Gilly: Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
Short Description
Download Gilly: Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus...
Description
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41
Sonderdruck aus
Peter-Andr Alt / Volkhard Wels (Hg.)
Konzepte des Hermetismus in der Literatur der Frühen Neuzeit
Mit 22 Abbildungen
V&R unipress ISBN 978-3-89971-635-1
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41
Inhalt
Peter-Andr¤ Alt und Volkhard Wels Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
Esteban Law Die hermetische Tradition. Wissensgenealogien in der alchemischen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
Carlos Gilly Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus. Wandlungen des Hermetismus in der paracelsistischen und rosenkreuzerischen Literatur .
71
Ralph Häfner Spuren des Hermetismus in Jean Bodins Colloquium heptaplomeres . . . 133 Volkhard Wels Poetischer Hermetismus. Michael Maiers Atalanta fugiens (1617/18) . . . 149 Rosmarie Zeller Hermetisches Sprechen in alchemischen Texten. Die Jäger-Lust von Thomas Rappolt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Anne Eusterschulte Hermetische Spiele der Natur und der ludische Charakter des Wissens
. 213
Joachim Telle John Dee in Prag. Spuren eines elisabethanischen Magus in der deutschen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
6
Inhalt
Kristine Hannak Pymander als inneres Wort. Sebastian Francks Übersetzung des Corpus Hermeticum in der Tradition mittelalterlicher Logosmystik . . . . . . . . 297 Dietmar Till Hermetische Texturen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
Peter-Andr¤ Alt Das Imaginäre und der Logos. Hermetische Grundlagen frühneuzeitlicher Poetiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Philipp Theisohn Amor complacentiae. Zur wissenschaftlichen und literarischen Säkularisierung der hermetischen Liebeskonzeption um 1700 . . . . . . 373 Hans-Georg Kemper Hermetisch-poetischer Liebes-Zauber. Von der mystischen »Jeßus-wollust« zur ›Passion‹ der Liebesehe . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Namenregister
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433
Carlos Gilly
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus. Wandlungen des Hermetismus in der paracelsistischen und rosenkreuzerischen Literatur
1.
Hermes – Paracelsus – Rosenkreutz
Während der Name Hermes Trismegistus in den Manifesten der Rosenkreuzer, Fama und Confessio Fraternitatis R.C., überhaupt nicht vorkommt, erscheint er in der Chymischen Hochzeit Christiani Rosencreütz. Anno 1459 zwar nur ein einziges Mal, dafür aber an ganz prominenter Stelle. Er steht ganz oben auf der Tafel mit der lateinischen Inschrift, die zu Beginn des 4. Tages von einem Löwen bei dem Brunnen gehalten wird, an dem sich Rosenkreutz und die anderen Probanden zu waschen und anschließend daraus zu trinken hatten: Hermes Princeps. Post tot illata generi hvmano damna, Dei consilio: artisqve adminicvlo, Medicina salvbris factvs heic flvo. Bibat ex me qui potest: lauet, qui vult: turbet qui audet: Bibite Fratres et vivite. (Hermes der Fürst: Nach so viel dem menschlichen Geschlecht zugefügten Schaden, durch göttlichen Ratschluß und mit Hilfe der Kunst bin ich zur heilsamen Arznei geworden und fließe aus diesen Brunnen: Trinke aus mir, wer kann; wasche sich, wer mag; trübe mich, wer es wagt. Trinket, Brüder, und lebet).1
Dann folgt ein einzeiliges Kryptogramm in Schriftholzschnitt mit der kodierten Jahreszahl 1378, d. h. das in der Confessio Fraternitatis angegebene Geburtsjahr von Christian Rosencreutz.2
1 [Johann Valentin Andreae]: Chymische Hochzeit: Christiani Rosencreütz. Anno 1459. Straßburg 1616, S. 74. 2 Nach vielen vergeblichen Versuchen (z. B. des Paracelsisten Carl Widemann, um 1620, vgl. Hannover NLB, Ms. IV 431, S. 713) gelang erst 1926 die endgültige Entzifferung des Kryptogramms, vgl. Richard Kienast: Johann Valentin Andreae und die vier echten RosenkreutzerSchriften (Palaestra 152). Leipzig 1926, S. 68.
72
Carlos Gilly
Damit wird durch die Inschrift ein Vergleich gezogen, Rosenkreutz tritt an Stelle des Hermes in ähnlicher Weise, wie Paracelsus Jahrzehnte nach seinem Tod zum deutschen Hermes und Trismegistus Germanus gemacht wurde. Letzteres wird bei der Beschreibung der Inschriften an dem Kessel zur Erwärmung des Phönix-Eis während des 6. Tages der Chymischen Hochzeit bestätigt durch ein zweites, ebenfalls in Schriftholzschnitt gedrucktes Kryptogramm
mit der kodierten Jahreszahl der Hochzeit selbst (1459) und dem versteckten Akronym des »Paracelsus Hohenheimensis medicinae doctor« (P#Md).3 Diese Art von »traditio lampadis« oder Fackelübergabe über die Jahrhunderte hinweg wurde von Christoph Hirsch, einem Vertrauten des Johann Arndt, in seiner Antwortschrift an die Rosenkreuzer Bruderschaft Pegasus Firmamenti von 1618 einigermaßen offizialisiert, indem er die drei für ihn hervorragendsten Interpreten der Natur wie folgt auserkor : Der erste sei der Ägypter Hermes Trismegistus, Vater der Philosophen genannt, der wegen seiner wunderbaren Naturkenntnisse und der Größe seiner Weisheit in seiner Heimat als der dreimal Größte (Ter Maximus) galt und in dessen königlicher Schule der junge Moses alles von ihm lernte.4 Der zweite rechte Interpret der Natur war der Deutsche Theophrastus Paracelsus, »der obwohl kein Mitglied Eurer Fraternität R.C. geworden ist«, dennoch sowohl in seinem Wappen wie auch in seinen Schriften sehr präzise Weissagungen von der 3 Ebenda, S. 90. Bei dem von Kienast nicht aufgelösten Schlußsymbol handelt es sich wohl um eine Kombination von den magischen Charakteren der zweier Planetenregenten (›Och‹ für die Sonne und ›Hagith‹ für Venus), die laut dem Buch Arbatel für die Verwandlung von Metallen in Gold zuständig waren, vgl. Arbatel De Magia vetervm. Summum Sapientiae Studium. Basel: [P. Perna] 1575, S. 24, 28 – 30. Während Christian Rosenkreuz unter dem Präsidium von Och (von 921 bis 1410) das Licht der Welt erblickt haben soll, ist Paracelsus während der Regenzjahre von Hagith (von 1411 bis 1900) geboren worden. Die Zeitangaben nach der Regentenzeiten des Arbatel war eine beliebte Datierungsart bei Paracelsisten, so bei Benedictus Figulus: Thesaurinella Olympica aurea tripartita. Straßburg: Anno TrIsMegIstI RegIs et DoCtorIs GratIae nobIs natI [1608], S. 9: »Hagenaw, den 3. Octobris, anno reparatae salutis (I).I) CVII (1607) sub regimine vero Gubernatoris Olympici, Angeli Hagith, anno centesimo XCII etc.«. 4 Josephus Stellatus [Christoph Hirsch]: Pegasus Firmamenti. Sive Introdvctio brevis in Veterum Sapientiam, quae olim ab Aegyptiis et Persis Magia, hodie vero […] Pansophia recte vocatur. o.O. 1618, S. B8v. Vgl. Lynn Thorndike: History of Magic and Experimental Science, vol. VII. New York 1958, S. 167.
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
73
Bruderschaft hinterlassen habe. Das Wappen zeigt acht Kreuze mit Rosen, wodurch stillschweigend »die acht ersten Mitglieder Eures Collegii oder Gebäu Sancti Spiritus gemeint zu sein scheinen«.5 Als dritter »genuinus Naturae Libri interpres« kommt eigentlich nur »Euer Vater« [Christian Rosenkreuz] (im Druck steht irrtümlich »Basilius Valentinus«), auch deutscher Abstammung, in Frage, der nach erfolgreichen Reisen in Arabien und Spanien die in die Heimat mitgebrachten Schätze der orientalischen Weisheit freigiebig mitgeteilt hat, und zwar zunächst seinen ersten vier Mitbrüdern, für die er ein Collegium gründete, wie in der Fama zu lesen steht. Es sei nur zu wünschen, so Hirsch in seinem Pegasus, dass alle Schriften von diesem Höchsten unter den Philosophen bald im Druck erscheinen mögen.6 Das Buch schließt mit der Aufforderung des Hermes Trismegistus an seinen Sohn Tat: »Pius esto, o fili, qui vere pius est, summe philosophatur«7 und dem Spruch am Schluss der Chymischen Hochzeit: »Summa scientia, nihil scire«. Auf diese vermeintliche Ahnenreihe und die folgerichtige Abhängigkeit der Paracelsisten und Rosenkreuzer von den Schriften, die unter dem Namen des Hermes Trismegistus liefen, haben sowohl ihre jeweiligen Befürworter wie besonders auch ihre Gegner oft hingewiesen. Allen zuvor tat dies schon 1615 der schärfste Kritiker von beiden Bewegungen, Andreas Libavius, in seinem Examen Philosophiae Novae, quae Veteri abrogandae opponitur, das in eine rabiate Generalabrechnung mit sämtlichen Erscheinungen des Hermetismus – außer der reinen Alchimia transmutatoria – ausartete. Laut Libavius wandten Rosenkreuz und Paracelsus die gleichen Principia oder vielmehr »deliramenta« an wie jener »impius et ethnicus« Magier Hermes Trismegistus, den Libavius kurzerhand zum Begründer der von ihm bekämpften mystischen Alchemie erklärte (»ab Hermete quidem autore et parente Alchymiae mysticae«) und dessen Poemander und Asclepius vor Irrtümern, Gotteslästerungen und Dummheiten nur so strotzten (»in primis Hermetici Dialogi sunt errorum pleni«; »ex tot impietati5 Ebenda, S. B8v-C2r. 6 Ebenda, S. C2r-C2v : »Utinam hujus summi philosophi tota Cyclopaedia typis evulgata extaret«. Die Verwechslung des Christan Rosenkreutz mit Basilius Valentinus ist übrigens demselben Hirsch in einem 1641 entstandenen Werk noch einmal unterlaufen: »Neben diesem befordern und dienen/ das Liecht der Natur wahrhafftig zu erkennen/ die göttliche Schrifften des Hermetis, Paracelsi und Basilii fast sehr/ wann sie öffters mit Verstand gelesen werden«, vgl. [Pseudo-] Abraham von Franckenberg [Christoph Hirsch]: Gemma Magica oder Magisches Edelgestein/ Das ist/ Eine kurtze Erklärung des Buchs der Natur. Amsterdam 1688, S. A3r. 7 Hirsch zitiert das Corpus Hermeticum nach der Ausgabe von Francesco Patrizi am Schluß von dessen Nova de universis philosophia. Ferrara 1591 (Hermetis Trismegisti Libelli integri XX), S. 4. Patrizi hatte bekanntlich seine Ausgabe des CH mit dem Fragment II B des Stobäus (De pietate et philosophia liber I) eröffnet, wo sich das Zitat befindet. Dieses und andere Fragmente sind auch ins Deutsche übersetzt worden, vgl. Abraham von Frankenberg: Via Veterum Sapientium. Das ist: Der Weg der Alten Weisen. Amsterdam 1675, S. 241 – 250.
74
Carlos Gilly
bus et stultitiis Pimandri et Asclepii«; »Theologemata stulta in Pimandro et Asclepio«):8 »Repetunt Paracelsistae suam sapientiam ex Aegypto, vbi ter maximus Hermes fuit in flore; repetunt [fratres de Rosea Cruce] ex Arabia et Mauretania, ubi Magi Saraceni Mahometicolae.«9 Und in seiner darauf folgenden Exercitatio paracelsica sowie in seinem Wolmeinendes Bedencken von der Fama Fraternitatis warf Libavius den Rosenkreuzern sowohl auf Lateinisch wie auf Deutsch vor, ihre vermeintlich neue Philosophie bloß aus den Schriften von Paracelsus und Hermes entliehen zu haben: Negatis vestram Philosophiam esse novam? At repudiatis Academicam. Quae ergo et qualis est? Nimirum ea, quam pater vester [Rosenkreuz] a magis didicit, et Paracelsus fundamentaliter complexus perhibetur. At Paracelsus se sequi iubet Monarcham omnes veteres et nouos. Si Paracelsica est, noua est. Nisi fallimur, erit Hermetis Trismegisti. Si hoc, non noua quidem, verum non sine multis absurdis […].10 Wer den Grund dieses Ruhms verstehen wil/ hat den nächsten Weg darzu/ daß er mit Pimandro vnd Asclepio Hermetis Trismegisti: Item Philosophia Sagace Paracelsi/ vnnd Prefation deß Crollij in seiner Basilica lese, da wird er finden/ wie der Microcosmus sol auß dem Macrocosmo gezogen seyn […] Da habt jhr das Centrum, radios, peripheriam, vnd Mittelspacia alle beysamen. Da liegt Theologia, Medicina, Physica, Astronomia, etc. doch ist von Juristischer Materi wenig darbey […].11
8 Andreas Libavius: Examen Philosophiae novae, quae Veteri abrogandae opponitur, Frankfurt 1615, S. 6, 12, 94. Zu Libavius’ zwiespältigem Verhältnis zur hermetischen Tradition vgl. Carlos Gilly : La ›quinta colonna‹ nell’ermetismo / The ›fifth column‹ within Hermetism: Andreas Libavius, in: Magia, alchimia, scienza dal ’400 al ’700. L’influsso di Ermete Trismegisto / Magic, Alchemy and Science 15th-18th centuries. The influence of Hermes Trismegistus. Hrsg. von C. Gilly & Cis van Heertum. Florence 2004, S. 399 – 415; zum Kontrast vgl. die allzu positive Bewertung des merkwürdigen Hermetismus ohne Hermes des Libavius durch Bruce T. Moran: Andreas Libavius and the Transformation of Alchemy. Separating Chemical Culture with Polemical Fire. Sagamore Beach 2007, S. 155 ff., 231 ff. und passim; vgl. auch die viel nüchternere Darstellung des Libavius durch Wilhelm Kühlmann: Paracelsismus und Hermetismus. Doxographische und soziale Positionen alternativer Wissenschaft in postreformatorischen Deutschland. In: Antike Weisheit und kulturelle Praxis. Hermetismus in der frühen Neuzeit, hrsg. von Anne-Charlot Trepp u. Hartmut Lehmann. Göttingen 2001, S. 17 – 39 (bes. 34 – 39). 9 Libavius: Examen Philosophiae novae (wie Anm. 8), S. 254. 10 Libavius: Exercitatio Paracelsica nova de notandis ex scripto Fraternitatis de Rosea Cruce. In ders.: Examen Philosophiae novae (wie Anm. 9), S. 262 – 306 (zit. 278). 11 Andreas Libavius: Wolmeinendes Bedencken/ Von der Fama vnd Confession der Brüderschafft deß RosenCreutzes. Frankfurt 1616, S. 159 f. Libavius zielt hier auf die Definition der Philosophie der Rosenkreuzer im 2. Kapitel der Confessio Fraternitatis: »Wir haben keine andere Philosophie als die, welche ist Haupt und Summe aller Fakultäten, Wissenschaften und Künste, welche, wenn wir auf unser Jahrhundert sehen, viel von der Theologie und Medizin, wenig aber von der Jurisprudenz begreift« (»Theologiae ac Medicinae plurimum, Jurisprudentiae minimum habeat«).
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
75
Aber auch die Vertreter der lutherischen Orthodoxie, wie etwa der Senior des Geistlichen Ministeriums in Hamburg, Johannes Schellhammer, in seiner Widerlegung der Predigten Valentin Weigels von 1621, verfehlten es nicht, mit kräftigen Farben eine direkte genealogische Linie von Hermes bis auf Paracelsus und die Rosenkreuzer zu ziehen: Von Hermete Mercurio Trismegisto vnd vielen anderen Zauberern so im Papsthumb, sonderlich vnter den Minoriten gewesen, hat Paracelsus seine Kunst vnd Theologiam, vnd Weigelius von jhnen allen gelernet/ von denen sind auch entsprossen die obgedachten hocherleuchteten (mit verlaub zu reden) fratres Rosae C[rucis]. Der Hermes Trismegistus, ihr aller Praeceptor vnd Meister/ ist gewesen ein Famosus Magus, ein beruffener Zauberer in Egypten/ nach Mosis Zeiten […].12
Und ähnlich verfuhr noch 1690 der wohl bekannteste Widersacher des ganzen Hermetismus, der Greifswalder Theologe Ehregott Daniel Colberg, als er die Ahnenreihe von Hirsch einfach übernahm und noch hinzu fügte: Da berühmen sich nun die heutigen Fanatici, daß sie ihre Wissenschafft vom Hermete her haben. Vom Paracelso und den Rosenkreutzern bezeuget es Stellatus [Hirsch], in bemeldtem Buch, c. 1 [S. A6r]: »Seqvuntur autem Paracelsistae genuini Hermetem Trismegistum, Philosophorum parentem, in Alchymia potissimum, quibus mirabili Dei consilio accedunt hodie venerandi Fratres R.C. Pansophiae perfectum circulum dignis offerentes«. Daß auch vornehme Medici den Paracelsum Mysteriarcham et Musarum Mechanicorum Trismegistum Germanicum nennen/ bekräfftiget Fraerisenius, l. cit.13
Es fehlte aber auch nicht an neutralen Autoren, welche die enge Verwandtschaft zwischen Hermetismus einerseits und Paracelsismus und Rosenkreuzertum anderseits durchaus anerkannten, doch den Abhängigkeitsgrad stark herabstuften bis hin zu einer gemeinsamen Geschmacksrichtung oder zu einer 12 Johann Schellhammer : Widerlegung der vermeynten Postill Valentini Weigelij: Jn welcher der Satan/ in diesem letzten Seculo, seine Hellische Gifft und Grundsuppe aller Lesterung und Lügen/ wider Christum/ sein Wort/ Sacramenta/ und Diener/ gar stoltz/ frech und ubermütig außgeschüttet hat. Hamburg, Leipzig 1621, S. 12. Laut Schellhammer habe Weigel Hermes und Paracelsus gleichermassen in den Stand von Propheten und Evangelisten gehoben: »Diesen Heydnischen Mercurium oder Hermetem allegiret vnd zeucht Weigel offt an als einen authenticum Autorem, bewährten Propheten vnd Apostel Gottes […] Gleicher gestalt/ zeucht Weigel offt an als einen grossen Evangelisten vnd hohen Apostel/ beklaget sich sehr/ daß seine Theologische Bücher vnd Scripta nicht müssen gedrücket werden […]«. Ebenda, S. 14. 13 Ehregott Daniel Colberg: Das Platonisch-Hermetisches Christenthum, Begreiffend Die Historische Erzehlung vom Ursprung und vielerley Secten der heutigen Fanatischen Theologie, unterm Namen der Paracelsisten, Weigelianer, Rosencreutzer, Quäcker, Böhmisten, Wiedertäuffer, Bourignisten, Labadisten, und Quietisten, Frankfurt und Leipzig, 1690 – 1691, Teil 1, S. 90. Zum Hinweis auf »Fraerisenius« vgl. Isaac Froereisen: Anatomia sive Exenteratio Draconis Fanatici. Straßburg 1623, p. A4r, wo allerdings »Trismegistum Germanum« steht.
76
Carlos Gilly
symbolischen Gemeinschaft hervorragender Geister. Ersteres tat 1737 der Helmstedter Orientalist Hermann van der Hardt in einer seiner sieben Grußadressen zur Inauguration der Göttinger Universität, die dem Mythos des Hermes Trismegistus und der Auslegung des Poemander gewidmet war : Apud Theophrastum Paracelsum, Rosae crucis fratres, chimicos et mysticos, magnum pretium nominis Hermetis Trismegisti, qui venditatur dux et autor profundae arcanaeque doctrinae theosophicae et pneumaticae; quod illorum gustui dandum.14
Johann Ludwig Hannemann seinerseits gab 1694 seinem Kommentar über natürliches und künstliches Gold den Titel Ovum Hermetico-Paracelsico-Trismegistum aber lediglich, wie er selber erklärte, zu Ehren der zwei hervorragendsten Figuren aus der Geschichte der Chemie, nämlich des Hermes aus Ägypten (»Vater der Alchemiker und Oberkünstler der Goldverwandlung«) und des Schweizers Theophrastus Paracelsus, der in Deutschland als der wieder lebendig gewordene Hermes und Oberhaupt der alchemischen Geheimnisse galt: Inscribitur autem opus Hermetico-Paracelsico-Trismegisticum. Sicque huic nostro Tractatui duorum Magnorum Virorum nominibus autoritatem aliquam conciliare voluimus. Primo dicitur Hermeticum ab Hermete olim Aegyptio Sacerdote, qui omnium Chemicorum salutatur Pater et Chrysopeae Artifex primarius, qui et Mosi dicitur fuisse coetaneus. Secundo dicitur Paracelsicum, quo respicimus Theophrastum Paracelsum Helvetum, qui in Germania nostra fuit redivivus Hermes ac omnium mysteriorum Chymicorum Monarcha.15
2.
Die Wandlung Hohenheims zum Mercurius Redivivus, Hermes Secundus und Trismegistus Germanus
Hermes redivivus, Trismegistus Germanus … Wie kam der Hohenheimer zu diesem Namen? Dass Paracelsus, bar aller Bescheidenheit, wie er nun einmal war, sich selbst zum »Monarcha Medicorum« emporhob, ist aus seinen Schriften bekannt, besonders aus dem Buch Paragranum von 1529 – 1530, in dem er sein stolzes »Mir nach und nicht euch nach« und sein provokatives »Mein wird die Monarchei sein« verkündigte. Und wenn er im gleichen Buch an dem Beinamen »Lutherus medicorum« Anstoß nahm, geschah dies nur deshalb, weil ihm dieser von seinen Gegnern verliehene Titel zu gering erschien. Ob er sich mit dem 14 Hermann von der Hardt: Antiqvitatis Fulgor : Mercvrii Trismegisti Aegyptii Poemander, svbtilis et nitidvs Orientis mythvs de mente et conscientia, Academiae Regiae Georgiae Avgvstae qvae Gottingae est […] prospero avgvrio nvncvpatvs. Helmstedt 1737, S. 2. 15 Johann Ludwig Hannemann: Ovum Hermetico-Paracelsico-Trismegistum. Frankfurt 1694, S. D5r-v.
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
77
Beinamen »Hermes secundus« oder »Trismegistus Germanus« anfreunden konnte, ist aus den wenigen Erwähnungen des Hermes in den echten paracelsischen Schriften nicht erkennbar. Mit großer Wahrscheinlichkeit hätte er, wie im Falle des Vergleichs mit Luther, zur Antwort gegeben: »Meint ir, ich sei allein Lutherus?« »Ich bin Theophrastus und mehr als die, den ir mich vergleichent. Ich bin derselbig und bin monarcha medicorum darzu«.16 Auf den Titelseiten seiner zu Lebzeiten veröffentlichten Schriften trat Paracelsus allerdings viel bescheidener auf. So in der Basler Vorlesungsankündigung von 1527, wo er sich als »Vtriusque Medicinae Doctor ac Professor, Medicae Artis Studiosus« bezeichnete oder in den Syphilis-Schriften von 1529 – 1530, in denen das Adjektiv »Hochgelerter« verwendet wird. Auf den Titelblättern der Grosse Wund-Artzney von 1536 erfährt der Beiname eine Steigerung als »des hochberümptesten vnd weiterfarnesten« bzw. »des Ergründeten vnd bewerten, bayder Artzney Doctors Paracelsi«, und in der astrologischen Prognostication des gleichen Jahres wird Paracelsus noch einmal als »hochgelehrter« bezeichnet, was in der lateinischen Übersetzung in »per eximium dominum ac Doctorem Paracelsum« umgewandelt wurde.17 Man ist von den hochtrabenden Benennungen wie »magnum Monarcham, ter maximum, instauratorem Philosophiae et Medicinae« noch weit entfernt, die spätere Gegner als übertrieben und abwegig denunzierten.18 Die Lage änderte sich aber bald, als in den 1560er Jahren die Flut von Paracelsuspublikationen einsetzte, die man seit Thorndike als »the Paracelsan revival« zu bezeichnen pflegt. Schon 1562 und 1563 bezeichnet Adam von Bodenstein Paracelsus in zwei lateinischen Ausgaben als »Medicorum et Philosophorum facile Princeps«, »Monarchen der gewissen gegründten Medicin« und »Medicorum et Philosophorum Summus«, während für den anonymen Herausgeber der Philosophia ad Athenienses von 1564 »mag der fürst Theophrastus ein wegweiser aller Philosophia genant werden/ vnd ein anzeiger der Philosophischen wahrheit/ mit gantzem natürlichen grundt/ dann er allein die bewe16 Entwürfe und erste Ausarbeitung der Vorrede zu den ersten zwei Büchern des Paragranum (1529– 1530) in Paracelsus: Sämtliche Werke I. Abteilung. Medizinische, naturwissenschaftliche und philosophische Schriften. Hrsg. von Karl Sudhoff. München, Berlin 1922– 1929, Bd. VIII, S. 43, 63. Zu den seltenen Erwähnungen des Hermes in den echten Schriften des Paracelsus vgl. Corpus Paracelsisticum Bd. I. Der Frühparacelsismus. Erster Teil. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann und Joachim Telle. Tübingen 2001, S. 172; Walther Pagel und Marianne Winder : Paracelsus, Traditionalism and Mediaeval Sources. In: Medicine, Science, Culture: Historical Essays in Honor of Owsei Temkin. Baltimore 1968, S. 51 – 75. 17 Karl Sudhoff: Versuch einer Kritik der Echtheit der Paracelsischen Schriften, I. Teil: Bibliographia Paracelsica. Besprechung der unter Theophrast von Hohenheim’s Namen 1527– 1893 erschienenen Druckschriften. Berlin 1894, S. 3 – 39. Zu der Reputation von Paracelsus aufgrund solcher Titel vgl. Charles Webster: Paracelsus – Medicine, Magic and Mission at the End of Time. New Haven, London 2008, S. 62 f. 18 So z. B. Andreas Libavius: Singularium Pars Prima. Frankfurt 1599, S. 293.
78
Carlos Gilly
rung setzt zu der warheit gnugsam zu sein«.19 Ein weiterer Paracelsist namens Lambert Wacker war der Ansicht, dass Paracelsus nicht nur »ein monarcha et princeps medicorum« gewesen, sondern darüber hinaus auch ein »König unter den Theologen« und ein »Haupt der Jurisprudenz«: »ich dorfte auch woll sagen: theologorum rex et iurisconsultorum caput, also hat er gar in allem dem ziel nahener geschossen denn bisher keiner«.20 In der zu Krakau 1569 erschienenen Ausgabe der Archidoxa in lateinischer Sprache wird der Hohenheimer zum ersten Mal auf einem Titelblatt »Paracelsus Magnus« genannt und am Anfang eines jeden der zehn Archidoxenbücher steht die Überschrift »ex Theophrastia Paracelsi Magni liber […]«,21 doch schon sieben Jahre früher war dieser Beiname, der an Albertus Magnus erinnerte, in zwei wirkungsmächtigen Lobbriefen von zwei bis heute nicht identifizierten Pseudonymen, Valentius de Retiis und Valentius Antrapassus Sileranus, für Paracelsus geprägt worden. Im ersten hatte de Retiis in einem rätselhaften Satz erklärt, wie Theophrastus Bombast de Hohenheim zu dem Beiname »Paracelsus Magnus« gekommen war (»A Stoicis Paracelsus magnus vocatus«), ohne näher zu erläutern, wer mit den »Stoicis«, bzw. »Atheniensibus« gemeint sein könnte.22 Antrapassus seinerseits war voll des Lobes für »die Lateinischen Bücher deß teüren großen Philosoph und Medici Theophrasti inn der artzney vnd in der Philosophey«, welche sich »als gründtlicher und gewarsamlicher« erwiesen hätten, als diejenigen der »Arabischen vnnd Chaldeischen Doctores/ auch der Griechischen«. Deshalb, so Antrapassus nicht minder rätselhaft über den Ruhm von Paracelsus, hätten ihn »die Athenischen« »für ein destructorem aller jrrungen« gehalten, »die Hebreischen den andern Rabbi Moysen« genannt und schließlich die Pessularischen (d. h. die medizinische Schule in Montpellier) zum »deutschen Hyppocratem, vnd newen Aeskulapium« auserkoren.23 Von Hermes Trismegistus ist noch keine Rede. Der wohl erste ausdrückliche Vergleich von Paracelsus mit Hermes Trismegistus steht in einem Gedicht, das Hans Kilian, Bibliothekar und Verwalter der 19 Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil I (wie Anm. 17), S. 70, 81, 101 f.; vgl. auch Corpus Paracelsisticum Bd. I (wie Anm. 16), S. 211, 268, 275, 305. Paracelsus: Philosophiae ad Athenienses drey Bücher. Köln 1564, S. A2v (ed. Huser, Bd. VIII, S. 1; ed. Sudhoff, Bd. XIII, S. 389). 20 Paracelsus: Sämtliche Werke. Theologische und religionsphilosophische Schriften, bearbeitet von Kurt Goldammer. Supplement: Religiöse und sozialphilosophische Schriften in Kurzfassungen, Wiesbaden 1973, S. 170 – 171; Vgl. auch Carlos Gilly : »Theophrastia Sancta«. Der Paracelsismus als Religion im Streit mit den offiziellen Kirchen. In: Analecta Paracelsica. Studien zum Nachleben Theophrast von Hohenheims im deutschen Kulturgebiet der frühen Neuzeit. Hrsg. von Joachim Telle. Stuttgart 1994, S. 425 – 488 (488 f.); Webster: Paracelsus (wie Anm. 17), S. 62. 21 Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil I (wie Anm. 17), S. 170 – 172, 189. 22 Zu Valentius de Retiis vgl. Corpus Paracelsisticum Bd. I (wie Anm. 16), S. 585 – 599. 23 Zu Valentius Antrapassus Sileranus vgl. Corpus Paracelsisticum Bd. I (wie Anm. 16), S. 600 – 620.
