Die Apokalypse des Johannes als Schulungsbuch - von Fred Poeppig

April 27, 2017 | Author: Davide Montecuori | Category: N/A
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Neuausgabe von Poeppigs "zeitgemäßen Betrachtungen" zur Apokalypse (Offenbarung) des Johannes, zuer...

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Fred Poeppig

Die Apokalypse des Johannes als Schulungsbuch Zugleich eine Einführung in das Verständnis ihrer Bilder und Symbole

Bearbeitet und herausgegeben von D. R. Herzberg (Ps.)

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Vorwort des Herausgebers Vor nunmehr über vierzig Jahren erschien Fred Poeppigs „Die Apokalypse als Schulungsbuch“ als eine Reihe von 14 maschinengeschriebenen Heften in kleiner Auflage beim Novalisverlag (dazumal ansässig in Schaffhausen). Die Hefte sind längst vergriffen, nur hier und da wird einmal ein einzelner Band (von Poeppig „Lieferung“ genannt) zum Verkauf angeboten. Die vollständige Reihe zu erwerben, ja auch nur zu lesen, wird daher den Meisten kaum möglich sein. Darum habe ich es unternommen, den gesamten Text neu herauszugeben. Schließlich geht sein Inhalt jeden Menschen zutiefst an. Am Text des Originals selber habe ich nur behutsame Veränderungen vorgenommen. Insbesondere betrifft das die Korrektur und Modernisierung der Rechtschreibung sowie die Anpassung einiger Ausdrücke und Redewendungen. Eine Schwierigkeit, den Originaltext zu verstehen, besteht darin, dass viele Begriffe und Vorstellungen Verwendung finden, ohne vorher, der wenigstens gleich im Anschluss, erklärt zu werden. Andererseits wird Vieles in mehreren Kapitel wiederholt besprochen, sodass jedes der 14 Kapitel eigentlich auch alleine dastehen könnte. Im Prinzip wäre also jedem Abschnitt anzufügen: ‚Ich komme später noch einmal darauf zurück’. – Da es sich bei der vorliegenden Schrift um ein „Schulungsbuch“ handelt, das für ein gründliches Studium ausgelegt ist, sehe ich keine Veranlassung, ihre Grundgestalt anzutasten oder Kürzungen vorzunehmen. Erscheint jedoch ein Zitat zum wiederholten Mal, wird es von mir kleingedruckt dargestellt und auf das erste Vorkommen verwiesen. Um das Verständnis des Textes für eine möglichst breite Leserschaft erschließbar zu machen, habe ich kurze Erklärungen oder Ausführungen als Fußnoten beigefügt und im Anhang die wichtigsten Begriffszusammenhänge noch einmal zusammengestellt. Jede dieser Erklärungen kann selbstverständlich nur vereinzelte Aspekte des zu Erklärenden nach Maßgabe meines eigenen Verständnisses herausgreifen, weshalb ich auf die grundlegenden Werke Rudolf Steiners und ggf. Lic. Emil Bocks für ein tieferes Eindringen ins das Studium der Apokalypse verweise.1 Der Anhang (mit Ausnahme des Inhalts von Anhang II), die Inhaltsverzeichnisse und die Fußnoten stammen allesamt von mir. In den Fußnoten ihnen habe ich unter anderem fremdsprachige Ausdrücke erklärt oder Stellen aus Werken Dritter zitiert, wenn Poeppig ihren Inhalt nur angedeutet, aber nicht weiter ausgeführt oder zitativ belegt hat. Schließlich habe ich, anstatt Literaturangaben innerhalb des Textes zu nennen, am Ende des Buches ein Quellenverzeichnis angelegt. Wo fehlend, habe ich auch Zitate um die Angabe ihrer Herkunft ergänzt, sofern ihre Herkunft ausgemacht werden konnte – ansonsten ist die Stelle durch [?] gekennzeichnet. Zitate sind kursiv dargestellt (Quellenangabe in eckigen Klammern), Bibelzitate fettgedruckt (die jeweilige Bibelstelle in runden Klammern angegeben); nicht-kursive oder nicht-fettgedruckte Wörter in Zitaten sind Einschübe des Verfassers oder in seltenen Fällen des Herausgebers. An den Anfang jedes der 14 Bände ist in der Originalausgabe ein Bild von Albrecht Dürer gestellt; diese Bilder finden sich ebenfalls in dieser Ausgabe. Sie zeigen an, wo eine neue „Lieferung“ beginnt (beispielsweise bedeutet „Bild 2“, dass hier die 2. Lieferung der Urausgabe beginnt). D. R. Herzberg

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Hier wären besonders zu nennen die folgenden Schriften Rudolf Steiners: „Die Geheimwissenschaft im Umriss“ (GA 13), „Theosophie“ (GA 9), „Wie erlangt man Erkenntnisse von höheren Welten“ (GA 10), zur erkenntnistheoretischen Vertiefung auch „Philosophie der Freiheit“ (GA 4) und „Die Rätsel der Philosophie“ (GA 18, 2 Bände). Von Emil Bock (Urachhaus-Verlag): „Die drei Jahre“, „Urgeschichte“ und „Das Neue Testament“. – Die Bezeichnung „GA“ bezieht sich auf die „Gesamtausgabe“ der Schriften Steiners und der von seinen Vorträgen angefertigten Nachschriften durch den Rudolf Steiner Verlag.

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Bild 1: Albrecht Dürer, Christus als Weltenrichter, 1498

Der Seher auf Patmos, Johannes, schaut Christus als den Weltenrichter mit dem Schwert, dem Buch und den sieben Siegeln.

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Zur Einführung – das Buch mit den sieben Siegeln Kein Buch der Weltgeschichte hat mehr Deutungen erfahren als die „Offenbarung Johannis“. Keine dieser Deutungen, die alle aus theologischer Sicht stammen, hat die Menschheit ganz befriedigen können. Sie gipfeln alle in zeitgeschichtlichen Exegesen, welche die Erfüllung der in der Apokalypse prophezeiten Ereignisse in irdischen Katastrophen zu erblicken und zu erklären bestrebt sind. Dass wir heute in ein apokalyptisches Zeitalter mit unserem Jahrhundert eingetreten sind, wird von vielen Seiten bestätigt. Auch außerhalb der theologischen Kreise bezeichnet man unser Zeitalter als ein „apokalyptisches“. Man fühlt es aus allem Zeitgeschehen; es liegt wie eine dynamische Spannung in der Luft. Das 2. Vatikanische Konzil in Rom hat in der dogmatischen Konstitution über die Kirche mit überraschender Deutlichkeit in Erinnerung gerufen, dass wir in der eschatologischen Zeit stehen:

Das Ende der Zeiten ist bereits zu uns gekommen (vgl. 1. Kor. 10,11), und die Erneuerung der Welt ist unwiderruflich schon begründet und wird in dieser Weltzeit in gewisser Weise wirklich vorausgenommen. [1] Wie so oft erfüllt sich in unserer Zeit wiederum ein seltsamer Widerspruch; der Widerspruch zwischen der Zeitenforderung und der Unfähigkeit – um nicht zu sagen: Blindheit – derjenigen, die sich in diese Zeitenwende gestellt sehen. – Erging es den Zeitgenossen zur Zeit des sichtbaren Erscheinens des Christus vor zwei Jahrtausenden nicht genau so ? – Es scheint sich darin ein Weltgesetz zu erfüllen. Aber gleichwie es zu der Zeit des Noah war, also wird es auch sein beim Kommen des Menschensohnes. Gleichwie es war in den Tagen vor der Sintflut – sie aßen, sie tranken, sie freiten und ließen sich freien, bis zu dem Tag, da Noah in die Arche ging; und sie achteten's nicht, bis die Sintflut kam und alle verschlang – also wird es auch sein mit dem Kommen des Menschensohnes... – Darum wachet: denn ihr wisset nicht, welche Stunde euer Herr kommen wird. (Mt. 24,3740 und 42) Oder wie es in der „Kleinen Apokalypse“ des Lukas heißt: Sehet an den Feigenbaum und alle Bäume: wenn sie jetzt ausschlagen, so sehet ihr's an ihnen und merket, dass der Sommer nahe ist. Also auch ihr: wenn ihr dies alles herankommen sehet, so wisset, dass das Reich Gottes nahe ist. Wahrlich, ich sage euch: Dies Geschlecht wird nicht vergehen, bis dass dies alles zu geschehen beginnt! (Lk. 21, 2932) Durch ihren eigenen Charakter scheint die „Offenbarung des Johannes“ uns aufzufordern, ihre Zeichen und Sinnbilder zu deuten, um ihre Offenbarung im Zeitgeschehen zu erkennen. Und dennoch muss man mit solchen Deutungsversuchen an der Oberfläche bleiben. Ja, das Unbefriedigende entsteht dadurch, da die Apokalypse aus ihrem eigenen Wesensbereich, in dem sie im übersinnlichen Geistgeschehen verankert ist, in eine sinnliche

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Sphäre2 herabgezogen wird und dadurch ihren eigentlichen, von Posaunenklängen erfüllten Charakter verliert. Viel zu dieser trivialen Exegese haben die theologischen Deutungsversuche beigetragen, die im Rahmen der Kirche erschienen sind. Sie konnten die kosmischen Bilder nur im Sinne der christlichen Kirche nehmen. So wurde das Weib mit der Sonne bekleidet (Off. 12) in der theologischen Exegese zur Kirche, die vom Drachen bekämpft wird und die berufen ist, die Herrlichkeit des Herrn bis ans Ende der Erdenzeiten siegreich durchzutragen. Durch solche und ähnliche Deutungsversuche zwängt man die kosmischen Bilder und Symbole, deren Weite und Größe einen menschheitlichen Charakter haben, in einen zu engen Rahmen hinein. Man nimmt ihnen ihr menschheitliches Gepräge. Die Frage ist: Gibt es nicht einen anderen Weg, der uns die Freiheit zu einem offenen Ausblick auf die menschheitsumspannende Größe und Erhabenheit dieser apokalyptischen Bilder gibt, die wir so in ihrem eigenen Wurzelwerk und Wesen zu erfassen vermögen? Ein Wort mag uns hier leiten:

Das Christentum hat als Religion begonnen, aber es ist selber größer als alle Religionen! [2] Und daher muss es sich immer mehr in seinem menschheitlichen Wesen offenbaren. Dieses Wort von Rudolf Steiner kann uns den Weg weisen. Die Apokalypse ist weder Ausfluss einer Kirche noch Inhalt einer kirchlich-theologischen Entwicklung, sondern Offenbarung der ganzen Menschheitsentwicklung, insofern sie Ausdruck des Christusimpulses ist. Wer 2

Viele stellen sich das apokalyptische Geschehen als etwas vor, dass sich zum Einen vor ihren Augen abspiele wie jedes andere Ereignis in ihrem Leben auch, und dass selbiges sich zum Anderen nicht wesentlich von dem unterscheide, was seit Urzeiten tagtäglich auf Erden stattfindet – Kriege zwischen Menschen, die Verwendung menschengemachter Apparaturen oder die Schicksale von Menschen gegründeter Institutionen etc. – Poeppig sieht darin eine Banalisierung eines ursächlichen Geschehens von in Wirklichkeit kosmischer Größe, das eigentlich in einer spirituellen Ebene zu suchen sei und von dem nur die Wirkungen für unsere menschlichen Sinne erfahrbar seien. Eine erste, wenn auch unzureichende Vorstellung vom Unterschied zwischen der „sinnlichen Welt“ und der „geistigen Welt“ kann beispielsweise die Fotografie eines Menschen liefern, die ein starres, zweidimensionales Abbild eines vieldimensionalen Organismus zeigt, dessen Erscheinung sich stetig verändert und der mit Empfindungen, Selbstbewusstsein, Willenskraft usw. begabt ist; die sinnliche Welt verhielte sich nun zur geistigen wie das Foto zur abgebildeten Person. Ein anderes Bild wäre vielleicht durch das Verhältnis von Spuren im Schnee (als Wirkung) zu demjenigen, der sie hinterlassen hat (als Ursache). Oder ein Gemälde, das eine festgefügte Ansammlung bloßer Farben zeigt, der aber die gedankliche und willenshafte Tätigkeit eines Malers zugrunde liegt. – Sinnenwelt und „physische Welt“ sind nicht unbedingt gleichbedeutend; ein Wesen, das nur über Sinnesorgane verfügt, die Verhältnisse in der geistigen Welt wahrnehmen können, würde einen anderen Ausschnitt der Welt als seine „Sinnenwelt“ bezeichnen. Durch Schulung des Bewusstseins ist prinzipiell jedem Menschen die Wahrnehmung anderer Daseins-„Ebenen“ möglich, die die Hintergründe und Ursachen der den Sinnen des heutigen Menschen zugänglichen Wirkungs-Welt enthüllen. Die nicht-sinnlichen Ebenen werden in übersinnlich und untersinnlich unterteilt. - Die einzelnen Ebenen sind nicht wie voneinander unabhängige Stockwerke eines Hauses vorzustellen, sondern die eine, ungeteilte Welt offenbart sich verschiedenen Wesen in jeweils einzigartigen Erscheinungsformen. Die Welten durchdringen sich, wie beispielsweise Kohlensäure das Wasser durchdringt und dieses wiederum einen Schwamm durchnässt. Siehe hierzu auch Abb. 3, Abb. 5 und im Anhang den Abschnitt „Daseinsebenen und Bewusstseinsstufen.“

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Wesen, Ziel und Charakter dieser Menschheitsevolution nicht erfasst hat, für den muss die Apokalypse ein „Buch mit sieben Siegeln“ bleiben. Er kann nur von außen – sei es aus der Theologie oder aus den jeweiligen Zeichen der Zeit – seine Erklärungsversuche in sie hineintragen. Damit aber wird ihr inneres Wesen vergewaltigt und zugedeckt. Der einzige Weg, der uns vor diesen Abwegen schützt, ist derjenige, den die Initiationserkenntnis uns heute eröffnet; dieser Weg hilft uns, die versiegelten oder verhüllten okkulten3 Geheimnisse der Apokalypse als Marksteine und Wendepunkte auf dem Wege der durchchristeten Menschheitsevolution lesen und begreifen zu lernen. Alle anderen Versuche müssen notwendig in die Irre gehen und sich von ihrem Ausgangspunkt und Ziel entfernen.4 Allerdings wäre es vermessen, zu glauben, dass wir jemals den Punkt erreichten, an dem wir restlos ihre okkulten Tiefen erfassen würden. Denn diese umfassendste und tiefste religiöse Urkunde des Christentums ist vom Leben selbst geschrieben, von jenem Leben, das sich in der geistigen Welt durch diejenige Macht offenbart, die als der große Wandlungsimpuls durch das Christusmysterium in die Erdenseele und Menschheit eingeflossen ist. Deshalb ist sie so umfassend und verhüllt, so offenbar und geheimnisvoll wie das wirkliche Leben selbst. Werden uns nicht auch auf unserem Lebenswege mit jedem Schritt neue Ausblicke und Einsichten zuteil? Weil dem so ist, widerstrebt es dem Wanderer, der zu solcher Einsicht gelangt ist, seine Teilerkenntnisse schon als endgültig festlegen zu wollen. Denn er weiß, dass hinter jeder erklommenen Höhe, hinter jeder Wegbiegung sich neue Ausblicke erschließen müssen. Um dieser Gefahr des Dogmatischwerdens zu entgehen, habe ich den Charakter des Schulungsweges gewählt. Die Apokalypse ist ein Schulungsbuch und will als solches genommen werden. Bei jeder geistigen Schulung geht es darum, neue Fähigkeiten und Erkenntniskräfte sich schrittweise anzueignen, die zunächst noch nicht in unserem Besitz sind. Wir müssen erst langsam in sie hineinwachsen. Deshalb bitten wir den Leser, nicht im Tempo unserer hektischen Zeit voreilig das vorauszunehmen, was sich erst im Hineinleben in das Ganze ihm erschließen kann. Man wird bemerken, wie dadurch das innere Verständnis heranreift, wenn wir ihm Zeit zur inneren Entwicklung lassen.

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Das lateinische Wort occultus bedeutet „verborgen, geheim“. Hier bedeutet es, dass der eigentliche Sinn dessen, was Johannes sagen wollte, in Bilder und Symbole „hineingeheimnist“ sei (wie sich Rudolf Steiner ausdrückte), die nur den „Eingeweihten“ bekannt seien. Nur wer in den entsprechenden Mysterien unterrichtet sei, könne daher eine sinnvolle Deutung dieses Buches unternehmen. Das okkulte Wissen verschiedener Mysterienschulen war in der Antike in der Tat verborgen, Verrat wurde mit dem Tode bestraft. (Was wir daher von den antiken Mysterien wissen, ist entweder unrechtmäßig auf uns gekommen, oder entstammt einer Zeit, als die Mysterien, in nachchristlicher Zeit in verfallendem Zustand, zur „Mode-Erscheinung“ geworden waren.) Seit dem 20. Jahrhundert muss laut Steiner das bis dato im Geheimen bewahrte Wissen jedoch zum allgemeinen Menschheitsgut werden. Okkult sind die Mysterien inklusive der Apokalypse also heute nur noch für denjenigen, der nicht selbst die nötigen Schritte unternommen hat, durch persönliches Studium ihren Schleier zu lüften. – Dazu ist nicht unbedingt notwendig, die geistige Welt (hellsichtig) selbst schauen zu können oder ähnliche Erlebnisse zu haben wie Johannes sie hatte: Schon das denkende Durchdringen okkulter Mitteilungen bringt die Menschenseele in Verbindung mit den durch die okkulten Symbole bezeichneten geistigen Hintergründen und steigert ihre Vorstellungskraft. Vgl. hier das von Rudolf Steiner in [8] gesagte.

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Allerdings durchzittert eine mächtige dynamische Bewegung voll spannungsgeladener Dramatik alle Bilder dieses Menschheitsdramas. Ein machtvolles Motiv durchbraust alle Ereignisse wie ein Posaunenklang: Die Zeit ist nahe, sie drängt... Ja, Ich komme bald! Dreimal erklingt im letzten Kapitel dieser Ruf: Siehe, ich komme bald! (Off. 22,7) – Die Zeit ist nahe! (22,10) – Ja, ich komme bald, Amen. Ja, komm Herr Jesu! (22,20) Dies drängende Motiv, das gleich im ersten Kapitel einsetzt, durchzittert die ganze Offenbarung Johannis. Wer von ihm erfasst wird wie in früheren Zeiten, als die Menschen sich noch näher dem Christusstrom fühlten, der lebt in der Erwartung des Kommenden, er lebt in einer dauernden Adventstimmung: „Es drängt die Zeit... Ich komme bald!“ – Welche Zeit aber ist es, die da drängt? Es gibt zwei Arten und Lebensweisen, die Zeit als drängend zu empfinden. Die eine ist die gegenwärtige, welche die Zeit nur vom Physisch-Irdischen aus erlebt. Da steht die Zeit als Dämon mit der Hetzpeitsche hinter dem Menschen, der hinter ihr herläuft, in steter Bedrängnis, ihren tausendfältigen Forderungen nicht nachzukommen, der Tag und Nacht von ihr bedrängt wird, weil er fürchten muss, den Anforderungen und Pflichten seines Berufes, seiner Existenz, seiner Familie, seines Gelderwerbes nicht nachzukommen, der nie Zeit hat, sich einen Augenblick aus diesem circulus vitiosum5 herauszulösen – und der am Ende seines Lebens erschöpft und ausgelaugt diesem Teufelstanz entsinkt und zu spät zur Einsicht kommt, dass er das Kostbarste seines Lebens versäumt hat: Und das ist der „Engel der Zeit“, es ist der Augenblick, den die Griechen im Bilde eines geflügelten Jünglings 6 sahen, welcher uns mit seinen unwiederbringlichen Gaben beschenkt! – Der Mensch, „der nie Zeit hat“, hat nicht nur den Engel der Zeit, er hat sich selbst verloren. Wie eine ausgepresste Zitrone bleibt er am Ende am Wegrand liegen – und der Engel der Zeit geht an ihm vorüber... Menschen früherer Zeiten, die noch im Zeit- „und Weltenrhythmus lebten, fühlten sich im Zeitenrhythmus vom Hauch des Ewigen umwittert. Nicht vom irdischen, sondern vom überirdischen Aspekt erlebten sie den durch das Zeitgeschehen schreitenden Engel. Dieser blickt von der Ewigkeit uns an. Und daher hat er ein apokalyptisches Antlitz. Sein Ruf birgt auch eine Mahnung: „Hast du deine Pflichten dem Ewigen gegenüber erfüllt? Wieweit hast du die Ernte deines Lebens in die Scheuern gebracht? In welchem Gewande kannst du dem Ewigen gegenübertreten?“ – Hier erscheint die Zeit nicht als drängender Dämon mit der Hetzpeitsche aus der bedrängenden Gegenwart. Sie erscheint als mahnender Bote aus der Ewigkeit. Die Blickrichtung hat sich geändert. Sie geht nicht vom Heute zum Morgen mit seinen hundertfältigen Sorgen, sondern vom Ziel und Ende unseres Lebens richtet der Engel der Zeit sein Auge auf uns. Es ist ein apokalyptischer Blick. Es ist die Zeit, die aus der Ewigkeit uns anblickt. Denn dort, in jener Sphäre, die über allem zeitlichen Geschehen waltet, lebt der apokalyptische Zeitgeist, dessen Schwingen Lebensläufe und Zeitperioden umfasst, der stets von der Zukunft uns anschaut, vom Ziel, von der Erfüllung aller irdischen Zeit. Robert Jungk hat seinem Amerikabuch den genialen Titel gegeben: Die Zukunft hat schon begonnen! Denn diese Zeit, in der die großen Urbilder der Menschheitsentwicklung leben, 5 6

Lateinisch für „Teufelskreis“, wörtlich „schädlicher Kreis“. Genannt Kairos (καιροός) „der günstige Augenblick für eine Entscheidung“.

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lebt über unseren Häuptern im geistigen Zeitenstrom, der ständig von der Zukunft in die Gegenwart hereinwirkt. Es ist der apokalyptische Zeitenstrom, der immer schon begonnen hat. Auch er hat etwas Drängendes. Denn seine Stimme mahnt uns ständig: verhältst du dich auch in diesem Sinne? Öffnest du dein Herz, deinen Geist den Forderungen, die er aus seinem Füllhorn dir entgegenbringt? Achtest du auf seine Gebote, ihm die Zukunft vorzubereiten, damit die Erfüllung der Zeit dich nicht wie ein Dieb über Nacht überrascht und sie nicht ungesegnet an dir vorbeigeht? – Dieser mahnende Ruf: Die Zeit drängt, die Zeit ist nah – die Zukunft hat schon begonnen! geht durch die ganze Apokalypse. Denn dieser Ruf hängt im tiefsten Sinne mit dem in die Zeit eintretenden Christusstrom zusammen. Der Christus, der in allem Zeitgeschehen unseres Schicksals wie in den großen „Werdekreisen“ der Menschheitsgeschichte lebt, wirkt und waltet auch in den großen Rhythmen des irdischen Zeitgeschehens. Er trägt auf seinen Schwingen die Erfüllung der Zeit, nicht erst in einer fernen Zukunft, sondern in jedem Augenblick, wo der zukunftsschwangere geistige Strom sich kreuzt und hineinragt in den irdischen Zeitenstrom. Da entsteht immer Apokalypse. Denn Apokalypse bedeutet soviel wie das sich-Enthüllende; das sich geistig Enthüllende, was im irdischen Zeitgeschehen verborgen waltet. So wäre jedes Zeitalter ein apokalyptisches? – In gewisser Beziehung durchaus. Es gibt Zeitperioden, in denen das Dramatische des geistigen Zeitenstromes sich mehr verhüllt, während zu anderen Zeiten durch die Risse und Ritzen des irdischen Zeitgeschehens der Posaunenklang des Oberirdischen hereintönt. In ein solches Zeitalter sind wir eingetreten. Durch die Katastrophen unseres Jahrhunderts haben sich die Kulissen des irdischen Zeitgeschehens geöffnet und mitten in dem Trubel und der Bedrängnis der irdischen Ereignisse sind Perspektiven sichtbar geworden auf das machtvolle Heranschreiten einer höheren Welt, aus der uns der Blick des durch alle Vernichtungen der äußeren Katastrophen machtvoll schreitenden Zeitgeistes trifft. Daher kann unser Jahrhundert mit Recht ein apokalyptisches genannt werden. Und noch aus einem anderen Grunde. Der Posaunenklang, den wir heute vernehmen, tönt uns bereits aus der sogenannten „kleinen Apokalypse“ der synoptischen Evangelien entgegen. So seid wach allezeit und betet, dass ihr gewürdigt werdet, diesem allem zu entgehen, das geschehen soll, und da ihr stehen könnt vor des Menschen Sohn! (Lk. 21,36) Diese kleine Apokalypse entzündet sich an den Worten der Bewunderung vor dem Tempel in Jerusalem, als die Jünger vom Ölberg aus seine Herrlichkeit preisen und bewundern. Da erwidert ihnen Jesus: Die Zeit wird kommen, in der von allem, was ihr sehet, nicht ein Stein auf dem andern bleiben wird... (Lk. 21, 6) Diese Vorausschau gipfelt in dem über den hereinbrechenden kriegerischen und Naturkatastrophen erscheinenden „Sohn des Menschen“, der mit großer Kraft und Herrlichkeit den Menschen sich wieder nahen wird. Da aber von diesen Prophezeiungen sich nichts erfüllte, als nur die Zerstörung des Tempels in Jerusalem im Jahre 70 n. Chr. durch die Römer, wovon noch der Triumphbogen des Titus in Rom Zeugnis ablegt (Raub des siebenarmigen Leuchters), so glaubten selbst Menschen wie Albert Schweitzer, dass sich Jesus, in den Vorurteilen seiner Zeit befangen, hier geirrt habe. In der Tat war die Zeit der messianischen Erwartung erfüllt, die besonders von der Sekte der Pharisäer gepflegt wurde und die in der Erscheinung des Messias und des Jüngsten Gerichtes gipfelten. Viele 7

dieser Bilder aus der jüdischen Apokalypse sind in ihrer materialistischen Auslegung in das Christentum übergegangen und leben noch heute fort:

Zu den üblichen Vorstellungen von der Wiederkunft Christi gehört die, dass der Christus kommt, zu richten die Lebendigen und die Toten (1. Petrus 4,5). Es stammt aus ganz alten Zeiten, eigentlich aus der eschatologischen Messiaserwartung des Pharisäerordens im Spätjudentum, dass man sich ausmalte: Wenn der Weltenrichter kommt, so tun sich die Gräber auf, und die Toten werden auferstehen. Kaum eine andere Vorstellung hat so sehr dazu beigetragen, dass ein grober und starrer Materialismus in das religiöse Denken hineinkam, wie diese Eschatologie vom Weltgericht, die noch von den großen Malern der Renaissance, Michelangelo, Signorelli usw. , künstlerisch gestaltet und im Exerzitienwesen des Jesuitenordens angewendet worden ist. Das pharisäische Judentum stellte sich bereits das erste Kommen des Messias im Bilde des Weltgerichtes vor, bei welchem sich die Gräber auftun. Als der Christus dann in einer so unscheinbaren menschlichen Gestalt kam, musste er schon deshalb verkannt und ans Kreuz geschlagen werden. Ähnlich wie die messianischen Hoffnungen der Pharisäer sind später mancherlei christliche Erwartungen von der baldigen Wiederkunft Christi enttäuscht worden. Wir müssen uns gänzlich von den Resten des materialistischen Missverständnisses befreien, als ob die Auferstehung der Toten, die durch die Christuszukunft bewirkt wird, durch ein Emporsteigen der Leiber aus den sich öffnenden Gräbern geschehe. Dadurch wird der Weg frei, um zu erkennen, welche entscheidende Bedeutung die Wiederkunft Christi für die Sphäre der verstorbenen Menschenseelen haben muss. Den Satz: Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben (Off. 14,13), müssen wir intim verstehen. Das aber ist nur möglich aus dem Zusammenhang heraus. Wir brauchen nur weiterzulesen. Schon der nächste Vers gibt die Lösung: Ich sah, siehe, eine weiße Wolke, und auf der Wolke saß einer, gleich eines Menschen Sohn . Wir fangen an zu verstehen: Die mit dem Christus verbundenen Toten sind selig von nun an, weil die ersten Morgenrötestrahlen der Wiederkunft Christi im Reich der Toten sichtbar werden. Unter den verstorbenen Seelen, die sich ja nun selber in der geistigen Sphäre der „Wolke“ befinden, in welcher der Christus kommt, wird der Sonnenaufgang der neuen Christusnähe eher wahrgenommen, als ihn die auf der Erde verkörperten Menschen wahrnehmen können. So wie der Späher auf dem Turm die Sonne früher über den Horizont steigen sieht als die Menschen im Tal, so gewinnen die Seelen im Reich der Toten vor den Erdenmenschen Anteil am Wunder der Wiederkunft. [3] Auch in den Bildern der Evangelien hat sich dieser materialistische Zug in der Wiedergabe eingeschlichen und ist dann in den Jahrhunderten der christlichen Entwicklung Anlass zur materialistischen Auslegung geworden. Heute, im Anbruch eines neuen michaelischen 7 Zeitalters, müssen die materialistischen Auffassungen überwunden werden. Das ist deshalb möglich, weil seit dem Verlöschen der alten vorchristlichen Mysterienerkenntnis die Wiedergeburt und Erneuerung der Mysterien in christlicher Schau sich vollzogen hat, welche die Beziehung des Menschen zur geistigen Welt bis in sein Denken enthüllt. Daran kranken ja im Grunde alle christlichen Konfessionen, dass sie die Anschauung einer konkreten übersinnlich-geistigen Welt verloren haben. Ein Gott aber ohne eine konkrete göttliche Welt ist ein Unding. Es ist das letzte „Schrumpfprodukt“ einer reich gegliederten übersinnlichen Welt mit göttlich-hierarchischen Wesenheiten, wie sie der Paulus-Schüler in 7

Gemeint ist der Erzengel, der mit dem Namen Michael (Hebräisch: „wer ist wie Gott?“) bezeichnet wird.

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Athen, Dionysos der Areopagite8, dargestellt hat. Ohne eine solche geistige Welt muss sowohl die Christustat wie auch die Apokalypse ein Torso bleiben. Nur vor dem Hintergrunde einer konkreten übersinnlichen Welt, zu welcher auch der Mensch gehört, können diese Bilder verstanden werden. Da müssen wir uns die Frage stellen, um gleich den Kernpunkt herauszugreifen: Was war denn das Entscheidende des Mysteriums von Golgatha für die Menschheitsentwicklung? – Als das Blut aus den Wunden des Erlösers floss, da empfing das geistig-ätherische 9 Wesen der Erde den neuen Einschlag, den Impuls zu ihrer Vergeistigung 10. In diesem Augenblick hat die Apokalypse begonnen: die Scheidung zweier Kraftströme, die zur endgültigen Entscheidung führt. Wollen wir einen anschaulichen, wenn auch trivialen Vergleich wählen, so können wir sagen: Dieser Prozess ist mit einer Injektion vergleichbar, die einem kranken Menschen zugeführt wird. Wie dadurch ein Heilungsprozess in dem kranken Organismus hervorgerufen wird, sodass die Heilkräfte aufgerufen und gestärkt werden, um die störenden, lähmenden und krankmachenden Stoffe im Körper zu überwinden, so wurde durch die Injektion mit dem Christusblut der Erdenseele die kosmische Arznei eingeimpft. Diese Injektion löste ein Zweifaches aus: Wie bei jedem Heilmittel wurden dadurch die im Organismus lebenden Heilkräfte aufgerufen, sodass die absterbenden und verdorrenden Kräfte der ätherischen Erdenseele von neuen Lebenskräften durchzogen wurden; während auf der anderen Seite die hemmenden Krankheitskräfte sich zum Widerstand aufgerufen sahen und sich dem neuen Einschlag widersetzten. Dieser Prozess der „Scheidung der Geister“ hat in dem Augenblick eingesetzt, als das Blut auf den Hügel von Golgatha floss und die Erde einen neuen Einschlag erhielt. Seitdem haben wir es mit einem aufsteigenden Lichtelement zu tun und mit einem sich abschnürenden, sich widersetzenden Element feindlicher Dämonen. Diese entscheidende Wende wurde durch die Verbindung der Erde mit dem Christusprinzip für die ganze Erdenmenschheit herbeigeführt. Vor dem Mysterium von Golgatha hatte sich der Christus schon in übersinnlichen Welten mit der Menschheit verbunden. Mit der Christustat auf Erden setzt die Involution ein, im Gegensatz zu der vom Beginn der Schöpfung bis zum Mysterium von Golgatha die Menschheitsentwicklung beherrschenden Evolution – eine grundlegende Wende, auf die wir später noch näher einzugehen haben.11 Eine annähernde Vorstellung können wir uns von dem nun 8

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Dionysos war Beisitzer des Areopags, des Tagungsortes des obersten Rates von Athen. Die Apostelgeschichte berichtet in Kapitel 17,34 über seine Bekehrung durch den Apostel Paulus. Später soll Dionysos der erste Bischof von Athen gewesen sein. Die ätherische Welt liegt der physischen unmittelbar zugrunde; alles materiell-mechanische Geschehen hat hier seine unmittelbare Ursache; in dieser Sphäre sind u.a. die Bilde- oder Lebenskräfte beheimatet, deren Einwirken bzw. Sich-Zurückgezogen-Haben einen lebenden Organismus von einem Leichnam unterscheiden. Siehe hierzu Abb. 3 und im Anhang den Abschnitt „Daseinsebenen und Bewusstseinsstufen“. Über die Vergeistigung oder „Involution“ wird an späteren Stellen noch gesprochen werden. Siehe auch Abb. 3 sowie das 3. und 5. Kapitel. Man stelle sich vor, ein Architekt entwürfe in seiner Vorstellung ein Haus und ließe es anhand der nach diesen Vorstellungen gezeichneten Pläne errichten. Die darein einziehenden Bewohner nähmen nun über die Jahre Umbauten und andere Verbesserungen vor. Dann käme eines Tages der Architekt, sähe sich die Veränderungen an, um aus ihnen dann Verbesserungen für zukünftige Pläne zu gewinnen. – Die physische Realisierung des mentalen Bauplans ist die Evolution (Auswicklung); durch innere und äußere Prozesse geschehen Metamorphosen; die

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einsetzenden neuen Impuls machen, wenn wir uns den Begriff des Gegenbildes von der Schwerkraft unterworfenen physischen Materie bilden. Wie diese undurchdringlich, fest, den Raum erfüllend und der Schwerkraft unterworfen ist, so wohnt den ätherischen Kräften das gegenteilige Prinzip inne: Sie durchdringen alles, folgen nicht der Schwerkraft, die nach unten zieht, sondern der Leichte, das heißt dem Prinzip der Schwerelosigkeit, sodass sie nach oben streben, wenn sie nur ihrem eigenen Prinzip folgen können. Wenn der Mensch im Tode seinen physischen Leib verlässt, so wird er von diesen Kräften erfasst und in den Sternenkosmos getragen. Mit dieser Vorstellung kann man sich eine Anschauung bilden von dem, was sich in der Erde abspielte, als das Blut Christi als ätherischer Kraftstrom in die Erde einfloss: Sie begann zu leuchten und empfing den Impuls ihrer Vergeistigung. Rudolf Steiner gibt uns ein anschauliches Bild hiervon: Wenn ein Mensch etwa vom Mars aus durch die Jahrtausende die Erde in ihrer Entwicklung hätte beobachten können, so würde sich die Aura der Erde in eben dem Augenblick, als das Blut des Erlösers von Golgatha strömte, grundlegend verändert haben. Neue Farben, Lichter und Einschläge wurden sichtbar und belebten die Aura der Erde mit neuen kosmischen Kräften. Und eben damit beginnt die entscheidende Wende: ihr Aufstieg nach oben... 12 Wir müssen uns diesen Strom, der in jenem Augenblicke die Erde erfasst hat (und sich im Laufe der Jahrtausende durch die Ätherisation des Blutes im Menschen immer mehr verstärkt) als einen seither durch alles Erdengeschehen sich hindurchziehenden Entwicklungsstrom vorstellen, der sich auch im geschichtlichen Werden offenbart, da Christus der „Herr der Erde“ 13 geworden ist und in ihrem geschichtlichen Geschehen waltet. Das alles spielt sich zwar völlig im Unterbewusstsein für den Menschen ab, doch wirkt dieser Strom in die geschichtlichen Impulse der Menschheit hinein, wie zum Beispiel

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Rückübertragung von Veränderungen ins Geistige ist die Involution (Einwicklung). Diese drei Schritte durchläuft jeder Mensch im gegenwärtigen Weltzeitalter wiederholt: Die Inkarnation, die Einkörperung des geistigen Menschenwesens in einen von der Natur gebildeten Leib, führt unter anderem durch die Schritte Zeugung, Geburt, Wachstum, Gehen, Sprechen, Denken; die Exkarnation, das Sich-Zurückziehen des Geistwesens aus der Verkörperung, geschieht u. a. in den Stufen Tod, Rückschau, Kamaloka (das Durchlaufen der Astralwelt, s. Fußnote 23). Dazwischen geschehen Reifeprozesse, der Mensch begegnet seinem Schicksal und prägt sich wiederum der Welt auf. Die Inkarnation beginnt in höheren Daseinsebenen schon vor der Geburt aus dem Mutterleibe, ebenso geht die Entkörperung (Exkarnation) nach dem Tode noch weiter. – Auch dem Planeten Erde liegt ein geistige Wesen zugrunde, das ebenso diese Schritte durchläuft, genauso wie alle anderen Himmelskörper, ja der ganze Kosmos. Die „Ruhezeit“ zwischen der Beendigung einer Involution des Kosmos und einer erneuten Evolution wird „Weltenmitternacht“ oder, mit einem alt-indischen Ausdruck, „Pralaya“ genannt. Siehe hierzu u. a. das 5. und 15. Kapitel. Sie würden diese Erde eingeschlossen sehen von allerlei Farben: in der Mitte den physischen Kern, und darum herum flutend die Aura in verschiedenen Formen und Farben, die verschiedensten Gebilde darinnen in dieser geistigen Atmosphäre der Erde. Sie würden diese Farben und Formen im Laufe der Jahrtausende sich mannigfaltig verändern sehen, aber es würde ein Zeitpunkt eintreten, ein Zeitpunkt von großer Wichtigkeit: da nimmt die ganze Aura eine andere Form und Farbe an. Die Erde erscheint in einem neuen Lichte, zunächst von außen gesehen. Und das geschieht mit ungeheurer Schnelligkeit, sodass man sich sagen muss: Von diesem Augenblick an ist eine Grundverwandlung mit der Erde vor sich gegangen, die Erdenaura hat sich völlig verwandelt. — Welcher Zeitpunkt ist das? Das ist der Zeitpunkt, wo auf Golgatha das Blut aus den Wunden des Erlösers floss. [GA 104, S. 134] Auf dem Wege, auf dem heute fast überall gewandelt wird, ist der Christus nur zu verlieren; gewonnen werden kann er als einzig wirklich berechtigter König und Herr der Erde nur durch die Erhebung der Menschheit zur Spiritualität. [GA 182, S. 33]

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in der die Schicksale des Abendlandes bestimmenden Schlacht vor Rom an der Milveischen Brücke. Diese Schlacht wurde weder durch Strategie noch durch die Kriegsmacht des Konstantin zu einem siegreichen Ende geführt, sondern allein durch Träume und Prophezeiungen. Konstantin träumte vor der Schlacht, dass ihm ein Engel erschiene mit der Fahne, worauf das Signum Christi angebracht war: In hoc signo vinces! 14, während Maxentius, der Gegenkaiser, die sibyllinischen Bücher befragte und den Rat erhielt: Wenn du Rom verlässest, so wirst du den größten Feind Roms schlagen! – Er tat es und verließ somit seine sicheren Stellungen und wurde vor den Toren Roms am Tiber geschlagen, wo er ertrank. Ähnliche Beispiele von Träumen und Hinweisen, die aus dem Unterbewussten ins Tagesleben hereinspielten, ließen sich noch mehr aufzählen. Hierzu gehört auch die von übersinnlichen Gesichten und Visionen geführte Jungfrau von Orleans. Dieser Strom ist es, der damals zu wirken beginnt, als sich der Christus mit der Erde verbindet. Daher konnte dieser mit Recht zu seinen Jüngern auf dem Ölberg sagen: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dass dieses alles anhebt zu geschehen. (Mt. 24,34) Zwei sichtbare Ereignisse stehen wie laut sprechende Symbole zu Beginn dieser apokalyptischen Entwicklung: das Zerreißen des Vorhangs im Tempel, der bis dahin das Allerheiligste vom Tempelvorhof trennte, und die Zerstörung des Tempels unter Titus. Was durch die Jahrtausende den Augen der profanen Menge als die Gottesstimme verborgen geblieben war, das sollte jetzt enthüllt werden, nachdem das göttliche Ich 15 in eines Menschen Leib erschienen und sich offenbart hatte. Diese Enthüllung des verborgenen Geistigen schreitet machtvoll weiter durch die Jahrtausende. Und sie ist heute an der Wende zum michaelischen Zeitalter an den entscheidenden Punkt gekommen, wo durch alle Zeitereignisse der Posaunenklang der geistigen Welt hereintönt in das irdische Geschehen. Deshalb musste der Tempel in Jerusalem zerstört werden, der ein Sinnbild des von Jahwe16 geschaffenen menschlichen Leibes war. Brecht diesen Tempel ab und in drei Tagen werde ich ihn neu errichten! (z. B. Joh. 2,19) Als das Blut auf Golgatha floss, leuchtete durch die zerbrechende Leibesgestalt des Jesus von Nazareth der neue Leib in seiner ätherischen Geistgestalt vom Kreuze sichtbar durch 14 15

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signum Christi „das Zeichen des Christus“; in hoc signo vinces „in diesem Zeichen wirst du siegen“. Die Wesenheit des Menschen kann in mehrfacher Weise gegliedert werden. Die einfachste Gliederung ist die in Physischer Leib – Ätherleib – Astralleib – Ich. Das Ich ist der geistige, in sich abgeschlossene und von außen unergründliche Wesens- oder Seelenkern des Menschen. Die übrigen Leiber werden bei jeder Inkarnation durch diesen geistigen Anteil des Menschen auf Grundlage früherer Erdenleben neu aufgebaut. Siehe auch im Anhang den Abschnitt „Wesensglieder des Menschen“. Jahwe (oder Jehova) ist einer der sieben Elohim, der Schöpfer und Lenker der Erdenentwicklung. Im Alten Testament ist „der Gott der Juden“, der sich mächtiger als die übrigen Götter erweist: Und [die Priester des Gottes Baal] nahmen das Rind, das man ihnen gab, und richteten es zu und riefen an den Namen Baals vom Morgen bis an den Mittag und sprachen: „Baal, erhöre uns!“ Aber es war da keine Stimme noch Antwort. Und sie hinkten um den Altar, den sie gemacht hatten. Da es nun Mittag ward, spottete [der Prophet] Elias ihrer und sprach: „Ruft laut! denn er ist ein Gott; er dichtet oder hat zu schaffen oder ist über Feld oder schläft vielleicht, dass er aufwache.“ Und sie riefen laut und ritzten sich mit Messern und Pfriemen nach ihrer Weise, bis dass ihr Blut herabfloss... Und als es Zeit war, das Speisopfer zu opfern, trat Elias, der Prophet, herzu und sprach: „Jahwe, Gott Abrahams, Isaaks und Israels, lass heute kund werden, dass du Gott in Israel bist und ich dein Knecht, und dass ich solches alles nach deinem Wort getan habe! ...“ Da fiel das Feuer Jahwes herab und fraß Brandopfer, Holz, Steine und Erde und leckte das Wasser auf in der Grube. Da das alles Volk sah, fiel es auf sein Angesicht und sprach: „Jahwe ist Gott, Jahwe ist Gott!“ (1. Könige 18, 2639)

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die Weltenfinsternis des vergangenen Weltentages. Fortan sollte das Symbol des ersten Schöpfungstages, der von den Elohim17 geschaffene Menschenleib, nicht mehr im Tempel Jahwes verehrt werden. Der neue Leib, der fortan in den Früchten der Erde sichtbar war – Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut! (Mt. 26, 27 f.) – sollte auf dem Altar der Erde selber in der Transsubstantiation 18 der ganzen Erdenwesenheit genossen werden. Hiermit hängt das Geheimnis der Parusie zusammen, der „Wiederkunft Christi“! Die Apokalypse ist weder ein Buch, das sich auf historische Ereignisse im Sinne eines Geschichtsbuches bezieht, noch eine Prophezeiung von zukünftigen Ereignissen; sondern sie ist Gegenwart, sie ist die Allgegenwart des Christus. In dem Worte Parusie 19, das gewöhnlich mit Wiederkunft Christi wiedergegeben wird, schwingt zugleich die Gegenwart des jetzt schon anwesenden Christusgeistes, im Sinne des aus Übersinnlichen Sphären hereinstrahlenden Christuslichtes, das fortan alles Geschehen der Menschheit begleitet im Sinne des Wortes: Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Erdenzeiten! (Mt. 28,20) Er ist da! Schon jetzt, in jeder Stunde! Alle Tage bis ans Ende der Erdenentwicklung. Es ist nur eine Bewusstseinsfrage, wieweit wir die Wolken des Sinnesseins durchbrechen können, damit uns seine Allgegenwart auch zum Bewusstsein kommt. In diesem Sinne ist das apokalyptische Geschehen eine fortschreitende, stufenweise Enthüllung des verborgenen Christuslichtes. Daher darf die Apokalypse nicht wie ein anderes Buch gelesen werden, das wie andere Bücher, welche historische Ereignisse beschreiben, von der Ursache zur Wirkung fortschreitet, sondern sie muss umgekehrt vom Ziel aus gelesen und erlebt werden. Über allen Ereignissen schwebt das Endziel, das stets in alle gegenwärtigen Ereignisse schon hereinwirkt. Wie von einer Bergeshöhe blickt der Türmer herab auf das irdische Geschehen. Siehe! Ein offenes Tor im Himmel! (Off. 4,1)20 Für ihn, den apokalyptischen Seher, ist die Sonne sichtbar geworden hinter den Wolken des Sinnesseins. Von dieser Sonne, die machtvoll am Horizont aufgeht, werden alle Ereignisse sinnvoll und offenbaren das letzte Ziel der Menschheitsentwicklung. Wer dies erfasst, der versteht auch, dass die ganze Menschheitsgeschichte nach Christus eine apokalyptische ist, 17

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Griechisch: Exusiai (εξυσιόαι, sprich: e-xu-SI-ai), lateinisch: Potentates. Geisteswissenschaftlich werden diese Wesen die „Geister der Form“ genannt, denen im Hebräischen das Wort Elohim ( ‫ אלהים‬sprich: eloHIEM) entspricht; dieses ist wahrscheinlich der Plural zum Wort Eloah (‫אלוה‬, sprich: eLOa) „Kräfte“, das wiederum möglicherweise mit El (‫אל‬, sprich: eel) „Gott“ zusammenhängt. Die Bezeichnung „Engel“ im weiteren Sinn steht zusammenfassend für alle übersinnlichen Wesenheiten der geistigen Welt, die entsprechend ihren Aufgaben und Bewusstseinsstufen in „Hierarchien“ gegliedert sind Siehe hierzu Abb. 4, Abb. 5, Abb. 6 und im Anhang den Abschnitt „Engelhierarchien“. Lateinisch transsubstantiation für Substanzverwandlung, wobei „Substanz“ als einer (physischsinnlichen) Erscheinung zugrunde liegende (geistige) Wesen zu denken ist. Das Wort bezeichnet eine auf übersinnlicher Ebene vollzogene Umwandlung der Substanz und ist gleichzeitig die Bezeichnung für den dritten von vier Abschnitten der christlichen Messe, weil dort dieses Geschehen stattfinden soll. Mehr hierzu im 5. Kapitel. Griechisch: Parusía (παρουσιόα): „Gegenwart, Anwesenheit; Ankunft“. Luther übersetzt: Siehe, eine Tür war aufgetan im Himmel. Wörtlich steht im Griechischen: idou, thyra ēneōgmenē en tō ouranō „siehe, eine offenstehende Tür im Himmel“.

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das heißt eine solche, die nicht im kausalen Sinn gelesen und verstanden werden darf, sondern als eine das Zukünftige bereits in sich bergende und von dort her ihre Kraftimpulse empfangende, das Geistige offenbarende Symbolschrift, die der Seher auf Patmos in Zeichen und Symbolen empfängt. Diese Zeichen und Symbole, in die er seine Schauungen gekleidet hat, sie sollen in meditativer Versenkung erkannt werden. Das Johannesevangelium gibt uns dazu den Schlüssel. Dann werden uns auch die irdischen Ereignisse immer durchsichtiger und transparenter, indem wir in ihnen die Urbilder lesen lernen, wie sie in der Apokalypse aufleuchten. Wir sagten eingangs, dass es nicht die Absicht ist, mit diesen Betrachtungen einen weiteren Beitrag zu den bereits in reicher Anzahl vorliegenden Büchern zu liefern, welche die Bilder der Apokalypse im Sinne einer biblischen Exegese auf ihren geschichtlichen Hintergrund prüfen und auslegen. Unser Anliegen ist es vielmehr, den Durchbruch zu vollziehen zu dem durch alle Bilder und Vorgänge wirkenden lebendigen Christusgeist, der als der allgegenwärtige in ihnen wie in uns allen waltet. Denn das ist das eigentliche Ziel und die Absicht des Apokalyptikers. Zu diesem Zwecke wurde sie geschrieben. Er liegt allerdings den heutigen Denkgewohnheiten sehr fern. Daher müssen wir den Inhalt dieses Buches zunächst aus dem Historizismus herauslösen, der ja in der modernen theologischen Forschung so viel Schaden angerichtet hat, dass wir darüber den lebendigen Geist völlig verloren haben, da die Bibel so ein rein historisches Dokument wie andere Geschichtsbücher geworden ist. Alle religiösen Dokumente wie die Bibel sind aber in Wahrheit Schulungsbücher und können den in ihnen waltenden Geist nur auf dem meditativen Wege uns offenbaren, wenn wir meditativ in sie hineinwachsen. Es seien daher einige Winke hier gegeben, wie dies möglich ist.

Wenn wir die Geheimschrift entsiegeln wollen, wie sie gleich zu Anfang in dem markanten Wort an uns herantönt: Siehe! Ein offenes Tor im Himmel! , so eignet sich hierfür am besten die Morgenmeditation. In früheren Zeiten, als die Ätheratmosphäre noch nicht durchschwirrt war von Radio- und Fernsehwellen und als noch keine elektrischen Induktionsströme den menschlichen Organismus störend beeinflussten, war es leichter, das damit verbundene Erlebnis zu haben. Heute kostet es eine große Anstrengung, um sich hiervon zu befreien und jene Ruhe zu finden, bei der man schweigend im Geiste ruht. Am leichtesten gelingt uns dies noch am Morgen, wenn wir uns zum Beispiel nach dem Erwachen in den Prolog des Johannesevangeliums 21 versenken. Wenn wir durch längere Zeit den Zugang zu dem in diesen Ur-Worten wirkenden kosmischen Christusstrom gefunden haben, dann kann uns eines Tages das folgende Erlebnis zuteil werden: Wir fühlen uns in jene ätherischen Höhen getragen, aus welchen diese Worte inspiriert wurden; wir fühlen uns erfasst von kosmischen Licht- und Lebensströmen, die uns der irdischen Welt entreißen und hinauftragen in jene Sphären, wo wir aller körperlichen Schwere entrückt sind, in der unsere Verstorbenen walten und weben. Und dann, wenn die „lichterstrahlenden Gebilde des geistigen Wogenmeeres“ vor der leib-entbundenen Seele aufglänzen, dann kann der Augenblick kommen, wo wir begnadet sind, ein Erlebnis zu haben, das der Apokalyptiker mit den Worten ausdrückt: Siehe! Ein offenes Tor im Himmel! Es ist ein gnadenvoller, beseligender Augenblick, wo wir uns emporgetragen fühlen und das Tor sich über uns öffnet und der weite ätherische Raum mit seinen ahnungsvollen Perspektiven aufzuglänzen beginnt. Finden wir jetzt die Kraft, uns in dieser Höhe bewusst halten zu können und dabei hinabzublicken, indem wir das Bewusstsein auf die Erdenwelt richten, die wir verlassen haben, dann tauchen vor dem Bewusstsein die imaginativen Bilder des irdischen Geschehens auf. Und dann erleben wir, wie tief, wie dunkel, wie 21

Unter „Johannesprolog“ wird das 1. Kapitel des Johannesevangeliums, Verse 1 bis 18, verstanden; oder in verkürzter Form die Verse 1 bis 5 plus evtl. noch Vers 14.

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hineingebannt in dieses dunkle Körpersein der Erdenmensch gefesselt ist, abgeschlossen mit seinem Bewusstsein von der Lichteshöhenwelt. Ja, das ist unser Erdenleben: begraben unter dem Felsblock des Erdenverstandes. Dieser Felsblock ist es, der uns den Ausblick in die lichte Höhenwelt verdunkelt. Erst über diesem Felsblock des Erdengrabens aber beginnt die Christussphäre. Siehe, der, den ihr sucht, ist nicht hier! (nach Mt. 28,6) Er waltet über der Wolke des Sinnenscheins, die das leere Grab, wo die Frauen stehen und vergebens den Auferstandenen suchen, von der oberen Lichtwelt trennt, in der der Christus erscheint – so wie es Fra Angelico gemalt hat. – Das alles einmal von oben zu schauen, den geistigen Blick von der Lichtwelt hinab ins Erdengeschehen zu richten, das verleiht uns die Kraft, das Sinnensein als die große Maja, als die täuschende Illusion zu durchschauen. 22 Wie aber erscheint uns dann dies Sinnesdasein, das wir sonst als die einzige wahre Wirklichkeit erleben? Es erscheint uns von oben als ein blasses, unwirkliches und gespenstisches Schatten- und Schemenwesen, als ein dunkler, unwirklicher Traum! – Das wichtigste an diesem Erlebnis aber ist das Innen-Sein, das uns jetzt ganz ausfüllt und erweitert. Das ist das Wesentlichste bei diesem Durchbruch in die ätherische Lichtes- und Höhenwelt. Das aber ist noch schwerer in Worte zu kleiden, es lässt sich vielleicht am besten mit einem Zustand vergleichen, den wir in gewissen Traumzuständen erleben. Es ist uns, als wären wir mit Schwingen begabt, die uns hinauftragen, als durchflögen wir diese endlosen Lichtesweiten – entbunden aller Erdenschwere –, wobei wir uns so beweglich, flüchtig-fluktuierend fühlen, so regsam im Inneren wie der Blitz, der die Räume vom Morgen bis zum Abend durchzuckt und verbindet... Und hier stellt sich nun ein neues bedeutsames Erlebnis ein. Die imaginative Bilderschrift stellt sich wie ein Panorama vor uns hin, sie breitet sich vor uns aus, wenn wir die nötige Ruhe in der ätherischen Durchsichtigkeit finden. Wir ruhen ausgebreitet im Äthermeer. – Jetzt aber, wenn wir durch das Tor des Himmels getragen werden, fühlen wir uns hineingezogen und -gerissen in die dynamisch-fluktuierenden Geistesströme, ja, wir werden selbst ein solch fluktuierender Strom und durcheilen blitzartig den Raum. Dabei 22

Maya bezeichnet die altindische Auffassung hinsichtlich der physisch-sinnlichen Welt, die man sich als bloße – und nicht besonders bedeutsame – Illusion vorstellte. Geisteswissenschaftlich steht Maya für die Wahrnehmung (auch Gefühle und Gedanken werden wahrgenommen), welche durch passende Begriffe zur vollen Wirklichkeit ergänzt wird. Vgl. hierzu GA 4: Die Wahrnehmung ist der Teil der Wirklichkeit, der objektiv [gegeben wird]; der Begrif derjenige, der subjektiv (durch Intuition) gegeben wird. Unsere geistige Organisation reißt die Wirklichkeit in diese beiden Faktoren auseinander... Erst der Zusammenhang der beiden, die gesetzmäßig sich in das Universum eingliedernde Wahrnehmung, ist volle Wirklichkeit... Und GA 18, Band 2: Es liegt im Wesen der Seele, beim ersten Anblick der Dinge etwas auszulöschen, das zu ihrer Wirklichkeit gehört. Daher sind [die Dinge] für die Sinne so, wie sie nicht in Wirklichkeit sind, sondern so, wie sie die Seele gestaltet. Nach Paulus (1. Kor. 13) leben wir in einem „verdunkelten Wort“. Wenn ein Mensch spricht, entsteht eine Bewegung der Luft; wenn Gott spricht, entsteht der Kosmos – in dieser Größenordnung ist „Wort“ zu denken. – Begegnen wir einem Ding oder einem Wesen, erkennen wir nicht einfach so, womit wir es zu tun haben. Eine ganze Weltanschauung kann sich als Traumgebilde erweisen; daher sagt Sokrates, bezogen auf den irdischen Verstand: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Dieser Zustand ist Maya. Erst wenn, um mit Paulus zu sprechen, das „Vollkommene“ da ist, dann ist ein Sehen von Angesicht zu Angesicht möglich: ein unbeirrbares Erkennen des Wesens, ein Hindurchschauen durch alle Illusion, mithilfe eines höheren Denkens.

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aber werden wir zugleich Schrift und Wort: wir schreiben selber die Zeichen der okkulten Schrift in den Weltenäther ein, die wir hinterher zu lesen haben, wir sind der Schreiber und der Leser in einer Person. Wenn wir dies Erlebnis zum ersten Mal haben – das fluktuierende Wort selber zu sein, das von unsichtbarer Hand geführt und von uns selber geschrieben wird und diese Schrift, wie mit Flammenschrift geschrieben, im Augenblick des Entstehens auch selber zu lesen: dann haben wir das Wesen der Inspiration erlebt, und sind aus der imaginativen Bildersphäre aufgestiegen zur fluktuierenden Sphäre der Inspiration. Wir haben uns aus der Ätherwelt in die Astralwelt23 erhoben, wo alles in dauernder Bewegung ist. Und hier geht uns ein Verständnis auf, in welchem Sinne die Worte gemeint sind, die im Urtext heißen: ... und er hat sie in Zeichen gesetzt... (Off. 1,1) Luther übersetzt hier er hat sie gedeutet. – Denn alles, was in dieser Sphäre erlebt wird, bildet sich zum Zeichen und Symbol, das wir selbst einschreiben in die Astralwelt – und das wir dann lesen müssen. Es ist wie bei einem Komponisten, der im Moment, wo er die musikalische Inspiration empfängt, selbst zur Musik wird, die er zugleich erklingen hört. Die Astralwelt ist ja die Welt der Musik, die Welt der Sphärenklänge, wo alles tönt und rauscht und klingt in Harmonien sowie in Dissonanzen. In diese Welt wird der Apokalyptiker versetzt „am Tage des Herrn“, also an einem Sonntag. Zwei machtvolle Siegel enthüllen sich seinem Seherauge, die Anfang und Ende seines Weges sowie der ganzen Menschheitsentwicklung umspannen. Aber es ist nicht nur ein Bild, denn er ist jetzt eingetreten in die Welt der Inspiration, deshalb vernimmt er das Brausen großer Wasserfluten, und er hört die Stimme, die wie ein Posaunenklang ihm ertönt.  Das erste Siegel offenbart den Menschensohn.  Das letzte Siegel enthüllt das Viergetier. Beide Siegel umfassen die ganze Menschheitsentwicklung: ihr letztes Ziel und ihren Beginn, worauf der Blick des Sehers wie von Bergesgipfeln fällt. Abb. 1: Der Alte Tierkreis und der neue Kosmos

Aus diesen beiden Bildern geht uns das Geheimnis von Umkreis und Punkt auf. Der Schöpfungsbeginn geht vom Umkreis aus 24 – am Ende konzentriert sich der durch den Menschen hindurchgegangene Welteninhalt in einen Punkt; doch in einem Punkt, der aus 23

Die Astralwelt – zu Deutsch: „Sternenwelt“ – steht eine Stufe über der Ätherwelt. Siehe hierzu im Anhang den Abschnitt „Daseinsebenen und Bewusstseinsstufen“.

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dem Nichts das neue Werden gebiert. Das ist der Weltenfortschritt, der Schritt vom Vater zum Sohn, aus dem die neue Schöpfung des Geistes sich gebiert. Die Kräfte des Umkreises richten sich von der Peripherie zum Mittelpunkt; die vom Punkt ausgehenden Kräfte strahlen in die Peripherie, in den Kosmos hinaus. Die saturnische Erdenschöpfung nahm ihren Ausgangspunkt von vier Kräftepunkten, von welchen aus vier Himmelsrichtungen die schöpferischen Kräfte in den Mittelpunkt einströmten, in denen die Substanz der Throne lebte, als kosmische Weltensubstanz. Daraus bildeten sich die ersten Keimanlagen für den Menschen. Aus dem „Viergetier“ erstand der Mensch in seiner viergliedrigen Menschennatur:    

vom Adler strömte das kosmische Denken ein, vom Löwe das kosmische Fühlen vom Stier das kosmische Wollen und alle drei Kräfte harmonisierend und zum Menschen bildend wirkte die Menschen-Engel-Kraft25, die Denken, Fühlen und Wollen zur Einheit mit einander verband.

In diesen vier Weltenkräften erblickten die Rosenkreuzer die vier kosmischen Kraftpunkte, die dem Menschenwesen Gestalt und Form gaben, die sie in ihren vier Altären im Osten, Süden, Westen und Norden erblickten, um ihre Erdenfrüchte den göttlichen Mächten als Opfer hinauf zusenden. Wer sich in diese Bilder, die kosmische Gesetzmäßigkeiten widerspiegeln, vertieft, der erkennt den Weltenplan, der der Menschheitsentwicklung zugrunde liegt. Im Sinne des Goetheschen Märchens, das ja auf eine rosenkreuzerische Einweihung 26 zurückgeht, steht in der Tempelordnung der Rosenkreuzer im Osten der „goldene König“ als Repräsentant der Weisheit (Adler), im Süden der „silberne König“ als Vertreter der Herzenskräfte (Löwe) und im Westen der „eherne König“, der den kosmischen Willen vertritt. Im Norden dagegen soll der neue Mensch geboren werden, der die Seelenkräfte bewusst lenkt und harmonisiert (Wassermann). Solange dies nicht gelingt, steht an diesem Platze „der zusammengesetzte König“ (Retardus), der den Fortschritt hemmt. Die vier kosmischen Einstrahlungspunkte, wie sie am Anfang der saturnischen Erdentwicklung ihre Kraftströmungen zur Heranbildung der Erde und Menschheit hereinsandten, bilden den Anfang des Tierkreises27. Die Bezeichnung „Tierkreis“ stammt von den 24

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In früheren Weltentwicklungs-Epochen wirkten die Cherubim (anthroposophisch „die Geister der Harmonie“ genannt; die zweithöchste der namentlich bekannten Engelhierarchien) von vier Hauptrichtungen aus auf unser Sonnensystem. In späterer Zeit bildeten sich zu jeder Wirkensströmung jeweils zwei weitere hinzu, sodass der zwölfteilige „Tierkreis“ entstand. Der Adler wird heute Skorpion genannt. Zu den Hierarchien siehe im Anhang den Abschnitt „Engelhierarchien“. Das Wort „Engel“ im engeren Sinn bezeichnet diejenige Hierarchie geistiger Wesenheiten, die eine Entwicklungs-Stufe über dem Menschen steht. Die Einweihung oder Initiation bezeichnet zunächst den Erwerb von Kenntnissen höherer Welten, sie kann aber auch dazu führen, dass der Eingeweihte im Verlaufe seines Schulungsweges selbst in die Lage kommt, höhere Daseinsebenen sukzessiv bewusst wahrzunehmen und zu verstehen. Der Tierkreis oder Zodiak ist allgemein bekannt durch die zwölf „Sternzeichen“. Der Umkreis unseres Planetensystems ist in zwölf Abschnitte eingeteilt. Aus jedem Abschnitt kommen bestimmte Kräfte in unser Sonnensystem, die ggf. von den Planeten, der Sonne und dem Erdmond aufgenommen und verwandelt zur Erde weitergesandt werden. (Je nach astrologischem System entsprechen die sichtbaren Sternbilder den aus dieser Raumesregion hereinstrahlenden Kräften,

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Gattungskräften, welche von ihnen ausstrahlend in der Gruppenseele der Tiere 28 walteten und auch die menschlichen Rassen formten, solange der Mensch noch, in den Gruppenseelen geborgen, in ihrem Schoß zur Ausgestaltung seiner Individualität heranreifte. Wir haben es mit hohen geistigen Wesenheiten zu tun, die als Lenker und Führer im Anfang der Erdenentwicklung tätig waren. Der tiefere Sinn der Menschheitsentwicklung besteht nun darin, dass der Mensch immer mehr aus den alten Gattungs- und Blutskräften, die ihn erst in ihren Schoß aufnahmen und heranbildeten, den Weg zu sich selbst findet. Den Impuls zu dieser Individuation empfängt der Mensch durch den Christus. Daher das Wort: Wer nicht Vater und Mutter, Schwester und Brüder verlässt, der kann nicht mein Jünger werden. 29 So geht der Weg von den alten Vaterkräften, die den Menschen durch das Blut und das Gesetz erziehen, über den Sohn, durch den er den Impuls zur Individualität empfängt, um in Liebe als Vorbild ihm zu folgen, zu den Geistmysterien, die durch Erkenntnis ihn zur Freiheit führen. Einen Überblick über diesen Weg gibt Rudolf Steiner in seinen Vorträgen über „die Mysterien des Geistes, des Sohnes und des Vaters“:

Alle Eingeweihten hatten dieselbe Urweisheit der Menschheit. Aber indem diese Weisheit zu den einzelnen Menschen getragen worden ist, bekam sie vom Staat, vom Klerus besondere Charaktereigenschaften, verschiedene Formen. Der Buddhismus, der Zarathustrismus entstanden so. Je kleiner die Gemeinschaften waren, desto mehr musste spezialisiert werden. Indem der große Bruderbund begründet werden muss, (der Bruderbund der Zukunft im Zeichen des Heiligen Geistes), muss das, was der Eingeweihte wusste, herausfließen können in die ganze Menschheit, damit jetzt jeder dafür sorgen kann, wofür früher die Eingeweihten gesorgt haben. So fließt die Weisheit herunter in die ganze Menschheit. Die Weisheit ist eine einheitliche. Und so sehen wir, dass wir in dieser Weisheit, in der Erkenntnis, dasjenige haben, was in die individuellen, zersplitterten Menschen verteilt ist, die da „verlassen haben Vater, Mutter, Bruder, Schwester und Kind“. Das werden sie wieder haben, eben weil die Weisheit eine einheitliche ist. Derjenige begreift das Wort vom Heiligen Geist, der begreifen kann, dass die Weisheit eine einheitliche ist... Die Menschen mussten zum Ich, zum Egoismus zersplittert werden. Noch haben sie nicht den Zusammenschluss mit der einheitlichen Weisheit gefunden. Diesen werden die Menschen finden dadurch, dass sie sich wirklich heranmachen an diese einheitliche Weisheit und so stark individuell wie möglich werden... Wie sich alle Pflanzen der einheitlichen Sonne zuneigen, so werden sich die Menschen vereinigen, hinneigen zu dem einen, weil der eine Geist der Weisheit in ihnen lebt. Ist aus dem Christus dasjenige ausgeflossen, was ursprünglich die Menschen im Blute verbunden hat, so schließt uns die Weisheit wieder zusammen in dem Bruderbunde. [4]

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oder eben nicht; manche Systeme weisen den Sternbildern unterschiedliche Breite zu, andere unterteilen den gesamten Kreis um die Erde in exakt 12 x 30°; Poeppig bezieht hierzu nicht Stellung.) Jede Tiergattung entspringt einer eigenen Gruppenseele. Die einzelnen Tiere der Gattung sind physischer Ausdruck der einen Gruppenseele. Siehe hierzu auch das 2. Kapitel. Kombination zweier Bibelstellen: Zum Einen Lk. 26,14: So jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigen Leben, der kann nicht mein Jünger sein, zum Andern Matth. 19,29: Und wer verlässt Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Weib oder Kinder oder Äcker um meines Namens willen, der wird's hundertfältig nehmen und das ewige Leben ererben.

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Dieser Individuationsweg der Menschheit, der von der ursprünglichen Einheit ausgeht, um durch die Individualisierung zu einer höheren Einheit zurückzuführen, der von den alten, im Blut wirkenden Gattungsseelen zur neuen Gruppenseele im Geiste führt, die im Pfingstereignis zu wirken beginnt: Er steht in den beiden Siegeln zu Beginn der Apokalypse vor uns. Sein großes Leitmotiv lautet: von der alten Gruppenseele – zum neuen Gruppengeist. Vom Gebot – zur Freiheit durch die Erkenntnis. Vom Blut der Rassen – zum individuellen Ich. So schließt sich der Entwicklungsgang der Menschheit sinnvoll zu einem Ganzen zusammen. Heute ist die Menschheit zerteilt, zersplittert, atomisiert. Denn die Menschheit hat heute den tiefsten Punkt in der Individualisierung erreicht. Jeder hat seine eigene Meinung, seinen eigenen Standpunkt.

