staunen und dann großes Erschrecken hervor, dass sich hier junge Leute inmitten eines Reformklimas in der Gesellschaft für den Terrorismus der Roten Armee Fraktion entschieden hatten. Weil es sozusagen die Kinder von nebenan waren, die sich da auf einen mörderischen Weg gemacht hatten, gab es vor allem unter Intellektuellen das Bestreben, nach den Ursachen des Terrors zu fragen. Aber der Versuch, die Vorgänge zu verstehen, wurde in der öffentlichen Erregung über die Taten der RAF sehr schnell zum Verdacht der Billigung. „Sympathisant“ wurde zum Schimpfwort; das Klima der Verdächtigung war allgemein. Auf der Liste derer, die sich öffentlicher Schmähung und heimlicher Überwachung ausgesetzt sahen, stand Heinrich Böll, der auf der Suche nach einem Ende der Gewaltspirale über „freies Geleit für Ulrike Meinhof“ nachdachte. Der Psychologieprofessor Peter Brückner aus Hannover, der die Studentenbewegung wohlwollend begleitet hatte und mit dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund redete, wurde mehrfach vom Dienst suspendiert. Sämtliche Disziplinar- und Strafmaßnahmen gegen ihn wurden Anfang der Achtzigerjahre eingestellt, aber sein Ansehen war ruiniert.
„Stilles Reserveheer“ Es sprach gegen ihn, dass er einen Nachruf eines anonymen Schreibers unter dem Pseudonym „Mescalero“ in Göttingen unterzeichnet hatte. Darin wurde der „klammheimlichen Freude“ über den Tod von Generalbundesanwalt Siegfried Buback Ausdruck verliehen. Doch auch der Grafiker Klaus Staeck, Günter Grass und Martin Walser, der Soziologe Oskar Negt, der Verleger Klaus Wagenbach und der französische Philosoph Jean-Paul Sartre wurden in der Springer-Presse als das „stille Reserveheer des Terrorismus“ bezeichnet.
Im Visier der Sympathisantenjäger Zahlreiche Intellektuelle wurden in den Jahren des RAF-Terrors des Sympathisantentums bezichtigt. Zu ihnen gehörten der Schriftsteller Heinrich Böll Empörung löste die Aktion des Theatermachers Claus Peymann aus, der Spenden für eine Zahnbehandlung Gudrun Ensslins sammeln ließ. Sogar die Motive von Pfarrer Heinrich Albertz wurden angezweifelt, der sich 1975 als Austauschgeisel für den entführten Berliner Politiker Peter Lorenz angeboten hatte. Selbst Willy Brandt und Gustav Heinemann wurden der heimlichen Unterstützung der RAF bezichtigt. Es genügte in dieser Zeit der Hysterie, nachdenkliche Fragen zu stellen und statt „Baader-MeinhofBande“ das neutralere Wort „Gruppe“ zu benutzen. „Bande, Bande“ kamen die empörten Zwischenrufe aus den Rei-
(oben links), dessen Roman „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ von Regisseur Volker Schlöndorff (im Bild Mitte mit seiner damaligen Ehefrau hen der Union bei Debatten im Bundestag. Auch der CDU-Oberbürgermeister von Stuttgart, Manfred Rommel, wurde als Sympathisant angefeindet, weil er erlaubte, dass Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe nach ihrem Selbstmord auf einem Friedhof der Stadt beigesetzt wurden.