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
79
»theophrastischen Bücher« am Hof des pfälzischen Kurfürsten Ottheinrich in Neuburg/Donau, 1562 für den Paracelsisten Georg Fedro verfasste. Hier wird der hervorragende Arzt Paracelsus auch als hervorragender Chemiker und Magier gefeiert, der gleich dem König und Philosophen Mercurius/Hermes Trismegistus und dem König Salomon den Gipfel in den alchemischen, aber auch in den magischen Künsten erklommen hat: Wie dann die warhafft erkanntnus Medicinae, Theophrastus, Von Hohenheim Philips genandt Den jhm gleich begnadten bekandt/ In teütscher Nation lande Bewissen hat mancher hande. Die ander gnad ist dermassen Was die Medicin verlassen/ Bringt in höhere grad subtil
Chemia, wie vns erweist vil Mercurius Trismegistus Ein Künig vnd Philosophus. Wer dann noch höher will schleichen Vnd etwas merers erreichen / Was die baid nit mögen geben / Das vndernimbt sich/ merckt eben / Magia, aller künsten kron / Wie vns zeügt der weiß Salomon.24
Dem Bibliothekar Kilian folgte fünf Jahre später Balthasar Flöter aus Sagan in Schlesien mit einem weiteren Vergleich Hohenheims mit Hermes, wiederum in einem (diesmal lateinischen) Gedicht, das er jeweils zu Eröffnung von zwei von ihm 1567 in Frankfurt herausgegebenen Schriftensammlungen des Paracelsus, Medici libelli und Astronomica et Astrologica, gleich zwei Mal abdruckte als Auslegung und Beschreibung eines dort abgedruckten Paracelsus-Porträts: In Theo. Paracelsi Icona, Carmen:
Auf das Bildnis des Theophrastus Paracelsus:
Corpore talis erat Theophrastus, is alter Apollo: Haud feret Apelles, pectore qualis erat. Ipse Lepram; Phthisin, Podagram, Hydropem, abtulit: Ceu Hermes, Dium fundere nouit Azoth: Doctor Doctorum doctissimus, arte medendi, Qualibet ac Sophia, quam Philotechne colis.25
Ein zweiter Apollo war dieser Theophrastus dem Körper nach, doch den Geist in seinem Inneren hätte nicht einmal der große Maler Apelles darstellen können. Lepra, Schwind- und Wassersucht hat er geheilt und wie Hermes verstand er es auch, den göttlichen Azoth hervorzubringen. Unter allen Doktoren war er der gelehrteste Doktor und dies sowohl in der Medizin wie auch in jeglicher Wissenschaft, die Du, o Liebhaber der Künste, betreibst.
24 Joachim Telle: Paracelsus im Gedicht. Theophrastus von Hohenheim in der Poesie des 16. bis 21. Jahrhunderts, Hürtgenwald 2008, S. 19 – 20, 232; vgl, auch Corpus Paracelsisticum Bd. II. Der frühe Paracelsismus. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann und Joachim Telle. Tübingen 2004, S. 529 ff., 545 ff. 25 Telle: Paracelsus im Gedicht (wie Anm. 24), S. 23 – 26, 235 – 237. Dort auch eine Aufzählung
80
Carlos Gilly
Eine weitere und viel wichtigere Zusammenführung von Hermes und Paracelsus ist dem unbekannten Paracelsisten zu verdanken, der um das Jahr 1568 zwei wirkungsträchtige Pseudo-Paracelsica verfasst hat. Es handelt sich dabei um den von Toxites 1570 in Straßburg edierten Liber de Tinctura Physicorum und um die erst 1603 gedruckte Apocalypsis Hermetis, die aber bereits in De Tinctura ausdrücklich als Werk desselben Verfassers erwähnt wird (»als ich in Apocalypsi Hermetis anzeygt hab«).26 Schon im Titel der erstgenannten Schrift wird Paracelsus, außer als Philosoph, Monarch und spagyrischer Fürst, auch als großer Astrologe und Paradoxer Arzt gelobt und dann als der Trismegistus der geheimen mechanischen Künste vorgestellt, der gegen alle Sophisten seit der Sintflut zu Felde gezogen ist. Der Titel lautet in dem Straßburger Erstdruck: Philippi Theophrasti Bombast, ab Hohenheim, Philosophi, Monarchae, Spagyri Principis, Astronomi maximi, medici Paradoxi, Arcanorum mechanicorum Trismegisti liber De Tinctura Physicorum contra Sophistas natos postdiliuium in seculo Domini nostri Iesu Christi Filii Dei.27
In dem einleitenden Text stellt unser Pseudo-Paracelsus die alten Hermes und Archelaus als die maßgebenden Spagyriker und Astrologen »in der ersten Welt« dar und erinnert an die »alt Smaragdinisch tafel«, welche seiner Meinung nach »noch mehr kunst vnd erfahrung der Philosophei/ der Alchimey/ der Magic/ vnd der gleichen« enthält, als der ganze Haufen der Sophisten zusammen. Doch »in der mittlern Welt«, ist es Paracelsus allein, der als rechtmäßiger Nachfolger zu gelten hat: Jetzt volgt in der mittlern Welt die Monarchey aller künsten an Theophrastum den Fürsten langent/ in welche ich von Gott dem Allmechtigen erkoren/ alle fantasey/ vnnd erdichte werck/ der vermeinten wort vnterdrucken. Er heysse Aristoteles, Galenus, Auicenna, Mesue, oder wie er wölle/ sampt jhren Anhengern […] Daher ist Hermes Trismegistus der Egypter/ nach seinem sinn zuwerck gangen […] Aber jetzt hat nuh die göttlich gaab an Philippum Theophrastum Bombast/ der Arcanen Monarchen gelangt/ das forthin jedermann/ der sich des höchsten wercks der Physic vnterstehet/ wird mir nach müssen […].28
der vielen Nachdrucke des Gedichts. Zu Flöter vgl. Corpus Paracelsisticum Bd. II (wie Anm. 24), S. 584 – 586. 26 Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil I (wie Anm. 17), S. 189 – 190, 445; ders.: Versuch einer Kritik der Echtheit der Paracelsischen Schriften, II. Teil: Paracelsus-Handschriften. Berlin 1899, S. 708 f., 713 f. 27 Paracelsus: Archidoxa. Von heymligkeiten der Natur, Zehen Bücher. Item I. De Tinctura Physicorum […]. (ed. Michael Toxites). Straßburg 1570, S. 325 – 354; vgl. Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil I (wie Anm. 17), Nr. 166. 28 Paracelsus: De Tinctura Physicorum (wie Anm. 27), S. 327 – 329, 332 – 333; vgl. dazu Corpus Paracelsisticum Bd. II (wie Anm. 24), S. 30.
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
81
In der ebenfalls 1570, jedoch in München erschienenen Ausgabe der Archidoxa ex Theophrastia, welche den Liber de Tinctura Physicorum aus einer anderen handschriftlichen Vorlage wiedergibt, steigerte der Herausgeber Johann Albrecht in seiner Widmungsvorrede an Herzog Albrecht V. von Bayern die Gleichsetzung von Paracelsus und Hermes zusätzlich mit den Worten: Aber nit die warheit/ sonder die hoffart vnd vnwissenheit zuhandhaben/ mit wölchen Theophrasti widersacher an gefült sein/ wird Theophrastus so geschmecht: so die vermainten grosse Doctores sehen/ wann dises Trismegisti Artzney ein fortgang gewönne/ daß jhre Authoritet zu boden gieng.29
Während aber dem Liber de Tinctura Physicorum eine breite Wirkung beschieden war (der Traktat ist allein zwischen 1570 und 1574 in acht deutschsprachigen Ausgaben und einem lateinischen Abdruck erschienen),30 blieb die zweite oben erwähnte pseudoparacelsische Schrift, Apocalypsis Hermetis, als Werk des Hohenheimers bis 1603 ungedruckt. Doch der Text an sich, unter einem anderen Titel und keineswegs als Erzeugnis des Paracelsus, war bereits 1566 mit einem italienischen Kommentar in London erschienen.31 Je mehr vermeintliche oder authentische Werke des Hohenheimers auf den Markt kamen und je öfter diese zum Gegenstand erbitterter Kontroversen wurden, desto stärker nahm man, besonders im Kreise seiner Anhänger, die geistige Nähe und enge Verwandtschaft der Schriften von Paracelsus mit denjenigen des Hermes Trismegistus wahr, wie etwa im Falle des Michael Toxites, der 1574 seine Onomastica zur Deutung von Hohenheims eigentümlichem Vokabular mit den Worten einleitete: Qvi in Hermetis Trismegisti, et similium Philosophorum, inprimisque Theophrasti Paracelsi nostri scriptis versantur : ijs propemodum euenire video, quod olim Semi filijs in aedificanda turre confusionis accidit (Wer sich mit den Schriften des Hermes Trismegistus und ähnlicher Philosophen, besonders aber mit denen unseres Paracelsus beschäftigt, der hat, wie ich sehe, fast mit einer ähnlichen Verwirrung zu kämpfen wie einst die Söhne des Sem bei ihrem Turmbau von Babel).32
Anderthalb Jahre später, im August 1575, erhielt Paracelsus den hermetischen Ritterschlag und wurde zum ersten Mal zum »Trismegistus Germanus« und deutschen Hermes erkoren. Dies geschah allerdings ganz unauffällig, nämlich in der lateinischen Überschrift zu einer beim Basler Drucker Pietro Perna er29 Paracelsus: Archidoxa zwölff Bücher/ darin alle gehaimnüs der Natur eröffnet […] Auch noch vier andere Büchlein. (ed. Johann Albrecht Wimpinaeus). München 1570, S. +4r. Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil I (wie Anm. 17), Nr. 119; Corpus Paracelsisticum Bd. II (wie Anm. 24), S. 1017. 30 Corpus Paracelsisticum Bd. II (wie Anm. 24), S. 319, 1008. 31 Vgl. unten Anm. 54. 32 Corpus Paracelsisticum Bd. II (wie Anm. 24), S. 323 f.
82
Carlos Gilly
schienenen deutschen Kompilation von paracelsischen Texten über die Pest, Vom vrsprung der Pestilentz: Philippus Theophrastus Bombast Hohenheimensis, Svevorum ex panegyricis nobilium Arpinas, Confoederatorum Eremita, Philosophus Paradoxus, Mysteriarcha, Artium magister, Medicinarum profeßor, Musarum mechanicarum trismegistus Germanus. De Peste et accidentibus eius.33
Doch was sich damals dem Gedächtnis der Anhänger und Gegner des Paracelsus am stärksten einprägte, war nicht so sehr diese neue Titulatur des Hohenheimers samt dessen neuer Stilisierung als »Trismegistus Germanus«, sondern viel mehr der gewaltige Skandal um die undifferenzierte Vermengung von Hermes, Paracelsus und dem Apostel Paulus in einer weiteren Publikation aus dem gleichen Jahr. Und dabei denke ich nicht so sehr an den gewagten pseudoparacelsischen Traktat De secretis creationis, welcher das wohl ausführlichste Bekenntnis zum »vnser Vatter Hermes« des ganzen echten und unechten paracelsischen Schrifttums enthält34 und zu dem Toxites eine apologetische Widmungsvorrede beitrug, um Paracelsus ausgerechnet aufgrund von dieser Schrift völlige Übereinstimmung mit der Paulinischen Auferstehungslehre zu bescheinigen.35 Den Skandal verursachte vielmehr die Veröffentlichung einer anonymen Schrift Arbatel De Magia Veterum – Summum Sapientiae in Pernas Druckerei ebenfalls 1575, in der Paulus und Hermes gemeinsam als Zeugen der Verderbnis der Wissenschaften und Befürworter der Geistermagie auftreten: Aphorismus XII: […] Hoc modo vocali verbo omnes tradebantur disciplinae per Sanctos Dei angelos sicut ex Aegyptiorum patet monumentis. Et hae postea humanis sunt depravatae opinionibus […] sicut manifestum est ex diuo Paulo et Hermete Trismegisto. Et non est alia Instaurandi Artes Ratio, quam ex doctrina Sanctorum Dei Spirituum: quia vera fide est ex avditv.36 (Solcher Gestalt sind anfangs mündlich alle Künste durch die heiligen Engel gelehret worden, wie aus der Egypter Monumenten zuersehen. Diese Künste sind mitlerweil durch menschliche Opinionen […] verfälscht vnd verunreiniget worden, wie offenbar ist aus dem Heiligen Paulo vnd Hermete Trismegisto, vnd ist forthin kein beßer Weg noch Weise, die Künste wieder in ihren alten Stand vnd Vollkommenheit zu bringen, denn durch die heiligen Gottes Engel vnd Meister ; denn der wahre Glaube kommt aus dem Gehör).37 33 Paracelsus: Vom vrsprung der Pestilentz vnd jhren zufallenden Kranckheiten. Basel 1575, S. b5v. Zu dieser von Bartholomäus Scultetus kompilierten und von Bodenstein edierten Ausgabe vgl. Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil I (wie Anm. 17), Nr. 167 (S. 288 – 291); Corpus Paracelsisticum Bd. I (wie Anm. 16), S. 528– 533. 34 (Pseudo-)Paracelsus: De secretis creationis. Von Heimlichkeit der Schöpffung aller dingen. Vor nie im truck außgangen (ed. Michael Toxites). Straßburg 1575, S. 67 – 68. 35 Corpus Paracelsisticum Bd. II (wie Anm. 24), S. 462 – 476. 36 Arbatel. De Magia Veterum. Summum Sapientiae studium. o.O. [Basel] 1575, S. 16 – 17. 37 Zitiert nach der handschriftlichen deutschen Version, Das Buch Arbatel, in Darmstadt LB, Ms. 1720/2, S. 1 – 32 (hier 5 – 6). Zum Arbatel und dessen Überlieferung handschriftlich oder
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
83
Ebenso wurde Paracelsus, gemeinsam mit Hermes Trismegistus, feierlich zum Inbegriff aller Geheimnisse und Verwalter aller Geheimkräfte der Natur erklärt: Es ist auch ein ander vnd gemeiner Weg, dadurch die Geheimnüß, auch ohne dein Wissen von Gott oder von den Geistern (in deren Gewalt die Geheimnüß sind) können offenbaret werden […] Hermes Trismegistus, der billig genannt wird aller Secreten Vater, mit dem Theophrasto Paracelso, die begreiffen in sich alle Kräffte der Geheimnüße.38
Oder wie es im lateinischen Original noch knapper heißt: Aphorismus XXVI: Alia via est communior, vt tibi reuelentur, etiam te inscio, decreta a Deo vel Spiritibus, qui secretum in sua potestate habent […] Hermes Trismegistvs est Secretorvm Pater cvm Theophrasto Paracelso et in se omnes vires habent secretorum.39
Der Druck des Arbatel (›mirum libellum Basileae publice editum de Magia‹) verursachte in der Stadt einen gewaltigen Skandal. Der Antistes Simon Sulzer prangerte das Buch von der Kanzel in zwei oder drei Predigten scharf an; der damals in Basel weilende Bonaventura Vulcanius forderte die reformierten Theologen Goulart und Daneau auf, das Arbatel zu widerlegen und übergab Th¤odore de Bºze sein Exemplar. Bºze, der gerade auf der Durchreise in Basel war, denunzierte in einem empörten Brief an den Theologen Grynaeus dieses ›verbrecherische Buch‹ mit seinen satanischen Charakteren und der ungeheuerlichen Gleichstellung von Paulus und Hermes Trismegistus (›Paulumne cum Trismegisto isto collatum feremus?‹) und verlangte die Bestrafung sowohl des Verfassers wie auch des Druckers. Eine gerichtliche Untersuchung hat jedoch wohl nicht stattgefunden, denn sonst hätte ein anderer Basler Drucker, Thomas Guarin, nicht vier Jahre später in den Opera Agrippas das Arbatel wieder aufgelegt.40 Was den Verfasser dieses einflussreichen Büchleins betrifft, so ist dieser im Druck vgl. C. Gilly : Il primo prontuario di magia bianca in Germania / The first book of white magic in Germany, in: Magia, alchimia, scienza / Magic, Alchemy and Science (wie Anm. 8), S. 199 – 217. Einen ähnlichen Skandal verursachte 125 Jahre später der radikale Pietist Johann Conrad Dippel, als er die Lehren des Hermes Trismegistus für identisch mit der Lehre des Apostels erklärte, vgl. Kristine Hannak: Theologie als Theosophie, oder : Hermes Trismegistos und die Wiedergeburt im radikalen Pietismus um 1700. In: Pietismus und Neuzeit 34 (2008), S. 135 – 166 (zit. 141 f.). 38 Das Buch Arbatel (wie Anm. 37), S. 16. 39 Arbatel. De Magia Veterum (wie Anm. 36), S. 45. 40 Zu den heftigen Reaktionen auf die Publikation des Arbatel in Basel vgl. Antonio Rotondý: Pietro Perna e la vita culturale e religiosa di Basilea fra il 1570 e il 1580. In ders.: Studi e ricerche di storia ereticale del Cinquecento, 2 Bde. Firenze 22008, Bd. II, S. 479 – 576 (565 – 575). Vgl. auch Correspondance de Th. de Bºze, XVI (1993), S. 265 f., aber unter Berücksichtigung unserer in Il primo promptuario / The first book (wie Anm. 37), S. 205/214 geäußerten Kritik.
84
Carlos Gilly
immer unbekannt geblieben, und es ist sehr zu bedauern, dass Jean Jacques Boissard, der zur Zeit des Erscheinens von Pernas Druck ebenfalls in Basel weilte, in seiner posthum erschienenen Kritik des Arbatel nicht namentlich »die Gelehrten und vermeintlich frommen Männer« nannte, »welche die gottlosen Scheußlichkeiten in diesem Buch gefördert hatten«.41 Dies scheint aber kein Problem für die Leser der unterschiedlichen deutschen Übersetzungen bedeutet zu haben, denn bald wurde die Autorschaft des Arbatel ohnehin Paracelsus zugeschrieben, wodurch dieser indirekt zum Spezialisten aller dort angekündigten Arten der Magie wurde: von der »Magia Olympica« bis auf die »Magia Hermetica« oder »Aegyptiaca«, welche laut dem Arbatel der göttlichen Magie nicht unähnlich ist (»non multum abest a Divina Magia«).42 Eine parallele Steigerung auf dem Weg der Stilisierung Hohenheims zum deutschen Trismegistus erfolgte auf den Titelseiten des eigenwilligen Übersetzers und Herausgebers Gerard Dorn, der mit seinen Basler und Straßburger Kollegen in Konflikt geraten war, weshalb seine späteren Paracelsus-Ausgaben in Lyon und Frankfurt am Main erscheinen mussten. Zuerst wurde das Attribut Germanus abgesondert und betont (Theophrastus Germanus),43 dann wurde es zum Begleitwort für den Philosophen und Arzt (Germanus Philosophus ac Medicus).44 Schließlich wurde der Terminus Germanus fallen gelassen, dafür erhielt Paracelsus zwei Mal hintereinander den Ehrentitel eines »Magni, Terque maximi Philosophi ac Medici rarissimi« bzw. »prae cunctis excellentissimi«,45 der wegen der herausragenden Behandlung der Astralkörper der Dinge zusammen mit Hermes Trismegistus der »dreimal Größte« genannt werden müsse:
41 Jean Jacques Boissard: De divinatione et magicis praestigiis. Oppenheim 1615, S. 27 – 31, 38 – 39. 42 Von den vier deutschen Übersetzungen bzw. Bearbeitungen des Arbatel scheint die von mir genannte »versio c« die ältere und viel verbreitetere deutsche Version zu sein. Sie bietet die 49 Aphorismen in anderer Reihenfolge und mit zahlreichen Zusätzen aus Agrippa und wird (unter verschiedenen Titeln wie »Magia Veterum«, »Magiae Theophrasti neun Bücher«) stets Paracelsus zugeschrieben (Erlangen UB, Ms. 1508, S. 1 – 60; Kopenhagen KB, Thoth. 48 630; Darmstadt LB, Hs. 1720/1, S. 1 – 61; Oranienbaum HStA, Abt. Köthen, A 17a Nr. 105c1, S. 1 – 119; teilweise Abdruck bei Gottfried Arnold: Kirchen- und Ketzerhistorie, ed. 1740, Bd. I, S. 1522 – 1525). Ausgerechnet diese letzte Version wurde Ende des 16. Jahrhunderts ins Latein rückübersetzt (London, BL, Ms. Harleian 514). 43 Gerard Dorn: Theophrasti Germani, Paracelsi, Medicorum et Philosophorum omnium, in universum facile Principis De restituta utriusque Medicinae vera Praxi. Lyon 1578. 44 Gerard Dorn: De Naturae Luce physica, ex Genesi desumpta, iuxta sententiam Theophrasti Paracelsi, Germani Philosophi ac Medici prae cunctis excellentissimi, Tractatus. Frankfurt a/ M 1583. 45 Gerard Dorn: Commentaria in Archidoxorvm libros X. D. Doctoris Theophrasti; vgl. Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil I (wie Anm. 17), Nr. 200.
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
85
De sidereo rerum et firmamentali corpore domiciliove stellarum suarum, nemo hactenus (quod sciam) inter Christianos, imo nullus Ethnicorum et Gentilium scripsit, quam magnus ille Philosophus nostri temporis Theophrastus Paracelsus, natione Helvetius. Quapropter […] ob insignem eius rei tractationem, Termaximus cum Trismegisto non immerito foret appellandus. Tam sublimia sunt enim ea, quae scribit in omnibus ferme facultatibus, vt humani captum ingenij superent, ac non nisi a diuinitus illustratis queant intelligi.46
In dem Argumentum an den Leser bei dieser letzten Publikation, De Naturae lucis Physica ex Genesi desumpta, worauf wir noch zurückkommen werden, führte Dorn den Hermetismus und die Kabbala in das paracelsische System ein, indem er die Tabula Smaragdina des Hermes Trismegistus und die UnariusBinarius-Theorie des Trithemius als »spagirische« Auslegungen des mosaischen Schöpfungsberichts der Interpretation von Paracelsus an die Seite stellte: »Testes adfero Hermetem Trismegistum atque Jo[hannem] Trithemium, quorum scripta prorsum a Genesi desumpta, pro viribus ingenij luculenter ac diuersimodi, iam physice, modo spagirice, et subinde moraliter explicui.«47 Durch die Aufnahme dieser und anderer Bücher in den ersten Band von Zetzners Theatrum Chemicum und einigen daraus entstandenen Übersetzungen half Dorn entscheidend mit, die Gestalt des Paracelsus als die Stimme von Hermes auch in anderen Sprachgebieten zu propagieren. So schrieb z. B. der berühmte Astrologe John Gadbury 1657 in einem an den Übersetzer Robert Turner gerichteten Gedicht: I’ve wondred oft, why Scholars those should hate, That into English, Latine do translate; But now the Reason’s plain: for every man May learn the length of Paracelsus span […] Go on, good Friend, to other things; for we By this thy Book are able to foresee Great Paracelsus Learning, Hermes Skill, Shall English speak by thy ingenious Quill.48
Die endgültige Inthronisierung des »Thewren Teutschen Philosophi vnd Medici« Paracelsus als neuer Hermes Trismegistus, der »die gantze Philosophey vnd Medicin restauriret hat«, erfolgte dann an prominenter Stelle in der ersten Gesamtausgabe der Bücher vnd Schrifften in zehn Teilen, die Johann Huser auf Kosten des Kölner Kurfürsten und Erzbischofes Ernst von Bayern 1589 – 1591 in 46 Corpus Paracelsisticum Bd. II (wie Anm. 24), S. 918, 921, 926. 47 Dorn: De Naturae Luce physica (wie Anm. 44), S. 12. 48 Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil I (wie Anm. 17), S. 584; Abdruck in: Paracelsus in der Bibliotheca Philosophica Hermetica Amsterdam. Ausstellung zum 500. Geburtstag des Theophrastus Bombast von Hohenheim, Paracelsus genannt, bearb. von C. Gilly. Amsterdam 1993, S. 45.
86
Carlos Gilly
Basel bei Pernas Nachfolger Konrad Waldkirch veranstaltete. Auf der Rückseite der Frontispize und unmittelbar vor dem Porträt des Paracelsus verwendete der Drucker im zweiten, dritten, vierten, sechsten und zehnten Teil der Bücher vnd Schrifften eine volle Seite, um die 1575 entstandene Inschrift-Titulatur zur Vorstellung Hohenheims, diesmal mit großen Buchstaben, erneut zu formulieren: PHILIPPVS THEOPHRASTVS BOMBAST HOHENHEIMENSIS: SVEVORVM ex Panaegyricis Nobilium ARPINAS: Confoederatorum Eremi EREMITA: PHILOSOPHVS PARADOXVS: MYSTERIARCHA: ARTIVM MAGISTER: MEDICINARUM PROFESSOR: Musarum Mechanicarum TRISMEGISTVS GERMANVS.49
Diese Titulatur mit der Bezeichnung TRISMEGISTUS GERMANUS wiederholte sich jeweils auf der Rückseite des Titelblattes des dritten bis zehnten Teils von der Frankfurter Quarto-Ausgabe, die 1603 bei den Erben Johann Wechels erschien sowie in dem Operum […] Tomus Quintus der lateinischen QuartoAusgabe von Palthenius aus dem gleichen Jahr ; ferner in Husers posthumer Folio-Ausgabe der Chirurgische Bücher vnd Schriften von Straßburg 1605 sowie in dem ebendort erschienenen Nachdruck von 1618.50 Kurioserweise fehlt die Titulatur in der für den Verleger Lazarus Zetzner in Basel von Waldkirch gedruckten Folio-Ausgabe von 1603, wo sie aber durch ein kunstvolles Frontispiz mit einem breiten Holzschnittrahmen ersetzt wurde, mit den Standbildern des »Vergilius« und »Hermes Trismegistos« links und rechts und einem Brustbild des Paracelsus oben in der Mitte.51 Auf die Bezeichnung Trismegistus Germanus wurde eingangs des ersten Bandes zwar verzichtet; dafür finden wir sie noch verstärkt in den neu hinzugefügten Anhängen im zweiten Band. Denn hier erscheint zum ersten Mal die oben erwähnte Apocalypsis Hermetis mit dem Untertitel »Ab illustrissimo viro Aureolo Helvetio, qui fuit Hermes Secundus« und der editorischen Bemerkung »ex manuscripto Exemplari Theophrasti«.52 Nun ist es fraglich, ob in der handschriftlichen Über49 Paracelsus: Erster – Zehender Theil Der Bücher vnd Schrifften, ed. J. Huser. Basel 1589 – 1590; Friedrich Mock: Theophrastus Paracelsus. Eine kritische Studie. Würzburg 1876, S. 86 – 88; Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil I (wie Anm. 17), Nr. 217, 218, 219, 221, 225. 50 Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil I (wie Anm. 17), Nr. 254, 255, 263, 267, 302. 51 Wohl Anspielung auf einen Passus im 5. Buch des De Natura rerum, ed. Huser (wie Anm. 49), VI, S. 297: »Vnd also nach disem Proceß/ haben sich beyde Hermes vnd Virgilius vnderstanden/ mit hülff der Nigromantia, nach jhrem Todt widerumb zu Renouieren vnd Resucitiern/ vnd wider zu einem Kind new geboren zu werden […]«. Paracelsus wird hier also als Dritter in diesen Bund aufgenommen. Das Bild stammt von dem Zürcher Maler und Kupferstecher Christoph Murer und dem ebenfalls in Zürich wohnenden Formschneider Ludwig Fryg. 52 Paracelsus: Opera Bücher vnd Schriften, Ander Theil. Straßburg [Basel, K. Waldkirch] in Verlegung Lazari Zetzners Buchhändlers, 1603, S. 668 – 671, vgl. Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil I (wie Anm. 17), Nr. 257 (S. 444 – 445).