Wenn man sich klar darüber geworden ist, dass es der einheitlichen Weisheit gegenüber keinen besonderen Standpunkt gibt, da jedes Stehen auf einem besonderen Standpunkt nichts anderes ist, als dass man nicht weit genug vorgedrungen ist, erst dann kann man die Idee vom Heiligen Geist begreifen. Nur der unvollkommene Mensch hat seinen Standpunkt. Derjenige Mensch, der sich dem Geist der Weisheit nähert, hat keinen Standpunkt. Er weiß, dass er sich selbstlos hinzugeben hat der ureinen Weisheit... Das ist in dem Pfingstwunder in so wunderbarer Weise zum Ausdruck gekommen, dass die Apostel den Bruderbund erweitern zu einem Menschheitsbunde und in einer Sprache reden, die alle verstehen. Das muss immer mehr zum Ausdruck kommen, und zwar bei der höchsten Ausgestaltung der Individualität... Immer freier und freier, immer autoritätsloser sollen die Menschen werden, immer mehr sollen sie zu der alleinigen Wahrheit hinströmen. Ganz von selbst bildet sich der Bruderbund der Menschheit, wenn die Menschen das eine urchristliche Wort, das freieste, das höchste christliche Wort: Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen, wenn die Menschen diese Wahrheit erkennen werden. [4] So können wir sagen: Der Übergang von den alten Gruppenseelen zur neuen, die im Geiste begründet ist, das ist die große Mission der Menschheit auf Erden. In den vier Tieren steht der Ausgangspunkt der Menschheit vor uns: vom göttlichen Weltenvater gelenkt, der in ihrer Mitte thront, haben sich die Rassen gebildet, die den noch ich-losen Menschen in ihren Schoß aufnehmen. Die neuen durchchristeten Gruppenseelen sehen wir in den sieben vorderasiatischen Gemeinden. Sie werden nicht mehr von den Gruppenkräften der Tiere gelenkt, sondern sie empfangen ihre Inspiration von den sieben Engeln, welche die Führergeister dieser Gemeinden sind. Es sind die Christus-Engel. So wird die Samenkraft der großen Brudergemeinschaft aufgehen. Die alten Gruppenseelen wurden von Jahwe gelenkt. Die neue Gruppengeistigkeit wird von Christus geführt werden. Daher steht als das große Zukunftsbild der Menschensohn vor uns. Es ist der durchchristete Mensch. Christus musste Mensch werden, damit der Mensch sich vergeistigen kann. Wer dies erkennt, der erkennt in den beiden Siegeln, die zu Beginn der Apokalypse stehen, das Alpha und Omega, den Anfang und das Ziel der ganzen Menschheitsevolution. Damit haben wir zunächst in einigen Strichen den großen Schöpferplan skizziert, der durch alle Geschehnisse der apokalyptischen Bilder und Zeichen zu uns spricht... Es ist zugleich der Plan, welcher der ganzen Apokalypse zugrunde liegt. 18

1. Die Tempelarchitektur – die sieben Sendschreiben des Johannes Unsere Väter hatten es zweifelsohne besser. Vor ihrem Blick enthüllte sich die Welt noch als ein Ganzes, aus dessen Komposition sich der Sinn der Welt ergab. 30 Höhe, Tiefe und Weite bildete den von Gott gegebenen Hintergrund, die Maße und die Komposition, in welche der Mensch sich hineingestellt sah. Der Blick, der in die Ferne schweifte und das Rund der Höhen, Berge und Wälder umfasste, und der, der in den schwindelnden Tiefen der Schluchten sich verlor, er fing sich beim Aufblick zum Himmelsgewölbe, dessen Dom die Einheit der Welt in seiner Seele spiegelte und neu erschuf. Man betrachte Landschaftsgemälde aus dem 19. Jahrhundert! Wie abgewogen, ausgeglichen, harmonisch in ihren einzelnen Teilen wirkt alles. Das Auge des Malers sah noch mit der Seele (so wie der Hase von Albrecht Dürer trotz seiner fotografischen Treue noch mit der Seele geschaut worden ist!). Und deshalb erlebte er die Welt als eine Einheit, deren sinnvolle Komposition ihm mit jedem Blick entgegensprang. Diese Welt mit ihrem Oben, dem Himmel und seinen „Gucklöchern“, die die obere Welt in Sonne, Mond und Sternen sich geschaffen hatte; mit ihrem Umkreis, der das seelische Gleichgewicht zu halten berufen war zwischen Höhe und Tiefe; und dem Abgrund des Tartaros, in dem die Dämonen der Tiefe lauerten – diese Welt ist lang schon zum Mythos geworden und vor dem seelenlosen Blick unserer Zeit verworfen worden. Die Brille des Intellektes kann die Welt nur mehr „atomistisch“ anschauen, das heißt in kleinste Teile zerteilt. Dadurch ist ihm der Blick für das Wesen, die Komposition und den in allem sich offenbarenden Geist verloren gegangen. Ja, sinnlos muss dem Menschen das Leben und die Welt als ein harmonisches Ganzes immer mehr erscheinen, je mehr sie durch diese „atomistische Brille“ betrachtet und bewertet wird: ein Flickwerk und Zufallsgebilde! – Das hat sich in der modernen Bibelforschung in aller Deutlichkeit gezeigt: Der Theologie Rudolf Bultmann (1884-1976) etwa sieht in Himmel und Hölle, Ober- und Unterwelt nur phantastische Ausgeburten einer mythologischen Vorstellungswelt, die der moderne Intellekt streichen muss, um zur objektiven Wahrheit zu kommen. Mit dem gleichen Rechte müsste man den ganzen Tempel abtragen und annullieren, der den architektonischen Grundriss der Bibel bildet. Beginnt man erst damit, einen Stein abzutragen, so stürzt der ganze Tempel ein! –

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GA 18, „Die Rätsel der Philosophie“ (Band 1): Die Menschen früher Zeiten trennen das eigene menschliche Seelen-Erleben noch nicht von dem Naturleben ab. Sie stellen sich nicht als ein besonderes Wesen neben die Natur hin; sie erleben sich in der Natur, wie sie in derselben Blitz und Donner, das Treiben der Wolken, den Gang der Sterne, das Wachsen der Pflanzen erleben. Was die Hand am eigenen Leibe bewegt, was den Fuß auf die Erde setzt und vorschreiten lässt, gehört für den vorgeschichtlichen Menschen einer Region von Weltenkräften an, die auch den Blitz und das Wolkentreiben, die alles äußere Geschehen bewirken. Was dieser Mensch empfindet, lässt sich etwa so aussprechen: Etwas lässt blitzen, donnern, regnen, bewegt meine Hand, lässt meinen Fuß vorwärtsschreiten, bewegt die Atemluft in mir, wendet meinen Kopf. Man muss, wenn man eine derartige Erkenntnis ausspricht, sich solcher Worte bedienen, welche auf den ersten Eindruck hin übertrieben scheinen können. ... [Der vorgeschichtliche Mensch] erlebte noch nicht den Gedanken; dafür aber gestaltete sich in seiner Seele, anstatt des Gedankens, das Bild (Sinnbild). Die Beobachtung der Menschheitsentwicklung führt in eine Zeit zurück, in welcher die gedanklichen Erlebnisse noch nicht geboren waren, in welcher aber im Innern des Menschen das Bild (Sinnbild) auflebte, wie beim später lebenden Menschen der Gedanke auflebt, wenn er die Weltenvorgänge betrachtet. Das Gedankenleben entsteht für den Menschen in einer bestimmten Zeit; es bringt das vorherige Erleben der Welt in Bildern zum Erlöschen. (S. 26 ff.)

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Goethe gingen in Italien vor den Ruinen der griechisch-römischen Kunstwerke die Einsichten in die gotterfüllte und formvollendete Gesetzmäßigkeit der Kunstwerke der Alten auf.

Hier ist Notwendigkeit, hier ist Gott! 31 Wer ohne diesen künstlerischen Blick ein geistiges Kunstwerk betrachtet und verstehen will, zu welchem in erster Linie die Bibel gehört, der mag ein hervorragender wissenschaftlich geschulter Theologe sein, mit allen Methoden und Hilfsmitteln der Philologie und vergleichenden Religionsforschung ausgerüstet: Angesichts der Gesetzmäßigkeiten und großen Kompositionen der okkulten Kunstwerke benimmt er sich wie ein Blinder! – Wie ein Kunstwerk nicht einer Zufallsschöpfung entspringt, wie ihm Maß, Sinn und Bild von Anfang an innewohnen, deren Komposition uns beim ersten Blick aus dem Ganzen entgegenkommt: So enthüllt auch der Tempel der Apokalypse von Grund auf seine strenge Gesetzmäßigkeit, die den Tempelbau in sieben Stufen und Säulen trägt und die auf allen Stufen und Ebenen wiederkehrt. Schon das Grundfundament offenbart diese Gesetzmäßigkeit. Daher kann man sagen, dass die Baumeister diesen Tempel von unten aus dem Fundament errichtet haben – obwohl dieser Tempel ähnlich wie die Pyramiden von oben gebaut worden ist –: aus der geistigen Einsicht und Überschau des Ganzen. Die große Schwierigkeit, welche die Apokalypse zu einem Buch „mit sieben Siegeln“ macht, ist seine symbolische Sprache. Die ganze Apokalyptik zeigt als besonderes Merkmal eine auffallende Vorliebe für Symbole. Unter Symbolen verstehen wir materielle Dinge, die nicht ihrer selbst wegen, sondern wegen ihrer Eigenschaft beschrieben werden, um, entweder von Natur oder durch Übereinkunft damit verbunden, abstrakte Ideen zu veranschaulichen. In der apokalyptischen Vision muss der übertragene, d. h. metaphorische Sinn der Einzelzüge gesehen werden, der sich nur dem anbietet, der danach fragt. Der bildlose, nüchterne Begriff hat den Vorteil, den Gedanken unmittelbar mitzuteilen, er hat scharfe Konturen und hebt sich von anderen Begriffen deutlich ab. Der bildhafte Ausdruck deutet nur an, er hat etwas Geheimnisvolles an sich, aber neben dem rationalen Element umschließt er auch das Emotionale, das Gefühlsmäßige, er regt zum Nachdenken an und wird so zum geeigneten Ausdrucksmittel der Offenbarung und zum Zeichen dessen, der „im unzugänglichen Lichte wohnt“. Einige Symbole erklärt Johannes selbst, in den meisten Fällen gibt er keine Deutung. Er setzt offenbar bei den Lesern eine Kenntnis der Symbolsprache voraus, die uns Abendländern abgeht oder erst mühsam wieder erworben werden muss. Schon das Bild des „Menschensohnes“ in der Eingangsvision (Kapitel 1, 13-16) verrät die verschiedene Denkweise. Wenn wir mit unserer Sprache den Herrn darstellen wollten, würden wir ihm priesterliche, königliche und richterliche Vollmacht zuschreiben. Der Verfasser der Apokalypse hingegen schildert den Menschensohn so, dass durch diese Einzelbeschreibungen die gleichen Eigenschaften zum Ausdruck kommen, aber viel sinnfälliger, anschaulicher und majestätischer. In der Symbolik der Apokalypse gewahrt man einen unerhörten Formenreichtum: Tiere, Bäume, Berge, Licht und Finsternis, alle Klassen und Stände der Menschen sind vertreten. Nicht selten wechseln die Bilder für die gleiche Person. Christus erscheint als majestätischer 31

Vgl. Thomas Meyer, „Der Unverbrüchliche Vertrag“, Perseus-Verlag, S. 298.

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Menschensohn, als Löwe, als Lamm, als Sieger auf weißem Ross. Die Kirche wird als Sonnenfrau, als Braut und Gattin eingeführt. In raschester Folge jagt oft ein Bild das andere. Erst die Vielzahl der Bilder kann das Wesentliche zum Ausdruck bringen. Auch die Farben haben ihre Symbolsprache. In der Vision der apokalyptischen Reiter (Off. 6, 1-8) versinnbildet Weiß den Sieg, Rot die blutige Gewalt, Schwarz den Tod, Fahlgelb die Verwesung. Weiß kann auch die Reinheit des Lebens und die eschatologische Freude bedeuten (19,8), Scharlach Prunk und Ausschweifung (17,4). Die Zahlen der Apokalypse sind alle symbolische, dürfen also nicht als arithmetische Größen behandelt werden. Die Siebenzahl vor allem ist äußerst kunstvoll mit dem ganzen Buch verwoben. Kein anderes Buch ist von einem solchen Formprinzip beherrscht:

7 ist die Zahl der Kirche und der Engel dieser Kirche ([Off.] 1,4 f.). Der Menschensohn steht inmitten von 7 Leuchtern (1,13) und hält 7 Sterne in der Rechten (1,16); 7 Geister Gottes gibt es vor dem Throne Gottes (1,4; 4,5). Das Schicksalsbuch trägt 7 Siegel (5,1 f.) : das Lamm ist mit 7 Hörnern und 7 Augen ausgestattet (5,6); 7 Posaunen haben die 7 Engel in der Hand (8,2 f.); 7 Donnerschläge erdröhnen (10,3 f); der Drache trägt auf seinen 7 Köpfen 7 Kronen (12,3; vgl. 13,1; 17,3 f.); auch das Tier aus dem Meer hat 7 Köpfe (15,1 f.), die 7 Köpfe dieses Tieres bedeuten 7 Hügel und 7 Könige (17,3-7-9). Es treten 7 Engel mit Zornesschalen auf (15,1 f.). Siebenfach ist oft das Lob der Ältesten (5,12). [1] Die Sieben spielt allerdings nicht deshalb eine so grundlegende Rolle in der Apokalypse, weil die Sieben „die Zahl der Kirche und der Engel dieser Kirche ist“, sondern weil alle zeitliche Entwicklung sich in sieben Stufen oder Etappen abspielt, ebenso wie die Zwölf die Zahl der Dauer ist, in welcher sich die Mysterien der Gleichzeitigkeit im Raume abspielen (Tierkreis). In der Zahlensymbolik drücken sich grundlegende Gesetzmäßigkeiten der Welt und der Menschheitsentwicklung aus.32 Daher ist die Apokalypse ganz herausgewachsen aus den Weltengesetzmäßigkeiten, was sich in der Symbol- und Zeichensprache ausdrückt: Dies ist die Offenbarung Jesu Christi, die Gott dargeboten hat seinem Diener, zu veranschaulichen in Kürze, wie sich das Notwendige vollziehen soll. Dies ist in Zeichen gesetzt und durch seinen Engel gesandt an seinen Diener Johannes, und dieser hat es zum Ausdruck gebracht. (Off. 1,1) [0] Johannes will in Kürze schildern. Das haben die Übersetzer so gedeutet, dass sie übersetzt haben: „zu zeigen, was in der Kürze geschehen soll.“ In Wirklichkeit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich um einen „kurzen Abriss“ handelt. Mit diesen lapidaren Eingangsworten (Off. 1, 12) wird auf zweierlei gewiesen: Christus im Bilde, in der Erscheinung, und im Worte soll hier offenbart werden: Siehe, die Erscheinung Jesu Christi, die ihm Gott gegeben hat, seinen Knechten zu zeigen, und er hat sie gedeutet (in Zeichen gesetzt) und gesandt durch seinen Engel zu seinem Knecht Johannes. (Off. 1, 1 f.) Das ist der fundamentale Anfang, der auf die Erscheinung, die vom Vatergott gegeben ist, hinweist: Doch hinter der Erscheinung offenbart sich das inspirierende Wort, das die Interpretation der Offenbarung ist. Von Gott ist die „briefliche Botschaft“ durch die Inspiration zu den Menschen gekommen. In diesen lapidaren Worten lebt aber die Göttliche Aufforderung: den göttlichen, siebenfach versiegelten Brief des Johannes zu 32

Siehe hierzu mehr im 7. Kapitel.

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entsiegeln. Diese Aufforderung wendet sich nicht nur an unsere Erkenntniskräfte; sie wendet sich vor allem an unseren Willen. Wie können wir diese Aufforderung in unsere Willensentschlüsse aufnehmen? Wie können wir ihr Folge leisten? Diese lapidaren Anfangsworte als Initialen dieser Einweihungsschrift wollen nicht überlesen werden. Denn sie öffnen das Tor, das sich über diesem Buche wölbt. Es ist die „Pforte der Einweihung!“ 33

Die Welt ist unendlich; es ist dem Menschen nötig, sie in Symbolen zu ergreifen.“ – Dieses Wort des Mystikers Cardanus erhebt unsere Seele mit einem Schwingenschlag zu jener Warte, von wo aus Symbole erst ihren Sinn bekommen. Symbole sind Fenster zur Ewigkeit. Man kann sie nur lesen, wenn man sich selbst in einen Bewusstseinszustand versetzt, von dem aus alles Vergängliche zum Gleichnis eines Unvergänglichen wird. Wer diesen Bewusstseinsakt nicht vollzieht, für den bleibt die Sprache der Symbole ein Buch mit sieben Siegeln. Aber gibt es nicht in jedes Menschen Leben „Augenblicke, wo er dem Weltgeist näher ist als sonst“? Wo ein höheres Auge in uns erwacht, das weiter, umfassender und tiefer in die Weltengründe schaut, als es der Augen-Blick des Alltags vermag? Wo uns die Runenzeichen unseres Schicksalsbuches aufgehen und wir die weisheitsvolle Fülle der Welt zu ahnen beginnen? Dann schließt sich alles von einer höheren Warte zu einem großen Ganzen zusammen. Und wir erkennen, dass das Universum nicht nur ein zerstückelter Leichnam lebloser Atome ist, sondern die Fülle schöpferischer Urbilder in sich birgt. Die Sprache der Symbole will uns zu diesem Bewusstsein erwecken. Es ist ein Einweihungsakt; der gleiche, den uns der ägyptische Mythos von Osiris erzählt, dessen Leichnam, von seinem Bruder Typhon zerstückelt und zerstreut, von seiner Gemahlin und Schwester Isis gesammelt und geborgen, zu neuem Leben erweckt wird. Horus, der neuerstandene Osiris, kann im Menschen erstehen, wenn er diesen Akt nacherlebt und aus dem zerstückelten toten Sinnesbewusstsein zum Geistbewusstsein sich erhebt. So erschließt uns die Symbolik das Erkenntnisauge für tiefe geistige Weltvorgänge. Das Symbol in seiner Bildhaftigkeit steht der geistigen Wirklichkeit näher als der Begriff. Es bildet die Mitte zwischen dem künstlerischen Bilde und dem Begriff. Das künstlerische Bild spricht unmittelbar zu uns. Das Symbol in seiner Zeichensprache muss erst entsiegelt werden. Es muss gelesen werden genauso wie die „Geheimschrift“ unseres Lebens. Auch die göttlichen Baumeister, die am Weltenbau wie an der Führung unseres Lebens beteiligt sind, bedienen sich dieser Sprache. Daher tritt uns die geistige Welt zuerst in der Sprache der Symbole als imaginative Bilder und Zeichen entgegen. Das „Lesen der okkulten Schrift“ als dritte Stufe auf

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Diesen Titel trägt Rudolf Steiners erstes von insgesamt vier Mysteriendramen.

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dem rosenkreuzerischen Schulungswege 34 führt den Geistesschüler in diese höhere Wirklichkeit ein. – Doch auch vom allgemein-menschlichen Gesichtspunkt erzieht und stärkt die Beschäftigung mit der Zeichensprache der Symbole unsere Seelenkräfte. Blicken wir die Welt nur an durch die Brille der Sinneswahrnehmung, so verlieren wir uns in die sich widersprechende Vielfalt der tausend Gestalten. Schauen wir dagegen vom Gipfel der Pyramide herab, so schließt sich alles zur Einheit und Einfalt zusammen. Wir verlieren uns nicht, sondern wir finden uns am Herzen der Welt. Daher findet man leichter das Tor zur Ewigkeit des Geistes und zu sich selbst, wenn man Eingang findet in die Bildersprache der Symbole und alles „sub specie aeternitatis“ 35 zu schauen lernt. [3, S. 44] Jedes Symbol ist seinem Wesen nach die irdische Projektion einer Himmelsschrift, die in ihrer Urbildlichkeit in der übersinnlich-geistigen Welt erglänzt. Beachtet man dies nicht, dann gerät man in die Gefahr, die Bilder und Symbole der Apokalypse zu vermaterialisieren und rein irdisch zu deuten, indem man sie in einer zu beschränkten Art auf bestimmte Zeitereignisse bezieht. Dies ist ja auch zu allen Zeiten immer wieder geschehen. Erst wenn man durch die Zeichen und Bilder die geistigen Urbilder als Quellkräfte erkennt, werden die Vorgänge transparent, und man blickt in die geistigen Weltenkräfte, die in einem gigantischen Kampf um den Menschen miteinander ringen. Es liegt im Wesen der Symbolsprache, dass sie den Menschen erhebt zu verschiedenen Bewusstseinsstufen. Die 1. Stufe wendet sich an das gegenständliche Bewusstsein, das dem heutigen Menschen in seinem Alltagsbewusstsein eignet. Es wird durch die sieben Sendschreiben des Presbyters36 Johannes angesprochen, der sich damit an die sieben christlichen Gemeinden in Kleinasien wendet. Aber über diesen sieben Sendschreiben erstrahlt ein Bild: Es sind die sieben Sterne in der Hand des „Menschensohnes“ und die sieben goldenen Leuchter. Die sieben Sterne sind die Engel der sieben Gemeinden, und die sieben Leuchter sind die sieben Gemeinden. (Off. 1,20) Stern und Leuchter: das sind die beiden Ursymbole, die uns den Weg hier weisen können. Mit diesen Symbolen werden wir nicht nur auf die einzelnen Menschen dieser christlichen 34

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Vgl. R. Steiner: „Die Theosophie des Rosenkreuzers“: ... manches kann nur innerhalb der Schulung selbst von Mensch zu Mensch gegeben werden, doch muss man sich einen Begrif davon machen, was die Schulung dem Menschen gibt. Sie hat wiederum sieben Stufen, doch nicht nacheinander; es kommt dabei auf die Individualität des Schülers an. Der Lehrer gibt das an, was ihm geeignet erscheint für seinen Schüler, und vieles andere tritt noch dazu, das sich der äußeren Erörterung entzieht. Die sieben Stufen sind folgende: 1. Studium, 2. Imaginative Erkenntnis, 3. Inspirierte Erkenntnis oder Lesen der okkulten Schrift... Die dritte Stufe ist das Lesen der okkulten Schrift, das heißt, nicht nur einzelne Bilder sehen, sondern das Verhältnis dieser verschiedenen Bilder auf sich wirken lassen. Das wird zu dem, was man okkulte Schrift nennt. Man beginnt die Kraftlinien, die schöpferisch durch die Welt gehen, durch die Imagination zu gewissen Figuren und Farbengestaltungen zu ordnen. Man lernt einen inneren Zusammenhang, der in jenen Figuren ausgedrückt ist, empfinden: das wirkt als der geistige Ton, als die Sphärenharmonie, denn jene Figuren sind den wahren Weltverhältnissen nachgebildet. Unsere Schrift ist ein letzter dekadenter Rest dieser alten okkulten Schrift und ihr nachgebildet. [GA 99, S. 158 und 162] Latein für „unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit“. Griechisch Presbýteros, eigentlich „Älterer“, in der Bibel: Inhaber eines kirchlichen Leitungsamtes.

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Gemeinden hingewiesen, sondern auf die Engel, die sie als Gruppengeister führen. 37 Das ist wichtig. Wir haben es schon hier mit den Grundlagen einer sich entwickelnden ChristusGemeinschaft zu tun, die von dem Christusengel als Führergeist überstrahlt wird! Das Licht, das als Genius jeden Menschen überstrahlt, wie man es in der Antike über dem Haupt des Menschen als Stern abbildete, es hat sich hier zu einer höheren Stufe vermählt, indem es sich dem Christus-Engel unterstellt hat. Man kann, wenn man auf dieses Motiv aufmerksam geworden ist, die weitere Entwicklung dieses Motivs durch die ganze Apokalypse verfolgen. Denn sie ist darauf aufgebaut. Die 2. Bewusstseinsstufe spiegelt sich in den sieben Siegeln. In früheren Zeiten pflegte man einen Brief mit einem Petschaft38 zu versiegeln, damit der Inhalt geheim bliebe, bis der Empfänger das Siegel eröffnen und den Brief lesen kann. Dies Bild ist ein wirksames Symbol für alles, was wir während unseres Erdenlebens in das Buch unseres Lebens hineinschreiben. Alle Sinneseindrücke, alle Freuden und Leiden, alles, was wir uns errungen haben an Fähigkeiten, wird eingetragen in dies Buch unserer Seele und wird erst nach dem Tode entsiegelt. Da zeigt es sich, welche Lebensfrüchte wir auf Erden aufgenommen haben. – Doch nur diejenigen Lebensfrüchte sind bleibend, welche das Siegel des Christusgeistes tragen. Denn dieser hat die Macht, das Vergängliche zum Unvergänglichen umzuwandeln. Ist es doch das Ziel unserer Erdenleben, die Erde zu vergeistigen und alle Erdenschlacken in unserer Seele im Schmelztiegel dieses Feuers zu läutern. Was so der Mensch nach jedem Tode an bleibenden Lebensfrüchten aus seinem „Lebensbuch“ entsiegelt, das vollzieht sich für die ganze Menschheit, wenn die physische Erde in eine ätherische Daseinsform übergeht. Dann soll der Mensch die nächste Bewusstseinsstufe erlangt haben, durch die er ohne sein physisches Gehirn ein IchBewusstsein entfalten kann. Man nennt diese Bewusstseinsstufe das imaginative oder BilderBewusstsein, in welchem der Mensch einst in traumhafter Art die Mythenbilder erlebte. Jetzt soll er sich in vergeistigter Art bewusst dazu erheben. Wiederum steht vor dem Seher ein großes Bild, das auf diesen Übergang deutet, der sich nach geisteswissenschaftlicher Zeitengliederung am Ende der 7. Kulturperiode39 der nachatlantischen40 Zeit abspielen wird, wenn die Erde die in ihr verborgenen ätherischen Bildekräfte offenbart. Darin sind alle Taten und Ereignisse eingezeichnet. Es ist das „Lebensbuch“, das nur von der Wandlungsmacht des Christusgeistes „entsiegelt“ werden kann. Und wiederum sehen wir, wie den vergeistigten Kräften die retardierenden 41 gegenüberstehen, welche dem neuen Impuls widerstrebten und sich nun in ihrer Zerstörungskraft zeigen. Es sind die vier apokalyptischen Reiter, welche in bildhafter Form

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Jede Menschengemeinschaft, gleichgültig auf welche Art ihre Glieder miteinander verbunden sind (durch Ethnie, Verwandtschaft, Sprache, Ideale, Weltanschauung, Unternehmungen), wird von einem Engelwesen aus der Hierarchie der Erzengel begleitet, daher die Bezeichnung „Gruppen“-Geist. Ein Stempel aus hartem Material. Eine Übersicht zu den Kulturperioden findet sich in Abb. 2 am Ende des ersten Kapitels. Das gegenwärtige Erdzeitalter. Diesem Voraus ging das atlantische Zeitalter, in welcher die fortschrittlichste menschliche Zivilisation auf dem durch eine Flutkatastrophe untergegangenen atlantischen Kontinent beheimatet war. d. h. „verzögernd, verlangsamend, hemmend“.

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auf die im alten Gattungsblut stehengebliebenen Menschheitskräfte hinweisen. Jetzt offenbaren sie sich in ihrer ganzen Zerstörungskraft. Erst das 5. Siegel enthüllt die „Menschen in weißen Kleidern“, die den neuen Wandlungsimpuls in sich aufgenommen haben. Es sind diejenigen, welche sich geopfert haben, um dem Christusimpuls zum Siege zu verhelfen (Off. 6,9-11). So erscheinen hier auf der zweiten Bewusstseinsstufe die Bilder und Gegenbilder der aus dem Wandlungsimpuls hervorgehenden Menschheitsfrüchte des Christusimpulses. Die ganze Macht dieses Wandlungsimpulses zeigt sich erst auf der 3. Bewusstseinsstufe im Bilde der sieben Posaunen. Vorbereitet wird diese neue Stufe durch eine große Stille im Himmel, wo ein übersinnlicher Kultus zelebriert wird. Ein grandioses Bild erscheint: Feuer vom himmlischen Altar wird den sieben posaunenblasenden Engeln gegeben, damit sie es auf die Erde fallen lassen wie einen Meteorregen, der ein Drittel aller Wachstumskräfte vernichtet. Und da geschahen Stimmen und Donner und Erdbeben. (8,5) Gott spricht zunächst mit leiser Stimme, wie es im Alten Testament heißt. Er ermahnt und weist die Menschen durch geheime Zeichen und Winke. Wenn die Menschheit diese Warnungstafeln aber übersieht, überhört und dafür taub bleibt, dann spricht die Gottheit durch Donner und Erdbeben! Wie vom Posaunenschall die Mauern von Jericho fielen, so werden die harten Mauern unserer Kultur gesprengt, um das Gotteswort zu vernehmen. – Das michaelische Motiv hebt hier seinen Posaunenklang an. Denn nun tritt der starke Engel, der vor der Sonne steht, selbst auf den Plan der Weltgeschichte: er kämpft mit dem Drachen, der zur Erde herniedergestürzt wird, sodass die Aussicht zum Himmel, zur geistigen Welt, frei wird. Jetzt muss die Menschheit selbst eintreten in den Kampf wider die Drachenmächte. Es ist der große Übergang zur Geburt des Christusimpulses in jeder Seele. Er erscheint als Kind, das zunächst zu Gottes Thron entrückt wird, bis er reif geworden ist, im Menschen selbst gegen die Drachenmächte zu kämpfen (Off. 12,5). Die Wandlungsmacht hat jetzt das Ich ergriffen, das sich in den Schauplatz des Kampfes zwischen Christus und Ahriman42 hineingestellt sieht. Diejenigen, die in diesem Kampf neutral bleiben wollen, werden „ausgespieen“, da sie ihr Menschsein verspielt haben! Mit den Posaunenklängen erhebt sich der Apokalyptiker zur Stufe der Inspiration, sowie die Siegel die im Lebensbuch versiegelten Bilder der Imagination enthüllen. Darin drückt sich der Grundzug dieser Offenbarung aus: Denn Apokalypse bedeutet die „Enthüllung“ der verborgenen Lebensschrift der geistigen Welt. Und wiederum kündigt sich jetzt bei der 5. Posaune die große Entscheidung an, da die Fünf im mystischen Zahlenwert die Rolle der Entscheidung zwischen Gut und Böse spielt: Der Brunnen des Abgrunds öffnet sich, und aus dem Brunnen steigt der Rauch wie eines großen Ofens empor, der das Licht der Sonne verfinstert. Und aus dem Rauch kamen Heuschrecken auf die Erde, denen Macht gegeben war, die Menschen zu peinigen, die nicht das Siegel Gottes an ihren Stirnen tragen. (Off. 9, 34) Wer aber öffnet den Brunnen des Abgrunds? – Hier sehen wir, wie alle bisherigen kosmischen Verhältnisse der Weltenordnung sich umkehren. Kam bis jetzt „alles Gute von oben“, so fällt jetzt durch den fünften posaunenblasenden Engel ein Stern zur Erde herab, dem Macht verliehen wird, den Brunnen des Abgrunds zu öffnen. 42

Im Neuen Testament wird diese Wesenheit „Satan“ oder „Fürst dieser Welt“ genannt. Vgl. hierzu auch Fußnote Error: Reference source not found.

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Die Weltenordnung scheint sich verkehrt zu haben. Der Himmel beginnt zu sprechen, er öffnet sich und sendet furchterregende, zerstörerische Kräfte zur Erde hernieder. Wurde zuerst ein Drittel der Lebenskräfte vernichtet, so wendet sich jetzt die Zerstörung nach innen: die Menschen selbst, die nicht das Siegel des Geistes an sich tragen, werden den Zerstörungskräften ausgesetzt. Wir verstehen diese Bilder nur richtig, wenn wir uns das Wesen dieser „Enthüllung“ der bisherigen verborgenen göttlichen Kräfte zum Bewusstsein bringen. Dies geht besonders aus den Bildern der 4. Stufe, den sogenannten Zornesschalen, hervor. Es sind die letzten sieben Engel, welche die Erde heimholen und ernten. Denn mit ihnen ist vollendet der Zorn Gottes. (5,1) Der Zorn Gottes! In San Marco in Venedig findet sich ein Christusbild in byzantinischem Stil. 43 Wer es zuerst erblickt, kann erschrecken vor dem ernsten, richtenden Blick. Er scheint alles abzuweisen, was dem göttlichen Schicksalswillen nicht standzuhalten vermag. Vor dem kosmischen Ernst in seiner unerbittlichen Strenge muss alles zurückweichen, was am irdisch-vergänglichen Scheine haftet und das Licht scheut, weil es sich fürchtet, dass seine Werke am Licht offenbar werden: Das aber ist das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht; denn ihre Werke waren böse. Wer Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht an das Licht, damit seine Werke nicht enthüllt werden. (Joh. 3,1920) Damit ist das Wesen dieser Enthüllung bereits ausgesprochen. Nicht die Gottheit tritt als strafender Weltenrichter dem Menschen entgegen, sondern der Mensch selbst erlebt im Angesicht der göttlichen Welt seine Nichtigkeit, seine Bosheit und Verworfenheit und verhärtet und verschließt sich in seiner Egoität; oder er öffnet seine Seele, in der der Funke des göttlichen Lichtes glimmt, dem göttlichen Christuslicht, um sich mit ihm zu vereinigen. Es ist ein Gericht, das in den Seelen selbst sich abspielt: Wenn jemand mein Wort hört und sich nicht daran hält, dann richte ich ihn nicht; denn ich bin nicht gekommen, um die Welt zu richten, sondern um sie zu heilen. Wer mich von sich stößt und meine Worte nicht aufnimmt, der hat schon seinen Richter gefunden. Das Wort, das ich gesprochen habe, wird selbst sein Richter sein am Ende der Zeiten. (Joh. 12,47-48) Von diesem Aspekt müssen die Zornesschalen gesehen und erlebt werden: Es sind zugleich die Schalen der göttlichen Liebe. Die Liebe Gottes verwandelt sich für den in den göttlichen Zorn und wird ihm zum Gericht, der sich mit der Finsternis verbündet hat. In zwei großen Bildern spricht sich die Entscheidung und die Krise aus: im Bilde der „Hure Babylon“ und im Bilde des „Himmlischen Jerusalem“, das sich von oben niedersenkt, um die letzte große Transsubstantiation einzuleiten, welche die Erde in den Jupiterzustand vergeistigt. In diesem Bilde vollzieht sich die „Hochzeit des Lammes“ mit der Seelenbraut; es ist das Bild für die Einweihung und Vollendung. In dem anderen Bilde spricht sich der „kosmische Ehebruch“ aus: „Unzucht treiben mit der Materie“ heißt, den Geist verraten und sich dem vergänglichen Schein hingeben. Das ist der große Wandlungsimpuls, der durch das ganze göttliche Drama sichtbar wird: Wer überwindet, der wird alles ererben und ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein! (Off. 21,7) 43

Wahrscheinlich ist das Mosaik „Christus pantocrator“, Christus der Allbeherrscher, auf der Apsis aus dem Jahre 1506 gemeint.

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In dieser Art erhebt sich der Seher zur höchsten Bewusstseinsstufe der Intuition, die ihn mit der Gottheit verbindet. Die göttliche Welt senkt sich herab und schüttet ihre Schalen geistig-göttlicher Wesenskräfte hernieder. Sie verbrennen alles Niedere, um es in dem Schmelztiegel der göttlichen Liebe zu läutern und zum Geiste zu erheben. In diesen vier Symbolen der Lichter, Siegel, Posaunen und Opferschalen erfüllt und vollendet sich die große Transsubstantiation der Erdenmenschheit. Wie in dem Grundstein eines solide gebauten Hauses alle Strebepfeiler schon hineingebaut und gleich von Beginn mitveranlagt sind, so enthält das Untergeschoss dieses Menschheitsbaues der Apokalypse bereits alle architektonischen Gliederungen der Menschheitsentwicklung, auf welcher sich der künftige Weltenbau der Zukunft erheben soll. Hier spricht göttliche Weisheit, die in den Weltgedanken begründet ist. – Griechenland scheint bis heute der ideale Boden für die „Urbilderwelt“ zu sein. Jede Landschaft ist getränkt – geadelt oder verflucht – durch ihre Vergangenheit, die sich in der Welt der griechischen Sagen ausspricht. Jeder Berg, jede Talschlucht, jede Meerenge wie der Isthmus von Korinth ist umweht von einem Hauch, der den heroischen Gestalten der griechischen Sagenwelt entströmt. Welche Tragik lastet noch heute um die Stätten von Mykene und Tirnys! Etwas Urgewaltiges beherrscht die gigantische, wild zerrissene Landschaft! Man kann sich des Eindruckes des Unheimlichen nicht erwehren, der einen in Bann hält. – Diese „Urbildhaftigkeit“ beherrscht die griechische Landschaft um Athen, in Cap-Sunion, in Delphi mit seinem terrassenhaften Ausbau in seiner Höhenlage, die bis zum Meer die ganze Landschaft wie eine erklingende Symphonie beherrscht. Und dann Olympia mit dem Kronoshügel! Haben sich in dieser Landschaft die mythischen Heroengestalten der Vergangenheit so tief eingegraben, so fühlen wir auch den Wind, der aus den Weiten der Zukunft hereinweht, wie in Ephesus44. Hier war die Stätte des greisen Presbyters Johannes, von dem erzählt wird, er wäre über 100 Jahre alt geworden, und als er sein Erdenende herannahen fühlte, habe er sich von seinen Gemeindekindern mit den Worten verabschiedet Liebet euch, Kindlein! und sei in ein selbst geschaufeltes Grab in der Kirche gestiegen 45 – als Zeichen, 44 45

Griechisch Ephesos, in der Nähe des türkischen Aydın am Ägäischen Meer. Die mittelalterliche „Legenda Aurea“ erzählt über Johannes den Evangelisten: Der selige Johannes – der, wie Hieronymus bezeugt, bis zum höchsten Alter in Ephesus weilte und gerade noch von seinen Jüngern gestützt zur Kirche gebracht werden und nicht mehr viel sprechen konnte – sprach bei jeder Rast: „Kindlein, liebet einander.“ Die Brüder jedoch, die mit ihm gingen, wunderten sich, dass er immer dasselbe sagte, und sprachen zu ihm: „Meister, warum sagst du immer dasselbe?“ Er antwortete: „Weil so das Gebot des Herrn lautet, und wenn jemand das tut, genügt es [um gerettet zu werden]“... Als er nun 98 Jahre zählte ..., da erschien ihm der Herr mit seinen Jüngern und sprach: „Komm, mein Geliebter, zu mir, denn es ist Zeit, dass du an meinem Tisch mit deinen Brüdern speisest“. Johannes erhob sich und begann zu gehen. Da sprach der Herr zu ihm: „Am Sonntag sollst du zu mir kommen.“ Am Sonntag kam alles Volk in der Kirche zusammen, die in seinem Namen erbaut war. Vom ersten Hahnenschrei an predigte er ihnen und ermahnte sie, fest im Glauben zu sein und für die Gebote des Herrn zu glühen. Danach ließ er beim Altar eine viereckige Grube machen und die Erde vor die Kirche bringen; und während er mit zum Herrn ausgebreiteten Händen in die Grube hinabstieg, sprach er: „Siehe, als Geladener zu deinem Gastmahl, Herr Jesu Christe, komme ich und danke, dass du mich erwürdigt hast, mich zu deiner Speise einzuladen, wissend, dass ich mich von ganzem Herzen nach dir gesehnt habe.“ Und als er seine Rede beendet hatte, erschien über ihm ein so helles Licht, dass niemand auf ihn achten konnte. Als sich das Licht zurückzog, wurde die Grube voller Manna gefunden, das bis heute an jenem Orte entspringt, sodass am Grund der

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dass er den Tod überwunden hatte und über ihn gebieten konnte, er, der Lieblingsjünger des Herrn, der, von ihm erweckt, im Felsgrab von Bethanien den Tod schon besiegt hatte 46, weshalb ihm Gift und Marter nichts mehr anhaben konnten (s. u.). Man muss sich diese Kulisse ins Gedächtnis rufen, um das Besondere, ja Einmalige dieser Landschaft vor die Seele zu stellen, die ausersehen war, die historische Stätte zu bilden für diese Menschheitsschau, wie sie der greise Johannes auf der Insel Pathmos, wohin er verbannt war, in der „Offenbarung Johannis“ niedergeschrieben hat. So wie es in „der Mitte der Zeiten“ geschah, im 2. nachchristlichen Jahrhundert, so entstand die apokalyptische Schau auch in der geographischen Mitte, zwischen Europa und Asien, sodass sich die Schau der östlichen Bilderwelt verband mit dem zum Licht sich ringenden Gedanken. Eine wahrhaft griechische Frucht der aus dem Mutterschoß der imaginativen Schau entstehenden christlichen Gedankeninspiration! Dies alles wirkte mit, um dieses dramatische, vom Atem der Zukunft durchpulste Gemälde ins Dasein treten zu lassen. Emil Bock gibt ein charakteristisches Bild von der geographischen Lage der sieben christlichen Gemeinden, die im Kreise um Ephesus liegen, der Heimat der Logosmysterien, die im 5. vorchristlichen Jahrhundert von Heraklit in Ephesus gepflegt wurden, [7] wohin sich der Evangelist Johannes zurückgezogen hatte – gleichsam die Weltenstunde abwartend bis zur Wiederkehr seines Herrn! Wenn ich will, dass er bleibe bis ich komme, so stört das deine Wege nicht, (Joh. 21,22) sagte der Auferstandene bei seiner Erscheinung am See bei Tiberias zu Petrus, als dieser ihn nach der Mission des Lieblingsjüngers fragte. Johannes ist in der Tat nie nach Rom gekommen, wie auch das johanneïsche Christentum vor den Pforten Roms halt machte. Vor den Mauern Roms steht ein kleiner Rundtempel zur Erinnerung an das Martyrium des Johannes. Er soll dort von den römischen Soldaten, die ihn nach Rom schleppten, in ein Gefäß mit kochendem Öl geworfen worden sein. Doch konnte ihm das Öl nichts anhaben,

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Grube verfeinerter Sand hervorgebracht zu werden scheint wie er an Quellen zu entstehen pflegt. [Kapitel 6, Verse 9 und 11] Rudolf Steiner setzt Johannes – den „Jünger, den der Herr lieb hatte“ (Joh. 21,7) – und den von Jesus auferweckten Lazarus aus dem 11. Kapitel des Johannesevangeliums gleich (von diesem unterschieden wird Johannes Zebedäus, der Bruder des Jakobus). Der Jünger Johannes wird im ganzen Johannesevangelium nirgends genannt. Von ihm heißt es nur: „Der Jünger, den der Herr lieb hatte“ [Joh. 19,26]. Dies ist ein technischer Ausdruck und bezeichnet denjenigen, der vom Meister selber eingeweiht wurde. Johannes beschreibt seine eigene Einweihung in der Auferweckung des Lazarus [Joh. 11]. Nur dadurch können die geheimsten Beziehungen des Christus zur Weltentwicklung ofenbar werden, dass der Schreiber des Johannesevangeliums vom Herrn selber eingeweiht worden ist... Auch von Lazarus heißt es, dass Christus ihn lieb hatte (Joh. 11, 3, 35 und 36). Dies ist wieder der technische Ausdruck für den Lieblingsschüler. Während der Körper des Lazarus wie tot im Grabe lag, wurde sein Ätherleib herausgeholt, um die Einweihung durchzumachen und dieselbe Kraft zu empfangen, die in Christus ist. [GA 100, S. 240 f.]

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so wenig wie das Gift, das man ihm kredenzte. 47 Er kehrte nach Ephesus zurück, wo auch die Mutter Jesu gestorben sein soll.

Ephesus war die Stadt am Meere. Eine wunderbar weit sich rundende Bucht trug den Atem der Weite heran. Seit Jahrhunderten ist der heute ganz still und unscheinbar gewordene Platz durch angeschwemmtes Land weit von der Küste entfernt. Aber immer noch lässt die Landschaft die große Naturarena des alten Ephesus, im Kreise um den Burgberg gelagert, deutlich erkennen. Zur Zeit des Urchristentums lag über Ephesus wie über keiner anderen Stadt der Johannesgemeinden immer noch die Sonne Homers. In der gleichen Landschaft, in der das Johannesevangelium niedergeschrieben worden ist, sind tausend Jahre vorher die Homerischen Schriften entstanden. In aller Vordergründigkeit der in urchristlicher Zeit großen und belebten Zeit schwang aus dem Hintergrunde mit, was als ihre Seele empfunden wurde: die Ausstrahlung der Mysterienstätte im Bereich des, wenn auch oft zerstörten, so doch uralten Artemis-Diana-Tempels. Das Wunder der griechischen Sonnenüberglänztheit vereinigte sich hier mit dem nachklingenden Glanz uralter Weisheit. Um nach Smyrna zu kommen, müssen wir auf dem Meere um die Vorgebirge herum nach nordwärts fahren. Smyrna liegt gleicherweise an der Meeresküste, aber es hat nicht teil an der Sonnennähe von Ephesus. Ein ernster, dunkler Schatten fällt in die Stadt, der sich äußerlich symbolisiert in harten, schwarzen Gebirgen, die sich gleich hinter der Stadt auftürmen und mit ihrer Steilheit nicht erlauben, dass helle, grünende Flächen das Leben der Menschen einbetten wie in Ephesus. In allen Epochen der Geschichte ist die Stadt immer wieder bis auf den Grund zerstört worden. So gibt es von dem Smyrna der urchristlichen Zeit keinerlei Reste. Die ernste Betriebsamkeit einer großen Handelsstadt deutet die kämpferische Mühe an, die alle Zeit von den dort lebenden Menschen aufgebracht werden musste. Um zu dem Ort der dritten Gemeinde, Pergamon, zu gelangen, müssen wir uns weiter nach Norden wenden, aber nun zugleich einen Bogen landeinwärts nach Osten schlagen. Auf weitschauender, majestätischer Höhe lag dicht gedrängt um den Burgund Tempelberg herum die Stadt, die durch ihre Tempelbauten den Charakter konzentrierter Größe erhielt. Die kleine christliche Gemeinde musste ihr stilles Leben inmitten einer magisch-kultischen Umgebung führen. Nach Thyatira geht der Weg landeinwärts weiter, und wir gelangen so recht auf die Hochebene Kleinasiens. Die Landschaft ist nicht mehr so theatralisch abwechslungsreich wie in der Nähe der Küste. Das Milieu ist menschlicher und gegenwärtiger. Es fällt nicht der Schatten gigantischer Vergangenheiten in sie herein. Um zu den anderen Gemeinden nach Sardes, Philadelphia und Laodizäa zu kommen, ziehen wir, nachdem wir bisher nordostwärts einen Halbkreis beschrieben haben, südwestwärts einen weiteren Halbkreis, sodass sich die johanneïsche Reise durch die sieben Gemeinden andeutungsweise zu einem Kreise ausgestaltet. Insbesondere die letzten Stationen versetzen uns in eine charakteristisch-rätselvolle Landschaft. 47

Laut der Legenda Aurea stieg Johannes unbeschadet aus dem Fass mit siedendem Öl, in das ihn Kaiser Domitian vor der Porta Latina im Rom hatte werfen lassen; daraufhin wurde Johannes nach Pathmos verbannt. Später sollte Johannes vor dem Hohenpriester des Dianatempels in Ephesus, Artemidorus, seinen Glauben beweisen. Artemidorus ließ ihn zusehen, wie zwei zum Tode Verurteilte einen Giftbecher austranken und starben; dann leerte Johannes selbst seinen Becher. Er blieb nicht nur unbeschadet, sondern hieß auch noch den Statthalter, die beiden Toten wieder aufzuerwecken, indem er sprechen sollte: Der Gesandte Christi sendet mich zu euch, auf dass ihr in Christi Namen auferstehet. [Kapitel 6, Verse 1 und 5]

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Laodizäa lag ganz nahe bei Kolossä (oder Kolossai), wohin der Kolosser-Brief des Apostels Paulus gerichtet war. Im Kolosser-Brief fordert Paulus die beiden Gemeinden auf, die an sie gerichteten Briefe auszutauschen. Nicht weit entfernt von den beiden Städten war das alte Hierapolis, das eine überaus wichtige religionsgeschichtliche Rolle gespielt hat. Es gab dort eine der berühmtesten Orakelstätten der alten Welt: eine tief in das Innere der Felsenberge eindringende Grotte, das Plutonion. Eine Stimmung des Unheimlichen, der Schauer eines Schreckens, ging von dieser unterirdischen Felsenhöhle aus. Man wusste, dass sie sich aus dem Erdinneren immer neu mit giftigen Gasen anfüllte und dass, wer in sie eintreten würde, des Todes sein musste. Trotzdem oder gerade deswegen barg der höllische Platz ein Heiligtum. Es war die Wohnstätte Plutos, des Gottes der Unterwelt; und durch Kybele-Priester wurde dort ein rätselhafter Kultus verrichtet. Diese müssen sich dabei früher technischer Erfindungen bedient haben, durch die sie sich gegen die tödlichen Wirkungen der unterirdischen Gase und Dämpfe schützten. So gelang es ihnen, sich durch die dem Erinnern entströmenden Kräfte in einen pythisch-somnambulen Zustand versetzen zu lassen, in welchem sie imstande waren, Götterantworten auf Menschenfragen als Orakel auszusprechen. Die äußere Landschaft um dieses unheimliche unterirdische Delphi herum entsprach über weite Strecken hin dem Todesschauer der Erdentiefen. Bei den Städten Hierapolis, Laodizea und Kolossä gibt es Gegenden, wo die Erdoberfläche wie eine nach außen gestülpte Tropfsteinhöhle ist. In alten Zeiten müssen hier heiße Quellen mit starken mineralischen Beimischungen aus dem Erdinnern hervorgekommen sein und die Landschaft überrieselt haben, sodass durch Übersinterung48 ein porzellan- oder glasartiger Überzug entstand. Und wie es in Tropfsteinhöhlen die herunterhängenden Zapfen gibt, so ragen dort aus den gläsernen Bodenformationen phantastische nadelartige Felsenspitzen empor, die sich aus den einst dort hervorsprudelnden mineralischen Gewässern abgelagert und herauskristallisiert haben. Ein Landschaftsbild entsteht, als wäre man auf einen fremden erstorbenen Planeten versetzt. Alles grünende, fruchtbare Leben, das immer noch einen Nachklang des Paradiesgartens enthält, ist von unterirdischen Todesstrahlungen beiseite gedrängt. Ein rechter Gegensatz zur Welt von Ephesus entsteht. Dort am Meer ist alles noch wie von Götterträumen und Nachklängen ursprünglicher paradiesischer Harmonien und Gottverbundenheiten überglänzt. Hier im Innern von Kleinasien treten Hadesgewalten offen an den Tag, die alles Leben ersterben lassen. [3] So ersteht ein von der Natur selbst gebildeter und von den geologischen Eigenarten der Landschaft hervorgerufener Kreis, der die sieben christlichen Gemeinden wie eine symbolartige Schrift in die Erde eingegraben hat. Dieser Kreis scheint den Weg der Menschheit zu wiederholen, den sie von der alt-indischen Vorzeit in Asien über die urpersische, ägyptisch-chaldäische49, griechisch-römische Kulturperiode50 genommen hat, der sich dann in der letzten Kulturperiode nicht mehr am Gestade des Meeres, sondern auf dem steinigen Boden der intellektuellen Kultur der Gegenwart erfüllen soll. Das Prinzip 48 49

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d. h. Verkrustung, mineralische Ablagerungen. Das Wort Chaldäer steht für zwei unabhängige antike Völker. Der eine war vom Persischen Golf her in Babylonien eingedrungen und hatte sich mit der dortigen aramäischen Bevölkerung assimiliert; man kann also diese Chaldäer mit „Babylonier“ gleichsetzen. Das Wort Chaldäer wird auch als Synonym zum Worte „Sterndeuter“ verwendet; die Reihenfolge unserer Wochentage, überliefert im Tetrabiblos des Ptolemäus, stammt von ihnen. Siehe dazu im Anhang den Abschnitt „Planetenentwicklung“. Zu den Kulturperioden s. das Ende der ersten Kapitels.

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des „Unterirdischen“, des „Plutonismus“, hat sich ja in der modernen Zivilisation immer stärker ausgebreitet.

In größtem Maßstabe haben die Menschen lernen müssen, mit unterirdischen Kräften, sei es mit Gasen oder mit Elektrizität oder neuerdings mit Atomenergie, zu arbeiten. Eine Art Glasüberzug ist in jeder Landschaft anzutreffen, in welcher die Industrie das Leben der Natur zurückgedrängt hat. Zumal in Laodizäa mag etwas von den Lebensbedingungen und Stimmungen bereits vorausgewirkt haben, wie sie uns Menschen der Gegenwart nötigen, statt in einer paradiesisch-lebensvollen Natur in einer Welt zu leben, die in der mannigfaltigsten Art von den Kräften des Unterirdischen und des Todes durchdrungen ist. [3] So bestätigt uns die natürliche Lage der sieben christlichen Urgemeinden in Klein-Asien ihren symbolischen Charakter, sodass wir in ihm ein Bild der Menschheitsentwicklung in den sieben „nachatlantischen Kulturperioden“ erblicken können. Allerdings würde sich dieser „symbolhafte“ Charakter der einzelnen Gemeinden ohne die Anwesenheit der antiken Tempelstätten kaum so ausgesprochen haben. Noch heute gibt es in Asien solche Stätten, welche den Zauberhauch buddhistischer oder hinduistischer Geistigkeit tragen. Alles, was sich durch diese Mysterienstätten, in denen einstmals die lebendige Zwiesprache mit den übersinnlichen Mächten gepflegt wurde, der Erde eingeprägt hat, das ist noch nach vielen Jahrtausenden in der Aura der Landschaft erhalten geblieben. Dies ist zum Verständnis der Entwicklung des Urchristentums nicht unwesentlich. Peter Bamm lässt diese Welt der antiken Mysterien in seinem Buch „Welten des Glaubens“ vor uns mit folgenden Worten erstehen:

Wir verdanken der Wissenschaft des Spatens die Wiederentdeckung ganzer verschollener Kulturen, die in die Erde versunken gewesen waren. Eine hervorragende Rolle in dieser Entwicklung spielt jener Zweig der Archäologie, der sich mit der Geschichte des hebräischen Volkes und des frühen Christentums befasst... Es hat sich gezeigt, dass das frühe Christentum mit der politischen und geistigen Geschichte der Antike viel enger verbunden gewesen ist, als es die christlichen Quellen erkennen lassen. Die Zuverlässigkeit und Brauchbarkeit dieser Quellen ist bestätigt worden. Das ist insofern wichtig, als damit die Angriffe auf die Glaubwürdigkeit der christlichen Überlieferung in sich zusammengefallen sind. Die Art von Bibelkritik des 19. Jahrhunderts, welche in ihren wilden und unqualifizierten Attacken so viel Erfolg hatte, dass ein Buch mit dem Thema „Hat Jesus wirklich gelebt?“ zu einem Bestseller unserer Großväter werden konnte, ruft heute nur noch jenes wissenschaftliche Lächeln hervor, das, wenn es uns auch sonst zuweilen ärgern mag, hier ein behagliches metaphysisches Vergnügen erzeugt... Zur Zeit der Geburt Christi gab es jüdische Kolonien nicht nur in der ganzen antiken Welt, wie uns der Geschichtsschreiber Strabo ausdrücklich bestätigt, sondern bis weit nach Asien hinein. Die jüdische Diaspora51 hat schon im 8. vorchristlichen Jahrhundert begonnen, zu der Zeit also, als die griechische Stadt Milet an der Küste Anatoliens gerade in ihre erste große Blüte eintrat. König Shalmanaser IV. von Assyrien hat nach der Eroberung des nördlichen Königreiches Israel im Jahre 722 die Besiegten verschleppt und an der Küste des Kaspischen Meeres angesiedelt. Die „Displaced Persons“ dieser Verschleppungsaktion sind die zehn verlorenen Stämme 51

d. h. „Verstreutheit“, gemeint ist Zerstreuung der Juden in fremde Länder, zuerst geschehen um 721 v. Chr., nachdem das Nordreich Israel von den Assyrern erobert wurde. 597 v. Chr. folgt das „babylonische Exil“ durch Nebukadnezar II.

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Israels. Sie sind aus der Weltgeschichte verschwunden. Nach der Eroberung Jerusalems durch König Nebuchadnezar von Babylon im Jahre 587 nahm die Zerstreuung der Juden über die Welt ihren Fortgang. Jüdische Kolonien in China sind vor Alexander dem Großen nachweisbar. Diese jüdischen Kolonien waren die Stützpunkte der ersten Apostel für ihre Arbeit in fremden Ländern. Sie haben für die schnelle Verbreitung des Evangeliums über die Welt schon in der allerersten Zeit eine entscheidende Rolle gespielt. Man muss sich von der Vorstellung lösen, dass das Christentum in seinen Anfängen eine obskure kleine syrische Angelegenheit gewesen sei, der zunächst niemand große Beachtung geschenkt habe. Die Kunde vom Leben und der Lehre Jesu, von seiner Kreuzigung, seiner Wiederauferstehung und seiner Himmelfahrt ist schon nach ganz kurzer Zeit zu allen jüdischen Gemeinden gelangt, die mit Jerusalem durch die Steuer, die jeder gläubige Jude jährlich an den Tempelschatz zu entrichten hatte, in Verbindung standen. Damit waren diese Nachrichten von Anfang an über die ganze antike Welt verbreitet. Die Christenverfolgungen Neros, kaum ein Menschenalter nach Jesu Erdenleben, waren eine Sensation der Zeit. Die Welt, in der die Eroberung der Antike durch das Christentum begann, war das Römische Reich. Es war eine Welt römischer Macht und römischen Rechtes. Aber die Kultur dieses Reiches war griechisch. Nach Beendigung der schrecklichen römischen Bürgerkriege des 1. Jahrhunderts vor Christi Geburt durch Cäsar hatte Augustus der Welt die Pax Romana52, den Römischen Frieden, gebracht. Es ist eine Welt äußerer Sicherheit, wie sie die Menschheit erst am Ende des 11. Jahrhunderts noch einmal erleben sollte. Man reiste ohne Pass und ohne Visum von der Donau zu den Katarakten des Nils, vom Euphrat bis Spanien, von Britannien bis Nordafrika. Nirgends gab es eine Grenze, die den Reisenden aufgehalten hätte. Die Stürme des Mittelmeeres und einige unentwegte Vertreter des Individualismus, die Seeräuber, waren das einzige, was die allgemeine Sicherheit bedrohte. Nur innerhalb dieses Rahmens sind die erstaunlichen Entfernungen, welche die Apostel zurückgelegt haben, überhaupt zu verstehen. Die Sicherheit der Verkehrsverbindungen erstreckte sich sogar noch weit über die Grenzen des Römischen Reiches hinaus. Nicht nur, dass die Heiligen drei Könige aus dem Morgenland gekommen waren, dem Kind im Stall von Bethlehem zu huldigen, um dann sicher in ihre Heimat zurückzukehren – schon einer der ersten Apostel ist in den Fernen Osten gezogen, den Heiden das Heil zu bringen, der Apostel Thomas ist bis Indien und wahrscheinlich sogar bis China gelangt. In einem der apokryphen 53 Bücher des Seth wird von einem Mons Victorialis erzählt, einem Berge des Sieges bei der Stadt Sodola. Hier hätten die drei Weisen das Erscheinen des Sterns von Bethlehem, das ihnen durch eine Prophezeiung Zoroasters geweissagt war, erwartet... So äußerlich der Gesichtspunkt der Sicherheit sein mag, die Pax Romana ist eine Voraussetzung für die Missionsreisen der Apostel gewesen. Zu keinem anderen Zeitpunkt der ganzen Geschichte des Altertums hat es einen Zustand der politischen Verhältnisse gegeben, in der das möglich gewesen wäre, was die Apostel gegen die Mitte des ersten Jahrhunderts an Missionstätigkeit geleistet haben... Dabei ist für die Anfänge der Verbreitung des Christentums die äußerliche Sicherheit des Lebens und Reisens noch nicht einmal das wichtigste gewesen. Weit wichtiger waren die inneren Voraussetzungen. Es ist ein durch die griechische Zivilisation seit Jahrhunderten vorbereitetes Feld, in das die Apostel den Samen der neuen Lehre 52

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der „Römische Friede“, eine Zeit relativen Friedens und minimaler Expansion zwischen etwa 27 v. Chr. und 180 n. Chr. Als apokryph („verborgen“) werden Schriften bezeichnet, die aus verschiedenen Gründen nicht in den Kanon der Bibel aufgenommen wurden.

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gesenkt haben. Auch diese inneren Voraussetzungen beruhen zunächst auf politischen Ereignissen. Dazu kam das geistige Bedürfnis, das als Sehnsucht nach einem neuen religiösen Inhalt die Völker an der Zeitenwende bewegte:

Die ganze damalige Welt ist von geistiger Unruhe und religiöser Erwartung erfüllt. Das unbefriedigte metaphysische Bedürfnis der Menschen wandte sich den aus dem Osten kommenden Mysterien zu. Diese Welt war nicht unvorbereitet darauf, das Mysterium von der Geburt und dem Wandel des Sohnes Gottes auf Erden, seinen menschlichen Tod und seiner göttlichen Himmelfahrt zu vernehmen. Es ist aufschlussreich, dass sich unter den frühen Bekehrungen viele Beispiele finden, dass gerade Menschen von hoher Bildung sich taufen ließen. Auch das ist eine Vorstellung, von der man sich lösen muss, dass das frühe Christentum eine Sache der Armen und der Sklaven, eine Sache der Erniedrigten und der Beleidigten sei. Es gibt nun einmal auf der Welt immer viel mehr arme als reiche Leute. Joseph von Arimathia war ein reicher und frommer Mann. Christus hat nicht den Reichen das Himmelreich ein für allemal verschlossen. Dieses Römische Reich griechischer Kultur, das der neuen Lehre zu erobern die Apostel ausgezogen sind, ist eine Welt gewesen, die sie erwartet hat... Die Historiker lehren uns den Ablauf der Geschichte, ihren (Ablauf) lehrt uns allein die Geschichte selbst. Da die Zeit erfüllet ward ist ein Satz, mit dem Paulus etwas über den Sinn der Geschichte aussagt. Wie ein siebenarmiger Leuchter sein Licht von sieben Kerzen uns zusendet, die sich zu einem großen Lichte vermählen, so entzündet sich das Licht der Menschheitsevolution in den sieben Kulturepochen, die auf den Untergang der Atlantis folgen. Auf diesem Wege schreitet die Menschheit aus einem kindlichen Traumzustand zu einem immer bewussteren Erwachen ihres selbständigen Ich-Bewusstseins, wobei sie die Urflamme ihres Geistbewusstseins aus ihrer Vergangenheit eintauscht für das in jeder Erdenepoche fortschreitende Licht ihres irdischen Bewusstseins. Diese sieben Stufen der nachatlantischen Kulturperioden sind eingerahmt von zwei großen Katastrophen. Die erste ist die atlantische Flut, welche die alte Atlantis zerstörte; die zweite ist die Menschheitskatastrophe des „Krieges aller gegen alle“, welche diesem Zeitalter der nachatlantischen Entwicklung mit seinen sieben Unterabteilungen ein Ende bereitet. Wir selbst leben gegenwärtig in der 5. nachatlantischen Kulturperiode. In der Apokalypse stehen die sieben Sendschreiben des Johannes an die christlichen Gemeinden gleichsam stellvertretend für die nachatlantischen Kulturen. Wenn Johannes sich im ersten Sendschreiben an die Gemeinde von Ephesus wendet, so steht vor seinem geistigen Auge, dass in Ephesus eine Gemeinde lebt, die zwar das Christentum angenommen hatte, aber noch stark gefärbt war von der alt-indischen Kultur. In dieser Art repräsentiert die erste Epoche der nachatlantischen Zeit die ephesische Gemeinde. In dieser christlichen Gemeinde haben wir noch ein Vermächtnis der altindischen Kultur. Darauf wird in jedem Sendschreiben hingewiesen. Ihr seid so und habt das Gute entwickelt, aber das andere muss verwandelt werden:

Der Apokalyptiker denkt sich: In Ephesus ist eine Gemeinde, eine Kirche, sie hat das Christentum angenommen, aber sie zeigt das Christentum in einer Färbung, wie die erste Kulturepoche, die noch fremd war dem äußeren Leben, nicht von Liebe erfüllt für das, was die eigentliche Aufgabe ist des nachatlantischen Menschen. Dass sie die 33

Anbetung der groben Sinnlichkeit verlassen hat, dass sie sich gewandt hat zum geistigen Leben..., das gefalle ihm an ihr. [8] Bedenkt man, dass in Ephesus die große Diana verehrt wurde, so versteht man die hohe Spiritualität dieser Stätte in ihrer Hinwendung zum Geistigen. Aber ich habe wider dich, dass du die erste Liebe verlassen hast! (Off. 2,4) Es ist die Liebe zum Irdischen, um die Erde als Acker zu betrachten, der bebaut werden muss. „Aber das hast du, dass du die Werke der Nikolaiten (eine Sekte, die gleich den Epikuräern die Sinneslust pflegte) hassest, welche auch ich hasse. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt: Wer überwindet, dem will ich zu essen geben vom Baume des Lebens, der im Paradiese Gottes steht.“ (Off. 2, 6) Die im Schatten der Logosmysterien ihre christlichen Keime entfaltende Gemeinde von Ephesus ist dem Paradiese noch nah. So verbindet sie das Vermächtnis der Vergangenheit mit dem Ziele der Erdenentwicklung, die Vision des himmlischen Jerusalems mit dem Baum des Lebens im Paradies. Wichtig sind die Symbole, welche jeder Gemeinde beigefügt sind, das heißt den Engeln der Gemeinden als deren Führergeistern. So heißt es bei der Gemeinde von Ephesus: „Das sagt, der da hält die sieben Sterne in seiner Rechten, der da wandelt mitten unter den sieben goldenen Leuchtern...“ (Off. 2,1) Die sieben Sterne sind die Symbole für die sieben höheren geistigen Wesenheiten, welche die Führer sind der Kulturepochen.54 Durch das zweite Sendschreiben an die Gemeinde Smyrna offenbart sich das Ringen der urpersischen Kulturperiode, die unter der Führung des Ur-Zarathustra stand (um 6000 vor Christus)55. Es ist der Kampf mit der äußeren Materie, in welche die zweite nachatlantische Kultur hinabgestiegen war, dass sie als erste die Erde als Acker, den der Gott des Lichtes, Ormuzd56, ihr gegeben, im Kampf gegen den finsteren Ahriman 57, zu bearbeiten begann. 54

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Jede Kulturepoche wird von einem Engelwesen aus der Hierarchie der Archai (Aρχαιό, sprich: arCHAI) geleitet, das darüber wacht, dass ihr Entwicklungsziel erreicht wird. Zu den Hierarchien siehe Abb. 4 und im Anhang den Abschnitt „Engelhierarchien“. Die Anthroposophie unterscheidet diesen vorhistorischen „Ur-Zarathustra“ von einer viel später lebenden Persönlichkeit gleichen Namens. Allerdings machen zwar gewisse neuere Forschungen den Zarathustra zu einem Zeitgenossen des Buddha, sodass er also etwa sechs oder sechseinhalb Jahrhunderte vor der Erscheinung des Christentums auf die Erde zu versetzen wäre. Allein hier ist die bemerkenswerte Tatsache zu verzeichnen, dass die Forschung auch in den letzten Jahren, indem sie aufmerksam alles verfolgt hat, was an Überlieferungen über Zarathustra vorhanden ist, darauf hat hinweisen müssen, dass doch diejenige Persönlichkeit, die sich hinter dem Namen des Zarathustra, des alten persischen Religionsstifters, verbirgt, viele, viele Jahrhunderte vor den Buddha zu setzen ist. Griechische Geschichtsschreiber weisen immer wieder und wieder darauf hin, dass man Zarathustra hinaufzuversetzen hat weit – etwa fünf- bis sechstausend Jahre weit in die Zeit vor dem Trojanischen Krieg. [GA 60] Altpersisch: Ahura Mazdao (sprich: A-hu-ra MAS-då), „große Sonnenaura“, das ist der weisheitsvolle Astralleib der Sonne. In diesem erkannte Zarathustra den zur Erde herabsteigenden Christus. Altpersisch: Angra Manyu (sprich: ANG-gra MAN-ju), mittelpersisch: Ahriman – der Geist der Finsternis, welchem die Lichtgottheit Ahura Mazdao entgegengesetzt ist. (Er ist nicht zu verwechseln mit „Luzifer“, dem gefallenen „Licht-Träger.“)

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Die Besiegung der bösen Gottheit leuchtet als Ziel hier auf, um sich wieder zu vereinigen mit der Licht-Gottheit. Ich bin der Erste und der Letzte, der da ist und der da war und der da kommt, der wieder lebendig geworden ist. (Off. 2,8) Damit ist die Aufgabe der zweiten nachatlantischen Kultur ausgesprochen: das Tote zu durchgeistigen und nicht darin unterzugehen. Sonst müsste der Mensch dem „zweiten Tod“58 verfallen. Gerade durch die Arbeit an der Erde wird er gerettet vor dem „zweiten Tod“. Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt: Wer überwindet, dem soll kein Leid geschehen von dem zweiten Tod. (Off. 2, 10-11) Je mehr sich die Menschheit verbindet mit den Erdenkräften, je mehr sie sich dem IchErwachen in der vierten Periode nähert, umso kritischer und krisenhafter, umso strenger werden die Prüfungen, welchen der Einzelne ausgesetzt ist. Deshalb überleuchtet jede Gemeinde das Licht, das der Führergeist von Christus empfängt, um die Gemeinden durch die Prüfungen über den Abgrund zu führen. Das dritte Sendschreiben an Pergamus spiegelt die ägyptisch-babylonisch-assyrische Kulturepoche wider, in der die „Sternenschrift“ sich entwickelte. Die Erforschung des Äußeren durch das Wort, wie es in dieser Kulturperiode in der Astronomie, Astrologie und Geometrie geschah, nannte man das „zweischneidige Schwert“, das die Gewalt dieser Epoche versinnbildlicht. Es ist das Hermes-Wort der alten okkulten Weisheit, die nach den Sternenbahnen die Naturkräfte beherrschte, Saat und Ernte bestimmte sowie die Staatsereignisse.