Durchaus Verständnis Es gab eine enge Unterstützerszene der Terroristen, die diesen ihre blutigen Taten ermöglichte. Die untergetauchten Terroristen benötigten legales Geld, legale Wohnungen, Dokumente, Fahrkarten. Wer sich von diesem Umfeld nicht entschieden genug dis-
Margarethe von Trotta) verfilmt wurde. Unser großes Bild zeigt den Grafiker Klaus Staeck mit einem Poster, das sich auf den Böll-Roman bezieht. Der tanzierte, wurde leicht zu den Sympathisanten gerechnet. Die Distanzierung fiel manchen schwer. Nicht weil sie Banküberfälle und Mordtaten gebilligt hätten. Aber die Ursprünge der RAF aus der Studentenbewegung und der Widerstand gegen den Vietnamkrieg hatten zunächst in einem großen Teil der Bevölkerung durchaus Verständnis gefunden. Die RAF wurde, ehe ihre verbrecherische Dimension offenbar war, zunächst als Ventil des Protests dagegen gesehen, dass der Staat und die Parteien voller Gleichgültigkeit auf den Vietnamkrieg mit seinen ständigen Eskalationen reagierten. Von dieser politi-
Theatermacher Claus Peymann (links unten) geriet in die Kritik, weil er Geld für eine Zahnbehandlung Gudrun Ensslins sammelte. Fotos: dpa schen Haltung wollten viele nicht abrücken, weil sie sie trotz der Entfesselung des Terrors weiterhin als richtig empfanden. Die Sympathisantenhetze der Boulevardpresse, das Klima des Misstrauens der staatlichen Organe und die entfesselte Wut des Bürgertums auf die eigenen Abkömmlinge ließen sie mit einer Verurteilung zögern. • Nächste Folge unserer Serie: Bilder als Waffe - eine Göttinger Historikerin untersucht die Medienpolitik der RAF. • Die bislang erschienenen Teile der Serie „Der Deutsche Herbst“ können Sie online nachlesen unter www.hna.de/politik
Mit GSG 9 und zahlreichen Gesetzen Der Staat wappnete sich - Viele Bestimmungen sind noch in Kraft, obwohl die RAF nicht mehr existiert VON NORBERT KLASCHKA BERLIN. Die Staatsgewalt schlug zurück. Mit Härte begegnete sie der terroristischen Bedrohung, baute den Polizeiapparat aus, schärfte ihr juristisches Instrumentarium. Obwohl die RAF schon lange ihre Auflösung erklärt hat, sind die meisten Anti-Terror-Gesetze noch in Kraft. Zwei Brandanschläge auf Frankfurter Kaufhäuser im April 1968 stehen am Anfang der RAF-Geschichte. Im November 1970 reagiert die Politik. Der Bundestag verabschiedet ein Sofortprogramm, verstärkt das Bundeskriminalamt (BKA), erweitert dessen Kompetenzen. In den folgenden Jahren wird das BKA massiv aufgerüstet - personell und technisch. Dafür steht vor allem ein Name: Horst Herold,
der am 1. September 1971 Chef der Wiesbadener Bundesbehörde wird. „Mister Computer“ erkennt die neuen technischen Möglichkeiten, baut die zentrale Datenbank INPOL auf. Im September 1972 wird auf Anordnung des damaligen Bundesinnenministers HansDietrich Genscher (FDP) die Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9) geschaffen, eine Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes. Der Verfassungsschutz erhält neue Befugnisse. Er darf auch politisch motivierte Bestrebungen beobachten. Noch bevor der RAF-Terror eskaliert, setzten SPD und FDP im Juni 1976 das Anti-TerrorGesetz durch. Ins Strafgesetzbuch wird der Paragraf 129a eingefügt. Fortan ist die „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ eine Straftat.
Antwort auf das Olympia-Attentat: Die GSG 9. Foto: dpa Bislang gab es nur eine Handhabe gegen kriminelle Vereinigungen (§ 129). Wie oft der neue Paragraf angewandt wurde, kann keiner sagen, nicht das Bundesjustizministerium und auch die Bundesanwaltschaft nicht. Schon Ende 1974 war der Bundestag tätig geworden, als Baader-Meinhof-Verteidiger der Zusammenarbeit mit Ter-
roristen verdächtigt werden. Verteidiger können vom Verfahren ausgeschlossen werden, wenn sie „dringend oder hinreichend“ verdächtig sind, an den Straftaten ihrer Mandanten beteiligt zu sein. Im folgenden RAF-Prozess in Stuttgart-Stammheim, dem zu einem Hochsicherheitstrakt ausgebauten Gericht, trifft die Vorschrift die Anwälte Klaus Croissant, Kurt Groenewold und Hans-Christian Ströbele. In einem Eilverfahren beschließt der Bundestag im September 1977, während Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer Geisel der RAF ist, eine weitere Verschärfung. Gegen Häftlinge, die im Zusammenhang mit einem Verfahren gegen terroristische Vereinigungen einsitzen, kann eine „Kontaktsperre“ verhängt werden. 30 Tage lang