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
87
lieferung der Apocalypsis Hermetis bis 1603 die Bezeichnung »Hermes secundus« oder auch nur der Name des Paracelsus stand.53 Denn es handelt sich bei dieser Schrift um die Übersetzung und Bearbeitung eines lateinischen alchemischen Traktats, der unter den beiden Titeln Apocalypsis spiritus secreti und Apocalypsis Hermetis bereits vor der Abfassung des De Tinctura Physicorum handschriftlich und im Druck zirkulierte.54 Die oben erwähnte Notiz des pseudoparacelsischen Verfassers des De Tinctura (»als ich in Apocalypsi Hermetis anzeygt hab«) muss den späteren Herausgeber dazu verleitet haben, in Paracelsus den »Compositor« oder den »Dolmetscher« zu sehen. So lautet der Titel in einem Kasseler Manuskript aus dem Besitz des bekannten Sammlers paracelsischer Handschriften Johannes Scultetus Montanus in Striegau: Liber Apocalypsis Hermetis id est Theophrasti, qui fuit Hermes secundus. Die Offenbarung der verborgnen Geysts. Ab illustrissimo viro Aureolo Theophrasto Heluetio et Heremita Prudentissimo Philosopho et vtriusque Medicinae Doctore praestantissimo Compositus,55
während auf dem Frontispiz des Nachdrucks in der Pandora Magnalium naturalium des Benedictus Figulus von 1608 der Titel lautet: Apocalypsis des Hocherleuchten Aegyptischen Königs und Philosophi, Hermetis Trismegisti; von vnserm Teutschen Hermete, dem Edlen/ Hochthewrem Monarchen und Philosopho Trismegisto, A. Ph. Theophrasto Paracelso &c. Verdolmetschet.56
In seiner Vorrede zur Pandora hatte Figulus übrigens auch seine Absicht angekündigt, all die damals noch unveröffentlichten »thewren Schrifften Theophrasti, vnsers Hocherleuchten Teutschen Philosophi vnnd Hermetis vere Tri53 Von den mir bekannten deutschen Handschriften der Apocalypsis Hermetis enthält nur eine die Bezeichnung »Hermes secundus«, nämlich das unten zu besprechende Kasseler Ms. 48 Ms. chem. 60 VII, Heft 2, S. 1r-6r. 54 Vgl. Lynn Thorndike/Pearl Kibre: A Catalog of Incipits of Mediaeval Scientific Writings in Latin. Cambridge 1963, Sp. 612. Die lateinischen Incipits lauten: »Hermes, Plato, Aristoteles et ceteri philosophi per tempora […]«, bzw. »Hermes, Plato, Aristoteles reliquique antiquiores philosophi […]«. Bei einer »dritten« Apocalypsis Hermetis, die der bekannte Kopist von paracelsischen Texten Karl Widemann 1593 in Augsburg abschrieb (Leiden, Ms. Voss. chem. 48 21, S. 140r-158v), handelt es sich um eine gekürzte Kopie der bekannten Septem tractatus aurei des Hermes Trismegistus, die in der Ars Chemica, Straßburg 1566, S. 7 – 31 zum ersten Mal im Druck erschienen sind. Die erste Ausgabe erfolgte durch den Venezianer Giovanni Baptista Agnello: Espositione sopra un libro intitolato Apocalypsis spiritus secreti. London 1566. Hier ist von Paracelsus keine Rede, vgl. Florian Ebeling: Das Geheimnis des Hermes Trismegistos. Geschichte des Hermetismus. München 2005, S. 107 – 109. 55 Kassel, LBMB, Ms. 48 chem. 60 VII, Heft 2, S. 1r-6r. Diese Kasseler Kopie war ursprünglich im Besitz des Johannes Scultetus Montanus (1531 – 1604), wie es in einer Notiz über dem Titel steht: »Disen tractatum hat mir der herr Johannes Montanus verheret, den 3, Martij etc.« Leider fehlt die Jahresangabe. 56 Benedictus Figulus: Pandora magnalium naturalium aurea et benedicta. Straßburg 1608, S. 1 – 16.
88
Carlos Gilly
smegisti« demnächst ans Licht kommen zu lassen, weil »dieselben bißhero so teufflischer arglistiger weiß vndergetruckt/ vnd die wenigsten vnd aller schlechtesten zurechnen nur in truck kommen sind: derer er etlich 1000 Bücher beschrieben in Astronomia, Philosophia, Chymia, Cabala, vnnd Theologia Gratiae hinderlassen«.57 Von nun an ist die Identifikation des Paracelsus als neuer Hermes und Inbegriff arkan-hermetischer Naturweisheit vollzogen und wird durch weitere Bekundungen seiner Anhänger immer stärker bekräftigt. So zum Beispiel durch Figulus’ vertrauten Freund Adam Haslmayr, der in all seinen Schriften nicht nur eine neue Religion, die »Theophrastia Sancta«, verkündigte, sondern Paracelsus auch, als »Secretarius Gottes«, in einem Atemzug mit den drei anderen »secretarii Gottes« in Sachen Magie erwähnte : Als Hermes Trismegistus, Alfonsus Magnus, Salomon Jsraelita vnd Theophrastus Eremita Germanus. Dise haben Jhr gemüets, das ist sich selbst erkenent in Christo Magice. Darumb seindt sie vnsterblich worden, vnd seindt Secretarij Gottes, denen Gott alß seinen Ausserwehlten seine heilige Mysteria vnd Regni dei magnalia gezaigt vnd geoffenbarth hatt.58
Doch in Bezug auf die Kabbala ließ Haslmayr den kastilischen König Alfons X. bald wieder fallen, so dass der von ihm vergötterte »Trismegistus Germanus« und »Hermes Secundus« als einzig berechtigter Erklärer der Naturweisheit und Geheimkämmerer Gottes für die nachchristliche Zeitrechnung übrig bleibt: Diese Cabala erkhlert khein sterblicher bißhero vnter den Menschen Khindern seit der Apostel Zeitten, alß der hochselige weise man, vnd Teutsche Trißmegistus Philippus Theophrastus. Ein Stella signata des werden Germaniae derwegen genandt, vnd als Monarcha perpetuus von Gott in dise letzte weltt gesanndt, dessen
57 Ebenda, S. **6r. Zu der angeblich hohen Anzahl der Schriften des Paracelsus – welche die von Manetho und Seleucus überlieferten Zahlen von 36.525 bzw. 20.000 Hermes zugeschriebenen Büchern bei weitem nicht erreichen – vgl. Corpus Paracelsisticum Bd. I (wie Anm. 16), S. 593 f. Als aber Figulus ein Verzeichnis von Büchern anlegte, »so Theophrastus geschriben vnd noch nitt herfür alle seind kommen«, überstieg er nicht die Zahl von 300, vgl. K. Widemann: Sylva scientiarum et artium laudabilium. Hannover NLB, Ms. IV 341, S. 537. Widemann seinerseits kam mit seiner eigenen Liste (»Vnausgegangene Büecher Theophrasti et aliorum, denen nachzuefragen, die Ich zum Thail hab«, nicht einmal auf die Hälfte, nämlich 144 Titel, vgl. ebenda, S. 538 – 539bis. Zu Figulus vgl. Joachim Telle: Benedictus Figulus. Zu Leben und Werk eines deutschen Paracelsisten, in: Medizinhistorisches Journal 22 (1987) 303 – 326; C. Gilly : On the Genesis of L. Zetner’s Theatrum Chemicum in Straßburg. In: Magia, alchimia, scienza / Magic, Alchemy and Science (wie Anm. 8), Bd. I, S. 451 – 467 (bes. 458 – 461). 58 [Adam Haslmayr]: Extractus et Theophrastiae Cabalisticae Jsagoge, das ist: Die Anleittung der heiligen gehaimen Khunst vnd Weißheit der Propheten. Weimar HAAB, Ms. Q 286/20, S. 1v.
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
89
gleichen die Erden nicht gebohren hatt, derowegen ist aller vernunfft ausser seiner Cabala für nichts zuachten, alß für Jrthumb, Ehrgeitz vnnd betrug des Teuffels.59
Wiederholt hat Haslmayr sowohl in seinen gedruckten wie auch ungedruckten Schriften den dreimalgroßen Vater der Philosophen als den einzigen unter den gelehrten Heiden (»ausser Hermetem Trismegistum«, »außer Hermetem«) bezeichnet, der Christus und die Propheten nicht verachtet, sondern angenommen habe,60 aber er ist nicht so weit gegangen, aus Hermes einen biblischen Propheten zu machen oder ihn Moses gleichzusetzen. Diese Rolle hat er ausschließlich für Paracelsus reserviert, den er für einen Propheten Gottes oder gar einen zweiten Moses hielt und für den er gegen alle Gegner zur Feder griff, welche doch so ehrvergeßen ketzerisch vnd verrätherisch wider den gewaltigen Teutschen edlen Eremiten vnd andern Mosen Paracelsum Magnum, denn ihm Gott zu einem sondern gfeß, wie den Salomonem oder Paulum etc. erwhelt auf die lesten Zeiten […].61
Die übrigen Paracelsisten hingegen trieben es mit der Stilisierung des Hohenheimers zur Leit- und Kultgestalt nicht so weit wie Haslmayr und blieben bei den bereits standardisierten Formulierungen wie »Hermes Germanicus« (Joachim Tanke),62 »Trismegistus Germanus« (Paul Nagel),63 »Trismegisti Germani verba« (Christoph Hirsch)64 »our German Trismegistus« (Nicholas Le F¤vre),65 »Bombast ab Hohenheim Trismegistus Germannicus« (Andreas Luppius),66 »Hermes
59 Ebenda, S. 2r. Zu der Handschrift vgl. C. Gilly : Adam Haslmayr. Der erste Verkünder der Manifeste der Rosenkreuzer. Amsterdam 1994, S. 209 f. Vgl. auch Sudhoff. Versuch einer Kritik, Teil II (wie Anm. 26), S. 635 f. (ohne Identifizierung des Verfassers). 60 »[…] sondern all jhre Weißheit vnd Philosophey von Narristotele vnd andern vnglaubigen Heyden/ so die Propheten nicht angenomen/ sondern verachtet haben/ ausser Hermetem Trismegistum, etc. entlehnet haben/ als an der Philosophia Alberti, Thomae, Raymundi Lullii, Arnoldi Villanouani, vnd anderer vermeinten Theologen/ etc. zu sehen ist […]«, vgl. [Adam Haslmayr]: Theologia Cabalistica de perfecto homine. In: Philosophia Mystica, Darinn begriffen Eilff vnterschidene Theologico-Philosophische/ doch teutsche Tractätlein/ zum theil auß Theophrasti Paracelsi, zum theil auch M. Valentini Weigelii. Newstadt [Frankfurt a/M] 1618, S. 40 – 53 (zit. 40); vgl. auch [Adam Haslmayr]: Amphitheatrvm Chimicvm Sacrvm Wider die Sophistischen Spötter vnd vnuerstendigen Mercatänter, welche ihnen traumen laßen, die Alt Spagyrische Scienz sei nur ein gedicht der Betrüger. In: Kassel, LBMB, 28 ms. Chem. 15, S. 206r-212v (zit. 210v). 61 Adam Haslmayr : Oratio reuelatoria An die Regenten des Vatterlandts Ty¨rol vnd lob[lichen] O[ber] Ö[sterreichischen] Regierung zu Innsprug, Innsbruck. Tiroler Landesarchiv, Pestarchiv VIIIa, S. 34r-39v (zit. 38r). 62 Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil II (wie Anm. 26), S. 658. 63 Paul Nagel: Chiromantia Meganthropi Sive Signatura Macrocosmi. Leipzig 1611, S. K2r. 64 Josephus Stellatus [Christoph Hirsch]: Pegasus Firmamenti (wie Anm. 4), S. C7r. 65 Nicholas Le F¤bvre: Trait¤ de Chymie, Paris 1663, zitiert nach der engl. Ausgabe A compleat Body of Chymistry. London 1664, S. 14. 66 Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil I (wie Anm. 17), S. 625.
90
Carlos Gilly
redivivus« (Hannemann)67 oder auf Englisch »The Trismegistus of Switzerland« (Francis Barret),68 wobei der von Figulus 1608 geprägte »Teutscher Hermes«, wohl dank dem berühmten Epigramms des Quirinus Kuhlmann von 1671, bis in recht spätere Zeiten in Lexika und Medizinhistorien die dominierende blieb: Grab Arnoldus Theophrastus Paracelsus/ des Teutschen Hermes. Der Leichen hat beseelt/ Metall in Gold verklährt/ Und der Planeten Krafft in Sigeln dargewehrt/ Erlegt der Tod und sprach: wo du möchst ferner leben/ So würden noch auff mich die Menschen wenig geben.69
Paracelsus und Hermes waren nun unzertrennlich geworden, und dies nicht nur in den Texten, sondern auch in Bildern, zur Freude der Augen (»quae et oculos meos artificiosa figura recrearet«), wie Daniel Stoltzius von Stoltzenberg in seinen zwei alchemo-allegorischen Bilderbüchern Chymisches Lustgärtlein oder Viridarium Chymicum von 1624 bewies. Er ließ für beide Ausgaben eine Titeleinfassung in Kupfer mit den auf zwei Sockeln stehenden Figuren von Hermes und Paracelsus stechen, um die Besucher am Tor des hermetisch-spagyrischen Gartens in Empfang zu nehmen.70 Was wiederum an einen Satz des französischen Paracelsisten Israel Harvet erinnert, der in seinem Kommentar zum Tractatus aureus des Hermes Trismegistus von 1610 lapidarisch geschrieben hatte: »Hermes plantat: Paracelsus rigat: Deus autem dat benedictionem et incrementum.« (Hermes pflanzt, Paracelsus bewässert, Gott aber gibt seinen Segen und bewirkt das Wachstum).71
67 Siehe oben Anm. 14. 68 Francis Barret: The lives of Alchemystical Philosophers. London 1815, S. 52; Richard Alfred Davenport Sketches of imposture, deception, and credulity. London 1837, S. 322; Manly Palmer Hall: Secret Teachings of All Ages. San Francisco 1927 (zit nach ed. London 2005), S. 321, 628. 69 Telle: Paracelsus im Gedicht (wie Anm. 24), S. 85, 274 f. 70 Daniel Stoltzius von Stolzenberg: Viridarium Chymicum Figuris cupro incisis adornatum, et poeticis picturis illustratum. Frankfurt a/M 1624; ders: Chymisches Lustgärtlein/ Mit schönen in Kupfer geschnittenen Figuren gezieret/ auch mit Poetischen Gemälden illustrirt vnd erleuchtet. Frankfurt a/M 1624. 71 Hermetis Trismegisti Tractatus vere Aureus: De Lapide Philosophici secreti, in capitula septem divisus, nunc vero a quodam Anonymo [Israel Harvet] scholijs […] illustratus. Leipzig 1610, S. 73 (Theatrum Chemicum, IV, S. 622).
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
3.
91
Weitere zeitweilige deutsche Hermetes
Der Beiname Hermes Trismegistus blieb dennoch im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts nicht allein Paracelsus vorbehalten, sondern wurde gelegentlich auch auf andere Personen übertragen. Allen voran – laut zahlreichen Nachschlagewerken des 19. und 20. Jahrhunderts – dem deutschen Kaiser Rudolph II., den man immer wieder – auf Deutsch, Englisch und Französisch – als den »Fürsten der Alchemie, den deutschen Hermes Trismegistos«72 bzw. »the Prince of Alchemy, also called the German Hermes Trismegistus«73 oder »the Hermes of Germany« und »l’Hermes allemand«74 zu bezeichnen pflegte. Oder auch auf Lateinisch und Niederländisch, als »Hermes Trismegistos Germaniae« bzw. »Hermes Trismegistos van het Duitse Rijk«, wie es eine moderne Historikerin in ihrem Aufsatz über Rudolph und die arkanen Wissenschaften vorgezogen hat.75 Aber, trotz ostentativer Anwendung von Anführungszeichen, handelt es sich bei all diesen Beinamen um imaginäre Konstrukte ohne direkten Bezug auf allfällige Dokumente aus der rudolphinischen Zeit. Die einzigen Autoren, die eine echte zeitgenössische Formulierung überlieferten (»Unserer Zeit Hermes Trismegistus, Käyser Rudolphus II.«), sind der 72 Eduard Vehse: Geschichte der deutschen Höfe seit der Reformation, 9. Bd., 2. Abth. Oesterreich, III. Th. Hamburg 1851, S. 16; für den Ausdruck »den deutschen Hermes Trismegistos« allein vgl. ferner : Karl Christoph Schmieder : Geschichte der Alchemie, Halle 1832, S. 301; Hermannn Kopp: Geschichte der Chemie. Braunschweig 1844, S. 195 – 196; J.R. Wagner : Die Geschichte der Chemie. Leipzig 1655, S. 22; Eduard Maria Oettinger : Aus dem Hradschin, oder Kaiser Rudolph II. und seine Zeit. Historisch-romantisches Gemälde, Prag, Leipzig1856, 1. Bd. S. 144; Brockhaus: Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände. Conversations-Lexikon, 11. Ausg., 1. Bd. Leipzig 1864, S. 448 (s.v. Alchemie); Josef Svtek: Culturhistorische Bilder aus Böhmen (bes. das Kap. Die Alchemie in Böhmen). Wien 1879, S. 43 – 94 (zit. 54). Carl Kiesewetter : John Dee, ein Spiritist des 16. Jahrhunderts. Leipzig 1893, S. 51. In seinem Roman Tycho Brahes Weg zu Gott hat Max Brod nicht Rudolph II., sondern John Dee und Edward Kelley »jeder gar als neuer Hermes Trismegistos« in Prag auftreten lassen. 73 Eduard Vehse: Memoirs of the Court Aristocracy of Austria (übers. von Franz Demmler), Bd. I. London 1856, S. 239; Ebenezer Cobham Brewer : The reader’s handbook of allusions, references, plots and stories. Philadelphia 1880, S. 792; Germans: Webster’s Quotations, Facts and Phrases. San Diego 2008, S. 589; vgl. jetzt auch das Kapitel »The new Hermes Trismegistus« in: Peter H. Marshall: The magic circle of Rudolf II: Alchemy and Astrology in Renaissance Prague. New York 2006, S. 129 – 149. 74 The Eclectic review, NS. I (1857), S. 217; Edward Thorpe: History of Chemistry, vol. I. London 1909, S. 40; Louis Figuier : L’alchimie et les alchimistes. Paris 1854. S. 223, 238. 75 M. E. H. N. Mout: Hermes Trismegistos Germaniae: Rudolph II en de arcane wetenschappen. In: Leids kunsthistorisch Jaarboek (1982), S. 161 – 189, mit Verweis auf Robert J.W. Evans: Rudolf II and his World. A Study in Intellectual History 1576 – 1612. Oxford 1973, S. 230 »en passim«, wo aber außer allgemeiner Redewendungen (»the identification of Rudolf with the new Hermes Trismegistus« (S. 212); »souverain Hermes Trismegistus« (230) nichts derartiges steht.
92
Carlos Gilly
Tübinger Mathematikprofessor J. K. Creiling in seiner Edelgeborne Jungfer Alchymia von 1730 sowie der Bochumer Arzt K. A. Kortum in seiner Verteidigung der Alchemie gegen Wiegleb von 1789.76 Beide übernahmen wortwörtlich die Formulierung aus der posthum erschienenen Warhaffte Beschreibung der Universal Medicin des adligen Alchemoarztes Matthaeus Erbe von Brandau, der jahrelang am Prager Hof beschäftigt war : Unser Zeit Hermes Trismegistus, Keyser Rudolphus II. Hochlöblichen Gedächtnis/ hat diese rechte Keyserliche Kunst nicht um sonst geliebet: denn S. M. nicht öffters deren Specimena nur gesehen/ sondern auch endlich selbst eine Tinctur erlanget/ die man auff die 40000 Ducaten geschätzet.77
Im Gegensatz zu Rudolph II. wurde der als Hermetiker kaum auffallende König Jakob I. von England an einer viel prominenteren Stelle mit Hermes Trismegistus verglichen, nämlich in der Vorrede zur ersten Ausgabe von Francis Bacons The Advancement of Learning von 1605: So as your Maiestie standeth inuested of that triplicitie, which in great veneration, was ascribed to the ancient Hermes; the power and fortune of a King; the knowledge and illumination of a Priest; and the learning and vniuersalitie of a Philosopher.78
Mit weit größerer Berechtigung als der britische König hatte sich vermutlich Kaiser Ferdinand III. den Beinamen des mythischen dreimal Größten verdient. Doch nicht wegen seiner regen Förderung der Alchemie oder der angeblich in seiner Gegenwart erfolgreich durchgeführten Goldtransmutationen,79 sondern ausschließlich aufgrund seiner breiten Sprachkenntnisse glaubte ihn der Jesuit Athanasius Kircher in den Präliminarien zum ersten Band des Oedipus Aegyptiacus von 1652 – 1654 mindestens sieben Mal und in unterschiedlichen Sprachen als den neuen Hermes Trismegistus feiern zu müssen: »Rex Trismegistus«, »Basileos Trismegistos«, »Caesar Ter Maximus«, »ErmÞs Trism¤gistos ka
neos«, »Mercurius Trismegistus redivivus, triplici Regno, nec non Imperio,
76 Johann Conrad Creiling: Die Edelgeborne Jungfer Alchimia. Tübingen 1730, S. 77; Karl Arnold Kortum, der Arzneiwiss. Doktor und Arzt in Bochum, Verteidiget die Alchemie gegen die Einwürfe einiger neuen Schriftsteller besonders des Herrn Wieglebs. Duisburg 1789, S. 155. 77 Matth. Erbe von Brandau: Warhaffte Beschreibung von der Universal Medicin und Güldnen Tinctur Ursprung/ Anfang/ Mittel und Ende. Aus des Seel. Herrn Autoris Manuscripto zum Druck befördert und communiciret durch T.P.G.L.M.S. Leipzig 1689, S. 12. 78 The tvvoo bookes of Francis Bacon. Of the proficience and aduancement of learning, diuine and humane To the King. London 1605, S. A3v. Zu dieser Stelle vgl. besonders David G. James: The Dream of Prospero. Oxford 1967, S. 70 – 71. 79 Wie etwa ein gewisser Paracelsist R.F.T.M.S. tat als er seine Schrift »Saturnia regna sive Magisterium per Hermeticas positiones« 1649 dem »Ferdinando Trismegisto Imperatori semper Augusto« dedizierte, vgl. Wien, OeBN, cod. vindob. 11291.
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
93
Potentia, Religione Termaximus«, »[…] Trismegist, a righter Hermes […] of ’s triple grandure«.80
Viel treffender war hingegen der Vergleich von Hermes Trismegistus mit dem Landgrafen von Hessen-Kassel, Moritz dem Gelehrten, der nicht nur 1614 – 1615 den Erstdruck der Manifeste der Rosenkreuzer an seiner Hofdruckerei gestattete, sondern 1619 auch mit dem Fürsten August von Anhalt in Verbindung trat, um eine Art hermetische Gesellschaft zu gründen. Kein Wunder, dass ein Jahr später einer seiner Hofärzte, der Marburger Professor Heinrich Petraeus während eines akademischen Vortrags über Gifte und Gegengifte in einem rhetorischen Höhenflug zum Lobe der göttlichen Kunst der Chymia in Hessen deren Hauptförderer, Landgraf Moritz, nicht nur mit Hermes verglich, sondern ihn darüber hinaus als noch berechtigter als selbst Hermes befand, den Namen eines Dreimal-Größten als den eigenen zu tragen: Hermes ille, Philosophorum pater, Trismegisti sive Termaximi nomen apud Aegyptios suos obtinuit ob triplicis Philosophiae peritiam, vel quod triplici munere fungeretur, Philosophi, Sacerdotis et Regis. Quanto majore merito titulum hunc; non ex assentatione, sed rei veritate MAURITIO nostro termaximo assignabimus, qui Princeps optimus maximus, patriaeque pater mitissimus virtutes subditorum excitat, premiisque accendit et alit, vitia severis poenis co×rcet et exterminat, cives fideles protegit, hostium et rebelium tumultus et insultus fortiter retundit, ac fundit. Idem Princeps est vikosovij¾tator, consumatissimusque Philosophus, moralis, naturalis, rationalis. Idem Princeps Philosophus et Philosophus Princeps est solidissimus Theologus, et fidelissimus Archiepiscopus […]. Quis igitur est, qui non Principem termaximum humillima animi devotione colat, et deveneretur? Quis non libentissime obtemperet? Quis non ter optimum et benignissimum patriae Patrem, verumque humani generis delitium medullitus amet et diligat? Quis non ter optimum maximumque Principem omnibus laudum encomiis ad coelum usque extollat? […] Faxit hoc Rex Regum, Dominus dominantium, Deus ille super omnes ter Optimus Maximus […].81 80 Athanasius Kircher : Oedipus Aegyptiacus. Hoc est Vniversalis Hieroglyphicae Veterum Doctrinae temporum iniuria abolitae instauratio. Rom 1652 – 54, Bd. I., S. (+)2r, ++++1r, 1v, 2r, +++++2v. Zu Ferdinand III. als Alchemieliebhaber vgl. Wolf-Dieter Müller-Jahncke und Joachim Telle: Numismatik und Alchemie. In: Die Alchemie in der europäischen Kulturund Wissenschaftgeschichte. Hg. v. Christoph Meinel. (Wolfenbütteler Forschungen Bd. 32) Wiesbaden 1986, S. 229 – 275 (bes. 243 – 251); zur Alchemie am Wiener Hof vgl ferner Pamela H. Smith : Alchemy as a Language of Mediation at the Habsburg Court. In: Isis 85 (1994), S. 1 – 25; zu Athanasius Kircher als Totengräber des Hermetismus vgl. Magia, alchimia, scienza / Magic, Alchemy and Science (wie Anm. 8), S. 483 – 507. 81 Henricus Petraeus: Nosologia Harmonica Dogmatica et Hermetica. Marburg 1620, S. 33 – 35. Diese wichtige Stelle entging sowohl Bruce T. Moran: The Alchemical World of the German Court. Occult Philosophy and Chemical Medicine in the Circle of Moritz of Hessen (Sudhoffs Archiv, Beiheft 29). Stuttgart 1991, wie auch den Herausgebern des schönen Ausstellungskatalogs Moritz der Gelehrte. Ein Renaissancefürst in Europa. Hrsg. von Heiner Borggrefe (et alii). Eurasburg 1997, denn hier wird auf S. 390 als »Deutscher Hermes Trismegistos« zwar Kaiser Rudolf II., nicht aber auch Landgraf Moritz erwähnt.