Wenn sie noch in jener alten Form gewonnen wird, ist sie wirklich ein sehr zweischneidiges Schwert. Da steht die Weisheit hart an der Kante zwischen dem, was weiße und was schwarze Magie ist; zwischen dem, was in die Seligkeiten führt und dem, was ins Verderben mündet. Deshalb sagt er, dass er wohl weiß, dass da, wo die Repräsentanten dieser Epoche wohnen, auch des Satans Stuhl ist. Und die Lehre Bileams ist keine andere als die Lehre der schwarzen Zauberer, denn das ist die Lehre der Volksverschlinger. Die Volksverschlinger, die Volkszerstörer sind die schwarzen Magier, die nur im Dienste ihrer eigenen Persönlichkeit arbeiten und daher alle Gemeinschaft zerstören, daher alles, was im Volke lebt, verschlingen. Aber das Gute dieser Kultur besteht darin, dass der Mensch gerade da beginnen kann, seinen Astralleib59 zu reinigen und zu verklären. Das nennt man das „verborgene Manna“ ... Alle die Symbole hier zeigen an, dass der Mensch seine Seele reinigt, um zum reinen Träger von Manas60 sich zu machen. [8] 58 59

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Vgl. Offenbarung 2,11; 20,6; 20,14. Der Astralleib unterscheidet die Pflanze von den höheren irdischen Lebensformen. Während die Pflanze „an Ort und Stelle“ alles findet, was sie zum Leben braucht, bewegen sich fast alle Tierarten aus innerem Antrieb durch den Raum. Der Astralleib erlaubt einem Wesen die bewusste Teilhabe an der Seelenwelt, aus welcher die Kräfte der Sympathie und Antipathie im weitesten Sinne auf es einwirken; die Pflanze ist demgegenüber „begierdelos“ und „un-egoistisch“. Durch die im Astralleib veranlagten Sinnesorgane entsteht außerdem eine bewusste „Empfindung“ für die Außenwelt. Das alt-indische Wort Manas (welches verwandt ist mit lateinisch mentale) ist geistiges Wesensglied des Menschen. Christlich nennt man es den „Heiligen Geist“ im Menschen,

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Und dem Engel der Gemeinde zu Pergamus schreibe: „Das sagt, der da hat das scharfe zweischneidige Schwert: Ich weiß, was du tust und wo du wohnst, nämlich wo des Satans Stuhl ist... und hältst an meinem Namen und hast meinen Glauben nicht verleugnet... Aber ich habe ein Kleines wider dich, dass du welche hast, die an der Lehre Bileams festhalten, welcher lehrte den Balak, ein Ärgernis vor den Kindern Israels, aufzurichten... Tue Buße, wenn aber nicht, so werde ich bald zu dir kommen und mit euch kriegen durch das Schwert meines Mundes. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt: Wer überwindet, dem will ich zu essen geben von dem verborgenen Manna61 und will ihm einen weißen Stein geben mit einem neuen Namen darauf, den niemand kennt, als der ihn empfängt.“ (Off. 2,12-17) Hier erwacht in der Morgenröte der vierten Kultur (Thyatira), dem Mittelpunkt der sieben Kulturperioden, schon für diejenigen, die durch das Feuer der astralischen Läuterung gegangen sind, der „neue Name“, den niemand kennt, als der ihn in seiner Seele aufleuchten sieht. Hiermit ist das „Osiris-Horus-Isis-Geheimnis“ verbunden, durch das sich in der dritten Kultur das Christus-Ich erstmalig in den eingeweihten Seelen ankündigt. Wir rücken von einem Sendschreiben zum andern immer näher an die Ich-Geburt, die im „Sohn Gottes“ im vierten Sendschreiben erscheint, der Augen hat wie Feuerflammen und dessen Füße gleich wie Messing sind. Die Gottheit ist jetzt Mensch geworden und hat sich im Fleische inkarniert. Der Sohn Gottes, der in der griechischen Periode herunterstieg bis auf den physischen Plan, wo in den Bildhauerwerken die individualisierte Gottheit als Persönlichkeit erscheint, kann als Führer der Zukunft von sich sagen: Und alle Gemeinden sollen erkennen, dass ich es bin, der die Herzen und Nieren prüft. (Off. 2,23) – Wie ich von meinem Vater empfangen habe, und ich will ihm geben den Morgenstern. (Off. 2,28) Damit ist auf die zweite Erdenhälfte in ihrer Entwicklung gewiesen. Im okkulten Sinne zerfällt die Erdenentwicklung in die erste Hälfte der Marsperiode und in die zweite Hälfte der Merkurperiode, die hier mit dem Morgenstern symbolisch angedeutet wird, jener Stern, der dem Christus voranleuchtet auf seinem Wege. Und dem Engel der Gemeinde zu Thyatira schreibe: „Das sagt der Sohn Gottes, der Augen hat wie Feuerflammen und seine Füße sind gleich wie Messing... Wer da überwindet und hält meine Werke bis ans Ende, dem will ich Macht geben über die Heiden. Und er soll sie weiden mit eisernem Stab und wie eines Töpfers Gefäße soll er sie zerschlagen.“ (Off. 2,18 und 26 f.) Das Ich-Symbol, der eiserne Stab, der hier als Erfüllung der „Ehernen Schlange“ auftaucht, soll jetzt einziehen in die Seelen der Völker und sich alles Untertan machen. Mit dem fünften Sendschreiben an die Gemeinde von Sardes kommen wir zur fünften nachatlantischen Kulturperiode, unserer Gegenwart. 62 Gleich zu Beginn ist es das Symbol

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anthroposophisch das „Geistselbst“. Zu den Wesensgliedern siehe im Anhang den Abschnitt „Wesensglieder des Menschen“. Das hebräische Wort „Manna“ bezeichnet auf geistiger Ebene das eben behandelte Wesensglied des Menschen, das die Inder „Manas“ nannten. Hier beginnt das 3. Kapitel der Apokalypse, sodass die Sendschreiben an Ephesus, Smyrna, Thyatira und Pergamus noch zum 2. Kapitel gehören.

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des Menschen, in dessen Zeichen der Engel angeredet wird: Es sind die sieben Geister Gottes und die sieben Sterne: Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne. (Off. 3,1) Es sind die sieben Prinzipien des Menschen, in welchen er vor dem Angesicht Gottes erscheint in seiner siebenfachen leiblich-seelisch-geistigen Wesenheit, vom Ich-Prinzip beherrscht und durchdrungen. Man nennt diese sieben Prinzipien „die sieben Geister Gottes im Menschen“. Und die sieben Sterne sind die kosmischen Evolutionsstufen, welche die Erde von ihrer ersten „Saturnstufe“ bis zum „Vulkan“ durchzumachen hat. 63 Auf diesen kosmischen Entwicklungsstufen entfalten sich die „sieben Geister Gottes“. Das ist der Ruf zur geistigen Erkenntnis, welcher in diesem fünften Sendschreiben an uns ergeht. Und an den Engel der Gemeinde zu Sardes schreibe: „Es spricht zu euch der, der Macht hat über die sieben göttlichen Schöpfergeister und die sieben Sterne: Ich durchschaue dein Tun. Du hast den Namen eines lebendigen Wesens und bist doch tot. Strebe danach, in deinem Bewusstsein zu erwachen, und erkrafte, was in deiner Seele noch lebendig ist, damit es nicht auch ersterbe. Ich kann dir nicht bestätigen, dass dein Tun vor dem göttlichen Angesicht volle Wirklichkeit besitzt. Belebe in dir die Erinnerung an alles, was du aus den geistigen Welten empfangen und gehört hast. Pflege es in dir und wandle deinen Sinn. Wenn du nicht zu einem höheren Bewusstsein erwachst, so werde ich wie ein Dieb kommen. Du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich komme. Einige wenige Namen hast du jedoch in Sardes, die ihre Gewänder von Flecken und Trübungen rein erhalten haben. In weißen Gewändern werden sie meine Pfade gehen. Dessen sind sie würdig. Wer die Prüfung besteht, soll gleicherweise mit weißen Gewändern bekleidet werden, und ich werde seinen Namen nicht auslöschen aus dem Buche des Lebens. Ich will mich zu seinem Namen bekennen vor dem Angesichte meines Vaters und vor seinen Engelreichen. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist zu den Gemeinden spricht.“ (Off. 3, 1-6) Schon hier, auf der Bewusstseins-Stufe der „Sendschreiben“, zeigt sich die markante Zäsur, die mit der „Fünfzahl“ gegeben ist. Diese Zäsur als Krise und Entscheidung zwischen gut und Böse, oben und unten, wohnt der Fünf inne, wie sie sich im Pentagramm 64 ausdrückt. Nicht zufällig führten die beiden Weltmächte des 20. Jahrhunderts, die USA und die Sowjetunion, das Pentagramm in ihren Wappen. Bei jeder fünften Stufe ist eine Entscheidung fällig in dem apokalyptischen Drama. Die sechste kann es auffangen und zur Höhe führen, soweit die Antriebskraft es zulässt. Sonst folgt es der zum Abgrund ziehenden Kraft. – Das gilt auch für unsere Zeit. 63

Die Erde als geistige Wesenheit, auf der sich die Menschheit entwickelt, geht durch mehrere Verkörperungen hindurch, deren jede eine ganz individuelle Gestalt und eigene Gesetzmäßigkeiten hat. Die erste Verkörperung wird „(Alter) Saturn“ genannt, die siebte „Vulkan“. Den ersten 6 Verkörperungen entsprechen namentlich die Wochentage (vgl. im Anhang den Abschnitt „Planetenentwicklung“), wobei die gegenwärtige 4. Verkörperung in zwei Hälften, die sogenannte Mars- und die sogenannte Merkurhälfte, unterteilt wird, an deren Zusammentreffen der Kreuzestod des Christus auf Golgatha steht, um der bisher „absteigenden“ Entwicklung eine neue Richtung zu geben.

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. Es ist ein Bild für die Gliedmaßen und den Kopf der physischen Menschengestalt und für die Kräfteströmungen im Ätherleib.

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Der Name des sechsten Sendschreibens, Philadelphia, offenbart schon den geistigen Impuls der vor uns liegenden Kulturperiode der „Bruderliebe“ 65 die sich im slawischen Osten abspielen soll. Es ist die Epoche, in welcher Weisheit und Liebe sich entfalten sollen, die Gemeinde der Bruderliebe, Philadelphia.

Alle diese Namen sind nicht umsonst gewählt. Der Mensch wird sein Ich entwickeln zur richtigen Höhe, sodass er selbständig wird und in Freiheit die Liebe jedem anderen Wesen entgegenbringt im sechsten Zeitraum, der repräsentiert ist durch die Gemeinde Philadelphia. Das soll als spirituelles Leben des sechsten Zeitraumes vorbereitet werden. Da werden wir das individuelle Ich in höherem Grade in uns gefunden haben, sodass keine äußere Kraft mehr in uns hineinspielen kann, wenn wir es nicht wollen, sodass wir zuschließen können – und niemand ohne unseren Willen aufschließt, und wenn wir aufschließen, keine entgegengesetzte Macht zuschließt. Das sind die Schlüssel Davids. [8] Und dem Engel der Gemeinde zu Philadelphia schreibe: Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der da hat den Schlüssel Davids, der auftut und niemand schließet zu, der zuschließt und niemand tut auf... Siehe, ich habe vor dir eine offene Tür gegeben, und niemand kann sie zuschließen.“ (Off. 3,7) Es ist das Ich, das sich in sich selbst gefunden hat! Wie das Pentagramm als Zeichen des Menschen die Fünfzahl und ihre Krise und Entscheidung versinnbildlicht, so das Hexagramm66 die Sechszahl in ihrer okkulten Bedeutung. Das Sechseck, das aus zwei Dreiecken besteht, ist zugleich das Symbol für den Schlüssel Davids, da sich in den beiden sich durchkreuzenden Dreiecken die harmonische Versöhnungskraft der beiden Dreiecke ausdrückte: Das mit der Spitze nach oben gerichtete Dreieck symbolisiert das Feuer, die Triebkraft der Liebe, die im Astralischen zuerst erwacht; das nach unten gerichtete Dreieck drückt die Weisheit aus, wie sie begierdelos im Ätherleib 67 waltet. Sie ist dem Wasser gleich, während die astralische Triebkraft dem Feuer verwandt ist. Wenn Wasser und Feuer im Menschen sich zur Harmonie vereinigen, wenn Weisheit und Liebe sich zu einer höheren Synthese verbinden, dann ist das Menschheitsziel erreicht: Der Schlüssel Davids, der vom Ich aus die Menschheitsnatur beherrscht! [3] Die Lauheit der Lauen in der 7. Kulturperiode von Laodizäa ist sprichwörtlich geworden; denn sie wird keine weitere geistige Erhebung und Steigerung mehr bringen. Die eigentliche Höhe und Krise der Entscheidung liegt in der fünften Kultur. Die sechste wird das Errungene bewahren im Sinne einer künstlerisch-religiösen Vertiefung. Sie hat einen 65

Griechisch Philadelphia (φιλαδεόλφια) = „Liebe (wie) zu Bruder oder Schwester“.

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, es ist u. a. das Symbol für den Makrokosmos und das Geistige (), das das Irdische ()

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durchdringt. Bevor aber ein physischer Mensch auf der Erde war, war der ätherische Mensch da. Denn der ätherische Mensch liegt dem physischen Menschen zugrunde. [GA 279, 1. Vortrag] Der Mensch im Tiefschlaf unterscheidet sich vom Leichnam durch die an ihm sichtbare Tätigkeit des Ätherleibs. Alles, was sich von innen heraus an einem Lebewesen formt, verändert und bewegt, ist durch den Ätherleib vermittelt. Auch bei Pflanzen sorgt der Ätherleib für ihre individuelle und doch gattungsgemäße Form. Mineralien haben keinen Ätherleib, doch sind ätherische Ströme bei der Formung von Kristallen (z. B. beim Schnee) beteiligt. (Ein abgetrenntes Körperglied betrifft nur den materiellen Leib, nicht den Ätherleib; daher kommt es zu sogenannten Phantomschmerzen. Auch arbeitet ein aus dem Körper entnommenes Organ – wie etwa die Milz – im Ätherischen noch weiter, wo das Organ andere Aufgaben hat als auf der physischen Ebene.)

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„weiblichen“ Charakter im Gegensatz zu dem männlich-prometheïschen der fünften Kultur. Zu dieser weiblichen Vertiefung braucht die slawische Kultur die Inspiration und Anleihe vom orientalischen Osten, wobei die Kräfte aus dem chinesischen Volkstum eine Rolle spielen werden.

In der sechsten Kulturepoche der nachatlantischen Zeit wird die Aufgabe sein, den Geist vor allen Dingen als etwas mehr in der Umgebung Schwebendes anzuerkennen, weil diese sechste Kulturepoche die Aufgabe hat, vorzubereiten die Erkenntnis des Geistes in der physischen Umgebung. Das kann nicht so ohne weiteres erreicht werden, wenn nicht alte atavistische68 Kräfte aufgespart werden, die den Geist in seinem rein elementarischen69 Leben anerkennen. Aber ohne die heftigsten Kämpfe gehen diese Dinge in der Welt nicht ab. Die weiße Menschheit ist noch auf dem Weg, immer tiefer und tiefer den Geist in das eigene Wesen aufzunehmen. Die gelbe Menschheit ist auf dem Wege, zu konservieren jene Zeitalter, in denen der Geist ferngehalten wird vom Leibe, in denen der Geist gesucht wird außerhalb der menschlich physischen Organisation.70 Das aber muss dazu führen, dass der Übergang von der fünften Kulturepoche in die sechste Kulturepoche sich nicht anders abspielen kann, denn als ein heftiger Kampf der weißen Menschheit mit der farbigen Menschheit auf den mannigfaltigsten Gebieten... Da haben wir auf der einen Seite einen Teil der Menschheit mit der Mission, den Geist in das physische Leben so hereinzuführen, dass der Geist alles einzelne im physischen Leben durchdringt. Und auf der anderen Seite haben wir einen Teil der Menschheit mit der Notwendigkeit, gewissermaßen die absteigende Entwicklung zu übernehmen. Das kann nicht anders geschehen, als wenn dasjenige, was wirklich sich bekennt zur Durchdringung des Leiblichen mit dem Geistigen, Kulturimpulse hervorbringt, die für die Erde bleibend sind, die von der Erde nicht wieder verschwinden können. Denn was danach kommt als sechste und siebte Kulturepoche, das muss geistig von den Schöpfungen der fünften leben, das muss die Schöpfungen der fünften Kulturepoche in sich aufnehmen... Denn im Osten wird man nicht die Kräfte haben, ein eigenes Geistesleben produktiv hervorzubringen. So muss sich die Geschichte abspielen, dass von der gegenwärtigen, die eigentlichen Kulturimpulse in sich tragenden Menschheit eine spirituelle Kultur geschaffen wird, welche die eigentliche geschichtliche Nachfolge der fünften Kultur ist, und dass diese Kultur verarbeitet wird von dem, was nachfolgt. [9] 71 68

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Im geisteswissenschaftlichen Sinn bezeichnet „atavistisch“ (von Lateinisch atavus „Urahn“) ein Merkmal, das für unsere Vorfahren charakteristisch war und bis heute verloren gegangen ist, jedoch bei bestimmten Völkern oder einzelnen Menschen noch bewahrt bzw. wieder erworben wurde. – Ein Beispiel: Bei der Embryonalentwicklung durchläuft jeder Mensch frühere Entwicklungsstadien, es sind dort beispielsweise Kiemenbögen angelegt; wurde diese „Wiederholung“ nicht richtig abgeschlossen, treten beim Menschen Halsfisteln auf. Auch mediumistische Fähigkeiten sind derartige Überbleibsel früherer Zustände, die einst der ganzen Menschheit zu Eigen waren. Mit „elementarisch“ sind die ätherischen oder Bildekräfte gemeint, deren Gesetzmäßigkeiten eine Stufe über den physischen liegen. Sie werden durch Erd-, Wasser-, Luft- und Feuerwesen bewirkt. Die ostasiatischen Völker bewahren damit ein Merkmal, das in anderen Teilen der Menschheit in dieser Form nicht mehr vorhanden ist. Im ostasiatischen Raum wurde etwas bewahrt, das andernorts zugunsten anderer Fähigkeiten verloren gegangen ist. Die bewahrten Fähigkeiten müssen sich mit den neu erworbenen dereinst zu etwas Höherem wiedervereinigen. Insofern haben sowohl die „fortschrittlicheren“ als auch die „bewahrenden“ Zivilisationen ihren festen Platz innerhalb der Menschheitsentwicklung. Daher

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So wird die slawische Kultur der Vorposten sein, was sich in der sechsten Kulturepoche entwickelt:

Dann wird man sich klar darüber sein, dass in diesem slawischen Element etwas Empfangendes liegen muss... Während in Mitteleuropa die Seelen gekämpft haben..., konserviert das slawische Element die Religion, die Gott-Erfassung, den Kultus, es konserviert – es macht den Geist nicht innerlich lebendig, sondern lässt den Geist wie eine Wolke über sich hinziehen und lebt in dieser Wolke, bleibt dem Geist gegenüber mit der Persönlichkeit fremd. [9] Die siebte Kulturepoche allerdings, Laodizea, wird mehr in der westlich-amerikanischen Kultur sich abspielen: Sie wird keinen weiteren Fortschritt in geistiger Beziehung bringen. Es ist ein toter Ast der Menschheitsentwicklung. Auch ihre „galvanisierenden“ Wirkungen haben wir schon verspürt. Es drängen sich nicht nur durch den schnellen Ablauf des Entwicklungstempos die Kulturperioden vom 20. Jahrhundert ab sehr zusammen, da die Menschheitsentwicklung heute den ersten energischen Schritt in ihre Zukunft begonnen hat und nicht, wie bisher, von den Wiederholungen alter Kulturimpulse lebt, sondern es schmelzen auch die von der Wissenschaft angenommenen Zahlen für die Menschheitsgeschichte zusammen, wenn sie von jenem geistigen Blickpunkt angeschaut werden, den wir hier einnehmen müssen. – Rudolf Steiner hat als approximative Zeitspanne das „Platonische Weltenjahr“ von 25.920 Jahren angegeben, in dem sich die in unseren Zeitbegriffen messbare Erdenentwicklung vollzieht. Was vor und nach dieser Zeit liegt, gehört zwar ebenfalls zur Erdenentwicklung, doch spielt es sich noch nicht (oder nicht mehr) unter den gegenwärtigen raum-zeitlichen Maßeinheiten ab. Noch genauer können wir die Zeitspanne der rein physisch-materiellen Erdenentwicklung umreißen, wenn wir die Grenzen der physischen Fortpflanzungsmöglickeit des Menschengeschlechts ins Auge fassen. Diese begann nach geisteswissenschaftlicher Zeitrechnung in der lemurischen Erdenperiode 72, als der Mond sich von der Erde trennte. Sie wird ein Ende finden mit der Rückkehr des Mondes im 7. bis 8. Jahrtausend, und zwar durch die Degeneration des weiblichen Organismus. Das Blickfeld verengt sich, je genauer wir die physischen Erdenverhältnisse ins Auge fassen. Aus den astronomischen Zahlen, mit denen die Wissenschaft heute gewohnt ist zu rechnen, werden begrenzte geschichtliche Zeiträume, die uns lehren können, dass wir in der Tat in die Endzeit der physischen Erdenentwicklung bereits eingetreten sind. Ehrenfried Pfeiffer 73 hat in seinem letzten Vortrag, den er in Dornach 74 bei seinem Europabesuch gehalten hat, diesen Zeitpunkt noch genauer ins Auge gefasst, wenn er sagt:

Wir haben – und nun lassen Sie mich das auf meine Weise ausdrücken – wir haben im Grunde nicht mehr allzu viel Zeit. Es ist der physischen Fortpflanzung in 3000 Jahren ein Ende gesetzt dadurch, dass die physiologische Degeneration des weiblichen Körpers, so wie es Rudolf Steiner sagte, dazu führt, dass keine physischen Kinder mehr geboren werden können. Da sieht man ja schon ganz klar die Sturmzeichen der Degeneration. Und andererseits, dass eben die Radioaktivität auf

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wird der Geisteswissenschaftler in Bezug auf kulturelle Errungenschaften nicht von „besser“ oder „schlechter“ sprechen. Dritte Erdepoche, gefolgt von der „atlantischen“ und unserer „nachatlantischen“ Epoche. Zu den Epochen s. Abb. 2 am Ende des ersten Kapitels. 1899-1961, anthroposophisch orientierter Naturwissenschaftler, 1938 in die USA emigriert. Stadt nahe Basel, Sitz und Tagungsort der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft.

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der Erde so zugenommen hat, dass eben das Unnormale eintritt, dass die Erde unbewohnbar wird... Es stellt sich also die Aufgabe, neue ätherische Energiequellen vorzubereiten, die verhindern könnten die Katastrophe in der Technik; auf der anderen Seite das Ziel: dass jeder Mensch, durch die Arbeit im eigenen Innern, durch die Vergeistigung der Materie, durch die Stoffwechselprozesse, durch die IchTätigkeit, durch die Herzenskräfte, durch die Ätherisation des Blutes im einzelnen Menschen, dass sich das vollziehen könnte, dass dieser physische Leib verwandelt wird.“ Ehrenfried Pfeiffer berichtet dann über ein Gespräch mit Rudolf Steiner, das diese zukünftige Energie und die Ätherisierung75 der Leiblichkeit zum Inhalt hatte:

Wenn Sie nur über den Beginn des Johannesevangeliums meditieren würden und nur das Buch „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“ 76 studieren und beherzigen würden, dann wären Sie imstande, alle diese Fragen zu lösen und die gesamte Anthroposophie in sich neu zu erwecken und zu erschaffen, es wäre dann gar nicht nötig, dass Sie irgendeinen Vortrag von mir überhaupt lesen müssten.“ Ja, warum? Aus einem sehr einfachen Grunde, weil im Beginn des Johannesevangeliums auf die beiden Urschöpferwerke hingewiesen wird, das Wort, der Logos, der die göttliche Weltenordnung auch in der Materie schafft, aus dem heraus die Materie begriffen und umgewandelt werden kann; und das Licht, das in die Finsternis schien, aus dem heraus gerade die Umwandlung an sich vollzogen werden könnte. [10] Die große Entscheidung der Erdenzukunft bereitet sich schon heute in der ätherischen Welt vor, wie wir gesehen haben. Für die Erdenbewohner wird sie noch verdeckt durch die „Wolke des Sinnenseins“. Im Sinne der Scheidung der Geister, die sich in der Engelwelt vorbereitet und immer mehr die Menschenwelt auf Erden ergreift, können wir von einer Polarität von Licht und Finsternis sprechen, einer Polarität, die uns besonders beim Überschreiten der Schwelle sichtbar wird. Der Verstorbene erlebt früher die „Parusie“ – die Ankunft und Gegenwart des Herren – als die im Leibe inkarnierten. Das hat Paulus im 1. Brief an die Thessalonicher ausgesprochen: Ihr dürft nicht glauben, dass, wenn der Christus wiederkommt, die Menschen denen, die entschlafen sind, etwas voraushaben werden. Der Christus wird vom Himmel herniedersteigen, wenn die Stimme des Erzengels 77 und die Posaune Gottes ertönt, und

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Was mit Ätherisierung gemeint ist, könnte vielleicht so vorgestellt werden: Was, für die körperlichen Sinne sichtbar, sich in der physisch-materiellen Welt ausgestaltet hat, wird um eine Stufe höher in die Ätherwelt transformiert – als erste Stufe der Involution. Alle solche Materie, die nicht zu dieser Transformation in der Lage ist, bleibt (vorerst) als „Schlacke“ zurück. Ein Buch Rudolf Steiners, das die Voraussetzungen, Methoden und Ziele des geistigen Schulungswegs beschreibt: Es schlummern in jedem Menschen Fähigkeiten, durch die er sich Erkenntnisse über höhere Welten erwerben kann. Der Mystiker, der Gnostiker, der Theosoph sprachen stets von einer Seelen- und einer Geisterwelt, die für sie ebenso vorhanden sind wie diejenige, die man mit physischen Augen sehen, mit physischen Händen betasten kann. Der Zuhörer darf sich in jedem Augenblicke sagen: wovon dieser spricht, kann ich auch erfahren, wenn ich gewisse Kräfte in mir entwickle, die heute noch in mir schlummern. Es kann sich nur darum handeln, wie man es anzufangen hat, um solche Fähigkeiten in sich zu entwickeln. Dazu können nur diejenigen Anleitung geben, die schon in sich solche Kräfte haben... [GA 10] Zu den Engelhierarchien siehe Abb. 4 und im Anhang den Abschnitt „Engelhierarchien“.

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die mit Christus verbundenen Toten werden zuerst Anteil an der Auferstehung erlangen. Erst nach ihnen werden wir, die wir auf Erden leben, mit dem Herrn vereinigt werden. 78 Aber auch das Gegenteil macht sich im Leben nach dem Tode für diejenigen bemerkbar, die dem Materialismus verfallen sind. Sie erleben sich wie von einer dunklen Kluft getrennt von der Morgenröte der Christussonne. Dies gehört zu den großen Prüfungen, womit die apokalyptische Entscheidung einsetzt: sich getrennt und abgeschnitten zu fühlen von den geistigen Mächten, denen wir unseren Ursprung verdanken.

Einmal kommen auch diejenigen Menschen, die so recht im Materialismus leben und nichts von einer göttlich-geistigen Welt wissen wollen, die vielleicht, der Zeittendenz folgend, über alles Übersinnliche spotten, unwiderruflich mit der geistigen Welt in Berührung, nämlich wenn sie sterben. Dann müssen auch sie in den sphärischen Bereich und in den Zustand eintreten, den sie während ihres Erdenlebens verächtlich belächelt und geleugnet haben. Plötzlich fehlt ihnen der tragende Grund ihrer Existenz, nachdem sie auf Erden geglaubt haben, das ganze Dasein bereits zu kennen und zu besitzen. Es ist heute gar nicht schwer, sich vorzustellen, dass eine Zeit heraufkommen muss, in der im Reiche der Verstorbenen als Rückschlag auf den Materialismus, dem man auf der Erde gefrönt hat, unendliche Qualen erlitten werden. Eine große Atemnot muss die Seelen befallen, die nun im Materialismus als ihrem einzigen gewohnten Lebenselement nicht mehr verharren können und doch die Kraft haben sollen, sich als Geist unter Geistern zu halten. Je gröber und magischer der Materialismus auf der Erde wird, umso mehr muss für diejenigen Seelen, die sich daran verloren haben, das Leben nach dem Tode zur Hölle werden. Nebeneinander bilden an ihren Zukunftsschicksalen die Seelen, die durch den Christus-Ertrag sehend und aufnahmefähig sind, und diejenigen, die nicht nur zu jeglicher Lichtwahrnehmung unfähig sind, sondern infolge der Geistfremdheit ihres beendeten Erdenlebens nur umso tiefer in den quälenden Bann der Finsternis geraten... Das Jüngste Gericht kommt zeitalterhaft. Auf der Erde kann es längst angebrochen sein, ehe es bemerkt wird. Aber wenn die Seelen, die im Reich der Verstorbenen die ernste Scheidung der Geister erlebt und erlitten haben, aufs neue zur Verkörperung auf die Erde herniedersteigen, muss sich immer krasser enthüllen, wovor die Erdenmenschen ihre Augen so gerne verschließen. Der höllische Rückschlag des Materialismus, den ein Teil der Menschenseelen nach dem Tode durchzumachen hat, muss ja im nächsten Leben zu qualvollen Erschwerungen des Schicksals und in tieferen Wesensschichten zu einer heißdurstigen Sehnsucht führen, die letzten Endes auf Geistiges zielt. Das Lechzen nach einer Spiritualität wird sich in der Menschheit geradezu als eine Folge materialistisch durchlebter Inkarnationen einstellen, und dann wird auch auf der Erde die Scheidung der Geister unverkennbar werden in diejenigen, die durch die neue Christusnähe zum inneren Aufatmen gelangen, und diejenigen, die dadurch in eine umso qualvollere Atembeklemmung gestürzt werden. [3]

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Denn das sagen wir euch in einem Worte des Herrn, dass wir, die wir leben und bis zur Wiederkunft des Herrn übrig bleiben, den Entschlafenen nicht zuvorkommen werden; denn er selbst, der Herr, wird, wenn der Befehl ergeht und die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes erschallt, vom Himmel herniederfahren, und die Toten in Christus werden auferstehen zuerst. Darnach werden wir, die wir leben und übrig bleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken... (1. Thessalonicher 4, 1517a;

Übersetzung nach Schlachter)

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Das Jüngste Gericht kommt zeitalterhaft! Es ist nicht ein einmaliges Ereignis, das die Erdenentwicklung abschließt am jüngsten, das heißt letzten Tage, (der der „Jüngste“ von allen vorangehenden ist, da er als der letzte nicht alt werden kann), sondern es beginnt bereits mit dem Eintritt der Menschheit in das Bewusstseinsseelenzeitalter 79 im Anbruch der äußeren Zeit und führt im 20. Jahrhundert, besonders in dessen letztem Drittel, zur ernsten Scheidung der Geister, was sich auf mannigfaltigen Gebieten auswirken wird. Die Periode der Bewusstseinsseele bildet in der Tat die einschneidende Zäsur in der ganzen Menschheitsentwicklung. Die Abnabelung von seinem göttlichen Urgrund, die schon mit der Verstandesseele begann, wurde jetzt für die ganze moderne Menschheit eine bestürzende Tatsache: In der Sphäre des Intellektes des modernen Ich-Bewusstseins erlebt der Mensch sich auf der Spitze seiner Persönlichkeit, aber er erlebt im Ich nicht mehr den tragenden Mutterschoß der göttlichen Welt. Nur durch die Spiritualisierung des Denkens kann der Durchbruch vollzogen werden, wodurch der moderne Mensch sich aus seiner intellektuellen Abschnürung befreit und die Weltenkräfte in seinem Bewusstsein rege macht, die ihn mit dem Kosmos in neuer Art verbinden. Zeit und Raum schließen sich zu überschaubaren Größen zusammen, wenn wir sie vom geistigen Gipfelpunkt der Menschheitsevolution überschauen und uns zu ihm erheben. Diesen Blickpunkt nimmt der Verfasser der Apokalypse in seiner Beschreibung ein. Versuchen wir, uns auf diesen Gipfel mit ihm zu erheben! Abb. 2: Erdperioden und Kulturepochen80 Die großen Erdperioden I. Polaris II. Hyperboräa III. Lemuris IV. Atlantis V. Nachatlantische Zeit VI. „Siegel“ VII. „Posaunen“

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Die 7 Kulturepochen zwischen der atlantischen Flut und dem großen Krieg aller gegen alle

Name in der Apokalypse

1. Altindische Kultur 2. Altpersische Kultur 3. Babylonisch ägyptische Kultur 4. Griechisch-lateinische Kultur

Ephesus Smyrna Pergamus Thyatira

5. Unsere Kulturepoche

Sardes

6. Slawische Kultur 7. Amerikanische Kultur

Philadelphia Laodizäa

Geschichtliche Zeit

bis zur Zeit Homers bis zum Beginn der Neuzeit bis ins 4. Jahrtausend

Die gegenwärtige 5. nachatlantische Kulturepoche, welche zur Aufgabe hat, das dritte Seelenglied – die Bewusstseinsseele – zu entwickeln. Dreifach der Körper (physischer, ätherischer, astraler Leib), dreifach die Seele (Empfindungs-, Verstandes- und Bewusstseinsseele) und dreifach der Geist (Manas, Buddhi, Atman). Siehe hierzu im Anhang den Abschnitt „Wesensglieder des Menschen“. Die Geisteswissenschaft unterteilt die Erdgeschichte in sieben Erd-Epochen, die gegenwärtige Epoche ist wiederum in sieben sogenannte Kulturperioden (auch: Kulturepochen) unterteilt. Seit Beginn der Neuzeit befinden wir uns in der 5. Kulturperiode der 5. Erd-Epoche (genannt die nachatlantische Zeit). Die ersten beiden Kulturperioden dieser Erd-Epoche liegen in vorhistorischer Zeit. Erst mit der ägyptischen Kulturperiode und der Erfindung der Schrift im 4. Jahrtausend v. Chr. liegt etwas „historisch Greifbares“ vor uns. – Die hyperboräische Zeit liegt so weit zurück, dass sich die Erde dort erst von der Sonne abtrennte.

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Bild 2: Albrecht Dürer, Das Buch mit den sieben Siegeln, 1498

Christus inmitten der vier Evangelisten-Symbole. Auf seinem Schoße neben dem Lamm liegt das Buch mit den sieben Siegeln: Und ein Engel ruft mit starker Stimme: „Wer ist würdig zu öffnen das Buch und zu brechen die Siegel?“ (Off. 5,2)

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2. Die beiden Ursymbole der Menschheitsevolution: Das „Viergetier“ und der „Menschensohn“ In das Geistgebiet versetzt, erlebte ich den Anbruch des Christustages. (Off. 1,10) Danach wurde ich in die Geistesschau erhoben: Siehe, ein offenes Tor im Himmel! Und die erste Stimme, die wie der Schall einer Posaune an mein Ohr gedrungen war, sprach: „Steige zu mir empor! Ich werde dir zeigen, was in der Zukunft geschieht! (Off. 4,1) Haben wir einen ähnlichen Ruf, der uns erhoben hat aus unserem Alltagsbewusstsein, schon einmal erlebt? – In der Meditation mag ahnungsweise ein solcher Augenblick vor unserer Seele gestanden haben. Und ganz gewiss ist es ein bedeutsamer Augenblick, dies „offene Tor“ zu erleben. Wir fühlen uns erhoben in die ätherische Welt, in eine reine schwerelose Gedanken-, Licht- und Lebenssphäre und schauen wie von schwindelnden Bergesgipfeln in imaginativen Leuchtbildern herab auf die Schattentäler des Erdengeschehens, das sich vor unserem geistigen Auge tief drunten abspielt. Es ist ein Augenblick beseligender Befreiung, wenn wir in das leibfreie Bewusstsein erwachen, in dem uns flutende Weltgedanken in der ätherischen Weltensphäre aufgehen. Dieser machtvolle Augenblick tritt gleich am Anfang an den Seher heran. Und zwar zweimal: Zuerst bei der Offenbarung des ersten Siegels, wo ihm das Bild des Menschensohnes erscheint (Off. 1,10). Nach dem Auftrag, den er von diesem empfängt, nämlich an die sieben Gemeinden Sendschreiben zu richten, wiederholt sich dieser Augenblick einer geistigen Erhebung und Entrückung in noch machtvollerer Weise. Danach konnte ich schauen: Siehe eine offene Tür im Himmel. Und die erste Stimme, die wie der Schall einer Posaune an mein Ohr gedrungen war, sprach: Steige empor zu mir! Ich will dir zeigen, was nach all dem Vorangegangenen in der Zukunft geschieht. Und schon war ich ins Geistgebiet emporgehoben. Siehe, ein Thron stand im Himmel. Und auf dem Throne saß eine Gestalt. Der Thronende glich in seinem Glanze einem Jaspis und einem Karneol. Um den Thron rundete sich ein Regenbogen, der in seinem Licht wie ein Smaragd leuchtete. (4, 1-3) Wenn wir uns stimmungsmäßig hineinleben in diese Anfangsverse des ersten und vierten Kapitels, so fühlen wir uns in gigantische Hallen von archaischen Tempelgewölben mit uferlosen Weiten und erschauernden Dimensionen versetzt, deren göttliche Größe und Majestät uns den Atem zu nehmen droht. Wir mögen in ahnungsvollen Traumbildern von dieser Größe und Erhabenheit erschrocken, erschüttert oder bedrückt worden sein, oder in seltenen Augenblicken des Lebens von dieser überirdischen Geistgegenwart berührt worden sein: Immer ist es das gleiche Emporgehobenwerden, die gleiche Entrückung, die der Apokalyptiker mit den Worten einleitet: Siehe, ein offenes Tor im Himmel! Eine ähnliche weihevolle archaische Größe und übermenschliche Dimension tritt uns aus den Denkmälern von indischen, ägyptischen und griechischen Tempel- oder Orakelstätten entgegen, wobei die griechischen die ganze Naturumgebung miteinbeziehen, wie etwa in Delphi, wo die Götter selbst die Arena um die Orakelstätte geformt haben. Und mit Recht können solche Bilder in uns geweckt werden. Denn die Offenbarung des Johannes geht ja auf Jahrtausende alte Überlieferungen zurück, die in allen Mysterienstätten gepflegt wurden und auch bei den Pharisäern im Judentum bekannt waren. Wir kommen so zu der wichtigen Frage nach dem eigentlichen Ursprung der Apokalypse des Johannes. Rudolf Steiner beantwortet diese Frage folgendermaßen: 45

Könnten Sie zurückgehen in die Mysterien der alten Ägypter, Chaldäer, Perser und Inder, allüberall würden Sie die Apokalypse finden. Sie ist vorhanden gewesen; sie war da. Sie war nicht geschrieben, aber sie lebte von Priestergeneration zu Priestergeneration, durch die Generationen der Initiatoren81 hindurch, wo das Gedächtnis so lebendig war, dass man so reiche Stoffe bewältigen konnte. Das Gedächtnis war ja auch in viel späteren Zeiten noch weit besser als bei uns; man erinnere sich nur an die Sänger der Iliade 82, wie sie herumgezogen sind und aus dem Gedächtnis ihre Gesänge singen konnten... In den Mysterien wurden diese Wahrheiten nicht aufgeschrieben, aber sie lebten von Generation zu Generation der Initiatoren. Was hatte sie für eine Aufgabe, die Apokalypse? Sie hatte die Aufgabe, eine Instruktion zu sein für denjenigen, der die Schüler zur Weihe brachte. [11] Die Propheten und Eingeweihten konnten also das Initiationsdrama der Menschheitsentwicklung im Übersinnlichen erleben, bevor es im Mysterium von Golgatha sich auf Erden verwirklichte. Eine Vorbereitung war es, die den Schülern der Mysterien zuteil wurde, wenn sie an die Apokalypse herangeführt wurden. Für sie war sie die einzige Möglichkeit, Kunde zu bekommen von dem, was damals nur außerhalb des Leibes, in der übersinnlichen Schau, aufgenommen werden konnte:

So war die Apokalypse [zu der Zeit, als Johannes sie niederschrieb,] nichts Neues; aber die Anwendung auf das einzige Ereignis von Golgatha, das war etwas Neues. Das war das Wesentliche, dass für diejenigen, die Ohren haben zu hören, es eine Möglichkeit gab, mit Hilfe dessen, was in der Apokalypse des Johannes steht, nach und nach zum wirklichen Verständnis des Ereignisses von Golgatha vorzudringen. Das war die Absicht des Apokalyptikers. Aus den alten Mysterien hatte er die Apokalypse; sie ist ein uralt heiliges Buch der Menschen und ist nur äußerlich der Menschheit geschenkt worden durch den Jünger, den der Herr lieb hatte und dem er testamentarisch vermacht hatte, seine wahre Gestalt zu verkünden. Er soll bleiben, bis Christus kommt (Joh. 21); sodass diejenigen, die mit erleuchtetem Bewusstsein ausgestattet sind, ihn erfassen können. [Johannes] ist der große Lehrer des wahren Ereignisses von Golgatha. [11] Mit diesem Grundimpuls, der als der christliche durch die Apokalypse des Johannes geht, hängt es zusammen, dass die Offenbarung Johannis nicht mit dem ersten Siegel, das die Rückschau in die Vergangenheit enthüllt, beginnt, sondern mit dem zweiten Siegel, das die Zukunft der Menschheitsentwicklung offenbart – den „Menschensohn“ – und das erst durch Christus verwirklicht werden kann. Alle vorchristlichen Apokalypsen nehmen ihren Ausgangspunkt mit dem Rückblick auf die Menschheitsvergangenheit. Aus vielen Stellen des Alten Testamentes kommt uns dieses erste Ursymbol der Menschheitsvergangenheit entgegen, wie dem „Viergetier“, der Vision des Propheten Hesekiel 83, die zweimal 81 82

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Eingeweihte, die wiederum ihre Schüler („Adepten“) in ein Mysterium einweihen. Vom bildsamen Kindes- und Jugendalter an wurden die meisten Griechen mit den beiden Epen [Ilias und Odyssee] vertraut gemacht, wobei das Auswendiglernen bis zur Beherrschung des ganzen Homer getrieben werden konnte, wohlgemerkt mit dem Ziel, dem Schüler die bestmögliche Charaktererziehung angedeihen zu lassen. (Thomas A. Szlezák: „Die Geburt der abendländischen Dichtung“, C. H. Beck., S. 12) Mein Vater ... zwang mich [Nikeratos], Homers Gedichte zur Gänze zu lesen, und so kann ich die Ilias und die Odyssee auswendig – ... Hast du vielleicht vergessen, dass abgesehen von dir es keinen Sänger gibt, der diese Epen nicht kennt? (Xenophon, Symposion III,5.) – Beide Epen beinhalten zusammen über 27.000 Verse in Hexametern. Auch Ezechiel genannt; eines der Bücher des Alten Testaments ist von ihm geschrieben.

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angeführt ist zu Beginn im 1. Kapitel des Buches Hesekiel und sodann im 10. Kapitel, Verse 1122. Die erste Vision wird uns beschrieben da ich war unter den Gefangenen am Wasser Chebar84, als sich der Himmel auftat und Gott mir sein Gesicht zeigte; also während der Babylonischen Gefangenschaft. Und ich sah, und siehe, es kam ein ungestümer Wind von Mitternacht her mit einer großen Wolke von Feuer, das weit umher erglänzte; und mitten im Feuer war es lichthell. Und darin war es gestaltet wie vier Tiere, die wie Menschenangesichter anzusehen waren. Und jegliches hatte vier Angesichter und vier Flügel. Und ihre Beine standen gerade, und ihre Füße waren gleich den Rinderfüßen und glänzten wie helles glattes Erz. Und sie hatten Menschenhände unter ihren Flügeln. Und je einer der Flügel rührte an den anderen, und wenn sie gingen, mussten sie sich nicht herumlenken, sondern wo sie hingingen, gingen sie stracks vor sich hin. Ihre Angesichter waren vorn gleich einem Menschen, und zur rechten Seite gleich einem Löwen bei allen vieren, und zur linken Seite gleich einem Ochsen bei allen vieren und hinten gleich einem Adler, bei allen vieren. Und ihre Angesichter und Flügel waren obenher zerteilt, dass je zwei Flügel zusammenschlugen, und mit zwei Flügeln bedeckten sie ihren Leib... Und die Tiere waren anzusehen wie feurige Kohlen, die da brennen; und das Feuer fuhr hin zwischen den Tieren und gab einen Glanz von sich, und aus dem Feuer gingen Blitze. Die Tiere aber liefen hin und her wie der Blitz. (Hesekiel 1,414) Es ist die bekannte Vision, die auch an anderen Stellen beschrieben wird, des „Viergetieres“, mit den vier Tiergestalten, welche die kosmischen Seelenkräfte des Denkens (Adler), Fühlens (Löwe), des Wollens (Stier) und der die Seelenkräfte harmonisierenden Menschenkraft (Mensch oder Engel) darstellt, wie sie im zweiten Ursymbol der Apokalypse auftaucht (Off. 4,7). Unwillkürlich werden wir bei der Beschreibung der vier Gestalten bei Hesekiel an die majestätischen Zentaurengestalten aus dem assyrischbabylonischen Kulturkreis erinnert, mit den von Priesterbärten umrahmten Gesichtern, deren Leib in einen stier- und löwenförmigen Leib übergeht, wie sie im Britischen Museum in London in ihrer gigantischen Größe zu sehen sind. Auch die ägyptische Sphinx fasst das Rätsel der Herkunft des Menschen in ihrer tierisch-menschlichen Gestalt zusammen: Das Haupt trägt die Züge einer Frau, während der untere Leib in die Gestalt eines Löwen oder Stieres übergeht. Das Lächeln des Sphinxantlitzes deutet Rudolf Steiner auf eine diesbezüglich an ihn gerichtete Frage: Dass die Sphinx über die ganze Menschheitsentwicklung hinüberblickt in eine Zukunft, wo es keinen Tod und keine Tränen mehr gibt! 85 In fast allen Völkern war dies Bild, wie es auch den jüdischen Propheten vielfach erschienen ist, bekannt. Natürlich darf diese kosmische Herkunft der Menschheit nicht im Sinne des modernen Darwinismus gedeutet werden, sondern sie muss im Lichte einer kosmogenischen Welt- und Menschheitsevolution angeschaut werden, wie sie in Rudolf Steiners „Geheimwissenschaft im Umriss“ (GA 13) geschildert wird. Diese Kosmogonie stimmt durchaus überein mit den auf okkulter Grundlage beruhenden religiösen Dokumenten, wie dem Johannesevangelium. Was haben wir uns unter dem „Worte“ 84 85

Auch Kebar genannt; ein Fluss im Land der Babylonier. In der Zukunft blickt das Menschenantlitz in verklärter Gestalt hervor aus dem abgesonderten, hinuntergestoßenen Bösen des Tierischen. Denken wir uns das verklärte Menschenantlitz, das heute wie ein Rätsel schlummert in der tierischen Materie, abgesondert von dem Tierisch-Bösen und symbolisch dargestellt – die ägyptische Sphinx. Sie ist nicht etwas, was nur auf die Vergangenheit hinweist, sondern sie weist auch auf die Zukunft hin. [12]

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vorzustellen, das bei Gott im Urbeginne als Schöpferkraft wirkte, wie es im JohannesProlog heißt: Im Urbeginne war das Wort Und das Wort war bei Gott Und ein Gott war das Wort. Dasselbe (das Wort) war im Urbeginn bei Gott. Alle Dinge sind durch das Wort entstanden Und ohne das Wort ist nichts entstanden von dem Gewordenen In Ihm (dem Worte) war das Leben Und das Leben war das Licht der Menschen Und das Licht scheint in die Finsternis,86 Und die Finsternis hat es nicht begriffen... (Joh. 1,1-5) Wo aber war das Wort im Urbeginn? Es wirkte aus dem Tierkreis, der zwölf kosmische Kräfte umfasst. In ihnen leben die Kräfte des Logos, die in den Buchstaben unserer Sprache enthalten sind87. Könnten wir die Laute unserer Sprache in der richtigen Reihenfolge in einem Augenblick aussprechen, so würde im Ätherischen das Urbild des Menschen erstehen!88 Dieses Urbild des Menschen ruht im Zodiak, in den kosmischen Gestaltungskräften des „Tierkreises“. – Warum hat man ihn „Tierkreis“ getauft? Weil in diesen kosmischen Ruhesternen auch die Gattungskräfte des Tierreiches enthalten sind. Nicht willkürlich sind die einzelnen Bilder des Zodiaks mit den Tiernamen belegt. Diese Kräfte, die an der Ausprägung der einzelnen Tiergattungen mitgewirkt haben, leben auch im Menschen. Wir tragen sie in uns als Vermächtnis unserer Vergangenheit, in unseren Gattungskräften, wie sie sich in der alten Atlantis in den einzelnen Rassen ausgestaltet haben. In diesen ursprünglich atlantischen Rassen 89 war jede Rasse einer einseitigen Seelenkraft zugeordnet, dem Prinzip des Denkens (Adler), des Fühlens (Löwe), des Wollens (Stier) oder des die drei Seelenkräfte harmonisierenden und zusammenfassenden

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Andere Übersetzungen haben in der Finsternis. Die Geisteswissenschaft ordnet jedem der 12 Tierkreiszeichen einen oder mehrere „UrKonsonanten“ zu. Dem Löwen entsprechen beispielsweise das D und das T. Gleichermaßen entsprechen den Planeten unseres Sonnensystems (inklusive unserem Mond) die sieben „UrVokale“, von denen zwei Diphthonge sind: Der Sonne entspricht das AU, dem Mond das EI. (Alle Laute der verschiedenen Sprachen, die nicht in diesen Grund-Lauten enthalten sind, gelten als Abstufungen bzw. Mischungen.) Wenn wir tatsächlich vom a bis zum z gehen könnten in der Lautformulierung, wenn wir dies so zuwege brächten, dass das a stehen bleiben würde bis zum z und das Ganze würde sich in der Luft abbilden, was wäre denn das? ... Der menschliche ätherische Leib stünde vor Ihnen, wenn Sie einmal das ganze Alphabet – man müsste es erst richtig stellen, heute ist es nicht ganz richtig so, wie es gewöhnlich aufgestellt wird, aber es kommt ja auf das Prinzip jetzt an -, wenn Sie einmal lautlich das Alphabet von a angefangen bis zum z hinstellen würden, der Mensch stünde vor Ihnen... Das Innere des Menschen, also insofern sich dieses Innere des Menschen im Ätherleib auslebt, das prägen wir der Luft ein, indem wir sprechen. Wenn wir Laute zusammenstellen, entstehen Worte. Wenn wir das zusammenstellen vom Anfang des Alphabets bis zum Schluss, entsteht ein sehr kompliziertes Wort... Dieses Wort enthält aber zu gleicher Zeit den Menschen in seiner ätherischen Wesenheit... Was ist denn aber der ätherische Mensch? Der ätherische Mensch ist das Wort, das das ganze Alphabet umfasst. [GA 279, 1. Vortrag] Die Anthropologie spricht heute von „Populationen“, so etwa den Südostasiaten, Amerikanern, Nordasiaten, Kaukasiern und Afrikanern. (Vgl. CavalliSforza: „Gene, Völker und Sprachen. Die biologischen Grundlagen unserer Zivilisation“, Hanser, München-Wien, 1999.)

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Menschenwesens90. Es brauchte lange Zeit, bis das Einseitige der Gattungskräfte in der atlantischen Zeit ausgeglichen und immer mehr zur Überwindung gekommen war. Das ist ja die Aufgabe der nachatlantischen Entwicklung. Deshalb spricht man in der Geisteswissenschaft nicht mehr von den einzelnen Rassenstufen, sondern von den Kulturperioden der nachatlantischen Zeit. Denn wir stehen gegenwärtig in dem Übergang von den alten Rassen, die im Leiblichen verwurzelt sind, zu den mehr im Seelischen veranlagten kulturellen Kräften, wie sie seit der griechischen Kultur immer mehr sich in Europa sublimiert, verfeinert und vergeistigt haben. Diese Aufgabe der Überwindung der alten Rassenkräfte steht nun in dem im 4. Kapitel der Apokalypse beschriebenen Siegel vor uns. Der Hinweis auf die in allen alten Mysterien schon bekannten Apokalypsen könnte der christlichen Seher-Botschaft des Johannes etwas von ihrer Originalität rauben, und die moderne Bibelkritik ist schnell bei der Hand, die Übernahme von biblischen Texten aus anderen Kulturbereichen festzustellen. Diese einseitige Auffassung wird man nur solange gelten lassen, als man noch nicht die geistig-okkulte Grundlage aller religiösen Dokumente und Überlieferungen durchschaut hat. Denn sowohl die heidnischen wie die hebräischen Überlieferungen erfließen aus einem konkreten übersinnlichen Erfahrungsbereich. Und dieser übermittelt den Menschen, die auf der gleichen Bewusstseinsstufe stehen, die gleichen oder ähnlichen Ergebnisse. Dazu braucht es keiner gegenseitigen Verständigung, dass die eine Quelle von der anderen beeinflusst worden ist. Die Pyramiden-Erbauer von Mexiko haben ihre kultischen Bauwerke aus ähnlichen geistigen Impulsen errichtet wie die Eingeweihten Ägyptens. Eine gegenseitige Beeinflussung ist dafür nicht unbedingt notwendig. So kann man überrascht sein, wenn man im Buch Hesekiel genau dieselbe Formulierung wie im 10. Kapitel der Apokalypse liest. So wie der Apokalyptiker dort aufgefordert wird, das Büchlein, das der Engel ihm reicht, zu essen, das ihm im Bauche Schmerzen bereiten wird, doch in seinem Munde süß wie Honig ist, so empfängt auch Hesekiel denselben Auftrag von Gott: Und er sprach zu mir: „Du Menschenkind, iss, was vor dir ist, iss diesen Brief und gehe hin und predige dem Hause Israel!“ Da tat ich meinen Mund auf, und er gab mir den Brief zu essen. Und er sprach zu mir: „Du Menschenkind, du musst diesen Brief, den ich dir gebe, in deinen Leib essen und deinen Bauch damit füllen.“ Da aß ich ihn, und er war in meinem Munde so süß wie Honig... „Aber das Haus Israel will dich nicht hören, denn sie wollen mich selbst nicht hören; denn das ganze Haus Israel hat harte Stirnen und verstockte Herzen“... Und ich fuhr dahin in bitterem Grimm, und des Herrn Hand hielt mich fest! (Hesekiel Kapitel 3, Verse 1-3, 7 und 14b) Das Neue der Apokalypse des Johannes aber ist der Hinweis auf den Menschensohn, der schon Fleisch geworden ist und der als Ziel der Menschheitsentwicklung im Mittelpunkt des ganzen Dramas vor uns steht. Deshalb erscheint er dem christlichen Seher gleich zu Anfang seiner Entrückung, weil dies Symbol das Alpha und Omega, der Anfang und das Ziel der gesamten Menschheitsevolution ist. Lassen wir das erste Ursymbol, wie es der Seher in der Vision des Menschensohnes gleich im ersten Kapitel beschreibt, noch einmal vor uns hintreten. Es ist wie ein machtvoller Blitz, der die Sinneswelt zerreißt und der den Seher nicht nur in die imaginative Bilderschau versetzt, sondern zugleich auch durchbraust mit dem inspirativen Posaunenklang. 90

Heute „Wassermann“ genannt, eigentlich der zukünftige „Engelmensch“.

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Ich, Johannes, euer Bruder und Schicksalsgefährte sowohl in allen Prüfungen als auch im inneren Königtum und in der ausharrenden Kraft, die wir mit Jesus Verbundenen besitzen, war auf der Insel Patmos. Dort sollte ich des göttlichen Weltenwortes teilhaftig und der Zeugenschaft des Leidens Jesu erwürdigt werden. Am Tage des Herrn (dem Sonntag) wurde ich in das Geistgebiet versetzt und hörte hinter mir eine gewaltige Stimme wie den Schall einer Posaune. Sie sprach: „Schreibe, was du siehst, in ein Buch und sende es an die sieben Gemeinden, nach Ephesus und nach Smyrna und Pergamon und nach Thyatira, nach Sardes und nach Philadelphia und nach Laodizea.“ Und ich wandte mich um, um den zu schauen, dessen Stimme zu mir sprach. Und als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter und inmitten der Leuchter eine Gestalt wie die eines Menschensohnes, bekleidet mit einem langwallenden Gewand, die Brust mit einem goldenen Gürtel umgürtet, mit weißem Haupt, dessen Haar leuchtete wie weiße Wolle und wie Schnee, mit Augen, als wären es Feuerflammen, mit Füßen, als wären sie von Golderz, das im Feuer glüht, mit einer Stimme gleich dem Rauschen großer Wasserströme. In seiner rechten Hand hielt er sieben Sterne, aus seinem Munde ging ein scharfes zweischneidiges Schwert hervor, und sein Antlitz leuchtete wie die Sonne in ihrer ganzen Kraft. Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen nieder und war wie tot. Er aber legte mir seine rechte Hand auf und spracht: „Fürchte dich nicht. Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich bin gestorben und trage dennoch das Leben der Welt durch alle Zeitenkreise. Mein ist der Schlüssel zum Reiche des Todes und der Schatten. Schreibe nieder, was du siehst, das Gegenwärtige und das Zukünftige. Es ist das Geheimnis der sieben Sterne, die du siehst in meiner rechten Hand, und der sieben goldenen Leuchter. Die sieben Sterne sind die Engel der sieben Gemeinden, und die sieben Leuchter sind die sieben Gemeinden selbst. (Off. 1, 9-20) Diese erste Offenbarung steht, trotz ihrer kosmischen Größe und Gewalt, in der sich der „Menschensohn“ dem Seher offenbart, noch ganz an der Grenze zwischen der Sinnes- und geistigen Welt. Warum wird hier – wie in den weiteren Offenbarungen – der Christus stets mit „Menschensohn“ oder mit „Jesus“ bezeichnet? Es ist ein tiefes Geheimnis, das sich einer geisteswissenschaftlichen Christologie enthüllt. Die komische Logoskraft 91, die im Christus wirkte, konnte nur dadurch in der Menschheitsentwicklung weiterwirken, indem sie sich ganz verband mit eines Menschen Wesen und einer menschlichen Kraft.

Nur dadurch konnte in einem Menschen der Tod überwunden und besiegt werden, dass der Christus Mensch wurde und im Augenblick des Sterbens das TodesAuferstehungs-Geheimnis dem Menschen Jesus, in dem der Christus inkarniert war, mitteilte. 92 Das ist der tiefere Grund, weshalb in der Apokalypse der „Menschensohn“ statt dem „Gottessohn“ in den Evangelien erscheint. Der ganze Weg des Christus geht vom Gottessohn zum Menschensohn. Durch die Menschwerdung des Christus wird in die Menschheit die Kraft imprägniert, welche sie wieder zum Geist emporträgt und den Tod überwinden lässt. Und um diese Kraft handelt es sich in der Apokalypse, sie muss immer

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Vom Logos war im Anfang des Johannesevangeliums die Rede. Logos (λοόγος) wird im Deutschen mit „Wort“ übersetzt, hat aber im Griechischen eine viel weitere Bedeutung, die in der Bibel bis zur kosmischen Dimension erweitert wird. Dieses Zitat, angeblich aus einem Vortrag Steiners vom 6.3.1910 entnommen, konnte nicht aufgefunden werden.

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tiefer Menschengestalt und Menschenzüge annehmen, sie muss immer mehr „Mensch werden“, um den Menschen mit Gott zu verbinden und zu vergöttlichen. Das ist das letzte und größte Opfer, das Christus gebracht hat, dass er seine Gottheit ganz auslöschte und ganz Mensch wurde. Und dieser „Menschensohn“ erscheint dem Seher hier an der Grenze zur ätherischen Welt, dem nächst höheren Geistgebiet, dessen flammendes Licht in die Sinneswelt hineinleuchtet. Aber er wirkt und spricht für die Angehörigen dieser Sinneswelt. Sein Auftrag ergeht an die „Engel der sieben Gemeinden“, als deren Leiter und Führer sich der Menschensohn hier offenbart. In dieser ersten Offenbarung zeigt sich der Christus als das göttlichmenschliche Führungsprinzip der Menschheit, das sich im letzten Brief an die Gemeinde von Laodizäa als „der Amen“ 93 bezeichnet – der letzte, zu dem die Entwicklung hintendiert. Ich durchschaue dein Tun, du bist weder kalt noch warm, wärest du doch kalt oder warm! Da du aber lau, weder kalt noch warm bist, werde ich dich ausspeien. Du sagst: „Ich bin reich und besitze alles und mir fehlt nichts.“ Du weißt nicht, wie erbärmlich, jämmerlich und armselig du bist, wie blind und nackt. Ich rate dir, bei mir das Gold zu kaufen, das im Feuer geläutert ist, damit du wieder reich werdest; dazu das weiße Gewand, damit du bekleidet seiest und nicht die Nacktheit deines Wesens so schmachvoll in Erscheinung trete. Und dann nimm noch die Salbe, um deine Augen zu salben, damit du wie der sehend werdest... Siehe, ich stehe vor der Türe und klopfe an. Wer meine Stimme hört und mir die Türe, aufmacht, zu dem will ich hineingehen und das heilige Mahl mit ihm halten, und er mit mir. Die ich durch Schicksalsschläge erziehe, das sind die, die ich liebe. So tue alles, deine Gesinnung zu ändern. (Off. 3, 15-19) In die ganze Armseligkeit, Nacktheit und Erbärmlichkeit des westlich-materialistischen Zeitgeistes versetzt uns das letzte Sendschreiben, das schon in die große Menschheitskrise mündet, den großen Krieg, womit die sieben nachatlantischen Kulturperioden enden. In der 6. Kulturepoche wird der große Menschheitsführer um das Jahr 4500 erscheinen, der als der Maitreya-Buddha94 – der Bringer des Guten durch das Wort – einen gewaltigen Impuls bringen wird, um die Menschen um sich zu scharen, aus welchen dann, ähnlich wie beim Untergang der Atlantis, die Saat genommen wird, um die Kultur über die Katastrophe der großen Vernichtung zu tragen. Und damit stehen wir vor der ersten großen Zäsur der Menschheitsentwicklung, die durch das zweite Ursymbol eingeleitet wird. Es ist das Symbol des Viergetiers. Hier beginnt eigentlich erst das apokalyptische Drama, das die große Entscheidung und Scheidung der Geister mit sich bringt. Denn mit „Laodizäa“ endet in gewisser Beziehung die rein physischmaterielle Erdenentwicklung, da an diesem Zeitpunkt sich große kosmischtellurische95 Ereignisse abspielen. Das zweite Siegel wird die Ouvertüre bilden für das damit einsetzende apokalyptische Drama der beginnenden Ätherisierung der Erde.

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Off. 3,14: ...tade legei ho Amēn, ho martys ho pistos kai alēthinos... „das (Folgende) sagt der Amen, der treue und wahrhaftige Zeuge“. Das Wort Buddha im Allgemeinen heißt Altindischen „der Erwachte“; hier ist nicht der historische „Buddha“ Siddharta Gautama, der Stifter der buddhistischen Religion, gemeint, sondern „Buddha“ bezeichnet hier die Bewusstseinsstufe, die dieser Mensch erreicht haben wird. d. h. „himmlisch-irdisch“.

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Danach konnte ich schauen: Siehe, eine offene Türe im Himmel. Und die erste Stimme, die wie der Schall einer Posaune an mein Ohr gedrungen war, sprach: „Steige empor zu mir! Ich will dir zeigen, was nach all dem Vorangegangenen in der Zukunft geschieht.“ Und schon war ich ins Geistgebiet emporgehoben. Siehe, ein Thron stand im Himmel, und auf dem Throne saß eine Gestalt. Der Thronende glich in seinem Glanze einem Jaspis und einem Karneol. Um den Thron rundete sich ein Regenbogen, der in seinem Licht wie ein Smaragd leuchtete. Im Kreise um den Thron standen vierundzwanzig Throne und darauf saßen vierundzwanzig Älteste in weißen Gewändern mit goldenen Kronen auf den Häuptern. Auf dem Throne zuckten Blitze, Stimmen ertönten, Donner rollten, und sieben flammende Fackeln brannten vor dem Thron. Das sind die sieben göttlichen Schöpfergeister. Und vor dem Thron war das gläserne Meer gleich dem Kristall. Inmitten und im Umkreis des Thrones aber vier Tiere mit lauter Augen vorne und hinten. Das erste Tier glich einem Löwen, das zweite einem Stier, das dritte hatte ein Antlitz wie ein Mensch, und das vierte war wie ein fliegender Adler. Die vier Tiere hatten sechs Flügel; rundherum und im Innern waren sie voller Augen. Ohne Unterlass riefen sie bei Tag und Nacht: „Heilig, heilig, heilig der Herr, der göttliche Herrscher des Alls, der da war, der da ist und der da sein wird!“ – Und so oft die Tiere darbringen Geisteslicht, Preis und Dank dem, der da auf dem Throne sitzt und das Leben von Ewigkeit zu Ewigkeit trägt, fielen die vierundzwanzig Ältesten nieder vor dem, der auf dem Throne saß und beteten an den, der von Ewigkeit zu Ewigkeit lebt, und legten ihre Kronen vor dem Throne nieder und sprachen: „Herr, Du bist würdig zu nehmen Preis und Ehre und Kraft; denn du hast alle Dinge geschaffen, und durch deinen Willen haben sie das Leben und ihr Wesen.“ (Off. 4, 111) Wir wiesen schon darauf hin, dass man in Babylonien und Ägypten die höheren, übermenschlichen Wesen in Menschengestalten, doch mit Tierköpfen, darzustellen pflegte zum Zeichen, dass sie einer höheren Kategorie angehören. So stehen auch die ägyptischen Tiere, welche die kosmischen Kräfte für die Seelenkräfte des Menschen versinnbildlichen, auf einer sehr hohen seraphischen Entwicklungsstufe. Diese Stufe wird angedeutet durch das „Empyreum“96 – den Kristallhimmel –, dessen Urbild in dem Symbol des „gläsernen Meeres“ aufleuchtet, das vor dem Thron sichtbar ist. Wir finden ihn hinter dem Tierkreis, dessen Entwicklung sich in früheren Weltsystemen vollzog:

Die Urweltweisheit hat es genannt den Kristallhimmel, und in diesem Kristallhimmel waren deponiert die Taten der Wesen einer früheren Evolution. Sie bildeten sozusagen dasjenige, auf Grund dessen die neuen Wesenheiten zu schaffen haben. [13] Hier ist der Ort, wo wir einen Blick werfen können in das Mysterium, das der Schöpfung der Welten zugrunde liegt und sich im Tierkreis konzentriert. Die erste Stufe der Weltentwicklung manifestiert sich in dem Planetensystem, zu dem unsere Erde gehört. Darauf folgt die zweite Stufe, bei der ein Planet zum Fixstern erhoben wird. Dies geschah im Rahmen unserer Weltentwicklung auf der „Alten Sonne“, als diese von einem Planeten zu einem Fixstern erhoben wurde. 97

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Griechisch für „das im Feuer Befindliche“: In der mittelalterlichen Kosmologie der höchste Teil des Himmels als Wohnort der Seligen.

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Rudolf Steiner hat diesen Augenblick der alten Sonnenstufe in anschaulichen Bildern festgehalten. Auf dieser alten Sonnenstufe waren Christus und Luzifer 98 Brüder und einander ebenbürtig.

Aller Glanz, der jemals uns kommen kann durch eine Betrachtung, die von der Offenbarung des Lichtes ausgeht, ist etwas Geringfügiges gegen die Majestät Luzifers in der alten Sonnenzeit. Aber wir bemerken innerhalb dieses Luzifers, wenn wir auf seine Intentionen, die ja dann zu durchschauen sind, eingehen, dass er ein Geist ist, welcher durch alles das, was er an sich hat, begabt ist mit einem unendlich großen Stolze, mit einem solchen Stolze, dass man durch diesen Stolz auch versucht werden kann. Und daneben ist die Gestalt des Christus in der alten Sonnenzeit, der sozusagen der Herrscher des Sonnenplaneten ist, ein Bild vollster Hingabe an dasjenige, was ringsherum sonst in der Welt ist. [14] Die eigentliche Unterscheidung und Trennung beider Wesenheiten (Christus und Luzifer) zeigt sich in ihrer Haltung gegenüber dem „Weltenwort“, dem Logos, das auf der alten Sonne vom Tierkreis sich offenbart. Diesem Weltenwort gab sich der Christus hin,

nahm es ganz in sich auf, sodass ... diese Christus-Seele das Vereinigungswesen war der großen, durch das unaussprechliche Wort hineintönenden Weltengeheimnisse... Und von dem, was Luzifer und Christus dazumal waren, ging nun alle spätere Entwicklung aus. Denn das hatte zur Folge, dass die Christus-Wesenheit in sich aufgenommen hatte das umfassende Weltenwort, die umfassenden Weltengeheimnisse, und dass die Luzifer-Wesenheit verlor durch das, was ich nur mit dem Worte „stolze Lichtgestalt“ ausdrücken kann ... das Venusreich.99 [14] Das ist der spirituelle Hintergrund für die Erhebung des alten Planeten Sonne zum Fixstern: Denn das Weltenwort hat die Eigenschaft,

dass es sich in der Seele, von der es aufgenommen wird, zu erneuertem Lichte entzündet, sodass von der alten Sonnenzeit an das Weltenwort in dem Christus Licht wurde, und der Planet, dessen Herrscher der Christus war, von der alten Sonnenzeit an sich zum Mittelpunkt des ganzen Planetensystems, zur Sonne, entwickelte, und die anderen Planeten in Abhängigkeit kamen von der Sonne, auch in Bezug auf ihre geistigen Herrscher. Durch seine Hingabe an das Weltenall, durch die Aufnahme des göttlichschöpferischen Wortes, durch die Identifizierung mit dem göttlich-schöpferischen, mit dem unaussprechlichen Wort, durch die Abweisung eines jeglichen Stolzes und durch 97

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Siehe im Anhang den Abschnitt „Planetenentwicklung“. Einem sinnlich-wahrnehmbaren Himmelskörper liegt eine geistige Wesenheit zugrunde, die sich (wie ein menschliches Ich) verkörpert – etwa in einem Planeten oder einem Fixstern – und sich auch wieder „entkörpert“. Wie alle geistigen Wesenheiten entwickeln sich auch die Himmelskörper weiter, vom beleuchtenden Planeten zum selbstleuchtenden Stern. Luzifer bedeutet „Licht-Träger“, griechisch Phosphoros. Das „Licht“ im geistigen Sinne bezieht sich auf die Weisheit, denn Luzifer hat die Menschen vor langer Zeit darin unterrichtet; diese „Urweisheit“ ist im Laufe der Zeiten fast ganz verloren gegangen. Das „Licht“ kann auch physisch verstanden werden; dann bezeichnet es das Licht, das unsere leiblichen Augen wahrnehmen können; dieses Licht ist auch durch Luzifer vermittelt. Auf Luzifer, den „Licht-Träger“, in Gestalt einer Schlange, geht die „Versuchung“ zum Sündenfall zurück. Er wird seitdem Diabolos (διαόβολος, sprich: di-A-bolos) „Durcheinander-Werfer“ – d. h. „Verwirrer, Verleumder“ – genannt. Seine Farbe ist rot.