dürfen sie weder miteinander noch mit ihren Anwälten in Kontakt treten. Wie oft eine Kontaktsperre verhängt wurde, kann auch keiner sagen. Jahre nach dem „Deutschen Herbst“ beschließt der Bundestag, dass Hungerstreikende, die noch bei Bewusstsein sind, nicht mehr zwangsernährt werden müssen. Ende 1986 folgt ein neues Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus. Er verschärft die Strafen für Gründer, Mitglieder, Rädelsführer und Hintermänner terroristischer Vereinigungen. Die von der Union gewollte, aber vom Regierungspartner FDP zunächst blockierte Kronzeugenregelung folgt schließlich im April 1989. Unter Rot-Grün läuft sie aus. Die große Koalition führt sie jetzt modifiziert wieder ein. (dpa)
Gedenken an die Opfer der RAF Die Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) werden für den Tod von 34 Menschen verantwortlich gemacht. An viele Opfer erinnern an der Stelle ihrer Ermordung Tafeln, Mahnmale oder Gedenksteine. Zu den bekanntesten Opfern gehört Generalbundesanwalt Siegfried Buback, der 1977 zusammen mit zwei Begleitern in Karlsruhe erschossen wurde. Die Stadt stellte zum Gedenken einen dreieckigen Granitstein auf einen Rasen. Er soll die Ermordeten, den Rechtsstaat und die Gemeinschaft symbolisieren. An dem Mahnmal, das der Dominikanerpater Donatus Leicher geformt hat, legt die Stadt jedes Jahr zu Bubacks Todestag am 7. April einen Kranz nieder. An den drei Monate später in seinem Haus im hessischen Oberursel erschossenen Bankier Jürgen Ponto erinnert ein Brunnen. Der von Pontos Arbeitgeber, der Dresdner Bank, gestiftete Brunnen steht vor dem Rathaus des Ortes. Eine Tafel erinnert an die Ermordung des Managers. Nach dem im September 1977 in Köln entführ-
Gedenkstein für Siegfried Buback und seine Begleiter in Karlsruhe. Fotos: dpa ten und später in Frankreich erschossenen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer ist in seinem Geburtsort Offenburg eine Straße benannt. Dem 1986 in Straßlach (Bayern) ermordeten Siemens-Vorstand Karl Heinz Beckurts wurde ein Denkmal in Form eines großen Steines gesetzt. Seine Familie schmückt den Stein mit der Gravur „Den Opfern des Terrors“ regelmäßig mit Blumen. An der Stelle, an der Alfred Herrhausen bei einem Bombenattentat in Bad Homburg 1989 ums Leben kam, steht ein Mahnmal aus drei Basaltstelen. Auf diesen sind Worte der Lyrikerin Ingeborg Bachmann und des Philosophen Karl Popper eingraviert, die Herrhausen sehr schätzte. Die dritte Stele ist gebrochen und trägt Uhrzeit und Datum von Herrhausens Tod. (bli)
Das letzte Opfer: Gedenktafel für den 1993 in Bad Kleinen getöteten BGS-Beamten Michael Newrzella.
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Samstag, 29. September 2007
SZ−ZG2
Serie: Der Deutsche Herbst (Teil 5)
Bilder als Waffe
Fall Schleyer: RAF erhöht den Druck
Göttinger Historikerin Terhoeven untersucht die Medienstrategie der Roten Armee Fraktion VON HEIDI NIEMANN GÖTTINGEN. Die Bilder aus dem Herbst 1977 haben sich tief eingegraben in das kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik: Hanns Martin Schleyer, der Präsident des Deutschen Arbeitgeberverbandes, hilflos in die Kamera blickend, mit einem Schild um den Hals, das ihn als Gefangenen der Rote Armee Fraktion (RAF) ausweist, hinter ihm an der Wand der fünfzackige Stern mit der Maschinenpistole. Für die Entführer war die Verbreitung dieser Fotos ein wichtiges strategisches Mittel, um Politik und Öffentlichkeit zu beeinflussen. Eine Studie der Göttinger Historikerin Petra Terhoeven zeigt jedoch, dass diese Strategie nicht aufging: Die Wirkung der Bilder war zwar enorm – doch sie bewirkten genau das Gegenteil von dem, was die Linksterroristen erhofft hatten. In ihrem in der Zeitschrift
1975 entführt und freigelassen: Peter Lorenz. Foto: dpa
„Geschichte in Wissenschaft und Unterricht“ veröffentlichten Aufsatz „Opferbilder – Täterbilder“ verweist Terhoeven darauf, dass die Bilder von Schleyer „wie eine Bombe“ eingeschlagen hätten. Die Entführer transportierten mit den Fotos und Videobändern eine Botschaft des Triumphes: Der „Boss der Bosse“, die mächtige Schlüsselfigur der deutschen Wirtschaft, war jetzt ein ohnmächtiger Gefangener, ein „Sträfling“ im „Volksgefängnis“. Die mediale Verbreitung hatte eine propagandistische, eine psychologische und eine pragmatische Funktion: Die Aufnahmen belegten, dass das Entführungsopfer noch am Leben war. Gleichzeitig zeigten sie eindringlich die Todesgefahr, in der sich Schleyer befand. Und die Bilder sollten die Dramatik und den Druck auf die Regierung erhöhen, die inhaftierten RAF-Terroristen frei zu lassen.
