Ein_Bayer_in Der Tuekei-Hans Schiltbergers

May 5, 2017 | Author: TARIH | Category: N/A
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Ein Baier unter »Türcken und Tataren« Hans Schiltbergers unfreiwillige Reise in den Orient

Von Michael W. Weithmann

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erade 14 Lebensjahre zählt der bairische Knappe Hans von Schiltberg, als er anno Domini 1394 seinem Herrn Lienhart von Reicharting zu den Fahnen eines Kreuzzuges »wider die Türcken« folgt. Beunruhigende Nachrichten aus dem Südosten breiteten sich damals über das christliche Europa aus: Bereits im Jahre 1354 hatten die muslimischen Türken – die Osmanen – die Meerengen von Asien nach Europa überschritten. Sie standen nun schon an der Donau und bedrohten das Königreich Ungarn, das Bollwerk der katholischen Christenheit gegen den Osten. Als der ungarische König Sigismund – es ist der spätere römisch-deutsche Kaiser Sigismund III. – die Unterstützung der abendländischen Ritterschaft einfordert, strömen Tausende zusammen, in der Hauptsache Franzosen und Deutsche, – und mittendrin eben jener bayerische Ritter von Reicharting mit seinem blutjungen Schildknappen.

Das Verhängnis von Nikopolis (1396) Für die Familie von Schiltberg, deren Name sich wohl von der Burg Schiltberg östlich von Aichach ableitet, hat es kein Zögern gegeben, ihren Sproß mit auf die Kreuzfahrt

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zu schicken, war man doch vom Triumph der christlichen Waffen fest überzeugt. Große Resonanz hatte der Aufruf zum Waffengang in Frankreich und Burgund gefunden, wo Tausende von Kriegsleuten nach dem Friedenschluß im »Hundertjährigen Krieg« beschäftigungslos geworden waren. Die Führung über ein waffenglänzendes burgundisches Heer übernahm Jean de Nevers, der 24jährige Sohn Herzog Philipps des Kühnen. Unter dem Namen »Johann ohne Furcht – Jean sans Peur«, ist er in die Geschichte eingegangen. Und als Feldherren über das französische Kreuzheer hatte König Sigismund den sieggewohnten Johann von Boucicaut gewonnen, den Marschall von Frankreich und einen der mächtigsten Feudalherren des Abendlandes. Großartige Empfänge begleiten diese Kontingente auf ihrem Weg von Paris, Dijon und Straßburg über den Rhein zur Donau, nach Ulm und Regensburg. Auch deutsche Edelleute fühlen sich in hoher Anzahl herausgefordert. Wobei bemerkt sei, daß jedem Teilnehmer am passagium militare ein vollständiger Ablaß all seiner Sünden gewiß war. In Regensburg stoßen die bayerischen Teilnehmer hinzu; sie stehen unter dem Panier des Nürnberger Burggrafen Johann von Hohenzollern, und unter ihnen befindet sich auch unser Hans Schiltberger. Pfingsten des Jahres 1396 wird in Wien verbracht. In Buda, der ungarischen Königsstadt, vereinigt sich das Ritterheer mit dem

(Oben): Osmanischer Leibwächter (»Pfortensklave«) – (Gegenüberliegende Seite): Die Kreuzfahrer – unter ihnen Hans Schiltberger – belagern Nikopolis an der Donau (1396) und werden von Sultan Bayezid I. überrascht. Miniatur des 16. Jahrhunderts.

Hans Schiltbergers unfreiwillige Reise in den Orient ungarischen Reichsaufgebot unter König Sigismund. Burgunder, Franzosen und Deutsche wetteiferten in Zelten aus Damast, goldenem Tafelgeschirr und tragbaren Altären. In Brokat und Seide gekleidete Edelpagen und eine ganze Entourage aus Köchen begleiten den Heerbann. Die Chronisten versäumen es auch nicht, tadelnd auf die »Scharen von Buhlerinnen« hinzuweisen, die sich dem Troß anschlossen. Bald kam es zu ernsten Reibereien zwischen den Ungarn und diesen farbenprächtig herausgeputzten Höflingen und hochwohlgeborenen Junkern, welche die Militärexpedition offenbar mit einem galanten Abenteuer verwechselten. Erst nach endlosen Festgelagen, Turnieren und Waffenspielen setzte man beim Eisernen Tor über die Donau und drang in den osmanischen Machtbereich ein. Nun wurden sämtliche Städte an der Donau ausgeplündert und die Bevölkerung, obwohl sie zum größten Teil aus bulgarischen orthodoxen Christen bestand, gnadenlos niedergemacht. Im Siegesrausch stieß man weiter vor, und König Sigismund verstieg sich zu der Behauptung, daß er über

einen »Wald von Lanzen gebiete, der selbst den einstürzenden Himmel aufzuhalten vermocht hätte«. Aber eine Katastrophe nimmt ihren Lauf.1 Bei Nikopolis an der Donau (heute Nikopol’ – 8:>?>;J – in Bulgarien) zersprengt am 25. September 1396 der osmanische Sultan Bayezid mit dem bezeichnenden Beinamen Y1´ld1´r1´m (Blitzstrahl) die ungarischen, französischen und deutschen Heerhaufen. Tausende fallen, darunter die bayerischen Herren von Pienzenau, Kuchl, Klammenstein, Fraunberg, Greifenberg und Reicharting. Marschall Boucicaut ergibt sich, und nur mit Mühe gelingt dem Ungarnkönig die Flucht über die Donau. Die Überlebenden geraten in türkische Gefangenschaft, und unter ihnen befindet sich Hans Schiltberger, dreifach verwundet. Mit diesem dramatischen Ereignis beginnt Schiltbergers Bericht, den er 35 Jahre später verfaßt hat: »Eine wunderbarliche und kurtzweilige Historie, wie Hans der Schiltberger von den Türken gefangen, in die Heidenschaft geführet und wieder ist heim kommen«.2 31 Jahre wird sein unfreiwilliger Aufenthalt in der »Haydenschafft« dauern, Höhen und Tiefen wird er erleben, Schreckliches, Abenteuerliches, aber auch Menschliches. Eine besondere Schreckenstat erfährt er schon unmittelbar nach der Niederlage. Denn der Sultan, bestürzt über die hohen eigenen Verluste, läßt allen adeligen Gefangenen wie auch den Kriegsknechten ihre Köpfe vor die Füße legen, anstatt sie, wie sonst üblich, gegen Lösegeld in Geiselhaft zu nehmen.3 Doch unser Knappe wird verschont, als ihn Süleyman, ein Sohn des Sultans, erblickt und Mitleid mit dem Bartlosen empfindet: »… weil man niemand unter 20 Jahren tötet, und ich war kaum sechzehn Jahre alt.« Und dieses Glück im Unglück wird Schiltberger auch nicht mehr verlassen. Nicht nur seine unschuldige Jugend rettet ihn, auch seine Tapferkeit und Treue imponiert den Gegnern, hat er doch in der Schlacht seinen vom Roß gestürzten Herrn noch zu retten versucht. Auch war Hans – wie wir aus seinen Aufzeichnungen schließen können – ein redlicher und eher schlichter Charakter, aber lernfähig und vorurteilslos, und ehrlich staunend über all das, was er in der Fremde sehen und hören wird. Bei seinen neuen Herren hat der Bursche bald den berühmten »Stein im Brett«. Als er auserwählt wird, als Ehrengeschenk zusammen mit anderen Jünglingen dem ägyptischen Sultan nach Kairo überstellt zu werden,

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Bald steigt er weiter auf und wird Mitglied der berittenen Eskorte des Sultans. Als »Vorreiter« macht er alle Kriegszüge Bayezids mit. Da der osmanische Sultan seine Waffen nun nicht mehr gegen die Christen im Westen – also gegen Schiltbergers eigene Glaubensbrüder – sondern gegen unbotmäßige Turkmenenstämme und deren Emire und Beys und A´as in Kleinasien richtet, bleiben ihm Gewissenskonflikte erspart. Er erlebt die Eroberung Anatoliens bis zum Euphrat mit und liefert uns dabei wertvolle Nachrichten über den Ausbau des Osmanischen Reiches in seiner Frühzeit. Ein vereitelter Fluchtversuch zusammen mit 60 christlichen Schicksalsgenossen endet mit einem erstaunlich zivilisierten Vergleich. Gegen den Schwur, den Sultan niemals mehr zu verlassen, erhält er nicht nur seinen Posten als Vorreiter und Leibgardist zurück, ja der Herrscher »mehrte ihm sogar den Sold!« Dies ist ein untrügliches Zeichen, daß der bayerische Streiter längst nicht mehr als Kriegsgefangener galt, sondern als Mitglied des Hofes. In der Hand der »Geißel Gottes«

Aga (Truppenführer) der Yeni Ceri ( Janitscharen).