94
Carlos Gilly
A propos »Deus Ter Optimus Maximus« (oder auch »Deus Ter Maximus«): Die Bezeichnungen »Trismegistus« und »Ter Maximus« wurden zwischen 1600 und 1630 von Paracelsisten und Hermetikern nicht nur auf Gott Ab hoc Trismegisto Theophrastus Paracelsus edoctus, scivit, quicquid in rerum natura fuit scibile (Von dem Dreimal Größten [Gott] unterrichtet, lernte Paracelsus alles, was man wissen kann)82
sondern auch auf Christus angewandt. Dies taten unter anderem Michael Maier: »Summus OPT. MAX. et vnice TRISMEGISTVS ille animae et corporis Medicus IHESVS CHRISTVS,«83 vor allem aber Benedictus Figulus, der die Formel sogar als Datierung verwendete »Sey hiemit deß Trismegisti Spagyri großmächtigen Gnaden Schutz befohlen«; »ANNO TrIs MegIstI RegIs et DoCtorIs GratIae nobIs natI« [1608]; »ANNO TrIsmegIsto BeneDICtIonIs et gratIae nobIs genItae [1608]«; »Actum in Altera Feria Natalitia I. Christi Trismegisti nostri Spagyri«; »Ex ore Spagy¨ ri Trismegisti I[ESU] CHRISTI Domini et Redemtoris nostri«; »Laus trismegisto Regi Gratiae et naturae«.84
Doch nicht nur göttliche Wesen oder gekrönte Häupter wurden mit dem Titel eines Trismegistus beehrt. Abgesehen von Reuchlin, den der Verfasser der R.C. Manifeste Johann Valentin Andreae den »Trismegistus der guten Literatur« nannte,85 finden wir ihn vor allem bei Liebhabern der Hermetik und der Alchemie: So wurde 1607 der Alchemiker Peter Amelung von Marcus Rorscheidt und Joachim Tanckius wegen seine Angriffe auf die »Turba Galenica« als »Teutonicum Hermetem« und »Patriae Hermetem« gefeiert.86 Den Rekord an Hermes-Vergleichen brach jedoch der berühmte Alchemiker Jacob Alstein, der zwar zu Lebzeiten kaum etwas publizierte, dennoch »nicht allein in Frankreich, sondern auch in England, den Niederlanden, der Schweiz, 82 Henning Scheunemann: Hydromantia Paracelsica, Hoc est, Discvrsvs philosophicvs De novo fonte […] circa oppidvm Annebergam reperto. Frankfurt 1613, S. 2v. Ich zitiere nach dem Exemplar von Christoph Besold in Salzburg, der die Stelle kräftig unterstrichen hat. 83 Michael Maier: Arcana arcanissima. o.O. 1614, S. 285; vgl. Hereward Tilton: The Quest for the Phoenix. Spiritual Alchemy and Paracelsism in the Work of Count Michael Maier (1569 – 1622). Berlin, New York 2003, S. 86. 84 Heinrich Khunrath: De igne magorum philosophorumque secreto (hrsg. von B. Figulus). Straßburg 1608, S. 126; B. Figulus: Thesaurinella Olympica (wie Anm. 3), A1r ; B. Figulus: Rosarivm novvm Olympicvm. o.O. [Basel] 1608, a1v ; B. Figulus, Pandora (wie Anm. 56), S. *8v ; B. Figulus: Thesaurinella Alchimiae. Kassel LBMB, 88 Ms. chem. 25, S. 1r.; ders. (Übersetzer): Liber Proverbiorum […]. Hamburg SUB, Ms. Cod. Theol. 2009a; vgl. C. Gilly : Adam Haslmayr (wie Anm. 59), S. 99, 199. 85 Johann Valentin Andreae: Gesammelte Schriften, Bd. 2. Stuttgart-Bad Cannstatt 1995, S. 202 – 203. 86 Petrus Amelungius: Tractatvs nobilis primvs, In quo Alchimiae seu Chemicae Artis […] cum inventio et progreßio, obscuratio et instauratio, tum dignitasm neceßitas et utilitas demonstratur. Leipzig 1607, S. 30, 31.
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
95
Italien, Böhmen, Mähren, Ungarn, Polen und in ganz Deutschland« unbestritten als einer der besten Köpfe in alchemicis galt. Mit der Anrede »Philosopho ter Maximo. Theosopho: Jurisperito: Medico« hatte ihm zwar Dominicus Gnosius Belga (d.i. Israel Harvet) seinen berühmten Kommentar zum Tractatus vere Aureus des Hermes Trismegistus von 1610 gewidmet, doch erst in den zu seinen Ehren 1617 in Prag gedruckten Elogia ac Iudicia Doctorum nostri seculi hominum wurde Alstein auf dem Titelblatt zum »altero seculi nostri HERMETE TRISMEGISTO« erkoren. Mehr noch: Es wurden, zum Teil von prominenten Hermetikern wie Raphael Eglin oder Johannes Staritius, weitere kaum zu überbietende Vergleiche angestellt, die ihn sogar über Hermes und auf die gleiche Ebene wie Paracelsus erhoben: »Vt virtute sua, Ter maximus ille [Hermes] vocatus/ sic tu ter gemino nomine dignus eris« (Wie Hermes wegen seiner Tugend, so verdienst Du auch den Namen eines dreimal Geborenen); »Qualia non animo cudit Ter maximus Hermes« (was nicht einmal der dreimal Große Hermes zu denken wagte); »Jacobus ille sitne dicendus mihi/ Mercurius, an Termaximus?« (Ob ich mir nun Jacob [Alstein] als Mercurius oder als den dreimal Größten vorzustellen habe?); »Hermetem […] teutonico positum solo« (Ein auf deutschen Boden verpflanzter Hermes) [S. C2v)], »Philosophum Trismegistum« (ein dreimal größter Philosoph), »Hermete major tu quoque maximo/ Cedis Philippo nil Hohenheimio« (Du bist größer als dem größten Hermes und und stehst dem Paracelsus in nichts nach); »Ille Trismegisto est Hermete peritior arte/ In Chymica, vel quam Lullius inde tulit« (Alstein ist in der Chemie erfahrener als Hermes und hat darin mehr als Raymundus Lullius geleistet).87
In der Folgezeit (abgesehen von dem Fall Jacob Böhme) scheinen in der alchemischen und hermetischen Literatur solche ephemeren und übertriebenen Vergleiche von mehr oder weniger bekannten Autoren mit Hermes und Paracelsus immer seltener geworden zu sein, wenngleich Abraham von Francken87 Zu Alstein vgl. Julian Paulus: Alchemie und Paracelsismus um 1600. In: Analecta Paracelsica (wie Anm. 20), S. 384. Alsteins Hauptwerk, De tribus lapidibus bzw. De triplice lapide von etwa 1606 hat sich nicht erhalten und man weiß nicht einmal, ob es überhaupt je im Druck erschienen ist. Mehrere Briefe von ihm oder über ihn befinden sich in Basel, Erlangen, Kassel, Marburg und Leipzig. Raphael Eglin empfahl ihn im März 1615 an Landgraf Moritz in Kassel: »Adfui hesterno die in superiori Farmacopolio Doctori Jacobo Alstein, Magdeburgensi Medico et Chymico, omnium quot mihi videre contigit, maxime admirando. Is notus est a multis annis tum in Gallia, ubi Medicus fuit Regius, tum Pragae in aula Imperatoris, Angelo ab Engelsperg, qui mihi multa de homine mira retulit. Magnatibus et Principibus in Europa plerisque innotuit; quo nomine animadverti, si occasionem nancisci queat, cupere eum Illae. Excelsitati vestrae quoque commendari«, vgl. Kassel LBMB, Ms. 28 chem. 19, Bd.1, S. 78r-v. Lambertus Thomas Schenckelius (ed.): Elogia ac Ivdicia doctorum nostri seculi hominum Domino Jacob Alsteinio Patritio ac cive Romano, Equite Aurato, Comite Palatino; Caesarum, regum, Principumque Medico Doctore; altero seculi nostri Hermete Trismegisto. Ad obturanda vel redarguenda calumniatorum ora. Praga 1617, S. B2r, B2r, B4v, C2v, C4r, D1r, B5r. Die Elogia stammen aus der Zeit, als Alstein in Rom (1606) und in Marburg (1615) weilte.
96
Carlos Gilly
berg in einem Brief aus dem Jahr 1641 seinen Freund Johann Bureus als den »Hermes aus dem hohen Norden« (HyperBoreus) bezeichnet hatte, und dies wohl nicht allein, weil Bureus ihm seine chiliastische Smaragdina Tabvla Chronologiae Chervbinicae hactenvs Sigillatae pro assertione Veritatis Evangelicae ex vngvibus Bestiae (Uppsala 1639) geschenkt hatte, die mit Hermes gar nichts zu tun hat, sondern viel mehr weil Franckenberg von Werdenhagen wusste, dass Bureus durch seinen Einfluss auf König Gustav Adolph den Einzug der hermetischen und paracelsischen Philosophie an der Universität Uppsala ermöglicht hatte: »E contra autem verae Philosophiae Trismegisti, et Theophrasti in sua Academia Vpsaliensi iste Rex ambas aperuit portas, ut ex eo fome veritas doctrinarum in natura fundatarum rectius pateat.«88 Sonst zeichnete die Academia Naturae Curiosorum zwischen 1673 und 1693 drei ihrer Mitglieder (Christian Adolph Balduin, Johann Paul Wurffbein und Johann Kunckel von Löwenstern) wegen etlicher hermetischer Publikationen mit den ehrenhaften Beinamen Hermes I., Hermes II. und Hermes III. aus.89 Und noch im Jahre 1781 stellte ein hervorragender Kenner dieser Literatur wie Adam Michael Birkholz seinen Vorgänger Hermann Fictuld wegen dessen »fürtreflichen und gleichsam symbolischen Schriften« als den »wahrhaftig deutschen Hermes Trismegistus« dar.90 Mit Jacob Böhme hingegen war eine philosophische Persönlichkeit in Erscheinung getreten, die mit zur Legende gewordenen Gestalten wie Hermes und Paracelsus auf die gleiche Stufe gestellt werden durfte. So schrieb 1688 der 88 Abraham von Franckenberg: Briefwechsel. Eingeleitet und herausgegeben von Joachim Telle. Stuttgart-Bad Cannstatt 1995, S. 135 – 136. Zu Bureus’ Smaeragdina Tabvla vgl. Thomas Hofmeier : Exotic variations of the Tabula Smaragdina, in: Magia, alchimia, scienza / Magic, Alchemy and Science (wie Anm. 8), S. 509 – 562, bes. 528 ff., 559 ff., und die Abbildung auf S. 538 – 539; zur Aussage des Werdenhagen vgl. Sten Lindroth: Paracelsismen i Sverige till 1660-Talets mitt. Uppsala 1943, S. 387. 89 Christiani Adolphi Balduini, Acad. nat. Curiosor. Colleg. cognom. Hermetis: Aurum Superius et Inferius Aurae Superioris et Inferioris Hermeticum, Frankfurt u. Leipzig 1675, S. )(10v : »cum sit mihi [ab Academia] decretum Hermetis nomen«; Johannis Pauli Wurffbainii, Academiae Natur. Curios. Colleg. Hermetis II dicti: Salamandrologia, Nürnberg 1683; Johann Kunckel von Löwenstern: Collegium Physico-Chymicum Experimentale, Oder Laboratorium Chymicum, hg. Johann Caspar Engelleder. Hamburg und Leipzig 1716, S. )( )(5v : »Auch hat er die Ehre gehabt, daß ein Hochedles Collegium Naturae Curiosorum ihn zu einem Mitgliede ihrer Societät aufgenommen, und ihm den wohlverdiensten namen Hermes III. beygelegt«. 90 Adamah Booz [Adam Michael Birkholz]: Von der Natur und Kunst. Ein Danksagungschreiben an den erleuchteten Verfasser des hermetischen A.B.C. […] Nebst einem Auszuge aus etlichen Werken Hermann Fictulds. Leipzig 1781, S. 61. Zu Fictuld vgl. Antoine Faivre in Dictionary of Gnosis and Western Esotericism. Hg. v. Wouter J. Hanegraaff. Leiden 2005, Bd. I, S. 367 – 370, wo aber das von Fictuld verschlüsselte achtzeilige Kryptograph, in dem Fictuld seine Identität preisgab, nicht dechiffriert wurde! vgl. meinen Aufsatz: Ein Wirrwarr für Bibliographen. In: Heinrich Khunrath: Amphitheatrum sapientiae aeternae – Schauplatz der ewig allein wahren Weisheit (Clavis Pansophiae 6), Anm. 108 (im Druck)
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
97
radikale Spiritualist Friedrich Breckling in seiner Entgegnung auf das Buch AntiBöhmius des ultraorthodoxen Lutheraners Abraham Calovius, der die Schriften und die Anhängerschaft Jacob Böhmes als den letzten Dreck der Hölle (»novissima excrementa daemonis infernalis«) bezeichnet hatte: Die rechte Theosophi/ Medici und Chymisten/ welche durch die Experimental-Philosophiam und Chymiam biß zum Centro/ Grund und Wurtzel aller Dinge durchdringen […] die finden mehr in J. Böhmen Schrifften/ als ihnen bißher durch aller Chymisten und Rosen-Creutzer Bücher je geoffenbahret ist/ nach dem Hermete Trismegisto/ und wissen sich dessen wol zu gebrauchen […] Unsere Academien-Priester und Doctores […] sind sie ihm so feind/ daß sie auch seine und des [Aegidius] Gutmans Bücher so weit sie können verdächtig machen/ widerlegen und confisciren/ ja wol gar in Verhafft und Gefennüß einsperren wollen/ wie die Herren Leipziger solches gethan/ so gar daß kaum ein Buchführer oder Drucker unsere Bücher in Deutschland mehr drucken oder offentlich verkauffen darff/ damit sie allein Meister bleiben/ und frey im finstern mausen/ lästern/ wiederlegen/ und mit dem Druck verfolgen mögen/ solche denen sie das Maul verbinden/ und ihnen alles Drucken und Verantworten verbieten […].91
Kein Wunder, dass der Philosophus Teutonicus Böhme bald darauf zu einem »Hermes Trismegistus Teutonicus redivivus« stilisiert wurde, wie dies der unbekannte Verfasser einer Metallurgia Böhmiana 1695 tat, indem er seine Vorrede mit den Worten anfing: Gelehrter Leser anjetzo theilen wir dir mit Metallurgiam Böhmianam, das ist eine Beschreibung der Metallen/ noch die Principia deß Hermetis Trismegisti Teutonici Redivivi (also den theuren Mann zu nennen haben wir wichtige Ursachen/ welche anderswo sollen angeführet werden) […].92
Inwieweit dann Böhme Paracelsus als philosophische Leitfigur in der hermetischen und theosophischen Literatur des 18. Jahrhunderts ersetzt hat, wie dies bei Wellings Opus Mago-Cabbalisticum et Theosophicum von 1735 der Fall ist, wollen wir hier nicht mehr untersuchen.93 Wir begnügen uns mit der Feststellung, dass auch hier eine geistige Linie von Hermes über Paracelsus zu Böhme hergestellt wurde, ähnlich wie diejenige, die ein Franciscus Rottman für den von
91 Abraham Calovius: Anti-Böhmius, In quo docetur, Qvid Habendum de Secta Jacobi Böhmen/ Sutoris Gorlicensis. Wittenberg 1684, S. A1r; Friedrich Breckling: Anticalovius sive Calovius cum Asseclis suis prostratus et Jacob Böhmius Cum aliis testibus veritatis defensus. O. O. [Amsterdam?] 1688, S. E2r-v. 92 Metallurgia Böhmiana, Das ist: Eine Beschreibung der Metallen […] Nach deß Jacobi Böhmii Philosophi Teutonici principiis. Amsterdam 1695, S. )(2r. 93 Zu Welling vgl. Joachim Telle: Zum »Opus mago-cabbbalisticum et theosophicum« von Georg Welling. In: Euphorion 77 (1989), S. 359 – 379; Petra Jungmayr : Georg von Welling (1655 – 1727). Studien zu Leben und Zeit. Stuttgart 1990; zu neu entdeckten Hss. Wellings in Darmstadt vgl. Magia, alchimia, scienza / Magic, Alchemy and Science (wie Anm. 8), Bd. II, S. 198 – 201.
98
Carlos Gilly
Paracelsus prophezeiten »Elias der Künste« nach der Epocheneinteilung des Joachim von Fiore im Jahre 1680 formuliert hat. Denn der Elias Artista Seculi Patris, Hermes Trismegistus, Pater Philosophorum, ist schon vorlängst der Welt ein vergessen Wunder worden/ ausser den wahren Kindern der Weißheit/ die ihn lieben und folgen. So ist auch der Elias Artista Seculi Filii, Theophrastus Paracelsus, Monarcha Medicorum, der Welt ein Spectakel, und […] Wunder Welt-Mirakel der folgenden Welt […]. Jm herabbrechenden Seculo Spiritus Sancti erwarten die Kinder der Lilien und Rosen/ den dritten Eliam Artistam, derselbe wird allen andern mit Weißheit und Kunst übertreffen/ wie Salomon alle andere weisen vor und nach ihm übertroffen hat.94
Mit den Kindern der Lilien und Rosen-Zeit sind natürlich die Schüler Jacob Böhmes gemeint,95 nur dass unser Rottman hier nicht den Philosophus Teutonicus, sondern einen anderen Theosophen im Kopf hat, nämlich den heute kaum bekannten Amsterdamer Alchemiker Erich Pfeffer aus Itzehoe, dessen beeindruckenden handschriftlichen Nachlass Rottman zum ersten Mal der Nachwelt vorstellte. Darunter befand sich, außer mehreren paracelsisch und rosenkreuzerisch tingierten Schriften, ein angeblich definitiver Kommentar zur Smaragdenen Tafel mit dem Titel: Auslegung über die itzund erst recht-erfundene Tabulam Hermetis Trismegisti nach Magischen/ Cabalistischen und Philosophischen Grund.96 Ob Hermes/Rosenkreuz/Paracelsus, ob Hermes/Paracelsus/Böhme oder wie auch immer die überlieferte Namenskette heißen soll – diese klangvollen Namen wurden in der alchemo-hermetischen Literatur so oft zu den alleinigen Hauptgestalten stilisiert, dass man sie allmählich wie untereinander austauschbare Synonyme zu benutzen anfing; ein untrügerisches Zeichen dafür, dass sich der Hermetismus in Deutschland völlig paracelsiziert hatte und zum gemeinsamen Nenner für Paracelsismus, Rosenkreuzertum und Böhmismus geworden war. So braucht es nicht zu verwundern, dass die Autorschaft von ausgesprochen hermetischen Traktaten wie dem berühmt-berüchtigten Buch Picatrix in deutscher Übersetzung unter dem frommen Titel Zwey unerschetzliche kostbarliche 94 Franciscus Rottman: Treuhertzige Vermahnung Jn diesen itzigen gefährlichen/ doch wunderbarlichen Zeiten/ an alle und jede Sucher des sonst heiligen und gerechten Arcani Arcanorum. Hamburg 1680, S. A2r-v ; Nachdruck von Pfeffers Catalogus vieler raren und sonderlichen Manuscripten in: Georg E.A. Reger. Gründlicher Bericht Auff einige Fragen/ Bekräftiget durch drey übereinstimmende Zeugen/ als Der Heiligen Schrifft/ Dem Buch der Natur/ und Dem Buch der Menschheit. Hamburg 1683. 95 Vgl. das Kapitel »Jakob Böhmes Rosen- und Lilienzeit« bei Wilhelm Schmiedt-Biggemann: Apokalypse und Philologie. Wissensgeschichten und Weltentwürfe der Frühen Neuzeit. Göttingen 2007, S. 173 – 176. 96 Zu Pfeffer vgl. Ferguson: Bibliotheca Chemica. Glasgow 1906, vol. I, S. 32; II, S. 186 f. Schmieder. Geschichte der Alchemie (wie Anm. 72), S. 419.
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
99
Büecher Von der ewigen Heimlichkeit und der heimlichen Ewigkeit97 Paracelsus zugeschrieben wurde, oder dass in einer der Abschriften in englischer Sprache von der Chymischen Hochzeit der Titel geändert wurde, so dass nicht mehr Christian RosenCreutz, sondern Hermes Trismegistus, der »trice great Hermes«, zum Hauptdarsteller geworden ist: Hermetis Trismegisti Sponsalia celeberrima: or The famous celebrated Nuptials of the trice Great Hermes. Allegorically describing the Mystical Union and Communion of Christ with every Regenerate Soul: Composed By C. R. a German of the Order of the Rosie-Cross about 255 years past, and from the Latin Manuscript faith fully Translated into English by Peter Smart Master of Arts. 1714.98
4.
Der Einzug von Hermes in das paracelsische Schriftencorpus
Paracelsus wurde also durch seine Anhänger als »Trismegistus Germanus« gefeiert, und dies mit vollem Recht. Denn dank ihm fand der Hermetismus in Deutschland eine viel stärkere Verbreitung als in anderen Ländern; mehr noch, er schuf auch die Sprache und die Terminologie, die diese Verbreitung erst möglich machte. Erstaunlich, dass die geistige Verwandtschaft zwischen Paracelsus und Hermes zu Lebzeiten des Hohenheimers und auch während der ersten großen Welle von Paracelsuspublikationen in den 1560er Jahren offensichtlich kein zentrales Thema war. So sprach etwa ein späterer Kritiker, Hermann Conring, 1648 in einer vergleichenden Studie über die alte hermetische und die neue paracelsische Medizin der »Schule des Paracelsus« das Recht ab, sich Hermetiker zu nennen oder sich irgendwie auf eine hermetische Tradition zu berufen: Denn nicht einmal Paracelsus und seine ersten und bedeutendsten Anhänger hätten sich selber zu Hermes bekannt, wie Conring in der Überschrift zu einem Kapitel schrieb:
97 Zur deutschen Version des Picatrix von etwa 1580, die sich in drei Handschriften erhalten hat (Erlangen UB, Ms. B 242, S. 1r-60v (datiert 1597); Halle UB, Ms. 21 A 10, S. 149r-223v ; Leiden UB Cod. Voss. Chym. 28 14, S. 410r-458r, vgl. Marsilio Ficino e il ritorno di Ermete Trismegisto / and the Return of Hermes Trismegistus, ed. Sebastiano Gentile/Carlos Gilly). Firenze 1999, S. 302 – 306; Sudhoff. Versuch einer Kritik, Teil II (wie Anm. 26), S. 686 – 688, beschrieb das Leidener Ms. als pseudoparacelsisches Werk (»an Echtheit ist nicht zu denken«), aber ohne Identifizierung der ersten eineinhalb Bücher des Picatrix. 98 London BL, Ms. Harl. 6486, S. 1r-164v. Es handelt sich nicht um eine Version aus dem Latein, sondern um eine Kopie von Ezechiel Foxcrofts gedruckter englischer Übersetzung The Hermetic Romance or the Chymical Wedding. Written in high Dutch By Christian Rosencreutz. London 1690. Nur die »Table containing all the memorable points of Philosophie and History in that learned Treatise of Hermes Nuptials«, S. 165r-168v, ist neu.
100
Carlos Gilly
Caput XV: Paracelsum se noluisse haberi Hermeticum, nec veteris sapientiae Hermeticae fuisse peritum; dubiae porro fidei esse eius quae ferentur scripta, nec illum vel secum vel cum discipulis consentire (Paracelsus wollte nicht als Hermetiker gelten noch war er ein Experte der alten hermetischen Weisheit; außerdem hegt man große Zweifel hinsichtlich der ihm zugeschriebenen Schriften, da er weder mit sich selbst noch mit seinen Schülern übereinstimmt).
Oder wie er noch in dem gleichen Kapitel weiter erklärte: Ante omnia vero est observandum, non Paracelsum ipsum, nec primos ejus discipulos Hermeticorum nomen ambijsse: sed de Hermete apud illos, nisi forte quando peri chrysopoietikes est sermo, altum esse silentium (Es muss vor allem festgestellt werden, dass weder Paracelsus noch seine ersten Schüler nach dem Namen der Hermetiker gehascht und dass bei ihnen über Hermes – abgesehen von alchemotechnischen Arbeiten – großes Stillschweigen herrscht).99
Wir wollen es uns hier aber nicht so leicht wie Conring machen, und in möglichster Kürze auf zwei grundlegende Fragen zu antworten versuchen, nämlich wie und wann der Hermetismus in Hohenheims Schriften und in das Corpus Paracelsicorum eingegangen ist und um was für eine Art Hermetismus es sich bei dieser Vermischung handelt. Dabei muss erstens festgestellt werden, dass wir hier – und im Einklang mit der neuesten Forschung – die von Festugiºre aufgestellte scharfe Trennung zwischen »philosophischen« und »technischen« Hermetica für irreführend und völlig obsolet halten; und ferner, dass man für die Zeit der Renaissance eigentlich zu Unrecht von der »Return of Hermes Trismegistus« spricht, denn die mythische Gestalt des Hermes war nach dem Ende der Antike aus der europäischen Kulturlandschaft keineswegs ganz verschwunden, wie die Überlieferungsgeschichte des Asclepius zeigt.100 Ab dem 12. Jahrhundert, zunächst dank der zahlreichen Übersetzungen aus dem Arabischen und anderen Sprachen, 99 Hermann Conring: De Hermetica Aegyptiorum Vetere et Paracelsicorum Nova Medicina Liber vnvs. Quo simul in Hermetis Trismegisti omnia, ac universam cum Aegyptiorum tum Chemicorum doctrinam animadvertitur. Helmstedt 1648, S. 177 f. Vgl. auch Ebeling: Das Geheimnis des Hermes Trismegistos (wie Anm. 54), S. 133 – 137. 100 Carlos Gilly : Die Überlieferung des Asclepius im Mittelalter. In: From Poimandres to Jacob Böhme. Gnosis, Hermetism and the Christian Tradition. Hg. v. Roelof van den Broek & Cis van Heertum. Amsterdam 2000, S. 335 – 367; Loris Sturlese: Saints et magiciens: Albert le Grand en face d’Hermºs Trism¤giste. In: Archives de Philosophie 43 (1980), S. 615 – 634; ders.: Proclo ed Ermete in Germania da Alberto Magno a Bertoldo di Moosburg. Per una prospettiva di ricerca sulla cultura filosofica tedesca nel secolo delle sue origini (1250 – 1350). In: Vom Meister Dietrich zu Meister Eckhart. Hrsg. von Kurt Flasch. Hamburg 1984, S. 22 – 33; ders.: Die deutsche Philosophie im Mittelalter. Von Bonifatius bis zu Albert dem Großen (784 – 1280), München 1993, S. 360 – 363, 376 – 377, 383 – 388; ders.: Philosophische Projekte in Deutschland zwischen Meister Eckhart und Heinrich Seuse. Stuttgart 2007; Paolo Lucentini und Loris Sturlese: Platonismo, ermetismo, eresia nel Medioevo (Textes et ¤tudes du Moyen ffge, 41). Louvain-la-Neuve 2007.