1978 entführt und ermordet: Aldo Moro.
Die RAF-Mitglieder waren nicht die Ersten, die versuchten, die Macht der Bilder für ihre Zwecke zu nutzen. Bereits 1975 hatten Mitglieder der „Bewegung 2. Juni“ mit der Entführung des Berliner CDU-Politikers Peter Lorenz die Vorlage geliefert. Die Entführer verbreiteten ein Foto, das die Selbstdarstellung des Bürgermeister-Kandidaten im Wahlkampf konterkarierte: Aus dem selbstbewussten Politiker, der sich auf den Plakaten als tatkräftiger Macher und Garant der inneren Sicherheit dargestellt hatte, war ein seiner FreiFoto: dpa heit und Würde 1977 entführt und ermordet: Hanns Martin Schleyer. beraubter Gefangener geworden, der im Unter- ten „Volksfeinden“ Schilder Entführungen und die Verhemd sitzend verstört in die um den Hals gehängt, um sie breitung von Fotos ihrer Opfer Kamera blickte. In diesem Fall zu diffamieren und zu demüti- gängige Praxis gewesen. Der ging das Kalkül der Entführer gen. Wie sollte man sich mit gleiche Kidnapper, der damals auf: Sie erreichten die Freilas- Praktiken identifizieren, die das Foto des ersten Entfühsung von fünf inhaftierten zur Ausgrenzungs- und Ge- rungsopfers – eines SiemensTerroristen und ließen dafür waltpolitik der Faschisten ge- Managers aus Mailand – hört hatten? Die „bei der Stan- „schoss“, fotografierte einige Lorenz frei. Auch die Schleyer-Entfüh- ge“ bleibenden Sympathisan- Jahre später auch den entführrer spekulierten darauf, die ten reagierten ebenso zynisch ten Aldo Moro. Er beließ es jeFreilassung der inhaftierten wie hilflos auf den schwinden- doch nicht beim Druck auf RAF-Mitglieder erzwingen zu den Rückhalt, indem sie Plaka- den Auslöser, sondern feuerte können. Doch die von ihnen te mit dem Schleyer-Foto und später auch die tödlichen verbreiteten Bilder erzeugten dem Zusatz „Kein falsches Mit- Schüsse auf Aldo Moro ab. einen gegenteiligen Effekt. leid“ klebten. Am Ende ging Terhoeven: „Bei den Verant- weder die politische noch die Heute per Video Heute gehören nicht nur wortlichen in Bonn überwo- mediale Strategie der SchleyEntführungen, sondern auch gen Erbitterung und Empö- er-Entführer auf. die Verbreitung von Fotos und rung über die als Skandal Videos zum festen Repertoire empfundenen Bilder das Mit- Frappierende Ähnlichkeit Ein halbes Jahr später er- von Terroristengruppen aller leid mit dem Opfer, was die Chancen auf eine nichtmilitä- weckte die Entführung des ita- Couleur. Vor allem islamistirische Beendigung des Entfüh- lienischen Spitzenpolitikers sche Organisationen bedienen Aldo Moro den Eindruck, als sich gezielt der vielfältigen rungsdramas verringerte.“ Auch bei der anderen wich- ob die Terrororganisation medialen Auftrittsmöglichkeitigen Zielgruppe verfehlte die Rote Brigaden ihre deutschen ten. Die Medien müssen sich mediale Inszenierung ihr Ziel. Gesinnungsgenossen nachge- indes fragen, ob sie durch die Die Bilder des hilflosen ahmt hätte. Sowohl der Tat- Verbreitung von ihnen zugeSchleyer brachten den RAF- hergang, als auch die Bilder spielten Aufnahmen nicht zu Aktivisten in der linken Szene des Entführungsopfers ähnel- Komplizen werden. Schließwenig Sympathien ein, denn ten sich frappierend. Tatsäch- lich ist bereits der Druck auf die Zurschaustellung des Ent- lich, so Terhoeven, verlief der den Auslöser der Kamera, führungsopfers erinnerte fatal Transfer jedoch umgekehrt. auch darauf weist die Historian die Nationalsozialisten. Schon seit 1972 waren bei den kerin Petra Terhoeven hin, ein Auch diese hatten so genann- italienischen Linksterroristen Teil des Gewaltaktes.