»besorgten sie sich (wegen der Wunden), ich würd auf dem Wege sterben. Darumb blieb ich bei dem türckischen König«. In den Residenzstädten des osmanischen Reiches, in Adrianopel (Edirne im europäischen Teil der heutigen Türkei) und in Bursa verbringt er seine nächsten Jahre. Das westanatolische Bursa beschreibt er als Stadt von »zweihunderttausend Häusern« mit dreihundert Palästen und acht Spitälern, »da man die armen Leut beherbergt, gleich ob Christen, Muslime oder Juden.« Obgleich er ein Gefangener, und nach damaligen Rechtsverständnis eigentlich ein Sklave, ist, macht der junge Schiltberger eine steile Karriere. Zwar schreibt er etwas mißverständlich »sechs Jahr mußt ich vor dem König zu Fuß lauffen«, doch bedeutet das nichts anderes, als daß er als Page in die hochherrschaftliche Leibgarde des osmanischen Sultans aufgenommen wurde. Um das ihm auferlegte, in Wirklichkeit ehrenvolle Amt des »Vorläufers« und um die damit verbundene persönliche Nähe zum Sultan dürften ihn viele Osmanen sogar beneidet haben. Daß er Christ ist, nimmt man eher bedauernd zur Kenntnis. Kein Hinweis findet sich jedenfalls in seiner Schrift, daß er seines Bekenntnisses wegen jemals benachteiligt worden wäre. In einem eigenen Kapitel seines Buches geht Schiltberger auch ausführlich auf den Islam ein. Kein böses Wort findet sich hier, keine Diffamierung, ganz im Gegenteil betont er die Gemeinsamkeiten beider Religionen.

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Bald muß Schiltberger sein Treueversprechen einlösen. Denn der siegesbewußte Bayezid der Blitz war mit seinen asiatischen Eroberungen zu weit gegangen: Als er Sivas (Sebasteia) im Osten Anatoliens einnimmt, bedeutet dies Krieg mit dem wohl mächtigsten und auch furchtbarsten Herrscher jener Zeit, mit Timur Lenk (Timur, bzw. »Temür dem Lahmen«), dem Großkhan (Khagan) der Tataren und Mongolen. In der größten Schlacht des Mittelalters, am 27. Juli 1402 bei Ankara, geschlagen, gerät der Osmanensultan und mit ihm sein ganzer Hofstaat – darunter auch unser nun 22jähriger Bayer – in die Hände Timurs, der sich selbst für die »Geißel Gottes« gegen die Christen gleichermaßen wie gegen die Muslime hält. Unter dem Namen »Tamerlan« wird der Tatarenkhan, der über ganz Zentralasien herrscht, in der abendländischen Literatur zum Inbegriff despotischer Willkür und Grausamkeit werden. Dem gefangenen Sultan und seiner Umgebung wird jedoch kein Haar gekrümmt. Der baldige Tod des schon betagten und fast erblindeten Bayezid im März 1403 dürfte denn auch nichts mit seiner tatarischen Gefangenschaft zu tun gehabt haben.4 Schiltberger hat wieder Glück im Unglück. Er wechselt zwar den Oberherrn, aber seine Stellung behält er bei, wenn auch nicht mehr in derselben Vertrauensposition wie vordem. Lakonisch schreibt er: »Und da ward ich von dem Temurlin gefangen und blieb bei ihm und ritt mit ihm«. In seinen folgenden Schilderungen gehen die zeitlichen Angaben und die Ereignisfolgen etwas wirr durcheinander, was kein Wunder ist, hat Schiltberger doch diese Jugenderlebnisse erst als reifer Mann aus dem Gedächtnis niedergeschrieben. Vieles erzählt er auch ganz offensichtlich dem Hörensagen nach. Bei den gewaltigen Heerzügen Timurs nach »Klein-India« (Hindustan), wo 1398 vor Delhi Kriegselefanten auftreten, sowie bei der von Schiltberger eindrücklich geschilderten Vernichtung

Hans Schiltbergers unfreiwillige Reise in den Orient der Großstädte Bagdad und Damaskus durch die Tataren 1401 und bei ihrem Vorstoß durch Mesopotamien nach Ägypten kann unser Chronist jedenfalls nicht dabei gewesen sein, hat dies alles doch stattgefunden, bevor er in tatarische Hände gefallen war. Hingegen war er wohl bei den Rüstungen Timurs gegen China (»Kattay«) beteiligt. Doch starb der knapp 70jährige Gewaltherrscher im Februar 1405 an der Cholera, geschwächt durch Zerwürfnisse mit seiner Lieblingsfrau, wie uns Schiltberger wissen läßt. Auch er gibt die Legende wieder, daß noch ein Jahr lang aus dem prächtigen Mausoleum Timurs in Samarkand ein wolfsartiges Geheul gedrungen sei, bis seine entnervten Söhne und Nachfolger alle Gefangenen und Verschleppten freigelassen hätten.5 Wo unser Gewährsmann die drei Jahre unter Timur (von 1402 bis 1405) eigentlich verbracht hat, geht aus seinem Bericht nicht genau hervor. Samarkand, Timurs Residenz in Usbekistan, scheint er jedenfalls nicht mit eigenen Augen gesehen zu haben. Vermutlich blieb er irgendwo im Vorderen Orient stationiert, jedenfalls behauptet er, im von den Tataren zerstörten Babylon (Bagdad) gewesen zu sein und sogar den Turm von Babel erblickt zu haben. Auch in Kairo und am Nil sei er gewesen, obwohl seine diesbezüglichen Äußerungen wenig überzeugend klingen. Ernster zu nehmen ist sein Aufenthalt in Jerusalem, das er während eines Kriegszugs (wahrscheinlich 1403) besuchen konnte: »… do lagen unser XXX thausendt pey dem Jordan auff ainer schönen weytten; und das macht, das ich die heilligen stet nicht wol gar mocht gesehen …« Eine genauere Besichtigung war ihm also nicht möglich, doch behilft er sich mit einer Beschreibung der Heiligen Stätten, die ganz offensichtlich zeitgenössischen Pilgerführern entnommen ist.6

und hinten kurze«. Afrikanische Giraffen – um die es sich hier handelt – waren begehrte Geschenke, welche die ägyptischen Mamelukenherrscher türkischen Sultanen und tatarischen Khanen zukommen ließen. Die turbulenten Thronkämpfe all der Söhne und Neffen Timurs werden in Schiltbergers Bericht recht farbig erzählt, doch ist kaum anzunehmen, daß er selbst all die von ihm aufgezählten Orte und Landschaften – Täbriz, Kurdistan, Armenien, Erivan, Irak – auch selber besucht hat. Etwas klarer wird es erst, als er nach 1410 unter die Herrschaft eines »tatarischen Königssohnes namens Czeggra« gerät und mit diesem in die »Große Tatarei«, also in das

Bis ans »Ende des Erdreichs« Ab 1405 geht Schiltberger in die Dienste von Schah Roch (^´ah Ruh) über, Timurs viertem Sohn, der über Chorassan (Nordostiran) gebietet und von 1406 bis 1447 in Herat (heute Afghanistan) herrscht. Vielleicht hat der Bayer, der mittlerweile sicherlich gut arabisch, persisch sowie türkisch und tatarisch sprach, damals von den kuriosen »Suruafa«-Tieren gehört, »einem Hirschen gleich, mit vier Klafter langem Hals, vorn hohe Füß’ (Oben): Osmanisches Heerlager bei der Speisenausgabe, Miniatur des 16. Jahrhunderts.

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zentralasiatische Hochland zieht. Sachlich und sehr interessiert berichtet er über das Leben und die Bräuche der Nomaden in Zelten und Jurten, über ihren jahreszeitlichen Wechsel der Weideplätze und ihre Herden von Pferden und Kamelen. Irgendwann während der nun folgenden langen 15 Jahre, die er in der Tatarei verbringt, gelangt er zum »zween Monate« entfernten Uralgebirge, und bekommt Kunde von einem fernen Land namens »Wissibur« (Sibirien) »am Ende des Erdreichs«. Wilde Leute, »haarig an dem ganzen Leib« (d. h. fellbekleidet) wohnten dort, und unbekanntes Getier wie »gehörnte Rösser« (Rentiere) und Hunde, die Schlitten durch den Schnee zögen. Damit wird zum ersten Mal der Name »Sibirien« in einem abendländischen Bericht dokumentiert. Die Zeit mit Prinz Czeggra, den er »meinen Herre« nennt, endet abrupt mit dessen gewaltsamen Tod in innertatarischen Stammeskämpfen. Schiltberger muß daraufhin zusammen mit den unterlegenen Gefolgsleuten Czeggras in die Verbannung gehen. Mannstzuch (Manschuk), ihr Anführer, wählt den Weg nach Westen, zum Schwarzen Meer. In Kaffa, einer blühenden genuesischen Handelskolonie auf der Halbinsel Krim (heute Feodosija) mag sich der mittlerweile 46jährige, schon etwas tatarisierte Bayernsproß in einer der dortigen katholischen Kirchen seiner alten Heimat wieder bewußt geworden sein. Gefahrvolle Heimkehr Noch ein Jahr jedoch zieht er mit der desperaten Horde von Ausgestoßenen dem Ostufer des Schwarzen Meeres entlang durch das Gebiet der muslimischen Tscherkessen und Abchasen und der christlichen Georgier. Als sie Georgien erreichen, setzt Schiltberger sich zusammen mit vier anderen Christen ab, und zwar mit Zustimmung der Tataren, denn er schreibt: »Da schieden wir von Manschuk«. In der Hafenstadt Batum wird ihnen aber ein Schiff verweigert, obwohl es ihnen an Pretiosen sicher nicht gefehlt hat. Doch wieder hat Schiltberger Glück: Der Kapitän eines Handelsschiffes aus Genua nimmt sie auf – aber erst nachdem diese tatarisch gewandeten Gestalten das Paternoster aufgesagt und damit ihr römisches Christentum bewiesen haben. Nach drei Monaten gefahrvoller