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
101
wurde Hermes Trismegistus in allen seinen Namensvarianten (Hermes, Hermogenes, Mercurius, Utarid von Babylon, Germa von Babylon, Toz Graecus, Tozigeus, Teizolius) zu einem der maßgebenden Autoren auf dem Gebiet der Kosmologie, Astrologie, Alchemie, Magie, Medizin, Naturphilosophie und nicht zuletzt der so genannten »Deutschen Mystik«, deren Hauptvertreter sich als begeisterte Leser von Hermes erwiesen und die den »heidenschen kunig« Hermes ganz provokativ in einen christlichen Heiligen verwandelten: »ein heilig schribet: ›Got ist ein vinsternisse nach allem liechte, sunder dem vinsternisse siner unbekantheit« (Tauler).101 Will man aus den echten Schriften des »Trismegistus Germanus« erfahren, was er von dem Hermes aus Ägypten hielt, so wird man zunächst ziemlich enttäuscht. Paracelsus hat Hermes kaum zitiert, und wenn ja, geschah dies oft, um ihn zurecht zu weisen (Paragranus, ed. Sudhoff VII, 148). Aber er kritisierte auch diejenigen, die Hermes aus Ignoranz nicht verstünden (»egregii scilicet homines, qui Hermetem ex eorum inscitia iudicant« (De vita longa, II 2, ed. Sudhoff III, 263).102 Wahr ist, dass die namentlichen Hermeszitate bei Paracelsus ausschließlich aus alchemischen, astrologischen oder medizinischen Traktaten stammten und nicht aus dem Poemander oder dem Asclepius, denn diese erwähnte er mit keinem Wort. Mit keinem Wort hat er allerdings auch die Tabula Smaragdina erwähnt, was aber nicht heißt, dass er sie nicht kannte, denn, wie Walter Pagel schrieb, »the doctrine fundamental of the Tabula is equally fundamental to Paracelsus, namely the analogy of the ›above‹ to the ›below‹«.103 Direkt oder indirekt gehen zentrale Grundgedanken des Paracelsus auf den Hermetismus des Mittelalters und der Renaissance und auf dessen Umfeld zurück. Pagel konnte nachweisen, dass die Lehre der drei Substanzen bei Para101 Paolo Lucentini und Vittoria Perrone Compagni: I testi e i codici di Ermete nel Medioevo: Firenze 2001; vgl. auch die Darstellung von hermetischen mittelalterlichen Handschriften aus all diesen Gebieten in: Marsilio Ficino e il ritorno di Ermete Trismegisto (wie Anm. 97), S. 83 – 112, 183-83-265; Magia, alchimia, scienza / Magic, Alchemy and Science (wie Anm. 8), Bd. II, S. 59 – 84. 102 Die Stellen über Hermes hat als erster Ole Borch: Hermetis Aegyptiorum, Et Chemicorum Sapientia ab Hermanni Conringii animadversionibus Vindicata, Kopenhagen 1674, S. 280 – 283 (»Paracelsi judicium der Hermete« und »Paracelsus an vere Hermeticus«), zusammengestellt; vgl. ferner Wilhelm Ganzenmüller : Paracelsus und die Alchemie des Mittelalters. In: Angewandte Chemie 54 (1941), S. 427 – 431, zusammengestellt. Vgl. aber jetzt Corpus Paracelsisticum Bd. I (wie Anm. 16), S. 172. 103 Pagel und Winder : Paracelsus, Traditionalism (wie Anm. 16), S. 56. Die relativ häufigen gemeinsamen Erwähnungen von »Hermes und Archelaus« weisen darauf hin, dass Paracelsus den Kommentar von Archelaus zur Tabula Smaragdina (»De corporibus et spiritibus«) kannte, vgl. Magia, alchimia, scienza / Magic, Alchemy and Science (wie Anm. 8), Bd. II, S. 66, 70. Zur lateinischen und deutschsprachigen Präsenz der Tabula Smaragdina im Spätmittelalter siehe besonders den Beitrag »Tabula smaragdina«, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 9, Berlin 1995, Sp. 567 – 569 (J. Telle).
102
Carlos Gilly
celsus – Tria Prima: Salz, Schwefel und Quecksilber, aus denen alle Dinge bestehen – aus den Septem tractatus des Hermes stammt. Er wies auch den Einfluss des ›italorum medicorum optimus‹ Marsilio Ficino auf Paracelsus in dessen Buch De peste und De vita longa nach. Und schließlich äußerte Pagel auch die Vermutung, dass die Lehre der ungeschaffenen Urmaterie auf das Argument von Ficino (eigentlich von Lefºvre d’Etaples) zum Asclepius 7 zurückgeht.104 Dennoch befinden sich die zwei eindrücklichsten Stellen, in denen Paracelsus deutlich zu Hermes Stellung nimmt, im ersten der Bücher De natura rerum (Basel 1572),105 deren Authentizität nicht ganz gesichert ist, und in dem ihm untergeschobenen De secretis creationis (Straßburg 1575).106 Bei den Paracelsisten hingegen galt die Bewunderung für Paracelsus gleichermaßen für Hermes. So konnte der anonyme Verfasser des magischen Buches Arbatel, wie oben gezeigt wurde, im Aphorismus 26 den Satz schreiben: »Hermes Trismegistus secretorum pater cum Theophrasto Paracelso«. Aber auch hier hat eine Entwicklung stattgefunden. Schon in einer der ersten paracelsischen Publikationen Adam von Bodensteins aus dem Jahr 1562 ist von Hermes’ Entdeckung von zwei steinernen Tafeln nach der Sintflut die Rede, »auf denen die Spuren der alten Medizin und der ganzen Naturwissenschaft überdauerten«. Allerdings mit dem Vorbehalt, dass auch dort die wahrhafte Kunst nicht vollständig aufgeschrieben war, wodurch sie die Menschen seit Noahs Zeit an nicht richtig lernen konnten. Hermes quidem dicitur postea duas lapideas tabulas reperisse, in quibus veteris medicinae et totius naturalis scientiae vestigia restabant, sed ars vera, nec illis erat inscripta, nec homines eam a Noe aliijsque recte didicerunt. Ideo destituti vera arte […].107
Auf die gleiche Legende von den »Columnis Hermetis« und den Mythos der bei der Sintflut verlorenen Weisheit griff auch der Paracelsist Gerard Dorn im zweiten Teil seines Chymisticum Artificium naturae von 1569 zurück, nur dass er hier den »Hermetem Mercurium Trismegistum« als den ersten Befreier und Wiederhersteller der göttlichen Kunst (»primus post Deum uindex et restaurator) darstellte, einen zweifachen Kommentar zur Smaragdenen Tafel hinzufügte und mit einem Lob des zweiten Wiederherstellers der Künste und Wissenschaften, Theophrastus Paracelsus, abschloss: Denn diese »hermetica doctrina«, 104 Walter Pagel: Das medizinische Weltbild von Paracelsus. Seine Zusammenhänge mit Neoplatonismus und Gnosis, Wiesbaden 1962, S. 107 – 108; Webster : Paracelsus – Medicine, Magic, and Mission (wie Anm. 16), S. 132 – 139. 105 Paracelsus: De Generatione rerum naturalium. In: Sechster Theil Der Bücher vnd Schrifften, ed. J. Huser (wie. Anm. 48), S. 264 – 266; ed. Sudhoff XI, S. 317 – 318. 106 (Pseudo-)Paracelsus: De secretis creationis (wie Anm. 34), S. 67 – 68. 107 Paracelsus: De Gradibus, de compositionibus et dosibus receptorum ac naturalium libri septem (ed. Adam von Bodenstein). Mülhausen 1562, S. *2v, vgl. Corpus Paracelsisticum Bd. I (wie Anm. 16), S. 151, 159, 171 f.
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
103
so schrieb Dorn, sei von keinem Arzt verstanden worden bis auf die Zeit von Paracelsus, der sie selber experimentell nachvollzogen und in zahlreichen Schriften, besonders in deutscher Sprache (»germanice potissimum«), sowohl für die Gelehrten wie auch die des Latein unkundigen Leute dargestellt habe.108 Als begeisterter Bewunderer von Hermes erwies sich aber auch Alexander von Suchten, der bereits in seiner ersten paracelsischen Publikation, De Secretis Antimonii liber vnus von 1570, Hermes nicht nur den Vorrang und Primat »in mysteriis naturae« zugestand, sondern auch dessen »Naturkündigkeit« als Vehikel einer natürlichen Erkennung der wahren Religion gegenüber der Gottlosigkeit Galens und anderer Heiden stellte: Sagt mir eins: Trismegistus, wenn ist er gebohren? nun hat er mehr von Christo gewust, denn vielleicht einer unter euch. Wer hat ihm Christum zu erkennen geben? Die Creaturen Gottes, die Galeno so wol für den Augen gelegen, als Hermeti.109
In Gegensatz zu andere Paracelsisten gab Suchten kein einziges Buch Hohenheims heraus, sondern machte es sich zur Aufgabe, die Lehren des Paracelsus auf ihren magischen und hermetischen Kontext zurückzuführen. Dies tat er zuerst in seinem literarisch hochstehenden Buch De Tribus facultatibus von ca. 1563 – 1569110 und dann erneut in einem gegen Erastus gerichteten Dialogus von ca. 1574/1577, wo er Hermes mit Noah und Hermogenes identifiziert und Paracelsus zu dessen erstem Nachfolger erkor : Dan der Fromme Noha/ welchen etlichen Hermogenem nennen/ oder Hermetem, dem die Antiquitas scientiam omnium Coelestium et terrestrium attribuirt; derselbe Noha hat die Artzney vor seinem todt beschrieben […] Nach seinem Todt ist die kunst der Artzney wieder zu Gott gefahren/ vnd also durch die Sündfluß vnd Todt Noe dem Menschlichen Geschlecht entzogen […]. Jedoch sucht ein jeder dieselbige an dem Ort/ Ein anderer an eim Andern Ort/ dann wie in Columnis ! [in den Säulen Mercurii = Hermetis] verzeichnet ist […]. Aber Gott/ der nicht ewig mit dem Menschen zürnet/ hat zu vnsern Zeiten Philippum Theophrastum Bombast von Hohenheim erwehlet/ daß durch jhn das Liecht Scientiae Medicinae, wider an tag kommen/ vnd der Betrug offenbar würde […]. Von den zeiten Nohae hat kein Artzt verstanden/ woher die Kranckheiten/ so jhr Incurabiles nennet/ entsprungen/ Dann Paracelsus Allein […] 108 Gerard Dorn: Artificii Chymistici Physici, Metaphysici, Secunda pars. [Frankfurt] 1569, S. )(4r, 1 – 91 (bes. 78 – 79). 109 Alexander von Suchten: De secretis Antimonij liber vnus. Das ist/ Von der grossen heymlichkeit/ des Antimonij die Artzney belangent. Straßburg 1570, S. 82; vgl. dazu Corpus Paracelsisticum Bd. I (wie Anm. 16), S. 582 f.; zu Suchtens Hermetismus vgl. Magia, alchimia, scienza / Magic, Alchemy and Science (wie Anm. 8), S. 185 – 198. 110 Alexander von Suchten: De tribus facultatibus: Kurtzer Bericht von der Wahrheit und Sophisterei dreyer der furnembsten Faculteten, nemlich Theologiae, Astronomiae et Medicinae. Erstdruck in Figulus: Pandora (wie Anm. 56), S. 112 – 142. Zur Überlieferung des De tribus facultatibus vgl. Magia, alchimia, scienza / Magic, Alchemy and Science (wie Anm. 8), S. 185, 193.
104
Carlos Gilly
Paracelsus ist der erste Medicus Microcosmi gewesen/ vnd vor jhm keiner/ Darumb nennet er sich billich Monarcham Medicorum, ob welchem Tittel Erastus der Calumniator möchte zerspringen.111
Gegen solche Verherrlichung Hohenheims durch Suchten hatte bereits 1570 in seiner Christliche Widerlegung der Philosophia ad Athenienses der Galenist Bartholomäus Reusner aus Zittau heftigen Protest erhoben, und deshalb Paracelsus gleich wie Hermes Trismegistus zu Werkzeugen des Teufels degradiert: Es mus ein jeder hertz/ darinne frömigkeit ist/ erschrecken/ für des Paracelsi Lügen/ vnd kleglich beklagen der letzten Welt blindheit/ das der Teufel vngehindert/ nu durch dieses sein Werckzeug darff sagen/ vnd so viel Menschen das glauben/ das für dem ersoffenem neidischen vnflat Paracelso/ die weißheit Gottes in der Natur von keinem Menschen/ erkant vnd beschrieben sey/ als von diesem Gottslesterer/ vnd zuuor vom Hermete Trismegisto.112
Reusner ging indessen nicht so weit wie der Heidelberger Mediziner Thomas Erastus, der in seinen zwischen 1571 und 1573 bei Perna in Basel erschienenen Disputationes de Medicina Nova Philippi Paracelsi für die Anhänger des Paracelsus sogar die Todesstrafe gefordert hatte. Was Hermes und die Hermetiker betrifft, so äusserte sich Erastus kaum anders als über Paracelsus und die Paracelsisten. Ficino musste sich sagen lassen, dass er kein Priester Gottes gewesen sei, sondern vielmehr der Oberpriester einer ägyptischen Religion und einer der größten Anbeter des Teufels; seine Lehre stehe in totalem Widerspruch zur Bibel, sodass sie keine Widerlegung, sondern bloß Verachtung verdiene. Hermes Trismegistus wurde von Erastus kaum viermal und – mit Ausnahme eines Zitates aus Paracelsus über Hermes und Vergil – nur generisch erwähnt; seine Lehren werden aber als originär paracelsisch widerlegt. Erastus betrachtete mit Recht die Lehre des Microcosmus als »das Fundament und höchste Prinzip der Medizin des Paracelsus«.113 Ob Astrologie, Magie oder Alchemie, all die Bücher, die unter den Namen des Hermes liefen, enthielten für Erastus nichts anderes als Betrug und Phantastereien und keines von ihnen war für ihn mehr als drei- bis fünfhundert Jahre alt. Zu solchen Fälschungen zählte Erastus an erster Stelle die 111 Dialogus Alexandri a Suchten. In: Benedictus Figulus: Pandora (wie Anm. 56), S. 49 – 111 (59 – 60, 63 – 64, 67); verbesserter Nachdruck in: Alexander von Suchten: Chymische Schrifften Alle. Frankfurt a/M 1680, S. 305 – 356. 112 Bartholomaeus Reusner : Ein kurze Erklerung vnd Christliche widerlegung/ Der vnerhörten Gotteslesterungen vnd Lügen/ welche Paracelsus in denn dreyen Büchern Philosophiae ad Athenienses hat wider Gott/ sein Wort/ vnd die löbliche Kunst der Artzney außgeschüttet. Görlitz 1570, S. C.7r. 113 Thomas Erastus: Dispvtationum de Medicina Nova Philippi Paracelsi. Pars Prima (-Quarta). Basel [1571]-1573. (in der Reihenfolge der Zitate: Pars I, S. 117 f.; Pars III, S. 224, S. 59 ff). Zu Erastus im Zusammenhang mit Paracelsus und Hermes vgl. Magia, alchimia, scienza / Magic, Alchemy and Science (wie Anm. 8), I, S. 241 – 251; II, S. 130 – 133.
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
105
Tabula Smaragdina, von der er hochnäsig behauptete, »dass kein Mensch, der sie aufmerksam lese, so dumm sein könne, dass er die Fiktion und Fälschung nicht bemerkt«.114 Als Mahnung für die Nachwelt ließ Erastus auf seinen Grabstein in der Peterskirche in Basel folgendes Epitaph einmeißeln: Non Hermes heic Trismegistus, sed acutus Philosophus, elegans Medicus, sincerus Theologus, Heidelbergensis Acad. Columen, Basiliensis Lumen […] (Kein Hermes Trismegistus liegt hier begraben, sondern ein scharfsinniger Philosoph, ein geschickter Arzt, ein echter Theologe, eine Säule der Universität Heidelberg und ein Licht seiner Basler Alma mater […])115
Es scheint, als wollte Erastus (oder wer auch immer dieses Epitaph für den 1583 verstorbenen Professor entworfen hatte) den gegen Paracelsus geführten Kampf in alle Ewigkeit fortsetzen. Es sei denn, es handelte sich um die posthume Antwort eines Verehrers des Aristoteles – wie Erastus es war – auf eine der Inschriften für das Grab von Paracelsus, die im zweiten Band der Operum latine redditorum gestanden hatte: Hic est mirifici Theophrasti corpus in vrnis. j Non fuit aequus ei clarus Aristoteles. (Hier in den Urnen ruhet der Leib des wundertätigen Paracelsus j Der berühmte Aristoteles kam ihm nicht gleich.)116
Der streitsüchtige Heidelberger Professor hatte offensichtlich eine große Enttäuschung erlebt, als sich der wohl hellste philosophische Kopf unter den Paracelsisten, der Däne Peter Sørensen alias Severinus, ostentativ geweigert hatte, auf die durch Erastus erfolgte aristotelische Kritik seiner Idea Medicinae philosophicae von 1571 überhaupt einzugehen und sogar die persönlichen Beschimpfungen (»impudens iactantia cuiusdam Paracelsici«) unbeantwortet ließ.117 Doch in seinen Briefen an Theodor Zwinger in Basel beklagte sich Severinus über die antihumanistische (›illiberalis‹) Methode des Erastus, seine in der Idea vorgetragenen Lehren, die ja jenseits der Philosophie des Aristoteles 114 »Nugae sunt indignae quarum fere mentio tanta fiat«; »Si rem pressius consideremus omnes huius generis libros ante tria, quatuor aut quinque circiter secula scriptos reperiemus«; »Haud existimo quenquam sic esse stupidum, qui, cum attente legit, quae de Tabula Hermetis Smaragdina fabulantur, non olfaciat falsa et ficta esse«, vgl. Thomas Erastus: Explicatio quaestionis famosae illius, utrum ex metallis ignobilioribus aurum verum et naturale arte conflari possit. Basel 1572, S. 101 – 103. 115 Johannes Gross: Urbis Basileae epitaphia et Inscriptiones. Basel 1625, S. 135. 116 Telle: Paracelsus im Gedicht (wie Anm. 24), S. 43, 248. 117 Erastus hatte 1572 den zweiten Teil seiner Disputationum de medicina nova Paracelsi (Basel 1572) fast ausschließlich gegen Severinus gerichtet, ohne diesen jedoch beim Namen zu nennen, vgl. Jole Shackelford: Early Reception of Paracelsian Theory : Severinus and Erastus. In: Sixteenth Century Journal 26 (1995), S. 123 – 135; ders.: A Philosophical Path for Paracelsian Medicine. The Ideas, Intellectual Context, and Influence of Petrus Severinus: 1540 – 1602. Copenhagen 2004, S. 217 – 222.
106
Carlos Gilly
lagen (»cui tamquam censori mea non submisi«), allein nach den aristotelischen Grundsätzen geprüft und verdammt zu haben. Aber leider sei es so, klagte Severinus: die in den aristotelischen Dogmen erzogen wurden und sich ausschließlich davon ernähren, vermögen offensichtlich nicht, in anderen Kategorien zu denken; nimmt man ihnen den Aristoteles weg (»ubi Aristotelica dogmata eripueris«), so verlieren sie die Orientierung und bewegen sich bloß im Kreis. Um diesen Teufelskreis ein für allemal zu durchbrechen (»proinde ne sterilis illa petitio principii toties nobis sit cum taedio et molestia occursura«) entschloss sich Severinus dann in einem – heute leider verlorenen – Compendium physicae zum direkten Angriff auf die Aristoteliker, und zwar durch den systematischen Vergleich seiner »mosaischen« (lies: hermetisch-paracelsischen) Physik mit der gesamten aristotelischen Physiologie.118 Der Begriff Mosaische Physik oder Philosophia Mosaica ist fundamental, um den Prozess der Hermetisierung der paracelsischen Naturphilosophie (was den Inhalt betrifft) wie auch der Paracelsisierung des Hermetismus (in Bezug auf die Sprache) verstehen zu können.119 Denn entgegen einer landläufigen Meinung geht es bei dem Begriff »Philosophia« bzw. »Physica Mosaica« bei den Anhängern des »Trismegistus Germanus Paracelsus« weder um eine »Physica sacra« oder »christiana« (wie man ihr bei Levinus Lemnius, Lambertus Danaeus, Francisco Vall¤s oder Johann Heinrich Alsted begegnet)120 noch um eine fromme fundamentalistische Rückbesinnung auf die Bibel im Zeichen einer »pia philosophia« oder »philosophia christiana«. Es sei denn, wir interpretieren die zwei letzten Begriffe nicht im Sinne des Augustinus, sondern im Sinne von Marsilio Ficino und seiner Academia platonica, wonach lediglich die dort gelungene Symbiose von Platonismus, Hermetismus und Christentum als »pia philosophia« definiert wird, und zwar im Kontrast »with what he considered the impieties of scholastic Aristotelism«.121 Zu diesem Ergebnis waren übrigens schon Philosophiehistoriker des 18. und 19. Jahrhunderts wie etwa Jacob Friedrich 118 Carlos Gilly : Paracelsianism for Philosophers: Petrus Severinus. In: Magia, alchimia, scienza / Magic, Alchemy and Science (wie Anm. 8), S. 219 – 240. 119 Zum weiteren Zusammenhang vgl. Wilhelm Kühlmann: Der Hermetismus als literarische Formation. Grundzüge seiner Rezeption in Deutschland. In: Scientia Poetica. Jahrbuch für Geschichte der Literatur und der Wissenschaften 3 (1999) S. 145 – 157; ders.: Paracelsismus und Hermetismus (wie Anm. 8), S. 23 – 32. 120 Kathleen M. Crowther : Sacred Philosophy, Secular Theology : The Mosaic Physics of Levinus Lemnius (1505 – 1568) and Francisco Valles (1524 – 1592). In: Nature and Scripture in the Abrahamic Religions: Up to 1700. Hg. v. Jitse M. van der Meer und Scott Mandelbrote. Leiden 2008, S. 397 – 428. 121 James Hankins: Marsilio Ficino as a Critic of Scholasticism. In: Vivens Homo 5 (1994), S. 325 – 334; Ann Blair : Mosaic Physics and the Search for a Pious Natural Philosophy in the Late Renaissance (wie Anm. 126), S. 32 f.; Dieselbe: Natural Philosophy. In: The Cambridge History of Science: Early modern science, vol. 3. Hg. v. Roy Porter u. a. Cambridge 2006, S. 374.
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
107
Reimmann oder auch Albert Stöckl gelangt, der über Fludds Philosophia Moysaica nüchtern urteilte: »Er will uns in derselben auf die Philosophie des Moses zurückführen. Dabei beruft er sich auf Hermes, auf die Cabbalisten, den Paracelsus, den Nicolaus von Cusa und die ganze Schaar der Auctoritäten, welche im Munde der neuern Platoniker und Theosophen waren.«122 Zur Rückbesinnung auf die Mosaische Kosmogonie gesellten sich bald zwei komplementäre Erscheinungen – die sich ebenfalls mit Aussagen von Paracelsus belegen ließen, jedoch inzwischen von radikalen Spiritualisten wie Schwenckfeld, Franck oder Castellio noch schärfer formuliert worden waren: Die erste war die radikale Ablehnung der »papierenen« Gelehrsamkeit und des bloßen Buchwissens (anstatt Erfahrung und Wirken) als einzigem Kriterium zur Beurteilung eines guten Arztes, Naturphilosophen oder Theologen; eine Ablehnung, die in zwei herrlichen Abhandlungen des frühen Paracelsismus, De Tribus facultatibus von Alexander von Suchten (ca. 1563 – 1569) und De antiqua Philosophia von Johann Arndt (1580)123 ihren höchsten literarischen Ausdruck fand. Die zweite bestand in der unerbittlichen Bekämpfung der Autorität der antiken »heidnischen« Autoren, allen voran Aristoteles, nach der sich blindlings nicht nur die Philosophen und Mediziner an den Hochschulen, sondern selbst die Theologen und Prediger in den Kirchen glaubten richten zu müssen. Abgesehen von den durchaus religiös-fundamentalistischen Zügen, welche die Ablehnung der »heidnischen Autoren« in den zwei anonymen Traktaten Offenbahrung Göttlicher Majestät (1575) und Cyclopaedia Paracelsico Christiana (1585) tatsächlich annahm, würde ich die scharfe und langwährende Kritik von Hermetikern und Paracelsisten an den »pagoischen« und heidnischen Autoren keineswegs als Ausdruck einer »christlichen Revolte des 16. Jahrhunderts gegen den Paganismus der antiken Kultur«124 auffassen, sondern vielmehr als eine zeitgemäße und in der Tat wirkungsvolle Strategie, um das starre auf Aristoteles und Galen aufgebaute Wissenschaftsgebäude, das jeglichen Fortschritt verhinderte, bis in die Grundfesten zu erschüttern. Diesen grundsätzlichen Konflikt, der schon seit den 1570er Jahren des 16. Jahrhunderts im Gange war, können wir noch Jahrzehnte später rückblickend veranschaulichen am Beispiel 122 Jacob Friedrich Reimmann: Versuch einer Einleitung in die Historiam literariam derer Teutschen, Bd. III,1. Magdeburg 1709, S. 598; Albert Stöckl: Geschichte der Philosophie. Kircheim 1866, S. 472. Zum Topos Moses als »Jüdischen Trismegistos« um 1700 vgl. Hannak: Theologie als Theosophie (wie Anm. 37), S. 136. 123 Zu Suchten vgl. Anm. 108; zu Arndt vgl. Carlos Gilly : Hermes oder Luther. Der philosophische Hintergrund von Johann Arndts Frühschrift »De antiqua philosophia et divina veterum Magorum Sapientia recuperanda«. In: Frömmigkeit oder Theologie. Johann Arndt und die »Vier Bücher vom wahren Christentum«. Hrsg. v. Hans Otte und Hans Schneider. (Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens 40) Göttingen 2007, S. 163 – 199; vgl. auch unten, Anm. 191. 124 Corpus Paracelsisticum Bd. I (wie Anm. 16), S. 582 f.
108
Carlos Gilly
des ideologischen Grabens zwischen dem Verfasser der Fama Fraternitatis R.C. und seinem gefürchtetsten Gegenspieler, Andreas Libavius. Während sich Johann Valentin Andreae schon am Anfang dieses ersten Rosenkreuzer-Manifests von 1614 darüber beklagte, dass die Gelehrten in Europa überhaupt nicht gewillt waren, einmal zusammen zu kommen, um die modernen Errungenschaften in der Philosophie und der Naturwissenschaft untereinander zu kommunizieren und den Fortschritt voranzutreiben: […] ist auch bey den Gelehrten der Stoltz und Ehrgeitz so hoch, daß sie nicht mögen zusammen tretten und auß allem, so Gott in unserm Seculo reichlich mitgetheilet, ein librum Naturae oder Regulam aller Künsten samblen möchten, sondern je ein theil dem andern zuwider thut, bleibt man doch bey der alten Leyren und muß Bapst, Aristoteles und Galenus, ja was nur einem [papierenen] Codice gleich siehet, wider das helle offenbahre Liecht gelten, die ohn zweifel selbsten, so sie lebten, mit grossen Freuden sich corrigirten.125
antwortete Libavius in seinem Examen Philosophiae Novae quae Veteri abrogandae opponitur von 1615 mit einem schrillen Bekenntnis zum akademischen Aristotelismus, das er wie ein fünftes Evangelium in alle Richtungen verkündete, und mit einem erneuten Angriff auf die »principia Paracelsi, Seuerini, Hermetis impii et Ethnici […]«, zu denen er neuerdings auch den Magier Christian Rosenkreuz (»Magus pater Ch. a Rosea Cruce«) gesellte. Denn wie überhaupt für die Konservativen seiner Zeit waren auch für Libavius alle Künste und Wissenschaften zu ihrer höchsten Vollkommenheit gelangt. Wenn es etwas Neues zu vollbringen gab, so wäre dies höchstens, die Teile der Wissenschaft, »welche die Alten noch kannten und ihre Nachfahren verloren, wieder ans Licht hervorzubringen«.126 Auf Libavius’ Kritik der paracelsischen Auffassung der Philosophia Mosaica müssen wir vorläufig verzichten und uns erneut mit Severinus und dem Beginn der Hermetisierung des Paracelsismus beschäftigen. In einem fiktiven Brief an Paracelsus (Epistola scripta Theophrasto Paracelso, in qua ratio ordinis et nominum adeoque totius Philosophiae Adeptae Methodus 125 Johann Valentin Andreae: Fama Fraternitatis. Das Urmanifest der Rosenkreuzer Bruderschaft zum ersten mal nach den zeitgenössischen Manuskripten bearbeitet durch Pleun van der Kooij. Haarlem 1998, S. 58 – 65. 126 Libavius: Examen Philosophiae novae, quae Veteri abrogandae opponitur (wie Anm. 8), S.289 f. Bei der Stilisierung seines Helden zu einem großartigen »learned Chymicus« und Vorkämpfer einer Aufwertung der »art of Chymia as an academic discipline« übergeht Bruce T. Moran (vgl. Anm. 8) diese und andere negativen Seiten des Libavius und verschweigt unter anderem die Tatsache, dass Libavius seinen ganzen Ruhm in der Geschichte der Chemie nicht eigenen Experimenten verdankt, sondern allein der fleißigen Kompilationsarbeit aus den Schriften eben derjenigen, die er auf der allgemeinen weltanschaulichen Linie mit unerbittlicher Härte und Gehässigkeit zu vernichten trachtete und deren »ketzerische« Bücher er auf dem Scheiterhaufen verbrennen lassen wollte: »nos ignibus addicimus haereticis«, ebd. S. 62.