„Stress auch für die Kinder“ Unsere Leser erinnern sich an die Ereignisse des Terrorjahres 1977
E
in beklemmendes Gefühl hatte ich damals (...), als der RAF-Terror alle in Atem hielt. Es war etwas Neues für die Bundesrepublik und für mich, dass es in unserem Land Menschen gab, die anderen einfach das Leben nahmen, um ihre Ziele und Ideen durchzusetzen. Ich fand es richtig, dass sich der Staat nicht erpressen ließ. (...) Denn solche Fanatiker sind nicht zu stoppen. Wir sehen und hören es täglich (…) weltweit. Gibt man ihnen nach und lässt die Komplizen frei, vervielfältigen sich die Grausamkeiten. Helga Neukirchen, Baunatal Als Ulrike Meinhof 1972 verhaftet wird, ist sie durch tagelange Schlaflosigkeit übermüdet und entkräftet. Sie kann sich kaum auf den Beinen halten, sie ergibt sich den Beamten widerstandslos. Da-
raufhin wirft man die Frau auf den Boden, reißt ihr die Arme auf den Rücken. Zwei schwere Männer knien sich auf ihren Körper. Das arme Weib kann nur noch wimmern. (…) Isolationshaft - es ist kennzeichnend für unsere Zeit, dass beschönigende Worte den wahren Sachverhalt abmildern.... Die Wahrheit ist ein selten’ Kraut. Noch selt’ner, wer es gut verdaut. Bernd Warmburg, Freienhagen Als ich nach dem Tod von Dr. Ponto den Kommentar Ihres Redakteurs las, in dem er schrieb „Ponto hat ja nur 4000 DM verdient - im Monat“, schrieb ich einen Leserbrief, dass dies wie klammheimliche Freude klinge und er wohl ein Sympathisant der RAF sei. Daraufhin bekam meine Frau eine telefonische Bombendrohung von jemand, der eine
Gruppe „Roter Morgen“ vertrat. Trotz Einschaltung der Polizei, gab es keine Spur dieser Gruppe. (…) Walter Bronder, Kassel Noch heute graust es mich, wenn ich an diese Katastrophe des Jahres 1977 denke. Wir waren alle in einem entsetzlichen Stresszustand - die Kinder einbegriffen. Ich werde auch das Bild nicht los, als man den Kapitän des Flugzeuges tot auf den Flughafen warf. Der Staat hatte richtig gehandelt, sich nicht diesen Verbrechern zu beugen. Das denk ich auch heute noch. Mein Sohn Nicolas, der damals 12 Jahre alt war, hat das GSG 9-Spiel gebastelt, das ich ihnen mitschicke. Ilse Linkert, Kassel Ich kann mich noch gut an die Ereignisse erinnern. Vor
Ein Bankier wird entführt - gehe sechs Felder zurück. Kinder versuchten im Herbst 1977 den Terrorismus auf ihrer Weise zu verarFoto: Keppler beiten. allem das Bild, auf dem Hanns Martin Schleyer vor dem Logo der RAF sitzt, vor ihm eine Tafel mit der Datumsaufschrift „13.10.77“, ist bei mir haften geblieben, weil dies der Tag meines 18. Geburtstages war (....) Ich stelle mir heute die Frage, was sich in Deutschland verändert hätte, was anders
geworden wäre, wenn die RAF diesen Krieg „gewonnen“ hätte? (...) Heute bin ich nur noch schockiert über so viel Eiseskälte, mit der u. a. Hanns Martin Schleyer von der RAF hingerichtet wurde und kann mich nur wundern. Theresia Flor, Edermünde
Im Jahr 1977 startete die Rote Armee Fraktion (RAF) den groß angelegten Versuch, ihre im Gefängnis Stuttgart-Stammheim einsitzende Führungsspitze um Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe freizupressen. Rückblick: • Gründonnerstag 1977. Von einem Motorrad aus erschießt ein RAF-Kommando Generalbundesanwalt Buback und zwei Begleiter. • 30. Juli: Jürgen Ponto, Vorstandsvorsitzender der Dresdner Bank, wird in seinem Haus in Oberursel erschossen, offenbar weil er sich seiner Entführung widersetzt. • 25. August: Die RAF versucht, mit einem Raketenwerfer das Gebäude der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe zu attackieren. RAF-Terrorist Peter Jürgen Boock behauptet später, er habe für eine Fehlfunktion des Raketenwerfers gesorgt. • 5. September: Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer wird in Köln entführt, seine vier Begleiter sterben im Kugelhagel. • 6. September: In einem ersten von mehreren Ultimaten an die Bundesregierung drohen die Ent-