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Fahrt übers Schwarze Meer landet Schiltberger 1426 in Konstantinopel, der griechischen, byzantinischen Kaiserstadt am Bosporus. Sogar Kaiser Johannes VIII. Palaiologos lauscht seinen Abenteuern während einer Audienz. Eine griechische Galeere bringt ihn im nächsten Frühjahr zur Donaumündung. Dort schließt er sich Kaufleuten an und reist, in einem weiten Bogen um den mittlerweile osmanisch beherrschten Balkan herum, über die Karpaten nach Polen und Sachsen, und von da zur Reichstadt Eger, sodann, wie er schreibt »gen Regenspurg, darnach gen Landshuet, und von Landshuet gen Freising, da mein Anwesen ist gewesen.« Dieses Anwesen war Gut Hollern bei Lohof (heute in der Gemeinde Unterschleißheim gelegen). Auch in München waren die Schiltbergers begütert, ja der Weltreisende Hans bezeichnet sich selbst in seiner Schrift als »Einer aus der Stadt München«. Die alte Burg Schiltberg bei Aichach dagegen lag zu dieser Zeit längst in Trümmern.

Hans Schiltbergers unfreiwillige Reise in den Orient lebnisbericht in der wissensbegierigen frühen Neuzeit eine breite und wachsende Leserschicht in fürstlichen, adligen und besonders in bürgerlichen Kreisen.8

Biographische und historische Probleme

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Sultan Süleyman mit zwei Leibwächtern. Miniatur des 16. Jahrhunderts.

chiltbergers Bericht, der, literaturwissenschaftlich gesehen, eine Mischung aus Autobiographie, Pere grinatio, Chronik und Itinerarium repräsentiert, hat seit seiner Wiederentdeckung im 19. Jahrhundert eine ganze Reihe von Fragestellungen in historischer, geographischer, ethnologischer und religionsgeschichtlicher Art hervorgerufen. Zwei Probleme, welche die Lebensgeschichte Hans Schiltbergers zum Inhalt haben, werden im Folgenden etwas näher betrachtet.9

Handschriftliche Überlieferung

Kam der »der Schiltberger« aus Schiltberg?

Vom weiteren Lebenslauf Hans von Schiltbergs wissen wir wenig. Er sei in den Hofdienst Herzog Albrechts III. (1438–1460) getreten und herzoglicher Kammerherr geworden, schreibt der Historiograph Aventin. Schiltbergers »Wunderbarliche und kurtzweilige Historie« wurde um 1430 handschriftlich niedergeschrieben. Sicher nicht von Schiltberger selbst, sondern nach dessen Diktat hin. Der Schreiber dürfte ein humanistischer Gelehrter gewesen sein, dessen Ehrgeiz es war, Schiltbergers etwas simple Kriegsberichte durch Texteinschübe aus anderen Büchern (z. B. Marco Polo und John Mandeville) und Reiseberichten aufzuwerten. Eindeutig sind z. B. die Anleihen aus Pilgerführern. Das Original ist verloren gegangen, aber vier frühe Abschriften haben sich erhalten. Die Münchener Monacensia-Bibliothek verfügt über ein Manuskript aus dem Jahr 1447, das dem Autographen sehr nahe stehen dürfte.7 Nach dem Aufkommen des Buchdrucks Ende des 15. Jahrhunderts erschienen mehrere Inkunabeln in Ulm, Augsburg und Nürnberg. Im 16. Jahrhundert mehren sich die Auflagen. Titelei und Textabfolge variieren dabei, der Inhalt bleibt jedoch gleich. Die vom Autor versprochene »Wunderbarlichkeit« und »Kurzweiligkeit« garantierte dem Er-

Da wäre zum einen die Biographie: Wer war denn dieser »Schiltberger« eigentlich? Woher stammte er? Gibt es Erkenntnisse, die über die sehr dürren Worte hinausgehen, die er sich selbst in seinem Reisebericht widmet?

(Gegenüberliegende Seite): Osmanischer Heerzug. Rechts unten zwei »Vorläufer«. Das Amt eines solchen »Vorläufers« bekleidete Hans Schiltberger sechs Jahre lang.

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Und da wäre zum anderen die nach der Lektüre seines Werks doch höchst berechtigte Frage, was hat dieser Mann diese 31 langen Jahre eigentlich in Asien gemacht, war er denn wirklich nur ein Gefangener oder sogar ein rechtloser Sklave, der all diese von ihm so farbig geschilderten Kriegszüge unfreiwillig und gezwungen mitgemacht hat? Schauen wir uns zuerst seinen biographischen Hintergrund an: Die Burg Schiltberg über der gleichnamigen Ortschaft bei Aichach – also in Bayerisch-Schwaben – wurde schon erwähnt. Heute existiert zwar kein Mauerwerk mehr, aber der mit Erdwällen und Gräben umzogene Burghügel ist noch als eindrucksvolles Bodendenkmal zu erkennen. Die stattliche Burganlage war im Hohen Mittelalter der Sitz des Adelsgeschlechtes der »Domini de Sciltperge«, der Herren von Schiltberg, die vom 12. bis ins 13. Jahrhundert mehrfach namentlich in Urkunden genannt werden. Die Schiltberger dieser Zeit waren enge Gefolgsleute der Wittelsbacher, also der bairischen Herzöge, deren Stammburg bei Aichach übrigens in Sichtweite der Burg Schiltberg lag. Aufgrund der Nähe zum Herzogshaus (vielleicht auch verwandtschaftlicher Nähe) bekleideten die Herren von Schiltberg das einflußreiche Amt der »Marschalken von Bayern«. Der Marschalk, bzw. wie er später hieß Marschall, war der höchste Bedienstete am Herzogshof, der Führer der ritterlichen Gefolgschaft und der Leibgarde des Herrschers – und als solcher mußte er natürlich aus einer alten, edelfreien und reichen Familie stammen.10 Es liegt natürlich nun nahe, unseren Hans Schiltberger des 15. Jahrhunderts mit der im 12. und 13. Jahrhundert auf der Burg Schiltberg residierenden Marschalken-Dynastie in genealogische Verbindung zu setzen. Aber dieser These stehen nun doch einige historische Tatsachen Tatarischer Khan auf Reisen mit Dienerschaft und Gefolge

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Osmanischer Reiter

entgegen. Die »Domini de Sciltperge« werden nämlich um 1280 zum letzten Mal bezeugt, was ein Indiz dafür ist, daß diese Familie damals in männlicher Linie ausgestorben ist. Bestätigt wird dieser Sachverhalt auch dadurch, daß just ab diesem Zeitpunkt das Marschalken-Amt vom Herzog auf andere Adelsfamilien übertragen wird – und daß die Burg Schiltberg im 14. Jahrhundert im herzoglichwittelsbachischen Besitz erscheint. Es klafft nun bis zur Nennung unseres Hans Schiltbergers zum Jahr 1394 eine genealogische Lücke von 100 Jahren, in welcher der Name Schiltberg nur sehr vereinzelt und dazu in unklarem historischen Zusammenhang auftritt. Zwar ist es nicht von der Hand zu weisen, daß ein Zweig

Hans Schiltbergers unfreiwillige Reise in den Orient der hochadligen mittelalterlichen Linie weiter existiert hat – doch müßte sie dann sozial schwer abgesunken sein, denn die späteren Schiltberger, wie ja auch unser Reisender, sind Kleinadlige oder Bürgerliche – zwar mit Ansehen und Besitz, aber eben keineswegs mehr zu den ersten Familien des Herzogtums zählend.11 Plausibler erscheint folgende Erklärung: Nachdem die Burg Schiltberg im 14. Jahrhundert in herzoglichen Besitz übergegangen war, behielt sie selbstverständlich ihren alten Namen, wurde aber in der Folgezeit als herzoglicher Amtssitz von Pflegern (Curatores) verwaltet. Diese Pfleger oder Amtmänner waren meist kleine Adlige, aber auch Bürgerliche, die sich in den Dienst des Herzogs stellten, um Sold für Burghut und Richteramt zu erhalten. Die Pfleger benannten ihre Familien in der Regel nach derjenigen Burg, die sie verwalteten – in unserem Falle also »von Schiltberg« oder »auf Schiltberg« oder einfach »Schiltberger«. D. h. ein spätmittelalterlicher Träger dieses Namens muß keineswegs von der alten Marschalken-Dynastie abstammen, sondern wird eher einer Familie von Pflegern oder Burghütern entstammen, die sich nach ihrem Amtssitz benannte. Auch wenn ein derartiger herzoglicher Dienstmann sein Amt nicht mehr ausübte, behielt er doch den von der Burg abgeleiteten Namen. Und ein

Jean Marie Moreau der Jüngere (Zeichnung) und Louis Michel Halbou (Stich): Der Silhadar-Agha – Oberster Schwertträger der sultanischen Leibgarde, 1787.