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
109
compendiose et erudite ostenditur), der als Vorbote seiner Idea Medicinae Philosophicae Ende 1570 bei Sixtus Henricpetri in Basel erschien, beklagte sich Severinus, dass Paracelsus durch seinen unbändigen Drang nach Originalität (»alterius non sit, qui suus esse potest«) und das willkürliche Austeilen von Lob und Kritik auch an die Adresse der »priscorum sapientum« wie Hermes, Archelaus, Plato und Hippokrates, seinen Schülern eine schwere Aufgabe aufgebürdet hatte (»nobis onus illud imposuisti«), nämlich, selber zu entdecken und den anderen beweisen zu müssen, dass »die Ordnungsprinzipien, die mannigfaltigen Deutungen und die Methode der lebendigen Astrologie«, die Paracelsus nach eigener Aussage aus Moses’ Schöpfungsbericht gewonnen hatte und in seiner ganzen Philosophie und Medizin anwandte,127 nichts anderes waren als eine Wiederherstellung der Lehre von Hermes Trismegistus sowie von anderen »prisci philosophi« und »abditioris Naturae interpretes«.128 Der Begriff ›Philosophia Mosaica‹ wurde durch Severinus in der Idea Medicinae Philosophicae von 1571 geprägt, als er – aufgrund von Aussagen des Paracelsus selbst – diesen als »Mosaicae Philosophiae discipulus« bezeichnete.129 Doch eine erste praktische Anwendung eben dieses Begriffs fand sich bereits ein Jahr zuvor in dem 1570 entstandenen pseudoparacelsischen Traktat De secretis creationis, Von Heimlichkeit der Schöpffung aller dingen, der aber erst 1575 durch Michael Toxites in Straßburg veröffentlicht wurde.130 Der Traktat gehörte (zusammen mit der ebenfalls pseudoparacelsischen Philosophia ad Athenienses von 1564) zu den originellsten und meist bekämpften Erzeugnissen des Corpus Paracelsicorum und eröffnete eine eindrucksvolle Reihe von hermetischen Auslegungen der biblischen Schöpfungsgeschichte, die in kürzester Zeit entstanden waren, darunter die 1575 redigierte Offenbahrung Göttlicher Majestät 127 In seiner Vorrede zu Paracelsus: Philosophiae Magnae […] Tractatus aliquot. Köln 1567, S. A2v-4r , hatte Balthasar Flöter als erster auf einige Aussagen von dem »Theodidacto ac Philosopho Viro Theophrasto« hingewiesen, wonach dieser seine eigene »Philosophey« und »Doctrina« »nur auff die Schrifft gegründt« haben wollte, vgl. Corpus Paracelsisticum Bd. II (wie Anm. 24), S. 319 – 324; weitere diesbezügliche Aussagen finden sich in Paracelsus: Philosophia Sagax (ed,. Huser, wie Anm. 49), Teil X, S. 28 – 29: »Auff dz so merkend/ wie der Grundt auß der Bibel kommt/ auff den die Philosophey gesetzt soll werden/ vnd das gantz Liecht der natur […].« 128 Petrus Severinus: Epistola scripta Theophrasto Paracelso, in qua ratio ordinis et nominum adeoque totius Philosophiae Adeptae Methodus compendiose et erudite ostenditur. Basileae 1570, S. b2r-v ; vgl. auch ders.: Idea Medicinae Philosophicae, Fundamenta Continens totius doctrinae Paracelsicae, Hippocraticae, et Galenicae. Basel 1571, S. b4r : »Etenim ordinum rationem, interpretationum uarietatem, et uitalis Astrologiae Methodos, quibus in tota sua Philosophia et Medicina utitur Paracelsus, [antiqui abditiores Naturae interpretes] explicarunt«. 129 Petrus Severinus: Idea Medicinae Philosophicae (wie Anm. 129), S. 41. 130 Paracelsus: De secretis creationis (wie Anm. 34), S. 67 – 68. Zur Wirkung vgl. Gottlieb Ch. Adolf von Harless: Jacob Böhme und die Alchymisten. Leipzig 1882, S.61 f.; Walter Pagel: William Harvey’s Biological ideas. Basel 1967, S. 26 f.
110
Carlos Gilly
des Aegidius Gutmann und die zwischen 1577 und 1582 verfasste Natürliche Auslegung von der Schöpfung und Viererlei Auslegung von der Schöpfung des Valentin Weigel.131 Im De secretis creationis werden die einzelnen Sätze des mosaischen Schöpfungsberichts zu einem philosophischen Kommentar über die »Sieben Wirkungen Gottes« umgestaltet, der mit der traditionellen christlichen Exegese nichts gemeinsames aufweist, dafür aber umso mehr mit den Lehren der »alten Heidnischen Meister vnd Philosophen« (Gott als »sexta essentia vnd das medium aller dingen«; »des menschen Seel […] begabet mit der sechsten essentia«). Trismegistus wird hier als »vnser Vatter Hermes« angesprochen und zu einem Propheten »durch eingebung Gottes/ des heyligen Geistes« stilisiert, der die Wechselbeziehungen zwischen allen Kräften des oberen und dem unteren Firmaments wie kein zweiter erklärt hatte.132 Das Thema der »Philosophia Mosaica« wurde dann 1583 auch von Gerard Dorn in seinem Buch De Natvrae lvce physica, ex Genesi desvmpta, iuxta sententiam Theophrasti Paracelsi wieder aufgenommen, als »Physica Genesis« weiter entwickelt und mit einem neuen Kommentar zur Tabula Smaragdina (»Physica Hermetis Trismegisti«) ergänzt, da Dorn der festen Überzeugung war, dass Hermes Trismegistus seine gesamte kosmogonische Lehre – samt der in der Smaragdenen Tafel eingemeißelten spagirischen Physik – von dem mosaischen Schöpfungsbericht aus der Genesis hergeleitet hatte: »Hermes ille Trismegistus cognomine Mercurius, in doctrina Genesis per Moysen tradita non vulgariter instructus, hanc posteritati Physicam spagiricam inde sumptam reliquit.«133 Ihm folgte der französische Arzt und Diplomat Pierre Asselinau, der ab 1593 in den Briefen an seine Freunde von Paracelsus nur als »Theophrastus, mosaicae disciplinae sectator« sprach und der dessen Schüler Severinus als den Wiederhersteller und besten Ausleger jener uralten und unverdorbenen Philosophie (»primigeniae, et incorruptae philosophiae restauratorem, fidelemque huius interpretem«) über alles verehrte.134 Auch Oswald Crollius bezeichnete in seiner überaus wirkungsvollen Praefatio admonitoria zur Basilica Chymica von 1609 Hohenheim als »der Mosaischen und lebendigen Philosophie einzigen Schüler«, der von den Geheimnissen der Natur und den Wundern Gottes geschrieben und Gottes Wort in den Geschöpfen gefunden hätte; er sah ihn als Kontrast zu den an 131 Vgl. unten, Anm. 186 und 187. 132 Paracelsus: De secretis creationis (wie Anm. 34), S. 67 – 68. 133 Dorn: De Natvrae Lvce Physica, ex Genesi desumpta. Iuxta sententiam Theophrasti Paracelsi (wie Anm. 44). Die drei Traktate führen jeweils die Überschriften »Physica Genesis«, »Physica Hermetis Trismegisti« und »Physica Trithemii«, die laut Dorn der Lehre des Hohenheimers entsprachen. Zu Dorn vgl. Corpus Paracelsisticum Bd. II (wie Anm. 24), S. 30– 31, 823 – 963; Didier Kahn: Alchemie et Paracelsisme en France (1567– 1625), Genºve 2007, S. 114 ff., 143 ff.196 ff. 207 ff. 134 Magia, alchimia, scienza / Magic, Alchemy and Science (wie Anm. 8), S. 226, 239.
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
111
den Hochschulen herrschenden »Nachfolgern der Heydnischen Philosophen/ auß welcher Heydnischen Philosophia alle Jrrthumb hergeflossen« (»nostris Philosophiae Ethnicae sectatoribus, a qua Gentili Philosophia omnis error promanavit«).135 Diese Formulierung Crolls, »vnicus Paracelsus Mosaicae et viventis Philosophiae discipulus [qui] verbum incarnatum in creaturis reperit« empörte einen Libavius so sehr, dass dieser Croll als »gottlosen Deliranten« beschimpfte, der genau wie die Rosenkreuzer die sakrosankten Worte der Bibel in die Dinge der Natur und der Kunst hineinzwang, um sie nach den paracelsischen Träumen zu interpretieren (»sanctissima verba […] accomodare rebus naturae et artis somniisque Paracelsicis«).136 Auf Paracelsus und die Philosophia Mosaica haben sich trotz vielfältiger Modifikationen bis ins 18. Jahrhundert noch viele Autoren berufen, wie der schwäbische Schwenckfeldianer, Paracelsist und Chiliast Helisaeus Röslin in seiner De opere Dei creationis sev de mundo von 1595,137 der norwegische Theologe und Naturphilosoph Cort Aslakssøn in seiner De natura caeli triplicis libelli tres von 1597 und noch intensiver in der Physica et Ethica Mosaica von 1613;138 ferner Robert Fludd in dem De Theosophico, Cabalistico et Physiologico utriusque Mundi discursu von 1621139 und dann besonders in seiner 135 Oswald Croll: Basilica Chymica continens Philosophicam propria laborum experientia confirmatam descriptionem et usum remediorum Chymicorum Selectissimorum e Lumine Gratiae et Naturae desumptorum. Frankfurt a. M., Claude de Marne und Erben des Johann Aubry [aber gedruckt in Hanau, in der Officina Wecheliana], 1609, S. 46; 69; vgl. auch Stephan Meier-Oeser : Hermetisch-platonische Naturphilosophie. In: Ueberweg – Grundriss der Geschichte der Philosophie: Die Philosophie des 17. Jahrhunderts 4/1, Basel 2001, S. 12 f. 136 Libavius: Examen Philosophiae novae (wie Anm. 8), S. 7 – 8. Zu Crolls Interpretation der Schöpfungsgeschichte vgl. Hiroshi Hirai: Le concept de semence dans les th¤ories de la matiºre la Renaissance: de Marsile Ficin Pierre Gassendi. Turnhout 2005, S. 295 – 323. Zu Libavius’ entgegengesetzter Interpretation vgl. Andraes Libavius: De Vniversitate, et Originibvs rervm conditarvm Contemplatio singularis, Theologica, et Philosophica, ivxta Historiam Hexa×meri Mosaici in Genesi propositam instituta. Frankfurt 1610, S. 76 – 77; vgl. zu dieser Stelle auch Moran: Andreas Libavius and the Transformation of Alchemy (wie Anm. 8), 228 – 230. 137 Helisaeus Röslin: De opere Dei creationis. Ristampa anastatica dell’edizione Francoforte 1597 a cura di Miguel Angel Granada. Lecce 2000, S. 29 – 41; zu Röslin vgl. Gilly: »Theophrastia Sancta« (wie Anm. 20), 440 – 446; Kühlmann, Paracelsismus und Hermetismus (wie Anm. 8), S. 29. 138 Kort Aslakssøn: De natura caeli triplicis libelli tres. Siegen 1597; ders.: Physica et Ethica Mosaica, vt antiquissima, ita vere christiana, dvobvs libris comprehensa. Hanau 1613. Beide Texte sind in Faksimile und mit Transkription in The Digital Library of Classic Protestant Texts im Netz verfügbar. Zu Aslakssøn vgl. Shackelford: A Philosophical Path (wie Anm. 117), 318 – 323, und die klassische Monographie von Oskar Garstein: Cort Aslakssøn: studier over dansk-norsk universitets- og laerdomshistorie ombrik är 1600. Oslo 1953. 139 Robert Fludd: De Theosophico, Cabalistico et Physiologico utriusque Mundi discursu. In: Utriusque Cosmi Maioris scilicet et Minoris Metaphysica, Physica atqve Technica Historia. Frankfurt 1617 – 1623, II, 2, S. A2r-B2v, 1 – 199.
112
Carlos Gilly
posthum erschienenen Philosophia Moysaica von 1638, wo die ganze Mosaische Schöpfungsgeschichte auf einen spagyrischen Akt des göttlichen Wortes zurückgeführt wird: »Doctrina Mosayca, quae in creatione et ordinatione mundi per spagyricum divini verbi actum consistit«.140 Comenius seinerseits griff in seiner Physicae Sypnosis von 1633 auf die Physica Mosaica von Aslakssøn zurück, ergänzte sie aber in der Ausgabe von 1663 mit neuen Zusätzen über die »Mosaica Mundi principia«.141 Von Comenius abhängig war Johannes Sophronius Kozk aus Böhmen in seiner Physica Mosaica von 1637142 und zum Teil auch, aber in viel radikalerer Form, der aus Pommern stammende und in Schweden exilierte Historiker, Antitrinitarier und Spiritualist Friedrich Menius, den Sten Lindroth treffend als »en entusiastik anhängere av den hermetiska fysiken i dess mosaiska form« charakterisiert.143 Menius verfasste 1639 für Königin Christina eine Pandora Sophica generalis de rerum omnium principiis, die ungedruckt geblieben ist, und veröffentlichte 1644 unter dem Pseudonym Salomon Maius in Stockholm seinen Consensus Hermetico-Mosaicus, worauf er kurz danach ins Gefängnis geworfen wurde. Beide Schriften handeln »von dem Beginn vndt Ersten Anfange aller dingen […] dieser siechtbaren, obern vndt vntern Weldt«. In dem Consensus HermeticoMosaicus, der als Fortsetzung von Comenius’ Pansophia konzipiert wurde, legt Menius den mosaischen Schöpfungsbericht aus dem ersten Kapitel der Genesis ganz detailliert als eine »Relatio Mosaica de Principiis Universalibus« in paracelsischer Nomenklatur aus, die er dann mit einem letzten Kapitel (»Confirmatio Hermetica«) beschließt, das aus dem Text der Tabula Smaragdina sowie seinem eigenen Kommentar dazu besteht.144 140 Robert Fludd: Philosophia Moysaica. In qua Sapientia et scientia creationis et creaturarum Sacra vereque Christiana […] explicatur. Gouda 1638, S. 15. Zu Fludd vgl. u. a. Johannes Rösche: Robert Fludd. Der Versuch einer hermetischen Alternative zur neuzeitlichen Naturwissenschaft. Göttingen 2008, bes. S. 325 – 338. 141 J.A. Comenius: Physicae ad lumen divinum reformandae Synopsis. In: J.A. Komensky : Opera omnia, Bd. 12. Prag 1978, S. S. 70 – 264, Abb. 25; vgl. Ann Blair : Mosaic Physics and the Search for a Pious Natural Philosophy in the Late Renaissance. In: Isis 91 (2000), S. 32 – 58. 142 J. S. Kozk: Physica Mosaica, oder Natürlicher Discurs, von den geschäpfen welche von dem Geiste des Herrn/ auf Gottes befehlich in den ersten sechs tagen aus der geschaffenen Materi/ nach der relation Mosis formieret. Bremen 1637 (mir unzugänglich). Zu Kozk als Paracelsist vgl. Walter Pagel: The Smiling Spleen. Paracelsianism in Storm and Stress. Basel 1984, S. 37 – 54. 143 Lindroth: Paracelsismen i Sverige (wie Anm. 88), S. 489 – 490: Zu Menius vgl. auch T. Nörlin: Fredrik Menius, en svensk antitrinitarie i det sjuttonde rhundradet. In: Theologisk tidskrift 8 (1868), S. 48 – 60. 144 Salomon Maius [Friedrich Menius]: Consensvs Hermetico-Mosaicus Von dem wahren Anfange aller siechtigen vndt vnsiechtigen dingen/ Sodan auch Von der warhafften einigen Universal Materi des (so woll zur Natur als Kunst gehörigen) höhesten Arcani der gantzen Weldt. Zu einem Vortrab vndt Muster der grossen Lateinischen Historiae Pansophicae, oder
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
113
Was die Pandora sophica betrifft, so stützt sich Menius ausdrücklich auf Autoren wie Hermes, Paracelsus, Dorn, Crollius und Comenius, lobt ganz besonders den »schönen und herrlichen« [pseudo-]paracelsischen Traktat De arcanis [secretis] creationis« und stellt ganz feierlich die Forderung auf, die Schriften des »Hermetis et Mercurii Trismegisti«, nämlich den Poemander und den Asclepius, neben der heiligen Schrift an den Universitäten studieren zu lassen: Ja, es hatt derselbige Askenaz, sonst Hermes, Theuto, Mercurius (vmb seiner grossen Weissheit willen Trismegistus von den Griechen genennet) nit alleine mündtlich solches gelehret, sondern auch seinen Posteris zur Nachricht, schriftlich hinterlassen. Gestalsam dan solches aus der Original Sprache, schon vor langen vnd teckligen Jahren vndt zeiten, ins Griechische, vndt von dannen entlich ins Latin transferiret worden; welche beide den noch vorhanden: Es wäre aber sölches Buch, meines Erachtens, woll werth, das nebst der heiligen Schrifft, allen anderen Heidnischen Scribenten vorgezogen würde, vndt das mans den studierenden Jugent in Schulen vndt auff Vniversitäten proponierte. Weshalben auch ich gesonnen bin, sölches Buch […] in vnsere deutsche Sprache zu bringen, vnd mit notwendigen Erclärungen an den tag zu geben.145
Man könnte die Reihe so genannter »mosaisch-hermetischer« Bücher von dem Erstdruck von Jakob Böhmes Mysterium Magnum oder Erklärung über Das Erste Buch Moses im Jahr 1640146 bis auf Georg Friedrich Retzels Der Sechs TageWercke dieser Welt Geheime Bedeutung von 1722147 und darüber hinaus fortführen, ohne den Janitor Pansophus am Schluss des Musaeum Hermeticum von 1678 zu vergessen, wo die vier schönen Kupferstiche aus der Basilica Philosophica von Johann Daniel Mylius wieder abgedruckt wurden, um den Besucher des Musaeum eine Art illustrierten Führer zur »Mosaisch-Hermetischen Wissenschaft des Oben und des Unten« an die Hand zu geben.148
145 146 147 148
Pansophiae Practicae, Vorangeschicket. Aus beiden Liechtern/ der Natur vndt Gnaden. [Stockholm] 1644. Friedrich Menius: Pandora Sophica Generalis. De rervm omnivm principiis, das ist Allgemeiner Schatzkasten von dem Beginn vndt Anfang aller dingen. Uppsala UB, Ms. P8, S. 1 – 62. Zur Geschichte der Ausgabe vgl. die Publikation der BPH: Jacob Böhmes Weg in die Welt. Zur Geschichte der Handschriftensammlung, Übersetzungen und Editionen von Abraham Willemsz van Beyerland. Hg. von Theodor Harmsen. Amsterdam 2007, passim. Georg Friedrich Retzel: Der Sechs Tage-Werke dieser Welt Geheime Bedeutung Jm Spiegel der uhralten/ und Mosaischen Philosophie entdecket. Blankenburg 1722. Janitor Pansophus: Figura Aenea Quadripartita Cunctis Museum hoc Introentibus, Superiorum ac Inferiorum Scientiam Mosaico-Hermeticam, analitice Exhibens. In: Musaeum Hermeticum Reformatum et Amplificatum. Hg. v. Karl R.H. Frick (Photomechanischer Nachdruck der Ausg. Frankfurt 1678). Graz 1970, unpaginiert.
114
5.
Carlos Gilly
Die Verschmelzung der hermetischen und paracelsischen Philosophie
Doch wir wollen zu unserer oben gestellten zweiten Aufgabe zurückkehren und eine Antwort auf die Frage versuchen, welche Art von hermetischem Traditionsgut es eigentlich war, das die Lehren des Paracelsus und seiner Anhänger allmählich durchdrang, so dass man bald kaum noch zu unterscheiden wusste, ob eine »Hermetisierung« des Paracelsismus oder eine »Paracelsierung« des Hermetismus stattgefunden hatte. Für Hermann Conring, wie schon oben gezeigt, lautete die Antwort ganz schlicht: aus dem ganzen hermetischen Schriftencorpus seien nur die alchemotechnischen Texte von den Paracelsisten zu Kenntnis genommen worden. Für den Poemander und die anderen hermetischen philosophischen Traktate hätten sich die frühen Anhänger des Paracelsus kaum interessiert.149 Diese Meinung ist auch unter den Chemiehistorikern mit wenigen Ausnahmen (Peuckert, Pagel) bis vor Kurzem die vorherrschende gewesen. Selbst in einer kürzlich erschienenen Geschichte des Hermetismus (2005) wird die »Konversion« des AlchemoParacelsismus zum Hermetismus im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des pseudoparacelsischen Apocalypsis Hermetis dargestellt und auf die Jahre 1603 – 1608 datiert,150 obwohl bereits die Herausgeber des Corpus Paracelsisticum eine ganze Reihe von Hinweisen auf eine viel frühere Einwirkung der hermetischen Ideen bei den Anhängern des Paracelsus zusammengestellt hatten.151 Aber auch hier fehlen wesentliche Beweise für die Verwendung des dem Hermes zugeschriebenen philosophischen Schriftencorpus im Umfeld des frühen Paracelsismus – als ob die diesbezüglichen hermetischen Publikationen eines Sebastian Franck in den 1560er Jahren in Deutschland gänzlich ohne Wirkung geblieben wären. Dem ist aber nicht so. Denn ein mit den frühen Paracelsisten eng vertrauter Schwenckfeldianer und Tübinger Professor veröffentlichte 1564 eine lateinische akademische Rede über Entstehung und Einteilung des Himmels, in der Moses’ Schöpfungsbericht vornehmlich durch die Kosmogenese des »Termaximus Mercurius« ergänzt und ausführlich ausgelegt wurde: »Spectaculi Hermetis explicatio, et cum Moyse collatio […]. Haec diuina est Hermetis historia, a Moyse, si quis recte iudicet, nihil discrepans.« In dieser akademischen Rede De usu partium coeli oratio werden ausführliche Textpassagen aus dem Poemander und anderen Traktaten des Corpus Herme149 Siehe oben Anm. 99. 150 Ebeling: Das Geheimnis des Hermes Trismegistos (wie Anm. 54), S. 107 – 109. 151 Kühlmann, Paracelsismus und Hermetismus: Doxographische und soziale Positionen (wie Anm. 8), S. 24 – 32; Corpus Paracelsisticum Bd. II (wie Anm. 24), S. 29 – 33.
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
115
ticum wiedergegeben, zumeist auf Lateinisch in der Übersetzung des Marsilio Ficino, zum Teil aber auch auf Griechisch, nach der von Sebastian Franck 1542 in Basel edierten De perenni Philosophia von Agostino Steuco, wo bekanntlich große Teile des griechischen Textes zum ersten Mal in der Originalsprache veröffentlich worden waren.152 Der Verfasser dieser akademischen Rede, Samuel Siderocrates,153 galt zwar aufgrund seiner früheren Publikationen als Fachmann in anderen Sparten des Hermetismus wie Astrologie und Iatromathematik, erwies sich hier aber als hervorragender Kenner und Ausleger der verzweigten Überlieferung des hermetischen Schriftencorpus, denn ihm entgingen weder die bei Kirchenvätern wie Kyrill erhaltenen Fragmente des Asclepius in griechischer Sprache154 noch die mittelalterlichen hermetischen Texte etwa aus dem Liber XXIV Philosophorum, den Siderocrates aber nicht Hermes Trismegistus, sondern einem anonymen Philosophen zuschrieb: »Quare philosophus quidam non ineleganter Deum definiuisse putandus est: circulum esse indescriptibilem, cuius centru sit ubique; circumferentiam uero nusquam.«155 Von dieser durch und durch hermetischen Rede De usu partium coeli des Siderocrates – und im besonderen von der hier erstmals seit der Antike gewagten Umwandlung (Wasser statt Himmel) des fünften Bibelwortes – führt eine direkte Linie nicht nur zu der von Siderocrates 1585 posthum herausgegeben Cyclopaedia Paracelsica Christiana von 1585,156 sondern vor allem zu der bereits oben erwähnten Offenbahrung Göttlicher Majestät, die laut Angaben des anonymen 152 Samuel Eisenmenger (Siderocrates): De usu partium coeli oratio […] habita Tubingae in solenni Collegij facultatis Philosophicae festo, Anno a Christo 1563. [Straßburg 1564] (http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0002/bsb00021004/images/). Die Zitate aus dem Corpus Hermeticum auf S. 24, 29, 33, 38 – 43, 47, 49, 50, 51, 54 – 57, 133. Dass die griechischen Zitate nicht aus der editio princeps graeca von Adrien Turnºbe (Paris 1554), sondern von Steuco stammen, erweist sich aus der Art, die Traktatentitel des Corpus Hermeticum zu zitieren (»Mercurius Termaximus in libro, quo Deum inuisibilem ex operibus manifestum fieri docet« ebd. S. 57), vgl. Agostino Steuco: De perenni philosophia libri X. Basileae 1542, S. 568 (»Trismegistus latius […] scripsit in eo qui inscribitur, quod Deus inuisibilis, sit ex operibus manifestus«). 153 Zu Siderocrates auch als Hohenheims Anhänger vgl. Corpus Paracelsisticum Bd. II (wie Anm. 24), S. 879 – 894. 154 Eisenmenger (Siderocrates): De usu partium coeli oratio (wie Anm. 152), S. 41, 42, 51; vgl Testimonium 31 in: Das Corpus Hermeticum Deutsch. Hg. von Carsten Colpe und Jens Holzhausen. Stuttgart-Bad Cannstatt 1997, Bd. 2, S. 597, mit den Hinweis auf den griechischen Text in den Ausgaben von Scott und Nock-Festugiºre. Zu Kyrill als Überlieferer von hermetischen Texten siehe: Marsilio Ficino and the Return of Hermes Trismegistus (wie Anm. 97), S. 168 – 170. 155 Eisenmenger (Siderocrates): De usu partium coeli oratio (wie Anm. 152), S. 53. 156 Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil I (wie Anm. 17), S. 352 – 355; Stephan Rhein: Die Cyclopaedia Paracelsica Christiana und ihr Herausgeber Samuel Siderocrates: Enzyklopädie als anti-humanistische Kampfschrift. In: Enzyklopädien der frühen Neuzeit. Beiträge zur Erforschung. Hrsg. v. F.M. Eybl, W. Harms, H.-H. Krummacher u. W. Welzig. Tübingen 1995, S. 81 – 97.
116
Carlos Gilly
Verfassers »in die 1575. Jahr nach Christi Geburt« redigiert worden war, und zu deren Urheber gelegentlich auch Siderocrates gemacht worden ist.157 Dieses gewaltige Werk stellt den wohl ausführlichsten hermetischen Kommentar des mosaischen Schöpfungsberichts dar und zwar in Gestalt einer naturphilosophischen und alchemischen Auslegung der ersten fünf Verse im ersten Kapitel der Genesis von beinahe 1100 Quarto-Seiten (370000 Worte!), die mit dem Titel Opus der 24 Bücher, Buch der Geschöpff Gottes oder Offenbahrung Göttlicher Majestät zunächst nur im Manuskript in kleinen Kreisen von Schwenkfeldianern und Paracelsisten zirkulierte, bis sie 1619 in Hanau im Druck erschien.158 Von dem angeblichen Verfasser, einem Aegidius oder Eucharius oder Eutychyus Gutman oder Guettermann weiß man nur (und dies bloß gerüchteweise), dass er »in Schwaben gelebt/ viel etlichen zu Augspurg wolbekant gewesen/ […] wie er dann vmb Anno 1580 vnd 84 (als noch jemanden bewust) daselbsten sich auffgehalten«.159 Doch eine Episode aus der Vorgeschichte des Druckes mahnt uns eindringlich, bei der Identifizierung des Verfassers nicht nach einer phantasmagorischen Person namens Gutman, sondern viel eher nach einem bekannten Autor aus dem Kreis der Schwenckfeldianer um Siderocrates zu suchen. Bekanntlich hat das Opus der 24 Bücher bis zu dessen Veröffentlichung 1619 kaum Verbreitung gefunden. Der relativ große Ruhm, der das Manuskript in gewissen Kreisen umgab, war vielmehr den vielen Kopien des umfangreichen »Register Vber das Buch der Geschöpff Gottes vnd der Offenbahrung Göttlicher 157 Dass die Offenbahrung Göttlicher Majestät mit der Cyclopaedia Paracelsica Christiana »in auffälligem Einklang« steht (J. Telle in W. Killy, Literaturlexikon, Bd. 4, Berlin 2009, S. 536 f.), wussten schon um 1700 sowohl der radikale Dissident Friedrich Breckling, der in seinem »Catalogus Testium veritatis post Lutherum« in Aegidius Gutman auch den Verfasser der Cyclopaedia vermutete (vgl. Gottfried Arnold: Unpartheyische Kirchen- u. Ketzer-Historie. Bd. 2, Schaffhausen 1741, S. 902), wie auch der orthodoxe Kirchenhistoriker Ludwig Melchior Fischlin, der in seiner Memoria Theologorum Wirtenbergensium Resuscitata, Ulm 1710, S. 196, die Identität von Siderocrates und Gutman festgestellt zu haben glaubte: »Eisenmenger Aegidium Guttmennum esse in exemplari vetusto inveni«. 158 Offenbarung Göttlicher Mayestat/ Darinnen angezeygt wird/ Wie Gott der Herr Anfänglich/ sich allen seinen Geschöpffen/ mit Worten vnd Wercken geoffenbaret/ vnd wie Er alle seine Werck/ derselben Art/ Eygenschafft/ Krafft vnd Wirckung/ in kurtze Schrifft artlich verfaßt/ vnd solches alles dem Ersten Menschen/ den Er selbst nach seiner Bildnus geschaffen/ vberreycht/ welches dann biß daher gelangt ist. (Hrsg. von dem Monogrammisten M. B. M. F. C.) Hanau 1619, S. 18. 159 Will Erich Peuckert: Das Rosenkreutz. Mit einer Einleitung herausgegeben von Rolf Christian Zimmermann. 2, neugefaßte Auflage. Berlin 1973, S. 22 – 26, 31 – 32, 354 – 356; Carlos Gilly : Johann Valentin Andreae 1586 – 1986. Die Manifeste der Rosenkreuzerbruderschaft. Katalog einer Ausstellung in der Bibliotheca Philosophica Hermetica. Amsterdam 1986, S. 29 – 31; ders.: Cimelia Rhodostaurotica. Die Rosenkreuzer im Spiegel der zwischen 1610 und 1660 entstandenen Handschriften und Drucke. Ausstellung der Bibliotheca Philosophia Hermetica Amsterdam und der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Amsterdam 1995 (2. verb. Aufl.), S. 11.