Ergebnislos: Großfahndung nach den SchleyerFoto: dpa Entführern. führer mit der Ermordung Schleyers, falls nicht elf RAF-Häftlinge frei gelassen und an einen Ort ihrer Wahl ausgeflogen würden. • 7. September: Die Regierung verordnet eine „Kontaktsperre“ für inhaftierte RAF-Mitglieder, die Ende des Monats in einem Eilverfahren auch gesetzlich beschlossen wird. • Ende September/Anfang Oktober: Schleyer ist inzwischen von Köln nach den Haag und dann nach Brüssel verschleppt worden. Das Bundeskriminalamt hat keine heiße Spur von den Entführern aufnehmen können, die Bundesregierung spielt weiter auf Zeit. Vor diesem Hintergrund muss die RAF den Druck auf Bonn erhöhen. Mit palästinensischen Partnern von der PFLP werden in Bagdad verschiedene Möglichkeiten erörtert. Ein Terrorkommando macht sich auf den Weg nach Palma de Mallorca. Ihr Ziel: die Lufthansa-Maschine „Landshut“ zu entführen. • Nächste Folge: Das Drama von Mogadischu und die Nacht von Stammheim • Die bislang erschienenen Teile der Serie „Der Deutsche Herbst“ können Sie online nachlesen unter www.hna.de/politik
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Samstag, 6. Oktober 2007
SZ−GELD
Serie: Der Deutsche Herbst (Teil 6)
Erfolg in Mogadischu: Wischnewski und Wegener Der Erfolg der Geiselbefreiung von Mogadischu ist eng mit zwei Namen verbunden: Hans-Jürgen Wischnewski und Ulrich Wegener. Zwei Kurzporträts: • Hans-Jürgen Wischnewski: Der ehemalige Gewerkschaftssekretär und SPD-Bundesgeschäftsführer war seinerzeit Staatsminister im Kanzleramt mit besten Beziehungen in die arabische Welt. Diesen Kontakten verdankt Wischnewski auch seinen Spitznamen „Ben Wisch“. Als nervenstarker Krisenmanager musste er der entführten „Landshut“ bis nach Somalia hinterherreisen. Dort konnten die 86 Geiseln durch die GSG 9 befreit werden. Mit einem Anruf nach Bonn meldet Wischnewski Vollzug: „Die Arbeit ist erledigt.“ Der gebürtige Ostpreuße und ehemalige Entwicklungshilfeminister
Hans-Jürgen Wischnewski, Krisenmanager. Foto: ??? (1966-68) starb am 24. Februar 2005 82-jährig in Köln. • Ulrich K. Wegener: 1929 in Jüterbog (Brandenburg) geboren, war Wegener erster Kommandeur der GSG 9. Diese Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes (heute Bundespolizei) war 1972 durch Innenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) aufgestellt worden. Anlass war die Geiselnahme israelischer Sportler während der Olympischen Sommerspiele 1972 in München, die mit einem Blutbad auf dem Flugha-
Fünf Tage in der Hölle 91 Geiseln zitterten um ihr Leben - dann stürmte die GSG 9 in Mogadischu die entführte Lufthansa-Maschine VON WOLFGANG BLIEFFERT
D
eutschland im Herbst 1977, Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer ist seit über fünf Wochen in der Hand der terroristischen Roten Armee Fraktion (RAF). Die Forderungen der Entführer nach Freilassung ihrer inhaftierten Gesinnungsgenossen hat die Bundesregierung hinhaltend beantwortet. Man will Zeit gewinnen, um Schleyer finden und befreien zu können. Doch die Fahnder des Bundeskriminalamtes haben die Spur verloren. Das Entführungsdrama wird zu einer quälenden Hängepartie. Dann, am 13. Oktober, folgt der befürchtete zweite Schlag der Terroristen: Ein Kommando der palästinensischen PFLP entführt die „Landshut“, eine Lufthansa-Maschine mit der Flugnummer LH 181, die auf dem Weg von Palma de Mallorca nach Frankfurt am Main ist. Schlagartig ändert sich die Situation: Jetzt geht es nicht mehr nur um die prominente Geisel Schleyer, sondern auch um 86 Passagiere, darunter mehrere Kinder, sowie die fünfköpfige Besatzung. Das vierköpfige Kommando namens Martyr Halimeh geht mit großer Brutalität vor. Sein Anführer ist der 23-jährige Zohair Youssif Akache, der sich Captain Mahmud nennen lässt und ständig lautstark mit der Erschießung von Geiseln droht. Auf dem Füller einer Passagierin glaubt er einen Judenstern zu erkennen - tatsächlich handelt es sich um das Firmenlogo von Mont Blanc -, die Frau wird als mutmaßliche Jüdin gedemütigt und geschlagen.