Sproß einer jener Burgpfleger-Familien wird auch unser Hans von Schiltberg gewesen sein. Sowohl chronologisch als auch besonders von seinen sozialen Verhältnissen her würde dieser Status passen. Mit Standesangaben ist Schiltberger selbst sehr zurückhaltend, er nennt sich ganz lapidar entweder »Ich Schiltberger« oder noch einfacher »Einer aus München«. Wäre er wirklich höherer adliger Herkunft gewesen, hätte er dies ganz sicher seine Leserschaft wissen lassen. Schmale Quellenbasis All diese Unklarheiten rühren daher, daß die Quellen über Schiltberger äußerst spärlich fließen. Es gibt, genau genommen, nur drei Hinweise auf ihn: erstens die wenigen Angaben, die er über sich selbst macht, zweitens eine handschriftliche Notiz des herzoglichen Schreibers Hans Prätzl, und drittens zwei Sätze über Schiltberger in Johann Turmairs »Bairischer Chronik«. Beginnen wir mit Schiltbergers Selbstauskunft: Er nennt sich im Buchtitel – wie gesagt – »Einen aus der Statt

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München in Bayern« und vervollständigt das später, indem er München »meine Heimat« nennt. In der Tat wird für das Jahr 1362 ein offenbar sehr vermögender Münchener Bürger namens Schiltberger in einer städtischen Urkunde bezeugt. Er könnte durchaus der Vater unseres Protagonisten gewesen sein, von der Zeit her würde es passen. Im Heimkehrer-Kapitel dagegen schreibt er, das er »von Landshuet nach Freising kam, da mein Anwesen ist gewesen«. Das ist ein deutlicher Widerspruch zur anfänglich genannten Heimatstadt München in Bayern, besonders wenn man bedenkt, daß das Hochstift bzw. Fürstbistum Freising ja ein souveränes Reichsterritorium war, für das Herzogtum Bayern also quasi im Ausland lag! In Stadt und Bistum Freising suchen wir aber vergeblich nach dem Namen Schiltberger, fündig werden wir allerdings in Lohhof, und zwar genauer im Landgut Hollern bei Lohhof. Für 1427 wird als dessen Besitzer ein gewisser Friedrich Schiltberger genannt.12 Gut Hollern existiert heute noch, es beherbergt ein Gestüt, eine Kapelle aus dem 18. Jahrhundert und einen Reiterhof, und auch eine Dependance des Bayerischen Bauernverbandes ist dort untergebracht. Das Gehöft ist landschaftlich sehr schön in der flachen Ebene zwischen Eching und Unterschleißheim gelegen. Bis 1990 gehörte es zur Gemeinde Eching, seitdem zu Unterschleißheim. Man kann nun vermuten, daß Friedrich Schiltberger ein Bruder unseres Helden war und daß der Gutshof zu Hollern das Schiltbergersche Familienanwesen auf dem Lande war. Wieso nennt aber Schiltberger dann Freising? Vielleicht deshalb, weil Hollern, zumindest nach einer uns vorliegenden Urkunde, Eigentum des Klosters Weihenstephan war und die Schiltberger somit ihren Lehenszins an die Freisinger Kirche zu entrichten hatten – aber das ist reine Spekulation. Etwas klarer sind Schiltbergers Altersangaben. Nach der Niederlage von Nikopolis läßt Sultan Bayazid hundert europäischen Rittern und Kriegsknechten die Köpfe vor die Füße legen. Hans Schiltberger entgeht diesem Schicksal weil er »kaum sechzehen Jahr alt war und man tötet keinen, der unter 20 Jahr alt ist«. Wenn er 1396 16 Jahre alt war, dürfte sein Geburtsdatum um das Jahr 1380 liegen. Was können wir seinen weiteren Angaben entnehmen – z. B. über seinen sozialen Status? Seine Teilnahme an der Heerfahrt war durchaus kriegerischer Art. Er spricht selbst davon, daß er »gerennessweis« mitgezogen sei. Gerennesweis bedeutet als »Renner«, das heißt als berittener Krieger. Er war aber noch kein Ritter – dazu war er noch zu jung –, und er war auch nicht selbständig unterwegs, sondern als Gefolgsmann eines gewißen Lienhart Reichartinger. Diesen Reichartinger bezeichnet er eindeutig als Herren und als Ritter. Sein Verhältnis zu diesem kommt in zwei Textvarianten zum Ausdruck: In einer Handschrift steht »Ich Hans Schiltberger, sein (des Reichartingers) Renner«, in einer anderen: »Ich, Hans Schiltberger, sein Knappe«. Und das ist nun schon ein deutlicher Standesunterschied: Ein Renner, ist ein bewaffneter Reiter, ein Söldner, in der Landsknechtshierarchie zwar an oberster Stelle angesiedelt, aber jedenfalls kein Adelskrieger. Ein Knappe hingegen ist ein ritterbürtiger, adeliger

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Mensch, die jünglingshafte Vorstufe zum Ritter. Als ein echter »Renner« wäre Schiltberger zum Zeitpunkt der Schlacht freilich noch viel zu jung gewesen. Auch das Kriegshandwerk forderte ja Zeit und eine mehrjährige Ausbildung, die sicher nicht vor dem 20. Lebensjahr abgeschlossen war. Demnach war Schiltberger also doch ein Knappe, ein Schildknappe, der bei festlichen Anlässen das Wappenschild vor seinem Herrn einhertrug und ihm aufwartete. Zumindest im späten Mittelalter gehörten Lesen und Schreiben und eine gewisse Allgemeinbildung auch zur Grundausstattung eines jungen Anwärters auf die Ritterschaft. Der Dienst mit der Waffe wurde vom Knappen nicht verlangt, dies wurde erst mit dem Ritterschlag, also ab dem 20. Lebensjahr, fällig. Schiltberger hat seiner Erzählung zufolge aber doch aktiv ins Kampfgetümmel eingegriffen, indem er versucht hat, seinen vom Pferd gestürzten Herren zu retten – vergeblich, wie wir gehört haben. Also war er ein kämpfender Knappe, einer, der versucht hat, sich durch eine kühne Tat auf dem Schlachtfeld den vorzeitigen Ritterschlag zu verdienen. Zum Knappen wurden eigentlich nur ritterbürtige Jünglinge ernannt. Dabei wies die Spanne der »Ritterbürtigkeit« eine weite soziale Spanne auf und reichte vom Sohn eines Kleinadligen bis hinauf zum Fürstensproß. In Schiltbergers Zeit erlangten zudem immer mehr Bürgerliche, nicht nur Patrizier, sondern auch Angehörige der städtischen Mittelschichten, die ritterlichen Rechte. Und aus dieser Schicht kann unsere Hauptfigur gestammt haben. Erstaunlicherweise hat sich noch kein moderner Bearbeiter des Schiltberger-Textes jenes Lienhart von Reicharting angenommen, in dessen Gefolgschaft Hans von Schiltberg in die Ferne zog. Lediglich zweimal taucht der Name Reichartinger in Urkunden des 14. Jahrhunderts auf, dazu noch an recht entlegener Stelle, nämlich im salzburgisch–bayerischen Grenzgebiet. Und dort gibt es jenseits der Salzach auch einen kleinen Weiler namens Reicharting. Allem Anschein nach hat es sich bei den Reichartingern zwar um Ritter, aber um kleine Ministeriale, d. h. dienstadelige Lehensträger, gehandelt.13 All die anderen bayerischen Herren, die Schiltberger als Teilnehmer der Schlacht aufzählt, nämlich die Kuchler, Greifenberger, Schmiechen und Pienzenauer, entstammten bekannten und in spätmittelalterlichen Quellen häufig genannten Edelgeschlechtern. Im Vergleich zu ihnen hat sich Hans Schiltberger dem unbedeutendsten Ritter, eben jenem Reichartinger, angeschlossen. Das bestärkt uns in der Annahme, daß es sich bei Hans Schiltberger um einen nichtadeligen Knappen gehandelt hat, offensichtlich um einen zweiten oder dritten Sohn eines Münchener Bürgers. Während sein ältester Bruder die Münchener Besitzung erbte, erhielt der Zweitälteste Friedrich das Gut Hollern bei Lohhof. Für Hans als Nachgeborenen blieb dann nichts anderes übrig, als sein Glück woanders zu suchen – ein Ruhm und Beute versprechender Kreuzzug kam da gerade zur rechten Zeit! Kommen wir zu den weiteren Schriftquellen über Hans von Schiltberg, nämlich die handschriftliche Notiz des herzoglichen Schreibers Martin Prätzl. Prätzl war Kammerschreiber und Rentmeister am Hofe Herzog Al-