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
117
Majestät« zu verdanken, von dem sich Exemplare in deutscher, lateinischer und englischer Sprache erhalten haben.160 Auch fleißige Sammler von alchemischen Rezepten bemühten sich, in den Besitz von Abschriften von ausgewählten Kapiteln (aus dem 4. und 5. Buch) zu gelangen, denn das Buch scheint zu einem horrenden Preis angeboten worden zu sein.161 Das erste vollständige Exemplar, von dem wir wissen, gehörte dem Paracelsisten und Schwenckfeldianer Karl Widemann in Augsburg, der es in den Katalogen seiner Handschriften so beschrieb: »In das 1. capitel Geneseys 24 Büecher, da y¨edes Wortt durch ain bsonderbar Buech ausgeleget wirtt, unzehlich viler und grosser My¨steriorum gedacht wirtt. Proprio libro in 4 Bunden. Eucharii Guettermanni«.162 Anfangs April 1611 ließ Widemann seinem neu gewonnenen Gönner, dem Fürsten August von Anhalt, zuerst das Register zukommen Es wurd auch ein Catalogus von büchern, die offenbahrung göttlicher Majestet, aus dem Genesi, communicirt, welches ein Volumen sein muß von vielen nützlichen Dingen, welches so es der Herr gesehen, mir mit gelegenheit unbeschwert vermelden woll.163
und dann gleich danach das ganze Manuskript, worauf der Fürst den Plan fasste, das Buch auf eigene Kosten drucken zu lassen, doch nur unter der Bedingung, dass er zuvor den Verfasser der Offenbahrung der Majestet in seiner Residenz zu Zerbst persönlich kennen lerne. Dieser scheint sein Einverständnis gegeben zu haben, worauf der Fürst bei seinem Nürnberger Agenten sofort 100 Gulden Reisegeld für den Verfasser bereitstellte und Ende Mai an Widemann berichtete: befinde auch ein gutt vergnügen aus den büchern der Majestät Gottes […] ist mir ein Trost, das sie in dem Jahr geschrieben worden, in welchem mich Gott auf diese Welt bracht hett [1575], so ist noch ubrig, sich wegen der Zusammenkunft zu resoluiren, darüber und wegen voriger vrsachen ich den Authoren gerne vernehmen möcht, je160 Vgl. unten Anm. 169. 161 Zu den frühen Lesern solcher Fragmente gehörten außer Widemann (Auslegung auf den Lapiden Philosophorum aus den 24. Büchern in das erste Kapitel Geneseos des Eucharius Guettermann, vgl. Gilly : Johann Valentin Andreae (wie Anm. 158), S. 30) auch Gegner wie Andreas Libavius (vgl. seinen Brief an S. Schnitzer vom 9.X.1605, in: Johannes Hornung: Cista Medica, qua in Epistolae familiares Clarissimorum Germaniae Medicorum […] asservantur. Nürnberg 1626, S. 177). Zu dem angeblich hohen Verkaufspreis (»um etliche Tausend Gulden an den Hertzog von Würtemberg«, vgl. Arnold: Unpartheyische Kirchenu. Ketzer-Historie (wie Anm. 156), Bd. 2, S. 323; (»umb 1000 Reichstaler angedragen und nachmalen zu 200 R verkummert […] an Landtgraff Moritz zu Hessen«, vgl. Widemann, Sylva scientiarum (Hannover, NsLB, Ms. IV 341, S. 535). Beide Landesherren lehnten aber das Angebot ab. 162 Karl Widemann: Index librorum quorundam manuscriptorum secretorum. Hactenus nunquam visorum, in: Kassel, LBMB, 28 Ms. Chem. 7, S. 63r-94v, Nr. 454. 163 Brief von August von Anhalt an Widemann aus Zerbst vom 12. April 1611 in: Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt–Abteilung Dessau (ehem. Oranienbaum), Abteilung Köthen, A 17a N8 100, S. 85r-87r.
118
Carlos Gilly
doch da es ihm geliebte die Lande zu besuchen, und mich deswegen alhier, weill die Druckerei verhanden, zwischen dato und Jacobi zu sprechen, sol es mir ein freud und gantz nicht zuwider sein […] zu welchem Ende ich meinen factorem in Nürnbergk den Viatischen befehlen laßen, damit solche Reise befördert werde, den Herren ehest hundert gutte gulden in Augspurg auszuzahlen, selbige dem Authori wiederumb darzu zuentrichten.164
Im nächsten Brief von Ende Juni schlug der Fürst Widemann vor, den Verfasser auf der Reise nach Zerbst zu begleiten, aber wegen der Pestgefahr mit der Reise so lange zu warten, bis er es anordne. ob mir zwar nicht zweiffelt, auch sei nunmehr die für dem von mir genomner resolution als ordinans der reise halber zukommen, so hab ich im doch wol menilich andeuten wollen, dass ich nochmals darbei bewenden laß, zu seiner gutten eignen beliebung stellend, ob er den Autoren selbst begleitten woll [Widemann schreibt am Rand des Briefes: »Mein vnd Doctors Röslini Rais zu Jhren Fürstlichen Gnaden«], dieweill aber die infection (wie vberall dieser landen) sich alhier was mercken lest, wollen sie mir ihre glückliche Ankunft von Leibzig anmelden, und daselbsten meiner resolution ferner abwartten. Die scripta hab ich woll entpfangen und, so viel die Zeid wollen leiden, selbige gerne gelesen, befinde daraus ein gutten grund, beides die Theologica als phy¨sica, wie man sie in gemein nennt, betreffend, vnd thut der author der offenbahrung genug, dass er, neben seiner logic vnd discurs, viel falscheitten, so vnter den Christen stecken, zugleich mit entdeckt, vnd gleichwoll zu dem principalen weg weiset, wohin vnser heiland vns selbst geleittet hatt, einen punct den ehr berüret, von der inwonung gottes und wie got mit den seinigen rede, auch sein wort in unsern mund liege, selbiger ist mir etwan angedeutet, glaub es sei der welt kaum anders fürzugeben, doch mein ich meiner wenigkeit nach, der grund sei zu schlechtlich attingirt, mir ist der autor benambt worden [Widemann schreibt am Rande eines Abschrift dieses Briefes »Eucharius Guettermann, also hab inn hören nennen«], und were sich doch sehr woll zuerkundigen, ob er keine fernere praxin oder clauem über solche bücher gelaßen [Widemann am Rande: »Gabriel Örtel ruembt sich dessen«], wo er de aqua mundificativa schreibt, wodurch die metalla von ihrem aussen gereinigt werden, daselbst schreibt er fast zu viel, dieweil aber ein sehr genauer und geschwinder handgriff darbei, zweifflt mir, ob in jemand leicht Treffen werd, Zerbst, den 29/17 Juni anno 1611.165
Der Besuch der beiden Freunde bei dem Fürsten fand am Ende doch nicht statt und das Manuskript der Offenbahrung nahm der Fürst zu seiner neuen Residenz in Plötzkau mit, wo sie der Theosoph und Chiliast Paul Nagel 1616 zu lesen bekam, noch bevor das Manuskript zur Edition nach Frankfurt abgeschickt 164 Brief von August von Anhalt an Widemann aus Zerbst vom 28. Mai 1611, ebenda, S. 88r. 165 Brief von August von Anhalt an Widemann aus Zerbst vom 29. Juni 1611, ebenda, S. 108r-v. Als Fürst August 1620 die Landesregierung übernehmen musste, forderte er seine Originalbriefe von den Briefpartnern zurück, was die dort eingetragenen Notizen der Empfänger erklärt. Dies hinderte aber Widemann nicht, Exzerpte aus diesen Briefen in seiner Sylva scientiarum (Hannover, NsLB, Ms. IV 341, S. 520 – 550) aufzuzeichnen.
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
119
wurde.166 Aber eines darf aufgrund der obigen Ausführungen festgestellt werden: Widemann hat offenbar dem Fürsten August von Anhalt seinen langjährigen Freund Helisaeus Röslin als den Verfasser der Offenbahrung Göttlicher Majestät vorgestellt – ob zu Recht oder nicht, will ich hier nicht entscheiden – wodurch wir aber wieder in die Nähe von Samuel Siderocrates gelangt wären: von »D. Samuelem Eisinmengern« also, den Röslin 1569 nach seiner Promotion in Tübingen am Hof des Markgrafen Karl von Baden-Durlach aufsuchte, zu seinem einzigen und verehrten »Praeceptor in Astronomicis und daneben in der Alchimia« [und wohl auch in Schwenckfeldicis!] annahm und dem er bis zu dessen 1585 erfolgten Tod auch verbunden blieb.167 Wo liegt aber das Hermetische in der Offenbahrung Göttlicher Majestät, in der weder Hermes noch Paracelsus ein einziges Mal erwähnt werden, obwohl man in diesem Buch so oft auf die Grundgedanken von beiden Autoren stößt, dass der Herausgeber der zweiten Ausgabe von 1675, Heinrich Ammersbach, den Titel auf dem Frontispiz mit Sprüchen von Ficino und Paracelsus einrahmte? Die Lösung zu diesem Rätsel fand ein späterer Kritiker, Samuel Pomarius, als er in seiner Schutzschrifft wider den Guttmanischen Offenbahrungs-Patron von 1679 auf die wirkliche Neuigkeit in dem Buch hinwies: »Caput primum Geneseos in Tabulam Revelationis lapideam transformando, in dem er aus dem 1. Capitel des ersten Buchs Mosis eine steinerne Offenbahrungstaffel aller Dinge machet.«168 In der Tat wurde sowohl in der ersten Ausgabe von 1619 wie auch (und noch viel deutlicher) in der zweiten von 1675 der »Textus der 24. Bücher dieses Wercks«, das heißt vierundzwanzig Stichworte aus den ersten fünf Versen des
166 Brief von Paul Nagel an Arnold Kerner in Leipzig vom 24. Juni 1619: »Des Gutmans Bücher hab ich für [vor] 3 Jahren beim Illustrissimo Augusto Fürsten zu Anhalt gesehen und gelesen, gefielen mir wol«, Leipzig, Universitätsbibliothek, Ms. O 356, 8r. Dass es sich bei der handschriftlichen Vorlage zu dem Druck von 1619 um das Exemplar von August von Anhalt gehandelt haben muss, ergibt sich aus der Tatsache, dass von den fünf Widmungsträgern (Friedrich V. von der Pfalz, Ernst von Holstein-Schauenburg, Christian von Anhalt und Moritz von Hessen) August der einzige war, der das Manuskript tatsächlich besaß. 167 Vgl. Röslins autobiographische Notizen in: Heliseus Röslin: Historischer/ Politischer vnd Astronomischer Discurs Von heutiger zeit Beschaffenhait/ Wesen vnd Standt der Christenheit/ vnd wie es ins künfftig in derselben ergehn werde. Straßburg 1609, S. a2v-a3r ; vgl. auch Röslins kürzlich edierten intellektuellen Lebenslauf in: Miguel Angel Granada: Helisaeus Röslin on the eve of the appearance of the nova of 1604: his eschatological expectations and his intellectual career as recorded in the Ratio studiorum et operum meorum (1603 – 1604). In: Sudhoffs Archiv 90 (2006) S. 75 – 96. 168 [Samuel Pomarius]: Abgenöthigte Lehr- und Schutz-Schrifft/ Wider den Guttmanischen Offenbahrungs-Patron: Worinnen Die Haupt-Frage von denen so gerühmten neuen Offenbahrungen eigentlich gefasset/ das Fanatische Buch des Aegidii Guttmanni, tit. Offenbahrung Göttlicher Majestät […] kürtzlich widerleget. Hamburg, Ratzeburg a.D. 1677 – 1679, S. 405.
120
Carlos Gilly
ersten Kapitels der Genesis, von dem übrigen Textkorpus als eine Tafel mit folgender Inschrift abgetrennt: Taffel der Offenbarung Göttlicher Mayestät/ die in dem Capitel deß Buchs der Geschöpff Gottes beschrieben ist: Darinnen angezeigt wird/ wie Gott der Herr anfänglich/ sich allen seinen Geschöpffen/ mit Worten vnd Werken geoffenbaret/ vnd wie Er alle seine Werck derselben Art/ Eygenschafft/ Krafft vnd Wirckung/ in ein kurtze Schrifft artlich verfaßt/ vnd solches alles dem ersten Menschen/ den Er selbst nach seiner Bildnus erschaffen/ vberreicht/ welches dann biß daher gelangt ist.
In der Ausgabe von 1619 folgt auf S. e1r-v in größeren Frakturtypen der »Textus« der Tafel. In der Ausgabe von 1675 wird auf S. *****2v der Titel der Tafel zwar abgekürzt, dafür aber der »Textus« der Tafel mit einer Nummerierung der einzelnen Stichworte versehen, nach denen die vierundzwanzig Bücher jeweils auf Hebräisch, Latein und Deutsch genannt und dann ausführlich thematisiert werden. (1) Anfangs, (2) hat geschaffen, (3) Gott der Herr, (4) das Gewässer, (5) und die Erde, (6) unbeziert und (7) unbehauset. Und es waren (8) Finstere ob der (9) Gestalt der (10) Tiere. Und der (11) Geist Gottes (12) schwebet ob dem Ansehen des Gewässers. Und (13) Gott hat gesprochen (14) Es werde (15) Licht. (16) Und es ward Licht. Und (17) Gott hat gesehen / daß das Licht (18) gut war. Und Gott (19) hat geschieden das Licht von der Finsternüß. Und Gott (20) hat genant das Licht (21) Tag / und die Finsternuß (22) Nacht. Und da ward aus (23) Abend und (24) Morgen der erste Tag.169
Die ganze Schöpfungsgeschichte wurde also nur auf den kurzen Text auf einer Tafel reduziert, die übrigens, nach Meinung des Verfassers, gar nicht von Moses stammen konnte, da sie Gott selbst dem ersten Menschen »mit seinem heiligen Göttlichen Finger geschrieben gegeben hat«.170 Diese drastische Reduzierung des gesamten Schöpfungsprozesses auf nur eine steinerne Tafel musste bei den Paracelsisten unweigerlich die Erinnerung an die steinernen Tafeln wecken, die Hermes nach der Sintflut entdeckt haben soll, wenn nicht gar an die auch von Hermes stammende Tabula Smaragdina, auf der ebenfalls in wenigen Sätzen eine ganze Kosmogenese beschrieben worden war. 169 Von den vier mir bekannten Handschriften des »Register Vber das Buch der Geschöpff Gottes vnd der Offenbahrung Göttlicher Majestät« auf Deutsch, Lateinisch oder Englisch, steht der volle Titel samt Textus der Tafel ähnlich wie in der Ausgabe von 1619 nur in der Kopie aus Tübingen, Evangelisches Stift, Ms. [ohne Signatur], S. 1r-16v, und in der aus Augsburg stammenden Kopie, heute Leiden UB, Ms. Voss. Chym. 37, 1r-19v. In der lateinischen Kopie, Tabvla Revelationis Magestatis Divinae Comprehensa Capite primo Geneseos (Edinburgh, Royal Coll. of Physicians, Ms. Z.9.2, S. 36r-55v) und in der englischen Table of contents of the Revelation of the Divine Majestie in 24 Books (London, BL, Ms. Royal 18 B. XXX, S. 12 – 21) erscheinen als Tafel nur die zwei ersten Verse des Textes, während der Rest stückweise am Anfang eines jeden Kapitels folgt, wodurch die ursprüngliche Funktion der Tafel verlorengeht. 170 Offenbarung Göttlicher Mayestat (wie Anm. 157), S. 511 – 512.
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
121
Dies um so mehr, als der anonyme Verfasser hier bei der Wiedergabe des ersten Verses der Bibel das Wort »Schamajim« nicht durch den traditionellen »Himmel«, sondern durch »Gewässer« oder großes Wasser (»Maim«) übersetzte, und zwar im Sinne des Urwassers, der Urmaterie oder Urmutter aller Dinge (Iliaster) des Paracelsus,171 aber zugleich auch im Sinne der »natura humida« aus der kosmogonischen Vision des Hermes Trismegistus: »Ich bin das Licht, der Nous, der vor der feuchten Natur existiert, das aus der Dunkelheit hervor steigt« (CH I 6), »aus welcher feuchten Natur sind die Körper entstanden in der sinnlich wahrnehmbaren Welt« (CH I 20).172 Oder wie Samuel Siderocrates in seiner De usu partium coeli oratio von 1563 beim Kommentar zu diesem Passus des Poemander mit einer gewissen sprachlichen Anlehnung an die Tabula Smaragdina auch ausführlich beschrieb: Triplicem ergo ortum Moyses et Termaximus Hermes nobis describunt. Primum terrae et aquae ex nihilo: secundum, duorum ex his elementorum, ignis coelestis et aeris: tertium, ex his omnibus rerum omnium ex terra et aqua, ut materia, ex igni coelesti, ut patre gignente et gubernante, et aere, ut matre nutriente, alente, multaque alia praestante. Haec est uera rerum omnium coelestium et terrestrium generatio literis sacris omnino confirmata et tradita.173
Auf diese Interpretation des Himmels als Wasser griff zwanzig Jahre später der anonyme Verfasser der von Siderocrates herausgegebenen Cyclopaedia Paracelsico-Christiana zurück, der das Wort »Himmel« im ersten Bibelvers auch stets als »Wasser« auffasste: Jnn diesem ersten Geschöpff/ so Himmel vnd Erden genant worden/ finden wir zwey stuck/ nämlich Erd vnd Wasser […]. So mag derhalb nichts anders darauß geschlossen werden/ dann das der Himmel/ das Wasser sey geweßt/ wie dann solches die heylige Göttliche sprach mit dem Wort Schammaim mit sich bringet. Darauß dann Gott die Veste gemacht/ vnnd dieselb den Himmel genannt hat/ […]. Dabey bleibt es/ das der Himmel oder die Standueste ein Wasser ist/ würt auch nicht vmb sonst ein Standueste 171 Paracelsus: Das Buch Meteororvm […] Liber Qvartvs Paramiri de Matrice. Köln 1566, S. 76v-77r; vgl. ed. Sudhoff: Bd. IX, S. 191; ed. Huser : Bd. I, S. 202: »Vor dem vnd Himmel vnd Erden beschaffen wardt/ da schwebet der Geist Gottes auff dem Wasser/ vnd wardt ob jhm tragen/ diß Wasser war Matrix: Da in dem Wasser ward beschaffen Himmel vnd Erden/ vnd in keiner andern Matrix nicht […] Da nun also die Welt nichts war/ sondern ein Wasser/ vnd der Geist des Herren war auff dem Waser/ so wardt das Wasser zu der Welt/ das ist nun Matrix der Welt/ vnd in jhm weiter alle geschöpff« […] »vnnd das Wasser ist ein behalter des Samens«. Zu dieser und ähnlichen Stellen vgl. Pagel: Das medizinische Weltbild von Paracelsus (wie Anm. 104), S. 77 – 85. Zu Iliaster / Yliadus vgl die Deutungen des Paracelsus in dessen Basler Vorlesung (ed. Sudhoff, Bd. IV, S. 91, 106, 124 f., 129; ed. Huser, Bd. VII, S. 346, 357, 382, 387). 172 Hermes Trismegistus: Pymander. Hg. v. Ficino. Basel 1532, S. A6v-7r : »Lumen illud ego sum, mens, deus tuus, antiquior quam natura humida, quae ex umbra effluxit«; B2r : »[…] tristis umbra, ex hac quidem natura humida, ex hac uero corpus in mundo constitit«. 173 Siderocrates: De usu partium coeli oratio (wie Anm. 152), S. 39 – 40 und S. 49.
122
Carlos Gilly
genannt/ dann Gott hat das Wasser in der runde vmb die Erde gar vest vnd starck gemacht […]. Bey diesem allen wöllen wir es mit den worten des Herren vnsers Gottes beständiglich bleiben lassen/ das der Himmel wesen ein starcks/ hart vnnd vest Wasser ist wie ärzt/ wöllen vns keinen Heidnischen Kopf dauon dringen lassen/ mit jhren losen eygensinnigen erdichten träumen/ dann das Wort Gottes bleibet ewiglich/ die Heyden aber/ mit allen jhren lehrnungen vnnd wercken werden vertilget.174
Wir wollen hier auf die mittelalterlichen Theorien von den »aquae supercelestes« als Hülle des Universums, wie sie Augustinus Hibernicus (oder wer auch immer der Verfasser von De mirabilibus sacrae scripturae gewesen sein mag), beschrieb, nicht eingehen.175 Nur ganz kurz sei auf die zeitgenössische lateinische Bibel eines Sebastian Castellio verwiesen, der das hebräische Wort Rachia (Gen. I, 7, 9) nicht durch das lateinische »Firmamentum« oder das griechische »ster¤oma« (extensum) übersetzte, sondern durch »liquidum« und »coelum liquidum«, was Tycho Brahe dann dazu benutzte, seine bahnbrechende Theorie der Fluidität und Durchlässigkeit der Sphären (die zu ihrer endgültigen Abschaffung führte) zusätzlich zu illustrieren176. Denn es war ausgerechnet der Paracelsist und Bewunderer von Castellio, Helisäus Röslin, der sich Tychos Theorie am stärksten widersetzte, bis er dann schließlich 1609 seine bei Siderocrates gelernte Vorstellung vom undurchdringlichen Himmel aus »starckem/ hartem vnnd vestem Wasser« aufgab, ohne jedoch auf seine frühen hermetischen Positionen zu verzichten.177 Uns interessiert vielmehr die Tatsache, dass nicht alle Paracelsisten den zuweilen schroffen und fundamentalistischen Stil der Cyclopaedia Paracelsica 174 Cyclopaedia Paracelsica Christiana. Drey Bücher von dem waren vrsprung vnd herkommen der freyen Künsten/ auch der Physiognomia,obern Wunderwercken vnd Witterungen/ darin auß der H. Schrifft mit beständigen grund nach notturfft dargethan würt/ dass alle freye Kunst/ als Schreiberey/ Rednerey/ Rechnung/ Singkunst/ Erdmesserey/ Gestirnkunst sampt der Naturkündigkeit vnd Artzneykunst/ nit auß menschlichen vermeinten erfindungen/ sonder allein von Gott dem Allmächtigen/ als vom reichen vberquellenden Bronnen herkommen/ daß auch solche Kunst allein bey Gott durch den Glauben gesucht/ vnd inn den Büchern Gottes vnnd seiner Diener bezeuget/ vnnd gelehrt sollen werden. Erstlichen von einem Anonymo liebhaber der warheit zusammen getragen vnd gestellt/ vnd jetzt vbersehen/ corrigiert/ gebessert vnnd in Truck verfertiget von Samuele Syderocrate Brettano Fürstlichem Speirischen Medico zu Brüssel [Bruchsal]. [Straßburg, B. Jobin] 1585, S. 62. 175 Pierre Duhem: Le systºme du monde. Histoire des doctrines cosmologiques de Platon Copernic. T. III, Paris 1915, S. 14 – 16; Marina Smyth: Understanding the Universe in Seventh-Century Ireland. Woodbridge 1996, S. 94 – 103. 176 Tycho Brahe: Opera omnia, ed. I.L.E. Dreyer, Hauniae 1913 – 1929, Bd. III, S. 151; Bd. VI, S. 231 – 233, vgl. Miguel Angel Granada: Sfere solide e cielo fluido. Momenti del dibattito cosmologico nella seconda mett del Ciquecento. Milano 2002, S. 175 – 178. 177 Helisäus Röslin: Historischer/ Politischer vnd Astronomischer Discurs Von heutiger zeit Beschaffenhait (wie Anm. 166), S. D1r; vgl. M. A. Granada: Sfere solide e cielo fluido (wie vorige Anm.), S. 180 – 181.
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
123
Christiana goutierten, wie einer der schärfsten Beobachter der paracelsicohermetischen Szene während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Deutschland, der Anhaltiner Calvinist Christian Beckmann, vermerkte: Superiori tempore exiit liber hoc titulo insignitus: Encyclopaedia Paracelsica Christiana. Verum a Weigelio repudiatur, quod nimium aberret a lumine Naturae et Gratiae. In 3. parte tou gnothi seauton, pag. 10 et 11.178
In der Tat, der Verfasser von diesem Dritter Theil deß Gnothi seavton von 1588, der nicht Weigel selbst, sondern sein Diakon Benedict Biedermann war, schrieb sehr abschätzig über die »vor zwey oder drey Jahren vngefährlich […] in Druck außgangene Encyclopaedia Paracelsica Christiana«: fuhret einen grossen Tittel/ ist aber nichts dahinter/ will auch weisen allein zur Heiligen Schrifft/ das man alle Weißheit darauß lernen soll/ welches nicht vnrecht were/ so man die gar nützlichen Heydnischen Bücher nicht ganz verwürffe. Der Author will die heilige Biblia vnd den Theophrastum gar hoch erheben, meinets gut/ macht es aber nicht gut. Denn der Biblia vnd Theophrasto sehr viel dinge zugeschrieben werden/ das sich im grunde viel anderes befindet/ dann dasselbe Buch Encyclopedia jrret beydes im Licht der Natur vnd auch im Liecht der Gnaden. Solte Theophrastus in Philosophia et Theologia nicht besser geschrieben haben/ denn wie in demselben citirt wird/ er were nicht einer Nuß werth […].179
»Das sag ich allein darumb/ nicht das ich lust habe diesen Authorem zuschelten/ oder anderer Leute Arbeit zu tadeln«, so Biedermann in seinem Plädoyer. Er wollte aber unbedingt den von ihm in der Cyclopaedia vermissten Hermes Trismegistus wieder an die Seite des Paracelsus erheben; dies erlaubte ihm dann, den letzten Teil seiner Schrift (S. 39r-45v) vorwiegend mit Entlehnungen aus dem I. und XIII. Traktat des »Pymander« von »Mercurio Trismegisto« auf Lateinisch oder zuweilen auch auf Deutsch zu gestalten: Kennestu dem/ so kennestu alle ding/ bistu in deme/ so bistu in allen dingen/ vnd muss vns mit dem Tatio bey dem Mercurio Trismegisto billich sprechen: Video me in omnibus, et omnia in me. Ego sum in mari et mare in me. Ego sum in coelo et coelum in
178 Christian Beckmann: Exercitationes theologicae. In quibus De argumentis pro vera Deitate Christi Servatoris nostri Contra Fausti Socini, Valentini Smalcii, Christophori Ostorodi, Johannis Crellii Franci, Ut et De argumentis pro vera humana Natura Christi ejusdem, Contra Mennonem Simonis, Theophrastum Paracelsum, Valentinum Weigelium, Paulum Felgenhauerum et alios huius notae: Necnon De multis aliis […] agitur. Amsterdam 1644, S. 360. 179 Valentin Weigel [Benedict Biedermann]: Dritter Theil Deß Gnothi Seavton Oder Cognosce Te Ipsum genandt. Das Newe Erkenne dich selbst]. Sonsten Philosophia Antiquissima, ideoque verissima (hg. von Johann Staricius). »Newstadt« 1618, S. 11r-v. Zu der Zuschreibung an Biedermann vgl. Valentin Weigel: Sämtliche Schriften. Neue Edition. Hrsg. von Horst Pfefferl: Band 3: Vom Gesetz oder Willen Gottes. Gnothi seauton. Stuttgart-Bad Cannstatt 1996, S. XX.