Tod in Aden Es beginnt ein tagelanger Irrflug. In Rom wird die Maschine aufgetankt, dann geht es weiter über Larnaka (Zypern) und Bahrain nach Dubai. Hier eskaliert die Lage: Flugkapitän Jürgen Schumann gelingt es, den Behörden Informationen über die Entführer zuzuspielen: Zwei Männer und zwei Frauen. Doch auch die Entführer erfahren davon. Captain Mahmud lässt Schumann niederknien und droht,
schine mit Beamten der Spezialeinheit GSG 9. Kanzleramtsminister Hans-Jürgen Wischnewski kann Somalias Präsidenten Siad Barre - seit einiger Zeit auf Annäherungskurs an den Westen - überreden, die GSG 9 einen BefreiungsverVon den Entführern ermordet: such machen zu Jürgen Schumann (37), Flugka- lassen. Immerhin pitän. Er wurde in seinem letz- hat die Einheit solten Wohnort Babenhausen che Aktionen (Hessen) beigesetzt. In Bremen schon mehrfach trägt die Lufthansa-Verkehrs- geprobt - unter anfliegerschule seinen Namen. derem an der „Landshut“. Barre gibt grünes Licht. Kanzler Helmut Schmidt fragt Wischnewski am Telefon: „Können wir noch was für euch tun?“ Wischnewski antwortet: „Beten“. Um die Terroristen zu täuschen, wird ihnen Lebt heute mit Ehemann und gesagt, dass die Tochter in Oslo: Souhaila An- RAF-Mitglieder drawes, einzig überlebende freikommen und Flugzeugentführerin. Sie wurde in Somalia verurteilt und ab- in wenigen Stungeschoben, lebte einige Zeit den in Mogadiunerkannt in Norwegen, wo sie schu sein werden. 1994 aber festgenommen und Inzwischen ist der nach Deutschland ausgeliefert 18. Oktober angewurde. Dort zu 12 Jahren Haft brochen. Um 0:05 verurteilt (Foto), gestattete Uhr beginnt die man ihr 1997, ihre Strafe in „Operation FeuerDem Terror entronnen: Passagiere der befreiten „Landshut“ verlassen die Luft- Oslo abzusitzen. Wegen der zauber“: Mit hansa-Maschine, die sie von Mogadischu nach Frankfurt gebracht hat. Kinder Spätfolgen ihrer Schussverlet- Blendgranaten sind dabei, und auch (mit Decke) Horst-Gregorio Canellas (gestorben 1999), zungen wurde sie 1999 entlas- werden die Entder ehemalige Präsident der Offenbacher Kickers. Foto: dpa sen führer kurz abgelenkt, das nutzt ihn bei einem weiteren Vorfall Anrufe Mahmuds. Offenbar stadt Mogadischu fliegen. das GSG-9-Kommando, um zu erschießen. verhandelt der Flugkapitän Schumanns Leiche wird über über Leitern die Maschine zu Weiter geht es nach Aden mit dem jemenitischen Behör- eine Notrutsche aus dem Flug- stürmen und die Geiseln zu (damals Südjemen). Die Regie- den, vergeblich. Als er in die zeug geschafft, die Entführer befreien. Wischnwewski meldet rung will mit den Terroristen Maschine zurückkehrt, habe setzen ein Ultimatum, um die nichts zu tun haben und lässt Schumann gewusst, was auf RAF-Mitglieder in Stuttgart Schmidt: „Die Arbeit ist gedie Landebahnen blockieren. ihn zukomme, erzählt später freizulassen. Die Passagiere tan“. Der Kanzler fragt nach Da der Treibstoff zur Neige die Stewardess Gabi Dillmann. werden gefesselt und mit Al- Opfern. Drei Terroristen sind geht, setzt Schumann die Er muss im Mittelgang des koholika aus der Bordküche erschossen worden, eine über„Landshut“ auf einem Sand- Flugzeugs niederknien, und übergossen. Wenn der nun an- lebt. Und eigene Verluste? Wistreifen neben der Startbahn alle Passagiere müssen mit an- gebrachte Sprengstoff explo- schnewski meldet einen verauf. Der Kapitän darf nachts sehen, wie er von Mahmud er- diert, sollen die Geiseln besser letzten GSG-9-Mann sowie brennen. Hitze, Gestank, To- eine verletzte Stewardess. die Maschine verlassen, um schossen wird. das Fahrwerk zu inspizieren. Die Behörden in Aden ge- desangst - für die Passagiere ist Wäre die Aktion schief geganSchumann kehrt längere Zeit ben nun nach und lassen die es die Hölle, viele beginnen zu gen oder hätte es viele tote Geiseln gegeben, „wäre ich nicht zurück - warum, ist bis Maschine auftanken. Copilot beten. Seit Larnaka folgte den Ent- am nächsten Tag zurückgetreheute nicht völlig geklärt - Jürgen Vietor muss die „Landsund reagiert auch nicht auf hut“ in die somalische Haupt- führern eine Lufthansa-Ma- ten“, sagt Schmidt später.