Hans Schiltbergers unfreiwillige Reise in den Orient brechts IV., wir können seine Notizen deshalb ziemlich genau auf das Jahr 1480 eingrenzen. Er nennt »Hanns Schiltperger« »einen warhafftigen und frommen edelmann, der ain diener ist gewesen des fürsten und Herren Albrechts III. des Gütigen«. Und der Historiograph Johann Turmair–Aventinus präzisiert Schiltbergers Tätigkeit nach seiner glücklichen Heimkehr als »des Fürsten Albrechten Kammerherrn«. Albrecht III. um den es sich hier handelt, ist übrigens derjenige, der in seiner Jugend die tragische Verbindung mit Agnes Bernauer eingegangen war. Seine Regierungszeit dauerte von 1438 bis 1460. Schiltberger, der bereits 1427 zurückgekehrt war, war also schon vorher in die Dienste des Thronfolgers getreten.14 Bekannt ist, daß Gelehrte und Weitgereiste gerngesehen waren am bairischen Herzogshof und daß man versucht hat, sie in fürstliche Dienste zu übernehmen. Auf diese Weise hat Schiltberger wohl auch seine Stellung als herzoglicher Kämmerer erhalten – eine hohe Position, die sowohl die Verwaltung der herzoglichen Finanzen als auch die Personalaufsicht über die herzogliche Dienerschaft umfaßte. Falls Schiltberger nun kein Adeliger von Geburt aus gewesen war – was nach dem Vorher Gesagten anzunehmen ist – so ist er nach seiner Rückkehr von seinem Landesherren – auch im Hinblick auf seinen hohen Posten – in den erblichen Adelsstand erhoben worden. Schiltbergers Dienstort war der Alte Hof zu München, die damalige Herzogsresidenz. Sein Wohnort dürfte das Gut Hollern bei Freising geblieben sein, das er nach dem Tode seines älteren Bruder Friedrich übernommen hatte. Mehr steht an gesicherten geschichtlichen Quellen über Hans Schiltberger nicht zur Verfügung. Sein Todesdatum kennen wir nicht. Aber aus der Tatsache, daß im 16. und 17. Jahrhundert eine neue Sippe von »Schiltbergern« auftritt, können wir schließen, daß er sich noch verheiratet und Nachkommen gezeugt hat. Für das Jahr 1466 ist in Landshut ein Notar Ulrich Schiltberger bezeugt. Er könnte durchaus ein Sohn des Asienfahrers gewesen sein. Die spätere Familie der Schiltberger führte einen Türkenkopf mit Turban und Säbel im Wappen und war sich bis zu ihrem endgültigen Aussterben Mitte des 20. Jahrhunderts ihrer Herkunft vom »Türkenfahrer« Hans von Schiltberg wohl bewußt.15 Ein höchst privilegierter »Kriegsgefangener«. Kommen wir nun zum zweiten Problem: Welche Stellung hatte der »Gefangene« beim osmanischen Sultan und bei seinen späteren Oberherren eigentlich inne? Aus seinem Bericht geht ziemlich klar hervor, daß er von Beginn seiner Gefangenschaft an ein »Privilegierter Gefangener« war. Er entgeht dem Gemetzel nach der Schlacht, weil ihn Prinz Süleyman, der jüngste Sohn des Sultans, höchstpersönlich rettete. Und der abendländische Leser erfährt hier übrigens, daß es bei den Muslimen üblich war, Jugendliche zu schonen. Sicher galt dieses Tötungsverbot auch unter Christen, aber aus der Geschichte des Hundertjäh-

rigen Krieges wissen wir, daß christliche Sieger ihre Gegner mitunter einschließlich der minderjährigen Knappen und Pagen niedermetzelten. In Folge der Intervention von oben wird Hans nun dem Sultan als persönliche Beute zugeteilt. Aus dem Recht des Herrschers, den wertvollsten Teil der Beute für sich zu beanspruchen, können wir folgern, daß der Knappe von den Siegern als »wertvoll« eingeschätzt wurde. Dies wird auch gleich im nächsten Vorgang bekräftigt, in welchem Schiltberger auserwählt wird, als Gastgeschenk dem ägyptischen Sultan übereignet zu werden. Unter muslimischen Herrschern war es üblich, nach Siegen über christliche Ungläubige, sozusagen als Beweis, Kriegsgefangene von Hauptstadt zu Hauptstadt zu schikken. Besonders beliebt waren Kreuzritter in voller Rüstung, um zu dokumentieren, über welche »Eisenmänner« man gesiegt habe. Auch Schiltberger war offenbar zu einer solchen Vorführung ausersehen. Aber er war verwundet und hätte die Fahrt übers Mittelmeer wohl nicht überlebt. Und so schreibt er: »Sie (die Türken) besorgten sich, ich stürb uff dem Weg. Darumb blieb ich bei dem türckischen König.« Also, man sorgt sich um ihn, pflegt ihn, will ihn am Leben erhalten. Dafür kann es mehrere Gründe geben. Üblich war es, von den Familien reicher und hochgestellter Gefangener Lösegelder zu verlangen, was natürlich nur funktionierte, solange der Gefangene am Leben war. Im Falle Schiltberger dürfen wir dies getrost vergessen, dazu war seine soziale Stellung viel zu untergeordnet. Bedenkenswert ist eine andere Option: Die Schlagkraft des osmanischen Heeres beruhte nicht zuletzt auf einer Vielzahl von christlichen Überläufern, von Glücksrittern und Abenteurern, die am Sultanshof ihr Heil suchten. Die Sultane zahlten gut, und so wurde z. B. im 15. Jahrhundert die gesamte türkische Artillerie von christlichen Renegaten, d. h. von Christen in osmanischen Diensten, bedient. Die Elitetruppe der Osmanen waren die berühmtberüchtigten Yeni Çeri (»Neue Truppe«, Janitscharen). Sie wurden aus den unterworfenen Völkern, meist aus orthodoxen christlichen Familien vom Balkan, rekrutiert, und zwar in frühester Jugend, um sie muslimisch erziehen zu können. Christen oder zum Islam übergetretene Christen waren also keine Seltenheit im Heer und in der Staatsverwaltung des Osmanischen Reiches. Mit 16 Lebensjahren war der gefangene Bursche in den Augen seiner neuen Herren jedenfalls noch »formbar« und entwicklungsfähig, und so wollte man sich seiner Fähigkeiten versichern. Und diese Fähigkeiten waren eindeutig militärischer Art. Schiltberger war ja aktiv am Kampfgetümmel beteiligt gewesen, und die Treue, die er seinem Herrn bis zuletzt erwiesen hatte, könnte einen gewissen positiven Effekt bei den osmanischen Siegern erweckt haben. Zudem war Schiltbergers Herr, dem der Knappe den Gefolgschaftseid geschworen hatte, nämlich Lienhart Reichartinger, tot, und so war Hans von Schiltberg frei vom Gelübde und somit bindungslos. Nach dem Feudalrecht stand es ihm nun frei, in die Dienste eines anderen, fremden Herren zu treten. Nachdem Schiltberger davon gesprochen hat, daß er