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den Ersatz eines jeglichen Stolzes durch die Hingabe an das Weltenwort, wurde der Christus aus dem Herrscher eines Planeten [zum] Herrscher über die anderen Planeten, mit dem Regierungsgebiet der Sonne. [14] So wird Christus durch die Aufnahme des Logos der Lenker und Herrscher des Fixsternes Sonne. Das ist die zweite Stufe auf diesem Entwicklungswege. Die dritte Stufe vollzieht sich, wenn ein Fixstern sein Ziel erreicht hat und sich in den Tierkreis opfert. Einen Begriff von der Entwicklungshöhe dieser Wesen kann man bekommen, wenn man folgendes bedenkt: Das höchste Wesensglied, das der Mensch einst100 in sich verwirklichen wird, ist der Geistesmensch 101. Dieses siebte Glied im Menschen ist aber das [derzeit] unterste Glied dieser erhabenen Wesenheiten des Tierkreises, deren höchstes Glied (dem Widder entsprechend) das zwölfte Glied ist.

Das zwölfte Glied bei diesen [hoch erhabenen] Wesenheiten ist auch ein Ätherleib..., der Leben ausströmt, der so wirkt in der Welt, dass er das Leben nicht empfängt, sondern hingibt, es fortdauernd zu opfern in der Lage ist. Nun fragen wir uns: Können wir uns denn eine Vorstellung machen von einem Wesen, das irgendwie mit uns in Beziehung steht und das in einer solchen Weise in unserem Weltall Leben ausströmt? Ein ausströmendes Leben, das fortdauernd belebend in die Welt fließt?... Das ist diejenige Wesenheit, die das große Opfer zu bringen vermag, und die im Tierkreis eingeschrieben ist als die sich für unsere Welt opfernde Wesenheit. Wie der Mensch aufstrebt in den Tierkreis hinein, so sendet uns diese Wesenheit aus dem Widder seine Opfergabe dar. Daher die Bezeichnung des sich opfernden Lammes oder Widders für Christus. Christus wird Ihnen jetzt so charakterisiert als dem ganzen Kosmos angehörig... und er steht so mit der ganzen Menschheit in einem Verhältnis, und in einer gewissen Weise sind diese Wesenheiten und Kräfte, die auf der Erde sind, seine Schöpfungen. [2] So erschließt sich uns der Blick auf einen neuen Tierkreis, wenn die Menschheit die Vulkanstufe ihrer planetarischen Entwicklung erreicht hat und reif geworden ist, das große Opfer zu vollbringen. Dann wird aus dem Fixstern der Erde auf der Vulkanstufe, nach ihrer Vereinigung mit der Sonne, ein neuer Tierkreis – eine neue Weltenschöpfung. Das ist das große Mysterium, das jeder neuen Weltschöpfung vorausgeht.

Wenn ein solcher Planet, wie es unsere Erde ist, aufgestiegen ist zum Sonnendasein, wenn er allmählich mit seiner Sonne sich vereinigt hat und das Ganze noch über das Sonnendasein hinaussteigt..., dann entsteht das, was wir heute einen Tierkreis nennen... Wenn also die Wesen nicht mehr auf einen bloßen Fixstern beschränkt bleiben, sondern ihre eigene Entwicklung so mächtig ausdehnen, dass sie über Fixsterne sich erstreckt..., dann ist eine höhere Stufe erreicht, die Stufe der Tierkreisentwicklung. Tatsächlich ist es so, dass diejenigen Kräfte, die aus einem Tierkreis auf ein Planetensystem wirken, selbst früher in einem Planetensystem sich entwickelt haben und zu einem Tierkreisstadium fortgeschritten sind... Auf geheimnisvolle Weise entstand schon der erste Morgendämmerungszustand der Erde, der alte Saturn, durch ein Opfer des Tierkreises. Was erst in einem planetarischen System ist, entwickelt sich zum Sonnendasein, dann zum Tierkreisdasein und erlangt dann die Fähigkeit, selbst schöpferisch zu werden, sich 100 101

bzw. in „absehbarer Zeit“ bis zum Ende der Vulkan-Stufe. Dieses höchste zu entwickelnde Wesensglied des Menschen nannten die Inder Atman, es ist ein Teil des dreifachen Menschengeistes.

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hinzuopfern in einem planetarischen Dasein... Und fortwährend regnen die Kräfte aus dem Tierkreis in das planetarische Dasein hinunter... Diese erhabenen Wesenheiten sind die Reste, die uns herübergekommen sind aus einem alten Sonnensystem (das „gläserne Meer“). Das, was früher innerhalb eines Sonnensystems sich entwickelt hat, das kann jetzt herunterwirken aus dem Weltenraum und kann ein selber neues Sonnensystem aus sich gebären und schaffen. Deshalb sind diese Wesenheiten, die Seraphime, Cherubime, Throne102 für uns zunächst die höchste Hierarchie, weil sie ihre Sonnensystem-Entwicklung bereits durchgemacht haben und zum großen kosmischen Opferdienst aufgestiegen sind. [2] Wie in einem konzentrierten Brennpunkt tritt uns also diese Äonen umfassende göttliche Weltentwicklung in dem zweiten Siegel vor Augen: Welten-Vergangenheit und Welten-Ziel vereinend. Drei Kreise sind es nun, die uns dieses Ursymbol enthüllt: Der 1. Kreis ist der äußerste. Es sind die erhabenen sphinxartigen Geisteswesen, deren Flügel uralte Geistsubstanz vergangener Weltenepochen hineintragen in die heutige Weltenentwicklung. Wie gigantische Wächter umgeben sie das apokalyptische Drama, das sich in ihrer Mitte abspielt. Der 2. Kreis, der sich um das Allerheiligste, den Thron im Mittelpunkt, schließt, sind die 24 Ältesten. Sie bilden das Ziffernblatt der kosmischen Weltenuhr. Es sind die aus der Menschheitsentwicklung hervorgegangenen Führergeister, denen am Ende der Menschheitsentwicklung die Führung der Menschheit übertragen wird. In der ersten Periode liegt diese Führung in den Händen der Götter. In der zweiten, mittleren Periode, der Gegenwart, liegt sie in den Händen göttlich-menschlicher Führermächte, der sogenannten Bodhisattvas103. Das sind Eingeweihte wie zum Beispiel Buddha, die von einem Engel- oder Erzengelwesen inspiriert und überschattet sind. In der dritten Periode fällt die Menschheitsführung den Ältesten zu, die aus der Menschheit hervorgegangen sind. Es sind dies die „Meister der Menschheit“. Die göttliche Weisheit hat 72 dieser Menschheitsführer als „Älteste“ vorgesehen. Aber sie weiß, dass ein Drittel das Ziel nicht erreichen wird, ein weiteres Drittel wird abfallen – sodass nur ein Drittel am Ende der Erdenentwicklung übrig bleiben wird. Das sind die 24 Ältesten. Sie bilden die Zeiger der Weltenuhr und bringen das Drama in Bewegung. Der 3. Kreis wird von den Menschen selbst gebildet, deren Lebensfrüchte entsiegelt werden. Johannes als Zeuge und Zuschauer dieser apokalyptischen Prüfung, erlebt als eingeweihter Schicksalsgenosse die Eröffnung der sieben Siegel des Lebensbuches. Immer wenn eine Wende als Übergang zu einem höheren Bewusstsein sich vollzieht, tritt eine große Pause in der „Offenbarung des Johannes“ im Himmel ein, alles konzentriert sich in den geistigen Sphären zur Vorbereitung für das Kommende. Ein himmlischer Kultus wird zelebriert – nicht für Menschen, sondern für die Himmelssöhne und Geistesmächte, deren Lob- und Dankeshymnen zum Thron des Höchsten emporsteigen. So auch hier am Ende des 4. Kapitels, als die vier seraphischen Weltenwächter der Menschheitsentwicklung 102 103

Die drei Abteilungen der obersten vom Menschen erfassbaren Hierarchie. Die Anthroposophie verwendet das Wort Boddhisattva (alt-indisch für „Erleuchtungswesen“) in einem besonderen Sinn: Es steht hier für eine Zwölfheit spiritueller Meister, die unter Leitung des Christus die Entwicklung der Menschheit lenken.

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um den Thron erscheinen. Der moderne Leser übergeht gerne diese Dankeshymnen im Fortgang der Handlung, da sie ihm nicht viel zu sagen haben. Und doch bilden sie eine wichtige Atempause in der Handlung – einen Übergang, durch den eine neue Bewusstseinsebene eingeleitet wird. Auch hier münden die Lobgesänge der Hierarchien in das „Neue Lied“ ein, das dann im 5. Kapitel von den vier apokalyptischen Tieren und den vierundzwanzig Ältesten vor dem Lamme angestimmt wird. Und in diesen Lobgesang mischen sich bereits die Stimmen derjenigen Menschen, die dem Geist ergeben sind und deshalb die neue Bewusstseinssphäre erleben können: Das Lamm nahm das Buch aus der rechten Hand des Thronenden. Und als es das Buch nahm, fielen die vier Tiere und die 24 Ältesten vor dem Lamme nieder. Jeder hatte eine Harfe und goldene Schalen und Räucherwerk in der Hand. Das sind die Gebete derer, die dem Geist ergeben sind. Und sie alle sangen das Neue Lied: „Du bist würdig, das Buch zu empfangen und seine Siegel zu lösen. Denn du bist geopfert worden und hast durch dein Blut, das für Menschen aus allen Stämmen und Sprachen und Völkern und Rassen geopfert worden ist, die Gotteskraft uns zurückerkauft. Du hast uns zu Königen und Priestern gemacht, und wir werden Könige sein über das Erdenwesen.“ (Off. 5, 810) Erst wenn wir in jene Weltensphäre einzudringen versuchen, aus der uns die Urmelodie des Johannes-Prologs erklingt, aus dessen Urklang alles Leben quillt und alles geschaffen wurde, gewinnen wir eine Vorstellung von der göttlichen Sphärenharmonie, aus der durch fortschreitende Verdichtung alles Physisch-Materielle entstanden ist. Das Experiment der Chladnischen Klangfiguren104, die sich nach dem Erklingen des Tones in den Sand einzeichnen, kann uns eine Brücke des Verständnisses sein. Der Johannes-Prolog wird uns ein Verständnis für die Klänge der göttlichen Sphärenmusik wieder erschließen. Es bleibt eine ewige Wahrheit, auch wenn sie uns in unserem Zeitalter ferne gerückt ist: Der einzige Zugang zur göttlichen Welt ist die Verehrung, die Devotion, die Andacht. Ist das Wort der Sprache das Ausdrucksmittel unter den Menschen auf Erden, so ist es die Kraft der Verehrung und der Ehrfurcht, was die Wesen der höheren Hierarchien miteinander verbindet und uns den Zugang zu ihnen erschließt. Die einzelnen übereinander sich erhebenden Bewusstseinssphären der geistigen Wesen leben in gebetartiger Hingabe und meditativer Sammlung. Menschen, welche ohne diese Stimmung die geistige Welt betreten, würden sich wie in einen leeren Raum versetzt fühlen, wie von grauem Nebel umgeben. Dies ist der Fall, wenn der Mensch ohne religiöse Ehrfurcht und Hingabe die geistige Welt nach dem Tode betritt. Dynamische Bewegung kommt in das Drama durch die Frage des „Starken Engels“, neben dem Thron, der mit großer Stimme ruft: „Wer ist würdig, das Buch zu öffnen und seine Siegel zu brechen?“ Und niemand im Himmel noch auf der Erde noch unter der Erde konnte das Buch öffnen und hinein blicken. Und ich weinte sehr, da niemand würdig erfunden ward, das Buch aufzutun und zu lesen, noch hineinzuschauen. Und einer von den Ältesten sprach zu mir: „Weine nicht. Siehe, es hat überwunden der Löwe aus dem Stamme Juda, die Wurzel Davids. Er kann das Buch öffnen und seine sieben Siegel brechen.“ 104

Wird eine mit Sand bestreute, dünne (vorzugsweise metallene) Platte durch einen drangehaltenen Geigenbogen oder eine Stimmgabel in Schwingung versetzt, zeichnen sich verschiedenartige Muster im Sand ab, indem dieser zu Stellen schwächerer Schwingung „hinwandert“.

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Und ich sah und siehe: Mitten zwischen dem Throne und den vier Tieren und zwischen den Ältesten stand ein Lamm, als wenn es erwürgt wäre, das hatte sieben Hörner und sieben Augen. Das sind die sieben Geister Gottes, in alle Lande gesandt. Und als es das Buch nahm, fielen die vier Tiere und die 24 Ältesten nieder vor dem Lamm und hatten jeder eine Harfe und goldene Schalen voll Räucherwerk, das sind die Gebete derer, die dem Geist ergeben sind. (Off. 5, 28) Mit der Entsiegelung der sieben Siegel ist die erste Stufe überschritten, die erste große Station auf dem Wege der Vergeistigung der Erde. Und deshalb bildet diese Stufe eine so starke Prüfung für die Menschheit. Das Lebensbuch wird entsiegelt. Wir können uns von diesem wichtigen Geschehen eine Vorstellung bilden im Hinblick auf die Entsiegelung unseres Schicksalsbuches nach unserem Tode. Unsere Lebensfrucht wird sichtbar durch den sich vom physischen Leibe trennenden Ätherleib, in dem unsere Lebensschicksalsfrucht eingetragen ist. Und je nach den auf Erden geernteten Lebensfrüchten, die wir mit hinübertragen in die geistige Welt, wird sich unser weiterer Weg in die geistige Sphäre gestalten. Dasselbe spielt sich ab, wenn die ganze Menschheit die Schwelle zur geistigen Welt überschreitet, nachdem die physisch-materielle Erdenentwicklung im engeren Sinne absolviert ist und der Mensch sich nicht mehr in einem vom Weibe geborenen Erdenleib inkarnieren kann. Das wird bereits in verhältnismäßig kurzer Zeit der Fall sein durch die Degeneration des weiblichen Organismus. Wenn der in der alten Lemuris aus der Erde ausgetretene Mond sich wieder mit der Erde verbindet (ungefähr im 8. Jahrtausend), wird sowohl die Fähigkeit der sexuellen Fortpflanzung wie die des durch das Gehirn bewirkten intellektuellen Denkens aufhören. Die Krise, die hiermit verbunden ist, spiegeln die Imaginationen bei der Entsiegelung der sieben Siegel des Lebensbuches. Die ersten vier Siegel enthalten noch die Gattungskräfte der Vergangenheit. Sie müssen in der Zukunft immer mehr zerstörerische Kräfte entfesseln, da sie auf einem Entwicklungspunkt der Vergangenheit stehen geblieben sind, der durch den Christusimpuls überwunden werden muss. Welche Zerstörungskräfte aus diesen unverwandelten Rasse- und Blutskräften entstehen, hat uns das 20. Jahrhundert durch den Nationalsozialismus genügend gezeigt! Erst mit dem 5. Siegel erscheinen Menschengestalten in weißen Kleidern, die das Erbe der Gattungskräfte aus der Vergangenheit abgestreift und überwunden haben. Hier findet die Wende statt: Der erste Schritt in die Menschheitszukunft wird vollzogen. Das 6. und 7. Siegel führen schon weiter ins Kosmische der ätherischen Welt hinaus, sodass die physische Erde für die irdischen Sinnesorgane, die allein das Materielle wahrzunehmen vermögen, entschwindet. Wir werden sehen, wie dies sich heute schon vorbereitet, wie die Ätherisierung der Erde sowie die damit verbundene Scheidung der Geister sich schon ankündigt, wenn auch in zunächst sublimen Phänomenen, auf die wir unsere Aufmerksamkeit richten sollten.

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3. Die Ätherisierung der Erde; die Entsiegelung des Lebensbuches Das sogenannte „Jüngste Gericht“ beginnt mit der großen Scheidung der Geister in unserem Jahrhundert. Damit hängt das Christusereignis des 20. Jahrhunderts zusammen, ja das „Jüngste Gericht“ ist eigentlich die Ursache dafür, dass der Christus im 20. Jahrhundert den Menschen in ätherischer Gestalt erscheinen wird und somit als „Richter“ die Führung und den Ausgleich des Karmas übernimmt. Da dieser innere Zusammenhang dieser beiden Ereignisse oft übersehen wird, sei hier zunächst eine Stelle aus einem Vortragszyklus Rudolf Steiners wiedergegeben:

Woher kommt es denn überhaupt, dass vom 20. Jahrhundert ab der Christus Jesus immer mehr hereintreten wird in das gewöhnliche Bewusstsein der Menschen? – Das hat folgenden Grund: Ebenso wie auf dem physischen Plan im Beginne unserer Zeitrechnung in Palästina ein Ereignis sich abgespielt hat, in welchem der Christus die wesentlichste Rolle spielte, ein Ereignis, das Bedeutung hat für die ganze Menschheit, so wird sich im Laufe des 20. Jahrhunderts – gegen Ende des 20. Jahrhunderts – wiederum ein bedeutsames Ereignis abspielen – allerdings nicht in der physischen Welt, sondern in den höheren Welten, und zwar in derjenigen Welt, die wir zunächst als die Welt des Ätherischen bezeichnen. Und dieses Ereignis wird ebenso grundlegende Bedeutung für die Entwicklung der Menschheit haben, wie das Ereignis von Palästina im Beginne unserer Zeitrechnung. Gerade wie wir sagen müssen: Für den Christus selber hatte das Ereignis von Golgatha die Bedeutung, dass mit diesem Ereignis ein Gott gestorben ist, ein Gott den Tod überwunden hat..., so wird sich ein Ereignis abspielen von tiefgehender Bedeutung, das nur nicht auf dem physischen Plan sich vollzieht, sondern in der ätherischen Welt. Und dadurch, dass dieses Ereignis sich vollzieht, dass mit dem Christus selber sich vollzieht, dadurch wird die Möglichkeit geschaffen, dass die Menschen den Christus sehen lernen, schauen werden... Dieses Ereignis ist kein anderes, als dass ein gewisses Amt im Weltenall für die menschheitliche Entwicklung im 20. Jahrhundert übergeht, in einer erhöhteren Weise übergeht, als das bis jetzt der Fall war – an den Christus. Und zwar lehrt uns die okkulte Forschung, die hellseherische Forschung, dass in unserem Zeitalter das Wichtige eintritt, dass der Christus der Herr des Karmas für die Menschheitsentwicklung wird. Und das ist der Beginn für dasjenige, was wir auch in den Evangelien finden, mit den Worten angedeutet: Er werde wiederkommen „zu scheiden (oder die Krisis herbeizuführen) für die Lebendigen und die Toten! [15, S. 27] Ich muss gestehen, dass dies die einzig mir bekannte Stelle im Vortragswerk Rudolf Steiners ist, wo dieser Zusammenhang der ätherischen Erscheinung des Christus mit dem neuen Amt, das der Christus als „Richter“ übernimmt, nicht nur ausgesprochen wird, sondern dass dieses neue Amt als das verursachende Ereignis für die ätherische Christuserscheinung bezeichnet wird. Wir sind gewohnt, dieses Amt mit dem Begriff zu bezeichnen, den Rudolf Steiner an anderen Orten meistens gebraucht: Der Christus wird der „Herr des Karma“. Obwohl mit diesem Begriff sehr präzise auf dieses Amt hingewiesen wird, so neigen wir doch dazu, solche Terminologien wie ein feststehendes Dogma hinzunehmen, ohne die Vielschichtigkeit solcher Begriffe in unserem Denken uns klarzumachen. Und es ist ein sehr vieldeutiger und nicht ganz leicht zu fassender Begriff, 58

der hiermit ausgesprochen ist. Was dieser Begriff beinhaltet, ist nicht nur ein Ereignis, das sich an den individuellen Menschen wendet, sondern es ist eine MenschheitsAngelegenheit von größtem Ausmaß. Es ist das Ereignis, das man im traditionellen Sprachgebrauch als „Jüngstes Gericht“ zu bezeichnen pflegt. Prüfen wir daraufhin die „Apokalypse“, wie sie in den synoptischen Evangelien in der Ölbergszene am Schluss dieser Evangelien als die „Wiederkunft Christi“ beschrieben wird, so finden wir, dass damit in der Tat die Scheidung der Geister, das „Jüngste Gericht“ heraufzieht. Die Erscheinung des Christus im 20. Jahrhundert ist also der Beginn des Jüngsten Gerichtes, wie es die synoptischen Evangelien beschreiben: Und als er auf dem Ölberg saß, traten zu ihm seine Jünger und sprachen: „Sage uns, wann wird das geschehen? Und an welchen Zeichen können wir deine Geistesankunft und die Vollendung des gegenwärtigen Äons erkennen?“ Und darauf erfolgt die Zukunftsschau, die in die ätherische Ankunft des Menschensohnes mündet: „Denn wie der Blitz im Osten aufflammt und bis zum Westen leuchtet, so wird die Geistesankunft des Menschensohnes sein. Und dann wird das Bild des Menschensohnes im Geistgebiet sichtbar sein. Alle Stämme werden unter Notrufen den Sohn des Menschen schauen, wie er kommt im Äther-Wolkensein. Und er wird seine Engel aussenden über den Klängen der großen Posaune, und sie werden versammeln alle, die als Träger des höheren Seins („seine Auserwählten“) mit ihm verbunden sind...“ (Mt. 24; vgl. Mk. 13 und Lk. 21) Aus all diesen Schilderungen geht der apokalyptische Charakter hervor. In großen Trübsalen, die über die Erdbewohner hereinbrechen und jeden vor schwere Prüfungen stellen, kündigt sich die Ankunft des Menschensohnes an: „Und die Menschen werden verschmachten vor Furcht und Warten der Dinge, die da kommen sollen auf Erden; denn auch der Himmel Kräfte werden sich bewegen. Und alsdann werden sie sehen des Menschen Sohn kommen in der Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, so sehet auf und erhebet eure Häupter, darum dass sich eure Erlösung naht.“ (Lk. 21, 2628) Wie können wir diese Bilder der Evangelien vom Gesichtspunkt der Geistesforschung verstehen? – Wir können sie zunächst damit umreißen, dass das Ereignis der ätherischen Christuserscheinung, von dem die Geistesforschung spricht, der Beginn der großen Menschheits-Entscheidung ist, womit das Jüngste Gericht und zugleich die Ätherisierung der Erde eingeleitet wird! Daher erscheint der Christus im Ätherischen, der an die physische Welt angrenzenden Weltensphäre. Deshalb müssen die Menschen sich zu dem ätherischen Hellsehen hinauf erheben, das als ein natürliches sich immer mehr einstellen wird. Daher ist es so wichtig, sich mit der Ätherwelt zu beschäftigen, in die das Bewusstsein der Menschheit immer mehr hineinerwachen muss. Welche Symptome können wir nun angeben, in denen sich die Ätherisierung der Erde und Menschheit ausspricht und ankündigt? Man kann hierbei auf die beiden Aspekte hinweisen, den irdisch-kosmischen und den menschlichen Aspekt. Vom irdisch-kosmischen Aspekt aus gesehen durchläuft die Erde in ihrer Entwicklung verschiedene Stufen oder Aggregat-Zustände, indem sie sich aus dem Geistigen verdichtet, um sich dann wieder zu vergeistigen. Dabei macht sie einen Inkarnations- und einen Exkarnationsprozess durch:

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Abb. 3: Inkarnations- und Exkarnationsprozess 105

Wir stehen heute vor dem Übergang von der physisch-materiellen Stufe zur ätherischen, die sich nach Vollendung der 7. nachatlantischen Kulturperiode vollziehen wird. Symptome für diese Ätherisation der Erde und Menschheit sind bereits vorhanden. Wir nennen die erhöhte Radioaktivität, die zum Zerfall der physischen Erde beiträgt. Die Erde wird immer mehr ein zerfallender Leichnam. Dadurch wird das Geistige frei, sodass das Ätherische sichtbar wird. Grundsätzlich können wir hier die Frage aufwerfen: Ist mit der Ätherisierung der Erde ein Zustand gegeben, der alles sinnlich Wahrnehmbare ausschließt? Hat sich dann die physische Erdenmaterie bereits völlig aufgelöst? – Ich glaube, dies verneinen zu müssen. Denn erst beim Übergang des Erdenplaneten in den Jupiterzustand, (wobei eine allgemeine Vergeistigung in dem Pralaya-Zustand eintritt) fällt der physische Erdenleichnam in den „Weltenabgrund“, da er alle diejenigen Bestandteile enthält, die, wie der menschliche Leichnam, dem Tode verfallen. Apokalyptisch wird der Erdenleichnam mit den sich der Wandlung zum Geistigen widersetzenden Kräften in den „feurigen Pfuhl“ 106 geworfen: Und der Tod und die Hölle wurden geworfen in den feurigen Pfuhl. Das ist der andere Tod. Und so jemand nicht ward gefunden in dem Buche des Lebens, der ward geworfen in den feurigen Pfuhl. (Off. 20, 1415) – oder, wie es Emil Bock übersetzt: ... in die feuerschwelende sumpfige Tiefe. [16] Die physische Erdenmaterie (das Mineralreich) wird bis zum Ende der Erdenentwicklung bis zu einem gewissen Grade erhalten bleiben, aber eine Scheidung tritt ein, ein zweigeteiltes Reich: nämlich (1.) das Lichtreich ätherischer Kräfte, zu dem diejenigen Menschen den Zugang finden, welche sich aufzuschwingen vermögen in das leibfrei imaginative Denken 107 und dadurch den gehirngebundenen Intellekt überwinden,

Bildliche Darstellung der „Vermaterialisierung“ des Geistigen und der „Vergeistigung“ des Materiellen. Diese Schritte gelten sowohl für das einzelne sich inkarnierende und wieder exkarnierende Menschenwesen als auch für die gesamte jetzige Erde. Mit „Jupiter“ ist das „Neue Jerusalem“ gemeint, die nächste Inkarnation des Geisteskeims der Erde. Die Gegenwart liegt zwischen dem Tiefpunkt („5.“) und den „Siegeln“. Siehe hierzu auch das 5. Kapitel. 106 Nach Luthers Übersetzung. Man kann auch einfach „Feuersee“ übersetzen. 107 Vgl. hierzu GA 4, „Die Philosophie der Freiheit“. Mit „gehirngebundenem“ Denken ist gemeint, dass sich das Gedankenleben eines Menschen nur nach Maßgabe seiner Gehirnstruktur abspielt, durch diese aber automatisiert und subjektiv abläuft. Das „leibfreie Denken“ hingegen ist wie eine Art „Gedanken-Sinn“, welcher die den Dingen innewohnenden Ideen durch einen selbstbestimmten Willensakt objektiv ergreifen kann. Nicht die Intelligenz als geistige Kraft an sich wirkt auf den Menschen verderblich, sondern sie tut dies nur, wenn sie ganz vom Gehirn „aufgesogen“ wird und sich dann nicht mehr ungehindert entfalten kann. 105

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während (2.) die anderen Menschen, die in diesem Intellekt verhaftet bleiben, sich verstricken in das Mineralische, wenn der Mond sich wieder mit der Erde vereinigen wird:

Und aus der Erde wird aufsprießen ein furchtbares Gezücht von Wesenheiten, die in ihrem Charakter zwischen dem Mineralreich und Pflanzenreich drinnen stehen als automatenartige Wesen mit einem überreichlichen Verstande, mit einem intensiven Verstande. Diese Bewegung wird über der Erde Platz greifen und sie überziehen wie ein Netz und ein Gewebe von furchtbaren Spinnen, Spinnen von einer riesigen Weisheit, die aber in ihrer Organisation nicht einmal bis zum Pflanzendasein heraufreichen,108 die sich ineinander verstricken werden, die in ihren äußeren Bewegungen all dasjenige imitieren werden, was die Menschen ausdachten mit dem schattenhaften Intellekt, der sich nicht anregen ließ von demjenigen, was durch eine neue Imagination, was überhaupt durch Geisteswissenschaft kommen soll. Die Erde wird überzogen sein, wie sie jetzt mit einer Luftschicht überzogen ist, wie sie sich manchmal mit Heuschreckenschwärmen überzieht, mit furchtbaren mineralisch-pflanzlichen Spinnen, die sehr verständig, aber furchtbar bösartig sich ineinander spinnen. Und der Mensch wird, insoweit er nicht belebt hat seine schattenhaften intellektuellen Begriffe, sein Dasein ... mit diesen furchtbaren mineralisch-pflanzlichen Spinnen-Getieren verbinden müssen. Er wird selber zusammenleben mit diesen Spinnentieren, und er sein weiteres Fortschreiten im Weltendasein wird müssen in derjenigen Entwicklung suchen, die dann annimmt dieses Spinnengetier. [17, S. 204 f.] Im imaginativen Bilde erscheint dies zweigeteilte Reich im Bilde des Weibes, mit der Sonne bekleidet, mit dem Mond unter ihren Füßen: Diese sich verhärtenden mondhaften Kräfte, die das Weib unter ihre Füße zwingt, und damit überwunden hat, werden sich auf dem Jupiter als ein neuer Mond herauslösen, bis sie auf der Venus als „unverbesserlicher Mond“ 109 sich endgültig von der fortschreitenden Evolutionslinie trennen und ausgeschieden werden. Wir müssen uns also vorstellen, dass mit der Ätherisierung der Erde das Ätherische vom Physisch-Materiellen sich zu trennen beginnt, doch dass das Physische trotzdem noch bestehen bleibt. In dem Vortragszyklus „Die Theosophie des Rosenkreuzers“ findet sich ein Hinweis auf die zukünftige Lebens- und Leibesgestaltung des Menschen, den ich meinen Lesern doch gerne mitteilen möchte:

Der Mensch selbst also ist es, der die zukünftige Gestalt seines Leibes herbeiführen wird. Indem der Mensch immer weicher und weicher wird, das heißt indem er sich absondern wird von den harten Teilen, geht er seiner Zukunft entgegen. Es kommt ein Zeitalter, wo der Mensch wie in verflossener Zeit gleichsam über seinem irdischen Teile leben wird. Dieser Zustand, der Ihrem heutigen Schlafzustand vergleichbar ist, d. h. wohl, dass diese Wesen keinen eigenen Äther- bzw. Lebensleib besitzen werden. Ihre Wirksamkeit könnte vielleicht ähnlich derjenigen von Viren sein, die ja nicht als Lebensform gelten. 109 Dies ist ein Ausdruck aus Steiners „Geheimwissenschaft im Umriss“ Während [des] Venuszustandes bleibt die Erde mit der Sonne verbunden... [und es] spaltet sich aus der Venus ein besonderer Weltenkörper heraus, der alles an Wesen enthält, was der Entwickelung widerstrebt hat, gleichsam ein „unverbesserlicher Mond“, der nun einer Entwickelung entgegengeht mit einem Charakter, wofür ein Ausdruck nicht möglich ist, weil er zu unähnlich ist allem, was der Mensch auf Erden erleben kann. Die entwickelte Menschheit aber schreitet in einem völlig vergeistigten Dasein zur Vulkanentwickelung weiter, deren Schilderung außerhalb des Rahmens dieses Buches liegt. [GA 13, S. 292] 108

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wird alsdann abgelöst werden von einem andern, wo der Mensch seinen Ätherleib wird willkürlich herausziehen können aus seinem physischen Leibe. Es wird gleichsam der dichtere Teil des Menschen hier unten auf Erden sein, und der Mensch wird ihn wie ein Instrument von außen benutzen. Der Mensch, wird seinen Leib nicht mehr so an sich tragen, dass er in ihm wohnt, sondern er wird darüber schweben; der Leib wird feiner und dünner geworden sein. (Das erscheint heute als phantastischer Gedanke, aber man kann es aus den geistigen Gesetzen mit Bestimmtheit wissen, ebenso wie man aus den Gesetzen der Astronomie Sonnen- und Mondfinsternis für die Zukunft berechnet. Und umgestaltend wird der Mensch vor allen Dingen wirken auf die Hervorbringungskraft.) Dasjenige Organ, was sich heute schon darauf vorbereitet, das zukünftige Fortpflanzungsorgan zu werden, ist der menschliche Kehlkopf. So wie heute das Wort nur zur Luftwelle wird, so wird in Zukunft des Menschen inneres Wesen, sein eigenes Ebenbild, wie es heute im Worte ist, aus dem Kehlkopfe herausdringen. Und das wird zukünftig die Geburt eines neuen Menschen sein, dass er ausgesprochen wird von einem anderen Menschen. Das Mineralreich wird, trotzdem es am letzten entstanden ist, in seiner heutigen Form am ehesten wieder verschwinden... Der künftige Menschenleib wird sich zunächst nur das eingliedern, was pflanzlicher Substanz ist. Alles, was heute im Menschen mineralisch wirkt, wird verschwinden. So lebt der Mensch hinüber auf den Jupiter, indem er alles Mineralische ausscheidet und zum pflanzlichen Schaffen übergeht... Alle materialistisch denkenden Seelen arbeiten an der Hervorbringung böser Rassen, und was spirituell gearbeitet wird, bewirkt die Hervorbringung einer guten Rasse. So wie ältere Zustände, die zum Affengeschlecht heruntergestiegen sind, uns heute grotesk erscheinen, so bleiben materialistische Rassen auf dem Standpunkt der Bosheit und werden als böse Rassen die Erde bevölkern. [18, 13. Vortrag] Vom menschlichen Aspekt kündigt sich dieser Übergang ins Ätherische in dem labilen Seelenzustand an, wodurch zum Beispiel die neue Generation der Rauschgiftsucht verfällt. Sie möchte aus dem Gefängnis des rein Materiellen heraus, findet aber nicht die rechten Wege und wirft sich daher dem luziferischen Rausch in die Arme. An vielen anderen Symptomen, wie dem jugendlichen Irresein, den pathologischen Zuständen und der Schizophrenie, kann dieses labile Gleichgewicht beobachtet werden, da die festen traditionellen Stützen bis ins Leibliche hinein nicht mehr als tragbar empfunden werden. Der Prozess der Ätherisation zeichnet sich auch in der menschlichen Organisation ab, indem der menschliche Ätherleib sich vom physischen Leib immer mehr loszulösen beginnt. Beim Herzorgan begann diese Loslösung nach Rudolf Steiner bereits im Jahre 1723 und ist heute beendet. Die einzelnen ätherischen Organe trennen sich von ihren physischen Organen, da der Ätherleib als Ganzes wieder herauszusteigen beginnt, so wie er sich in den vorchristlichen Zeiten mit dem physischen Leibe verbunden hat, bis der Ätherleib mit dem physischen Leib im Jahre 333 nach Christus zur Deckung kam, wodurch das IchBewusstsein im Physischen verankert wurde. 110 Daraus folgt, dass der heutige Mensch in seelische Schwankungen kommen muss, wenn er nicht anstrebt, sein Ich-Bewusstsein im Geistigen zu verankern, um dort seinen Schwerpunkt zu finden. Die Heilkunst der Zukunft wird diesem Phänomen Rechnung zu tragen haben, um von den ätherischen Bildekräften aus die physischen Organe zu beleben und zu heilen. 110

Diese Aussage konnte nicht verifiziert werden.

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(Der eigentlich esoterische Christus-Aspekt ist von Rudolf Steiner in dem Vortrag über die „Ätherisation des Blutes“ gegeben.111 Wir werden in unseren Betrachtungen hierauf noch näher einzugehen haben.)

4. Das Wundergewebe der göttlichen Hierarchien Es ist im Grunde genommen ganz unmöglich, ein Verständnis von dem apokalyptischen Drama zu gewinnen, das sich, die ganze Menschheit miteinbeziehend, vor uns in mächtigen Bildern entrollt, ohne die Rangordnung der geistigen Welt in den höheren Hierarchien anzuerkennen und zu verstehen. Diese Bilder sind uns am einprägsamsten geworden durch die 15 Holzschnitte Albrecht Dürers, zu denen Giorgio Vasari schrieb:

Indem Albrecht Dürer nun fortfuhr, seinen Ideen freien Lauf zu lassen, suchte er 15 Holzschnitte gleicher Größe von der schrecklichen Vision zu machen, die Sankt Johannes auf der Insel Patmos in seiner Apokalypse beschrieben hat. So begann er denn mit seiner ausschweifenden, für diesen Gegenstand so geeigneten Einbildungskraft und stellte alle jene himmlischen wie irdischen Begebenheiten so gut dar, dass es zum Staunen ist: Mit solcher [Mannigfaltigkeit] in der Wiedergabe jener Tiere und Ungeheuer, dass es für viele von unseren Künstlern ein helles Licht gewesen ist, die sich dann der Überfülle und des Reichtums seiner schönen Phantasie und Erfindungen bedient haben. Welche reiche Bilderwelt entfaltet sich hier vor unserem Blick! Im Mittelpunkt stehen die posaunenblasenden Engel sowie die apokalyptischen Reiter, Tod und Verwüstung über die Erde verbreitend. Doch wie anders sind diese Engelgestalten als auf den Bildern Fra Angelicos und Raffaels! Jede Lieblichkeit und Zartheit fehlt ihnen, es sind markante, individuelle, männlich wirkende Gestalten, die mit dramatischer Wucht und Stärke ihre Aufgabe erfüllen, indem sie die Posaunen ergreifen, das Wehe verkündend, und auf der Erde mit der Schärfe des Schwertes eingreifen, um die Geister zu scheiden und das Böse zu überwinden. Dieser kraftvoll-männliche Zug geht in der Tat durch die ganze Apokalypse. Eine Gestalt beherrscht das ganze Drama: Es ist der „starke Engel“, der sich zum Schluss als der Erzengel Michael offenbart. Er steht hinter dem ganzen Geschehen. Er bildet den Mittelpunkt in der unübersehbaren Legion der tausend und abermals tausend Engel, der himmlischen Heerscharen, die den Hintergrund der Apokalypse bevölkern. Aus diesem Bildergewoge tauchen zwei Gestalten in verklärtem Schein auf: der „Menschensohn“ und das „Weib mit der Sonne bekleidet“. Man kann sich hier fragen, warum statt Christus stets der „Menschensohn“ (auch in der kleinen Apokalypse der synoptischen Evangelien) genannt wird. Der Grund ist darin zu sehen, dass Christus, der Sonnengeist, in die Erdentiefen eingetaucht ist und Menschenform angenommen hat, wodurch er die Urgestalt des Menschen durch den Tod trug und vor dem Zugriff Ahrimans rettete, sodass die verklärte Menschengestalt inmitten der himmlischen Heerscharen als Unterpfand für die Menschheitszukunft sieghaft erscheint. Während das „Weib mit der Sonne bekleidet“ (12. Kapitel), die den Sohn gebiert, das Urbild der Seele darstellt, deren Inkarnationsdrama aus himmlischen Höhen in die Leidensprüfungen der Erde sich in den anschließenden Bildern entrollt. 111

Enthalten in [19], Vortrag vom 1. Oktober 1911.

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Zwischen beiden Gestalten, dem weiblichen Vergangenheitsaspekt und dem männlichen Zukunftsaspekt der Erdenentwicklung verläuft das Menschheitsdrama, durchwoben und eingerahmt von der Welt der göttlichen Hierarchien, die daran aktiv mitwirken. Wie könnte derjenige ein Verständnis von diesem Drama erlangen, der die geistige Weltenordnung der göttlichen Hierarchien nicht anerkennt – wie es heute bis in die führenden Kreise der christlichen Theologie weitgehend der Fall ist? Sobald der Vorhang sich lüftet: Siehe, ein offenes Tor im Himmel! , kommt uns die Fülle der göttlichen Hierarchien entgegen. – Diese geistige Weltenordnung ist uns verloren gegangen durch die kopernikanische Weltenordnung, die mit ihrer räumlich-physischen Perspektive die geistig-übersinnliche Weltenordnung überdeckt hat. Eine unüberbrückbare Kluft scheint zu gähnen zwischen der alten Anschauung und dem astronomisch-naturwissenschaftlichen Weltbild. Diese Kluft wurde durch das geozentrisch-ptolemäische Weltbild überbrückt, das mit der Erde im Mittelpunkt die Grundlage für die Weltenordnung der Hierarchien bildete, welche in konzentrischen Kreisen um die Erde in immer höheren Sphären sich bis zur Gottheit erstreckten.

Im Campo Santo, dem alten Friedhof von Pisa, findet sich an der Wand ein Fresko, worauf das ptolemäische Weltbild mit den Hierarchien abgebildet ist: Um den Mittelpunkt der Erde sehen wir in konzentrischen Kreisen die Sternensphären mit den einzelnen Hierarchien, deren Wirkensbereich durch die Sternenbahnen angedeutet ist. Das ganze Weltensystem wird getragen von Gott, der es in seinen Händen trägt. Die einzelnen Sternensphären bilden die äußeren Grenzmarken für jede hierarchische Ordnung: Abb. 4: Die Engelhierarchien112 Der Mond Der Merkur Die Venus

..................................................... .....................................................

Die Sonne

.....................................................

Der Mars Der Jupiter Der Saturn

..................................................... ..................................................... .....................................................

bildet die Grenzmarke für die

Engel Erzengel Urkräfte Mächte, Herrschaften , Gewalten Throne Cherubim Seraphim

III. Hierarchie II. Hierarchie I. Hierarchie

Die erste Hierarchie reicht bis in den Kristallhimmel des Tierkreises hinauf, über dem die Trinität als höchste Gottheit thront. – Wie kann der heutige Mensch einen lebendigen Zugang zu dieser hierarchischen Weltenordnung wieder finden? Nicht mehr im alten Sinne von außen, sondern von innen durch das Einleben in die einzelnen Bewusstseinsstufen, die übereinandergelagert sich durchdringen. Die letzte Realität der Welt besteht in den Bewusstseinsstufen der einzelnen Wesen – alles andere gehört dem Reich der Maja oder Illusion an!113 Für jede Hierarchie existieren mehrere Bezeichnungen. Siehe hierzu im Anhang den Abschnitt „Engelhierarchien“. 113 Es ist gut, festzuhalten, dass es im Grunde genommen im Weltenall doch nichts anderes gibt als Bewusstseine. Außer dem Bewusstsein irgendwelcher Wesenheiten ist letzten Endes alles Übrige dem Gebiete der Maya oder der großen Illusion angehörig. Diese Tatsache können Sie besonders aus zwei Stellen in meinen Schriften entnehmen...: Zunächst aus der Darstellung der Gesamtevolution der Erde von Saturn bis Vulkan in der „Geheimwissenschaft im Umriss“, wo geschildert wird das Fortschreiten vom Saturn zur Sonne, von der Sonne zum Mond, vom Mond zur Erde usw., zunächst nur in Bewusstseinszuständen. Das 112

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Beginnen wir mit der untersten und niedrigsten Bewusstseinsstufe, dem Trance- oder Tiefschlafbewusstsein, die dem Mineralreich entspricht. Wir erhalten dann das folgende Schema einer nach oben zu immer höhere und weitere kosmische Sphären umfassenden Bewusstseinsleiter: Abb. 5: Bewusstseinsstufen der kosmischen Wesenheiten 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.

Trancebewusstsein Schlafbewusstsein Traumbewusstsein Tagwaches Ich-Bewusstsein Bewusstes Traumbewusstsein = Imagination Bewusstes Schlafbewusstsein = Inspiration Bewusstes Trancebewusstsein = Intuition

Über-Intuitive Bewusstseinsstufen

Mineral Pflanzen Tiere Mensch Engel Erzengel Urkräfte Mächte (Elohim) Herrschaften Gewalten Throne Cherubim Seraphim

III. Hierarchie

II. Hierarchie

I. Hierarchie

Wir sehen daraus, wie sich die höheren Bewusstseinsstufen, schon von den Elohim an, sich unserem Verständnis weitgehend entziehen, da diese in schwindelnde, kaum zu erahnende Bewusstseinsstufen sich erstrecken, die schließlich die ganze Welt, das ganze Universum umfassen. Denn jeder Bewusstseinskreis erweitert sich nach oben und durchdringt zugleich alle unter ihm liegenden Bewusstseinsstufen. Versuchen wir uns nun eine Vorstellung zu machen von der Wesensart der höheren Bewusstseinsstufen, soweit uns dies möglich ist. Beginnen wir mit der den Menschen am nächsten stehenden Hierarchie, den Engeln, Erzengeln und Urkräften. Worin liegt der charakteristische Unterschied des Bewusstseins der III. Hierarchie zu uns Menschen? Schon Thomas Aquino hat in seiner Erkenntnistheorie „De Veritate“ diesen Unterschied charakterisiert, der sich im Bewusstsein der Engel und aller höheren Wesen zum Menschen befindet:

Die höchste und vollkommenste Stufe ist das dem geistigen Erkennen gemäße Leben: der Mensch vermag sich selbst zu erkennen. – Der menschliche Geist nimmt, obwohl er sich selber zu erkennen vermag, doch noch den Anfang seines Erkennens von außen. Er vermag nämlich nicht zu erkennen ohne sinnliches Bild. Vollkommener ist das geistige Leben der Engel, deren erkennender Geist nicht von außen her zur Selbsterkenntnis gelangt, sondern sich durch sich selbst erkennt. [53] heißt: Will man zu diesen großen Tatsachen aufsteigen, so muss man so weit aufsteigen im Weltengeschehen, dass man es zu tun hat mit Bewusstseinszuständen. Also man kann eigentlich nur Bewusstseine schildern, wenn man die Realitäten schildert. Aus einer anderen Stelle in [dem Buch] „Die Schwelle der geistigen Welt“ ist das gleiche zu entnehmen. Da ist gezeigt, wie durch allmähliches Aufsteigen der Seherblick sich erhebt von dem, was sich um uns herum ausbreitet als Dinge, als Vorgänge in den Dingen, wie das alles sozusagen als ein Nichtiges entschwindet und schmilzt, vernichtet wird und zuletzt die Region erreicht wird, wo nur noch Wesen in irgendwelchen Bewusstseinszuständen sind. [78, S. 305]

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Darin liegt ja der tiefere Grund, weshalb der Mensch sich in einem physischen Leib inkarnieren musste: Weil er nur durch die materielle Welt zu seinem Ich-Bewusstsein angeregt werden kann. Das erleben wir an jedem Morgen, wenn wir erwachen. Nur dadurch, dass unser Geistig-Seelisches anstößt an den physischen Leib, erwachen wir. Die Engel erleben zwei Bewusstseinszustände, die folgendermaßen verlaufen, wenn wir sie mit dem menschlichen Tages- und Schlafbewusstsein vergleichen: Der Tageszustand des Menschen, bei dem er die Außenwelt wahrnimmt, die ihm zu seinem Wach-Bewusstsein verhilft, entspricht bei den Wesen der III. Hierarchie einer Offenbarung der eigenen Wesenheit. Alle Wahrnehmung ist zugleich eine Offenbarung ihres eigenen Wesens. Es ist so, als wenn wir unser geistiges Licht ausstrahlen ließen, das unser Wesen offenbart, und in dieser Selbstoffenbarung des eigenen Wesens zugleich unser Bewusstsein empfangen.

Und sie nehmen ihr eigenes Wesen eigentlich nur so lange wahr, solange sie offenbaren wollen, solange sie in irgendeiner Weise nach außen es zum Ausdruck bringen wollen. Sie sind, wir könnten sagen, nur wach, indem sie sich offenbaren. Und wenn sie sich nicht offenbaren, wenn sie durch ihren Willen also nicht zu der Umwelt, zu der äußeren Welt in eine Beziehung treten, dann tritt für sie ein anderer Bewusstseinszustand ein, dann schlafen sie in einer gewissen Weise. Nur ist ihr Schlaf kein bewusstloser Schlaf, wie beim Menschen, sondern ihr Schlaf bedeutet für sie eine Herabminderung, eine Art Verlust ihres Selbstgefühles. Sie haben ihr Selbstgefühl so lange, als sie nach außen sich offenbaren, und sie verlieren in einer gewissen Weise ihr Selbstgefühl, wenn sie sich nicht offenbaren. Sie schlafen dann nicht wie die Menschen, sondern dann tritt in ihr eigenes Wesen etwas herein wie die Offenbarung von geistigen Wesen, die höher sind als sie selber. Sie sind dann ausgefüllt in ihrem Innern von höheren geistigen Wesen. [20] Das sind die beiden Bewusstseinszustände der Engel und Wesen der III. Hierarchie: Offenbarung ihres eigenen Wesens nach außen – Erfülltsein von innen mit den Wesen höherer Hierarchien. Wenn wir dies bedenken, dann erkennen wir, dass ein solches Innenleben, wie es der Mensch hat, diesen Wesen nicht zukommt. Der Mensch kann zum Beispiel ein Innenleben entwickeln in seiner Vorstellung, in seiner Phantasie, das mit seiner Umwelt in Widerspruch steht. Hiermit hängt ja seine Freiheit zusammen. Die Wesenheiten der höheren Hierarchien können nur im vollkommenen Einklang ihr Innenleben mit ihrer Umwelt entfalten. Was bedeutet dies? Sie können nicht lügen, sie können sich nicht verstellen!

Die Möglichkeit der Lüge besteht bei den Wesenheiten der dritten Hierarchie, wenn sie ihre Natur beibehalten, nicht. Denn was würde erfolgen, wenn eine Wesenheit der dritten Hierarchie lügen wollte? Dann müsste sie in ihrem Innern etwas erleben, was sie in einer anderen Weise, als sie es erlebt, in die Außenwelt übertrüge. Aber dann würde diese Wesenheit ... dies nicht mehr wahrnehmen können, denn alles, was diese Wesenheiten in ihrem Innern erleben, ist Offenbarung, tritt sogleich in die Außenwelt über. Diese Wesenheiten müssen im Reich der absoluten Wahrheit leben, wenn sie sich überhaupt erleben wollen. Nehmen wir an, diese Wesenheiten würden lügen, das heißt, etwas in ihrem Innern haben, was sie so umsetzen würden in ihren Offenbarungen, dass es mit den Offenbarungen nicht zusammenstimmt, dann würden sie es nicht wahrnehmen 66

können, denn sie können nur ihre innere Natur wahrnehmen. Sie würden unter dem Einfluss einer Lüge sogleich betäubt werden, sogleich in einen Bewusstseinszustand versetzt werden, der eine Herabdämmerung, eine Herabstimmung wäre ihres gewöhnlichen Bewusstseins, das eben nur in der Offenbarung ihres Innern leben kann. So haben wir über uns eine Klasse von Wesenheiten, welche durch ihre eigene Natur leben müssen im Reich der absoluten Wahrheit und Wahrhaftigkeit, wenn sie diese Natur nicht verleugnen wollen. [20] Aber ein Teil der Engel ist dennoch abgefallen und hat seine eigene Natur verleugnet. Das sind die luziferischen Engelwesenheiten, die dadurch die Freiheit erleben können, indem sie ihre eigene Natur verleugnet haben. Es gibt diese luziferischen Wesen in allen Hierarchien bis zur ersten Hierarchie hinauf, die dadurch in gewisser Beziehung aus der normalen Entwicklung herausgefallen sind. – Wir müssen uns davor hüten, diese luziferischen Wesenheiten nur als „böse“ zu betrachten. Sie haben wieder andere, notwendige Aufgaben im Weltenganzen zu erfüllen.114 Wie kann der Mensch den richtigen Weg einschlagen, um diese Engelwesen zu finden? – Das erfordert eine ganz bestimmte Erziehung, die auf dem Schulungswege dadurch angestrebt wird, dass der Mensch frei wird von seinen persönlichen egoistischen Gefühlen, seinen Sympathien und Antipathien:

Wir bezeichnen ja dasjenige, was wir in unserem Inneren erleben als unser egoistisches Erlebnis, als dasjenige, was wir von der Welt sozusagen nur für uns selbst haben wollen. Je mehr es der sich okkult entwickelnde Mensch dahin bringt, gelassen zu werden gegenüber dem, was sein egoistisches Erleben ist, gegenüber demjenigen, was nur ihn angeht, desto näher ist er der Eingangspforte zu den höheren Welten. Dieses Freiwerden von allen persönlichen Angelegenheiten ist deshalb besonders schwer zu erreichen, [weil] wir durch unsere Erziehung, durch das Dahingestelltsein in eine bestimmte Erdenumgebung, in ein Volk mit seinem Sprachgebiet, schon geprägt und abhängig sind in unseren Gefühlsurteilen und Interessen – mehr als wir annehmen. Der Mensch kann sich davon nur befreien, wenn er in seinem Inneren 114

Es walten im Weltenall gewisse Kräfte, gewisse Impulse; wären sie nicht vorhanden, so könnte der Mensch nicht sterben... Es wäre ganz falsch, wenn man etwa denken würde, diese Kräfte, die dem Menschen den Tod bringen, die seien im Weltenall dazu da, dass sie den Menschen sterben machen ... Dass diese Kräfte den Menschen den Tod bringen, ist gewissermaßen nur eine Nebenwirkung... Es wird keinem Menschen einfallen, zu sagen, die Aufgabe der Lokomotive bei der Eisenbahn bestehe darin, nach und nach die Schienen kaputt zu machen – trotzdem tut das die Lokomotive, ... sie kann nicht anders als die Schienen kaputt zu machen. Aber das ist jedenfalls nicht ihre Aufgabe... [Ebenso walten] Im Weltenall [die] Kräfte des Bösen. Der Mensch muss sie aufnehmen. Indem er sie aufnimmt, pflanzt er in sich den Keim, das spirituelle Leben überhaupt mit der Bewusstseinsseele zu erleben. Sie sind wahrhaftig nicht da, diese Kräfte, die durch die menschliche soziale Ordnung verkehrt werden, sie sind wahrhaftig nicht da, um böse Handlungen hervorzurufen, sondern sie sind gerade dazu da, damit der Mensch auf der Stufe der Bewusstseinsseele zum geistigen Leben durchbrechen kann. Würde der Mensch nicht aufnehmen jene Neigungen zum Bösen, von denen ich eben gesprochen habe, so würde der Mensch nicht dazu kommen, aus seiner Bewusstseinsseele heraus den Impuls zu haben, den Geist – der von jetzt ab befruchten muss alles übrige Kulturelle, wenn es nicht tot sein will –, den Geist aus dem Weltenall entgegenzunehmen. [GA 185, S. 107 f.]

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etwas erlebt, das überhaupt nicht von der Außenwelt kommt, das dem entspricht, was man Eingebungen von innen oder Inspiration nennen kann... Von dem speziellen Innenleben kann der Mensch aufsteigen so, dass er fühlt, dass sich in seinem Innern etwas offenbart, was unabhängig ist von seiner speziellen egoistischen Existenz. Das fühlen ja die Menschen, wenn sie immer wie der geltend machen, dass über den ganzen Erdball hin Verständnis sein kann für gewisse moralische Ideale, für gewisse logische Ideale, an denen kein Mensch zweifeln kann, die jedem Menschen einleuchten können, weil sie nicht von der Außenwelt, sondern der Innenwelt aus sich dem Menschen mitteilen... Diese Anerkennung einer Offenbarung durch das Innere als Gefühl, als innerer Impuls gefasst, ist eine mächtige pädagogische Kraft in dem Innern des Menschen, wenn er sich ihm meditativ hingibt. Wenn er sich zunächst sagt: In der Sinneswelt ist vieles, worüber meine Willkür bloß entscheidet, aber aus dem Geist heraus offenbaren sich mir Dinge, über die meine Willkür nichts vermag, und die mich doch angehen, deren ich mich würdig erweisen muss als Mensch -, wenn der Mensch diesen Gedanken immer stärker und stärker werden lässt, sodass der Mensch bezwungen werden kann durch sein eigenes Inneres, dann wächst er über den bloßen Egoismus hinaus, dann überwindet ... [sein] höheres Selbst, das sich eins weiß mit dem Geist der Welt, das gewöhnliche willkürliche Selbst. So etwas müssen wir entwickeln, in uns als Stimmung entwickeln, wenn wir dahin kommen wollen, das Tor zu erreichen, das hineinführt in die geistige Welt. [20] Es gibt noch einen anderen Weg, um sich in das Engelbewusstsein zu erheben. Nicht umsonst nannte man im Mittelalter Thomas von Aquino den „Doctor Angelicus“, weil er in seiner Lehre wie in seinem Denken das Engelbewusstsein verwirklichte, das über den persönlichen Empfindungen der Menschen steht und nur das objektiv Wahre zur Offenbarung bringt. Dieses Engelbewusstsein kann sich am Erleben des Geistes selber entzünden und braucht nicht eine äußere Wahrnehmung dazu, wie es beim Menschen der Fall ist. Unsere Erkenntnis beruht ja auf den beiden Säulen: der Wahrnehmung und dem Denken, das uns die Begriffe liefert, die wir in der Vorstellung mit der Wahrnehmung zur Deckung bringen müssen, um ein Ganzes zu haben. Nun ist es gerade das Charakteristische der Geisteswissenschaft, dass sie uns zunächst im Wesentlichen nur die eine Seite gibt: die Begriffe, ohne uns zugleich die Wahrnehmungen zu übermitteln. Wie können wir also aus dieser einseitigen Quelle des bloßen Denkens zur Wahrheit kommen, wenn uns die Wahrnehmung fehlt? Das ist ja das beliebte Argument, das viele gegen die Geisteswissenschaft vorbringen, indem sie die geisteswissenschaftlichen Mitteilungen als neues Dogma ablehnen, an das man nur mit dem Glauben herantreten kann. Dies wäre in der Tat der Fall, wenn wir die geisteswissenschaftlichen Erkenntnisse mit der gleichen Seelenhaltung aufnehmen würden, in rein passiver Art, wie der gläubige Christ die Dogmen der Kirche aufnimmt. Die Erkenntnisse der Geisteswissenschaft werden aber nicht als Dogmen hingepfahlt, sondern der Geistesforscher wendet sich gerade an das Denken, indem er seine Ergebnisse dem denkerischen Verarbeiten zugänglich macht. Wer sich beim geisteswissenschaftlichen Studium intim zu beobachten weiß, der kann dabei die Aufhellung und Erweiterung seines geistigen Horizontes erleben, wie sein Denken sich erkraftet, sodass es selbst eindringt in die geistigen Zusammenhänge, durch welche sich ihm ein Gesamtbild der geistigen Welt erschließt. Gewiss: zunächst nur in seinem Denken, in seiner Vorstellung. Aber dies ist gerade das Charakteristikon des 68

geistigen „Engelbewusstseins“: Was zuerst nur schattenhaft für unsere Wahrnehmung bleibt, das wird immer wesenhafter, je mehr sich unser Denken in diese geistigen Zusammenhänge einlebt, sodass sie uns zur geistigen Wesenhaftigkeit werden. Dann haben wir sie durch unser leibfreies, das heißt: nicht mehr an das Gehirn gebundene Denken innerlich mehr erfasst als die Dinge der Außenwelt, die wir nur äußerlich wahrnehmen. Das Einleben in übersinnliche Tatsachengebiete und Zusammenhänge ist der Weg zum Engelbewusstsein, durch das wir ohne die Stützen der Sinneswahrnehmung die übersinnlichen Welten im Denken erfassen und so immer mehr in das Erleben der geistigen Wahrheiten hineinwachsen. Was wir so erfasst haben, geht uns innerlich in seinem Wahrheitskern auf – das wissen wir mit einer inneren Gewissheit, weil wir es durchschaut haben in seiner tiefsten Wesenhaftigkeit! Je höher eine Hierarchie steht, umso mehr Substanz, Kraft und Wesenhaftigkeit kommt ihr zu, das heißt: umso weiter reicht ihre Wirksamkeit und ihre Macht. Daher sind die Wesenheiten der III. Hierarchie mit dem Seelenleben des Menschen verbunden, in das sie hineinwirken (die Engel in unser Denken, die Erzengel als Volksgeister in unser Fühlen, die Archai als Zeitgeister in unser Wollen), während die Wesenheiten der II. Hierarchie in das Naturschaffen hineinwirken. Was im Menschen zunächst nur flüchtiger und vorübergehender Gedanke ist, das tritt als konkrete Wesenheit bei der Offenbarung der zweiten Hierarchie zutage. Es wird etwas Bleibendes, nicht nur Vorübergehendes. Das ist der große Unterschied auch gegenüber der Offenbarung der Engel auf der Stufe der dritten Hierarchie:

Bei den Wesenheiten der zweiten Hierarchie, da erfahren wir, indem wir in sie untertauchen, dass nicht nur ihre Wahrnehmung eine Offenbarung ihres Wesens ist, dass sie nicht nur ihr eigenes Wesen offenbaren, sondern dass diese Offenbarung ihres eigenen Wesens erhalten bleibt als etwas Selbständiges, was sich absondert von diesen Wesenheiten selbst. Eine Vorstellung von dem, was wir da wahrnehmen, können wir uns verschaffen, wenn wir etwa denken an eine Schnecke, welche ihr eigenes Haus absondert. Das Haus, so stellen wir uns vor, besteht aus einer Substanz, die zuerst in dem Leib der Schnecke enthalten ist. Dann sondert die Schnecke ihr Haus ab. Sie hat nicht ihr eigenes Wesen nach außen für den Anblick gezeigt, sondern sie hat etwas abgesondert, was dann objektiv wird, was bleibt. So ist es mit den eigenen Wesen, mit der Selbstheit der Wesenheiten der zweiten Hierarchie. Sie offenbaren nicht nur ihr Selbst, wie die Wesenheiten der dritten Hierarchie, sondern sie sondern dieses Wesen von sich ab, sodass es erhalten bleibt als eine selbständige Wesenheit. [20] So tritt an die Stelle der Offenbarung der dritten Hierarchie ein sich-selbst-Schaffen der zweiten Hierarchie:

Wie einen Abdruck seiner selbst [zu] schaffen, sich selber in einer Art Bild objektiv [zu] machen, das ist es, was die Wesenheiten der zweiten Hierarchie auszeichnet. Und wenn wir uns fragen: Was tritt an die Stelle der Geist-Erfüllung der Wesenheiten der dritten Hierarchie bei den Wesenheiten der zweiten Hierarchie? – dann zeigt sich für den okkulten Blick, dass jedes Mal, wenn das Wesen ein solches Bild absondert, solch eine Art von Schale seiner selbst, die das Gepräge seiner selbst trägt, dass dann im Innern des Wesens Leben erregt wird. Immer ist das Erregen von Leben die Folge eines solchen sich-selber-Schaffens. [20] 69

Die Funktionen der einzelnen Wesenheiten der zweiten Hierarchie sind verschiedene. Die erste Kategorie der „Geister der Form“ bzw. Exusiai (welche die hebräische Geheimlehre als Elohim bezeichnet, die vier Stufen über dem Menschen stehen und daher die Leitung der Erdenentwicklung innehaben) haben es mit allem zu tun, was in der Natur geformt ist: Alles, was lebt, trägt Formen; Formen haben die Pflanzen, die Tiere, der Mensch.

Wenn der hellsichtige Blick ... sich richtet auf alles, was um uns herum in der Natur geformt ist, und wenn er absieht von allem Übrigen..., dann nimmt dieser hellsichtige Blick aus der Gesamtheit der Wesenheiten der zweiten Hierarchie diejenigen wahr, welche wir nennen die Geister der Form, Exusiai. [20] Wenn wir hingegen uns anregen lassen von dem Werden der Lebewesen, durch das die Formen wechseln, sich verändern, wie es in der lebendigen Metamorphose zutage tritt, dann treten für den hellsichtigen Blick die Dynameis bzw. Geister der Bewegung auf, die zweite Kategorie der Wesenheiten der eigentlichen Sonnenhierarchie. Betrachten wir in einer kontemplativen Naturstimmung, die dafür notwendig ist, die Natur, wie wir die Physiognomie eines Menschen auf uns wirken lassen –: indem wir die eine Blüte empfinden wie eine Hand, die sich nach oben öffnet, die andere Blüte, die sich schließt, wie zwei Hände, die sich zusammenfalten –, dann tritt uns eine dritte Kategorie in dieser Pflanzenphysiognomie entgegen: die Geister der Weisheit bzw. Kyriotetes.

Dieser Name ist vergleichsweise gewählt aus dem Grunde, weil, wenn wir einen Menschen betrachten in seiner Mimik, in seiner Physiognomie, in seinen Gesten, wir sein Geistiges, sein Weisheitsvolles nach außen sprießen sehen, sich darleben sehen. So fühlen wir, wie geistige Wesenheiten der zweiten Hierarchie alle Natur durchdringen und sich in der Gesamtphysiognomie, in dem Gesamtgestus, in der gesamten Mimik der Natur zum Ausdruck bringen. Flutende Weisheit geht lebensvoll durch alles Wesen, alle Reiche der Natur – und nicht bloß eine allgemein flutende Weisheit, sondern differenziert ist diese flutende Weisheit in eine Fülle von geistigen Wesenheiten, in die Fülle der Geister der Weisheit. Es ist, wenn das okkulte Bewusstsein sich hinauferhebt zu diesen Geistern, zunächst die höchste Stufe dieser geistigen Wesenheiten, die wir auf diese Art erreichen. [20] Wenn das geistige Bewusstsein nun noch höher hinaufsteigt, bis zur ersten Hierarchie – die aus den Thronen, Cherubim und Seraphim besteht –, dann haben wir statt des Selbstschaffens der zweiten Hierarchie ein Weltschaffen:

Eine abgesonderte Welt wird das, was hervorgeht aus den Wesenheiten der ersten Hierarchie, eine solche selbständige Welt, dass diese Welterscheinungen Tatsachen zeigen, auch wenn die Wesenheiten nicht mehr dabei sind... Und wie ist denn das eigene Leben der ersten Hierarchie? Das eigene Leben der Wesenheiten der ersten Hierarchie ist so, dass es sich selber wahrnimmt, indem es solche objektiven, selbständigen, sich absondernden Wesen aus sich hervorgehen lässt. Im Schaffen, im Selbständigmachen von Wesenheiten liegt für die erste Hierarchie ihr innerer Bewusstseinszustand, ihr inneres Erleben. Wir können sagen, sie schauen hin auf das, was sie schaffen und was die Welt wird, und nicht indem sie in sich hineinschauen, sondern indem sie hinausschauen auf die Welt, auf ihre Geschöpfe, haben sie sich. Wesen schaffen: Das ist ihr Innenleben. Andere Wesen schaffen, in anderen Wesen leben: Das ist das innere Erleben dieser Wesenheiten der ersten Hierarchie. Weltschaffen ist ihr Außenleben, Wesenschaffen ihr Innenleben. [20] 70

Wir erhalten so Engelhierarchien:

die

folgende

Übersicht

über

die

Bewusstseinszustände

der

Abb. 6: Bewusstseinszustände der drei höheren Hierarchien I. Hierarchie II. Hierarchie III. Hierarchie

Weltschaffen nach außen Selbsterschaffen nach außen Offenbarung nach außen

Wesenschaffen nach innen Lebenserregung nach innen Geist-Erfüllung nach innen

Die Trinität Wir haben zunächst nur mit einigen großen Strichen ein Schema der hierarchischen Weltordnung entworfen. Es ist die „Jakobsleiter“, die Jakob erschaute und die zur Gottheit emporführt. (Genesis 28, 12 ff.) Ist dieses vielschichtige und vielgliedrige Muster dieser hierarchischen Weltordnung nicht recht kompliziert? Verliert der Mensch sich nicht darin? Ist der schlichte Gottesbegriff für das Ich nicht ein viel besserer ruhender Pol, zu dem es streben und seine Sehnsucht befriedigen kann? Finden wir darin nicht die Geborgenheit, die Einheit unseres Bewusstseins viel eher als in dem mannigfaltigen Gewebe der Hierarchienwelt? Und endlich: Gipfelt nicht das Christusbewusstsein in dem einheitlichen Vaterbewusstsein, in das es zuletzt im 17. Kapitel des Johannesevangeliums einmündet? Solche Fragen werden sich stets erheben gegenüber dem Weltbild der Hierarchien, das die Einheit zu entbehren scheint, weshalb manche Christen es nicht vereinbar halten mit dem christlichen Weltbild. Nun geht die hierarchische Weltenordnung auf keinen anderen als den Apostel Paulus zurück, der bei seinem Aufenthalt in Athen einen Schüler fand, den Areopagiten Dionysos, den er in die esoterischen Hintergründe des Christentums einweihen konnte. Man braucht ja nur einmal die Evangelien daraufhin zu prüfen, um zu entdecken, wie überall auf das Hereinwirken der Engelwelten hingewiesen wird, wie etwa im Lukasevangelium bei der Verkündigung der Friedensbotschaft der himmlischen Heerscharen, sowie im Johannesevangelium im ersten Kapitel: Wahrlich ich sage dir: Von nun an werdet ihr die Himmel sich öffnen sehen und die Engel Gottes auf- und niederschweben auf des Menschen Sohn! (Joh. 1,51) Hat das Wort „Evangelium“ 115 doch seinen Ursprung in der „Botschaft der Engelwelt“, die nahe an den Menschen herangekommen ist an der Zeitenwende!