Todesnacht in Stammheim Nach der Befreiung der „Landshut“ nahm sich die RAF-Spitze das Leben
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Ulrich Wegener, Chef der GSG 9. Foto: dpa fen Fürstenfeldbruck geendet hatte. Wegener leitete in der Nacht auf den 18. Oktober 1977 den ersten Einsatz der GSG 9 auf dem Flughafen von Mogadischu und war auch persönlich am Sturm auf die von palästinensischen Terroristen entführte LufthansaMaschine beteiligt. Später war er Berater beim Aufbau von Sondereinheiten anderer Länder. Seit seiner Pensionierung lebt er in der Nähe von Bonn und hält weiterhin Vorträge.
m 0.38 Uhr verbreitet der Deutschlandfunk die Nachricht von der Befreiung der „Landshut“. Die Meldung wird auch in den Zellen der RAF-Gefangenen in Stuttgart-Stammheim gehört. Was dann passiert, ist bis heute Anlass von Spekulationen. Tatsache ist, dass die Justizbeamten, die am Morgen die Zellen aufschließen, Andreas Baader und Gudrun Ensslin tot vorfinden. Jan-Carl Raspe ist schwer verletzt und stirbt wenige Stunden später im Krankenhaus, Irmgard Möller überlebt verletzt. Die Obduktion ergibt: Baader hat sich mit einer Pistole erschossen, ebenso Raspe. Ensslin erhängte sich mittels eines Kabels am Fensterkreuz. Irmgard Möller fügte sich mit einem Messer schwere Stichverletzungen zu. Schusswaffen im Hochsicherheitstrakt von Stammheim? Das ist kaum zu glauben. Und das er-
möglicht den RAFAnhängern nun die Verbreitung der These vom staatlich sanktionierten Mord, der ganz in der Tradition von Nazi-Deutschland zu sehen sei. Andreas Dass es sich bei Baader den Ermittlungen herausstellt, dass die Waffen über Aktenordner der RAF-Anwälte in die Zellen geschmuggelt und dort versteckt wurden, wird geflissentlich ignoriert. Und warum die Killer im Staatsauftrag es nicht fertigbrachten, auch Irmgard Möller zu liquidieren - diese Frage lassen die RAF-Sympathisanten unbeantwortet. Die meisten RAF-Kommando-Mitglieder, die Hanns Martin Schleyer entführt haben und die derweil in Bagdad sitzen, sind bei der Nachricht vom Tod in Stammheim geschockt, es fließen Tränen. Bis
Gudrun Ensslin
Jan-Carl Raspe
Irmgard Möller
Brigitte Mohnhaupt, Anführerin der so genannten zweiten Generation der RAF, geschrien haben soll: „Glaubt ihr denn, dass die Märtyrer sind, oder warum heult ihr jetzt? Könnt ihr euch nichts anderes vorstellen als die Opferrolle?“ Peter-Jürgen Boock, bei der Entführung dabei und später Aussteiger aus der Roten Armee Fraktion, hat von diesem Auftritt Mohnhaupts berichtet. Und tatsächlich haben Baader, Ensslin und die anderen in Kassibern mehrfach davon gesprochen, „unser Schicksal selbst in die Hand zu
Geballte Fäuste am Grab: Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe wurden gemeinsam auf dem Stuttgarter Dornhaldenfriedhof beigesetzt.
nehmen“. Der Körper als letzte Waffe, der Selbstmord als ultimative Tat. Zu klären wäre heute allerdings noch die Frage, ob staatliche Organe wussten, dass die Selbstmorde vorbereitet wurden. Denn Recherchen des „Spiegel“ ergaben kürzlich, dass die RAF-Führungsspitze in ihren Zellen über Monate hin abgehört wurde, wahrscheinlich von einem deutschen Geheimdienst. Könnte es also sein, dass die Selbstmorde bewusst nicht verhindert wurden? Viele Stimmen verlangen Aufklärung, mögli-
cherweise durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. (bli) • Nächste Folge: Das Ende Hanns Martin Schleyer wird nach 43 Tagen liquidiert. • Die bislang erschienenen Teile der Serie „Der Deutsche Herbst“ können Sie online nachlesen unter www.hna.de/politik • Ein Porträt der ehemaligen Lufthansa-Stewardess Gabi Dillmann (heute von Lutzau) finden Sie auf der MenschenSeite der HNA-Samstagausgabe. Fotos: dpa
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