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bei Sultan Bayezid blieb (oder bleiben durfte, wie wir auch interpretieren können), schreibt er: »und da nahm man mich an des türckischen Königs Hof und da mußt ich vor ihm zu Fuß loffen …«. »Müssen« ist ein sehr schroffes Wort, und die meisten Interpreten haben aus diesem Satz konstruiert, daß der arme Kerl zur Strafe immer vor dem Sultan hergescheucht wurde, und daß er, der Sklave, aus Scham in seinem Bericht nicht näher auf diese demütigende Tätigkeit eingegangen sei. In der Tat wird Schiltberger sehr einsilbig, wenn es um die Frage geht, was er eigentlich von 1397 bis 1402 am Hofe Bayezids in der Sultansresidenz zu Bursa gemacht habe. Wir können dieses »beredte Schweigen« aber auch ganz anders auslegen, nämlich aus dem Grund heraus, daß der Autor seinem christlichen Lesepublikum nicht allzu deutlich vor Augen führen will, daß er sich beim Sultan einer recht guten Stellung, sozusagen eines »guten Jobs«, erfreut hat! Dieser Sultan Bayezid I. Y1´ld1´r1´m, »der Wetterstrahl«, der von 1389 bis 1402 regierte, erscheint zwar auch in osmanischen Quellen in erster Linie als Kriegsherr, genauso wie in den abendländischen Quellen, die ihm das Massaker von Nikopolis anlasten. Schiltberger allerdings berichtet auch davon, daß der Sultan sich von seinen Wesiren und Ratgebern doch noch dazu bringen ließ, dem Gemetzel am Abend Einhalt zu gebieten, um nicht den Zorn Gottes auf sich und das Reich zu ziehen. Diese Einsicht hat sicherlich etlichen Hunderten von Kreuzrittern noch das Leben gerettet – für die bayerischen Teilnehmer freilich war sie zu spät gekommen. Schiltberger rückt mit dieser Angabe aber immerhin das Bild des Sultans zurecht und zeigt ihn nicht nur als finsteren Wüterich, sondern als auch als einsichtigen, gottesfürchtigen Herrscher. »˜« Schiltberger Grundsätzlich gilt: Wer am Sultanshof weilte, in Bursa, einer Stadt, deren Moscheen, Türben und Paläste heute noch an die Glanzzeit des Osmanenreiches erinnern, und wer dazu noch selbst im näheren Umkreis des Herrschers wirkte, kann keine abträgliche, nachgeordnete Stellung innegehabt haben. Dieses von Schiltberger so inkriminiert dargestellte »Fußläufertum« war ein festes Amt bei Hofe. Schiltberger selbst sagt ja: »daß es Gewohnheit ist, daß man den Herren zu Füßen muß vorlaufen.« Und das war seit jeher üblich, man denke nur an die Liktoren im Alten Rom. Auch im spätmittelalterlichen Europa schritt bei offiziellen Anlässen vor den Fürsten die Guarda, die Leibgarde, einher und kündigte durch festes Aufstampfen und Waffengeklirr die Ankunft des Herrschers an. Das Oströmische, Byzantinische Reich, das ja das große Vorbild der Osmanen war, kannte ein Hofzeremoniell, das genau regelte, wieviel Vorläufer (griechisch Prodromoi) jedem einzelnen Würdenträger zustanden. Und diese Leibgardisten rekrutierten sich aus den besten Soldaten, die für würdig befunden wurden, in ein besonderes

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Erstdruck von Hans Schildbergers Reise in den Orient, begonnen im Jahre 1394.

Treueverhältnis zum Herrscher zu treten. Eine solche Institution existierte natürlich auch beim osmanischen Sultanshof. Und selbstverständlich bekleideten die zu diesem Dienst Auserwählten in Wirklichkeit ein hohes und verantwortliches Amt. Schiltberger versucht das zu kaschieren, in dem er sich als unfrei und als »gefangener Mann und nicht meiner selbst« stilisiert. Aber er unterschlägt dabei, daß er als Angehöriger der Palastgarde des Sultans einen bevorrechtigten Status als Kap1 Kule (wörtlich: »Pfortensklave«) innehatte, um den ihn selbst viele Türken beneidet haben dürften. Man könnte sogar noch weitergehen und unseren, mittlerweile um die zwanzig Lenze zählenden Helden der großherrlichen Leibgarde zuordnen. Damit wäre er im Rang noch weiter oben angesiedelt gewesen. Wir wissen, daß sich orientalische Potentaten gerne von außergewöhnlichen Männern beschützen ließen, von Kraftpaketen, Riesen oder von nordischen Rekken. Vielleicht war Schiltberger auch so ein Typ. Wenn einer als 16jähriger in die Schlacht zieht, dürfen wir das vermuten. – Nach seiner Tätigkeit als »Vorläufer« geht seine Karriere weiter. Denn er schreibt: »Danach verdiente ich, daß man mir zu reiten gab, und ich ritt mit ihm« (nämlich mit dem Sultan). Er steigt also auf zum Vorreiter und wird Angehöriger einer ausgesprochenen Elitetruppe. Schiltberger berichtet sodann von jenem Fluchtver-

Hans Schiltbergers unfreiwillige Reise in den Orient such, den er zusammen mit 60 anderen Christen von Bursa aus unternommen habe. Ein direkter Anlaß wird nicht genannt, wir können also nicht sagen, ob irgendwelche Ungerechtigkeiten vorausgegangen sind. Aber wir erfahren, daß Schiltberger nicht allein als Sultanskrieger diente, sondern in Gemeinschaft vieler anderer kriegsgefangener Christen. Diese Absetzbewegung scheitert jedoch, sie werden von überlegenen Kräften umzingelt, aber es kommt zu Verhandlungen, aus denen klar hervorgeht, daß der Sultan hier keine Leute verlieren will. Die Christentruppe ergibt sich gegen das Versprechen, am Leben gelassen zu werden. Das wird auch eingehalten, sie werden aber »eingelegt«, also gefangen gesetzt, obwohl sich der Sultanssohn Süleyman (Beiname Çelebi, »Der Gebildete«) wieder für sie einsetzt – übrigens ein Zeichen, wie hochrangig diese Affäre behandelt wurde. Nach neun Monaten kommt dann anläßlich des islamischen Opferfestes die Gelegenheit, sie freizulassen. Schiltberger wird mit den anderen vor Sultan Bayezid geführt: »Da mußten wir ihm versprechen, daß wir nit mehr von ihm stellen noch wegkommen wollten«. Und jetzt folgt das Entscheidende: »Und er gab uns wieder zu reiten und mehret uns den Sold«. Diese Textstelle verrät eindeutig, daß Schiltberger weder ein Sklave noch ein gewöhnlicher Diener war, sondern ein Soldkrieger, ein privilegierter, in besonderen persönlichem Verhältnis zu Bayezid stehender, besserverdienender Angehöriger der sultanseigenen Kavallerie. Und in dieser Position wurde er auch von Khan Timur und dessen Nachfolgern übernommen.16 Dem zeitgenössischen Leser dürfte klar gewesen sein, daß dem in die Hände der sogenannten Heiden Geratenen gar nichts anderes übrig blieb, als sich anzupassen. Ein Märtyrer zu werden, hätte im christlichen Abendland wohl niemand von dem 16- bis 20jährigen Jungmann erwartet. Der mittelalterliche Staat war ein Personenverbandsstaat, und die persönliche Beziehung zwischen Herrscher und Gefolgsmann bildete darin die tragende Säule. Wenn also Schiltberger dem »türckischen König«, so wird der Sultan immer genannt, Gefolgschaftstreue verspricht – wenn auch unter Zwang, wenn wir Schiltberger darin folgen wollen – so muß er sie im damaligen Rechtssystem unter allen Umständen einhalten, selbst wenn es sich um einen sogenannten Heiden handelt. Die abendländische Leserschaft des 15. Jahrhunderts hat also in Schiltbergers Tun sicher nichts Verwerfliches gesehen! Konversion zum Islam? Diese Überlegungen führen uns zu dem Problem: Wie hielt er’s mit der Religion? Wie bereits angeführt, bedienten sich die Osmanen wie auch die Tataren beim Staatsaufbau und im Kriegswesen gerne fremder christlicher Fachleute und Spezialisten. Griechen, Armenier, Venezianer, Genuesen und Ungarn im Dienste der Sultane waren nichts Ungewöhnliches. Im Westen nannte man sie »Renegaten«, Überläufer. Diese Christen blieben in ihrer Religionsausübung völlig unbeeinträchtigt. Allerdings waren

sie freiwillig gegen Bezahlung in den Dienst muslimischer Machthaber getreten und hatten auch die Möglichkeit, dieses Vertragsverhältnis wieder aufzulösen. Schiltberger bezeichnet sich selbst während seines 31jährigen Aufenthaltes im muslimischen Macht- und Kulturbereich immer als Christen. Wir finden aber schon einen Hinweis, daß ihm die Annahme des Islam zumindest nahegelegt worden ist. Er schildert nämlich recht genau die Prozedur: »Wie ein Christ zu einem Heiden wird«, was in seiner Gegenwart offenbar häufig vorgekommen ist. Wobei er mit Heiden dem damaligen Sprachgebrauch zufolge Muslim meint. Er vermeidet in dieser Schilderung freilich streng jeglichen persönlichen Bezug! Wir müssen ihm allerdings zugestehen, daß er, falls er wirklich Muslim geworden ist – wenn auch der Umstände halber und nur nach außen – er diesen Übertritt natürlich nicht seinen Lesern auf die Nase binden will. Zumal das auch andere Fragen provoziert hätte, wie z. B. sein Verhältnis zum anderen Geschlecht. Denn als Muslim hätte er auf jeden Fall heiraten, bzw. eine Frau zu sich nehmen müssen (eine der Grundregeln des Islams). Und da er immer auf Reisen oder Kriegsfahrten war, hätte man ihm sogar nacheinander mehrere so genannte »Ehen auf Zeit« zugestanden. Auch als Christ in muslimischem Dienst hat man ihm sicher – das wissen wir aus anderen Quellen – eine christliche Armenierin oder Griechin »beigesellt«, wie es so schön heißt. Von Frauen freilich ist im ganzen Schiltbergerschen Buch nicht die Rede (abgesehen von einer rachsüchtigen Amazone namens Sadurmelik), doch das entspricht den Gepflogenheiten des Spätmittelalters. Frauen waren im Leben der Männer so selbstverständlich, daß man sie nicht eigens zu erwähnen brauchte. Sie tauchen namentlich nur auf, wenn sie einen legitimen männlichen Erben hervorbrachten. Das war während Schiltbergers AsienAufenthalt offenbar nicht der Fall, oder er hat es in seinem Bericht verschwiegen, um sich die Heiratschancen, die ihm nach der Rückkehr nach Bayern geboten wurden, nicht zu schmälern. Aber das ist nun reine Spekulation. Ob seine Stellung als sultanischer Leibgardist und Vorreiter per se mit der Annahme des Islam verbunden war, entzieht sich unserer Kenntnis. Einerseits finden wir Hinweise, daß Christen auf Vertrauensposten des Sultans sitzen, andererseits mag es doch als ungewöhnlich erscheinen, daß gerade Christen in so sensiblen Bereichen wie Leibwache und Palastgarde eingesetzt wurden. Auch Schiltbergers sozusagen »reibungsloser« Übergang in die Dienste Timur Lenks und nach 1405 in das Gefolge diverser tatarischer Machthaber – immer in herausragender sozialer Position – spricht dafür, daß er sich offensichtlich den muslimischen Gepflogenheiten anpaßte. Über seine innere Einstellung wollen wir dabei nicht rechten.17 Es wurde schon erwähnt, daß Schiltberger über den Islam unbefangen berichtet, ohne böse Worte, ja mitunter seinen zeitgenössischen Christen sogar einen Spiegel vorhält und auf Dinge hinweist, wo sich die Muslime als weitaus gottesfürchtiger erweisen. Ob das seine Nähe zum Islam beweist, sei dahin gestellt. Am ehesten läßt sich die auf Schiltberger im Orient einstürzende Versu-