Das Wort „Gott“ ist heute ein leerer, im Grunde genommen inhaltsloser Begriff geworden. Es ist der letzte Rest aus der gesättigten Fülle einer alten Weltanschauung, die die göttliche Weltenordnung bis zu den Fixsternen umspannte. Je mehr die Wissenschaft die Natur entdeckte und bis in die Sternensphären im rein materialistischen Sinne eroberte, umso mehr zog sich das Gottesbewusstsein zurück und flüchtete in die Innenwelt des Menschen. Bis nur noch der blasse und inhaltsleere Gottesbegriff übrig blieb. Die Theologie gab Stück für Stück ihrer geistigen gotterfüllten Weltanschauung preis und überließ die Welt der Naturwissenschaft. Dies war die Folge jener unheilvollen Trennung zwischen Innen- und Außenwelt, zwischen der Welt der geistigen Weltenordnung und dem mechanistischen kopernikanischen Weltbild, worin kein Platz mehr für Gott und die Hierarchien vorhanden ist. Nachdem durch diesen Trennungsstrich zwischen Innen- und Außenwelt, zwischen Geist und Materie unser Weltbild gespalten wurde, ist uns nur ein sehr allgemeiner verschwommener 115

Griechisch Angelos (αόγγελος) bedeutet „Bote“, später wird das Wort auch in der uns geläufigen Bedeutung „Engel“ verwendet. Evangelium (ευαγγεόλιον) bedeutet „gute Botschaft“.

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Gottesbegriff übrig geblieben. Dabei trat die Anschauung einer weltumspannenden Gottheit in ihrem dreifachen Aspekt immer mehr in den Hintergrund und verblasste zum blutleeren Dogma von der Dreifaltigkeit. Was Wunder, wenn es den heutigen Menschen befremden muss, wenn er wieder konfrontiert wird mit der reich gegliederten Fülle des hierarchischen Weltbildes, das ihm schwer fällt, in seine moderne Weltanschauung einzugliedern, die ja hierfür keinen Platz mehr hat!

Wenn wir das hierarchische Weltbild nur in einem übereinander der verschiedenen Kategorien von geistigen Wesen nehmen, dann erhalten wir in der Tat einen unbefriedigenden und einseitigen Eindruck. Ich möchte meinen Lesern daher das folgende Meditationsbild empfehlen, in das wir uns vertiefen können, um die Einheit in der Vielheit zu erleben: Abb. 7: Das Ich, die Sinneswelt und die Hierarchien

Das Geheimnis des hierarchischen Weltbildes, das wir uns in dieser Figur vor die Seele stellen können, liegt im Erleben des Mittelpunktes, der sich im ICH offenbart. Es ist zugleich das Mysterium der Gottheit. Deshalb kann man auch ausgehen von dem Mysterium Gottes, das sich in unserem Ich enthüllt, wenn man nur tief genug schürft. Dieses Geheimnis wird sich uns nur in der Meditation enthüllen. Dann findet man den Schlüssel zum Weltengeheimnis, das sich in dieser Figur ausspricht. Der äußerste Kreis ist die Sinneswelt, die bis zu den Sternen reicht und alles Sichtbare umspannt. In ihr und durch sie offenbaren sich die ewigen Ursymbole, die ein Gleichnis des Ewigen sind. Sie bilden zugleich die Tore zur unsichtbaren Welt, durch welche die Hierarchien sichtbar werden. Hier liegt der Wendepunkt von der sichtbaren Welt der Sinne zur unsichtbaren Welt des Geistes, die sich zunächst nur in unserem Inneren zu enthüllen beginnt. Deshalb bildet dieser Wendepunkt die zweite Stufe auf dem Rosenkreuzerwege, über welcher das Wort steht: Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis! 116 – Wem alles Äußere zum Gleichnis wird, dem öffnen sich die Pforten für die unsichtbare höhere Geistesordnung, der geistigen Sternenkreise, wie sie der Tote erlebt. Denn von drüben erleben wir das Weltbild im Sinne der ptolemäischen Weltenordnung. Versenken wir uns in unsere Meditationsfigur, so wird uns das Wundergewebe der die ganze Welt umspannenden Hierarchien immer tiefer und innerlicher erlebbar. Obwohl ihre Machtsphäre immer weitere Kreise umspannt, führen sie uns zugleich immer tiefer in den Mittelpunkt hinein wie in einen Trichter, aus dessen Tiefe uns das verhüllte Mysterium der Gottheit entgegenkommt. Hier finden wir den Ruhepol, den eigentlichen Schwer- und Tiefpunkt des Ganzen. Wir finden ihn in unserem ICH. ICH IST GOTT... Das ist das 116

Faust, Vers 12104.

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Geheimnis. – Haben wir diesen Mittelpunkt gefunden, so wendet sich der Kreis, er stülpt sich nach außen um und er wird zum Mittelpunkt der ganzen Welt, des ganzen Universums! ES IST ICH! Das Geheimnis der Einheit in der Vielheit und der die ganze Welt umfassenden Vielheit in der Einheit, das kann uns hieran aufgehen. Es ist eine gute Übung, durch Kontemplation sein Ich so tief in der Urgottheit verankert zu fühlen, dass es sich in seines Wesens Kern in der Gottheit erfasst – und sich so frei und unabhängig sich darin erlebt, dass es über allem steht und die ganze Welt umfasst! Das ist das eigentliche Mysterium der Welt: Auf welchem Kreis wir auch stehen, bis zur äußersten Peripherie der Sinnenwelt – unser Bewusstsein ist immer eingeschaltet und berührt von dem Göttlichen. Es ist umso verhüllter, je weiter die Kreise an der Peripherie liegen. Doch auch an der Peripherie der Sinnenwelt kann das Göttliche erlebt werden und wir uns im Einklang mit ihm setzen. Keiner kann ihm entfallen!

Nähe und Ferne vom göttlichen Urwort Bestimmt meine Freiheit und Not. [21] Das aber bedingt, dass wir schon im äußersten Kreis den rechten Standort zum Ausgangspunkt unseres Weges in unserer Weltorientierung wählen. Ist dieser einseitig verschoben, so werden das ganze Bild und unser weiterer Weg schief. Darum ist unser Ausgangspunkt in der Sinnenwelt so wichtig. Sonst entstehen die vielen mystischen, verschobenen und verschrobenen Weltbilder und Weltanschauungen. Hier schon im Ausgangspunkt muss Klarheit und Wahrheit sein, die uns die rechte Orientierung zu unserem weiteren Weg gibt. – Darum prüfe dich jeden Tag aufs Neue, ob dein Standort und deine Orientierung zur Welt richtig sind. Du kannst es in der Prüfung deines Gleichgewichtes erkennen, wie weit es dich in harmonischer Weise zur Welt stellt. Das ist das Prisma, durch das du zum Herzen Gottes schaust. Deshalb ist der Materialismus der Schatten der Fledermausschwinge, den Ahriman wirft, der alles verdunkelt und gleich den Ausgangspunkt unseres Weges verschiebt. Er verstopft die „Gucklöcher“, durch die unser Blick das Ewige schon in der Sinneswelt erfasst. Er trennt die höhere Welt von der Sinneswelt ab, die ja nur ein Ausdruck der göttlichen Sphärenwelt ist und sperrt den Menschen in ein dunkles Gefängnis, aus dem er nicht mehr herausfindet... So blickt dich Gott aus jedem Blatt, jedem Baum und Tannenzapfen an; und fühlst du diesen Blick, so öffnet sich das Wundergewebe der Gott-Natur und du dringst bis zum Urquell des Gottes-Mysteriums vor. Dann wird dir die Natur zu einer gewaltigen Symphonie im inneren Erleben; die Gebärde jedes Baumes, du kannst sie aufnehmen und genießen wie die Speise einer geistigen Kommunion. Das ist der Rosenkreuzerweg, den wir so beschreiten, im Gegensatz zu dem rein mystischen Innenweg. Rudolf Steiner charakterisiert ihn mit den folgen den Worten:

Das ist kein in-sich-Hineinbrüten. Nicht sollen Sie sagen: Drinnen ist der Gott, den will ich suchen! – Sie würden nur den kleinen Menschen finden, den Sie selbst zum Gott aufbauschen. Wer nur von diesem Hineinbrüten spricht, kommt niemals zur wirklichen Erkenntnis. Zu dieser zu kommen, auf dem Wege der rosenkreuzerischen Theosophie, ist unbequem und erfordert konkretes Arbeiten. Die Welt ist voller Herrlichkeiten und Großartigkeiten. Man muss sich in sie vertiefen; man muss den Gott in seinen Einzelheiten kennen, dann kann man ihn in sich selbst finden, und dann lernt man Gott erst in der Ganzheit kennen. 73

Die Welt ist wie ein großes Buch. In den Schöpfungen haben wir die Buchstaben dafür; die müssen wir lesen von Anfang bis zu Ende: Dann lernen wir das Buch Mikrokosmos und das Buch Makrokosmos von Anfang bis zu Ende lesen. Und das ist kein bloßes Verstehen mehr – es lebt sich auch in Gefühlen, es schmilzt den Menschen zusammen mit der ganzen Welt, und er empfindet alle Dinge als den Ausdruck des göttlichen Geistes der Erde. Ist der Mensch so weit, dann handelt er ganz von selbst aus dem Willen des ganzen Kosmos heraus, und das ist die Gottseligkeit. [18, letzter Vortrag] Erst wenn wir den Urgeist, den wir Gott nennen, in jedem Blatt der Schöpfung erkennen, entdecken wir im Mikrokosmos den Makrokosmos und erleben das große Mysterium: Wie das Göttliche alles durchdringt und in allem sich spiegelt. Dann erst geht uns das Wundergewebe der göttlichen Hierarchien auf, die nicht außer und neben Gott stehen, sondern sein Antlitz, seine Physiognomie, seine Hände und Werkzeuge sind. Und zwar spiegelt jede der Hierarchien einen besonderen Aspekt der Urgottheit wider:  der göttliche Vater in der I. Hierarchie,  der göttliche Sohn in der II. Hierarchie,  der heilige Geist in der III. Hierarchie. Die Engelhierarchie stellt seine Hände dar; die Sonnenhierarchie des Sohnes sein Herz; und die Seraphim, Cherubim und Throne, die bis zu den Füßen der Gottheit reichen, spiegeln sein Antlitz wider, sein Haupt, in dem die Weltgedanken und Weltenpläne sich bewegen.

Dieser höchsten Gottheit, der obersten Dreieinigkeit, der Trinität entspringen gleichsam die Pläne zu einem jeden neuen Weltensystem. Blicken wir zurück zum Alten Saturn, so sagen wir uns: Bevor irgend etwas ins Dasein getreten ist von diesem Alten Saturn, ist in der göttlichen Dreieinigkeit der Plan erwachsen... Die ersten Wesenheiten, die um die Gottheit sozusagen selber sind, die, wie man es so schön ausgedrückt hat in der christlichen abendländischen Esoterik, „unmittelbar den Anblick Gottes genießen“, das sind die Seraphim, Cherubim und Throne. Die nehmen nun die Pläne eines neuen Weltensystems entgegen von der göttlichen Dreieinigkeit, der sie entspringen. [13, 5. Vortrag] Wenn wir uns die höchste Gottheit in der göttlichen Trinität vorstellen, die über allen Hierarchien waltet, so wirkt sie doch zugleich durch alle Hierarchien hindurch bis in das Physische der Sinneswelt. So ist der physische Leib des Menschen der Ausdruck für den Vatergott, weshalb man ihn auch den „Tempel Gottes“ nannte (Joh. 2,21), das Seelische der Ausdruck des Sohnesgottes, und im bewussten Denken spiegelt sich der Geist. Nur von der Trichotomie 117 des Menschen, seiner Dreigliederung in Leib, Seele und Geist, kommen wir zur göttlichen Trinität, wie es als Schlussstein seines ganzen Werkes Rudolf Steiner in der Meditation der „Grundsteinlegung“ als Vorbild dieses Weges in mantrischen Worten geprägt hat.118 117 118

d. h. „Dreiteilung“. Aus dem Grundsteinlegungsspruch wird an späterer Stelle noch zitiert werden. Mantrische Sprüche sind derart gestaltet, dass ihnen jenseits des intellektuellen Sinnes eine (mitunter unbewusst wirkende) Kraft innewohnt. Mantram ist im Altindischen „Werkzeug des Denkens“. Auch viele Bibelstellen eignen sich als Mantra, beispielsweise Ich lebe, aber doch num nicht ich, sondern Christus lebet in mir (Gal. 2,20) oder: Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm (1. Joh. 4,16).

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Allerdings bliebe diese Übersicht unvollständig, wenn wir nicht aufmerksam machen würden auf den Unterschied zwischen den einzelnen Kategorien der Hierarchien und der individuellen Entwicklung der einzelnen geistigen Wesen, wodurch diese ihren Platz in den einzelnen Hierarchien weitgehend überschreiten können. Das ist zum Beispiel der Fall bei dem Erzengel der Sonne, Michael119, der denselben Platz in seiner Hierarchie einnimmt wie die Eingeweihten in der menschlichen Hierarchie. Dasselbe gilt von der Christuswesenheit, von der Rudolf Steiner sagt, sie sei der

... Führer und Lenker auch aller Wesenheiten der höheren Hierarchien, ... ein umfassendes, kosmisches, universelles Wesen. [22, S. 18] Ohne diesen geistigen Hintergrund des Wundergewebes der göttlichen Hierarchien muss uns die Apokalypse in ihren Tiefen und geistigen Zusammenhängen verschlossen bleiben.

119

Michael gehört zwar zu den Erzengeln, hat sich jedoch zur Bewusstseinsstufe der Zeitgeister erhoben: Doch Michael steigt heute bereits zum Zeitgeist auf, wodurch seine Impulse auch über das Jahr 2300 hinaus weiter unmittelbar sehr bedeutsam für die Menschheitsentwicklung sein werden. Allein schon dadurch, dass Michael zum Zeitgeist aufsteigt, entsteht ein gewisser Gegensatz zwischen ihm und den anderen führenden Erzengeln. (Wolfgang Peter: „Das Wirken Michaels in unserer Zeit und seine geistigen Impulse für die nähere und fernere Zukunft“, 2004.)

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Bild 3: Albrecht Dürer, Die vier Reiter, 1498

Die Öffnung der ersten vier Siegel lässt den Seher jene vier Reiter sehen, die mit Bogen, Schwert, Waage und Totengabel die Menschheit in den Untergang hineinführen.

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5. Die Apokalypse als Schulungsbuch Je länger man sich mit diesem gewaltigen Stoff der Apokalypse beschäftigt, umso schwerer scheint es zu sein, ihn „in den Griff“ zu bekommen. Man könnte die Offenbarung des Johannes das „Buch der Wandlungen“ nennen. Denn als tiefstes Wesen und Gesetz wohnt ihr die Kraft der Wandlung inne. Die geheime Kraftquelle, die alles durchströmt, alle Ereignisse durchpulst und verwandelt, ist der Logos, der Sohnesgott. Während der Vatergott ein in sich beruhendes statisches Element darstellt, ist der Christus, der Sohnesgott, der „sensibelste Geist“ des Kosmos, der am selbstlosesten seine Umwelt widerspiegelt, in sie untertaucht und eins mit ihr wird. Deshalb ist es auch nicht immer leicht, ihn zu erkennen, wie es aus den Auferstehungsberichten der Evangelien ersichtlich wird. Sein Leben vollzieht sich in der Wandlung. Und dies Motiv hat Er der ganzen Menschheitsentwicklung eingeflößt. Seither ist die Erde der Stern der Wandlung geworden. Das ist das Grundmotiv der ganzen Apokalypse, das Motiv der Wandlung oder mit einem lateinischen Wort, der Transsubstantiation. Um die Bilder der Apokalypse richtig zu erfassen, verstehen und erleben zu können, ist es notwendig, sie in diejenigen Sphären einzuordnen, aus denen sie sich offenbaren. Ohne das Verständnis einer übereinander gelagerten, sich durchdringenden, geistigen Sphärenordnung ist dies nicht möglich. Gleich zu Beginn sehen wir uns in diese Sphärenwelt hineinversetzt: In das Geistgebiet versetzt, erlebte ich den Anbruch des Christustages.120 Danach wurde ich in die Geistesschau erhoben: Siehe, ein offenes Tor im Himmel! Und die erste Stimme, die wie der Schall einer Posaune an mein Ohr gedrungen war, sprach: Steige zur mir empor! Ich werde dir zeigen, was in der Zukunft geschieht! (Off. 4,1) Es kommt stets darauf an, aus welcher geistigen Region sich die Bilder offenbaren, um sie in ihrer Zeichensprache richtig zu erfassen und uns in die Welt einzuleben, in die wir versetzt werden. Gehen wir dabei zunächst von der Tatsache aus, dass die ganze Offenbarung des Johannes von dem Motiv der Transsubstantiation durchzogen wird. Ohne diesen Leitfaden werden wir den eigentlichen Kern der Apokalypse, wie der gesamten Erden- und Menschheitsentwicklung, nicht verstehen. Wir können dieser Erkenntnis noch um einen Schritt näher kommen. – Es ist mir bereit vor mehreren Jahren der Gedanke gekommen, der mir die ganze Komposition erst erschlossen hat, und den ich später durch einen Hinweis Rudolf Steiners bestätigt gefunden habe. Wir können dieses urchristliche Dokument erst dann wirklich verstehen, wenn wir ein Verständnis für den christlichen Kultus uns aneignen. Die ganze Apokalypse ist aufgebaut auf den christlichen Messekultus. Dann erst begreifen wir die vier Stufen der Apokalypse, die den vier Stufen des christlichen Messekultus entsprechen. In welcher Form wir uns dies denken, in der mehr traditionellen Gestalt der katholischen Kirche oder in der erneuerten der „Menschenweihehandlung“, spielt für unsere Betrachtung keine Rolle. Dieselben vier Stufen werden auch in der Meditation als einer „Stillen Messe“ durchlebt. Fragen wir uns daher zunächst: Welches sind diese vier Stufen, die hierbei durchgemacht werden? 120

Eigentlich steht in Off. 1,10: Im Geist kam ich am Tag des Herrn an und hörte vor mir eine laute Stimme

wie eine Trompete.

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Die erste Stufe der Meditation wendet sich an das gegenständliche Bewusstsein unseres Denkens, in das wir den meditativen Inhalt aufnehmen. Diese Stufe entspricht im christlichen Kultus der Evangelienlesung. Die zweite Stufe führt uns zu einem höheren Bewusstsein: Je mehr sich der Mensch mit dem meditativen Inhalt durchdringt und sich selbstlos ihm hingibt, umso durchlässiger wird sein Denken, indem es sich von den festen intellektuellen Konturen befreit. Dazu ist eine innere Hingabe, eine Opferkraft nötig, sodass wir unser persönliches Leben (Vorstellungen, Erinnerungen usw.) ausschalten. Diese Kraft der Hingabe ergreift unser Denken und wandelt es aus der begrifflichen Vorstellungswelt zur Bilderweit der Imagination. Dies entspricht der zweiten Stufe des christlichen Kultus: dem Offertorium (Opfer). Unsere Seele muss auf dieser Stufe ganz selbstlos und ruhig werden, damit an reinen Horizont des Seelenlebens das bildhafte Denken der Imagination heraufziehen kann. (Dies wird sich allerdings meist erst nach der Meditation zeigen, wenn alle vier Stufen absolviert sind. Zur Verdeutlichung des Charakters jeder einzelnen Stufe aber sei es so dargestellt). Wenn der meditative Inhalt sich auch unserem Fühlen einverleibt, so erleben wir die dritte Stufe; die Vergeistigung des ganzen seelischen Menschen in unserem Fühlen. Das ist der eigentlich Schwerpunkt, sowohl in der Meditation als auch bei der Messe: die Stufe der Transsubstantiation, die große Wandlung, die unser ganzes Wesen ergreift und die Seele dem Geist öffnet. Hier beginnt schon die vierte Stufe der göttlichen Wesensvereinigung, der Kommunion; sie erfasst unsere Willenstiefen und verbindet uns mit dem Göttlichen, das in uns Einzug hält. Mit diesen Stufen sind die höheren Erkenntnisstufen verbunden, wie sie durch die Meditation ausgebildet werden:  die Imagination =  die Inspiration =  die Intuition =

Verwandlung des Denkens Verwandlung des Fühlens Verwandlung des Wollens.

Zur Übersicht stelle ich die vier Stufen des meditativen Erkenntnisweges in ihrer Beziehung zum christlichen Kultus nebeneinander: Abb. 8: Die vier Stufen des christlichen Kultus und der Meditation 1. Evangelienlesung 2. Offertorium (Opfer) 3. Transsubstantiation 4. Kommunion

Aufnahme des Meditationsinhaltes ins gegenständliche Bewusstsein Verwandlung des Denkens zur Imagination Verwandlung des Fühlens zur Inspiration Verbindung mit der göttlichen Wesenssubstanz bis in den Willen hinein: „in Gott stehen“ = Intuition.

Diese vier Stufen werden sowohl in der Meditation wie im christlichen Kultus durchgemacht, nur mit dem Unterschied, dass bei der Meditation der Mensch selber sein eigener Priester ist, der die Verbindung zur göttlichen Welt herstellt. Dies ist auch hier nur möglich mit Hilfe der Gnade der geistigen Welt. Je mehr wir durch unsere seelische Hingabe ihr die Möglichkeit geben, in uns einzuziehen, umso mehr erfüllt sie uns mit ihrer göttlichen Substanz. Wenn wir bedenken, dass der christliche Messekultus seit bald zwei 78

Jahrtausenden sich auf der ganzen Erde täglich vollzieht, erhalten wir ein Bild von dem großen Wandlungsprozess, der durch das Mysterium von Golgatha inauguriert worden ist. Er hat begonnen, als das Blut des Erlösers in die Erde floss, wodurch sich die Ätheraura der Erde grundlegend änderte und neue Farben, Lichter, Strömungen erhielt. Was sich so in der geistigen Erde vollzog, das vollzieht sich im geistigen Abbild durch den christlichen Kultus wie durch die Meditation. Der große Verwandlungsprozess, der die Erdenmenschheit vergeistigt, wird durch den Kultus verstärkt und führt die Menschheit zu ihrem Christusziel. Ist es daher verwunderlich, wenn in der Apokalypse sich diese große ErdenTranssubstantiation in der ganzen Komposition spiegelt? – Und zwar nicht nur vom Gesichtspunkt der mystischen Vertiefung, sondern als Urbild der ganzen, sich stufenweise vergeistigenden Menschheits- und Erdenentwicklung. In den vier Stufen der Apokalypse steht dieser große Vergeistigungsprozess der gesamten Erde vor uns. So wie die Erde aus einem geistigen Zustand sich im Laufe ihrer Entwicklung bis zum Materiellen verdichtet hat, so wird sie sich wieder vergeistigen, nachdem sie jetzt den tiefsten Punkt ihrer Verdichtung erreicht hat. Sie wird sich zunächst ätherisieren, dann ins Astralische verwandeln, bis sie zuletzt wieder einen rein geistigen Zustand erreicht haben wird. Und eben die Kraft zu diesem Vergeistigungsprozess verdankt sie dem Christusimpuls, der sich als der Erde innerlichstes Himmelsfeuer mit ihr verbunden hat – dass auch sie einst Sonne werde! 121 Diese große Erden-Transsubstantiation ist es, die uns die Apokalypse in ihren Symbolen beschreibt. In diesem Sinne entsprechen:  die Sendschreiben der physisch-materiellen Erdenentwicklung, wie sie im engeren Sinne in den sieben nachatlantischen Kulturperioden sich abspielen;  die Siegel der sich verätherisierenden Erde, die zum astralischen Zustand übergeht;  die Posaunen der vom Astralischen zum geistigen Zustand aufsteigenden Erdenmenschheit;  die Zornesschalen der vergeistigten Erde, die sich zum nächsten Planeten, dem Jupiter, hinüberentwickelt. Dies ist nur als eine kurze Orientierung aufzufassen, aus der sich der Sinn der ganzen Menschheitsevolution ergibt. Dem Inkarnationsprozess der sich ins Stoffgebiet verkörpernden Erdenmenschheit folgt der Exkarnationsprozess der sich wieder vergeistigenden Erdenmenschheit, der heute bereits begonnen hat, nachdem der tiefste Punkt der Verfestigung ins Irdische überschritten ist. Der erste dieser Prozesse, der im okkulten Sinne mit den Marskräften zusammenhängt (Eisen im Blut) ist ein Geburtsvorgang. Der zweite Prozess, der der Menschheit die aufrichtenden und aufstrebenden Merkurkräfte spendet, ist ein Todesvorgang, da er die Menschheit zur Schwelle der geistigen Welt führt, die der Mensch beim Tode überschreiten muss.

Das Gesetz der Involution Bevor wir weitergehen in unserer Betrachtung der einzelnen Bilder und Vorgänge, sei zunächst etwas Grundlegendes ausgesprochen, was die uns zunächst befremdlich 121

Das vollständige Gedicht Chr. Morgensterns ist im 15. Kapitel abgedruckt.

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erscheinenden Schilderungen des Sehers betrifft. Sie erwecken den Eindruck eines großen Strafgerichtes, das ein zürnender und rächender Gott über die Menschheit verhängt. Und so wird die Apokalypse ja such vielfach aufgefasst, gerade in theologischen Kreisen. Lässt der Seher der „Offenbarung Johannis“ doch selbst die „Zornesschalen“ sich über die Menschheit ergießen, die furchtbare Geschwüre und Krankheiten hervorrufen. Das hat zum Beispiel Carl Gustav Jung dazu veranlasst, von seinem psychologischen Gesichtspunkt aus die ganze Apokalypse des Johannes als Erzeugnis seines Unterbewusstseins zu deuten – denn, so sagt er: Wie kann ein Gott der Liebe, der doch der christliche Gott ist, sich hier als Gott der Rache entpuppen und die größten Plagen über die Menschheit verhängen? – Deshalb betrachtet er den Inhalt der Apokalypse als Reaktion des unterdrückten Unterbewusstseins ihres Verfassers, der seine verklemmten Komplexe, die er ja im Sinn der christlichen Moral nicht ausleben darf, nur in seinen „Zornesschalen“ frei ausleben kann! Will man Jung in dieser Betrachtungsweise nicht folgen, so bleibt dennoch das Rätsel bestehen:

In welcher Art können wir die schaurigen Bilder als das Strafgericht eines erzürnten Gottes mit der christlichen Auffassung verbinden? – Wir sind es gewohnt, besonders durch die im Sinne der modernen Naturwissenschaft gedachte Evolutionslehre, uns die Entwicklung der Erdenmenschheit als eine ständig aufsteigende Entwicklungslinie vorzustellen, die sich aus den primitivsten Anfängen niederer Zellwesen (den Uramnioten) bis zum homo sapiens, dem gebildeten Menschen hinaufentwickelt. Darüber aber hat man außer Acht gelassen, dass dem so gedachten Evolutionsprozess ein anderer Prozess gegenübersteht. Und dies ist der Prozess der Involution, der „Einwicklung“, der im entgegengesetzten Sinne verläuft. Der Evolutionsprozess erstreckt sich im Grund nur bis zum 28. Jahre im menschlichen Leben. Dann zieht die Natur sich mit ihren Aufbaukräften zurück und überlässt den Menschen sich selbst. Setzt er die natürliche Entwicklung jetzt nicht durch seine eigene geistige Arbeit fort, so bleibt er im Seelisch-Geistigen auf dieser Stufe stehen. Er kann die natürliche Entwicklung nur durch Zurückhaltung und Ersparen gewisser Kräfte fortsetzen, die sich nicht mehr nach außen wenden, sondern die er im Innern für seine geistige Entwicklung verwendet. Und eben dies ist der Involutionsprozess, der aller Ausbildung seelisch-geistiger Organe zugrunde liegt, da der Schulungsweg auf diesem Gesetz der Zurückhaltung und Ersparung naturhafter Kräfte beruht. Je mehr die aufsteigende Kurve der naturhaften Entwicklung zum Stillstand kommt und der Mensch den absteigenden Weg seiner Entwicklung betritt, umso mehr muss die natürliche Evolution ergänzt werden. Denn nur so kann der Mensch sein Ziel erreichen, indem er das Gesetz der Involution berücksichtigt. Da aber die moderne Menschheit nur auf das Ausleben der aufsteigenden Jugendkräfte bedacht ist , übersieht sie die Früchte, die ihr die absteigende Kurve des Alters schenken könnte und verödet mehr und mehr im Seelischen:

Dass das heutige Leben rhythmus-arm geworden ist, ohne schwingende Lebendigkeit, sieht man deutlich daran, dass die Menschen sich nur in seltenen Fällen wirklich über die Lebensmitte hinaus noch weiterentwickeln. Der Grund ist letztlich der, dass die Menschen von den Resten ihrer Jugend nicht Abschied nehmen können. Dass das Altwerden ein hoher Wert sein kann, wenn nämlich nach der Lebensmitte der absteigende Ast beginnt, hat man vergessen. Man macht es mit, besonders solange sich das Alterwerden noch retuschieren lässt, man kann nichts daran ändern. Aber ein wirkliches Ja zu diesem Teil der Welle, der nicht steigt, sondern fällt, der aber die Innenseite des Daseins freilegt, die vorher so oft durch die blühende Außenseite zugedeckt wurde, ein Ja zum Altwerden müssen die Menschen wieder neu lernen. 80

Ohne dieses Ja kommt der Mensch in seinem innersten Wesen niemals zur Reife und Erfüllung. [23] So müssen wir auch hier den jugendlichen Verkörperungsprozess der ersten Lebenshälfte von dem Prozess des Älterwerdens unterscheiden, wobei das Seelische sich zurückzuziehen beginnt. Was sich dabei im Menschen wirklich abspielt, kommt erst zum Vorschein, wenn er den Leib abgelegt hat, sodass seine seelisch-geistigen Erdenfrüchte zur Erscheinung kommen. Der irdische Vergeistigungsprozess in der absteigenden Lebenshälfte setzt sich nach dem Tode fort, ja er kommt dann erst zu seiner Erfüllung. Indem das Ergebnis seines Erdenlebens im nachtodlichen Zustande offenbar wird, wächst der Mensch nach Maßgabe seiner Reife in die höheren Sphären hinein. Er wird dabei alles dasjenige abstreifen und zurücklassen müssen, das er nicht in das Geistgebiet hineinnehmen kann. Man kann es mit der „Mondenschlacke“ vergleichen, die der Sonne widerstrebt und dann verhärtet, wenn sie von ihren Strahlen nicht aufgesogen werden kann. Derselbe Prozess spielt sich nun bei der Vergeistigung der Erde ab. Nur in umgekehrter Richtung: Die Erde wird nicht Himmel, sondern der Himmel steigt zur Erde nieder, das heißt die geistigen Sphären beginnen die Erde zu durchdringen und verbinden sich mit der Erdenwesenheit, die dann ihre große Transsubstantiation durchmacht. Was dieser widerstrebt, was am Grobstofflichen haften bleibt, kann nicht mit aufgenommen werden, es bleibt sozusagen als Mondenschlacke zurück. 122 Das ist der Sinn jenes Vorganges, den der Apokalyptiker in seinen Bildern beschreibt. So ergeben sich als Folge dieses Vergeistigungsprozesses die drei Abstürze, wie sie hier beschrieben werden:  1. Der Absturz aus der ätherisch-astralischen Sphäre (Siegel)  2. der Absturz aus der geistigen Sphäre (Posaunen)  3. der Absturz aus den höheren, kosmisch-geistigen Sphären (Zornesschalen) Genauso wie der Mensch nach dem Tode alles zurücklassen muss, was er noch nicht geläutert und umgewandelt hat, wenn er die Sonnensphäre betritt 123 – sein „Mondenpäckchen“ –, so muss alles dasjenige zurückgelassen werden, was in die höheren Sphären der ätherisch-astralischen und geistigen Welt nicht aufgenommen werden kann. 124 Daraus ergibt sich das Bild der von oben nach unten verlaufenden, abstoßenden Kräfterichtung, wie sie in den drei Abstürzen beschrieben wird. Nicht ein zürnender Gott ist es, der die Menschen zu diesen Abstürzen verurteilt, sondern im Grunde ist es die göttliche Liebe, die herankommt, um sich in der großen Menschheitskommunion mit den Menschen zu vereinigen und sie zu sich emporzuziehen. Diese göttliche Liebe verwandelt sich aber für die widerstrebenden Menschen 125 zum göttlichen Zorn, da wir die geistige Welt nur durch das Prisma unserer eigenen Seele zu erleben vermögen. – Das kann man Es sei an Kapitel 3 und den „unverbesserlichen Mond“ erinnert. Geistig gesehen „weitet“ sich das Wesen des Menschen nach dem Tode immer mehr, bis es die Bahnen erreicht, an denen die Planeten kreisen, was allerdings nicht räumlich vorzustellen ist. Gleichzeitig erlangt er Bewusstseins für immer höhere Daseinsbereiche. – Je nachdem, wie sich ein Mensch während des Erdenlebens auf dieses nachtodliche „Hineinwachsen“ in den Kosmos vorbereitet hat, wird er auf mehr oder weniger Schwierigkeiten oder Hilfe stoßen. 124 In der Johanni-Epistel der Menschenweihehandlung (nicht herausgegeben) ist die Rede von den Äthersphären, die Schuldloses nur tragen können. – Alles, was für eine bestimmte Daseinssphäre ungeeignet ist, muss an der „Tür“ zurückbleiben. 125 Dem Menschen ist freigestellt, am Involutionsprozess teilzunehmen oder sich zu wehren. 122 123

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zum Beispiel schon an dem Phänomen des Materialismus heute erleben. Die Flucht in den Materialismus sowie der Spott, und Hohn gegenüber allen spirituellen Bestrebungen, die der Geisteswissenschaft heute aus vielen zeitgenössischen Pressestimmen und literarischen Erzeugnissen entgegenkommt, ist durch die Furcht vor dem Übersinnlich-Geistigen bedingt.126 Wenn der Mensch die in ihm lebende unterbewusste Furcht gegenüber dem Spirituellen nicht überwinden kann, so offenbart sie sich als Hass. Denn Hass ist umgewandelte Furcht, die heute gerade gegenüber der geistigen Welt sehr grassiert. Wir werden auf diese Erscheinung noch zurückkommen müssen, um ein wirklichkeitsgemäßes Bild von dem Gang der apokalyptischen Ereignisse zu bekommen, womit der Vergeistigungsprozess der Erde eingeleitet wird. Fragen wir uns aber: Durch welche Kraft wird dieser Vergeistigungsprozess verursacht und bewirkt? – so ist es eben jene Macht, die als Folge des Christusopfers den Involutionsprozess einleitet, der die Erde auflöst und wieder zurücknimmt ins Geistige ihres kosmischen Ursprungs. Und eben diese Kraft, die die Involution bewirkt, ist man gewohnt den „Heiligen Geist“ zu nennen. Er ist es, dessen in sich aufnehmende Wirkung die ganze Apokalypse beherrscht. – Man verzeihe mir die ungeschickten Ausdrücke, aber es fehlen uns heute noch die Begriffe, um dieses Urgeschehen des von dem Christusopfer die ganze Menschheit ergreifenden Geistesstromes richtig darzustellen. Man kann es zunächst nur in seine Empfindungen aufnehmen, wenn sie durch das Nacherleben des Christusopfers immer wieder befruchtet werden. –

Dieser die Menschheit verwandelnde Strom des Heiligen Geistes geht vom Mysterium von Golgatha aus. In allen Einzelheiten kann nachgewiesen werden, wie aus den Stationen des Christuslebens der entsühnte, heilende und heilige Geist geboren wird, der die Spuren des durch den Sündenfall korrumpierten „unheiligen“ Geistes tilgt und die Stufen wieder nach aufwärts führt. Im Nacherleben der Passionsstufen 127 begeben wir uns auf den Weg zur Wiedererringung des „Lebensbaumes“. Mit diesem Erleben betreten wir den Weg der „Geistwerdung des Menschen“, den die Apokalypse schildert. Der Repräsentant des Heiligen Geistes, der die die Menschheit heute durch die Erkenntnis zur Wahrheit und Freiheit führt, ist der durch alle Gewitterstürme schreitende Erzengel der Sonne – Michael, der dem Christus vorangeht und ihm die Wege bereitet! 128 – Hiermit haben wir das große Leitmotiv, das durch die ganze Apokalypse sich hindurchzieht, aufgezeigt, das wir im Auge behalten wollen, um in allen Gewitterstürmen der apokalyptischen Zeitereignisse die Führerhand zu finden, die uns durch die sich öffnenden und ins Bodenlose stürzenden Abgründe hindurchträgt. Noch ein Wort über den esoterischen Schulungscharakter der Apokalypse, das uns helfen kann, ihren tieferen Sinn zu verstehen. Was geschieht, wenn der Mensch ein solches Furcht alleine schon deshalb, weil die Geisteswissenschaft alle Fundamente einreißt, auf welche das heutige „aufgeklärt-naturwissenschaftliche“ Weltbild aufgebaut ist. Weniger um die intellektuelle Revision eines wissenschaftlichen Irrtums geht es, sondern um die existenzielle Haltlosigkeit des einzelnen Menschen, der sich von der „alles umstürzenden“ geistigen Wahrheit überführt fühlt. 127 Der Leidensweg des Jesus Christus zwischen dem Garten Gethsemane und der Kreuzigung auf Golgatha. Die rosenkreuzerische Einweihung basiert auf sieben Stufen, die mit diesen Begebenheiten verknüpft sind, beginnt jedoch mit der Fußwaschung (Joh. 13). Vgl. hierzu [18]. 128 Auf Erden war Johannes der Täufer derjenige, der den Weg des Herrn bereiten sollte: [Johannes] 126

sprach: Ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüste: „Richtet den Weg Jahwes!“ wie der Prophet Jesaja gesagt hat. (Joh. 1, 23)

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Dokument wie die Apokalypse oder das vom gleichen Verfasser stammende Johannesevangelium so aufnimmt, dass er seine Seele ganz mit ihnen durchdringt und damit zu leben versucht? Dadurch imprägniert er seinen Ätherleib und findet Zugang zu dem ätherischen Wandlungsprozess, der sich in der Erdenseele abspielt, in dem wir im Schlafe eingespannt sind, wenn wir den physischen Leib verlassen haben. Dazu müssen wir uns ein lebendiges Bild von der Äther-Aura der Erde machen. Die Anwesenheit des Christus bildet seit dem Mysterium von Golgatha den neuen Einschlag und Grundton der Erdenseele. Mit dem Blut von Golgatha ist die Christus Wesenheit in die Erden Wesenheit eingeflossen und bewirkt dort die große Erdenverwandlung. Jede Nacht ruhen wir unbewusst in der Erdenaura, wenn unser Ich und unser Astralleib den physischen und ätherischen Leib im Schlafe verlassen haben. Was wir im tiefen Unterbewusstsein des Schlafes erleben, vermögen wir zunächst nicht in unser Tagesbewusstsein mit hinüberzunehmen. Wenn nun aber der Inhalt der Bilder der Apokalypse oder der Evangelien von uns in unser gewöhnliches Bewusstsein aufgenommen wird und wir uns innerlich auch in unserem Gemüte damit durchdringen, so gräbt sich dieser Inhalt bis in den Ätherleib ein und dadurch wird ein Anziehungsband geschaffen zwischen unserer Seele und dem in der Erdenaura lebenden Christusimpuls. Denn diese Bilder des apokalyptischen Geschehens sind ja der Ätherwelt entnommen und leben darin als Frucht des Mysteriums von Golgatha. Von diesem Gesichtspunkte können wir diese Dokumente nicht als bloß lehrhafte Werke ansehen, sondern als Schulungsbücher, die zu dem Zwecke verfasst wurden, damit sich der Mensch durch sie vorbereiten kann, den Christus während der Nacht aufzunehmen, sodass er sich ein Wahrnehmungsorgan schafft, um ihn in seinem Ätherleib zu finden, wen er erwacht.129 Es entspricht daher einer okkulten Wahrheit, dass der Mensch dem Christus zuerst während der Nacht begegnen kann:

Für das Geistig-Seelische ist aber notwendig, dass der Christus-Impuls sich auch in den Schlafzuständen in die Seele des Menschen senken kann. Dazu ist notwendig, dass der Mensch wissentlich sich bekennt zu dem Inhalte des Mysteriums von Golgatha. Die richtige geistige Wirkung vom Mysterium von Golgatha kann also nur hervorgehen aus der richtigen Anerkennung des Inhaltes des Mysteriums von Golgatha... [24, S. 153] Das Ich und der astralische Leib machen sich vom Einschlafen bis zum Aufwachen selbständig. Während dieses Selbständigmachens im Schlafe geschieht namentlich die Einwirkung der Christus-Kraft bei denjenigen Menschen, die sich durch den nötigen Seeleninhalt in entsprechender Weise für den Schlafzustand bereithalten. Also die Einwirkung durch die Christuskraft geschieht vorzugsweise während des Schlafzustandes. [24, S. 149] 129

Die Geisteswissenschaft basiert darauf, dass jeder Mensch in der Lage ist, zu den heute vorhandenen Wahrnehmungsorganen weitere auszubilden. Diese erlauben den wahrnehmenden und damit objektiven Zugang zu denjenigen Welten, die wir ohne diese Organe „übersinnlich“ nennen müssen. – Ist einer in ein fernes Land gereist und erzählt von seinen Erlebnissen, so kann ich diese Erlebnisse zumindest verstehen und seine Schlussfolgerungen nachvollziehen. Die Zuverlässigkeit seines Beobachtungsvermögens kann ich vorläufig durch meine Vernunft und meine eigenen Erfahrungen überprüfen, wenn ich nicht die Gelegenheit habe, mich selbst an Ort und Stelle zu begeben.

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In welcher Art diese Einwirkung geschieht, sodass wir durch sie auch im Wachzustand eine „Feuertaufe“ erhalten, geht aus den folgenden Worten Rudolf Steiners hervor, die wir den obigen als Ergänzung hinzufügen wollen:

Wenn der Mensch die Reife erlangt, dass er einen so starken Impuls von dem Christus erhält, dass dieser Christus-Impuls, wenn auch nur für kurze Zeit, in ihm seinen Blutumlauf beeinflussen kann, sodass sich dieser Christus-Einfluss in einem besonderen Blutumlauf ausdrückt, in einem Einfluss bis in das Physische hinein, dann ist der Mensch imstande, eingeweiht zu werden innerhalb des physischen Leibes... Wer sich wirklich in die Tatsachen, die damals geschehen sind durch das Ereignis von Palästina und durch das Mysterium von Golgatha, versenken kann, so stark, dass er ganz darinnen lebt und sie ihm gegenständlich werden, sodass er das geistig lebendig vor sich sieht, dass es wirkt wie eine Kraft, sie sich selbst seinem Blutumlauf mitteilt, der erlangt durch dieses Erlebnis dasselbe, was früher erlangt wurde durch das Heraustreten des Ätherleibes. So sehen Sie, dass durch den Christus-Impuls etwas in die Welt gekommen ist, wodurch der Mensch wirken kann auf das, was innerlich sein Blut pulsieren macht. Kein abnormes Ereignis, kein Untertauchen im Wasser, sondern einzig und allein der mächtige Einfluss der Christus-Individualität ist es, was hier wirkt. Es wird nicht getauft mit irgendeiner sinnlichen Materie, sondern es wird getauft mit geistigem Einfluss, ohne dass das gewöhnliche alltägliche Bewusstsein eine Veränderung erleidet. Durch den Geist, der als der Christus-Impuls ausgeströmt ist, strömt etwas in den Leib hinein, was sonst auf dem Wege psychisch-physiologischer Entwicklung hervorgerufen werden kann: durch Feuer, inneres Feuer, das sich in der Blutzirkulation ausdrückt... Lässt der Mensch aber den Christus-Impuls wirken, dann wirkt dieser ... so, dass sich die Erlebnisse des astralischen Leibes in den Ätherleib hineingießen und der Mensch hellsehend wird. Hier haben Sie den Ausdruck erklärt: „taufen durch den Geist und durch Feuer“ (Mt. 3,11). Und hier haben Sie den Unterschied zwischen der Johannes-Taufe von der Christus-Taufe... [25, 7. Vortrag] Es ist nicht nur ein Erkenntnisvorgang, der sich so abspielt, sondern in erster Linie ein Lebensvorgang, der sich zwischen unserem ätherischen Wesen, unserem Blut und dem ätherischen Christusblut in der Ätheraura in der Nacht abspielt, wie ihn Rudolf Steiner in dem Vortrag „Die Ätherisation des Blutes“ 130 beschreibt. Damit betreten wir den esoterischen Weg der geistigen Kommunion. Dieser Weg mündet in die Aufnahme des „Phantoms“ – des Auferstehungsleibes – ein. 131 Hierzu bedarf es jener inneren seelischen Erschütterungen, wie sie der Mensch im Nacherleben des Passionsweges und des Mysteriums von Golgatha durchmachen kann. Dadurch vermag sich seine Seele der Christuswirkung zu offnen und empfängt (auch ohne äußere Attribute) den „mystischen Christusleib“, der das todüberwindende Leben in ihm erweckt. Das ist ein ganz realer Vorgang.

Auferstehen werden wir im Leibe, in dem aus den einzelnen Inkarnationen verdichteten Erdenleibe. Wahrhaftig, meine lieben Freunde, mit tief bewegten Herzen spreche ich es hier aus: Auferstehen werden wir im Leibe! [26, 4. Vortrag] 130 131

Enthalten in [19], Vortrag vom 1. Oktober 1911. Physischer und materieller Leib werden hier unterschieden. Vgl. hierzu Rudolf Steiner: [15], 6. Vortrag. Der physische Leib an sich wäre unsichtbar.

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Hier haben wir den Ausblick auf die kosmische Kommunion, die sich in der Auferstehung des durchchristeten Auferstehungsleibes, dem „Phantom“, am Ende der Erdeninkarnation erfüllt. Die Einsetzungsworte des Abendmahles, die alle Evangelien bis auf das Johannesevangelium enthalten, sind bei Johannes im 6. Kapitel im Anschluss an die Speisung der 5000 aus der Warte einer kosmischen Schau wiedergegeben. Es ist der „mystische Christusleib“, der in die Erdenaura eingeflossen ist und den wir durch die Speisung im Ich aufnehmen können. Daher folgt bei der Auseinandersetzung mit den Juden das immer wiederkehrende Motiv der Speisung im Ich. Es ist das Motiv der Bewusstseinsseele, oder der sogenannten „Fischemenschen“ im Sinnbild der Tierkreissymbolik: Denn mein Fleisch ist die rechte Speise und mein Blut ist der rechte Trank. Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der bleibt in mir und Ich in ihm. Wie mich gesandt hat der lebendige Vater und ich trage das Leben durch den Vater in mir, so wird auch der, welcher mich isset, durch mich das Leben in sich tragen. (Joh. 6,55 ff.) Worte wie diese enthalten unendliche Tiefen, trotz ihrer scheinbaren Paradoxie. Tiefen, die uns erst in der meditativen Speisung aufgehen. Hier liegt noch ein weites großes, unerschlossenes Gebiet vor der Menschheit, in das sich kommende Jahrhunderte einleben werden. Das Johannesevangelium weist den Weg zur geistigen Kommunion im Ich, die sich am Schluss des Evangeliums bei der Begegnung mit dem Auferstandenen beim Mahle am See von Tiberias erfüllt, wo die erste Speisung stattgefunden hat. Dort weist auch der Auferstandene auf den Zeitpunkt hin, wo sich diese esoterische Speisung erfüllen wird, nämlich bei seiner Wiederkehr. Dann wird auch der Jünger, den der Herr lieb hat, im Lichte der Morgenröte des johanneïschen Erkenntnis-Christentums wiederkehren. Daher die Worte zu Petrus, den er zum ersten Nachfolger bestimmt in Bezug auf Johannes: Wenn ich will, dass er bleibe bis ich komme, was geht es dich an? oder in unserer Sprache: Wenn ich will, dass er den Geist hindurchtrage bis zu meiner Wiederkehr, so stört das deine Wege nicht! (Joh. 21,21) Da wir heute nicht mehr in der Empfindungs- oder Gemütsseele leben, sondern in der Bewusstseins-Seele unser Ich-Bewusstsein entzünden, so kommt es auf die Kommunion im Ich an. Das Ich muss dabei sein, wenn der Mensch wirklich eine Verbindung mit dem Christus in seinem innersten Wesen herstellen will. Das aber bilde, die Hürde, die weder von der katholischen noch der protestantischen Kirche genommen und überwunden werden kann. Die letztere entkleidet die Evangelien ihrer geistigen Substanz, indem sie sie „entmythologisiert“; die erstere flüchtet sich in den magischen Wunderglauben einer überlebten kindlichen Bewusstseinsstufe, in der das Ich noch nicht zum selbständigen Denken erwacht war. Daher wird das Johannesevangelium zum Führer der geistigen Verbindung mit dem kosmischen Christus werden, wie ihn die Offenbarung des Johannes schildert. Man kann sagen: Die Apokalypse ist die Erfüllung des Johannesevangeliums. Die Binde wird uns immer mehr von den Augen genommen, wenn wir im meditativen Erleben die apokalyptischen Bilder auf uns wirken lassen und sie bis in unseren Willen aufnehmen. Dann steigen sie aus unseren unterbewussten Tiefen herauf und enthüllen uns immer mehr ihre kosmischen Kräfte und Hintergründe. Wir tauchen ein in den kosmischen Christus-Strom, dessen unvorstellbare Tiefen sich uns zu erschließen beginnen. – Dann beginnen wir die Welt mit den Augen des Apokalyptikers zu sehen.

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Denn was heißt Apokalypse? – Enthüllung! Es enthüllt sich unserem Herzensauge das verborgene Geistige. Die Hüllen und Schleier des Sinnenseins beginnen transparent zu werden für die ätherische Welt. Dieses Offnen des geistigen Auges ist kein bloßer Wahrnehmungsprozess, wie sich manche das Öffnen des Geistesauges vorstellen. Es ist ein innerer Wandlungsprozess, durch den wir die Natur anders erleben als mit dem bloßen Verstande und den Sinnesaugen. Wenn der Mensch sich anregen lässt durch die Christuskraft, dann kann er erleben, wie hinter der fest konturierten und zur Ruhe gekommenen „Vaterwelt“ etwas Zartes, Sprießendes sich zu regen beginnt: Die Werde-Welt der ätherischen Natur – die „Sohneswelt“ – wird ihm fühlbar, welche die Keime der Zukunft in sich birgt. Dieser Keim wird bleiben, wenn die physische Erde wie ein Leichnam abfällt und verschwindet. Und mit diesem Keim wird alles, was wir an geistigen Gedanken, Impulsen, Gebeten und Meditationen in uns gepflegt und errungen haben, in die Zukunft der auferstehenden Erde eingehen. Apokalypse ist das, was sich als Zukunftskeim der einst sich zur Frucht der Zukunftserde – dem „Himmlischen Jerusalem“ – entfalten wird! Durchdringen und erheben wir uns zu einer solchen Gesinnung, so haben wir den Übergang in jene Sphäre schon vollzogen, die den Tod überwindet. Dieser Übergang von der Welt des Todes zur Welt des Lebens vollzieht sich nicht erst nach Überschreiten der Schwelle des Todes – ja, er vollzieht sich auch dort nicht, wenn wir ihn nicht schon im Leben gesucht haben. Er vollzieht sich durch die Aufnahme und das Erleben der lebendigen Christuskraft. Der Weckruf zur Sphäre des Lebens klingt aus den Worten des 5. Kapitels des Johannesevangeliums, die schon apokalyptische Klangfarbe tragen: So wie der Vater die Toten auferweckt und lebendig macht, also macht auch der Sohn lebendig, deren Willen er erwecken kann. Der Vater richtet niemand. Alle Entscheidung hat er dem Sohne in die Hände gelegt, damit alle den Sohn ehren wie sie den Vater geehrt haben. Und wer den Sohn nicht ehrt, der ehrt auch den Vater nicht, der ihn gesandt hat. Amen, Amen, ich sage euch: Wer mein Wort hört und an den glaubt, der mich gesandt hat, der ist zum ewigen Leben schon hindurchgedrungen. Ihn trifft nicht das Gericht, sondern er ist bereits aus der Sphäre des Todes in die des Lebens übergegangen. Fürwahr ich sage euch: Es kommt die Zeit und sie ist schon angebrochen, dass die Toten die Stimme des göttlichen Sohnes hören werden, und die sie hören, werden zum Leben erwachen. So wie der väterliche Weltengrund das Leben in sich selber trägt, so hat er auch dem Sohn die Macht gegeben, das Leben der Welt in sich zu tragen. Und damit hat er ihm, weil er der Sohn des Menschen ist, zugleich die Macht verliehen, die Schicksale der Welt zu entscheiden. Verwundert euch darüber nicht; schon kommt die Stunde, wo alle, die in den Gräbern ruhen, seine Stimme hören werden. Diejenigen, welche Gutes getan haben, werden durch die Auferstehung zum höheren Leben erweckt; diejenigen aber, die Böses getan haben, gelangen durch die Auferstehung in das Gericht der großen Entscheidung und Schicksalsprüfung. (Joh. 5, 25-29) Rudolf Steiner hat diesen Übergang vom Tod zum Leben, wie er sich zunächst in unserer Seele vollziehen kann, mit den folgenden Worten ausgesprochen:

Wenn sich die Menschenseele wirklich einlebt in den Christus, wenn sie den Christus als das lebendige Wesen empfindet, das ausgeflossen ist vom Tod auf Golgatha in die geistige Erdenatmosphäre und das empfinden kann in der Seele, dann fühlt sie sich in der Tat durch diesen innerlichen Christus belebt. Sie fühlt einen Übergang von einem Tod zum Leben! [26, S. 204] 86

Und wenn der Mensch nun aufnimmt den Christus in sich, sodass er sich durchdrungen fühlt mit diesem Christus, dann kann er sich sagen: Dasjenige, was die Götter 132 mir zugeteilt haben von der luziferischen Versuchung, das aber dadurch, dass die luziferische Versuchung eintrat, hat zurückbleiben müssen im kosmischen All, das zieht mit dem Christus in meine Seele ein. Die Seele wird erst dadurch wieder vollständig dass sie den Christus in sich aufnimmt. Da bin ich erst ganz Seele, da bin ich wiederum, wozu ich durch den göttlichen Ratschluss vom Urbeginn der Erde an bestimmt war. – „Bin ich denn wahrhaft eine Seele ohne den Christus?“, fragt man sich. Man fühlt, man wird erst durch den Christus die Seele, die man hätte werden sollen, nach dem Ratschluss der führenden Götter. Das ist das wunderbare Heimatgefühl, das die Seelen haben können mit diesem Christus. Denn aus der uralt kosmischen Heimat der Seele ist der kosmische Christus herab gekommen, um der Menschenseele dasjenige wiederzugeben, was sie auf der Erde durch die luziferische Versuchung verlieren musste. Hinauf führt der Christus die Seele wieder zu ihrer alten Heimat, die ihr von den Göttern zugeteilt worden ist. Das ist das Beglückende, das Beseligende des wirklichen Erlebens des Christus in der Menschenseele. [26, S. 203] Hiermit versuchten wir zunächst einige Grundtöne anzuschlagen, die in der Seele angeschlagen werden müssen, um sie in jene Sphäre einzuführen, aus der uns das große Melos der Christus-Enthüllung entgegentönt. Wer von dieser Grundstimmung erfasst wird und sich zu ihr immer wieder zu erheben versucht, der entwickelt die rechte Stimmung, wodurch er sich in jene Welten-Sphäre hineinversetzt fühlt, die uns mit dem Klang jener Worte erfasst, die den Schleier der Sinneswelt zerreißen: Siehe, ein offenes Tor im Himmel! Damit lüftet sich der Schleier der Sinneswelt; es ist das große Offenbarungsmotiv, das uns mehrmals entgegenklingt. Im nächsten Kapitel wollen wir mit diesem Motiv beginnen.

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„Götter“ ist gleichbedeutend mit „Engelwesenheiten“ verschiedener Hierarchien.

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6. Der Charakter des Johanneïschen Schulungsweges – Unsere karmischen Schulden Obwohl alle hier gemachten Ausführungen als Anregungen zu einem meditativen Einleben in das Christusereignis genommen werden möchten, so seien doch noch einige konkrete Hinweise auf die meditative Praxis gegeben. Lassen wir deshalb nochmals die Stufen des Johanneïschen Weges vor uns vorüberziehen. Pfingstlicher Geist steht am Anfang dieses Weges. Er beginnt für den heutigen Menschen mit einem Erwachen aus dem großen Daseinstraum, in dem er zunächst befangen ist, ohne sich Rechenschaft zu geben über den tieferen Sinn des Lebens, über das Woher? und Wohin?, über das Warum? und Wozu?. Ein solches Erwachen kann aus seelischen Erschütterungen, aus Lebenskrisen und Schicksalsereignissen oder auch als religiöses Erlebnis über den Menschen hereinbrechen. Damit beginnt ein Suchen und Fragen nach dem Sinn des Lebens. Es braucht dies nicht in ausgesprochen philosophischer Form erlebt zu werden, es kann aus einer unmittelbaren drangvollen Lebensstimmung kommen. Hiermit ist meistens ein Durchbrechen des eng umgrenzten Lebenskreises verbunden, ein Erwachen zu weiteren Zielen und höheren Interessen. Um aber auf dieser Stufe des ersten Regens bisher schlummernder Seelentiefen nicht stehen zu bleiben, bedarf es eines Erkenntnisspiegels, welcher ans das geistige Wesen von Menschen und Welt zum Bewusstsein bringt. Dieser Spiegel wird dem heutigen Menschen in der Geisteswissenschaft Rudolf Steiners gereicht, 133 der die Aufgabe einer Geburtshilfe beim Erwachen unseres geistigen Menschen übernimmt. Denn ein solches Erlebnis, wie es hier geschildert wurde, ist nicht an unsere Persönlichkeit gebunden; das heißt, es betrifft nicht nur uns selbst, sondern es ist ein in unserer Gegenwart begründeter Zeitimpuls. Ähnlich wie die Menschheit beim Anbruch der neueren Zeit in die naturwissenschaftliche Interessensphäre erwachte, so beginnt sie heute in eine Sphäre geistiger Menschheitsziele zu erwachen. Denn unausgesprochen steht bei diesem Erwachen im Hintergrund die Frage nach dem Menschen, dessen tieferes Wesen uns bewegt. Obwohl dieses mit dem allgemeinen Intelligenz-Erwachen der Gegenwart gepaart gehende Suchen nach höheren Menschheitszielen nicht unbedingt einen religiösen Charakter zu haben braucht – spielt es ich doch mehr außerhalb als innerhalb der konfessionellen Kreise ab –, so mischen sich in ihm doch die Strahlen einer neuen Morgenröte des religiösen Erlebens. Und eben diese Strahlen kommen von jenem zentralen Ereignis und seiner Auswirkung für die ganze Menschheitsentwicklung, das hier als das Mysterium von Golgatha beschrieben worden ist. Gleich Wellenschlägen branden aus der ätherischen Welt neue Geistesimpulse heran, die mit der Christuswesenheit zusammenhängen, welche seit dem Jahre 1909 näher an die Gegenwartswelt herangekommen ist. Auf diese heute angebrochene Ära deutet das Johannesevangelium zum Schluss selbst hin. Das Wesentliche hieran ist, dass diese neue geistige Ära, obwohl sie im Grunde mit dem zentralen Impuls der Menschheitsentwicklung zusammenhängt, sich selbst nicht im begrenzt-religiösen Felde ankündigt, sondern weit über dieses weit hinausgreift. Und eben darin manifestiert sich der Charakter des Johanneïschen Geistesweges, der kein

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Steiner ist als Initiator dieser Geisteswissenschaft zu verstehen, der einige Grundlagen gelegt hat.

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Bekenntnis-, sondern ein Erkenntnis-Weg ist, auf welchen der Christus am Abschluss des Johannesevangeliums hinweist. Nach dem Morgenmahl im 21. Kapitel sagt der Auferstandene zu Petrus: „Simon Jona, hast du mich lieber denn mich diese haben?“ Er spricht zu ihm: „Ja, Herr, du weist, dass ich dich lieb habe.“ Spricht er zu ihm: „Weide meine Lämmer!“„ (Joh. 21,15) Nach der dreimaligen Berufung wendet sich Petrus um und sieht den Jünger folgen, den Jesus liebte und der beim Abendmahl an seiner Brust gelegen hatte: Da Petrus diesen sah, spricht er zu Jesus: „Herr, was soll aber dieser?“ In dieser Frage lebt die Verwunderung, warum er nicht diesen zum Pfleger und Hirten seiner Gemeinde bestimmt hat, da er ihm doch in der inneren Nachfolge weit vorangeschritten ist. Jesus spricht: „So ich will, dass er bleibe, bis ich komme, was geht es dich an? Folge du mir nach.“ Da ging eine Rede unter den Brüdern: „Dieser Jünger stirbt nicht.“ Doch Jesus sprach nicht zu ihm: Er stirbt nicht, sondern: „So ich will, dass er bleibe, bis ich komme, was geht es dich an?“ (Joh. 21, 2123) Ihrem geistigen Sinn gemäß können diese Worte besser in der Übertragung von Emil Bock wiedergegeben werden: Wenn ich ihn dazu bestimme, den Geist bis zu meiner Wiederkunft hindurchzutragen, so stört das deine Wege nicht. [16] Mit diesen Worten wird auf die Ablösung des petrinischen Christentums durch das johanneïsche hingewiesen. Der Zeitpunkt, wann diese Ablösung geschehen wird, fällt zusammen mit der Wiederkehr des Christus, das heißt, seiner geistigen Erscheinung in der dem Menschen am nächsten stehenden ätherischen Welt. Nicht in physischer Leiblichkeit, sondern in einer ätherischen Geistgestalt kann er heute bis in die nächsten Jahrtausende geschaut werden. Diese Tatsache sendet ihre Strahlen bereits voraus und kündet sich bei vielen Menschen in einer gewissen geistigen „Hellfühligkeit“ an. Die Zeitkatastrophen unseres Jahrhunderts bilden nur die äußere Kulisse für dieses zentrale Ereignis, das sich ähnlich wie das Ereignis von Palästina vor zweitausend Jahren, ebenfalls nicht auf der lauten Bühne der politischen Geschehnisse, sondern in verschwiegeneren Regionen abspielt. Davon zu wissen kann als Gnade empfunden werden. Dieser pfingstliche Geist eines inneren Erwachens, der am Anfang des johanneïschen Weges steht, kommt am besten in dem Wort zum Ausdruck, das Christus in dem Krisenkapitel der Tempelszene ausspricht: Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen! (Joh. 8,32) Mit diesem Wort ist bereits auf die neue Sphäre dieses Weges gewiesen: Es ist die Erkenntnis-Sphäre, in welche das persönliche Erleben einmündet. Die Weltgedanken, welche der „Paraklet“ 134 als Spender des Geistesmutes aussendet, bilden die Grundlage zu diesem Erwachen, an dem wir unsere Geistesorgane schulen können, um immer bewusster die kosmischen Hintergründe des Christusmysteriums zu erfassen. Wer an solcher Erkenntnis vorübergehen will, gleicht einem Menschen, der sich vor einer im Morgenlicht 134

Gemeint ist der Heilige Geist. Das griechische Wort bedeutet „Herbeigerufener“. Luther nimmt hierfür „Tröster“, die Einheitsübersetzung „Beistand“.

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aufdämmernden Landschaft absichtlich verschließt, weil sie ihm ungewohnt ist oder weil er das eigene Licht höher schätzt als die aufgehende Sonne. Einige der Stationen haben wir bereits kurz berührt. Die sieben Ich-Bin-Worte geben einen sicheren Halt als Stab des Ich, da das Ich als vergeistigtes Lebensgefühl stets im Hintergrunde vorhanden bleiben muss, um seelisch nicht zu zerfließen und ichlos sich aufzugeben. Wecken die Abschiedsreden unser Wahrnehmungsvermögen für die geistige Realität des Christuswesens, so verleihen sie uns zugleich seine geistige Substanz, die uns aus allen diesen Worten in so reichlichem Maße zufließt. Damit wird jene Verwandlung eingeleitet, die wir als Vergeistigung des Gefühls 135 in den Verklärungsszenen beschrieben haben. Gerade dadurch können die geistigen Erkenntnisse den Mutterboden erhalten, auf dem sie sich wachsend entfalten, worauf es in unserer Gegenwart so sehr ankommt. Die Abschiedsreden bergen eine solche Fülle von intimsten Erlebnissen, die ganz eingetaucht sind in ein geistiges Strömen, dass der goldene Hintergrund dieses göttlichen Mosaiks sich in die feinsten Seelenregungen eingräbt und dort weiterschwingt, sodass wir, wie von einer schützenden Decke behütet, mit ihnen in den Bereich des Schlafes eintauchen und beim Erwachen diese Saat in inniger Durchklärung vorfinden. Der Dom des Hohepriesterlichen Gebetes136 nimmt uns auf in seine leuchtenden Geistesgründe, wenn wir nur einige Verse dieser von reichem Geistesgold strahlenden Worte mit in den Schlaf nehmen. Je mehr Christussubstanz in unserer Seele anwesend ist, umso mehr verändern sich alle unsere Seelenkräfte, sowohl im Verhältnis zu uns selbst als auch im Verhältnis zu unserer Umwelt. Das kann in unseren Beziehungen zu unseren Mitmenschen beobachtet werden. Oft entdeckt man erst daran, was der andere an uns schätzt und liebt, und das braucht nicht immer unser besserer Teil zu sein. Indem wir in die Christusnähe kommen, fühlen wir uns von einer Substanz durchdrungen, die alles, was uns bindet oder zwingt, innerlich erweicht und fortschwemmt, so wie die Wellen einen Stein unterhöhlen und mit der Zeit fortspülen. Ebenso wird alles uns Fremde, was wir nicht selber sind, fortgespült, sodass wir unser eigenes Wesen wieder finden. Langsam, doch immer intensiver entdecken wir mit der Zeit: Das höhere Wesen in uns ist der Christus. Dieses Erlebnis ist mit einem anderen verbunden. Wir wollen es als die „Kreuzabnahme“ bezeichnen.137 Mit der Einkörperung des seelisch-geistigen Menschen in den Erdenleib beginnt die „Kreuztragung“, die immer mehr zu einer Kreuzigung wird. Denn der Mensch ist nicht nur mit seinem seelischen Wesen an seinen Leib gekreuzigt, sondern auch an alle seine persönlichen Bedürfnisse, Gewohnheiten, seine Sorgen, seine Triebnatur, kurz an seine Fehler und Schwächen, die Summe aller persönlichen Kräfte, die ihn belasten und in sich einengen. Diese können sich unter den verschiedensten Masken und Formen verbergen. Erst durch die Christussubstanz beginnen die Masken ihre Täuschungsmacht zu verlieren, sie werden durchsichtig und enthüllen sich in ihrem wahren Wesen als Schein und Illusion.