124
Carlos Gilly
me. Ego sum in inferno et infernus in me. Ego sum in terra et terra in me. Ego sum in arboribus et arbores in me. Das geschah dem Tatio da ihn seyn Vater Hermes auff den Berg führete/ vnnd die regenerationem eröffnen wollte: Daß ein jeder Mensch muß zum Andermal geboren werden/ darumb ließ weiter im Pymandro, libro 13.180
Aber auch Weigel erweist sich in seinen echten Schriften als begeisterter Leser nicht nur des Paracelsus, sondern auch von Hermes Trismegistus. Christian Beckmann hatte vollkommen Recht, als er die Schriften von Hermes Trismegistus als eine Hauptquelle der Theosophie von Valentin Weigel bezeichnete: Equidem tam certo novi, quam ungues meos, ea omnia, quae Weigelius et alii pro singularibus et arcanis habent, desumpta esse ex Hermete Trismegisto, ex Platone, ex Philone Judaeo, ex Synesio, ex Proclo, ex Origene et similibus (Ich weiß es so genau, wie ich meine Fingernägel kenne: all dies, was Weigel und die Seinen für Sonderideen oder Geheimnisse haben, haben sie Hermes Trismegistus, Plato und den Neuplatonikern entnommen).181
In seinen gegen Tauler, Paracelsus, Weigel, Khunrath, Fludd und Boehme gerichteten zwei Kapiteln der Exercitationes theologicae von 1644 verwies Beckmann mehrmals auf die Äußerungen Weigels über Hermes (»Hermes ille Sanctus est, illuminatus est«, »ille Hermes admodum illuminatus«, »in Mercurio etiam fuit Christus«). Beckmann identifizierte im Asclepius (III) den Ursprung von Weigels Behauptungen wie »creatura est Deus, coelum est Deus« und fand im Corpus Hermeticum (V 11) auch den Grund für den gegenteiligen Satz »Deus est creatura«, »Gott ist ein Wesen aller creaturen«; »was Gott schaffet, das ist er selber«; »en tibi reseratum fontem, e quo fluunt Weigelianae sordes« (ich zeige Dir den Brunnen an, woraus der weigelianische Unrat floss); »quomodo olim Hermes Trismegistus ad filium Tatium, libro 5. scriptum reliquit«).182 Von der Abhängigkeit Weigels von Hermes war auch der hessische Calvinist Ludwig Crocius überzeugt, auch wenn es ihm in seinem Anti-Weigelius von 1650 nicht gelang, eine von Weigel oft zitierte These von Trismegistus zu lokalisieren.183 Der Mensch ihme selbst gelaßen ist ein tunckel haus der finsternus, vnd aller betrubnus, den er hat in ihme 12 grundliche feinde oder Seelbrecher, Vltrices 12, welche sich mir den 12 himmlischen Zeichen vergleichen oder vereinigen, so der mensch mit seinem willen
180 Weigel [Biedermann]: Dritter Theil Deß Gnothi Seavton (wie vorige Anm.), S. 40. Bei dem Zitat handelt es sich eher um eine Paraphrasierung der Version von Ficino, vgl. CH XIII 11. In den Handschriften (Cod. germ. monacensis 4416/2) befinden sich zusätzlich erklärende Randbemerkungen wie »Tatius est filius Hermetis«. 181 Beckmann: Exercitationes theologicae (wie Anm. 178), S. 414. 182 Ebenda, (in der Reihenfolge der Zitate) S. 343 – 460, 408, 412, 413, 390, 409. 183 Ludwig Crocius: Anti-Weigelius, Id est, Theologiae, Quam Valentinus Weigelius, ex Paracelsi potissimum et veterum haereticorum lacunis haustam, variis sparsit libellis […] confutatio. Kassel 1650, S. 198 – 205.
125
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
bleibet, vnd nach den Sternen lebet, Solche Seelbrecher oder einwonende feinde des menschen werden erzelet von dem hoherleuchtem Mercurio [Trismegisto]. Alls Widder Stier Zwillinge Krebs Löwe Jungfrau
1 2 3 4 5 6
Ignorantia Tristitia Inconstantia Cupiditas Iniustitia Luxuries
Waage Skorpion Schütze Steinbock Wassermann Fische
7 8 9 10 11 12
Deceptio Inuidia Fraus Ira Temeritas Malitia
Bei dieser These handelt es sich aber um die Conclusio no. 10 »secundum priscam doctrinam Mercurii Trismegisti« aus den Conclusiones sive Theses DCCCC Romae anno 1486 publice disputandae von Giovanni Pico della Mirandola!184 Dank der vorzüglichen und rasch fortschreitenden neuen Edition der Sämtlichen Schriften durch Horst Pfefferl sind wir heute in der Lage, weitere und bisher ungeahnte hermetische Einflüsse in Weigels authentischen Büchern aufzuspüren, so zum Beispiel bei der schönen Gegenüberstellung zwischen Hermes und Paracelsus aus dem Jahr 1578: Theophrastus saget, got brauchet nichts, wircket nichts, vbett nichts etc. So spricht der Mercurius, got wirckett, vbett, brauchet alle dinge. Diese seint nicht wieder einander, dan einer redet von gott wie er ist absolute, für sich selbest verstanden. Do ist er wircklos, affectlos etc. Der ander redet von gotte, kegen der Creatur gehalten, der alles in allem wircket, vbett, vnnd brauchet, vnnd mag sich auch keyne Creatur ohne gott geregen.185
Oder : bei der oben schon erwähnten Natürliche Auslegung der Schöpfung von 1577, in der Weigel, unmittelbar nach einer Empfehlung der Bücher des Paracelsus (»dauon liese weiter das büchlein De Fundamento Sapientiae Theophrasti vndt Sagacem Philosophiam der großen vndt kleinen welt«), »der lieben Jugent« einen sicheren Weg »zum rechten brunnen der philosophiae« zu zeigen versuchte, wie ihn Moses, Mercurius und Esdra »für etzlich tausent Jharen« bereits beschrieben hatten.186 Aber es war in der Vierten Auslegung der Viererlei Auslegung von der Schöpfung, sonst auch unter dem Titel Vom Ursprung aller Dinge bekannt, dass auch Weigel die oben besprochene paracelsische Gleichstellung 184 Die These von Weigel steht in De bono et malo in homine, s.l. 1618, p. 11; Philosophia mystica, ›Newstadt‹, L. Jennis, 1618, 196 – 215; Warumb Gott notwendig nur in einem wohne, Kopenhagen, Ms. Thott 48 119, 150r-160r ; Schleswig, StA, Abt. 7, n8 2059, [1r-17v]) wie auch im Von der seligmachenden Erkenntnis Gottes (München, BSB, Cod. germ. 4416/ 31); ich folge dem Abdruck bei Ausgust Israel: M. Valentin Weigels Leben und Schriften. Zschopau 1888, S. 115. 185 Valentin Weigel; Der güldene Griff. In ders.: Sämtliche Schriften (wie Anm. 179), Bd. 8, 1997, S. 69 – 70. 186 Valentin Weigel: Natürliche Auslegung von der Schöpfung. In ders.: Sämtliche Schriften (wie Anm. 179), Bd. 11, 2007, S. 192 – 193.
126
Carlos Gilly
von Himmel und Wasser mit dem Hinweis auf die »natura humida« am Anfang des Poemander bekräftigte, wie der Herausgeber richtig gesehen hat: Vnd diß Firmament wird genennet Himmel Schamaim ibi aquae, do seind die Wasser. Als spreche Gott: Bißanhero seint die Maim, das ist, das Wasser oder Himmel vnleiblich gewesen, vnd haben keines orts bedörfft […]. Aber die vntern Wasser oder Maim sollen leiblich, sichtbarlich, greifflich sein. die müssen einen Ort haben, auß den selben machte Jch Jhnen eine Feste Rakia, eine expansion, vnd nenne es Schamaim das ist ibi aquae […]. Do gott die vntern Wasser durch das Firmament einschloß als die primam materiam der sichtbaren Welt, do waren die Wasser wie eine dünne Lufft oder Athem der Menschen auf eine feuchte geneiget, wie Mercurius [Trismegistus] zeiget yrga yle, humens materia. Jn diesem Chaos waren begriffen die 4 Elementa mit Jhren Leibern vnd alle Elementata.187
So weit ich überblicken kann, stand der Meister Valentin Weigel in Sachen Hermetismus und Paracelsismus seinem Schüler Biedermann in nichts nach.188 Paracelsisten und Hermetiker zugleich waren aber auch zwei der Männer, die außerhalb von Weigels engsten Freundeskreis schon relativ früh den Kontakt mit dem verschrieenen Pfarrer zu Zschoppau gesucht und gefunden hatten. Von dem ersten, Johann Arndt, wusste Christian Beckmann in seinen Exercitationes von 1644 offensichtlich mehr als die jüngeren Arndtanhänger, die jegliche Gemeinschaft zwischen Arndt und Weigel bestritten (»Arndtiana nihil cum Weigelianis habere commune«): Streite hier, wer will. Da aber Melchior Breler den älteren Arndt [jeglicher Gemeinschaft mit Weigel] heilig entschuldigt, so müsste man annehmen, dass dieser seine frühere Meinung entweder simuliert oder ganz abgelegt habe. Denn nicht nur die Bücher, die ich einmal las, sondern auch seine eigenhändigen Briefe, die ich selber gesehen habe, bezeugen in aller Deutlichkeit, was für ein treuer Anhänger Weigels Arndt gewesen ist.189
Als weiteren Beweis für diese vermeintliche Anhängerschaft, die auch der ältere Arndt öffentlich heftig bestritt, besitzen wir ein merkwürdiges und aus verständlichen Gründen ungedruckt gebliebenes Zeugnis, das Johann Angelius Werdenhagen 1642 – 43 an Matthäus Merian für die Biographie Arndts in der Frankfurter Ausgabe der Postillen geschickt hatte. Da steht ganz einfach, Arndt 187 Valentin Weigel: Viererlei Auslegung von der Schöpfung. Die Vierte Auslegung. In ders.: Sämtliche Schriften (wie Anm. 179) S. 366 – 367, 377 – 378. 188 Weitere Belege für Biedermanns Bestreben, Texte aus dem Corpus Hermeticum in das Corpus Weigelianum zu integrieren vgl. Magia, alchimia, scienza / Magic, Alchemy and Science (wie Anm. 8), Bd. II, S. 136 – 141. 189 Beckmann: Exercitationes theologicae (wie Anm. 178), S. 353: »Litiget hic qui volet. Quando Brelerus tam sancte excusat Arndtum seniorem, sane hunc posteris annis vel simulasse, vel priorem sententiam abdicasse oportet. Nam non tantum libri, quos legi: sed etiam literae Arndti manu exaratae, quas ipsemet vidi, liquido testantur, ipsum Weigelio satis fuisse addictum«.
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
127
habe »gute Freundschafft mit dem Weigelio gepflogen, haben immer fort Schreiben in erclärungs sachen untereinander gewechselt, weil sie kaum 5 Meilen von einander gewohnet«.190 Die Entfernung zwischen Weigels Wohnort, Zschoppau, und Ballenstedt bzw. Badeborn, wo Arndt zwischen 1583 und 1590 als Pfarrer tätig war, betrug allerdings nicht »5 Meilen«, sondern ca 31,5 deutsche Meilen = 205 Kilometer! Aber auch diese größere Entfernung war wohl kein Hindernis für einen brieflichen Verkehr oder gar eine Beteiligung Arndts an der Entstehung einiger Pseudoweigeliana. Aber dies hatte Arndt wohl auch nicht nötig, denn er hatte seinen Paracelsus und seinen Hermes schon als Student in Basel gut gelernt, wie seine eindrucksvolle (ungehaltene?) akademische Rede beweist, die er noch in der Rheinstadt zu Papier brachte: De Antiqua Philosophia: Et divina veterum Magorum Sapientia recuperanda deque Veritate Scientiarum et artium huius Seculi Oratio. Von der lateinischen Originalfassung dieser bis vor Kurzem unbekannt gebliebenen Oratio haben sich lediglich kurze Extrakte in den Werken von Gegnern erhalten; dafür existieren aber zwei unterschiedliche zeitgenössische Übersetzungen, die sich heute in je einem Exemplar in Wolfenbüttel und München befinden, und woraus ich zwei Passagen über Hermes und Paracelsus zitieren möchte: Durch diese Göttliche Weißheit vnd Vhralten Philosophia hat der Aegyptische Hermes vnd Mercurius Trismegistus Christum auch erkennet, von welchem, alß dem Sohne Gottes er heyliglich propheceyet: Aus diesem brunnen hat Er die erkenntnüß der gantzen Natur, wie auch alle Wissenschafften der bürgerlichen Justitiae geschöpffet, dahero er auch Trismegistus genennet worden, nemlich der Gröste seiner Zeit vnd Vaterlands Theologus, der gröste Philosophus, vnd gröste König. In dieser Göttlichen Kunst seind vortrefflich gewesen vorzeiten die Chaldeer vnd Juden. Heutiges tages aber wissen die Meineydigen Juden vnd feinde Christlichen Glaubens gantz nichts darvon gewesen [cod. guelf. 912 Novi 48, S. 4v-5r]
Das ist die Göttliche vnd himlische Weißheit vnd Philosophej, durch welche der vortreffliche, grosse Egy¨ptische Philosophus Hermes Mercurius Trismegistus Christum erkennet, vonn welchem Er auch als vonn dem Sohne Gottes klärlich vnd Gottsfürchtig geprophecey¨et hat [Am Rande: Vnde Hermeti Trismegisto tanta sapientia in libro naturae et gratiae). Auß diesem Brunnen hat er die erkenndtnis aller Natürliche dinge vnd gantze Weltliche Rechte geschöpfet vnd vberkommen, dahero Er Trismegistus ist genennet worden, nemblich der gröste vnd vortrefflichste Theologus, der gröste Philosophus, vnd der gröste König vnd Potentat. Dieser Künste wegen sein nach aussagung der Oraculi die Chaldeer vnd Juden berühmt gewesen. Aber heuttiges tages wissen die Juden, die Feinde christliches Glaubens weniger als nichts davon [cod. germ. mon. 4416/11, S. 5v].
190 Halle, Franckesche Stiftung, Ms. B 17a, 193r ; Carlos Gilly : Iter rosicrucianum. Auf der Suche nach unbekannten Quellen der frühen Rosenkreuzer. In: Das Erbe des Christian Rosenkreuz. Amsterdam 1988; S. 63 – 89 (zit. 80).
128 Diese geheime, vnd im Geist der weißheit verborgene Magiam vnd Jhre eröffnung haben die alten Cabalam genennet, in welcher allein die gründtliche Erudition vnd Lehr begriffen; deren Schatten auch biß dato nit haben zu gesicht bringen können weder wir noch all die ienigen, welche sowohl zu vnserer, alß vnserer Vorfahren Zeiten etwas von dieser Materi in büchern geschrieben, außgenommen der deutzsche Aesculapius Theophrastus: Dieser ist zu seiner Zeit derer heiligen Kunst Monarcha vnd Fürst gewesen, welches seine Scripta gnugsam bezeugen [cod. guelf. 912 Novi 48, S. 5v-6r]
Carlos Gilly
Diese heimliche vnd verborgene vnd inn dem Geist der Weißheit ruhende Wissenschafft haben die altten Magiam genennet, vnd Ihre offenbahrungen Cabalam, in welcher alleine die Rechte bestendigkeit wohnet vnd hauset: In welches Schatten vns auch nicht bisßero einzusehen vergönnet worden ist, vnd allen denen, so etwas ohne den wahren Teutschen Aesculapium [Paracelsus] vonn dieser geschrieben haben [Zwischen den Zeilen: Hic enim sanctae huius Artis sui seculi Monarcha, quod scripta ipsius loquuntur]. Darumb ist die Zeit der Monarchi dieser heiligen Kunst verflossen, wie solches die Schrifften von deroselben betzeügen [cod. germ. mon. 4416/11, S. 6v-7r].
Für die weiteren paracelsischen und hermetischen Stellungnahmen in den gut bekannten Schriften Arndts, wie etwa in den Vier Bücher von Wahrem Christentum oder in der Evangelienpostille von 1615/16 verweise ich hier auf den kürzlich erschienenen Aufsatz über deren ursprünglichen philosophischen Hintergrund Arndts, in dem von Luther kaum Notiz genommen wird, während Hermes und Paracelsus die Oberhand gewinnen.191 Ließ es Paracelsus bei dem bekannten Spruch bewenden, »wann er anfieng zu schreiben, wollte [er] sy [Luther und Zwingli] und auch den Bapst erst recht in die Schül füren«,192 machte der Paracelsist Arndt diesen Wunsch zur Realität, indem er nicht nur zentrale lutherische Lehrsätze auf den Kopf stellte, sondern auch gewagte hermetische Lehren in das theologische System des Reformators einschmuggelte. Dieser konnte oder wollte nicht einmal den Namen des Hermes Trismegistus richtig buchstabieren: Denn das einzige Mal, da Luther den Namen nannte, nämlich in der Disputatio de homine von 1536, verwendete er die Mischform »Hermegistus«: »Sed Hermegistus composuit istum librum Platonis et omnia surripuit ex Ioannis evangelio.«193 Was den Hermetismus betrifft, so hat der 191 Carlos Gilly : Hermes oder Luther (wie Anm. 123), S. 198 – 199. 192 Carlos Gilly : Theophrastia Sancta (wie Anm. 20), S. 426. 193 Luthers Werke, WA, Bd. 39 I, S. 179 – 180. Um den feinen hermetischen Unterschied zwischen Arndt und Luther zu spüren, vergleiche man das erste Kapitel der Genesisvorlesung des Reformators (WA, Bd. 42, S. 18a-22b: »Opus secundi diei«) mit den Ausführungen Arndts im zweiten Kapitel des vierten Buchs Vom wahren Christenthumb (»Vom andern Tagwerk Gottes/ dem Himmel«, ed. Lüneburg 1666, S. 20 – 27 [http://books.google.com]), welche trotz der durch die Zensur gebotenen Vorsicht viel näher bei den Positionen von Paracelsus und Weigel liegen. Dies merkten allerdings sogleich auch Arndts radikale Leser wie etwa Fürst August von Anhalt, der ihn bereits 1610 durch eine dritte Person fragen ließ: »worumb er sich ain mahl mit andern federn schmucke, weil die sachen alle, so er ausgehen laßen, ex Weigelio genommen wehren«, worauf Arndt geantwortet haben soll: »dass es nit
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
129
»Reformator der Reformation«, wie Arndt oft genannt wurde, den Reformator selbst weit hinter sich gelassen. Abschließen möchte ich nun mit dem Paracelsisten und Theosophen Heinrich Khunrath, zu dessen bevorzugten Autoren, neben Paracelsus, an erster Stelle Hermes Trismegistus gehörte. Khunrath hat nämlich in den zwei Ausgaben seines Amphitheatrum Sapientiae Aeternae von 1595 und 1609 mehrere Stellen aus dem Poemander (Nr. 35/205, Nr. 53/336, Nr. 230/294), aus den Septem tractatus Hermetis (Nr. 43/317, Nr. 150/181, Nr. 240/299, Nr. 277/261) und aus der Tabula Smaragdina (Nr. 237/136, Nr. 277/261) zitiert oder kommentiert.194 So zum Beispiel bei der Definition des Begriffs »Theosophie« als höchste Wissenschaft und zugleich Inbegriff und Methode der wirklich wahren »Scientiae«. Diese »wahren Wissenschaften«, schreibt Khunrath unter Verweis auf Hermes Trismegistus, seien allein an der »Universität Gottes« zu lernen und zu erwerben, und zwar »durch theosophische mentale Praxis, dank göttlicher Eingebung im Oratorio, und durch ständige eigenhändige Arbeit im Laboratorio«. Sapientia acquiritur praxi tantum Theosophica mentale ex inspiratione divina in Oratorio utroque; Sapientiae fructus non infimi nasciscuntur negotiatione laborum manualium Sapienti in Laboratorio. Hermes [Septem Tractatus]. cap. 1: »In tam longa aetate«, inquit, »non destiti experiri, nec Animae a labore peperci, artem et hanc scientiam solius Dei inspiratione habui, qui mihi, famulo suo, pandere dignatus est« (Nr. 43/317).
Die Tabula Smaragdina wird von Khunrath sowohl in der ersten Ausgabe (Nr. 177, S. 21 – 22) wie auch in der zweiten (Nr. 261, S. 127 – 134) mit einem der längsten Kommentare des ganzen Amphitheatrum bedacht, und zwar – wie nach Siderocrates, Gutman und Weigel zu erwarten war – eng verwoben mit der Erklärung der mosaischen Schöpfungsgeschichte. Während aber der Verfasser der Offenbahrung Göttlicher Majestät in seiner »Taffel« die einzelnen ersten 24 Bibelworte als Überschriften für die darin enthaltenen 24 Bücher auffasste, beschritt Khunrath den umgekehrten Weg, indem er die einzelnen Sätze der
sein[e], sonder des Weig[elii] sach[en] wehren, welches scripta, weil sie niemand wolt fast laßen an Tag kommen, het er sich doch nunmehr […] in dise formam gebracht«. Und noch um 1625 bezeichnete sein ehemaliger Schüler, Johann Gerhard, Arndts gewagtere Formulierungen als entschuldbare Ausrutscher eines Mannes, der in seiner Jugend viele Sätze von Paracelsus und Weigel unverdaut aufgesogen hätte (»quod lectione librorum Paracelsi et Weigelii fuerit delectatus«,vgl. Carlos Gilly : Hermes oder Luther, wie Anm. 123, S. 165 – 166). 194 Heinrich Khunrath: Amphitheatrum Sapientiae Aeternae. [Hamburg] [Jacob Lucius d. J.] 1595; ders.: Amphitheatrum Sapientiae Aeternae. Hanau: Guilielmus Antonius 1609 (zitiert wird nach der unterschiedlichen Paragraphenzahl in der ersten und der zweiten Ausgabe).
130
Carlos Gilly
Tabula Smaragdina durch die uns schon bekannte paracelso-mosaische Interpretation der ersten Verse der Bibel erklärte. Primo, INFERIVS, indidit TERRAE et AQVAE, ut ibi esse non tantum sedes et vehiculum ANIMAE Mundi, verum qvoque MEDIVM conjungens et VINCVLVM copulans atque uniens duo extrema, qvae sunt MATERIA prima et FORMA, hoc est HYLE necnon ANIMA MUNDI, NATVRA, RVACH ELOHIM: ut latius videre est verso 48, 230 et figura Amphitheatri huius tertiae Qvaestionibus 5 et 6 […].
Doch mit diesem Verweis auf die dritte Figur des Amphitheatrum von 1595 gab sich Khunrath nicht zufrieden, und für seine geplante zweite Ausgabe entwarf er schon 1602 eine neue, rechteckige Kupfertafel, die er auch sogleich stechen ließ, mit dem vollen Text der Tabula Smaragdina oder Verba secretorum Hermetis in lateinischer und deutscher Sprache. Der Text erscheint auf einem im Zentrum der Kupfertafel abgebildeten Berg oder gewaltigen Feuerstein, vor dem mehrere Weise und Gelehrte stehen, darunter Khunrath selber, und lebhaft diskutieren. Unten am Fuße des Bergs sind die ersten Zeilen des Corpus Hermeticum in der Version von Marsilio Ficino abgebildet (»Mercurius Trismegistus in Pimandro«), als ob Khunrath die Zusammengehörigkeit der beiden hermetischen Texttraditionen – der alchemo-technischen und der philosophischen – nicht nur schriftlich, sondern auch graphisch und visuell ein für alle Mal dokumentieren wollte.195 Aber eigentlich wäre dies gar nicht mehr nötig gewesen, denn um 1600 waren bereits die meisten unter dem Namen des ägyptischen Hermes überlieferten Grundlehren von den Anhängern des Paracelsus in so starkem Masse assimiliert und verwandelt worden, dass der Hermetismus, besonders nördlich der Alpen, einen neuen Impuls, ein neues Gesicht und sogar eine neue Sprache und Terminologie erhielt. Der Angriff des Casaubon auf die Historizität der hermetischen Schriften von 1614 traf zunächst ins Leere, weil es inzwischen für die Paracelsisten und Theosophen völlig unerheblich geworden war, wann Hermes tatsächlich gelebt und ob er ein Heide oder Christ gewesen war. So zitierte z. B. Arndts Nachlassverwalter Melchior Breler in seinem Mysterium Iniquitatis Pseudoevangelicae von 1621 ausführlich den Poemander und stellte dann fest: »Haec ille [Hermes] sive Ethnicus, sive (quod docet Isaac Casaubonus contra Baronium) Christianus«.196 Sie beharrten weiterhin auf der grundsätzlichen Übereinstimmung der alten hermetischen Schule mit den Lehren des neuen 195 Zu Khunraths Ausgaben des Amphitheatrum und zur Bedeutung der einzelnen Figuren vgl. die beim Verlag Frommann-Holzboog demnächst erscheinende, kummulierte FaksimileAusgabe des Amphitheatrum sapientiae aeternae. 196 M. B. F. B. [Melchior Breler]: Mysterivm Iniqvitatis Pseudoevangelicae: Hoc est: Dissertatio Apologetica Pro Doctrina Beati Joannis Arnd […] Adversus Centauros Quosdam Pseudoevangelicos et sophisticam illorum Theologiam. Goslar 1621, S. 135.
Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus
131
Trismegistus Germanus, der von nun an – wie etwa durch Johann Baptista van Helmont – nicht nur zu einem Schüler der mosaischen Weisheit erklärt,197 sondern auch zum alleinigen Wiederaufbauer und intellektuellen Gewährsmann der gesamten »Hermetica schola« erkoren wurde.198
197 »Paracelsus totius Germaniae decus […] sed Mosaica sophia instructus, igneum elementum totam coelorum rempublicam comprehendere statuit«, vgl. Johann Baptista van Helmont: Eisagoge in artem medicam a Paracelso restitutam, in: C. Broeckx: Le premier ouvrage de J.-B. van Helmont, publi¤ par la premiºre fois. In: Annales de l’Academie Royale d’Archeologie de Belgique, Anvers 10 (1853), S. 327 – 392 (zit. 366). 198 »Hermetica schola, quam Theofrastus Paracelsus unus amplissime ditissimis scriptis exaravit, ac una opere confirmavit«, vgl. J. B. van Helmont: Eisagoge (wie Anm. 197), 11 (1854), S. 119 – 191 (zit. 176). Auch Scheunemann stellt Paracelsus als den von Gott gesandten Erneuerer der hermetischen Lehre dar : »Germanum suscitauit Paracelsum, qui Hermeticam et Hippocraticam doctrinam omnium primam, imperfecte et hieroglyphice ad atauos nostros delatam compleret: quod peculiari spiritus sancti assistentia adeo praestitit, vt nihil amplius desiderari possit, ob nauatam operam Monarchae nomen adeptus, quod mundus immundus ferre non vult nec potest, in excesum et defectum vergens […] Hermeticam doctrinam a Paracelso auctam, illustratam et in lucem e tenebris productam inficiari, quid quaeso est, quam apertis etiam coecutire oculis, et cum ratione insanire velit?«, vgl. H. Scheunemann: Hidromantia Paracelsica (wie Anm. 82), S. (:)(:)1r, 2r.
View more...
Comments