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chung, den Islam anzunehmen und ihn vielleicht angenommen zu haben, aus seinen Dankesworten zum Schluß seines Reiseberichtes herauslesen: »Und mit der Hilff Gottes bin ich wieder heim kommen und zu christlichem Glauben kommen.« Das kann nun einerseits als Dank dafür verstanden werden, daß Gott ihm geholfen habe, den christlichen Glauben über die 31 Jahre zu bewahren, andererseits aber auch als Dank dafür, daß es ihm trotz seiner äußerlichen Hinwendung zum Islam weiterhin möglich war, seinem angestammten Glauben treu zu bleiben. Hans Schiltbergers Reise- und Lebenserzählung repräsentiert den ersten um Objektivität bemühten abendländischen Bericht über den Nahen Osten und den Islam, – über das Osmanische Reich, über das Nomadenleben der Tataren und über ferne christliche Länder wie Georgien und Armenien. Als eine Art Volksbuch hat »der Schiltberger« die Vorstellung vom Orient und von Asien in weiten Kreisen der Bevölkerung bis in die Aufklärungszeit hinein geprägt. ANMERKUNGEN 1 Jan Huizinga (Herbst des Mittelalters, Stuttgart 1975, S. 15, 94, 104, 129) und Barbara Tuchmann (The Distant Mirror, dt. Der Ferne Spiegel, Düsseldorf 1980; S. 488–501) haben den Kreuzzug von 1394 und die Schlacht bei Nikopolis 1396 als Paradigma der Umbruchzeit vom feudalen Mittelalter zum spätmittelalterlichen, frühneuzeitlichen Fürstenstaat gewertet. – The Oxford Dictionary of Byzantium (1991), Entry: Nikopolis, Crusade of. – Anneta, Ilieva: Reassessing the Crusade of Nikopolis. A View from Within, in: Al–Masaq (1998), S. 13–31. – Sehr ausführlich zur Schlacht selbst, ihrer Vorgeschichte und ihrem Verlauf vor Ort: Nicolle, David: Nicopolis 1396. The Last Crusade. Oxford 1999; jüngste Bearbeitung: DeVries, Kelly: The Battle of Nicopolis, in: Medieval History Magazine 3 (2003), S. 22–27. – Osmanische Quellen verarbeiten: Atiya, Azis: The Crusade of Nicopolis, London, 1934 (Reprint 1978); Iorga, Nicolae: Geschichte des Osmanischen Reiches (1908), Reprint 1990 S. 289–304., Encyclopedia of Islam (EI), Entry: Nikbuli; Islam Ansiklopedisi (Istanbul 1969), Lemma »Ni´bolu. – 2 Textgrundlagen für die vorliegenden Zitate sind: Schiltbergers Reise in den Orient in den Jahren 1395–1427. Insel–Verlag, Leipzig 1905, der wiederum auf die mit 15 Holzschnitten bebilderte Inkunabel der Druckwerkstatt Anton Sorg ca. 1478 zurückgeht (48 Bll. Halbformat). Mitunter wurde der Text vom Verf. neuhochdeutsch »geglättet«. – 3 Anonymus Zoras (ein in osmanischen Diensten stehender byzantinischer Historiograph des 15. Jhs) schildert die Schlacht ähnlich wie Schiltberger, in: Leben und Taten der türkischen Kaiser. Graz, Wien, Köln, 1971. S. 35 f., 45–48. (Osmanische Geschichtsschreiber, hrsg. Von Richard F. Kreutel, Band 1). – 4 In der westlichen Literatur ist auch der antike Name »Angora« gebräuchlich. Matschke, Klaus–Peter: Die Schlacht von Ankara und das Schicksal von Byzanz. Weimar, 1981. – Temür (türk. Demir: »Eisen«), »i Läng« (pers. »der Lahme«), 1336–1405. – Das neueste zusammenfassende Werk mit Angabe historischer Quellen und bisheriger Literatur über Temür: Jackson, Peter: The Mongols and the West. London, New York 2005. – 5 Temürs selbst für die damalige Welt »barbarische Grausamkeiten« werden in zeitgenössischen christlichen wie muslimischen Berichten gleichermaßen angeprangert. Die Eroberungen Bagdads (1393 und 1401) und die Zerstörung von Damaskus (1401)

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mit all ihren Exzessen durch Temürs Truppen fand vor der Gefangennahme Schiltbergers bei Ankara statt. – Christopher Marlowe (1564–1593), publizierte 1587 sein Blankversdrama: »Tamburlaine the Great«, in welchem der »Weltherrscher« als Prototyp des »asiatischen Despoten« dargestellt wird. Georg Friedrich Händels dramatische Oper »Tamerlan« (Libretto von Nicola Francesco Haym) zieht in dieselbe Richtung. Der Kabarettsong von Kurt Tucholsky: »Mir ist heut so nach Tamerlan zu Mut – ein bißchen Tamerlan wär’ gut« sei hier am Rande vermerkt. – Temürs Mausoleum in Samarkand wurde unter das Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen. In der Republik Usbekistan wird Amir Temur als einer der glorreichen Ahnherren des seit 1991 unabhängigen Staates gefeiert und mit zahlreichen Statuen geehrt. – 6 Pilgerführer ins Heilige Land und in Landessprachen übersetzte »Descriptiones Terrae San(c)tae« waren im 14. Jahrhundert als »Gebrauchsbücher« weit verbreitet: Im wesentlichen gehen sie auf das Itinerarium Burdigalense (4. Jh.), den Libellus de locis sanctis von Beda Venerabilis (8. Jh.) und die Chronica Minor des Dominikaners Matthaeus Parisiensis (13. Jh.) zurück. Im deutschsprachigen Bereich waren die Pilgerberichte mit Beschreibung der Heiligen Stätten aus der Feder des Wilbrand von Oldenburg, Thietmar von Merseburg und Burchart von Monte Sion (alle im 13. Jh. entstanden) sehr populär. Schiltberger, bzw. sein Kompilator, hat aus ihren Angaben geschöpft. – 7 Die bisher einzige wissenschaftliche textkritische Edition und Bearbeitung des so genannten Nürnberger (jetzt Münchner) Textes, welcher dem Autographen wohl am nächsten steht, stammt von Valentin Langmantel: Hans Schiltbergers Reisebuch nach der Nürnberger Handschrift. Stuttgart 1885. – Die HS ist Teil einer gebundenen Sammelhandschrift, München, STB L 1603, 190 r – 249 r. (60 Bll., Papier, Quartformat.) Die ursprünglich in der Nürnberger Stadtbibliothek verortete HS gelangte 1935 durch Tausch in den Besitz der Münchener Stadtbibliothek (vgl. Schiewer, 1991, wie Anm. 11, Anm. 36) – Der Verfasser dieser Zeilen plant eine Edition des Münchener Manuskripts, wobei der frühneuhochdeutsche Text beibehalten, aber transkribiert wird. Das Hauptaugenmerk liegt auf den autobiographischen, bzw. autoptisch erfahrenen Teilen des Reisebuchs. Der wissenschaftliche Apparat umfaßt die historische Einordnung in die europäische und osmanische Geschichte sowie umfangreiche historisch–geographische Erläuterungen, bzw. Diskussionen, im Anhang. Den »orientalischen Part«, der bei allen bisherigen Schiltberger–Bearbeitungen bisher wissenschaftlich zu kurz gekommen ist, übernimmt die Mitherausgeberin, die Osmanistin und Turkologin Dr. Brigitte Moser. – Zur Redaktion des Schiltberger–Textes: – Schiltbergers persönliches Diktat an den Schreiber dürfte eigentlich nur seine eigenen Erlebnisse widerspiegeln, wie sie in »Ich–Form« am Anfang der Erzählung (Kapitel 1–3: Prolog und Gefangennahme), bei der Schilderung der mißglückten Flucht (Kapitel 30) und anläßlich der Rückkehr (Kapitel 67) aufscheinen. Dies sind Zeugnisse aus »erster Hand«. Der weitaus umfangreichere Teil des Reisebuchs besteht aus Rezeptionen »zweiter Hand«. – Der Schreiber – oder eher ein gelehrter Mitbeteiligter als Redaktor und »Ghost–Writer« – hat dieses persönliche Substrat mit Auszügen und Kopien aus anderen Werken ausgeschmückt (um nicht zu sagen »aufgeblasen«). Auf diese Weise wurden dem Schiltberger–Bericht zahlreiche literarische Topoi und Mirakelgeschichten eingefügt. So läßt sich nachweisen, daß neben dem Werk von Marco Polo (1254–1324) auch die Fabelerzählungen des englischen (aber französisch schreibenden) Ritters Sir John Mandeville eingeflossen sind. Vgl. Tzanaki, Rosemary: Mandeville’s Medieval Audiences. A Study on the Reception of the Book of Sir John Mandeville, Ashgate, 2003.