S. Anfang des 5. Kapitels. Joh. 17. 137 Hier und im Folgenden wird auf Stufen des mittelalterlich-christlichen Einweihungsweges hingewiesen, vgl. [18]. 135 136

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Wenn der Buddhist138 die ganze Erde als Maja betrachtet und ins Nirwana flieht, um sich von allen irdischen Fesseln und Bindungen zu befreien, von allem, was „Nicht-Ich“ ist, so entsagt er damit auch den Erdenfrüchten, die er nur durch das Untertauchen in die Erdenwelt sich erringen kann. Damit geht er an dem tieferen Sinn seines Erdenlebens vorüber. Die Erde kann als ein „Samenkorn der Liebe“ bezeichnet werden, das ins Dasein getreten ist, damit der Mensch auf ihr den Schauplatz zur Heranbildung seiner Ichkraft finden und alle Erdenfrüchte in Liebe vergeistigen kann. Es wird gesät verweslich, und wird auferstehen unverweslich. (1. Kor. 15,42) Das gerade ist das Geheimnis der Christuskraft, dass sie uns mit und in der Welt leben lässt, ohne ihr entfliehen und entsagen zu müssen, und dass sie uns zugleich mit der Welt lebend von dieser befreit. Dies Geheimnis sprechen die Christusworte aus: „Den Frieden lasse ich euch. Meinen Frieden gebe ich euch. Ich gebe ihn euch nicht, wie die Welt euch gibt. Ich gebe ihn euch als dem Ich.“ (Joh. 14,27) Dieser Weg der Kreuzloslösung und Kreuzabnahme, der uns von unseren seelischen Bürden und Egoismen befreit, kann auch im Bilde der „Wickeln des Lazarus“ beschrieben werden. Löset ihn los und lasset ihn gehen! (Joh. 11,44) In Wickeln wird der Säugling beim Eintritt in die Erdenwelt gehüllt. Das Eingewickeltwerden bei der Geburt geschieht in der Richtung der Einkörperung: Immer dichter werden die Wickel und Windeln, in welche der Mensch eingehüllt wird. Aus den Säuglingswindeln werden die „Erziehungswindeln“, die sich zu den „Zivilisationswindeln“ verdichten, bis der Mensch ganz umwickelt und eingeschlossen ist in einen Panzer, der wie das Gehäuse des Krebses ihn mit seinen Zangen und Scheren als Abbild unserer Zivilisation umgibt. Das Zeichen des Krebses ist daher nicht willkürlich das Bild des Materialismus unter den zwölf Weltanschauungen, die mit den Tierkreiszeichen zusammenhängen.139 Dennoch beginnt die Natur dieses starre Gehäuse bereits abzubauen, wenn der Mensch die Mitte des Lebens überschritten hat und sein Leib die ersten Risse und Sprünge bekommt. Die Natur belehrt ihn, dass er jeden Sprung von der einwickelnden Spirale zur auswickelnden Spirale des Krebszeichens wagen muss, will er nicht durch die Bindung an die sklerotisierenden140 Kräfte seines Leibes seelisch verhärten. Die naturgegebene Evolution geht jetzt in die Involution durch das Zurücknehmen und Verinnerlichen der nach außen gerichteten Kräfte über. Das Bild vervollkommnet sich, wenn wir es im Sinne der Lazarus-Entbindung erweitern und uns die Frage stellen: Was bergen die Binden des Lazarus? Es ist das Grabes- und Auferstehungsgeheimnis. Was sich der Mensch seelisch „einverleibt“ hat, das beginnt sich nach dem Tode mit den sich entbürdenden seelischen Hüllen von ihm abzulösen und tritt als Erdenfrucht ins Licht des Geistes. In der Apokalypse wird hierauf

Etwas plumpe Verallgemeinerung, besonders auf den Hinayana-Buddhismus bezogen, bei dem der Sterbende nur seine eigen Erleuchtung sucht. 139 Vgl. Sigismund von Gleich: Die Wahrheit als Gesamtumfang aller Weltansichten, J. Ch. Mellinger Verlag. 140 d. h. „verhärtenden, erstarren lassenden“. 138

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mit den folgenden Worten gewiesen, welche der Engel zu Johannes spricht, indem er ihm ein Buch überreicht: „Nimm es und verschling es, es wird in deinem Leibe dich grimmen, aber in deinem Munde wird es süß sein wie Honig!“ (Off. 10,9) Wenn der Mensch die ersten Schritte auf dem Wege der höheren Schulung beschreitet, erlebt er die Seligkeit durch alles, was er an lichtvollen Einsichten empfängt. Erstrebt er aber, sie zu verwirklichen, muss er die leidvollen Prüfungen erfahren, welche aus dem Beschreiten geistiger Wege erfließen. Dadurch erstarkt seine Geistgestalt, das geistige Rückgrat, wodurch er Haltekraft im Geistigen bekommt. Man kann das Reich des Geistes nicht nur durch Erkenntnis, man muss es durch Erfahrung erringen. Was sich offenbart, als Lazarus die Grabtücher abgenommen werden, das sind die Narben, die sich ihm eingedrückt haben und die nun zu leuchten beginnen. Je durchsichtiger diese „Linnen“ werden, umso mehr schimmert durch sie die auferstehende Geistgestalt hindurch, die unsere vergängliche Persönlichkeit verbrennt, damit sie ein selbstloser Träger des Ewigen werden kann. In diesem Sinne führen sowohl die letzten Passionsstufen wie auch die letzten drei IchBinWorte zur „Kreuzabnahme“ von dem Kreuz unserer Persönlichkeit. Je mehr wir auf das Kreuz unserer vergänglichen Persönlichkeit von oben, vom Geiste, herabzublicken vermögen, umso freier werden wir von uns selbst und unserer Umgebung. Einen anderen Weg gibt es nicht, um in der Welt lebend, uns von ihr zu befreien! – Die Opfertat des Christus ist von einer solchen Größe, dass sie sich erst im Geistgebiet für die hierarchischen Wesen der göttlichen Weltenordnung bis hinauf zu Gottes Thron – dem „Empyreum“ des „Kristallhimmels“ offenbart. Wer sich einen Augenblick in dieses Bild hineinlebt, wer versucht, es immer wieder in seiner Seele lebendig zu machen, der beginnt jene schwindelerregende Bedeutung des Christusopfers für den ganzen Kosmos zu ahnen, wodurch der Gang der gesamten Weltentwicklung aus den Angeln gehoben wird und eine neue Richtung erhält. Denn das Mysterium von Golgatha ist nicht nur ein Ereignis für die Menschenwelt, es ist eine Angelegenheit für die Götter und für den gesamten Kosmos. Es ist eine „Schöpfung aus dem Nichts“,141 die sich aus keiner karmischen Notwendigkeit der Vergangenheit ergibt, sondern, diese aufhebend, allein aus der freien Opfertat des Christuswesens hervorgeht. – Je mehr wir uns mit diesem Bilde und seinen geistigen Hintergründen durchdringen, umso mehr werden wir uns zu einem Verständnis durchringen für eine der grundlegendsten und schwierigsten Fragen der gesamten Menschheitsentwicklung. Das ist die Frage nach unserem Karma, nach der Sündenvergebung. Die Menschheitsgeschichte, in die wir unauflöslich einverwoben sind durch unser Karma, bekommt erst dadurch eine geistige Realität, eine plastische Perspektive und konkrete Anschaulichkeit durch den Karmagedanken. Sind wir es doch selbst, die die Impulse der Geschichte aus unseren früheren Erdenleben in die Zukunft der Menschheitsentwicklung tragen. Und so erkennen 141

Vgl.: In allem Leben wirkt die Dreiheit von Evolution, Involution und Schöpfung aus dem Nichts. Beim Menschen haben wir diese Schöpfung aus dem Nichts in der Arbeit seines Bewusstseins. Er erlebt die Vorgänge in seiner Umwelt und verarbeitet sie zu Ideen, Gedanken und Begriffen. Veranlagungen stammen aus früheren Verkörperungen, aber aller Fortschritt im Leben beruht darauf, dass neue Gedanken und neue Ideen produziert werden. [GA 101, S. 260] – Siehe außerdem GA 89 (S. 260) und GA 107 (S. 312).

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wir uns selbst in die Bilder der Apokalypse einverwoben. Diese Bilder geben nur den Rahmen, die Folie ab für unser eigenes Schicksal, das sich gemäß unserem Karma darin ausspricht und erfüllt! Es sind nicht irgendwelche Menschen und Völker, die darin auftreten, wir sind es selbst – und wir können uns bei dieser Entdeckung sagen: Es hängt ganz von uns ab, wo wir uns in diesen Bildern des apokalyptischen Geschehens wiederfinden, wo wir uns in ihnen begegnen, ob wir gewürdigt sind, im Kreise derjenigen uns wiederzufinden, die mit den weißen Gewändern angetan, die sie im Blute ihrer Tränen gewaschen, dem in den Wolken erscheinenden Sohn des Menschen entgegengehen und ihm den Altar bereiten – oder in den Dunstkreis ungelöster und ungeläuterter Schuldkomplexe unserer tierischen Natur verschlungen bleiben. Denn wir gehören dazu, wir sind ein inhärentes Glied der Menschheit, ja wir selber schreiben die Geschichte dieser Menschheitsentwicklung mit, je nach unseren Taten. Wer sich dies zum Bewusstsein bringt, der wird die Bilder der Apokalypse mit anderen Augen lesen. Sie geben zwar den Rahmen eines notwendig sich vollziehenden Dramas ab, doch in welcher Art wir daran teilnehmen, welche Rolle uns als Mitspieler darin zufällt, das hängt ganz von uns ab! In den apokalyptischen Bildern verknüpfen sich Notwendigkeit und Freiheit in geheimnisvoller Weise. Ist es nicht den Jüngern ebenso ergangen, die als Mitwirker am Mysterium von Golgatha erst hinterher zum Bewusstsein kamen, dass sie unwissend zu Mitspielern am Gottesdrama sich aufgerufen sahen, so wie es beim Einzug des Christus in Jerusalem im 12. Kapitel des Johannesevangeliums heißt: Die Jünger waren sich zuerst dessen, was geschah, nicht bewusst. Aber als sich die Geistgestalt Jesu offenbart hatte, erinnerten sie sich daran, dass es in der Schrift bereits vorher verkündigt war, und dass sie selbst zur Erfüllung des Schriftwortes beigetragen hatten. (Joh. 12,16)142 Ja, wir sind unbewusst stets handelnd oder leidend Mitspieler am göttlichen Drama – ob wir die Rolle des Verräters, der Kriegsknechte oder der mitleidenden und mittragenden Jünger spielen, das hängt von uns ab. Wir berühren hier schon einen Punkt, der seit Augustinus, dem römischen Kirchenvater des 4. Jahrhunderts, immer wieder die Menschen beschäftigt hat mit dem unauflöslichen Problem von Freiheit und Notwendigkeit oder der sogenannten Prädestination (Vorherbestimmung). Wie sollen wir solche Sätze auffassen, wie sie an mehren Stellen der Apokalypse stehen: ein jeder, dessen Name nicht geschrieben ist in dem Lebensbuch des geschlachteten Lammes von Grundlegung der Welt an. (Off. 13,8) Und alle, die auf der Erde wohnen, werden das Tier anbeten,

Also gibt es, wie es Augustinus annimmt, eine Prädestination, die bestimmte Menschen von vornherein von der Erlösung ausschließt? – Wo bleibt aber hier die Freiheit des Einzelnen, sein Schicksal selbst zu bestimmen? – Und wie verhält sich das Christuswort gegenüber einer solchen Prädestination von der Vergebung der Sünde? Bevor wir auf das schwierige Problem der Prädestination eingehen, wollen wir erst einmal die nicht weniger schwierige Frage der Sündenvergebung nochmals beleuchten. Wir sahen, dass wir hier unterscheiden müssen zwischen den subjektiven und objektiven Folgen einer 142

Luther übersetzt: Solches aber verstunden seine Jünger zuvor nicht, sondern da Jesus verkläret ward, da dachten sie dran, dass solches von ihm geschrieben war, und solches ihm getan hatten.

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Tat. Für den objektiven Teil gilt das Karmagesetz: Dieser Teil einer Handlung fällt auf uns persönlich zurück. – Es wäre doch eine zu einfache Auffassung, wie sie sich in christlichen Kreisen findet, zu glauben, dass ich alles tun darf und dass der Christus mir dann meine Sünden und Schulden verzeiht, indem er sie tilgt und mir abnimmt, wenn ich sie bereue:

Bequem wäre es ja allerdings, wenn man bloß zu bereuen hätte und ausgelöscht wäre dadurch für das ganze spätere Karma alles das, was man in der Welt verbrochen hat. Nein, aus dem Karma ist es nicht ausgelöscht, aber davon kann es ausgelöscht werden, wohin wir wegen der menschlichen Schwäche durch die luziferische Versuchung nicht selbst dringen können, von der Erdenentwicklung. Und das tut der Christus. Dieses Leid wird uns genommen mit der Sündenerlösung: Dass wir für ewige Zeiten der ganzen Erdenentwicklung eine objektive Schuld zugefügt haben. Dafür müssen wir natürlich ein ernstes Interesse haben. Dann aber, wenn wir die Sache so auffassen, dann wird sich wahrhaftig auch in vielen anderen Dingen ein kräftiger Ernst verbinden mit einer echten, wahren Christus-Auffassung... Und wer im tiefen Sinne auffasst, wie der Christus sich stellt zu Sünde und Schuld, der möchte so sagen: Es musste, eben weil der Mensch im Laufe des Erdendaseins seine Schuld nicht tilgen konnte, für die ganze Erde, ein kosmisches Wesen heruntersteigen, dass es doch möglich gemacht werde, dass die Erdenschuld getilgt werde. [26] Dies ist der objektive Teil meiner Schuld, der mit der ganzen Erdenentwicklung zusammenhängt, der nicht von uns Menschen getragen und wieder gut gemacht werden kann. Diesen Teil nimmt der Christus auf sich und trägt ihn in „sein Reich“, so wie es aus dem Kreuzeswort hervorgeht, das er zu dem Schächer zu seiner Rechten spricht, der seine Schuld eingesteht: „Wahrlich, ich sage dir, heute noch wirst du in meinem Reich sein!“ (Lk. 23,43) Nicht unser subjektives Karma tilgt der Christus, wohl aber die geistig objektiven Wirkungen als Folgen unserer Tat für die ganze Erdenentwicklung:

Dann werden wir erst verstehen, dass der Christus im Grunde genommen diejenige Wesenheit ist, die mit der ganzen Menschheit im Zusammenhang steht, mit der ganzen Erdenmenschheit; denn die Erde ist um der Menschheit willen da, also auch mit der ganzen Erde steht der Christus im Zusammenhang. Und das ist des Menschen Schwäche, die eingetreten ist infolge der luziferischen Verführung, dass der Mensch zwar imstande ist, sich subjektiv im Karma zu erlösen, dass er aber nicht imstande wäre, die Erde mitzuerlösen. Das vollbringt das kosmische Wesen, der Christus. [26] Lassen wir das Licht, das aus dieser Einsicht sich für die ganze Erdenzukunft ergibt, nun auf unser Kapitel der Apokalypse leuchten: Dass nur das Lamm gewürdigt ist, die Siegel zu lösen, da es die Sünden der Welt durch sein Blut erkauft hat – welche konkrete Perspektive steht jetzt vor uns! Das Bild von dem die Sünde der Welt tragenden Lamm, das geopfert ist, erweitert sich ins Kosmische zu ungeahnter Größe! Das zeigt sich in sehr konkreter Weise dem Geistesforscher, wenn er sich in die Akasha-Chronik 143 vertieft und dort die Spuren der Schulden der Menschen, die diese in ihrem vergangenen Leben darin zurückgelassen haben, sucht. Da ergibt sich die überraschende Tatsache, dass er diese zunächst nicht finden kann! 143

Das geistige Weltengedächtnis, vgl. die folgende Stelle aus dem katholischen Messetext des „Dies Irae“: Ein geschriebenes Buch wird vorgebracht werden, in dem alles enthalten ist und nach dem die Welt gerichtet werden soll. (Liber scriptus proferetur...) Vgl. auch: Die Summe [aller Gegenbilder menschlicher Gedanke, Erlebnisse und Handlunge] nennt man Akasha-Chronik. [GA 89, S. 175]

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Wenn man anblickt die Zeit der Menschheitsentwicklung seit dem Mysterium von Golgatha, und man kommt, ohne durchdrungen zu sein mit der Christus-Wesenheit, an die Akasha-Chronik heran, so wird man sehr leicht irre... Denn in dieser AkashaChronik zeigen sich Aufzeichnungen, die sehr häufig nicht [überein]stimmen mit dem, was man in der karmischen Evolution der einzelnen Menschen findet. – Nehmen wir an, im Jahre 733 habe irgendein Mensch gelebt und habe dazumal eine schwere Schuld auf sich geladen. Nun untersucht man die Akasha-Chronik, zunächst ohne dass man irgendetwas von einer Verbindung hat mit dem Christus. Und siehe da, man kann die betreffende Schuld nicht finden in der Akasha-Chronik. Geht man jetzt auf den Menschen ein, der weitergelebt hat, und untersucht sein Karma, dann findet man: Ja, auf dieses Menschen Karma ist noch etwas, was er abzutragen hat; das müsste an einem bestimmten Zeitpunkt in der Akasha-Chronik darinnen stehen; es steht aber nicht darinnen. Woher kommt das? Das kommt davon her, dass der Christus tatsächlich auf sich genommen hat die objektive Schuld. In dem Augenblick wo ich mich mit dem Christus, wo ich mit dem Christus die Akasha-Chronik durchforsche, finde ich die Tatsache! Christus hat sie in sein Reich genommen und trägt sie als Wesenheit weiter, sodass, wenn ich von Christus absehe, ich sie nicht finden kann in der AkashaChronik. Man muss sich diesen Unterschied merken: Es bleibt bestehen die karmische Gerechtigkeit, aber in Bezug auf die Wirkungen einer Schuld in der geistigen Welt tritt der Christus ein, der diese Schuld in sein Reich hinübernimmt und weiterträgt. Der Christus ist derjenige, der in der Lage ist, weil er einem anderen Reiche angehört, unsere Schulden und unsere Sünden in der Welt zu tilgen, sie auf sich zu nehmen. [26] Das steht anschaulich vor uns, als der Christus vom Kreuz herab zu dem einen der beiden Verbrecher, der seine Schulden bekennt, die Worte sagt: „Wahrlich, heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein!“ Die Tat des Verbrechens wird der Verbrecher selbst später durch sein Karma auszugleichen haben. Aber die objektiven Folgen für die Welt, die nimmt der Christus auf sich. Da sein Reich nicht von dieser Welt (Joh. 18,36) ist, da er einem anderen, kosmischen Reich angehört, deshalb vermag er die objektiven Folgen für die Welt wie die Strahlen der Sonne aufzusaugen und mit hinüberzunehmen in sein Reich. Was bedeutet dieses für die Erdenzukunft? Sie wird dadurch gerettet. Indem das Lamm die karmischen Folgen als die Schuldenlast der Menschheit auf sich nimmt und mit in sein Reich nimmt, kann die Erde sich davon unbelastet zum Jupiterdasein hinüberentwickeln. Allein dadurch! Sonst würden den Menschen seine Schulden wie auf ehernen Tafeln aus der Erde anstarren, die durch ihre dunkle Schwere die Erde vernichten müssten. Dadurch allein, dass der Christus das große Opfer für die gesamte Menschheit auf Golgatha vollbracht hat, wird der Mensch am Ende der Erdenentwicklung nicht sehen seine Schuldtafeln – sondern denjenigen, der sie übernommen hat – der Christus steht vor ihm, der die Sünden der Welt als das Opferlamm auf sich genommen hat, statt der Schuldtafeln in der Akasha-Chronik! So sehen wir, welch tief kosmische Zusammenhänge sich aus solchen Bildern vom Lamm, das geopfert wurde und das die Sünden der Welt trägt, im Lichte einer michaelischen Geisterkenntnis erschließen!

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Du wirst [aus diesem Kerker] nicht herauskommen, bis dass du den letzten Heller bezahlt hast! (Mt. 5,26) Wie ein polarer Gegensatz zum Wort von der Sündenvergebung tritt uns dieses Wort aus dem Lukasevangelium entgegen. Und doch ist es ebenso real wie das andere. Es bezieht sich auf die subjektive Sündenlast, die wir durch unser Karma verursacht haben und die von uns noch auf Erden getilgt werden muss. Machen wir uns auch hiervon ein möglichst konkretes Bild! Da ergibt sich die Frage, wenn die irdische Menschheitsentwicklung zu ihrem Abschluss gekommen ist und der Mensch seine letzte irdische Inkarnation absolviert hat: Wie kann er bis dahin alle seine karmischen Schulden auf Erden beglichen und getilgt haben? Denn das ist doch der Sinn dieses Wortes Du wirst nicht von dannen herauskommen, bis du auch den letzten Heller bezahlest ! Werden nicht mit jedem Erdenleben zu den bisherigen Schulden neue begangen, die unser „karmisches Konto“ belasten? Treten nicht immer wieder Versäumnisse, Lieblosigkeiten – begangen an unseren Mitmenschen – in jedem neuen Erdenleben zutage, die eine karmische Korrektur fordern, sodass der Mensch nie an ein Ende kommt, an dem er alle seine karmischen Schulden, Versäumnisse und Fehler beglichen hätte! Diese Aussicht könnte uns bedrücken, wenn sich nicht noch eine andere Perspektive aus einer anderen Entwicklungsreihe ergäbe. Und das sind die Taten, die der Mensch vollbringt, die das Gegenteil von karmischen Schulden erzeugen. Man nennt sie die Taten, die ihren Ursprung in der „Schöpfung aus dem Nichts“ haben. Was haben wir hierunter zu verstehen? Das beste Vorbild gibt uns das Leben und Schaffen eines Eingeweihten – was wir zum Beispiel Rudolf Steiner an neuen bahnbrechenden Erkenntnissen und Gedanken verdanken, stellt sich als etwas völlig Neues in die Menschheitsentwicklung herein, das nicht in der Vergangenheit veranlagt war. Woher stammt es denn? Es sind Erkenntnisse, die aus höheren Welten vom Eingeweihten „heruntergeholt“ und der Menschheit übergeben worden sind. Man spricht in dieser Beziehung von einer „Schöpfung aus dem Nichts“. Alle solche Erkenntnisse, die als Schöpfung aus dem Nichts stammen, bringen die Weltentwicklung weiter, sie lösen keine karmischen Wirkungen wie unsere Schulden und Verfehlungen, sondern das Gegenteil aus. Der Inder hat dafür den Begriff des Dharma144, der dem Karma entgegengesetzt ist. Erst wenn der Mensch sich dazu erhebt, freie Taten zu vollbringen, die nicht nur aus den Vergangenheitskräften seines Karma entspringen, sondern aus seiner ureigensten freien Initiative, handelt er aus dem Geist der Zukunft und schafft mit an der Vollendung und Erfüllung des Weltenbaues.

Der Mensch wird [hierzu aber erst dadurch] imstande, dass er sich zu dieser Freiheit des Selbstschaffens durch die freieste Tat, die sein Vorbild werden kann, hinauferhebt. Was ist die freiste Tat? Die freieste Tat ist diese, dass das schöpferische, weise Wort unseres Sonnensystems selber in sich beschlossen hat, in einen menschlichen Leib hineinzugehen und an der Erdenentwicklung teilzunehmen durch eine Tat, die in keinem vorhergehenden Karma lag. Als der Christus beschloss, in einen Menschenleib zu gehen, wurde er nicht durch ein vorhergehendes Karma gezwungen, sondern er tat es als eine freie Tat, die lediglich begründet war in der Vorschau zur künftigen Menschheitsentwicklung, die aber vorher noch nie dagewesen war, die 144

Eigentlich bedeutet dieses Wort „Recht und Gesetz“ oder „ethische und religiöse Verpflichtungen“. Bei Steiner bedeutet das Wort, dass der Mensch bewusster Gestalter seines Schicksals wird, indem er immer mehr Einsicht in die Notwendigkeiten seiner eigenen geistigen Entwicklung erlangt. Vgl. auch Steiner: „Das Lukasevangelium“ (GA 114).

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zuerst in ihm entstand als ein Gedanke aus dem Nichts heraus, aus der Vorschau. [27, Vortrag vom 8.12.1909] Und was aus dieser freiesten Tat hervorging, das nennt die christliche Esoterik den Heiligen Geist, der aus dieser Schöpfung aus dem Nichts zur Wirksamkeit gelangt und der die Menschheit bis ans Ziel ihrer Entwicklung trägt und führt. Indem wir uns von ihm inspirieren lassen, führen wir die Welt ihrem Ziele entgegen. Denn dieser Geist hat die Merkmale der luziferischen Versuchung, des Sündenfalles, überwunden. Und er tilgt auch die an das Tote des Materiellen und Untersinnlichen uns bindenden lieblos-frostigen Gedanken Ahrimans, wenn es uns gelingt, die Schwelle vom toten Intellekt zum lebensvollen Denken zu überschreiten. Dann schaffen wir aus „richtigen, schönen und tugendhaften Verhältnissen“ heraus, und dieses Schaffen nennt man in der christlichen Esoterik den Heiligen Geist.

Der Heilige Geist bestätigt den Menschen, wenn er imstande ist, aus dem Nichts heraus das Richtige oder Wahre, das Schöne und Gute zu schaffen. Damit aber der Mensch imstande geworden ist, im Sinne dieses heiligen Geistes zu schaffen, musste ihm ja erst die Grundlage gegeben werden, wie zu allem Schaffen aus dem Nichts. Diese Grundlage ist ihm gegeben worden durch das Hereintreten des Christus in unsere Evolution. Indem der Mensch auf der Erde das Christusereignis erleben konnte, wurde er fähig, aufzusteigen zum Schaffen im heiligen Geist. So ist es Christus selbst, welcher die eminenteste, tiefste Grundlage schafft. Wird der Mensch so, dass er fest steht auf dem Boden des Christuserlebnisses, dass das Christuserlebnis der Wagen ist, in den er sich begibt, um sich weiterzuentwickeln, so sendet ihm der Christus den heiligen Geist, und der Mensch wird fähig, im Sinne der Weiterentwicklung das Richtige, Schöne und Gute zu schaffen. [27, 19. Vortrag] (Das Ende dieses Kapitels findet sich im Anhang, da es sich dezidiert nur an Leser wendet, die sich als Anthroposophen bezeichnen würden.)

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Bild 4: Albrecht Dürer, Gesicht vom Weltuntergang, 1498

Gekommen ist der große Tag des Zornes, an dem die Sterne vom Himmel fallen und die Erde sich auftut.

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7. Die Posaunenklänge – das Herzstück der Apokalypse Mit einem feierlichen Akt beginnt das Geschehen der Posaunenklänge, das sich zu einem göttlichen Kultus vertieft, der sich im Kreis um den Thron abspielt: Eine Atempause tritt ein in der göttlichen Welt. Die Engel der Umlaufszeiten erhalten den Befehl, die „Vier Winde“ auf der Erde zurückzuhalten. Es sollte weder auf der Erde noch auf dem Meere, noch in den Wipfeln eines Baumes ein Wind wehen. In dieser feierlichen Pause, in der alles den Atem anhält, steigt ein Engel vom Sonnenaufgang empor, der das Siegel der göttlichen Lebenskräfte besitzt. Und ich hörte die Zahl derer, die das Siegel empfangen: hundertvierundvierzigtausend aus allen Stämmen der Söhne Israels sollen das Siegel empfangen. (Off. 7,4) Dass hiermit nicht 144000 Angehörige des jüdischen Volkes gemeint sein können, geht aus dem Folgenden ja schon deutlich hervor, wo diese Auserwählten als aus allen Völkern und Rassen hervorgehend beschrieben werden:145 Danach sah ich: Siehe, eine große Menschenschar aus allen Völkern und Stämmen und Nationen und Sprachen. Sie standen vor dem Throne und dem Lamme mit weißen Feiergewändern bekleidet und mit Palmzweigen in den Händen. Und sie riefen mit lauter Stimme: „Das Heil gehört unserem Gott, dem Thronenden, und dem Lamme!“ (Off. 7,9 f.) Wir müssen alle Zahlen und Begriffe imaginativ und qualitativ lesen: Es sind Fenster, die uns den Blick frei geben von der Sinneswelt des Mikrokosmos in die Geisteswelt des Makrokosmos. Dabei steht „Israel“ stets für das „Gottesvolk“ der Zukunft: Es sind die Streiter Gottes, die wie Jakob mit dem Engel gerungen haben („Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“ (1. Mose 32,27)) und die das Fundament des „Neuen himmlischen Jerusalems“ bilden. Das ist ja das Bedeutsame der ganzen Volksgeschichte Israels, dass in ihr sich ein Urbildhaftes bis in die einzelnen Namen hinein vollzieht, das im Alten Testament sich auf leiblicher Stufe abspielt, um sich dann im Neuen Testament im Geistigen zu erfüllen. Da aber zwischen dem Alten und Neuen Testament das Mysterium von Golgatha liegt, wodurch der Keim zur Freiheit in die Menschheit gelegt wird, so kann sich die Zukunft nur aus der freien Initiative des einzelnen Menschen entfalten und erfüllen! Die „Juden“ 146 sind als das „auserwählte Volk Israel“ in der Apokalypse eine Metapher – ein Symbol für das Nach anderer Sichtweise handelt es sich um zwei verschiedene Gruppen: Einmal eine kleine Zahl „auserwählter“ Menschen, und dann der ganze Rest, der auch noch „gerettet“ wird. 146 D. h. die Nachkommen Jakobs, des Enkels von Abraham. Jakob hatte 12 Söhne (vgl. z. B. 1. Moses 35, 2326), die die ursprünglichen 12 Stämme Israels bildeten. Bei der Aufteilung in Stammesgebiete nach dem Auszug aus Ägypten wurde der Anteil Josephs, des zweitältesten Sohnes Jakobs, auf dessen beide Söhne aufgeteilt, nachdem sie Jakob seinen eigenen gleichgestellt hatte: So sollen nun deine zwei Söhne, Ephraim und Manasse, die dir geboren sind in Ägyptenland, ehe ich hereingekommen bin zu dir, mein sein gleich wie Ruben und Simeon. (1. Moses 48,5); dem Stamm Levi als dem späteren Priestergeschlecht wird kein eigenes Gebiet zugeteilt. In der Aufzählung in Off. 7, 58 werden Dan und Ephraim nicht erwähnt, dafür erscheinen Levi und Joseph wiederum. Die Begründung, warum Dan und Ephraim fehlen, sehen manche im Götzendienst, durch den sie ihre Sohnschaft verloren hätten; andere meinen, dass Dan durch Manasse ersetzt wurde, weil Dan „Richter“ bedeutet. 145

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„Gottesvolk“, das sich aus allen Menschen herausbilden wird, die den Ruf des Geistes vernehmen und ihm folgen. Das geht ja auch aus den Paulusbriefen deutlich hervor, wie zum Beispiel der folgenden Stelle: Oder ist Gott allein der Juden Gott? Ist er nicht auch der Heiden Gott? Ja freilich, auch der Heiden Gott. Denn es ist ein einiger Gott, der da gerecht macht die Beschnittenen aus dem Glauben und die Unbeschnittenen durch den Glauben. (Röm. 3, 2930) – Das gleiche gilt für alle Zahlenwerte, die nicht quantitativ, sondern qualitativ gelesen werden müssen. Vom qualitativen Gesichtspunkt offenbart sich in der Sieben das Gesetz der Entwicklung in der Zeit (des Nacheinander), die sich in der Siebenheit erfüllt 147, während die Zwölf die Geheimnisse des Nebeneinander im Raum darstellt, des geistigen Prinzips, wie es sich im Tierkreis manifestiert. Die 12 Apostel erscheinen im Neuen Testament als das individualisierte Prinzip der 12 Stämme Israels. Da der Frühlingspunkt der Sonne im Zeitraum von 2160 Jahren von einem Tierkreiszeichen zum anderen vorrückt und jedes zugleich eine der 12 Weltanschauungen vertritt, so offenbart sich darin der kosmische Ertrag der ganzen Erdenentwicklung, wenn die 12 Tierkreisbilder zwölfmal durchwandert sind – 12·12 = 144 –, da jeder Mensch andere Erfahrungen in jedem Tierkreiszeichen macht. – In den 144000 steht also der Ertrag der durchchristeten Menschheit vor uns, die die durchgeistigten Erdenfrüchte aus ihren gesamten Inkarnationen gewonnen hat! Die Versiegelung der 144000 kann als Auftakt zur sogenannten „Ersten Auferstehung“ empfunden werden, wenngleich diese 1. Auferstehung im „1000-jährigen Reich“, wo die Toten mit Christus herrschen werden, erst im 20. Kapitel der Apokalypse nach der Fesselung des Drachens beschrieben wird. Licht in dies geheimnisvolle Dunkel fällt erst durch die Anschauung der Reinkarnation, der wiederholten Erdenleben, durch die der Mensch seine Menschwerdung vollendet. Denn nicht nur, was der Mensch in seinen einzelnen Erdenleben durchmacht, ist hierbei entscheidend, sondern ebenso wichtig ist, welchen Ertrag er aus seinen irdischen Inkarnationen in die geistige Welt hinaufträgt und welche Bewusstseinsstufe er hier im Übersinnlichen erreicht. Dies hängt weitgehend ab von den Früchten unserer Erdenleben. Die wiederholten Erdenleben, durch welche die Menschheit allein ihr Ziel erreichen kann, besonders nach der Fleischwerdung des Logos, da nur auf Erden der Mensch seine erste Begegnung mit dem Christus machen kann, entfalten sich auf verschiedenen Stufen. War der Mensch auf der ersten Stufe zu Beginn seiner Wanderung durch die Erdenleben (3. Erdepoche, genannt Lemurien) noch ganz eingebettet in die geistigen Weltenwesen und noch nicht zum selbständigen Ich erwacht, so gliedert sich das Ich von Stufe zu Stufe mehr heraus aus seinem ursprünglichen Zusammenhang mit der geistigen Welt, bis es in der Epoche der Bewusstseinsseele, unserer Gegenwart, sich völlig losgelöst hat von seiner kosmischen Heimat. Daher stehen wir heute, in der 5. Kulturperiode, an einem kritischen Punkt. Die Gefahr droht den Menschen, die diesen Punkt der Abschnürung in der Bewusstseinsseele nicht überwinden, der menschlichen Evolution zu entfallen, da die Menschheit heute den tiefsten Punkt ihres Niederstieges in die Materie durchgemacht hat. 147

Es sei erinnert an die sieben Verkörperungen der Erde, die sich jeweils in sieben Erdepochen gliedert, und deren jede wiederum in sieben Zeiträume (gegenwärtig „Kulturperioden“ genannt) eingeteilt ist. Ebenso kann das Erdenleben jedes Menschen unter einem Gesichtspunkt von Siebenjahresabschnitten gesehen werden: 1. Geburt bis Zahnwechsel, 2. bis zur Pubertät, 3. bis zur Erwachsenenreife, 4. bis zum Höhepunkt der Evolution...

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Daher ist die Geisteswissenschaft, die sich zunächst an das intellektuelle Bewusstsein wendet, der Menschheit heute, zu Beginn des Michaelzeitalters, von der Menschheitsführung als Hilfe gegeben worden, um diesen kritischen Punkt zu überwinden, der sich heute und in der Zukunft als Kluft und Abgrund zur Wiederverbindung mit der geistigen Welt immer mehr vor ihr eröffnet . Wir sahen, in welcher Art sich diese Prüfung beim Beginn der Entsiegelung der sieben Siegel auswirken muss. Denn jetzt nach Rückkehr des Mondes versagt sich uns das physische Gehirn zum Spiegelungsinstrument für unser Denken. Jetzt muss der Mensch soweit gekommen sein, um mit dem Äthergehirn im leibfreien Zustand denken zu können. Dadurch wird der Schwerpunkt des bewussten seelischen Lebens vom physischmateriellen Gehirnbewusstsein in das ätherische gehoben. Wenn wir versuchen, dies anschaulich uns vor die Seele zu stellen, werden wir selbst auf das Gesetz kommen, das sich im Lauf der Entwicklung durch die wiederholten Erdenleben offenbart. Es ist die wachsende Angleichung der beiden Sphären der irdischen Inkarnationen und der geistigen Bewusstseinszustände in den leibfreien Daseinsformen zwischen Tod und neuer Geburt. Während im Beginn der irdischen Inkarnationen der Schwerpunkt im Geistigen auch für das Leben zwischen Geburt und Tod überwog, da der Mensch auch nach seiner Geburt noch eine Erinnerung behielt an sein vorgeburtliches Dasein, sodass er eine Todesfurcht nicht kannte, da er ja wusste, dass er nach Abfall des Leibes wieder zurückkehrte in seine geistige, vorgeburtliche Heimat, überwiegt heute, seit der 4. nachatlantischen Kulturperiode, der griechisch-römischen Zeit, der irdisch-physische Pol, durch den der Mensch das Ich-Bewusstsein ausgebildet hat. Beide Bewusstseinsspole, der physische zwischen Geburt und Tod und der geistige zwischen Tod und Geburt, sollen sich immer mehr angleichen, wodurch die Kluft zwischen den Erdenleben und den geistigen Existenzformen immer mehr überwunden wird. Für Menschen, die den geistigen Kern ihres Ich-Bewusstseins im Christusbewusstsein verankern, gilt schon heute das Wort: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der lebt, auch wenn er stirbt. Und wer mich als Kraft des Lebens in sich aufnimmt, der ist von der Macht des Todes befreit für alle Erdenzeiten!“ (Joh. 11,25) Die Christuskraft bildet die todüberwindende Kraft, zunächst in unserem Bewusstsein, bis sie den Tod auch für den Leib überwindet.

Die Aufnahme des Todes in das Leben, das ist das Geheimnis von Golgatha. Vorher hatte man das Leben ohne den Tod gekannt, jetzt lernte man den Tod als einen Bestandteil des Lebens kennen, als ein Erlebnis, welches verstärkt das Leben. Es war ein schwächeres Leben, durch das die Menschheit gegangen ist, als sie noch nicht den Tod gekannt hat. Die Menschheit muss stärker leben, wenn sie durch den Tod durchgehen will und dennoch leben will. Und der Tod bedeutet in dieser Beziehung zugleich den Intellekt... Der Intellekt lähmt uns. Wir leben eigentlich nicht, wenn wir den Intellekt entwickeln. – Das habe ich versucht darzustellen in meiner „Philosophie der Freiheit“. Diese Philosophie der Freiheit ist eigentlich eine Moralanschauung, welche eine Anleitung dazu sein will, die toten Gedanken als Moralimpulse zu beleben, zur Auferstehung zu bringen. Insofern ist innerliches Christentum durchaus in einer solchen Freiheitsphilosophie. [57, S. 120 f.] Wenn man in das menschliche Gemüt hineinschaut, so muss man sagen: Es ist der wichtigste Punkt der irdischen Menschheitsentwicklung da, wo der Mensch erkennen 101

lernt, dass in dem Christus-Impuls eine Kraft lebt, durch die er selbst, wenn er sich mit ihr verbindet, den Tod in sich überwindet. [57, S. 114] Wer diese Todeskräfte, die mit dem Intellekt immer mehr in die Menschheit einzogen, durch die Lebenskräfte zu überwinden vermag, die von der todüberwindenden Kraft des Christus ausgehen, der findet den Anschluss an die „göttliche Lebenssphäre“, solange er im physischen Leibe lebt und damit die Auferstehung in die geistige Bewusstseinssphäre, die im 7. Kapitel der Apokalypse bei der großen Atempause beschrieben wird. Es ist der Aufstieg der Seelen, die das göttliche Siegel empfangen, in die Kräfte der ätherischen Lichtund Lebenskräfte, denen die todüberwindende Macht innewohnt. Und ich sah einen anderen Engel aufsteigen da, wo die Sonne aufgeht. Er besaß das Siegel der göttlichen Lebenssphäre und rief mit lauter Stimme den vier Engeln zu, in deren Macht es gegeben war, Unheil zu bringen über das Land und das Meer und sprach: „Richtet keinen Schaden an, weder an der Erde noch an dem Meere, noch an den Wipfeln der Bäume, bevor wir unser Siegel auf die Stirnen derer gezeichnet haben, welche die Diener unseres Gottes sind.“ Und ich hörte die Zahl derer, die das Siegel empfangen: Hundertvierundvierzigtausend aus allen Stämmen der Söhne Israels... (Off. 7,2) Und darauf folgt das Loblied der aus allen Völkern, Stämmen und Ländern auserwählten, die mit weißen Kleidern angetan, mit Palmen als Symbol des ewigen Lebens Dank und Lob vor dem Angesicht der Gottheit verrichten: Und sie riefen mit lauter Stimme: „Heil unserem Gott, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm!“ – Und alle Engel standen rings um den Thron und um die Ältesten und um die vier Tiere und sprachen: „Amen! Der Lobpreis und der Ruhm und die Weisheit und die Ehre und die Macht und die Kraft sei unserem Gotte in allen Zeitenkreisen 148. Amen.“ (Off. 7, 1012) Die Kraft zur Erhebung in die ätherische Lebenssphäre, durch die sie entzogen werden den nun hereinbrechenden Prüfungen, welche durch die posaunenblasenden Engel ausgelöst werden, verdanken die 144000 „Versiegelten“ dem Blute des Lammes. Dass das Opfer auf Golgatha uns diese Kraft schenkt, darauf wird ausdrücklich hingewiesen: Und einer der Ältesten nahm das Wort und sprach zu mir: „Wer sind jene, welche die weißen Gewänder tragen, und woher kommen sie? Und ich sagte zu ihm: „Herr, du weißt es.“ Und er sprach zu mir: „Das sind jene, die aus großen Schicksalsnöten kommen. Sie haben ihre Gewänder weiß gewaschen, und sie bleichten im Blute des Lammes. Darum stehen sie vor Gottes Thron und dienen Ihm bei Tag und Nacht in seinem Tempel. Und der auf dem Thron sitzt, wohnt und waltet unter ihnen. Sie werden keinen Hunger und Durst mehr verspüren und können nicht mehr von der Hitze der Sonne oder einem anderen Feuerbrande überwältigt werden. Denn das Lamm in des Thrones Mitte wird ihr Hirte und ihr Führer sein zu den Quellen, aus denen das Wasser des Lebens fließt. Und Gott wird alle Tränen aus ihren Augen wischen.“ (Off. 7,13)

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Der Ausdruck „Zeitenkreise“ steht statt des griechischen Äon. Nach Ablauf von sieben Entwicklungsstufen beginnt ein solcher Zyklus wieder von vorne, aber auf höherer Stufe. Beispielsweise beginnt nach Ablauf der 7 Erdepochen wieder eine neue erste Erdepoche, nun aber auf einem neuen Planeten, genannt der „Neue Jupiter“ oder „das Himmlische Jerusalem“.

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Darauf erhebt sich das göttliche Drama zu einer feierlichen Ouvertüre: Der Engel, der das siebente Siegel eröffnet, bildet den Herold, der den Vorhang vor dem inneren Sanctuarium149 des Tempels hinwegzieht. Ein Schweigen entsteht im Himmel eine „halbe Zeitenstunde“ lang. Am Ende dieses Schweigens tauchen vor dem Seherblick die Engel auf, die „vor dem göttlichen Weltengrunde stehen, denen sieben Posaunen gegeben werden“. Wir sehen uns in eine höhere Sphäre versetzt. Es ist die Sonnensphäre, in die wir erhoben werden. Die Engel, die „vor Gott stehen“, gehören einer höheren Hierarchie an. Was sich nun vollzieht, wird vor dem irdischen Bewusstsein immer ein unauflösliches Rätsel bleiben. Ein anderer Engel – wir können in ihm den Erzengel Michael erahnen, dessen Name bald darauf genannt wird und der immer mehr die Führung des göttlichen Dramas übernimmt – erscheint und tritt mit einem goldenen Räuchergefäß vor den Altar. Ihm wird viel Räucherwerk gereicht, das er im Angesicht der göttlichen Welt den Gebeten derer spenden soll, die dem Geist ergeben sind. Und aus der Hand des Engels stieg im Angesichte der göttlichen Welt der Weihrauch empor zusammen mit den Gebeten derer, die dem Geist ergeben sind. (Off. 8,4) Was jetzt geschieht, ruft die große dramatische Wende hervor. Er nimmt das Rauchergefäß, füllt es mit dem Feuer vom Altar und wirft es auf die Erde! Da rollten die Donner, es tönten die Stimmen, es zuckten die Blitze und die Erde erbebte. (Off. 8,5) Das ist das Zeichen zum Einsatz der sieben Engel, die nun einzeln vortreten und ihre Posaunen ertönen lassen. Und was entsteht durch die vom göttlichen Altar machtvoll erklingenden Posaunen? Unheil über Unheil bricht über die Erde herein. Zuerst entsteht ein Hagel mit Feuer und Blut gemischt, der ein Drittel aller Lebenskräfte auf Erden vernichtet. Dann stürzt beim zweiten Posaunenklang ein großer brennender Berg ins Meer, verwandelt es in Blut und lässt ein Drittel aller beseelten Geschöpfe den Tod finden. Die dritte Posaune löst einen Stern mit dem Namen „Wermut“ vom Himmel, der brennend in die Tiefe stürzt. Ein Drittel aller Wasserquellen wird in Wermut verwandelt, und viele Menschen starben an dem Wasser das so bitter geworden war (Off. 8,11). Die Wirkung des vierten posaunenblasenden Engels löscht mit einem Schlage ein Drittel des Himmelslichtes aus: Ein Drittel von Sonne, Mond und den Sternen verfinstert sich. Von der fünften Posaune an ändert sich die Richtung. Ging die Richtung bisher von oben nach unten, einem Meteorfall vergleichbar, der aus Himmelshöhen in die Erdentiefen stürzt, so öffnet der durch den fünften posaunenblasenden Engel auf die Erde stürzende Stern den Brunnen des Abgrunds. Aus ihm steigt von unten ein Rauch auf, wie der eines gewaltigen Ofens, der die Luft und die Sonne verfinstert. Die Prüfungen und Qualen, die die Menschen quälen, kommen jetzt nicht mehr allein von oben aus dem Altarfeuer des Himmels, sondern aus den untersinnlichen Erdenbereichen: Aus dem Rauch des unterirdischen Brunnens erheben sich „Heuschrecken“, die eine ähnliche Macht wie die Skorpione besitzen, welche sich gegen die Menschen richten, die nicht das Gottessiegel an ihren Stirnen tragen. Aufgegeben wurde ihnen, [die Menschen] nicht zu töten, sondern fünf Monate lang zu quälen. Und die Qualen, die sie bereiteten, waren wie der Schmerz, den der Skorpion hervorruft, wenn er den Menschen sticht. (Off. 9,5) 149

d. h. „Heiligtum“.

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Das Bild der aus dem Rauch hervorsteigenden Heuschrecken verwandelt sich in Rosse, die zum Krieg bereitet sind. Es nimmt einen ahrimanischen – martialischen Charakter an. Wer dächte da nicht an unsere modernen Kriegswaffen, wenn die Heuschrecken, die gleich Rossen sind, mit eisernen Panzern und das Rasseln ihrer Jagd wie das Rasseln vieler Wagen, die von rennenden Pferden in den Krieg gezogen werden, beschrieben werden.

Als König haben sie an ihrer Spitze den Engel des Abgrunds, dessen Name auf Hebräisch Abbadon150 und auf Griechisch Apollyon151 heißt. (Off. 9, 911) Das die ganze Menschheit ergreifende Unheil erweitert sich mit der sechsten Posaune. Aus den vier „Hörnern“ (d. h. Seiten) des goldenen Altars ertönt eine Stimme, die dem sechsten Engel den Auftrag gibt, die vier Engel am Euphratstrom zu befreien, die gerüstet sind, in dieser Stunde den dritten Teil der Menschen zu töten. Ich schaute im Geistesbilde die Pferde und die auf ihnen Reitenden. Sie trugen Panzer von feuerroter, hyazinthblauer und schwefelgelber Farbe. Die Häupter der Pferde waren wie Löwenhäupter, und aus ihrem Rachen schoss Feuer und Rauch und Schwefel hervor. Und durch diese drei zerstörenden Mächte fand der dritte Teil der Menschen den Tod, durch das Feuer, den Rauch und den Schwefel, die aus dem Rücken der Pferde hervorquollen. Die Pferde besaßen ihre große Macht durch ihren Rücken und durch ihre Schwänze. Ihre Schwänze waren wie Schlangen mit stechenden Köpfen. Mit ihnen richteten sie großes Unheil an. (Off. 9, 1719) Hier muss uns nun zunächst die Frage beschäftigen: Wie ist es möglich, dass mit diesen Bildern unsere bisherige Weltordnung einstürzt und in ihr Gegenteil verkehrt wird? Wie kann aus dem Feuer des Altars vom Himmel das die Menschheit und Erde verzehrende Feuer kommen? Alle Plagen werden ausgelöst von den Engeln, die am Altare im Angesicht der göttlichen Welt stehen. Wird doch das ganze Drama vorbereitet und ausgelöst durch den Kultus im Himmel, indem der eine Engel, in dem wir Michael vermuten können, das Räuchergefäß, das er den Gott ergebenen Menschen spenden soll, mit dem Feuer des Altars füllt und es auf die Erde wirft. Da rollten die Donner, es tönten die Stimmen, es zuckten die Blitze und die Erde erbebte. (Off. 8,5) Wie kann das göttliche Altarfeuer solches Unheil auf der Erde anrichten? Wie kann es den Menschen Qualen über Qualen, seelische Leiden, ja Vernichtung und Tod bringen? Man muss sich diese Frage schon ernsthaft stellen und das Widerspruchsvolle dieses ganzen Geschehens sich vors Bewusstsein stellen, wenn man hierauf eine wahrheitsgemäße Antwort erhalten will. Die Posaunenklänge sind der Mittelpunkt – das Herzstück – der Offenbarung Johannis. Daher treten wir hier in das innerste Heiligtum des Tempels ein. Während die vorangehenden Geschehnisse, wie die Entsiegelung des Lebensbuches, noch im Bereiche des imaginativen Bildhaften bleiben und auch so, von außen gesehen, verstanden werden können, erfüllt sich das geistige Geschehen der Posaunenklänge nicht mehr in der Sphäre der Imagination, sondern in der tönenden Welt der Inspiration. Es ist derselbe Übergang, den der Mensch sowohl im Schlafe durchmacht, wenn er von der Traumwelt in den Tiefschlaf übergeht, wo er aus der Sphärenmusik der Sterne mit Kräften der Wiedergeburt 150 151

d. h. „Untergang, Abgrund“. d. h. „der Verderbende“; nicht zu verwechseln mit „Apollo(n)“.

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beschenkt und begnadet wird, wie im Leben zwischen Tod und neuer Geburt, wenn er von der astralischen Welt in die rein geistige Welt den Zugang findet. In dieser Welt offenbart sich das Wesen der Dinge nicht mehr durch das Bild, sondern durch den Klang, die Sphärenharmonien, das inspirierte Wort – den Logos. – Es ist für unser irdisches Bewusstsein äußerst schwierig, sich aufzuschwingen zu einem wirklichkeitsgemäßen Erlebnis, und sei es auch zunächst nur dem ideellen Nachbild, von diesem Übergang in die rein geistige Sphäre der Inspiration! Schon Nietzsche hebt in seinem Erstlingswerk „Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik“ den radikalen Unterschied zwischen der bildhaft-imaginativen Welt und der Welt des musikalischdionysischen, wo das Bild auch zur Illustration nicht mehr ausreicht, hervor. Wir können uns hiervon nur den schwachen Abglanz einer Vorstellung machen, was im geistigen Erleben höchste Wirklichkeitserfüllung bedeutet. Jeder Ton, jede Tonfolge und Harmonie spricht dann eine geistgesättigte Wirklichkeit aus, sie deutet nicht mittelbar wie das Bild auf eine Wirklichkeit hin, sondern ist sie selbst, bringt sie zum erlebenden Erklingen, sodass wir in sie einzutauchen und uns mit ihr zu vereinigen vermögen! Das ist die Welt der wesenschaffenden Inspiration. Sie kann nicht mehr wie die Sphäre der Imagination von außen beobachtet und gesehen werden; sie kann nur ganz von innen her ergriffen, erlebt und erschlossen werden für das geistig sich öffnende Verständnis. Dieses Verständnis spielt sich im geistigen Innenraum des Ich ab. Nur mit dem Ich kann der Mensch diese Sphäre betreten und ihre Geschehnisse erlebend durchdringen und durchdringend nachschaffen! – Denn um ein wirklich geistiges Nachschaffen geht es hier. Alles Schauen, alles Erkennen, alles Verstehen wird hier ein tätiges Mitschaffen, ein im Ich sich vollziehender Erkenntnisakt. Denn was vollzieht sich hier in dieser dionysischen Sphäre der Inspiration, die der Mensch nie als bloßer Betrachtender betreten kann, die ihn einspannt in die blitzartigen dynamischen Bewegungslinien, sodass wir gleichzeitig Griffel und Wort, Laut und Sinn, Empfänger und Sender sind? Erst durch die eigene Tätigkeit, die uns erfasst, geht uns der Sinn auf, der sich in dieser Tätigkeit offenbart. Um ein anschauliches Beispiel zu wählen: Erst nachdem wir selbst das Wort geschrieben haben, wobei wir von der göttlichen Hand, die uns führt, erfasst werden, können wir es lesen, „lesen“ jetzt in intuitivem Sinn verstanden. – Welche Sphäre aber haben wir hiermit betreten? Es ist die Willenssphäre der Transsubstantiation, der Wandlung; in ganz konkretem geistigem Sinne. Was ist Transsubstantiation? Das kann keine noch so gute Definition erklären. Das kann jeder nur im „Allerheiligsten seiner Seele“ erleben. Worte und Definitionen können uns nur die Richtung weisen, wo das verborgene Heiligtum gesucht werden muss.

In der Messe wird die Schöpfung wieder zum Schöpfer. Wie ist es möglich, dass ein Mensch die Messe überlebt? [30] Mit diesem Wort eines nicht-katholischen Arztes ist auf dies Mysterium hingewiesen. Doch nicht nur durch den Kult, auch in der Meditation kann das Wunder der Wandlung erlebt werden, dort vielleicht noch intimer, weil es sich ganz im innersten Bereich unseres Ich abspielen muss, wo uns alle äußeren Handlungen und Symbole fehlen. Fragen wir uns:

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Was können wir von diesen Geheimnissen der Transsubstantiation bei der Meditation erlauschen? Was sich in Wirklichkeit dabei abspielt, entzieht sich zunächst unserem Bewusstsein, da es ein Vorgang im Allerheiligsten unseres Ich ist. Es kommt uns zum Teil erst nachher, bei der anschließenden Wesensvereinigung mit dem Geiste, zum Bewusstsein (Kommunion), zum Beispiel an einem äußeren Phänomen, an der Schwere unserer Glieder. Die tiefe Meditation ruft einen Umwandlungsprozess bis in die physische Leiblichkeit hervor; besonders in den Gelenken ist es wie ein Bruch zu spüren. Wir fühlen unser Knochengerippe sich abzeichnen. Der Tod wohnt in unseren Knochen, kein Eingeweihter konnte ihn bannen und umwandeln. Daher sind alle alten Eingeweihten sterblich. Achill 152 hat seine verwundbare Stelle an der Ferse, Siegfried zwischen den Schultern an der Stelle, wo der Christus das Kreuz trägt. Darin bestand ja die todüberwindende Kraft des Christus, dass er bis ins Knochenmark eindringen und den Tod darin umwandeln konnte. Dadurch konnte dieser sein Leib ohne die Folgen des Sündenfalles in den Tod gehen. Ahriman hatte keinen Anteil an ihm. Dies äußere Symptom, dass wir uns nach einer tiefen Meditation zunächst wie gebrochen fühlen können, bis in unser Knochengerippe erfasst, ist eine Folge dessen, was sich rein seelisch-geistig in uns vollzogen hat und sich bis in den physischen Leib abdrückt. Die Schmerzen, die wir dabei fühlen, stellen sich dadurch ein, dass Teile unseres Geistleibes, der als Modell (geisteswissenschaftlich: „Phantom“) dem physischen Leib zugrunde liegt, erfasst, umgewandelt, respektive ausgeschieden werden. Das Urbild dieses Prozesses beschreibt das Johannesevangelium, 12. Kapitel, in jener rätselvollen Szene, als der Christus Jesus am Palmsonntag Einzug hält in Jerusalem und einige Griechen ihn zu sprechen wünschen. (Joh. 12, 2033) Was die synoptischen Evangelien als einen ekstatischen Vorgang in der Verklärung beschreiben, wobei der Christus auf dem Berge Tabor in seiner Geistgestalt den drei auserwählten Jüngern sichtbar wird, sodass ihre Seelen ins Devachan 153 entrückt werden und sie das Geistgespräch des Christus mit Elias und Moses hören können, das schildert Johannes als Vorgang der Einwohnung als letzte Stufe auf dem Inkarnationsweg des Christus in die Hüllen des Jesus von Nazareth. Und auf dieser letzten Stufe vollzieht sich die Vollendung der Katharsis. Ahriman wird ausgestoßen aus diesem Leib, sodass dieser ohne die Wirkung des Sündenfalls durch den Tod gehen kann und das menschliche Urbild, gerettet und befreit ist von ahrimanischen Todeskräften. Dadurch ist der „Tod“ besiegt, und die göttliche Gestalt des Menschen, wie sie den Elohim im Urbeginn vor Augen stand, gerettet worden! Dies ist die durch den Christussieg bewirkte Transsubstantiation des Menschen-Urbildes, die durch das Mysterium von Golgatha bekräftigt wird. Die geistige Urgestalt der Menschheit ist gerettet und dem Zugriff Ahrimans entzogen – Sie sollen ihm kein Bein zerbrechen (Joh. 19,36). Wenn wir diesen Akt als Urbild der Transsubstantiation nehmen, dann zeichnen sich zwei Kräfterichtungen darin ab: Die eine von oben nach unten sich bewegend, die andere von unten nach oben heraufsteigend. Wo beide aufeinander stoßen, entsteht der Kampf, die Krise, die zur „Ausstoßung des Fürsten dieser Welt“, zunächst aus dem Knochenmark des Jesusleibes führt. Es ist für den Blick des Johannesevangeliums typisch, dass alle Verklärungsszenen in dieser Art nicht auf Bergeshöhen, sondern aus den Leibestiefen sich ergeben, indem der Gottesgeist des Logos 152 153

Vgl. Homers „Ilias“. Alt-indischer Ausdruck (sprich: de-wa-TSCHAN) für „Götterwohnung“. Gemeint ist die „Geistige Welt“.

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tiefer hinabsteigt und Wohnung nimmt, wodurch der Leib verklärt wird und zu leuchten beginnt. Jedes Mal haben wir es hierbei mit einem Todesvorgang zu tun. Die Jesushüllen werden transparent und werden durchlässig für den sich durch sie offenbarenden Christusgeist. Das können wir in den drei Verklärungsszenen, die das Johannesevangelium schildert und andeutet, von Stufe zu Stufe mehr Licht aussendend, erkennen. Es ist der sich steigernde Verbrennungsprozess durch die letzten Stufen der Inkarnation des Christuswesens, der die Leibeshüllen verzehrt und durchleuchtet. Die zweite Stufe wird uns in den Abschiedsreden (Joh. 13 bis 17) beschrieben. Hier ist das Licht, das die hereinbrechende Nacht erhellt, schon so groß, dass es das Bewusstsein der Jünger lähmt und erschreckt. Diese Verklärung beginnt, sobald Judas Iskariot das Coenaculum154 verlassen hat. Da er nun den Bissen genommen hatte, ging er sogleich hinaus. Und es war Nacht. Als er nun hinausgegangen war, sprach Jesus: „Jetzt ist der Sohn des Menschen verklärt, und Gott ist in ihm verklärt. Und da Gott in ihm verherrlicht ist, so wird ihn auch die göttliche Welt in ihrer Sphäre verherrlichen und bald schon wird sie ihn dort in seiner Lichtesherrlichkeit offenbaren.“ (Joh. 13,31) Das ganze Johannesevangelium ist im Grunde ein einziger Verklärungsprozess, durch den das Christuslicht, in dem Maße, wie sich das Christuswesen immer tiefer in die Hüllen des Jesus von Nazareth hinein verkörpert, den Leib durchdringen und sich der Christusgeist in seiner Herrlichkeit offenbaren kann. Diese Geistwerdung des Menschensohnes – der zweite Akt des Christuswandelns im Leibe des Jesus von Nazareth, nach der Menschwerdung des Christus – beginnt bereits vor dem Mysterium von Golgatha, wodurch sich der Geist zu offenbaren beginnt. Die letzte Verklärung findet auf Golgatha statt, am Kreuz. Der sterbende Jesusleib wird durchleuchtet in dem Glorienschein des Vaters. Anschaulich beschreibt Emil Bock in seinem Buch „Die drei Jahre“ diese letzte Verklärung am Kreuz:

Inmitten der Golgathafinsternis hat sich ein Mysterium geoffenbart, auf das wir nur in aller Behutsamkeit hindeuten können. Der Leichnam, der am Kreuze hing, fing zu leuchten an. Wenn in manchen ländlichen Gegenden auf den Feldern und an den Wegen Kruzifixe stehen mit vergoldetem Leib auf schwarzem Kreuzesholz, so lebt darin aus naiv-weisheitsvoller Volkstradition ein wichtiges Geheimnis des Karfreitags weiter. Ein geheimer Sonnenglanz durchbrach die schauervolle Mittagsnacht. Die Christussonne zeigte sich, als die äußere Sonne sich verfinsterte. Ein Osterstrahl wob sich bereits in das Dunkel des Karfreitags hinein. Das letzte der sieben Kreuzesworte: „Es ist vollbracht“ bedeutet nicht, dass die Qualen überstanden sind. Es bedeutet, dass jetzt der völlige Sieg über die Todesmacht errungen ist. Während der Tod sonst den Menschen, den er ein Erdenleben lang mit der irdischen Materie geäfft hat, in das Jenseits hinausschleudert und verbannt: Der Christus geht, indem er stirbt, geraden Wegs auf die Erde zu. Das Blut strömt aus seinen Wunden, seine Seele geht mit. Mit dem Blut aus den Wunden des Gekreuzigten strömt seine Seele über den Leib der Erde. Wenn sonst ein Mensch sein Blut verströmt, so gehen das Blut und die Seele umgekehrte Wege. Hier geht die Seele mit dem Blut. Und dann wird der Leib in das Grab versenkt. Die Erde tut sich im Erdbeben auf und nimmt den Leib des Christus in sich hinein; die Seele geht mit dem Leibe. Wenn sonst 154

d. h. den Abendmahlssaal.

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ein abgelegter Menschenleib ins Grab versenkt wird, so gehen Leib und Seele umgekehrte Wege. Hier geht die Seele den gleichen Weg auf die Erde zu. Das ist das große kosmische Liebesopfer, das der Christus für alles Erdendasein vollbringen darf, weil ihn der Tod nicht mehr daran hindern kann. Die Erde empfängt Leib und Blut Christi. Sie empfängt die große Kommunion, weil der Tod keine Macht hat über den, der am Kreuze stirbt. Damit ist allem Erdendasein ein Ferment einverleibt, die Arznei der Durchgeistigung alles irdisch-materiellen Daseins. [31] In diesen drei Verklärungsszenen des Johannesevangeliums offenbart sich uns das Wesen der Transsubstantiation, das Geheimnis der Wandlung. Wir kommen diesem Geheimnis am nächsten, wenn wir in der Meditation diesen die ätherischen unterschwelligen Bewusstseinstiefen bis in den Leib hinein erfassenden Wandlungsprozess miterleben. Es wird hierbei immer wie in einem Verbrennungsprozess etwas verzehrt, verbrannt und ausgestoßen, wodurch das Geistige in uns heller zu leuchten anfängt und seine Vollmacht über den vergänglichen Leib bestätigen kann. Immer finden diese zwei Prozesse dabei statt: ein Todesprozess und ein Akt der Auferstehung. Das „In Christo morimur“ und das „Per Spiritum Sanctum Reviviscimus“155 umschließen den Prozess der Wandlung, an den sich unmittelbar der Akt der Kommunion anschließt. „Je umfassender das Sterben“ als Umwandlungsvorgang sich abspielen kann, umso machtvoller kann der Geist in uns Wohnung nehmen.

Dem höheren Leben soll erwachsen, was aus dem niedern Sterben blüht! [32, 3. Bild] Wenn wir dies Mysterium der Wandlung, wenn auch nur ahnungsweise, begriffen haben, dann wird uns das Geschehen der Wandlungsvorgänge, die durch die Posaunenklänge ausgelöst werden, immer durchsichtiger. Was sich im Kleinen bei jeder Meditation als Wandlung vollzieht, das erfüllt sich im Großen in der Menschheitsentwicklung. Auch hier spielen sich zwei sich durchdringende Prozesse ab, ein geistiger, der von oben kommt und das Irdische durchdringt, und ein irdischer, der vom Geistigen verzehrt wird oder ins Geistige sich verwandelt, je nach seiner Beschaffenheit und Haltung, die das Vergängliche dem Unvergänglichen bereitet. Man kann, was in der Meditation bei der dritten Stufe der Transsubstantiation geschieht, auch mit den Worten umreißen: Die Seele soll Geist werden. Und alles, was diesem Vergeistigungsprozess sich widersetzt, muss verbrannt und ausgeschieden werden. Auch in der Meditation können diese beiden Prozesse erlebt werden, der eine, der als ein geistiger Strom von oben gnadenvoll unsere Seele ergreift und durchströmt – als objektives Weben, das uns immer stärker durchflutet –, der andere der im Miteinbezug in diesen geistigen Strom den Widerstand des Leibes und der Seele schmerzhaft zum Bewusstsein bringt. Die Seele wird Geist, wird transformiert und muss diese Transformation durchkosten! Haben wir dies als urbildhaftes Geschehen der Transformation und Wandlung verstanden, so werden die imaginativen Bilder, die die Posaunenklänge hervorrufen, durchsichtig. Wie schon bemerkt, offenbart sich das inner-geistige Geschehen als eigentliches Mysterium der Wandlung nicht in diesen Bildern. Sie stellen nur Projektionen dar, auf einen Bildschirm geworfen, hinter dem sich das eigentliche Geschehen im rein Geistigen vollzieht. Dies kann 155

Mantras der Rosenkreuzer: In Christo morimur „in Christus sterben wir“, per Spiritum Sanctum reviviscimus „durch den Heiligen Geist auferstehen wir“.

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nur mit dem Ich erlebt, nachgeschaffen und ahnend zum Bewusstsein gebracht werden. Spielt sich doch alles hier in der Sphäre der Inspiration, in der Devachanwelt ab. Aber der Apokalyptiker verkündet ja gleich zu Beginn seines Werkes, dass er nicht nur seine Offenbarungen beschreibt, sondern dass er sie auch deuten will – womit schon auf die Sphäre der Inspiration hingewiesen ist. Er bringt seine Offenbarung in Bildern und im Worte. Damit können wir uns bis zur intuitiven Sphäre erheben: Dies ist die Offenbarung (oder Erscheinung) Jesu Christi, wie ihn die göttliche Welt uns zeigt. Denen, die ihm ergeben sind, soll gezeigt werden, was in der sich zusammendrängenden Zeit geschieht und was mit schnellen Schritten herankommt. Diese Offenbarung hat er in Zeichen gesetzt und gedeutet und durch seinen Engel an seinen Diener Johannes geschickt. Dieser hat bekräftigt Gottes Wort, sowie auch die Erscheinung Jesu Christi, wie er sie gesehen. Das, was er im Briefe von Gott empfangen hat, und das, was er gesehen hat, das will er dem Menschen geben. (Off. 1, 12) Mit diesem Eingangswort wird schon auf die beiden Fähigkeiten als Quellen der Wahrheit hingewiesen, auf die Erscheinung (Offenbarung) und auf das Verständnis durch das Wort (Inspiration). Vom kosmischen Aspekt haben wir uns den Vorgang der Erden-Transsubstantiation als einen übersinnlich-geistigen Wandlungsprozess vorzustellen, der vom GeistigÜbersinnlichen aus die ätherisch-astralische Erde immer mehr durchdringt, bis auch die mineralische Erdenschicht davon erfasst wird. Dieser Wandlungsakt beginnt in dem Augenblick, als das Blut aus den Wunden des Erlösers die Erde auf Golgatha berührt. Hier setzt bereits im Astralisch-Geistigen der Transsubstantiations-Vorgang der Erde und Menschheit ein. Er verstärkt sich in dem Maße, wie die Menschen bewusst auch daran teilnehmen und ihn dadurch unterstützen. Daraus ergibt sich, wie durch das Christusblut die Erdschichten transformiert, das heißt vergeistigt werden, andererseits kommt aber dadurch die übersinnliche Welt an die materielle Welt immer dichter heran und durchbricht die Wolken des Sinnen-Seins – wie es in der kleinen Apokalypse der synoptischen Evangelien bei der Wiederkunft des Christus im Ätherischen heißt: Und alsdann werden sie sehen des Menschen Sohn kommen in der Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. (Lk. 2, 27) Da, wo beide Sphären, die von oben aus dem Übersinnlichen herabkommt und die von unten aus der Menschenwelt emporsteigt, sich berühren, entsteht ein Wirbel, ein Kampf, der zur Krise und zur objektiven Scheidung der Geister führt. Etwas ähnliches spielte sich bereits im 2. vorchristlichen Jahrtausend, im Zeitalter des Moses, bei den ägyptischen Plagen ab, wo das Licht der Christuserscheinung sich bereits vorverkündete, wie „im brennenden Dornbusch“, aus dem die Stimme erklang: „Ich bin der Ich-Bin.“ (1. Mose 3, 14). In den ägyptischen Plagen lebt eine Vorausnahme des apokalyptischen Geschehens. Wir haben es hierbei mit dem Gegenbild der apokalyptischen Vorgänge zu tun. Bei den ägyptischen Plagen handelt es sich um den Inkarnationsprozess, den die Menschheit am Anfang des Kali-Yuga 156 in furchterfüllten Bildern erlebte, als sie in 156

Alt-indisch für das „Zeitalter der [Göttin] Kali“, das „finstere Zeitalter“ zwischen ca. 3102 v. Chr. (nach hinduistischer Tradition beim Tode Krishnas) und 1899 n. Chr., an dessen Beginn die Reste des alten Hellsehens für die allermeisten Menschen schlagartig erloschen sind. Während des Kali-

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die eigene Leiblichkeit tiefer hinabsteigen und sich damit abschließen musste von der geistigen Welt, während die Prüfungen in der Apokalypse einen Exkarnationsvorgang darstellen. Der Mensch muss sich nach Beendigung des Kali-Yuga wieder befreien und lösen von seinen physischen Leibeshüllen, um im Ätherischen, Astralischen und zuletzt wieder im Geistigen leben zu können. Der eigentliche Beginn des „finsteren Zeitalters“ wird um 3000 vor Christus angesetzt, er fällt zusammen mit der Flutsage des Deukalion 157, die sich nicht auf die atlantische Flut bezieht, sondern auf das innere Erleben des Kali-Yuga in der assyrisch-babylonischägyptischen Kulturepoche. Als eine Flut, die über das noch hellseherische Bewusstsein hereinbrach und die alle hellseherische Verbundenheit mit der geistigen Welt zum Verlöschen brachte, wurde der Beginn des finsteren Zeitalters erlebt, der fünf Jahrtausende die Menschheit von dem unmittelbaren Erleben der geistig-göttlichen Welten abgeschnitten hat. Im babylonischen Gilgamesch-Epos kommt diese Menschheitsprüfung dadurch zum Ausdruck, dass Gilgamesch, der Begründer der babylonisch-chaldäischen Kultur und König der Stadt Uruk (biblisch Erech), die volle Einweihung nicht mehr erringen konnte, sondern nur ein Surrogat der ehemaligen Einweihung von dem Priester Utnapishtim erhält (vgl. das Drama „Gilgamesch“ mit dem Vorwort vom Verfasser). Was damals um 3000 vor unserer Zeitrechnung als Flutkatastrophe und Bewusstseinsverfinsterung erlebt wurde und im Gilgamesch-Epos sich spiegelt, das findet seinen späteren Niederschlag in jenen Ereignissen, die zur Moseszeit im Jahre 1325 v. Chr. zur Loslösung des hebräischen Volkes aus der dekadent gewordenen 3. nachatlantischen Kultur führen und in den sogenannten „ägyptischen Plagen“ einen imaginativen Ausdruck gefunden haben. Da wir heute in gewisser Beziehung in einer Spiegelung 158 der vorchristlichen Kulturen leben, so können wir auch für unsere Gegenwart und Zukunft manches lernen aus diesen Geschehnissen, die sich als Folge des hereinbrechenden KaliYuga abgespielt haben. Moses empfängt bekanntlich den Auftrag, sein Volk nach Palästina zurückzuführen, aus dem es durch Josephs Träume nach Ägypten kam. Man kann sich fragen: Warum verließ es denn überhaupt das gelobte Land? Nicht nur die drohende äußere Hungersnot veranlasste diesen Zug nach Westen, wo die Getreidespeicher noch voll Korn standen, sondern vor allem die Gefahr der inneren Vertrocknung. Denn dies ist ja das Eigentümliche der Mission des althebräischen Volkes: Alle alten Hellseherquellen zum Versiegen zu bringen, sodass selbst Joseph, der noch hellsichtige Träume hat, ausgestoßen wird. Damit musste freilich dies Volk an einen toten Punkt gelangen: Denn indem die Hellseherkräfte in innere organbildende Denkkräfte umgewandelt werden, wird das Tor zur geistigen Welt vollends geschlossen.

Yuga konnte das Schauen der übersinnlichen Welt nur durch Einweihung an einer Mysterienstätte erlangt werden. 157 Das Eherne Zeitalter wollte Zeus durch eine große Flut beenden. Prometheus befahl daraufhin seinem Sohn Deukalion, einen „Kasten“ (hebräisch: Arche) zu bauen. So überlebten nur Deukalion und seine Frau die Flut. (Vgl. Apollodor und Hesiod.) 158 Die vierte als die mittlere der sieben nachatlantischen Kulturperioden gilt als Spiegelungspunkt; was also beispielsweise in der dritten Kulturperiode geschehen ist, wird in der fünften fortgesetzt.

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Wie aber kann es auf dem langen Wege, der ihm noch bis zur Wende der Zeiten 159 bevorstand – fast 2000 Jahre, da Joseph um 1750 nach Ägypten kam –, einen Kontakt mit den göttlichen Welten unterhalten, wo doch das Gehirnbewusstsein nur noch, als logischmathematisches Weltbild, den Widerschein eines Göttlichen gibt, aber keine unmittelbaren Imaginationen und Inspirationen durchlässt? Diese Frage wird durch den Zug nach Ägypten beantwortet: In den 400 Jahren seines ägyptischen Exils soll es von außen aufnehmen, wozu es selbst aus dem Inneren keinen Zugang mehr besitzt. So erhält das logisch-mathematische Weltbild „Farbe und Frische“ durch die Sternenweisheit der Hermes-Mysterien 160, auch wenn der Zugang zu diesen ihm versagt bleibt. Im Grunde ist ja mit dieser Mission die spätere Tragik des jüdischen Volkes eng verknüpft, die sich in der immer mehr überhand nehmenden Verhärtung des mondenhaften Intellektes äußert, der sich dann hemmend vor die Sonne der geistigen Welt stellt. Dadurch muss die Gabe des Ich-Bewusstseins, die es vorbereitend der Menschheit zu geben hatte, ihm selbst zum Verderb werden, wenn das intellektuelle Bewusstsein nicht Mittel, sondern Selbstzweck wird.161 Und darin sehen wir im wesentlichen auch die Tragik der ganzen abendländischen Menschheit, die die Gabe der Sonne – zu deren Empfang der mondhafte Intellekt nur die Schale bildet – zurückweist, da sie immer mehr in dem „logischmathematischen“ Weltbilde erstarrt. In diesem aber kann nicht der Christusgeist, sondern nur Jahwe gefunden werden! Bei dieser Herauslösung aus dem seinem Verfall entgegengehenden ägyptischen Volke, dessen „Himmelsstier“ in die Skorpionkräfte gestürzt ist – trotz aller äußerlichen Machtentfaltung, die um die Mitte des 2. Jahrtausends Thutmosis III. zum gefürchteten Herrscher über ganz Klein-Asien gemacht hat – vollziehen sich die sogenannten 10 Plagen. Dabei wird man den Auszug der Kinder Israel, die nun reif geworden sind, um Träger des neuen Impulses zu werden, um das Jahr 1325 v. Chr. setzen müssen, unter dem Pharao Horemheb, der als militärischer Diktator überall das Alte und Traditionelle wieder einsetzt und befestigt, das kurz zuvor unter Echnaton (Amenhotep IV.) dem alleinigen Kultus des Sonnengeistes Aton geopfert worden war. Will man diese Plagen nicht einfach als Künste niederer Magie bewerten, so muss der tiefere Sinn gesucht werden, der sich hinter diesen „Zeichen und Wundern“ verbirgt. Zunächst ist es bedeutungsvoll, in welcher Art diese Plagen eingeleitet werden. Dies geschieht durch die zwei bzw. drei Zeichen, die zunächst Moses durch Jahwe selber vorgeführt werden, wobei das dritte Zeichen im späteren Verlauf zugleich als die erste Plage erscheint. – Interessant ist hieran, wie diese „Zeichen“ in der Tat in derselben Art zu bewerten sind, wie die späteren Zeichen des Johannesevangeliums: Man muss sie in der bildhaft-imaginativen Sphäre aufsuchen, um sie zu verstehen. d. h. Christi Geburt. Der von den Griechen so genannte Hermes Trismegistos war Begründer und Lehrer der ägyptischen Kultur, vgl.: Den aber, in welchem die Ägypter sozusagen alle ursprüngliche Größe jener alten hellseherischen Weisheit sahen, nannten sie „ihren großen Weisen“, den „alten Hermes“. Als dann in einer späteren Zeit wieder ein Erneuerer der altägyptischen Weisheit kam, nannte er sich ... nach einem alten Brauch der ägyptischen Weisen wieder Hermes... Doch im Grunde genommen nannte ihn nur der Grieche Hermes, bei den Ägyptern hatte er den Namen Thoth. [GA 60, S. 351] 161 Vgl. ein Zitat König Salomos: Verlass dich auf Jahwe von ganzem Herzen und verlass dich nicht auf deinen 159 160

Verstand. (Sprüche 3,5)

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Um folgende drei Zeichen handelt es sich also zunächst (Moses, 4,2-9):  1. Zeichen: Der Stab des Moses, der durch Jahwe zunächst in eine Schlange verwandelt wird, verwandelt sich zum Stabe zurück.  2. Zeichen: Auf Jahwes Geheiß steckt Moses seine Hand in die Brust: Sie wird weiß, wie die eines Aussätzigen, dann – durch abermaliges An-die-Brust-Führen – wieder gesund.  3. Zeichen: Das Wasser wird in Blut verwandelt. (Dies ist zugleich die erste „Plage“). Prüft man nun etwas genauer dieses vierte Kapitel, an dessen Beginn die ersten Zeichen beschrieben werden, um am Ende dem israelitischen Volk durch Moses vorgeführt zu werden, wodurch dieser sich das Vertrauen des Volkes erwirbt, so findet man in der Mitte desselben Kapitels ein Rätsel, bei dem man sich unwillkürlich fragen muss: Welcher Mensch kann hiermit überhaupt einen Sinn verbinden? Lassen wir zunächst die Beschreibung dieses „Rätsels“ hier folgen: Und Jahwe sprach zu Moses: „... Und du sollst [zum Pharao] sagen: ‚So spricht Jahwe, Israel ist mein erstgeborener Sohn, und ich gebiete dir, dass du meinen Sohn ziehen lässt, dass er mir diene. Wirst du dich des weigern, so will ich deinen erstgeborenen Sohn erwürgen.’“ Und als Moses unterwegs in der Herberge weilte, kam ihm der Herr entgegen und wollte ihn töten. Da nahm Zippora einen Stein und beschnitt ihrem Sohn die Vorhaut und rührte ihm seine Füße an und sprach: „Du bist mir ein Blutbräutigam.“ Da ließ [Jahwe] von ihm ab. Sie sprach aber Blutbräutigam um der Beschneidung willen. (2. Mose 4, 2125) Man muss hier fragen: Warum tritt Jahwe dem Moses als feindliche Macht entgegen, die ihn „töten“ will? Wir verstehen das Ganze nur, wenn wir uns einen sachgemäßen Begriff von dem mehrmals genannten Begriff des „Erstgeborenen“ verschaffen. Am Anfang der Generationenlinie, die die Jahwe-Mission zur Erfüllung bringen soll, steht das Isaak-Opfer. 162 Wäre Isaak wirklich geopfert worden, so wäre damit die ganze Generationsreihe, die von Abraham abstammt, ausgelöscht und wieder ins Übersinnliche zurückgeholt worden. Daher verwandelt Jahwe das physische Opfer in ein geistiges, es ist auch eine Art „Beschneidung“, die mit Isaak vorgenommen wird. Die Reste des alten Hellsehens, die in der Form des „Widders“ – der zweiblättrigen Lotosblüte an der Stirn – bei Isaak noch vorhanden waren, mussten geopfert werden. Dieses Opfer wiederholt sich nun durch die ganze Generationenreihe: Nicht nur Esau, schon Kain, werden als die eigentlichen rechtmäßigen erstgeborenen Erben geopfert, da sie noch Reste des Alten tragen, ebenso Haran, Ismael, Ruben und andere mehr. Darin zeigt sich uns erst der volle Sinn dieser an das Blut gebundenen Volksmission: Das Natürliche, wie es sich von unten durch die Generation fortpflanzt, muss stets wieder ergänzt und geheiligt werden von oben, damit das Volk wirklich seine große Aufgabe erfüllen kann – dem „Ich-Bin“ 163 ein Leibes- und Bewusstseinsgefäß zu erbauen. Darum 162

163

Und [Jahwe] sprach [zu Abraham]: „Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und gehe hin in das Land Moria und opfere ihn daselbst zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.“... Und als sie kamen an die Stätte, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham daselbst einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete. – Da rief ihm der Engel Jahwes vom Himmel und sprach: „Abraham! Abraham!“ Er antwortete: „Hier bin ich.“ [Der Engel] sprach: „Lege deine Hand nicht an den Knaben und tue ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.“ (1. Moses 22,2-12)

1. Moses 3,14.

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muss das bloß Natürliche durch den Geist korrigiert und ergänzt werden. – Das ist ja auch der Sinn der Beschneidung, die bloß natürlichen Fortpflanzungskräfte des ätherischen Leibes, wie sie zum Beispiel in den babylonischen Ischtar-Mysterien in orgiastischen Ekstasen zum Überwuchern der dumpfen Hellseherkräfte führten, dem Geistprinzip unterzuordnen, wie es durch Jahwe vertreten wurde. So wird alles Überwuchern der ätherischen Lebenskräfte „beschnitten“, damit es sich nach innen wenden kann. Das Sexuelle wird geheiligt und in den Dienst der Volksmission gestellt. Das ist die geistige Ehe mit dem Blut – der „Blutbräutigam“, da das Blut ja der Träger des Geistes werden soll! So kann erst durch die Beschneidung, in der der Erstgeborene stets wieder von oben bestätigt und geheiligt wird, am Ende der Generationenreihe der „eingeborene Sohn“ in diesem Volke sich inkarnieren. Dies letzte große Opfer ist nur möglich durch die vielen kleinen Opfer. Aus diesem Grunde wird ja hier auch das ganze Volk der „erstgeborene Sohn“ von Jahwe genannt, das des Vaters Sendung erfüllen soll! Von diesem Gesichtspunkt erst wird uns aufgehen, warum Moses hier tödliche Wirkungen durch den Jahwe-Geist empfängt, den er ja in sich aufgenommen hat. Erinnern wir uns noch einmal daran, wie das rein geistige Ich zu groß ist, um sich ganz in dem Leib des Menschen zu inkarnieren. Doch nicht nur dies: Die Sagen von Siegfried und Achill, die an der Ferse und Schulter die verwundbaren Stellen tragen, deuten auf das Geheimnis des Geistigen hin, das den Menschenleib verwunden und zerbrechen musste, wenn es unmittelbar in ihn einziehen würde. Stirbt doch auch der Jüngling in dem Märchen von Goethe durch die schöne Lilie! Hier enthüllt sich uns ein tiefes Gesetz. Das Geistige in seiner reinen unmittelbaren Wirkensart muss den durch luziferische Kräfte geschwächten Menschen töten, wenn er ihm unvorbereitet naht. Aus keinem anderen Grunde erscheint auch der Leib des Jesus von Nazareth, am Ende der dreijährigen Christuswirksamkeit in ihm, von fünf Wunden tödlich getroffen. Auch wenn die Kreuzigung nicht stattgefunden hätte, so hätte nach dem „Weltenkarma“ dieser Leib doch unter dem machtvollen Einfluss des kosmischen ChristusIch zerbrechen müssen.164 Von einem anderen Gesichtspunkt kann man auch sagen: Um überhaupt Bewusstseinsprozesse im Menschen zu entfalten, müssen Sterbeprozesse die Lebenskräfte des Leibes abbauen. Diese Sterbekräfte bilden sozusagen das Tor, wodurch das Geistige in uns einziehen kann. Als dies Tor kann man die Beschneidung für die damaligen Zeiten ansehen. Es ist die Umwandlung der bloß nach außen wirkenden ätherischen Kräfte. Daher muss Moses, der Träger dieser Ich-Kräfte, im besonderen Maße die Wirkung dieser Kräfte an sich erleben. Er ist zum Heimatlosen aufgestiegen in dem 40jährigen Exil im Lande Midian, wo er zum „Fremdling“ wird (2. Mose 2,22), um sich geistig auf höherer Stufe mit den Jahwe-Kräften zu vereinigen. Doch er muss das Opfer der „Erstgeburt“ erst ganz in sich vollziehen, damit diese Kräfte ihm zu segensvollen werden können.

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Stünde nun ein Mensch vor uns und könnte es durch irgendwelche Weltenmächte bewirkt werden, dass das gewöhnliche Ich von diesem Menschen entfernt würde ... und man könnte dann in die drei Leiber ein solches Ich bringen, das im Zusammenhange wirkt mit den geistigen Welten, – was würde mit einem solchen Menschen geschehen müssen? ... Es müsste etwas geschehen durch das Weltenkarma, dass das Geisteswesen, das mit den höheren Welten zusammenhängt, nicht länger als drei Jahre in diesem Leibe leben könnte. Erst am Ende aller Erdenleben wird der Mensch das in sich haben können, was ihn länger als drei Jahre mit jenem Geisteswesen leben lässt. [GA 15]

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Was sich äußerlich hier abspielt – die Beschneidung seines Sohnes, der ja „seinen“ Namen, Gerschom („der Heimatlose“), trägt –, kann als innerer Seelenvorgang angesehen werden. Erst nach diesem Gottesopfer vermag er die Gotteskräfte zu ertragen! Darauf weist im Besonderen das zweite Zeichen, das im Grunde nur für Moses gegeben wird, da er es auch vor dem Pharao nicht wiederholt. Moses soll zunächst das Geheimnis jener Kräfte, zu deren Träger er ausersehen ist, am eigenen Leibe kennen lernen. Sie können schädigend, ja tötend auftreten, doch auch die Genesung bringen. Das ist in dem Zeichen der aussätzigen und wieder genesenden Hand ausgedrückt. Beide Male sind es dieselben Kräfte; alles hängt von der Einstellung ab, mit der der Menschen ihnen begegnet! Darauf beruht ja die ganze Tragödie des ägyptischen Volkes. Was dem israelischen Volke zum Heile wird, wird ihm zum Untergang. Dies Geheimnis kommt ja am deutlichsten und auch erschütterndsten in der Abendmahlszene zum Ausdruck, wo Judas, nachdem ihm der Christus den Bissen gegeben und er die Kommunion empfangen hat, von ahrimanischen Kräften besessen wird. Dies zeigt uns, wie selbst das Höchste – in diesem Falle die Verbindung mit dem Christus – zu unserem Untergang werden kann, wenn wir unvorbereitet oder mit schlechten Kräften ihm nahen. Dann führt das Gute gerade umso schneller die Entscheidung herbei. Dies Mysterium, denn ein solches ist es, enthüllt uns auch die Tragik unserer Zeit, wie wir noch sehen werden. Und auch wir werden die Gegenwart erst verstehen können, wenn wir sie so betrachten lernen. Hier, in Ägypten, wird die Entscheidung durch das Ich herausgefordert, wie es sich, durch den Jahwe-Geist gespiegelt, als neue Menschheitsmorgenröte offenbart. Und es wird uns noch besonders gesagt, wie diese Entscheidung durch Moses bewirkt wird: „Siehe, ich habe dich zu einem Gott gesetzt über Pharao und Aaron, dein Bruder soll dein Prophet sein!“ (2. Moses 7,1) Besser könnte man hier sagen: „Siehe, der Ich-Bin hat dir die Macht dieses Ich verliehen, das über den Pharao zum Richter gesetzt ist, um die Entscheidung zu bewirken, und Aaron, dein Bruder, soll der Vollstrecker dieser Entscheidung werden!“ Von diesem Worte aus können wir die Zeichen und Wunder, die sich nun vollziehen, als Geist-Entscheidungen ansehen, die durch die Morgenröte des Ich selbst bewirkt werden, das seinen Einzug in die Menschheit voraus verkündigt. Das erste Zeichen, das sich dann vor dem Pharao vollzieht, ist das Schlangenwunder. Gerade bei diesem Zeichen ist man versucht, sich jener Träume zu erinnern, die ein Vorgänger dieses Pharaos hatte, und welche durch Joseph gedeutet wurden. Die ganze Tragik der Zeitenwende besteht im Grunde darin, dass dieser Pharao, Horemheb, keine Träume mehr hat und schon so vertrocknet ist, dass er selbst die Zeichen, die sich in der imaginativen Traumsphäre vor ihm abspielen (durch die sie deutlich auf eine höhere Wirklichkeit deuten), nicht mehr begreift! So wie (damals in dem Traum, den Joseph gedeutet hatte) die sieben fetten Ähren von den sieben mageren und die sieben fetten Kühen von den sieben mageren verschlungen werden, so hier die Schlangen der anderen Hermes-Priester, die Moses das Wunder nachmachen von der Schlange des Moses! (2. Moses 7, 1112) Doch die Situation hat sich geändert. Während den sieben fetten Kühen, die noch aus den alten Kräften des Himmelsstieres genährt waren, die sieben mageren gegenüberstehen, die die Hungerszeit ankündigen, steht hier der alten Hermes-Weisheit die neue gegenüber, die 114

den Ich-Impuls aufgenommen hat! Und man kann sagen: Was dem ersten Pharao vor 400 Jahren träumte, das ist hier um eine Stufe tiefer Realität geworden. Durch dieses Zeichen wird ja der ganze Sinn der Ereignisse, wie sie sich in den Plagen vollziehen, ausgesprochen. Man versteht ihn, wenn man die Bedeutung des Schlangensymbols wieder begreifen lernt, das ja in allen orientalischen Mysterienstätten als das Symbol der Weisheit und Erkenntnis verehrt wurde. Darum wurden die Weisheitsträger auch „Schlangen“ oder die „Söhne der Schlange“ genannt, wie Johannes der Täufer die Pharisäer zum Beispiel anredet (nicht „Otterngezücht“, wie Luther es übersetzt). Hiermit hängt der eigentliche Erkenntnisvorgang der älteren Zeiten zusammen, wie ihn Rudolf Steiner einmal schilderte. Da der Ätherleib noch nicht eine Einheit bildete mit dem physischen Leib, sondern oben und unten herausragte, vermochte der Mensch noch auf der alten Atlantis die geistige Struktur der Erde und seiner Umwelt zu erleben. In übersinnlicher Art „ertastete“ er, was geistig um ihn vorging. Dadurch fühlte er sich in gewisser Beziehung eins mit den geistigen Kräften seiner Umwelt, wie es heute noch bei den niederen Tieren der Fall ist. – Solche Menschen, bei denen dies besonders stark ausgeprägt war, nannte man „Schlangen“, da sie eine Art Schlangenfortsatz mit dem aus ihnen herausragenden Ätherleib bildeten. Diese alte Art des Erkennens, die ja im Grunde zurückgeht auf das Essen vom Baume der Erkenntnis 165, musste zu Ende gehen, da sich immer stärker die damit verbundenen Schattenseiten geltend machten. Daher tritt ja auch Krishna der Schlange Kali den Kopf ein und setzt anstelle der alten Schlangen-Erkenntnis den Yogaweg, um durch Ausbildung des weisheitserfüllten Denkens einen neuen Weg anzubahnen. Von diesem Hintergrunde aus wird das Symbol, wie es Moses dem Pharao zur Warnung zeigt, etwas Gewaltiges! Nichts anderes spielt sich hier vor den Augen des „blinden“ Pharao ab als die Umkehr der alten Mysterien-Erkenntnis in die neue Erkenntnisrichtung, die an das Ich gebunden ist! – Moses packt die Schlange am Kopf und richtet sie nach oben, da wird sie zum Stab des Ich, zur neuen Erkenntniskraft, die nun nicht mehr vom unteren Menschen ausgeht, wo auch die Triebe beheimatet sind (dem Solarplexus), sondern vom Kopf- und Bewusstseinspol aus, in den das Ich hineinkraftet! – Dies ist das Gewaltige hieran, wie in diesem Zeichen der Sinn der Zeitenwende in einem laut sprechenden Zeichen vor dem Pharao aufgerichtet wird. Es ist die Umkehr der menschlichen Erkenntnis- und Bewusstseinskräfte vom alten, an das Blut des jeweiligen Volkes gebundenen Hellsehen zur Ich durchdrungenen Hauptesweisheit. Noch deutlicher kommt dies ja in der Bibel bei der Wüstenwanderung zum Vorschein, wo Moses die „eherne Schlange“ aufrichtet, den Merkurstab, durch welchen das Volk von den „Schlangenbissen“ geheilt wird, die es durch seinen Rückfall in die atavistischen Kräfte Ägyptens zu erleiden hat. Auch hier wird uns, wenn auch in anderer Art, der große Einschnitt des Kali-Yuga gezeigt. Und abermals steht Moses, der Fortsetzer der AbrahamAufgabe, einem Nimrod166 entgegen: Denn wie dieser, so will auch der Pharao Ägyptens nur „Ägypter“ sein, das heißt, er will das Alte seines Volkes und der Überlieferungen nicht umwandeln im Sinne der neuen Zeit, die lang schon hereingebrochen ist. Das zeigt sich im Besonderen noch darin, dass er die Hermes-Priester aufruft, die er auffordert, das gleiche zu tun. Dadurch aber geht er gerade an dem Wesentlichsten vorbei. Die magischen Kräfte, welche die Hermes-Priester besitzen, werden hier zu bloßen Zauberkunststücken, die ja 165 166

Siehe 1. Moses 3 – Luzifer in Gestalt einer Schlange! Urenkel Noahs, vgl. 1. Moses 10, 810 und 1. Chronik 1,10.

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damals schon in den Dienst rein egoistischer Zwecke gestellt wurden. Daher werden sie in der Bibel auch einfach „Zauberer“ genannt, da sie ihr wahres Priestertum verloren haben! – Hier zeigt sich gerade der tiefe Fall der ursprünglichen Hermes-Mysterien. War Hermes doch der gleiche, den die Römer Merkur nannten. Der tiefere Sinn ihrer Mysterien ist diesen Priestern entfallen. Dieses Zeichen aber ist im Grunde auch heute wieder sehr aktuell geworden. Wir können in ihm das drohende Sich-Gegenüberstehen alter östlicher Weisheit, die diese „Zeitenwende“ noch nicht vollzogen hat, und der Aufgaben des Abendlandes erblicken. Und mehr noch: alles, was sich heute wehrt, das Licht des Hauptes mit dem ChristusImpuls zu verbinden und sich dem alten Blutesfeuer (auch im Abendlande selber) in die Arme wirft, steht in diesem Zeichen, das an der Pforte Europas aufgerichtet wurde, vor unserer Seele! Da das Abendland, obwohl es unbewusst durch zwei Jahrtausende das IchErleben suchte und zur Ausbildung in seiner Kultur und Zivilisation gebracht hat, dennoch bis heute kein tieferes Bewusstsein von dieser Aufgabe besitzt, droht es immer mehr jenem „Urfeuer“ zum Opfer zu fallen, das aus atavistischen Trieben wild auflodert. Hier hilft nur ein Verständnis der Aufgabe des Abendlandes, wie sie an dessen Schwelle Moses im Zeichen des Merkurstabes hingestellt hat. (Vgl. Paul Ludwig: „Zweierlei Flamme“.) Der Kenner orientalischer Weisheit weiß, wie tief dies Problem mit der orientalischen Mysterienkultur zusammenhängt. In Indien spricht man vom Kundalinifeuer, das im unteren Menschen brennt und das dem alten Hellsehen als Schlange erscheint. Diese Schlange war solange tückisch und gefährlich, wie sie noch nicht aus ihrem Schlummer geweckt und gebändigt wurde. Im Yoga-Weg haben wir eine erste Hinorientierung auf die neue Erkenntnisrichtung angebahnt, die das Schlangenfeuer Kundalinis emporzuläutern bestrebt war. Freilich konnte sie ihr eigentliches Ziel noch nicht erreichen, da erst der Christus-Impuls die volle Ich-Besonnenheit mit sich brachte. Doch wusste man, wie ohne eine vorhergehende Läuterung der Mensch schwarzmagischen Kräften anheim fallen konnte, wenn er das Kundalinifeuer direkt erweckte. Es ist bedeutsam, den alten Weg des indischen Yoga mit dem neuen zu vergleichen, wie er in Rudolf Steiners Buch „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“ für die Gegenwart und Zukunft gegeben wurde. Beginnt dieser Erkenntnisweg vom Denken und der Ich-Besonnenheit, die er vertieft und erstarkt, so jener alte beim unteren Menschen, wo das Nabel- und Sakral-Chakra zunächst ausgebildet wurden. Diese ganze untere Sphäre im Menschen hängt zusammen mit dem „Urfeuer des Saturn“, das der Inder unter dem Namen Agni verehrte; es ist dasselbe, was der Blutwärme zugrunde liegt. Darauf führte der Yoga-Weg zur Erweckung des Kundalini-Feuers im mittleren Menschen, wo es die Erkenntnis-Organe der Sonnensphäre zum Leben brachte, die sich als „tönendes Leben“ kundgaben. Und endlich, zum Schluss dieses Weges erst, konnte die obere Hauptesregion als die Monden-Sphäre erweckt werden, wodurch die Vollendung dieses Weges erreicht wurde, die Vereinigung des Urfeuers mit dem Urlicht! – Das steht ja in anderer Art im Johannesevangelium in den lapidaren Worten vor uns, die zugleich die kosmische Entwicklung, wie sie der Yoga-Weg wiederholte, darstellen: Und das Leben ward das Licht der Menschen! (Joh. 1,4) Derjenige, der den neuen Erkenntnisweg kennt, weiß, wie dieser Weg gerade in der umgekehrten Richtung gegangen werden muss, indem zuerst die sogenannte 116

„zweiblättrige Lotosblume“ an der Nasenwurzel als Bewusstseinszentrum des Hauptes ausgebildet wird, um erst dann in die ätherischen Bildekräfte der „Sonnensphäre“ hinabzutauchen, wo zum Licht das Leben hinzutritt. So können wir sagen: Die atavistisch in den Blutstrieben glühende Urflamme muss heute in den Dienst des Christus-Lichtes gestellt werden. Erst wenn sie vom Ich-Bewusstsein geläutert und in seinen Dienst gestellt wird, kann dieses Feuer nicht mehr schaden, sollte es der Mensch auf seinem höheren Pfade neu erwecken. Unmittelbar geweckt muss es die größten Zerstörungen hervorrufen. Kosmologisch gesehen begann der alte Orientale vom Saturn-Feuer, um von dort zur Sonnen-Sphäre, wo das Leben wohnt, und zuletzt zum reflektieren den Monden-Licht in seinem Haupte aufzusteigen. – Der heutige Geistesschüler aber vermag das Licht des IchBewusstseins so zu verstärken, dass er schon hier die reine Flamme des Christus-Geistes finden kann, die er dann zu sonnenhaftem, wärmedurchglühtem Leben erweckt! – Darin steht die „Weltenwende“ vor uns, wie sie sich durch die Christus-Tat vollzogen hat. So wirft dies erste Zeichen sein Licht, man möchte fast sagen, über die ganze Erden- und Menschheits-Evolution; und auch heute muss es verstanden werden, um seinen tieferen Sinn zu begreifen. Wird es nicht verstanden, so geschieht das gleiche wie in den nachfolgenden „Plagen“: Das imaginative Bild, das sich noch im ätherischen Bereich abspielt, ergreift die unmittelbare physische Wirklichkeit. Doch sehen wir uns zunächst die erste und letzte der zehn Plagen an! In grandioser Weise sprechen diese, die das ganze Geschehen umrahmen, das Geheimnis der Zeitenwende aus. Was sagt die erste? Die Verwandlung des Wassers in Blut. Und die letzte? Das Sterben der Erstgeburt, was ja bei den Juden seinen Ersatz durch die Einsetzung des Passah-Opfers findet, wo bei in jeder Familie ein Lamm geschlachtet werden muss, dessen Blut an die Türpfosten gestrichen wird, damit der Todesengel an diesem Häusern vorübergeht.167 Hier also ist der Tod der Erstgeburt durch das Opferlamm ersetzt. – Welche Überraschung, ja welche Erschütterung kann sich bei uns einstellen, wenn wir nun entdecken, dass diese erste und letzte Plage, als geistige Tatsache genommen, ja das ganze Johannesevangelium umrahmt! Denn womit beginnt das Johannesevangelium? Es ist das erste Zeichen Jesu, die Verwandlung des Wassers in Wein – und das letzte, womit es abschließt, ist das Abendmahl, und was ihm folgt, der Opfertod des Christus, wo der „Eingeborene Sohn“ geopfert wird! Wir werden wahrlich bei solchen Entdeckungen die Tiefe dieser Dokumente, die ja zeitlich weit auseinanderliegen, noch mehr bewundern können, wenn wir sehen, wie eine unmittelbare Verbindung zwischen ihnen besteht. Was im Johannesevangelium durch das Wirken des Christus-Ich ins Positive gewandelt wird, das zeigt sich uns in den ägyptischen Plagen in seinen negativen Auswirkungen, die durch das Zurückstoßen dieses kosmischen Ich bewirkt werden. Aus diesem Grunde tragen diese Bilder zugleich einen apokalyptischen Charakter und stehen ebenfalls, wie wir in der folgenden Betrachtung noch sehen werden, in einer inneren Verbindung zu den Bildern der Apokalypse des 167

Und Moses sprach: „So sagt Jahwe: ‚Ich will zu Mitternacht ausgehen in Ägyptenland; und alle Erstgeburt in Ägyptenland soll sterben, von dem ersten Sohn Pharaos an, der auf seinem Stuhl sitzt, bis an den ersten Sohn der Magd, die hinter der Mühle ist, und alle Erstgeburt unter dem Vieh’ “ (2. Moses 11,4) „Und [ihr] sollt [vom Blut des fehlerlosen Lammes] nehmen und beide Pfosten der Tür und die obere Schwelle damit bestreichen an den Häusern, darin sie es essen ... Denn ich will in derselben Nacht durch Ägyptenland gehen und alle Erstgeburt schlagen in Ägyptenland, unter den Menschen und unter dem Vieh, und will meine Strafe beweisen an allen Göttern der Ägypter, ich, Jahwe.“ (2.Moses 12,7 und 12)

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Johannes. Nur handelt es sich hier um eine erste Entscheidung, die durch das heraufziehende Christus-Ich wie vorbereitend an die Seelen herantritt, dort aber um eine End-Entscheidung, die nach der Wirksamkeit dieses Ich bei allen Menschen in Erscheinung tritt. Auch die einzelnen Plagen müssen, selbst wenn sie auch ins Irdische eingreifen, imaginativ gelesen werden, um sie nicht als bloße Zauberkunststücke anzusehen. Viel wäre über jede dieser Plagen im Einzelnen zu sagen. Doch wollen wir hier, an Bekanntes anknüpfend, nur das Notwendigste zusammenstellen, um die einzelnen Bilder zu entziffern. Um das erste Bild, die Verwandlung des Wassers in Blut (2. Moses 7,14 ff.), seinem inneren Sinn nach zu verstehen, müssen wir uns an die Menschwerdung erinnern, wie sie sich in den lemurischen Zeiten vollzog. Im imaginativen Stil dieser Bilder kann man sagen: Der Mensch, der bis zu dieser Zeit noch ichlos mit den ätherischen Weltenwassern der geistigen Welt verbunden war, betritt erst langsam das feste Land. Diesem Prozess der Einkörperung in das immer dichter werdende Erdenelement geht ein innerer Prozess parallel: Es ist die beginnende Bewusstwerdung der eigenen Persönlichkeit. Dies konnte sich nur auf Grundlage des warmen, roten Blutes vollziehen. Noch heute besitzen die Reptilien kaltes Blut, weshalb sie auch keine Begierden wie die höheren Tiere entwickeln können. Erst mit der Blutwärme, bei der sich das Blut rötet, tritt ein traumhaftes Bewusstsein auf, das sich nun immer mehr in sich abzuschließen beginnt. Dieser lange Jahrtausende umspannende Prozess, der die eigentliche Ich-Werdung umfasst, drückte sich für das alte imaginative Bewusstsein in dem Bilde des sich rötenden Blutes aus. Aus den Weltenwassern des Kosmos zieht der Mensch ein in sein eigenes Haus; dadurch färbt sich das Blut aus dem Undifferenzierten des Ätherischen zum roten Lebenssaft, der der Träger des Ich wird. Dies steht in seiner positiven Seite im Bilde der Hochzeit von Kana vor uns (Joh. 2), womit ja die Zeichen (oder „Wunder“) des Christus beginnen. Was bis dahin allein aus den Gattungstrieben, die an das Volks- und Familienblut gebunden waren, möglich war, das Heraufdämmern eines ersten Persönlichkeitsbewusstseins, das wird durch den Christus auf eine höhere Stufe gebracht. Jetzt soll das Ich zu seiner eigenen individuellen Freiheit geführt werden. Dies wird noch dadurch besonders betont, dass dieses Zeichen auf einer Hochzeit sich vollzieht, welche im Lande Galiläa spielt, einem Lande, das seit der babylonischen Gefangenschaft von heidnischen Elementen bevölkert war, sodass dort schon die enge Gruppenseelenhaftigkeit auf Grundlage des gleichen Blutes durchbrochen war. Hier treten sich daher zum ersten Mal nicht blutsverwandte Menschen gegenüber wie in früheren Zeiten, sondern Menschen aus fremden Bluteskreisen. Darum kann gerade hier der Christus mit seiner Wirksamkeit beginnen. Dennoch ist auch dieses Zeichen nur ein Anfang. Der Weingenuss, wie er noch in den Dionysischen Mysterien zum Entzünden des astralischen Ich-Bewusstseins auf niederer Stufe verwandt wurde, und der dann ja durch fast 2000 Jahre in der katholischen Messe genossen worden ist, er vermag nur die niederen, leibgebundenen Ich-Kräfte anzuregen, doch er verhüllt zu gleicher Zeit die freie Schöpfermacht unseres höheren Ich. Darum schauen wir gerade durch dieses Zeichen zurück in eine ferne Vergangenheit und voraus in eine zu erahnende Zukunft, in eine Zukunft, in der die Menschen nicht mehr äußerlich angeregt werden müssen, um das Ich in sich zu erwecken. Das ist ja der Hintergrund des Christus-Wortes, das sich an die mit ihm verbundene Wesenheit der Mutter richtet: 118

„Merke auf die Kraft, o Weib, die da webet zwischen mir und dir. Denn noch ist die Stunde für das freie Schöpferwalten meines Ich nicht gekommen!“ (Joh. 2,4)168 Solche umfassenden Geheimnisse können uns durch die Schleier dieser Bildersprache aufgehen, ohne die man im Grunde weder das Alte noch das Neue Testament versteht, und damit auch nicht den Christus-Impuls. Denn dieser beginnt nicht erst mit dem Erscheinen des Christus Jesus auf der Erde, und er endet nicht mit dem Kreuzestod, sondern er wirkt durch die ganze Erdenevolution als deren geheimer Sinn, als die Kraft, die die Menschen befähigt, diesen Sinn zur Erfüllung zu bringen – nämlich sich als ein individuelles Geistwesen zu erleben, das mit den Tiefen der geistigen Welten verwurzelt ist! Es genüge uns hier, mit diesen Worten auf den Hintergrund gewiesen zu haben, der uns die 1. Plage der Ägypter verstehen lässt. Während in der Hochzeit zu Kana ein Schritt weiter in die Zukunft dieser Ich-Entwicklung getan wird, fällt die Entwicklung Ägyptens zurück – in das atavistische, gebundene Blut, das selbst dekadent geworden ist. Darum wird hier das Wasser in Blut verwandelt, das selber tödlich wirkt. Somit ist deutlich ausgesprochen, wie auch das Blut, der Träger des Ich, zu einem tödlichen Gift werden kann, wenn es nicht verwandelt wird, wenn es sich aus den alten Gebundenheiten nicht befreien will. Alle Ereignisse in Ägypten aber sagen uns, dass für diese Zeitenwende, die sich bereits ankündigt, kein Verständnis vorhanden ist. Wir können sagen: Wieviel mehr muss eine derartige Einstellung heute, 2000 Jahre nach dem Mysterium von Golgatha, zerstörerische Kräfte entfesseln! Darauf werden wir durch die Apokalypse im Besonderen noch verwiesen.

Dies zieht sich als der tiefere Sinn nun durch alle 10 Plagen hindurch: die Entscheidung, die das kommende Menschheits-Ich mit sich bringt. Was sich bei den Israeliten zum Guten wendet, wird bei den Ägyptern zum Verderb! Man kann nun in diesen zehn Plagen, wenn man sie vom Gesichtspunkte der Wesensglieder des Menschen betrachtet, eine fortdauernde Steigerung erkennen, die alle Glieder des Menschen erfasst. Es sei der Versuch gemacht, dies für alle zehn Glieder der Menschenwesenheit hier darzustellen. Dadurch ergibt sich auch ein innerer Zusammenhang, sowohl zu den zehn Geboten des Moses, als auch zum Vaterunser und den sieben Ich-Bin-Worten des Johannesevangeliums, welch letztere die ins Positive gewandelten Plagen darstellen. Die Zahl zehn, nach der hier wie auch in den Zehn Geboten alles geordnet ist, entspricht der Monden-Ordnung des althebräischen Volkes, rechnet man heute ja zum Teil noch mit den zehn Mondenmonaten bei der Schwangerschaft. Im Sephiroth 169 mit seinen zehn Gliedern sah althebräische Weisheit den Ausdruck für die zehngliedrige Menschenwesenheit. Wenn wir diese heute gewohnt sind nach sieben oder neun Gliedern zu betrachten,170 so entspricht dies dem Fortschritt in der Ich-Entwicklung, die durch den Impuls des Christus die Sonnen-Ordnung auf die Erde gebracht hat. – Von diesem Gesichtspunkt können wir sagen: Zuerst wird der physische Träger des Ich angetastet, das Blut. Es verwandelt sich in ahrimanisches Gift bei denjenigen Menschen, die sich in den

Luther übersetzt: Was gehet es mich und dich an? Meine Stunde ist noch nicht kommen. In der jüdischen Kaballa sind die zehn Sephiroth die zehn „Ausströmungen“ Gottes. 170 Siehe im Anhang den Abschnitt „Die Wesensglieder des Menschen“. 168 169

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alten Atavismen171 verhärten. Sehen doch heute viele Menschen in allem nur noch den Ödipus-Komplex ihrer Vererbungsbelastungen! Das Blut trübt ihm den Blick. Man wird auch im äußeren Leben einmal diese Wahrheit, die die Geisteswissenschaft verkündet, bestätigt finden, wie bis ins Blut hinein das geistigseelische Leben sich abdrückt und in gutem oder Verderben bringendem Sinne wirkt. Hier wird das Blut verdorben, da das Ich zurückzuckt in die dämonischen Gattungstriebe. Wendet sich das erste Wort oder die erste Plage an den physischen Träger des Ich, so die 2. Plage an den Träger der Bildekräfte im Menschen. Wenn hier von „Fröschen“ gesprochen wird, so sind vor allem, wie auch bei den „Heuschrecken“, geistig-astrale Furchteindrücke gemeint. Diese verdunkeln den Bereich der Lebenskräfte. Was pflanzlich-rein walten sollte, wird ins Tierhafte verzerrt und verdunkelt. Auch in vielen Märchen tritt ja der Frosch als Symbol der sexuellen Kräfte auf. Es handelt sich dabei um eine Verdickung und Verhärtung der flüssigen Lebenskräfte, wie sie auch bei der ahrimanischen Versuchung des Lügens eintritt. Daher gilt für diese zweite, wie auch die anschließende dritte und vierte Plage das Wort des Mephisto aus dem „Faust“, der sich selbst folgendermaßen charakterisiert:

Der Herr der Ratten und der Mäuse, der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse... [33, Verse 1514 f.] Im Grunde stammen von diesem „Gotte“ die ahrimanischen Verdunkelungen, wie sie sich besonders im Bewusstsein des Pharao zeigen. Wo im Johannesevangelium das „Licht des Lebens“ 172 die ätherischen Kräfte erhellt, da treten ahrimanische Verdunkelungen ein, die den Lebensleib zur Tierheit hinabziehen. Ähnliches vollzieht sich bei der 3. Plage: Der göttliche Odem, aus dem im Urbeginn der Mensch seine Seele durch Jahwe empfing, wird verunreinigt. Mückenschwärme setzen sich darin fest, die seine Verbindung mit der reinen Himmelsluft trüben und verpesten. (2. Moses 8,12) – Der Astralleib, der ja mit der Luft zusammenhängt, wird verunreinigt. Während die Mückenschwärme aus der Luft an ihn herantreten, steigen in der 4. Plage Schwärme von Ungeziefer aus dem Staub der Erde auf. Das Leben seiner Empfindungsseele, die als erstes Glied des bewussten Seelenlebens im Menschen sich entfaltet und ihn aus dem „Staub der Erde“ herausführen soll, wird verunreinigt und getrübt. Es wird durchsetzt von ahrimanischen Stoffgespenstern, die den Himmelsflug hemmen und verdunkeln. Bei der 5. Plage – dem Hinsterben des Viehreichtums – kann man sich fragen, welcher Zusammenhang hier zu der Verstandesseele des Menschen besteht. Jedoch: Ist es nicht gerade unsere Verstandesseele, die Erdenklugheit, die uns lehrt, die Felder zu bebauen und die Tiere zu züchten? So ist es die Frucht der Erde selber, man könnte auch sagen: die Erdenweisheit, die dem nur am Materiellen haftenden Sinne gerade verloren geht! Alles, was der Mensch durch persönliche Klugheit der Erde abgewinnen kann, geht dem 171

172

Also dem „Unzeitgemäßen“, das überwunden werden soll. Hier im Besonderen das „alte“ Hellsehen. Da redete Jesus abermals zu ihnen und sprach: „Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh. 8,12)

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ägyptischen Volke verloren, da es sich nicht im Sinne der neuen Zeit verhält, die eine neue Erdenweisheit verlangt! Jetzt tritt die Krankheit an den Menschen selber heran. Während bisher nur die Elemente getrübt und dadurch der Mensch von astralischen Schreck- und Furchtvisionen geängstet wurde, ergreift in der folgenden Plane die Krankheit den Menschen selbst, der durch schwarzen Blattern173 befallen wird. Und bezeichnenderweise durch den Aschenstaub, den Aaron über Ägypten ausstreut! Darin kommt deutlich die innere Trübung zum Ausdruck, die den Kern des Menschen, seine Bewusstseinsseele in Schleier hüllt. (2. Moses 9, 89) Diese Bewusstseinsverfinsterung steigert sich nun bis zur zehnten Plage. Dabei ist es charakteristisch, dass die ersten vier Plagen den Elementen der Erde entsteigen, also von unten den Menschen erfassen, wohingegen die letzten vier Plagen vom Himmel herunterfallen – fällt doch auch die Erstgeburt dem vom Himmel kommenden Todesengel zum Opfer. Zwischen beiden Wirkungen von unten und oben steht – die Mitte bildend – das eigentliche Innere des Menschen, die Verstandes- und die Bewusstseinsseele. In diesen beiden Gliedern drückt sich die Korrektur der Ich-Verfehlungen am deutlichsten aus, und zwar nach ihren beiden Aspekten, der luziferischen und ahrimanischen Seite. Alles, was wir an luziferischen Verfehlungen begehen, wird durch Krankheit, alles, was mit einem zu starken, ahrimanischen sich-Festklammern an das Materielle zusammenhängt, durch Verlust korrigiert. Daher finden wir hier Krankheit und Verlust bei dem eigentlichen Ich-Kern des Menschen. – In dieser Art tritt schon in der äußeren Komposition deutlich die verschiedene Kräfterichtung zu Tage, die zu einer stufenweisen Verfinsterung des Menschenwesens führt. Das kommt besonders in den letzten Plagen zum Ausdruck. In der 7. Plage fällt Hagel vom Himmel – das negative Bild des vom Himmel herniederfallenden Manna/Manas, wie es die Juden auf ihrer Wüstenwanderung über Nacht empfangen! Hier wird der Keim zum Geistselbst ausgelöscht. Ein ähnliches gilt für die 8. Plage, bei der Heuschreckenschwärme alle grünenden Bäume auffressen (2. Moses 10,5). Es ist das gleiche Bild, das später in der Apokalypse wiederkehrt. (Off. 9,3) Die sprossenden Lebenskräfte – hier die des Lebensgeistes – werden von ahrimanischen Gewalten angefressen. Und endlich senkt sich in der 9. Plage die sprichwörtlich gewordene „Ägyptische Finsternis“ drei Tage und drei Nächte über alles, den Ausblick auf die Erdenzukunft des Geistesmenschen in Nacht hüllend. Der Keim des Gottmenschen wird verfinstert. Was aber sagt uns die letzte, die 10. Plage, bei der die Erstgeburt stirbt? Sie stellt in großartigem Bilde den Einzug des kosmischen Gottes-Ich dar, wie es auf Golgatha geopfert werden sollte, während es bei den widerstrebenden Ägyptern das zwangsmäßige Opfer der Erstgeburt durch den Todesengel herbeiführt. Bedenkt man ferner, wie die Einsetzung des Passah-Lammes ja eine ständig im Jahreskreislauf sich erneuernde Erinnerung, nicht nur an den Auszug aus Ägypten, sondern zugleich an die Wiedergeburt aus den erstarrenden Todeskräften und das freiwillige Opfer für die Juden bedeutete, so begreift man, wie tief diese Zeremonien als eine Vorbereitung auf das kommende Opfer des Eingeborenen Sohnes sich in die Seelen eingraben mussten! War doch jene Nacht, wo der Todesengel herumging – es ist die gleiche wie die, in der Christus im Abendmahlshaus die Worte spricht: „Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut!“ 174 – eine geheiligte und gefürchtete, in der niemand sein Haus verließ, um nicht dem Todesengel anheimzufallen! – Daher können wir uns das Entsetzen der Jünger 173

Auch „Ostafrikanische Pocken“ genannt.

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denken, als der Christus Jesus das Haus verlässt und so sich dem Todesengel zum Opfer anbietet! Darin zeigt sich uns am grandiosesten der tiefe Sinn dieser Ereignisse, die zugleich der Schatten eines großen Lichtes sind, das seine erste Morgenröte über dem auserwählten Volk aufgehen ließ. In einem Schema können wir den Zusammenhang der zehn Plagen mit den Wesensgliedern des Menschen folgendermaßen überblicken:

174

... Denn der Herr Jesus in der Nacht, da er verraten ward, nahm das Brot, dankte und brach's und sprach: „Nehmet, esset, das ist mein Leib, der für euch gebrochen wird; solches tut zu meinem Gedächtnis.“ Desgleichen auch den Kelch nach dem Abendmahl und sprach: „Dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blut; solches tut, so oft ihr's trinket, zu meinem Gedächtnis. Denn so oft ihr von diesem Brot esset und von diesem Kelch trinket, sollt ihr des Herrn Tod verkündigen, bis dass er kommt.“ (1. Kor. 11 ff.)

122

Abb. 9: Die 10 Plagen und die Wesensglieder des Menschen

1. Plage 2. „ 3. „

Verwandlung des Wassers in Blut Auftreten der Frösche aus dem Wasser Auftreten der Mücken aus dem Luftkreis

Physischer Leib Ätherleib Astralleib

4. 5. 6.

„ „ „

Auftreten des Ungeziefers aus dem Erdenstaub Sterben des Viehreichtums Schwarze Blattern aus dem Aschenruß

Empfindungsseele Verstandesseele Bewusstseinsseele

7. 8. 9.

„ „ „

Hagel fällt vom Himmel Heuschreckenschwärme aus der Luft Verfinsterung von Sonne und Gestirnen

Geistselbst Lebensgeist Geistesmensch

10.



Sterben der Erstgeburt

Einzug des kosmischen ICH

Alle irdischen Krisen und Prüfungen sind Schattenwürfe von geistigen Entscheidungen, die sich oft lange Zeit vorher in der übersinnlichen Welt abspielen. Das wird ersichtlich aus der Engelkrise und Scheidung „der Geister der höheren Hierarchien“, die sich in der dritten nachatlantischen Kulturperiode abspielte, unter deren Folgen wir heute, in der fünften nachatlantischen Kulturperiode, stehen. Rudolf Steiner schildert diese Spaltung der Geister folgendermaßen:

Der Fortschritt, sowohl der vorwärtsführenden wie der hemmenden Wesenheiten, die zur Klasse der Engel gehören, besteht darin, dass sie bei den Ägyptern und Chaldäern durch diejenigen Eigenschaften Führer sein konnten, welche sie selber in uralten Zeiten errungen hatten, dass sie sich aber, durch ihre Führerarbeit auch weiter entwickelten. So treten die fortschreitenden Angeloi in die Leitung der fünften nachatlantischen Kulturentwickelung mit Fähigkeiten ein, welche sie sich während der dritten, der ägyptisch-chaldäischen, erworben haben. Sie eignen sich nun durch diesen ihren Fortschritt ganz besondere Fähigkeiten an. Sie machen sich nämlich geeignet, in sich Kräfte einfließen zu lassen, welche von dem wichtigsten Wesen der ganzen Erdenentwickelung ausgehen. Auf sie wirkt die Kraft Christi. Diese Kraft wirkt nämlich nicht nur durch Jesus von Nazareth auf die physische Welt, sondern sie wirkt auch in den geistigen Welten auf die übermenschlichen Wesen. Der Christus existiert nicht nur für die Erde, sondern auch für diese Wesenheiten. Dieselben Wesenheiten, welche die alte ägyptisch-chaldäische Kultur geführt haben, standen damals nicht unter der Leitung des Christus, sondern sie haben sich erst [nach] der ägyptisch-chaldäischen Zeit der Führung des Christus unterstellt. Und darin besteht ihr Fortschritt, sodass sie jetzt unsere fünfte nachatlantische Kulturperiode unter dem Einflusse des Christus leiten; sie folgen ihm in den höheren Welten. Und das Zurückbleiben derjenigen Wesenheiten, von denen gesagt worden ist, dass sie als hemmende Kräfte wirken, rührt davon her, dass diese sich nicht unterstellt haben der Führung des Christus, sodass sie unabhängig von dem Christus wirken. Daher wird immer deutlicher und deutlicher folgendes in der Kultur der Menschheit hervortreten. Es wird eine materialistische Strömung geben, die unter der Führung der zurückgebliebenen ägyptisch-chaldäischen Geister steht; sie wird einen materialistischen Charakter haben. Das meiste, was man die heutige materialistische Wissenschaft in allen Ländern nennen kann, steht unter diesem Einfluss.

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Aber daneben macht sich eine andere Strömung geltend, die darauf hinzielt, dass der Mensch bei allem, was er tut, endlich das finden wird, was man das „Christusprinzip“ nennen kann... Und so sonderbar es erscheinen mag: Künftig werden Chemiker und Physiker kommen, welche Chemie und Physik nicht so lehren, wie man sie heute lehrt unter dem Einfluss der zurückgebliebenen ägyptisch-chaldäischen Geister, sondern welche lehren werden: Die Materie ist aufgebaut in dem Sinne, wie der Christus sie nach und nach angeordnet hat! [34] Vor diesem Hintergrunde werden wir die apokalyptischen Ereignisse besser begreifen, die in den Posaunenklängen beschrieben werden. Wie wir bereits sagten, handelt es sich bei den ägyptischen Plagen um Inkarnationsvorgänge, bei denen die Menschen im Anbruch des KaliYuga in schreckensvollen Bildern das Hineinsteigen in den Leibeskerker erlebten, der ihnen als Grab erschien, das sie in Finsternis einhüllte. Heute, am Ende des KaliYuga, erlebt die Menschheit das entgegengesetzte als einen Exkarnationsprozess, wodurch die geistige Welt der ätherisch-astralischen Kräfte ihr als das Nichts, der Tod, erscheint, worin sie zu versinken fürchtet. Doch jetzt geht es hierbei nicht nur um subjektive Spiegelungen im seelischen Erleben, sondern um reale geistige Vorgänge, wie sie in dem vorbereitenden Kultus beschrieben werden, wo der „andere Engel“ als Herold des anschließenden Dramas das Altarfeuer empfängt und es aus dem Rauchfass auf die Erde wirft, wodurch das Drama der Posaunenklänge ausgelöst wird mit allen seinen verheerenden Folgen. In den sieben Posaunenklängen können wir nicht nur dasjenige erblicken, was in einer fernen Zukunft sich abspielt, wenn die Erdenentwicklung vom Ätherischen ins Astralische und Geistige übergeht, sondern wie ein machtvoller Posaunenklang tönt die große Entscheidung bereits in unsere Zeit hinein. So wie in den sieben Wochentagen die großen Weltenzyklen von Saturn bis Venus im Kleinen sich wiederholen und spiegeln, so spiegeln sich auch die großen makrokosmischen Entwicklungsperioden in den kleineren mikrokosmischen Zeiträumen. Das ist ja das Geheimnis der Schöpfung, das uns zeigt, wie sich im Mikrokosmos stets der ganze Makrokosmos offenbart. Von diesem Gesichtspunkt sind wir schon heute, bereits seit den Kreuzzügen, eingetreten in das Posaunenzeitalter, dessen Posaunenklänge hereintönen in die Bewusstseinserschütterungen und geschichtlichen Ereignisse der neueren Menschheitsgeschichte. Wir können weder unsere Zeit noch die des Zeitalters der Posaunenklänge verstehen, wenn wir die letzten Offenbarungen über Michaels Mission nicht miteinbeziehen, die Rudolf Steiner erst in seinen letzten Lebensjahren in den Karmavorträgen und in den anthroposophischen Leitsätzen gegeben hat. Nicht nur verstandesmäßig, sondern in gewaltigen Bildern beschrieb Rudolf Steiner jenes übersinnliche Ereignis, durch das die kosmische Intelligenz dem Erzengel Michael entsank und auf die Erde kam, um im Zeitalter der Freiheit) der Menschheit zu ihrem persönlichen Gebrauch übergeben zu werden. Es war ein „Weltengewitter“, das sich in den übersinnlichen Welten als Blitz- und Donnerentladungen offenbarte, wodurch die menschliche Organisation zugleich grundlegend umgewandelt wurde.

Während diese wunderbaren, diese grandiosen Lehren in jener übersinnlichen Schule, dirigiert von Michael selber, an die entsprechenden Seelen gingen, nahmen diese Seelen teil an einem gewaltigen Ereignis, das sich nur nach langen Zeiträumen innerhalb der Entwicklung unseres Kosmos wiederholt. Es ist, wie ich schon einmal angedeutet habe, so, dass wir von der Erde aus hinaufweisen in die übersinnliche 124

Welt, wenn wir vom Göttlichen sprechen. Sind wir aber in dem Leben zwischen dem Tode und neuer Geburt, so weisen wir eigentlich hinunter auf die Erde – aber nicht auf die physische Erde; es zeigt sich da Gewaltiges, Grandioses, Göttlich-Geistiges. Und gerade in diesem Beginne des fünfzehnten Jahrhunderts, als diese Schule ihren Anfang machte, von der ich sprach, wo zahlreiche Seelen im Bereich des Michael an dieser Schule teilnehmen, da konnte man zu gleicher Zeit etwas sehen, was, wie gesagt, nur nach langen, langen Jahrhunderten sich wiederholt im kosmischen Werden: Man sah gewissermaßen beim Hinunterblicken auf die Erde, wie Seraphim, Cherubim und Throne, also die Angehörigen der höchsten, der ersten Hierarchie, eine gewaltige Tat vollbringen. Es war im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts, es war in der Zeit, als hinter den Kulissen der neuzeitlichen Entwickelung die Rosenkreuzerschule begründet worden ist. Schaut man sonst von dem Leben, das man hat zwischen Tod und neuer Geburt, hinunter auf das Irdische, sieht man gleichmäßig vor sich gehende Taten der Seraphim, Cherubim und Throne. Man sieht, wie die Seraphim, Cherubim und Throne das Geistige aus dem Bereich der Exusiai, Dynamis und Kyriotetes hinuntertragen ins Physische, durch ihre Macht das Geistige dem Physischen einpflanzen. Von diesem, was man so gewöhnlich im Fortgange des Werdens schaut, zeigt sich nach großen Zeiträumen immer etwas grandios Abweichendes: Es war zuletzt in der atlantischen Zeit, dass sich so etwas auch vom Aspekte des Übersinnlichen aus gezeigt hatte. Was da in der Menschheit geschieht, das zeigt sich, indem man jetzt, von der geistigen Welt aus, die Erde in ihren Gebieten durchzuckt sieht von Blitzen, indem man mächtig rollende Donner hört. Es war sozusagen eines jener Weltengewitter – für die Menschen der Erde ganz wie im Schlafe ablaufend, für die Geister, die um Michael waren, mächtig sich zeigend. Hinter dem, was sich im Beginne des 15. Jahrhunderts geschichtlich abspielte in den menschlichen Seelen, steht eben Gewaltiges. Dieses Gewaltige zeigte sich gerade, während die Michael-Schüler ihre Lehren im Übersinnlichen empfingen. Zuletzt geschah während der atlantischen Zeit, als die kosmische Intelligenz noch kosmisch geblieben war, aber von den menschlichen Herzen Besitz ergriffen hatte, auch so etwas, das für das jetzige Gebiet, das irdische Gebiet, sich nun in geistigen Blitzen und Donnern wiederum entlud. Ja, es war schon so. In dem Zeitalter, das nun die irdischen Erschütterungen erlebte, in welchem die Rosenkreuzer sich ausbreiteten, in welchem allerlei merkwürdige Dinge geschahen, die Sie ja in der Geschichte verfolgen könnten, in diesem Zeitalter zeigte sich die Erde für die Geister im Übersinnlichen umtobt von gewaltigen Blitzen und Donnern. Das war, dass die Seraphim, Cherubim und Throne die kosmische Intelligenz überleiteten in dasjenige Glied der menschlichen Organisation, das die Nerven-Sinnesorganisation ist, die Kopforganisation. Es war wieder ein Ereignis geschehen, welches sich heute noch nicht deutlich zeigt, erst im Laufe von Jahrhunderten und Jahrtausenden sich zeigen wird, und darin besteht, dass der Mensch vollständig umgestaltet wird. Der Mensch war vorher ein Herzensmensch. Der Mensch ist nachher ein Kopfmensch geworden. Die Intelligenz wird seine Eigenintelligenz. Das ist, vom Übersinnlichen aus gesehen, etwas ungeheuer Bedeutsames. Alles das wird da gesehen, was an Macht und Kraft im Bereich der ersten Hierarchie liegt, im Bereich der Seraphim und Cherubim, die dadurch ihre Macht und Kraft äußern und offenbaren, dass sie das Geistige nicht nur im Geistigen verwalten, wie die Dynamis, die Exusiai, die Kyriotetes, sondern das Geistige hineintragen in das Physische, das Geistige zum Schöpferischen des 125

Physischen machen. Diese Seraphim, Cherubim und Throne, sie hatten Taten zu vollbringen, die, wie gesagt, nach Äonen nur sich wiederholen. Und man möchte sagen: was von Michael den Seinigen in der damaligen Zeit gelehrt worden ist, das wurde unter Blitzen und Donnern da unten in den irdischen Welten verkündet. [35, Vortrag vom 28.7.24] Dieser kosmische Inhalt, der damals in die übersinnliche Menschenorganisation eingeströmt ist, lebt in der Bewusstseinsseele, die dadurch die Kraft empfangen hat, die moderne Naturwissenschaft, die Technik mit all ihren Erfindungen aus sich herauszusetzen. Was aber steckt hinter all den modernen Erfindungen und technischen Leistungen, auf die wir so stolz sind? – Götterintelligenz, die einst in der Hierarchie der Archangeloi lebte, nun aber zu den Menschen als irdische Intelligenz gekommen ist, wo sie in Ahrimans Sphäre zur Befriedigung unseres Egoismus dient! Hier haben wir wieder ein weithin sprechendes Beispiel, wie das, was gut vor Gott ist, sich bei den Menschen in seiner Wirkung umkehren kann. Dennoch entsprach auch dies einer höheren Notwendigkeit, damit der Mensch, im fünften Zeitraum ganz auf sich gestellt, zur völligen Freiheit kommen konnte. Indem der Mensch schon im Anbruch zur modernen Zivilisation sich als den Erzeuger seiner Gedanken erlebte, konnte er den Gedanken fassen: Gott ist tot! – Das war die Freiheitsstunde des Menschen, wo er sich von seiner Ursprungswelt emanzipierte. Ihr Tiefpunkt (denn ein solcher ist es – von Gott erlebt –), liegt in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Von da ab spaltet sich die Entwicklung immer mehr in eine ins Untersinnliche abgleitende Strömung und eine solche, die wieder den Anschluss nach oben findet. Warum aber wird der Mensch durch den einseitigen Gebrauch dieser Gottesgabe der michaelischen Intelligenz schlecht und unmoralisch? Diese Frage beantwortet in ihrer Bildersprache die Offenbarung Johannis. Jenen Ereignissen, welche die kosmische Intelligenz zu den Menschen auf die Erde brachten, ging ein übersinnlicher Kultus voraus. Gleichsam vorbereitend, was sich der michaelischen Erdenaufgabe im 20. Jahrhundert entgegenstellen würde, wenn Michael die sich von ihm emanzipierte kosmische, nun irdisch gewordene Intelligenz mit Spiritualität wiederzuverbinden und zu erfüllen trachtet, sammelte Michael „die Seinen“ in der geistigen Welt um sich, und wies sie auf ihre große Aufgabe an der Wende des 20. Jahrhunderts hin, wenn das neue lichte Michaelzeitalter auf Erden anbrechen würde. Diese Zukunftsziele weisend, zogen in bedeutsamen Imaginationen vor den Schülern Michaels die Vorgänge dieses Kultus vorüber, die ihnen das Geheimnis der durchchristeten Intelligenz enthüllen sollte! Wir werden an jenen übersinnlichen Kultus erinnert, der sich als Ouvertüre zu den Posaunenklängen abspielt in der übersinnlichen Welt: Siehe, eine große Menschenschar ... mit weißen Feiergewändern bekleidet und mit Palmzweigen in den Händen. (Off. 7 ,9) Und als das siebte Siegel geöffnet wurde, entstand im Himmel ein Schweigen eine halbe Zeitenrunde lang. (Off. 8,1) Und der Engel nahm das Rauchfass und füllte es mit dem Feuer des Altars und warf es auf die Erde. Da rollten die Donner, es tönten die Stimmen, es zuckten die Blitze und die Erde erbebte! (Off. 8,5) Hier haben wir den Kultus, der vorangeht der Ergießung der kosmischen Intelligenz auf die Erde. Und nun sehen wir, wie bei jeder einzelnen Posaune etwas von dieser höheren 126

Intelligenz auf die Erde, herabgeschüttet wird und wie dadurch im Wesen des Menschen selber Veränderungen hervorgerufen werden. Dies tritt uns insofern in negativen Bildern entgegen, als dabei die der kosmischen Intelligenz entgegenstehenden ahrimanischen Kräfte beseitigt bzw. umgewandelt werden. – Wir erinnern an die Vorgänge der Transsubstantiation, die der Kommunion vorausgehen und diese einleiten. Was wird zunächst bewirkt, indem die kosmische Intelligenz, das heißt: über sinnlich-geistige Kräfte, in die Häupter der Menschen einzieht, sie durchzieht und durchkraftet? Denken wir dabei an Menschen wie Luther, der an dieser Zeitenwende lebte. In ihm lebt das Denken noch in viel gemüthaft-elementarerer Art, anders wäre ja auch seine Bibelübersetzung nicht möglich gewesen, die bei allen Fehlern, die sie enthält, doch eine große elementarische Wucht und Kraft zeigt. Dies mehr im Herzen lebende, gemüthafte Seelenelement, das als Rest der 4. nachatlantischen Kultur bis ins ausgehende Mittelalter noch bei vielen Menschen lebt, kommt zu einem Ende; Sterbekräfte durchziehen mit dem heraufkommenden Zeitalter der Bewusstseinsseele in viel intensiverer Art die physische Leibesorganisation. Die lebendige Gedankenwirkung, die noch in Imaginationen erlebt wurde, zieht ins Innere ein: Da aber wird sie zur hauptgebundenen Intellektualität, die Sterbe- und Abbauprozesse hervorruft. Dies steht im Bilde des kosmischen Feuerregens vor uns, den der Engel über die Menschen ausgießt. Was droben Feuer ist, das wird unten zum ertöten den Hagelschlag! Und der erste Engel posaunte: Da entstand Feuer und Hagel mit Blut gemischt und prasselte nieder auf die Erde. Ein Drittel der Erde verbrannte, ein Drittel aller Bäume und alles grünende Gras verbrannte...“ (Off. 8,7) Das heißt, vom Menschen aus gesehen: Die im Leibe wirkenden Lebenskräfte, die dem Denken zugrunde liegen, kommen durch die erhöhten Bewusstseinsprozesse zu einem Drittel zum Absterben. Dies ist ganz exakt ausgedrückt. So wendet sich die erste Posaune an die physische Organisation des Menschen, insofern sie zum Träger der Bewusstseinsseele wird. Wie aber, können wir fragen, muss sich dieser kosmische Regen für die mehr im Elementarischen lebenden Kräfte unseres Ätherleibes auswirken? So wie für die Denkprozesse ein Absterben nötig ist, so auch für die mehr elementaren Kräfte des menschlichen Bildekräfteleibes, wenn dieser zum Träger eines verinnerlichten Geisteslebens werden will. Denken wir daran, wie der mittelalterliche Mensch noch viel intensiver mit den elementarischen Naturkräften verwoben war, wie vor seinen Augen die Geschöpfe der geistigen Elementarwelt als Gnomen, Undinen, Nixen 175 auftauchten, die erst an der Schwelle zur Neuzeit für den Menschen „sterben“... – etwas ähnliches, wie es sich auch beim Kinde wiederholt, wenn der Ätherleib zum Träger des Denkens wird. Wir können sagen: Das reine Wasser des Ätherischen färbt sich zu Blut, da es zum Träger des inner-seelischen Gedankenelementes wird, wodurch der Mensch die Verbindung zu den Geistwesen des Elementarreiches verliert. 2. Posaunenklang: 175

Alle Wirkungen der physischen Welt sind von Wesenheiten verschiedenster Art hervorgerufen. Alles, was wir „Kraft“, „Energie“, „Naturgesetz“, „Ursache und Wirkung“ usw. nennen, sind Abstraktionen von ganz „handgreiflichen“ Betätigungen von Wesen, die sich durch den SinnesTeppich für den in geistiger Wahrnehmung ungeschulten Menschen verbergen.

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Und ein großer brennender Berg stürzte in das Meer hinab, wodurch ein Drittel des Meeres in Blut verwandelt wurde und ein Drittel aller im Meere lebenden Geschöpfe den Tod fanden... (Off. 8,8 f.) Es wird also ausdrücklich gesagt: Nicht die Menschen, sondern die Geschöpfe des Meeres sterben. Hier sehen wir auch bekannte Bilder sich wiederholen, wie sie schon bei den ägyptischen Plagen sowie im Johannesevangelium (Hochzeit zu Kana) auftreten. Für den Kenner dieser Sprache wird damit immer auf ein Gleiches hingewiesen, das sich nur modifiziert durch die veränderte Bewusstseinslage. Noch deutlicher tritt zu Tage, was sich im Menschen der Neu-Zeit innerlich verändert hat, wenn wir die dritte Posaune betrachten. Es ist ein Schrumpfungsprozess, in dem die Seele umso kleiner wird, je mehr Ich-Bewusstsein sie entfaltet. Denn unser modernes Bewusstsein hat an Weite verloren, je intensiver es geworden ist. Dadurch aber verlieren seine Seelenkräfte immer mehr den übersinnlichen Zusammenhang, sie bleiben auf das Irdische beschränkt. Bildlich gesprochen trinkt der Mensch aus einem „bitteren Quell“, wodurch sein Astralleib zusammenschrumpft, um wie in einem Punkte in seinem Selbstbewusstsein aufzuleuchten. Dies erlebt der junge Mensch ja besonders stark, wenn er nach dem 14. Lebensjahre immer stärker den Leib erlebt, der ihm die Seelenschwingen beschneidet. 3. Posaunenklang: Da fiel ein großer Stern vom Himmel in die Tiefe, wie eine Fackel brennend. Er stürzte in ein Drittel aller Ströme und in alle Wasserquellen. Und der Name des Sternes heißt Wermut, das heißt: Bitternis! Und ein Drittel aller Wasser wurde in Wermut verwandelt, und viele Menschen starben an dem Wasser, das so bitter geworden war! (Off. 8,10 f.) Jetzt stirbt etwas vom Menschen selber! Beachten wir diese Steigerung. Es ist die gleiche, die wir bereits bei den ägyptischen Plagen fanden, wo auch erst mit der 3. und 4. Plage etwas vom Menschen zugrunde geht. Hier stirbt durch die Überhandnahme des nur aufs Irdische gerichteten Selbstbewusstseins ein „Drittel“ im Menschenwesen, das heißt jenes Drittel, mit dem der Astralleib noch in höhere Welten hereinragt, die er vorher noch traumhaft erleben konnte. Das wie in einem Punkt sich zusammenfassende Selbstbewusstsein löscht jenes Drittel aus. Erinnern wir uns, dass dies ja die Zeit des erwachenden Bürgertums, der Städtegründungen ist, die den Materialismus praktisch vorbereiten. Jetzt ist der Mensch wirklich nur Bürger dieser Welt geworden, er hat seine andere Heimat vergessen. Hiermit hängt aufs engste die 4. Posaune zusammen. Denn was muss dem Menschen entschwinden unter der Einwirkung der nur aufs Materielle gerichteten Erkenntniskräfte? – Alles Übersinnlich-Geistige, das sich zum Beispiel noch in dem ptolemäischen Sternensystem findet. Kopernikus und Kepler, die an dieser Wende stehen, löschen durch ihr rein mathematisches Weltbild alles Geistige aus. Jetzt besteht die Welt nur noch aus toten Stoffkörpern, die seelenlos den Raum bevölkern. Ihnen wohnt kein Göttliches mehr inne! Dies ist ja das Tragische, das mit der modernen Naturerkenntnis verbunden ist. Sie beraubt den Menschen des Himmelslichtes, sodass die Sterne ihr geistiges Licht für ihn verlieren. Sie ist der Sargdeckel für sein ihm entschwundenes Himmelsschicksal!