Hans Schiltbergers unfreiwillige Reise in den Orient S. 112–117. Der Mandeville–Text entstand zwischen 1356 und 1366 und verarbeitet seinerseits frühere Orient–Berichte wie das Itinerarium des Odorico de Pordenone (um 1300). Neueste Ausgabe: The Travels of Sir John Mandeville. Ed. By C.W.R.D. Moseley, London 2005. – Als »Ghost–Writer« Schiltbergers kommt z. B. Doctor Johannes Hartlieb (um 1400–1468), der am Hof Albrechts III. großes Renommée genoß, in Frage: Bosls Bayerische Bibliographie (1982), S. 305. – Daß Schiltbergers Reisebuch sich auf vorher gegangene schriftliche Überlieferung stützt, war im 15. Jahrhundert wohlbekannt. Nicht umsonst ließ Mathias Prätzl (s. Anm. 9) seine Schiltberger–Schrift zusammen mit Manuskripten, bzw. Inkunabeln der Asienfahrer Marco Polo, Odorico de Pordenone und Mandeville zu einem Konvolut zusammenbinden. Nur der Reisebericht des irischen Mönchs St. Brendan, der frühmittelalterliche Fahrten auf dem Atlantik enthält, fällt hier völlig aus dem Rahmen. – 8 Einen Faksimile–Nachdruck der zweiten Druckausgabe von Anton Sorg in Augsburg (1477) bietet: Geck, Elisabeth: Hans Schiltbergers Reisebuch, Wiesbaden 1969. – 9 Den bisherigen Kenntnisstand über Schiltberger faßt Hans–Jochen Schiewer (Universität Freiburg) zusammen in: Leben unter Heiden. Hans Schiltbergers türkische und tatarische Erfahrungen. In: Daphnis 21 (1992), S. 159–178 sowie Ders. im Artikel »Schiltberger, Hans« in Dt Lit MA VL (1992 b) S. 675–679 (hier auch Rezeptionsgeschichte). – Eine systematische Übersicht zum Thema bieten: Halm, Christian; Paravicini, Werner: »Johannes Schiltberger« in: Europäische Reiseberichte des späten Mittelalters: eine analytische Bibliographie, Frankfurt/Main u.a. 1994, S. 56–62. – Lesenswert nach wie vor: Hennig, Richard: Terrae Incognitae, Leiden, 1953; Band 3, S. 406–413 und für bayerische Leser: Schrott, Ludwig: Bayerische Weltfahrer. München 1964. S. 36–57. – Die Ausgaben von Ulrich Schlemmer: »Als Sklave im Osmanischen Reich«. Tübingen, 1969 und Tremmel, Markus: »Irrfahrt in den Orient«, Taufkirchen, 2000, sind Popularisierungen ohne wissenschaftlichen Anspruch. – Das hohe Interesse, das Schiltberger in der angelsächsischen Literatur findet, basiert auf der Übersetzung seines Texts von Telfer, Buchan / Bruun, Philipp: The Bondage and Travel of Iohann Schiltberger, a Native of Bavaria … in der Hakluyt Society, London 1859, Reprint Frankfurt/ Main 1995. – 10 Schmidberger, Michael: Zur Geschichte der Burg Schiltberg, in: Altbayern in Schwaben Jg. 1984–1987, S. 204–219; Weithmann, Michael. Inventar der Burgen Oberbayerns, München 1994, S. 374–376. – Über das Hofbergtheater zu Schiltberg informiert eine schöne Website: www.hofberg–freilichtheater.de. Das erste Stück, das 1952 zur Aufführung kam, war dem Kreuzfahrer Hans von Schiltberg gewidmet. Georg Eberl schilderte das Leben des unfreiwilligen Reisenden im Stil eines Heimkehrerdramas der deutschen Nachkriegszeit. 11 Zur Biographie Schiltbergers und der Genealogie seiner Familie vom 11. bis ins 20. Jahrhundert: Mager, Edwart: Schiltberg. Die altbayerischen Marschalken von Schiltberg und ihre Nachkommenschaft, in: Blätter des Bayerischen Landesvereins für Familienkunde 13 (1976), S. 63–89. – 12 Über Schiltberger: Riezler III, 919 f. : Hollern als Sitz Friedrich Schiltbergers um 1410; Mon. Boic. XIII, S. 98 »Fridericus de Holern alias Schiltperger«, 1427. Solleder, Friedrich: München im Mittelalter (1938), S. 49, Vater Schiltbergers als »vermögender Mann in München«, 1362. – Vgl. auch: Stehleder, Helmuth: Chronik der Stadt München. München 1995, S. 272 (zum Jahr 1427). – 13 Reichartinger, Friedrich: Mon. Boic. IX, 194 (1368); Leonhart (Lienhart) XI, 8 (Auftritt am 8. März 1394 als Zeuge, also kurz vor der Teilnahme am Kreuzzug). Mager nennt Reichartinger (im Münchner MS »Reycharttinger«) einen »Münchener Ritter«. (Mager, wie Anm.

11, S. 72). – 14 Aventinus, Johannes (Johann Turmair). Annalen, Buch VII.; Kap. 22, S. 483. – 15 Mager (Anm. 11), S 75, mit Wappenbildern S. 83. – 16 Die Interpretation von Schiltbergers »privilegierter Stellung« wird hier zum ersten Mal zur Diskussion gestellt. Im Gegensatz dazu betonen alle bisherigen Bearbeiter Schiltbergers Gefangenen–, ja Sklavenstatus und seine »Lebensunsicherheit und die physische Bedrohtheit, in der sich Schiltberger während seiner türkischen und tatarischen Jahre befunden hat«, so Schiewer, 1992, S. 169 (wie Anm. 8). – Besonders drastisch und das Grausame geradezu topisch in den Vordergrund rückend ist die »Darstellung für den Schulfunk« im Bayerischen Rundfunk von Ulrich Zwack: »30 Jahre unter Türken und Mongolen – die mittelalterliche Odyssee des Johann Schiltberger aus Freising« vom 2. 7. 2001. – Allgemein zur osmanischen Heeresstruktur: Matuz, Josef: Das Osmanische Reich. Grundlagen seiner Geschichte. Darmstadt 1990, S. 45–48. – In osmanischen Quellen taucht der Name Schiltberger nicht auf. Freundliche Mitteilung von Professor Dr. Hans–Georg Majer, München, Nahost–Institut. – 17 Mager, S. 73 (wie Anm. 11) nimmt Schiltbergers Übertritt zum Islam als selbstverständlich an. – Vertragliche »Ehen auf Zeit« (pers. Muta) waren (und sind auch heute noch) vorwiegend im schiitischen Bereich für Fernreisende und Soldaten üblich. – Schiltberger im internet (Auswahl): Die gesamte Langmantel– Edition von 1885 (S. Anm. 7) in »machine–redable transcript« ist über die Webseite von Jonathan West, University of Newcastle upon Tyne, UK, abrufbar. – (via Suchmaschine google: Stichworte: Schiltperger / Jonathan West. Schiltberger auf der Homepage Freising, von Professor Dr. Hartmut Froeschle: google Stichworte: Freising / Schiltberger. Derselbe Text auch über Suchmaschine google: Froeschle / Schiltberger / Auslandsdeutsche. Ausstellung der Universität Graz über »Welteroberer aus der Steppe« (2000): google Stichworte: Universität Graz / Welteroberer / Steppe / Schiltberger.

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