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Da traf ein Schlag den dritten Teil der Sonne und den dritten Teil des Mondes und der Sterne. Ein Drittel von ihnen verfinsterte sich, sodass der Tag ein Drittel von seinem Licht verlor und desgleichen die Nacht. (Off. 8,12) Vom Geistigen aus muss unsere Erkenntnis, die nur noch das Materielle sieht, finster erscheinen, denn alles Geistige – ein Drittel unseres modernen Weltbildes – verfinstert sich. So wendet sich dieses Ereignis an unsere Ich-Erkenntnis, die alles Höhere verloren hat. Nun müssen wir die Komposition beachten! Bis zum 5. Posaunenklang stürzen stets von neuem Sterne oder Feuerbrände vom Himmel herab. Jetzt aber, mit der fünften Posaune, ändert sich die Richtung. Noch einmal stürzt zusammen mit dem Posaunenklang ein nicht mehr brennender Stern vom Himmel, der den Brunnen zur untersinnlichen Welt durchschlägt, aus dem nun, bis zur 7. Posaune, furchtbare Dämonen aufsteigen, die von sich aus, wie ein dunkler Rauch den Himmel verfinstern. Das ist die große Wende, die sich jetzt vollzieht. – Hier mag darauf verwiesen werden, wie stets mit der Zahl fünf in der Apokalypse die große Wende und Entscheidung beginnt, die sich dann in der dar auffolgenden Sechs zur definitiven Scheidung der Geister wandelt. So tauchen im 5. Sendschreiben an die Gemeinde von Sardes die „in weißen Kleidern“ auf als der Kern, der später über die Katastrophe des großen Krieges hinüberleben soll; dasselbe Bild tritt dann im fünften Siegel auf, wo anstelle der vorangehenden „Pferde“ (der ins ahrimanische gehenden Intelligenz) abermals die „in weißen Kleidern“ auftreten, welche erwürgt waren um des Wortes Gottes willen. (Off. 6,9) – Und endlich hier, von der 5. Posaune an, trennt sich die Entwicklung in eine untersinnliche und in eine übersinnliche, deren Bilder uns dann im 10., 11. und 12. Kapitel dargestellt werden. Schon daran können wir erkennen, wie das Ganze in seinen kleineren und größeren Zyklen ein gemeinsamer Rhythmus als umfassende Gesetzmäßigkeit durchzieht, der sich in solchen Zahlengesetzen spiegelt. Daher kann eine solche Darstellung wohl gerechtfertigt erscheinen, sehen wir doch, wie unsere 5. nachatlantische Kulturperiode sich stets von verschiedenen Gesichtspunkten als die große Wende spiegelt! Und ich sah einen Stern, der auf die Erde hinabstürzte. Ihm war der Schlüssel zum Brunnen des Abgrunds gegeben. Und er schloss den Brunnen des Abgrunds auf, aus dem Rauch emporstieg, der wie der Rauch eines gewaltigen Ofens die Sonne und die Luft verfinsterte. Und aus dem Rauche überzogen Heuschrecken das Erdenreich, denen eine Macht gegeben war wie Skorpione. Eine Stimme sprach zu ihnen, sie sollten keinen Schaden anrichten am Gras der Erde, alles Grünende sollten sie schonen. Nur gegen die Menschen sollten sie sich wenden, die an ihren Stirnen nicht das Gottessiegel tragen... (Off. 9) Hier also richtet sich die Vernichtung nicht mehr gegen die Lebenskräfte, sondern gegen das Höhere im Menschen, das Geistselbst, das nicht auferstehen kann, da es sich nur mit der toten Intellektualität verbunden hat. Dies und das Folgende kann uns an das Bild erinnern, das Rudolf Steiner von den „Spinnweben“ gab. Diese „Heuschrecken“ werden uns noch im Folgenden beschrieben: Die als Bildgestalt sichtbar werdenden Heuschrecken sehen aus wie Pferde, die für den Krieg gerüstet sind. Auf ihren Häuptern tragen sie goldene Kronen und ihre Antlitze gleichen den Menschenantlitzen... Panzer tragen sie, als ob sie aus Erz wären, und das Geräusch ihrer Flügel gleicht dem Geratter von Wagen, die in den Krieg gezogen 129

werden. – Schwänze und Stachel haben sie wie Skorpione und durch die Schwänze haben sie Macht, den Menschen fünf Monate lang Unheil zu bereiten. (Off. 9,7 ff.) Und hier wird uns auch der Engel des Abgrunds, der ihr Anführer ist, genannt: Abbadon! Ja, nicht umsonst hat Rudolf Steiner immer wieder betont, dass der 5. nachatlantische Zeitraum den Menschen in eine Auseinandersetzung mit dem Bösen bringen wird. Das Böse in seiner ganzen Gewalt, aus der untersinnlichen Welt aufsteigend, den Himmel verfinsternd – wir sehen es in diesem gewaltigen Bilde vor uns! Dieses Bild steigert sich nun ins Untersinnlich-Dämonische bei den letzten Posaunen, wobei ein Drittel der Menschen getötet wird, das heißt: ein Drittel des höheren Menschen (Off. 9,15) – Ferner heißt es davon: Und die Häupter der Rosse waren wie Häupter von Löwen und aus ihrem Munde gingen Feuer und Rauch und Schwefel hervor. Denn ihre Macht lag in ihrem Munde, und ihre Schwänze waren den Schlangen gleich und hatten daran Häupter... (Off. 9, 1719) Bei dieser Imagination kann man an die Sphinxgestalt denken, nur ins Dämonische verzerrt. Und in der Tat deutet ja auch die Sphinxgestalt nicht nur auf den Ursprung des Menschen in der Vergangenheit, wo er erst aus der Gruppenhaftigkeit der Tierheit zur Ichheit erwachte, sondern auch auf das Geheimnis seiner Zukunft, die Trennung in Gut und Böse. Das „verklärte Menschenangesicht“ wird dann aus der Tierheit, in die die böse Menschheit zurückzuckt, hervorschauen, um zur Äthererde aufzusteigen. So sehen wir, wie beide Richtungen nun auseinanderklaffen, besonders nach der 6. Posaune. Man muss hier allerdings die innere Dynamik der Darstellung erfassen, die auf der einen Seite in Kapitel 10 bis 12 sich erhebt zu den positiven Imaginationen derer, die das Christusmal an ihrer Stirne tragen und daher die Fähigkeit besitzen, sich leibfrei im Denken und Fühlen erleben zu können – eine Fähigkeit, die, wie wir sahen, heute dadurch errungen werden muss, dass das Denken spiritualisiert wird, um dann im 6. nachatlantischen Zeitraum, unter dem Einfluss des Maitreya-Buddha, auch das Wort zu vergeistigen. Darum stehen dem guten, heilenden Worte hier die Löwen-Pferde gegenüber, deren Macht in ihrem „Munde“ liegt. In dieser Art tritt uns als positives Gegenbild zur 5. Posaune, die den Brunnen des Abgrunds öffnet, die Initiation gegenüber, im 10. Kapitel. Es ist das gewaltige Bild des Engels, dessen Füße auf dem Meere und dem Lande stehen und dessen Antlitz wie die Sonne leuchtet. Dieser ist es, der dem Seher das Büchlein reicht, das ihm im Munde süß wie Honig schmeckt, doch im Bauche grimmt. (Off. 10,9) Das ist die Einweihung – alles, was wir durch diese uns erringen können. Und wir wissen, dass wir ihre Früchte uns erst dann pflücken können, wenn sie durch das Leiden und die Erdenprüfungen geläutert sind. Hier ist wieder eine Stelle, die uns zeigt, wie wunderbar exakt alles an diesen alten Urkunden sich erweist. Ein gleiches finden wir bei der Betrachtung 7 Ich-Bin-Worte des Johannesevangeliums. Denn auch hier steht die Initiation vor den letzten drei Worten, die nach der Initiation im 1. Kapitel ausgesprochen werden. Und wahrlich, wir finden in der Apokalypse das gleiche, wenn wir auf die innere Dynamik dieser Bilder schauen. Nur zeigt uns hier der Seher vor allem die negativen Auswirkungen, alles dasjenige, was abfällt aus der normalen Entwicklung, weswegen der dynamische Strom der letzten Posaunenklänge dann in die untersinnlichen Tiergestalten des 13. Kapitels übergeht, die sich aus dem Meere und aus dem Lande erheben. 130

So steht uns hier als positives Bild des höheren Menschen (Geistselbst) wie der die Einweihung gegenüber. Darauf wird das „neue Jerusalem“ angelegt, das neue Reich der ätherischen Erde, das zugleich das Bild des Lebensgeistes darstellt, um am Ende im 12. Kapitel uns als die Vollendung des Geistesmenschen zu erscheinen, das „Weib mit der Sonne bekleidet“, zu deren Füßen der Mond ist und auf deren Haupt eine Krone von 12 Sternen erscheint. – Hier hat der Mensch die Christus-Sonne aus sich herausgeboren. Das „Söhnlein“, das sie gebiert, ist der Zukunftsmensch, der den Jupiter bewohnen soll. In diesen drei Imaginationen der Einweihung, dem neuen Jerusalem und dem Weib mit der Sonne bekleidet, sehen wir die höhere Dreiheit des Menschen der in den Abgrund hineinstürzenden Menschheit gegenüberstehen. Die eigentliche Scheidung der Geister aber beginnt bereits mit der 5. Posaune, wo der Brunnen des Abgrunds sich öffnet. Nun, um Schluss, noch eine schwere Frage, die wir schon andeuteten: Wie kann so Furchtbares aus den Himmeln herabstürzen, das sich in so negativer Form auswirkt, wie es hier durch die herabstürzenden Sterne dargestellt wird? Eine Hinorientierung zu einer Lösung können uns jene Worte sein, die Rudolf Steiner über den Halleyschen Kometen sagte. Dieser trat zuerst im Jahre 1759, dann 1835 und zuletzt 1910 auf. Jedes Mal nach seinem Auftauchen sah sich die Menschheit vor die Möglichkeit eines tieferen Herabgleitens in den Materialismus gestellt. So trat nach dem ersten Erscheinen, 1759, die seichte Aufklärung auf, die Goethe in seinen Jugendjahren erlebte. Nach 1835 kamen jene materialistischen Naturwissenschaftlichen Schriften eines Büchner oder Molechott, die soviele Anhänger bis ins 20. Jahrhundert herein fanden. Und zu dem letzten Auftreten, 1910, sagt Rudolf Steiner selber das Folgende:

Und jetzt stehen wir davor, weil die Menschheit eben geprüft werden muss, ... um die Kräfte des Aufstieges durch die Widerstände zu entfalten, dass wir mit dem neuen Erscheinen des Halleyschen Kometen aus dem Weltall zugesendet erhalten die Kräfte, welche die Menschheit in einen noch flacheren, in einen noch abscheulicheren Materialismus herunterführen können. Geboren werden kann etwas, was sich vielleicht selbst die flachsten Materialisten nicht denken können. Wir leben an einem wichtigen Kreuzpunkt, wo selbst durch Zeichen vom Himmel dem Menschen gelehrt wird, dass der Weg nach der einen Seite noch weiter in den materialistischen Sumpf gehen kann, nach der anderen Seite jedoch dahin, wo sich die Kräfte beim Menschen entwickeln müssen, die nach dem Ablauf des KaliYuga zum ätherischen Hellsehen führen. [36, 6. Vortrag] Wir haben die Frage gestellt, warum das Rein-Intellektuelle zum Bösen führen kann. – Das Intellektuelle, der Verstand, ist weder gut noch böse, doch er kann dem Guten wie dem Bösen dienen! Und hier offenbart sich der grandiose Parallelismus zwischen dem Geschehen der ägyptischen Plagen und den Posaunenklängen, im Sinne unseres hier angewandten Gesichtspunktes. Was musste damals geschehen, um das heranziehende kosmische Ich aufzunehmen? Das Opfer – wir können auch sagen: die Bereitschaft –, die menschlichen Fähigkeiten in seinem Sinne zur Schale zu gestalten, in die es hereinfließen kann. Dies geschieht am grandiosesten in der Einsetzung des Passah-Opfers. – Und was muss heute geschehen? – Es ist abermals das an die Menschheit herantretende Christus-Ich, doch diesmal im Ätherischen. Und jetzt erst, von diesem Gipfel, den uns Rudolf Steiner gewiesen hat, wird uns deutlich, was mit

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der hereinbrechenden Intelligenz im tieferen Sinne verbunden ist, wodurch sie in ein Gutes oder Böses verwandelt werden kann. Warum wurde sie uns verliehen? Damit wir durch die Göttergedanken Michaels die Christusmysterien begreifen sollen! Denn erst heute ist es möglich geworden, den kosmischen Christus in seiner ganzen Größe zu erfassen, so zu erfassen, dass wir ihn zunächst in unser Denken, in unser Bewusstsein aufnehmen können. Das war früher nie möglich. Hier erst sehen wir die grandiose Kehrseite, warum der Himmel uns mit diesem Feuerregen begabt hat. Und alles ins Auge fassend, was mit der Entwicklung unserer Bewusstseinsseele seit dem Beginn der neueren Zeit zusammenhängt, wird uns klar, wie diese Götterkräfte sowohl zum Niedersten wie zum Höchsten führen können. – An sich ist die Intellektualität weder gut noch böse. Sie wird aber schlecht, wenn sie nicht Mittel, sondern Selbstzweck wird. Und darum wird, diese Entscheidung schon herausfordernd, von heute an immer mehr derjenige schlecht, der die Intelligenz nur zum eigenen Vorteil im ahrimanischen Sinne verwendet. So steht dem Opfer der „Erstgeburt“ heute gegenüber: das Umwandeln unserer Intelligenz zum Erfassen der Christusmysterien! Abb. 10: Übersicht über die 7 Posaunenklänge

1. Posaune

2. Posaune

3. Posaune

4. Posaune

5. Posaune

6. Posaune 7. Posaune

5. Posaune 6. Posaune 7. Posaune

Feuer mit Hagel fällt nieder vom Himmel, wodurch ein Drittel der Lebenskräfte verdorrt Ein brennender Berg stürzt ins Meer und verwandelt das Wasser in Blut, wodurch ein Drittel der Geschöpfe im Wasser sterben. Durch den herabstürzenden Stern „Wermut“ wird ein Drittel der Wasser so bitter, dass viele Menschen sterben. Ein Schlag trifft Sonne, Mond und Sterne, wodurch ein Drittel verfinstert wird für den Menschen. Der Stern öffnet den Brunnen des Abgrunds, aus dem dämonische Gestalten aufsteigen, die den Himmel ihrerseits verfinstern. Heuschrecken und sphinxähnliche Gestalten quälen die am Materiellen haftenden Menschen.

Ein Drittel der Bildekräfte des physischen Leibes kommt durch die Intellektualität zum Verdorren Ein Drittel der ätherischen Kräfte, die den Menschen mit der Elementarwelt verbinden, stirbt ab. Ein Drittel des Astralleibs (Empfindungsseele) schrumpft zusammen, um zum Träger des Selbstbewusstseins zu werden.

Die Ich-Erkenntnis verliert aus ihrer Anschauung alles Geistig-Übersinnliche (Verstandesseele, kopernikanisches Weltsystem). Die Entscheidung wird aus der geistigen Welt herbeigeführt, in dem die untersinnliche wie die übersinnliche Welt sich zu öffnen beginnen (Bewusstseinsseele). Die höheren Glieder des Menschen können nicht zur Ausbildung gelangen, insofern sie sich nicht mit dem Christus verbunden haben (IchVerfinsterung). Gegenüberstehende Bilder (Off. 10, 11, 12). Es stehen sich nach der 4. Posaune gegenüber: Negatives Positives Abbadon, der Anführer der Die Einweihung, durch die das Geistselbst untersinnlichen Welt erwacht Dämonen des Abgrunds Das „neue Jerusalem“, das Reich des Christus (Lebensgeist) Die beiden Tiere steigen aus dem Das „Weib mit der Sonne bekleidet“, das den

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Meer und dem Land her vor.

Jupiter gebiert! (Geistesmensch)

Die 1938 bevorstehenden kriegerischen Auseinandersetzungen in Europa und Asien werden von den tibetanischen Groß-Lamas nur als ein Vorspiel zum entscheidenden Kampf um die Herrschaft der Erde betrachtet. Die Menschheit als Ganzes befindet sich in der fünften Runde (in Indien und unter Okkultisten, Theosophen und Anthroposophen eine bekannte Bezeichnung eines Entwicklungszustandes der Erde). In dieser fünften Runde wird die menschliche Vernunft, der Intellekt, aufs Höchste entwickelt, wie es in der Wissenschaft des weißen Mannes zum Ausdruck kommt. Gleichzeitig werden aber mehr unsichtbar die Fähigkeiten einer Geistes-Schau vorbereitet. Dieses Zusammentreffen von höchstem Intellektualismus und geistiger Schau zwingt viele der jetzt und in naher Zukunft lebenden Menschen auf der ganzen Welt zu einer endgültigen Entscheidung, für welche Seite sie sich entschließen. Es ist sozusagen eine Prüfung an der Zeitenwende. [37] Was hier als Zeitenwende mitgeteilt wird, findet sich bereits in vielen apokalyptischen Aussagen, so unter anderem in der Offenbarung Johannis an folgender Stelle: Und er tat den Brunnen des Abgrunds auf, und es ging ein Rauch auf aus dem Brunnen, wie ein Rauch eines Ofens, und es ward verfinstert die Sonne und die Luft von dem Rauch des Brunnens. (Off. 9,2) In den Vorbereitungen zum Zweiten Weltkrieg und in diesem selbst ist uns das Öffnen des Brunnens des Abgrundes zu erleben. Man konnte die Dämonen wie mit Händen greifen, die sich zwischen die Menschen eingenistet hatten, Missgunst und Hass säend, alle Bande des Vertrauens und der Menschenliebe untergrabend und zerreißend, die vor dem Kriege noch als natürliche Bande die Menschen miteinander verbunden hatten; wie ein Nebelschleier aus unergründlichen Tiefen aufsteigend und alle Freundschaftsbande vergiftend. Die Unterwelt schien losgebrochen zu sein. Der Brunnen des Abgrunds hatte sich aufgetan. Was bis dahin nur unterschwellig gebrodelt hatte, war an die Erdoberfläche gestiegen. Dies ganze unter sinnliche Geschehen, was ja nicht nur durch die grauenvollen Kriegsereignisse, sondern mehr noch durch das Mysterien des Bösen in seiner unvorstellbaren Entsetzlichkeit in den Konzentrationslagern des nazistischen Höllentaumels seine Orgien feierte – es war der Höllenpfuhl, der jetzt offen und ungeschminkt aus der Tiefe ans Tageslicht empordrang, nachdem der Brunnen des Abgrunds sich einmal geöffnet hatte, nicht unverschuldet von dem genialen Vernichtungswerk der Menschen, das aus Angst geboren bis in den göttlichen Weltengrund eingriff, indem es die Vernichtungswaffe schuf, welche die im Atom verankerte väterliche Ursubstanz der Welt zerspaltete und zerriss, ungeahnte Energien damit entbindend, die im Opfer der Throne den Weltengrund gehalten und getragen hatten. Mit der Kettenreaktion der Kernspaltung war nicht nur ein naturwissenschaftliches Phänomen größten Ausmaßes erstmalig in der Weltentwicklung zur Erscheinung gekommen, sondern es kam durch sie die Radioaktivität in ungeahntem Ausmaß zur Befreiung. Damit aber wurden in einem rasanten Tempo die Stoffe zur Entbindung gebracht und die natürliche Schöpfung ihrem Untergang entgegengeführt. Es war ein okkulter Eingriff in die der göttlichen Vaterschöpfung zugrunde liegende hierarchische Weltenordnung geschehen, die die göttlich-hierarchische Bruderkette bis zu den Archai zerriss, sodass Satanas Zugriff bis in die geistige Sphärenordnung erlangte und Zerstörung bis in die hierarchische Ordnung trug. Wenn dies alles sich auch im Einzelnen unserer Erkenntnis noch entzieht, so lange geisteswissenschaftlich geschulte Naturforscher sich nicht eingehender, als es bis jetzt geschehen ist, damit beschäftigen, so sollte doch der mutvolle geistige Erkenntnisblick vor der ihm hier gestellten Aufgabe nicht kapitulieren. Denn hier ist eine Schwelle überschritten worden, die unmittelbar die Zerstörungsgewalten des Erd-Inneren freigegeben hat, sodass sie in ungehemmter Gewalt seither auf Erden wirken können!

Die Richtung dieser Perspektive, die seither konsequent in der modernen Zivilisation eingeschlagen worden ist, hat Rudolf Steiner im letzten Leitsatz wenige Tage vor seinem Tode im März 1925 mit den folgenden Worten wie ein Vermächtnis niedergelegt:

183. Im naturwissenschaftlichen Zeitalter, das um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts beginnt, gleitet die Kulturbetätigung der Menschen allmählich nicht 133

nur in die untersten Gebiete der Natur, sondern unter die Natur hinunter. Die Technik wird Unter-Natur. 184. Das erfordert, dass der Mensch erlebend eine Geist-Erkenntnis finde, in der er sich eben so hoch in die Über-Natur erhebt, wie er mit der unternatürlichen technischen Betätigung unter die Natur hinuntersinkt. Er schafft dadurch in seinem Innern die Kraft, nicht unterzusinken. 185. Eine frühere Naturanschauung barg noch den Geist in sich, mit dem der Ursprung der menschlichen Entwickelung verbunden ist, allmählich ist dieser Geist aus der Naturanschauung geschwunden und der rein ahrimanische ist in sie eingezogen und von ihr in die technische Kultur übergeflossen. [38] Es ist eine sich konsequent fortsetzende Linie, die von hier zu jenem Ereignis geht, das zur Entfesselung der durch Christi Höllenfahrt gebundenen satanischen Macht führt, wodurch das „1000jährige Reich“ sein Ende findet, und Sorat der Sonnendämon176, in die Menschheitsentwicklung eingreifen kann. Ereignisse, die mit der dreimaligen Wiederkehr der Zahl 666 im Jahre 1998 zusammenhängen. Wird unser Blick in dieser Weise vor die Realitäten der imaginativen Bilder gestellt, sodass er ihre wirklichkeitserfüllten Hintergründe bis ins unmittelbare Zeitgeschehen unseres gewitterschwangeren Jahrhunderts durchschauen lernt, wie es bei der 5. Posaune der Fall ist, so schulen wir uns dadurch auch, die fortschreitende dynamische Entwicklungslinie zu erkennen, die in zunehmender Steigerung von der ersten Posaune bis zur siebten hindurch geht. Bei den ersten vier Posaunen drängt sich uns das Elementar-Reich auf, das im MineralischÄtherischen und Astralischen in Mitleidenschaft gezogen wird. Erleben wir dies heute nicht in beängstigendem Ausmaße zunächst in der Verunreinigung und Verseuchung von Luft, Wasser und den ätherischen Bildekräften, die überall durch die von der modernen Zivilisation ausgehen den Vergiftungsprozesse für den Gebrauch der Menschen unbrauchbar gemacht werden? Bis zur 5. Posaune, wo das Bild der aus dem Brunnen des Abgrunds hervorsteigenden Heuschrecken, die sich dann in Kriegsrosse und stählerne Panzer verwandeln, wird auf diese zerstörerischen Wirkungen der modernen Zivilisation anschaulich und nachdrücklich hingewiesen. Die Heuschreckendämonen sollen nur die Menschen quälen wie die Skorpione. Sie verzehren also nicht die Lebenskräfte in der Natur, wie es sonst bei den Heuschreckenschwärmen geschieht, die zum Beispiel in Argentinien in wenigen Stunden eine Landschaft mit blühenden Kornfeldern und Obstplantagen leer fressen, sodass nichts mehr davon übrig bleibt. Wir haben es in diesem Bilde mit der verzehrenden und auslaugenden Wirkung der aus dem untersinnlichen Bereich aufsteigenden Dämonenwelt zu tun, die der Mensch durch seine ahrimanische Gesinnung und technischen Schöpfungen selbst erzeugt hat, in welchen sich ahrimanische Dämonen verkörpern, die den Menschen auslaugen. Ein fortschreitender Wandlungsprozess, dessen vernichtende Wirkungen sich bis zum Ich des Menschen erstrecken, wie es im Bilde der Heuschrecken erscheint, die skorpionartig die nicht mit dem Gottessiegel versiegelten Menschen quälen. Das Gottessiegel ist kein äußeres magisches Zeichen, es ist das Signum, das durch die Gottesgedanken und die meditative Arbeit sich bis in die feinere Struktur der ätherischen 176

Auf diese Wesenheit wird später noch eingegangen werden.

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Bildekräfte einprägt und dadurch den Menschen Schutz gewährt, sodass die zerstörenden Kräfte unserer dämonisierten ahrimanischen Zivilisation keinen Zugang in sein Inneres finden. Auch in dieser Hinsicht müssen wir umlernen und die Macht des Geistigen weder als eine äußere Magie uns vorstellen, noch im Sinne einer bloßen christlichen Bekehrung, die uns dann Schutz gewährt. Es handelt sich vielmehr um einen ganz konkreten Überwindungskampf mit den Dämonen. Wie soll die Menschheit hiermit zurechtkommen und diesen Kampf bestehen, solange sie die reale Existenz von dämonischen Wesen nicht einmal zugibt? Ja, dem Menschen wird in der Tat mehr zugemutet und anvertraut, als unsere christlichtraditionelle Anschauung zulässt. Im Sinne der christlichen Dokumente ist die Menschheit zu „Königen und Priestern“ berufen, das heißt zu „Ich-Beherrschern und Brückenbauern“, die vor dem Angesicht der göttlichen Welt den heiligen Dienst verrichten und so der göttlichen Welt den Zugang und Einlass bereiten in die irdische Welt. Gleich im 1. Kapitel der Offenbarung Johannis wird der Mensch zu diesem Dienst aufgerufen und in seiner Menschenwürde geadelt, wenn es im Eingange heißt: „Und Er hat uns zu Königen und Priestern gemacht vor Gott und seinem Vater, dem sei Ehre und Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen!“ (Off. 5,10) Das gleiche Motiv ertönt dann im 5. Kapitel bei der Entsiegelung des Lebensbuches bei dem „neuen Lied“, das die 24 Ältesten mit den Gebeten der Heiligen emporsteigen lassen zu dem göttlichen Thron: „Du bist würdig, zu nehmen das Buch und zu öffnen seine Siegel, denn du bist erwürgt worden und hast uns Gott erkauft mit deinem Blut aus allen Stämmen und Sprachen und Völkern der Welt. Und hast uns vor Gott zu Königen und Priestern gemacht, und wir werden Könige sein auf Erden.“ (Off. 5, 910) Ist hiermit nicht die Bestimmung des Menschen ausgesprochen? Er hat das Weisheitsgold des Königs empfangen als Erkennender – und wird dadurch geadelt als Handelnder, den priesterlichen Dienst in all seinem werktätigen Schaffen zu verrichten, wodurch er das Leben mit göttlichem Geist durchzieht und mit der Gotteswelt verbindet. Auf diese Gesinnung werden wir gleich zu Beginn der Apokalypse hingewiesen und in diesem Geist ist dies ganze Buch geschrieben, damit die Kluft zwischen der irdischen materiellen Welt und der geistigen Welt von den Christus verbundenen Menschen überwunden werden kann! Echt johanneïscher Hauch geht durch die ganze Offenbarung im Sinne der Worte aus den Abschiedsreden, womit Christus die Jünger adelt und von Gottesknechten zu Freunden und Mitarbeitern der Gottheit erhebt. „Ich sage hinfort nicht, dass ihr Knechte seid; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich gesagt, dass ihr Freunde seid; denn alles, was ich von meinem Vater vernommen habe, habe ich euch kundgetan!“ (Joh. 15,15) Wenn der Mensch erst einmal in dieser Gesinnung sein Leben zu gestalten versucht, dann wird er als Mitarbeiter und Gottesstreiter sich verantwortlicher fühlen für alles Geschehen. Das braucht nicht in politischen Protestkundgebungen zu geschehen, das kann sehr wohl auch im „verschwiegenen Kämmerlein“ geschehen, wo wir uns das Rüstzeug schmieden im Ringen und im Kampf gegen die Dämonen, die immer konkretere Gestalt annehmen werden. Das ist das Siegel, das wir dadurch in unseren Bildekräften erhalten, was in der 135

Nacht dann „von oben“ – aus der geistigen Welt – bestätigt wird. Wird in den ersten vier Posaunenklängen durch das Feuer der michaelischen kosmischen Intelligenz der dritte Teil unseres geistigen Wesens umgeschmolzen und verbrannt, der heute im Zeitalter der Bewusstseinsseele aus den irdischen Banden der leiblichen Hüllen gelöst werden muss, um zu Trägern des neuen michaelischen Geistes zu werden (vergessen wir nicht, dass es sich bei den Posaunenklängen stets um eine Transsubstantiation handelt, wobei der geistige Kern des Menschen ergriffen, verzehrt und umgewandelt wird), so erfasst das kosmische Feuer von der fünften Posaune auch den unterschwelligen Bereich des Bösen. Zum Verständnis dieses Prozesses mag uns das Bild der pervertierten Kommunion im 13. Kapitel des Johannesevangeliums dienen. Judas Iskariot empfängt von Christus selbst den Bissen der göttlichen Wegzehrung – und dadurch öffnet sich in seiner Seele, „Der Brunnen des Abgrunds“, sodass der Satan Einlass in ihn findet! Ein ungeheures Geschehen! Und er tauchte den Bissen ein und gab ihn Judas, Simons Sohn, dem Iskariot. Und nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn. Da sprach Jesus zu ihm: „Was du tust, das tue bald!“ (Joh. 13,26 f.) Es gibt also eine „umgekehrte Transsubstantiation und pervertierte Kommunion“, die nicht dem Christus, sondern den Widersachermächten die Pforten unserer Seele öffnet! – Heißt das nicht, dass es an uns selbst liegt, an unserer Stellung und seelischen Einstellung, ob der Christus Einlass gewinnt oder der Widersacher? Wenn man dies begreift, so begreift man die Bilder des apokalyptischen Geschehens. Hier aber handelt es sich nicht nur um eine persönliche Kommunion eines einzelnen Menschen, sondern um eine menschheitliche, die sich in der Menschheitsentwicklung als gemeinsame Transsubstantiation vollzieht. Man kann von diesem Blickpunkt die letzten Jahrhunderte seit dem Heraufkommen der neueren Zeitepoche der Bewusstseinsseele als einen solchen umfassenden Wandlungsprozess betrachten, wobei die noch aus dem geistigen Vermächtnis der Vergangenheit mitgebrachten und überlieferten Seelenkräfte eine grundlegende Veränderung erfahren, um das Neue aufnehmen zu können. Das ist ja der tiefere Sinn des michaelischen „Meteorfalls“, der von oben in diesen Jahrhunderten hereinschlägt, wie es Rudolf Steiner ins Bild des kosmischen Gewitters in den Karmavorträgen beschreibt. Vom irdischen Aspekt der Menschheitsentwicklung ist es ein Sterbeprozess der alten gemüthaften Seelenkräfte, die noch in der Empfindungsseele wurzeln. Es ist ein fortschreitender Verarmungs- und Schrumpfungsprozess, wodurch der Mensch immer mehr vereinsamt, bis er in die Armut und Nacktheit der Bewusstseinsseele erwacht, wo er sich von der göttlichen Welt seiner Heimat entwurzelt sieht. Die Welt ist kahl und leer um ihn geworden. Es ist die Welt des gottentblößten Sinnenscheins, die bloße „Werkwelt“, die nur in ihren Formen noch die Erinnerung an die gotterfüllten Schöpfermächte des Urbeginns zeigt. Der michaelische Sternenregen der kosmischen Intelligenz verwandelt sich für das irdische Bewusstsein in die steinerne Hürde des geistlosen Intellekts, der die Seelen belastet und nur geometrische Figuren wahrzunehmen vermag, wie es in dem Stich der „Melancholia“ von Albrecht Dürer zum Ausdruck kommt. Der Engel spiegelt die Sorge Michaels, ob die Menschheit das Feuer des kosmischen Meteorregens in ihren Seelen wird neu entzünden kann, oder ob sie das kosmische Feuer im kalten Intellekt erstarren lässt, der die Seelen lähmt. Die 4. Posaune zeigt diese Situation besonders anschaulich, wo ein Drittel der Sonne, des Mondes und der Sterne durch den kosmischen Posaunenklang sich verfinstert. Es ist die 136

Situation der anbrechenden naturwissenschaftlichen Periode, in der durch das Weltbild des Kopernikanischen Systems alles Geistige des früheren Ptolemäischen Weltbildes, das die Sternenbahnen noch als Grenzmarken der göttlichen Hierarchien erlebte, zum Verlöschen kommt. Je mehr die himmlischen Sphären sich verfinstern und zum bloßen Ausdruck mechanischer Gesetze werden, nach denen die Sterne seelenlos kreisen, umso mehr klammert sich der Mensch an das mineralische Erdenbewusstsein. Dieses Bewusstsein ist bis auf den Ich-Punkt zusammengeschrumpft. Jetzt öffnen sich ihm mit der 5. Posaune die untersinnlichen Bereiche, deren Rauch die himmlischen Sphären verdunkelt. Wir sind bis zu unserer Gegenwart in der Entwicklung der Bewusstseinsseele gekommen! Was jetzt den Menschen droht, ist die Gefahr der Ichlosigkeit. Die aus dem Brunnen des Abgrunds aufsteigenden Heuschrecken-Dämonen werden ich-auslöschenden Wesen, die den „dritten Teil“ des Menschen, sein geistiges Wesen, ertöten. Diese Wirkung haben wir in immer steigendem Maße in den letzten Jahrzehnten erleben können, womit wir bereits in die Zeit der 6. Posaune eingetreten sind. Diese bringt eine Steigerung der vorhergehenden Plagen, da sie sich jetzt ganz auf die Vernichtung des geistigen Teiles des Menschen richtet, das dem Abgrund verfällt, doch zugleich die Wende nach oben. Bevor wir auf die Entscheidung der 6. Posaune eingehen, richten wir zunächst unseren Blick auf das Gesetz, das sich in den stufenweisen Abstürzen als okkultes Zahlengeheimnis manifestiert. Vom okkulten Gesichtspunkte ist die Zahl Fünf, die Zahl des Menschen (Pentagramm), die Zahl der Entscheidung und damit auch des Bösen. Die Zahl 6 ist die Zahl des Logos (Hexagramm), die das Getrennte verbindet und den Absturz auffängt. Die Zahl 7 ist die Gottseligkeit. Die Bilder der miteinander korrespondierenden Stufen verraten eine innere Beziehung zueinander, sie entfalten sich zum Teil in den folgenden höheren Weltensphären, so in der 6. Posaune und der 6. Zornesschale. Beide Male taucht hier der Euphratstrom als einer der vier ätherischen Quellströme des Paradieses auf (Off. 9, 1321 und Off. 16, 1214). Was sich zunächst auf der Stufe der 6. Posaune ankündigt, findet seine weitere Ausgestaltung und Verwirklichung auf der Stufe der 6. Zornesschale. Vom Osten, in dem ätherischen Gebiet eines der Quellströme des Paradieses, naht sich die karmische Erfüllung gegenüber den ganz in den materialistischen Sumpf des Westens versunkenen Menschen, der die goldenen, silbernen, ehernen, steinernen und hölzernen Idole (Götzen) anbeten. Ein Drittel dieser Menschen verfällt dem Untergang. Dabei taucht das Bild von Rossen mit Löwenhäuptern auf, aus deren Rachen Feuer, Rauch und Schwefel hervorgeht. Dieses Bild findet seine weitere Ausgestaltung in der korrespondierenden 6. Zornesschale. Wieder taucht das Bild des Euphratstromes auf, dessen Wasser jetzt vertrocknet ist, auf dass bereitet würde der Weg den Königen vom Aufgang der Sonne. Und ich sah aus dem Munde des Drachens und aus dem Munde des Tieres und aus dem Munde des falschen Propheten drei unreine Geister hervorgehen, gleich den Fröschen. (Off. 16, 1213) Aus dem Osten, woher die drei Weisen aus dem Morgenland kamen, um dem neugeborenen Jesuskinde ihre Schätze zu opfern – das Gold der Weisheit, den Weihrauch der Herzensfrömmigkeit und die Myrrhe, das Heilkraut, im Willen geläutert –, erscheinen jetzt die dämonischen Gegenbilder, zuerst in den sphinxartigen Löwen-Pferde-Gestalten, aus deren Rachen die ungeläuterten und dämonisierten Seelenkräfte als Gegenbilder der 137

Gaben der Weisen aus dem Morgenlande hervorgehen: Feuer, Rauch und Schwefel. Das entstellte Menschenbild in seiner dreifachen Seelengliederung des Denkens, Fühlens und Wollens. Man könnte sagen: Die Weisheit des Ostens hält dem Westen den Erkenntnisspiegel vors Antlitz, damit er sich in seiner pervertierten Gestalt erkenne. Der Westen empfängt jetzt den karmischen Ausgleich als Entgelt für das, was er dem Osten zugefügt hat. Heute erhalten wir die Quittung der Rechnung vom Osten zurück – in dem Rauschgift, das unsere Jugend verseucht, als Quittung für den Opiumhandel des Westens, durch den China verseucht wurde, und der die Opiumkriege auslöste, woran China völlig zugrunde ging. In den Gaben der unreinen Geister, die heute vom Osten herüberkommen, die die Bildgestalt von Fröschen annehmen (Off. 16,13) ist unschwer die große Versuchung zu erkennen, in die der Westen immer mehr durch okkulte Lehren, Yogasysteme, Magie und bedenkliche okkulte Praktiken gerät, die heute vom Osten nach Amerika und Europa infiltriert werden, die, je weniger sie durchschaut und richtig angewandt werden, das Bewusstsein trüben, benebeln und an gefährliche Kräfte binden. (Der Frosch ist, wie die Kröte, das Symbol für die sexuellen Kräfte. Hierauf deutet auch das Bild von den skorpionund schlangenartigen Pferdeschwänzen, womit die Menschen, die dem materialistischen Sumpf verfallen sind, gequält werden.) Hier erscheint, am Ende der 6. Posaune, der der Tiefpunkt des Menschheits-Absturzes erreicht zu sein. – Da öffnet sich unvermittelt der Vorhang vor der verfinsterten Weltenbühne, und es erscheint der andere „starke Engel“, dessen Antlitz wie die Sonne leuchtet, mit dem Regenbogen über einem Haupt, seinen rechten Fuß setzt er auf das Meer, seinen linken auf die Erde, sodass ein Tor sich bildet, durch da die Menschen den Zugang zur Geisteswelt finden können (10. Kapitel). In der gespenstererfüllten Tiefe strahlt das Licht der Sonne, in dem der Hüter der Schwelle sichtbar wird, um die Pforte zur Initiation zu öffnen. Damit haben wir den Wendepunkt des apokalyptischen Dramas erreicht: Von hier, aus dem tiefsten Absturz in den Abgrund, führt eine direkte Linie, die den Weg nach oben weist: Zur Grundsteinlegung des neuen Jerusalems (11. Kapitel) und zur Offenbarung der himmlischen Sophia177. Der Tempel Gottes im Himmel wird geöffnet und die 24 Ältesten halten einen Dank-Kult vor Gott ab. – So steil sind die Wege des Geistes, so unerwartet vermag sich der verhüllte Vorhang zu öffnen, um der verirrten Menschheit den Weg nach oben zu weisen. Er führt durch die Pforte der Einweihung. Der Führer dahin ist der starke Engel, der hier das Amt des Hüters der Schwelle übernimmt. Fühlen wir, dass wir hier am dramatischen Wendepunkt nicht nur des apokalyptischen Dramas, sondern unserer ganzen Zeit stehen, da wir gegenwärtig am Ende unseres Jahrhunderts im Zeichen der 6. Posaune stehen.

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sophia (σοφιόα)ist das griechische Wort für „Weisheit“.

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Bild 5: Albrecht Dürer, Dies irae, 1498

Bevor die Engel ihr Werk der Strafe auf Erden vollziehen, werden alle jene versiegelt, die ihre Kleider im Blute des Lammes gewaschen haben. (Off. 7,14)

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8. Das Sonnenmysterium Zwischen der Entsiegelung des Lebensbuches und dem Ertönen der sieben Posaunen liegt eine einschneidende Zäsur. Sie tritt durch die Einweihung des 10. Kapitels zutage, das mit dem 12. Kapitel als der eigentliche Mittelpunkt der Apokalypse bezeichnet werden kann. Von hier ab erhebt sich die Darstellung zur Höhe der Wandlung (Transsubstantiation), deren Ouvertüre wir nach der Eröffnung des 7. Siegels im 7. Kapitel erleben. Wir sehen uns einer großen Entscheidung gegenübergestellt. Es ist die Erhebung der 144000 in die „göttliche Lebenssphäre“, welche dazu berufen sind, das „Siegel“ zu empfangen. Bevor wir auf diese Erhebung der „Versiegelten“, die der Macht des Todes damit enthoben sind, näher eingehen, sei zunächst unser Blick auf das Urbild des Sonnenmysteriums gerichtet, das sich hier erschließt. Das Aufsteigen in die Sphäre der Posaunenklänge entspricht dem Eintritt des Menschen in die eigentliche Geisteswelt, wie sie im Übergang von der astralischen Welt in die rein geistige Sonnensphäre nach dem Tode erlebt wird. Die Sonne ist gleichsam der Markstein für diesen Übergang. Für das Hineinleben in die nun folgenden Bilder der Apokalypse ist dies wichtig. Wenn wir uns fragen, wo wir diese Urbilder finden, die sich jetzt mit den posauneblasenden Engeln entfalten (8., 9. und 11. Kapitel), so müssen wir den Blick zur geistigen Sonnensphäre erheben, in die Richtung, wo das sonnenhafte Urbild des Menschen lebt, mit dem sich der Mensch im Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt vereint. In welcher Art sich diese rein geistigen Urbilder im physischen Felde des apokalyptischen Geschehens mit der Erdenmenschheit verbinden, wird uns noch beschäftigen müssen. Es ist nicht ohne weiteres ersichtlich, wie wir dies Geschehen der sieben Posaunenklänge aufzufassen haben, das heißt in welcher Art sich dabei PhysischMaterielles und Geistiges durchdringt, obwohl wir dann bereits in einer vergeistigten Erdensphäre leben. Dennoch werden die physischen Gesetzmäßigkeiten 178 bis zum Jupiterzustand mitgenommen. Das ist ja auch das Geheimnis des „Phantoms“, der Auferstehungsgestalt des Christus Jesus, welche die physische Gesetzmäßigkeit des irdischen Leibes in sich trägt. In dieser Geistgestalt, die den Tod besiegt hat, lebt das Unterpfand des Menschen für die Erdenzukunft. Alle Erdenfrüchte, die der Mensch sich während seiner Erdenleben erworben hat, sind dieser Geistgestalt einverwoben und können so mit hinübergenommen werden in die Jupiter-Erde, der folgenden planetarischen Entwicklungsstufe. (Inwiefern wir schon gegenwärtig eine Projektion der sieben Posaunenklänge erleben, wird uns später beschäftigen.) Wir können uns am besten eine Vorstellung von dieser großen Umwandlung und Vergeistigung der Menschheit machen, wenn wir die Vorgänge ins Auge fassen, welche sich beim Übergang in die nachtodliche Sphäre abspielen, wenn der Mensch von der astralischen Welt, nach der Läuterungszeit, in die geistige Sonnensphäre aufsteigt. Dieser Übergang ergibt sich nicht von selbst. Er stellt eine gewisse Prüfung dar, inwieweit die Seele sich die dazu erforderlichen Kräfte erworben hat. Und auch hier bildet das Mysterium von Golgatha einen wichtigen Einschnitt für den Aufstieg in die Sonnensphäre. Rudolf Steiner weist auf diese Bedeutung des Christusmysteriums mit den folgenden Worten hin: 178

Die physisch-mechanischen Naturgesetze

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Vor dem Mysterium von Golgatha war es so, dass die Initiationswissenschaft den Menschen sagen konnte: „In einem gewissen Zeitpunkt des nachirdischen Daseins muss das menschliche Erleben der Mondensphäre (der astralischen Welt) entzogen werden, das den Menschen im Bereich des Planetenlebens erhält. Der Mensch kann dieses Entziehen nicht selbst bewirken. Da aber tritt das Wesen, dessen physischer Abglanz die Sonne ist, für ihn ein und führt ihn in eine reine Geistsphäre, in der es selbst, nicht aber die geistige Mondwesenheit wirksam ist. Nach dem Mysterium von Golgatha aber ergibt sich etwas anderes:

Im Aufnehmen der Kraft, welche für die Seele aus dem anschauenden und tätigen Gefühls-Miterleben des irdischen Christuslebens und des Mysteriums von Golgatha erwächst, erringt der Mensch schon auf der Erde, nicht erst durch das Sonnenwesen nach dem Tode, die Fähigkeit, sich in einem bestimmten Zeitpunkt des nachirdischen Daseins dem Mondeneinfluss zu entziehen und in die reine Sternensphäre einzutreten. Diese Fähigkeit ist das geistige Gegenbild der durch das Ichbewusstsein im Erdenleben herbeigeführten Freiheit. Der Mensch übernimmt dann in der Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt sein in der Mondensphäre zurückgelassenes moralisch-geistiges Wertwesen als den Bildner seines Schicksals, das er dadurch während des folgenden Erdendaseins in Freiheit erleben kann. Er trägt auch in Freiheit die irdische Nachwirkung seines zwischen Tod und Geburt durchlebten gottdurchdrungenen Daseins als religiöses Bewusstsein in sich. [39] Wir werden noch sehen, wie dieses Sonnenmysterium, das dem Menschen den Freiheitsraum gewährleistet, auch im menschlichen Lebenslauf zwischen Geburt und Tod eine wichtige Rolle spielt. – Dieser bedeutsame Übergang von der seelischen in die geistige Welt hängt nun mit jenen Kräften zusammen, die dem Menschen bei der „Austreibung aus dem Paradies“ entzogen werden mussten. Es sind dies die Kräfte des „Lebensbaumes“: „Nun aber, dass er nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baume des Lebens und esse davon und lebe ewiglich!“ Da wies ihn Gott der Herr aus dem Garten Eden, dass er das Feld bebaute, von dem er genommen ist, und trieb Adam aus und lagerte vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem bloßen hauenden Schwert, zu bewahren den Weg zu dem Baum des Lebens. (1. Moses 3, 2224) Hätte der Mensch nach der luziferischen Versuchung auch die höheren Lebenskräfte des chemischen oder Klangäthers sowie des Lebensäthers 179 aufgenommen und Einfluss in ihrem Bereich erlangt, so hätte er nicht nur diese reinen Sonnenkräfte verunreinigt, sondern wäre selbst auch rettungslos Luzifer verfallen gewesen, da er sich in seinem luziferischen Zustand auch vergeistigt180 hätte. Deshalb musste ihm der „Baum des Lebens“ entzogen werden. Das ist der tiefere Grund für die „Vertreibung aus dem Paradiese“. Nun enthalten aber diese höheren Kräfte des Lebens- und Klangäthers das Urbild des Menschen, die der ganzen Schöpfung erst ihren Sinn geben. Ohne sie könnte der Mensch seine Menschheitsaufgabe nie erfüllen. Und er kann auch nicht ohne sie leben. Jede Nacht taucht er, wenn er in den bewusstlosen Schlaf versinkt, in das Reich des Klang- und Wie es im Physischen das Feste, Flüssige und Gasförmige gibt, so ist auch die Ätherwelt nicht ungegliedert. Sie besteht aus den Elementen der Wärme, des Lichts, des Klanges und des Lebens. Nach den Gesetzen dieses Klanges ordnen sich die chemischen Substanzen im Physischen, daher das Synonym „chemischer Äther“ für den „Klangäther“. Das ätherische Leben ermöglicht die Verbindung eines Geistes mit der Materie; das bedeutet nicht, dass sich ein Geistwesen, das nicht in die Materie verkörpert ist, nicht „lebendig“ fühlen könnte. 180 also „verewigt“. 179

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Lebensäthers, jede Nacht weilt er in dem Reich des Lebensäthers, aus dem er sich die schöpferischen Aufbau- und Regenerationskräfte holt. Jede Nacht sind wir im Reich der Sphärenharmonie, die uns mit ihren Klängen durchflutet und neu gestaltet. Wir sind im Herzschlag des Weltenwillens, in der Welt des „Devachans“, der „Götterwelt“ 181. Der Schüler lernt in dieser Welt geistig zu erwachen durch die Kontinuität seines Bewusstseins, das er für Teile der Nacht erlangt.

[Der Schüler] lernt dann bewusst zu werden in einer Welt, von der er sonst nichts weiß. Diese neue Welt ist nicht eine Licht- und Farbenwelt, sondern kündet sich zuerst als eine Tonwelt an. In diesem Bewusstseinszustand erlangt der Mensch die Fähigkeit, geistig zu hören, Tonkombinationen, Tonmannigfaltigkeiten zu vernehmen, die dem physischen Ohr unhörbar sind. Diese Welt nennt man die Devachanwelt. Nun darf man nicht glauben, dass, wenn der Mensch die geistig tönende Welt aufsteigen hört, er nicht auch behält die Licht- und Farbenwelt. Auch die Tonwelt ist durchsetzt von Licht und Farbe, die aber der astralen Welt angehören. Aber das ureigenste Element des Devachan ist das flutende Meer der Töne. Und aus dieser Welt der Bewusstseinskontinuität kann der Mensch das Tönende herüberbringen und dadurch auch das Tönende in der physischen Welt hören. Allem in der physischen Welt liegt ein Ton zugrunde. Ein jedes Gesicht repräsentiert bestimmte devachanische Töne. Alle Gegenstände haben auf dem Grunde ihres Wesens einen geistigen Ton. [40, 1. Vortrag] Diese Devachanwelt ist das Urbild der Sinneswelt, die, von den Wesen der zweiten Hierarchie (der Sonnensphäre) getragen, flutender Wille ist. Im Musikalischen leben wir in diesem flutenden Willen.

Wenn der Mensch im Musikalischen lebt, so lebt er in einem Abbild seiner geistigen Heimat. In dem Schattenbild des Geistigen findet die Seele die höchste Erhebung, die intimste Beziehung zum Urelement des Menschen. Daher ist es, dass die Musik so tief auch auf die schlichteste Seele wirkt. Die schlichteste Seele fühlt in der Musik den Nachklang dessen, was sie im Devachan erlebt hat. Sie fühlt sich da in ihrer Heimat. Jedes Mal fühlt der Mensch dann: „Ja, du bist aus einer anderen Welt!“ [40] Leben wir so in jeder Nacht in dieser geistigen Urbilderwelt, aus der wir unsere aufgebrauchten Kräfte wieder erneuern, so ist es uns doch verwehrt, sie mit unserem Erdenbewusstsein zu betreten. Auch heute steht der Cherub mit dem flammenden Schwert vor dieser Welt des „Paradieses“ und wehrt uns den Eintritt. Wir leben aus diesen göttlichen Sonnenkräften, denen wir unser Menschsein verdanken, aber wir dürfen sie nicht bewusst betreten. Die Kluft zwischen dieser oberen Welt göttlicher Sonnenkräfte und der unteren Welt unseres irdischen Bewusstseins musste mit fortschreitender Entwicklung immer größer werden, je tiefer sich der Mensch in seinen Inkarnationen mit der Materie verband. Der Schlaf wurde zum Schlummer und der Schlummer zum Tode. Daher musste Vorsorge getroffen werden, dass der Mensch seinem sonnenhaften Ursprung nicht gänzlich entfiele. Und hier gewinnen wir wieder einen neuen Aspekt von der zentralen Bedeutung des Mysteriums von Golgatha. Denn dieses vollzog sich dadurch, dass der Christus als Logos die Kräfte des Lebensäthers und des Klangäthers mit der Erde verband. Was bisher nur durch die Initiation erreicht werden konnte, die den Menschen in die Sonnensphäre 181

Das indische Wort Devachan (sprich: de-wa-TSCHAN) bezeichnet die eigentliche geistige Welt.

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entrückte, das sollte der Mensch durch das Christus-Opfer empfangen: die Kommunion mit den geistigen Lebenskräften, die auf dem christlichen Wege sich ihm immer mehr in bewusster Weise erschließen. Im Johannes-Prolog betreten wir den ersten Schritt auf diesem Wege, wenn wir uns täglich am Morgen mit ihm verbinden. Es sind die Sphären des Lebensäthers, des Klang- und Lichtäthers, die sich um uns im Logos erschließen: Im Urbeginne war das Wort Und das Wort war bei Gott Und ein Gott war das Wort. Dieses (Wort) war im Urbeginne bei Gott. Im Wort war das Leben. Und das Leben war das Licht der Menschen, Und das Licht scheint in die Finsternis, Und die Finsternis hat es nicht begriffen.

Lebens- und Klangäther

Lichtäther

Und wenn der Mensch nun aufnimmt den Christus in sich, sodass er sich durchdrungen fühlt mit diesem Christus, dann kann er sich sagen: Dasjenige [von meinem Wesen], was die Götter mir zugeteilt haben vor der luziferischen Versuchung, das aber dadurch, dass die luziferische Versuchung eintrat, hat zurückbleiben müssen im kosmischen All (als der Lebensbaum), das zieht mit dem Christus in meine Seele ein. Die Seele wird erst dadurch wieder vollständig, dass sie den Christus in sich aufnimmt. Da bin ich erst ganz Seele, da bin ich erst wiederum, wozu ich durch den göttlichen Ratschluss vom Urbeginn der Erde an bestimmt war. Bin ich denn wahrhaft eine Seele ohne den Christus?“, fragt man sich. Man fühlt, man wird erst durch den Christus die Seele, die man hätte werden sollen nach dem Ratschluss der führenden Götter. Das ist das wunderbare Heimatgefühl, das die Seelen haben können mit diesem Christus. Denn aus der uralten kosmischen Heimat der Seele ist der kosmische Christus herabgekommen, um der Menschenseele zu geben, was sie durch die luziferische Versuchung verlieren musste. Hinauf führt der Christus die Seele wieder zu ihrer uralten Heimat, die ihr von den Göttern zugeteilt worden ist. Das ist das Beglückende, das Beseligende des wirklichen Erlebens des Christus in der Menschenseele. Das war es, was zum Beispiel so beglückend auf gewisse christliche Mystiker des Mittelalters gewirkt hat... Solche christlichen Mystiker, die sich anschlossen an Bernhard de Clairvaux und andere, sie empfanden die menschliche Seele wie eine Braut, die ihren Bräutigam verloren hat beim Erdenurbeginn; und wenn der Christus einzog in ihre Seelen, sie durchlebend, durchgeistigend, dann empfanden sie den Christus als den Seelenbräutigam, der sich mit der Seele verband und den sie einstmals verloren hatten, in der uralten Heimat der Seele, die sie verlassen hat, um durch Luzifer den Weg der Freiheit zu gehen, den Weg zu der Unterscheidung des Guten und des Bösen. Nicht können wir – weil wir ja bis in unsere fernere Erdenzeit irdisches Leben absolvieren müssen – die Sphärenmusik unmittelbar hören, nicht können wir das kosmische Leben unmittelbar in uns erleben, aber wir können erleben dasjenige, was von dem Christus ausfließt, und haben stellvertretend damit dasjenige, was uns sonst 143

aus der Sphärenmusik und dem kosmischen Leben zukommen würde... Der gewöhnliche Mensch (als Nicht-Eingeweihter) kann in seinem physischen Leibe von Sphärenmusik und von kosmischen Leben nur sprechen, wenn er in seiner Seele erlebt das „Nicht ich, sondern der Christus in mir!“ [26] Daher sagen die rosenkreuzerischen Christen: Im Kreuze steht der Lebensbaum vor uns. Im Mysterium von Golgatha verbindet sich der Mensch mit dem wahren Leben, das durch Christus als das todlose Leben der Sphärenwelten wieder neu erschlossen worden ist. Von diesem Gesichtspunkt weiß man erst die tiefe Bedeutung aller Worte vom ewigen Leben im Johannesevangelium zu würdigen. Dies ewige, sonnenerfüllte Leben ist durch das Christus-Opfer der Erde eingepflanzt worden, dass auch sie einst Sonne werde! Es bildet den Keim zu dem umfassenden Transsubstantiationsprozess der gesamten Erde und Menschheit. Aber dieser Prozess ist nicht ein bloß natürlicher Vorgang Er ist aufs Engste mit dem menschlichen Bewusstsein verknüpft. Man könnte ihn einen menschheitlichen Einweihungsprozess nennen, der sich stufen- und epochenweise vollzieht, der sich aber mit innerer Notwendigkeit seinem Ziele entgegenbewegt, so wie ein geheimer Brand, der als ein immer weiter um sich greifendes Feuer schließlich alles in Flammen setzt: „Ich bin gekommen, um ein Feuer anzuzünden, und was wollte ich lieber, als dass es schon brennte!“ (Lk. 12,49) Wenn wir dieses Mysterium erfassen, dann erst verstehen wir die große ErdenTranssubstantiation, die sich bis in die physisch-materiellen Vorgänge verwirklicht, sobald die erste Posaune erklingt, und die Erde vom ätherisch-astralischen Zustand in den geistigen Zustand aufsteigt. Das ist vom Gesichtspunkt der kosmischen Erdenentwicklung der Übergang, den jeder Mensch nach dem Tode von der astralischen „Mondensphäre“ zur geistigen Sonnensphäre durchmacht. Und wie der Aufstieg in die geistige Sonnensphäre weitgehend von der geistigen Kraft abhängig ist, die sich jeder einzelne Mensch durch seine Verbindung mit dem Christus aneignen konnte, so ist auch dieser Aufstieg der ganzen Erdenmenschheit von dieser in die Erde gelegten kosmischen Keimeskraft abhängig, die der Einzelne sich in seinen Erdenleben aus dem Christus-Mysterium erwerben kann. Daher ändert sich hier grundlegend die Kräfteeinrichtung. Bisher vollzog sich alles in der Richtung von unten nach oben, im Sinne eines nach oben strebenden Vergeistigungsprozesses. Der Seher sieht sich in die Geistessphäre entrückt und erlebt in der Engelwelt das Tableau des sich offenbarenden Ätherpanoramas, so wie es der Mensch nach dem Tode erlebt. Er sieht sich aufgenommen in die geistig-ätherischen Sphären, die sich vor ihm ausbreiten und mit denen sich die Erdenfrüchte verweben. Was aber geschieht jetzt bei den Posaunenklängen, dem entscheidenden Übergang zur Devachan- und Sonnenwelt? Mit einer feierlichen Atempause im Himmel wird dieser Akt der Transsubstantiation eingeleitet. Die Ouvertüre bildet zunächst die Eröffnung des siebten Siegels, worauf eine Stille im Himmel entsteht eine halbe Stunde lang (Off. 8,1). Wie so oft schiebt sich vor dem Fortgang der dramatischen Handlung eine Art Intermezzo ein, das den Strom der Handlung unterbricht. In solchen Zwischenpausen begibt sich jedes Mal etwas sehr Entscheidungsvolles. Es ist, als verhüllte die Gottheit ihr Antlitz, als sammle sie die Kraft, um ihre notwendigen Ziele zu verwirklichen. Wir sprechen ja in dieser Beziehung von „der Stille vor dem Sturm“. Dafür eröffnet sich jetzt der Vorhang vor 144

dem Tempel, und wir sehen uns in eine höhere Sphäre entrückt und werden Zeuge eines kultischen Geschehens. In dieses kultische Geschehen werden einbezogen die Menschen, welche die Prüfung bestanden und das Siegel der höheren Lebenssphären erhalten haben, das sie von der Macht des Todes befreit: Diese sind es, die da kommen aus großen Trübsalen und haben ihre Kleider gewaschen und hell gemacht im Blute des Lammes... Darum stehen sie vor dem Throne Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel. Sie werden nicht mehr hungern noch Durst haben..., denn das Lamm wird sie zu den lebendigen Wasserbrunnen führen. Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen. (Off 7, 1417) Das Sonnenmysterium der großen Verwandlung als Transsubstantiation der Erde und Menschheit beginnt mit einem Kultus: Nachdem die sieben Engel, die „vor Gott stehen“, sieben Posaunen empfangen haben, tritt „ein anderer Engel“ an den Altar mit einem goldenen Rauchgefäß. Es wurde ihm viel Räucherwerk gereicht; das sollte er vor dem Thron an dem goldenen Altare den Gebeten derer spenden, die dem Geist ergeben sind. Und aus der Hand des Engels stieg im Angesichte der göttlichen Welt der Weihrauch empor zusammen mit den Gebeten derer, die dem Geist ergeben sind. Und der Engel nahm das Rauchfass und füllte es mit dem Feuer des Altars und warf es auf die Erde. Da rollten die Donner, es tönten die Stimmen, es zuckten die Blitze und die Erde erbebte. (Off. 8, 35) Dieses kultische Geschehen bildet die feierliche Ouvertüre für die sieben posaunenblasenden Engel, die nun nacheinander ihre Posaunen erklingen lassen, von denen alles Unheil hervorgeht, das die Erde in Flammen setzt und die Menschen mit furchtbaren Qualen heimsucht. Bevor wir auf die Einzelheiten dieses großen Dramas eingehen, müssen wir uns mit der grundlegenden Frage beschäftigen: Ob denn die ganze Apokalypse nichts anderes als das Strafgericht eines zornigen Gottes von der Art des Gottes des Alten Testamentes ist? Man kann da einwenden: Wo bleibt der Gott der Liebe, von dem Johannes spricht: Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. (1. Joh. 4,16) Unsere diesbezüglichen Vorstellungen, wie sie auch auf den großen Gemälden vom Jüngsten Gericht eines Michelangelo, Signorelli und anderer Künstler dargestellt sind, gehen seit alters her in diese Richtung. Sind diese Bilder aber wirklich mit dem Geist Christi zu vereinen? Emil Bock schreibt hierzu:

Zu den üblichen Vorstellungen von der Wiederkunft Christi gehört die, dass der Christus kommt, „zu richten die Lebendigen und die Toten“. Es stammt aus ganz alten Zeiten, eigentlich aus der eschatologischen Messiaserwartung des Pharisäerordens im Spätjudentum, dass man sich ausmalte: Wenn der Weltenrichter kommt, so tun sich die Gräber auf, und die Toten werden auferstehen. Kaum eine andere Vorstellung hat so sehr dazu beigetragen, dass ein grober und starrer Materialismus in das religiöse Denken hineinkam, wie diese Eschatologie vom Weltgericht, die noch von den großen Malern der Renaissance, Michelangelo, Signorelli usw. künstlerisch gestaltet und im Exerzitienwesen des Jesuitenordens angewendet worden ist. Das pharisäische Judentum stellte sich bereits das erste Kommen des Messias im Bilde des Weltgerichtes, bei welchem sich die Gräber auf tun, vor. Als der Christus dann in einer so unscheinbaren menschlichen Gestalt kam, musste er schon deshalb verkannt und ans Kreuz geschlagen werden... 145

Wir müssen uns gänzlich von den Resten des materialistischen Missverständnisses befreien, als ob die Auferstehung der Toten, die durch die Christus-Zukunft bewirkt wird, durch ein Emporsteigen der Leiber aus den sich öffnenden Gräbern geschähe; dadurch wird der Weg frei, um zu erkennen, welche entscheidende Bedeutung die Wiederkunft Christi für die Sphäre der verstorbenen Menschenseelen haben muss. [3?] Wie aber können wir uns das Bild der posauneblasenden Engel vorstellen, von welchen die Wirkungen furchtbarer Zerstörung ausgehen? Es scheint zunächst unseren Vorstellungen zu widersprechen, dass der Himmel uns nur Unheil und Zerstörung sendet, da „alles Gute doch von oben kommt“! Zu diesem Zweck müssen wir uns zunächst von den landläufigen Vorstellungen eines zürnenden Jahwegottes, der dies schreckliche Strafgericht über die Sünder verhängt, befreien und uns einzuleben versuchen in die kosmischen Umwandlungsprozesse eines geisteswissenschaftlichen Weltbildes. Was vollzieht sich denn von diesem Gesichtspunkte aus bei dem Akt der posauneblasenden Engel? Wir sagten es bereits: Es ist die große Erden-Transsubstantiation, deren Urbild in der christlichen Messe als Vorbereitung zur Kommunion gefeiert wird. Die Aufnahme der geistigen Wegzehrung, von Christi Leib und Blut, setzt voraus eine Vorbereitung und Läuterung, wodurch die Seele sich zum würdigen Kelch für die geistige Wegzehrung macht. Gibt es auch eine „umgekehrte, pervertierte Kommunion“, die der Seele zum Schaden gereicht, wenn sie die Wegzehrung von Christi Leib und Blut unvorbereitet empfängt? Ja, die gibt es, und die wird uns beim Abendmahle des Johannesevangeliums beschrieben: Als Jesus dies gesagt hatte, ergriff ihn eine große Erschütterung, und er bezeugte und sprach: „Fürwahr, so ist es: Einer von euch wird mich verraten.“ Da blickten die Jünger einander an, angstvoll bestürzt, wen er gemeint haben könnte. Es war aber einer unter den Jüngern, der im Schoß Jesu ruhte, der Jünger, den Jesu lieb hatte. Dem winkte Simon Petrus und sprach: „Frage, wer es ist, von dem er redet!“ Dieser neigte sich an die Jesu Brust zurück und fragte ihn: „Herr, wer ist es?“ Jesus antwortete: „Der ist's, dem ich den Bissen eintauche und darreiche.“ Und er tauchte den Bissen ein und reichte ihn Judas, Simons Sohn aus Kariot. Und nachdem er den Bissen zu sich genommen hatte, fuhr der Satan in ihn. Und Jesus sprach zu ihm: „Was du tust, das tue bald!“... Da Judas nun den Bissen genommen hatte, ging er sogleich hinaus. Und es war Nacht.“ (Joh. 13, 2021) Hier vollzieht sich die umgekehrte, pervertierte Kommunion, obwohl Jesus selbst sie Judas reicht. Da Judas’ Seele völlig gespalten und zerrissen ist, im Tiefsten von entgegengesetzten Empfindungen durchwühlt, vermag der Satan, nachdem er die Wegzehrung empfangen hat, in ihn hineinzufahren. Hier haben wir ein prägnantes Beispiel für die negativen Wirkungen der Kommunion bei unvorbereiteter und zerrissener Seele! Diese öffnet Ahriman ihre Pforte statt dem Christus. Versuchen wir nun diesen Vorgang ins Große, Kosmische zu übertragen. Welches ist die kosmische Wegzehrung, die die Menschheit jetzt im Zeitalter der Posaunenklänge empfangen soll? Wir haben es schon angedeutet: Es ist der Lebensbaum, der mit seinen höheren Kräften des chemischen und des Lebensäthers durch Christi Opfertat auf Golgatha sich mit der Erde verbunden hat. Diese göttlichen Lebenskräfte, die mit der Sonne verbunden sind, sollen sich immer mehr mit der Erdenmenschheit vereinen, sodass sie der Mensch auch in seinem Bewusstsein aufnehmen kann. Das ist die göttliche Wegzehrung, durch die die Menschheit in der Zukunft ihre höheren Geistesglieder 146

entwickeln kann, das Geistselbst, den Lebensgeist und den Geistesmenschen, die in der Symbolsprache in dem göttlichen Dreieck dargestellt werden, dem sogenannten Gottesauge. Was der Menschheit bis dahin von der Sonne zugeströmt ist als Leben, Wort und Licht, das soll sich mit der Erde vereinigen, wenn diese sich zum Geistigen erhebt, oder besser: Wenn das Geistige der Sonnensphäre zur Erde herniederkommt und sich mit dieser vereint: „dass auch sie einst Sonne werde!“ – Das ist der Vorgang, der uns im Posaunenzeitalter dargestellt wird: eine kosmische Transsubstantiation, welche die Kommunion einleitet! Die Beziehung der höheren Ätherarten des Lebensbaumes zu den geistigen Gliedern des Menschen, die sich damit verbinden sollen, ergibt sich aus der folgenden Skizze: Abb. 11: Die „Dreifache Sonne“

Das Hineinwachsen in diese drei höheren geistigen Sphären entspricht dem Weg, den Christus uns gewiesen hat:  Ich bin der WEG  die WAHRHEIT  das LEBEN (Joh. 14,6)

Lichtäther Geistselbst Klangäther Lebensgeist Lebensäther Geistesmensch

Diese höheren Ätherarten des „Lebensbaumes“ mussten dem menschlichen Bewusstsein entzogen werden, wie wir sahen, da sie tödlich auf den Menschen wirken, der sie unvorbereitet in sein Bewusstsein aufnehmen würde. Wir eignen uns diese höheren Lebensglieder heute im Leben nach dem Tode an, das heißt, wir empfangen sie durch die Gnade der höheren Wesen

Als zweites Glied der menschlichen Wesenheit (neben dem Ich) nach dem Tode haben wir eine Geistwesenheit, das Geistselbst, das dem Bewusstsein von Innen heraus aufgeht. Indem man fühlt, dieses Geistselbst belebt sich, treten herauf die Wesenheiten der höheren Hierarchien. Das Geistselbst ist gerichtet durch die Hierarchie auf das Ich. Dadurch lernen Sie diese Hierarchien innerhalb des Wirkens Ihres Geistselbst kennen. Sie bekommen immer mehr das Gefühl, dass sich immer mehr und mehr Wesenheiten der höheren Hierarchien um Sie kümmern und sich hineinmischen in Ihr Schauen, Ihre Blicke lenken. Das dritte Glied der menschlichen Wesenheit nach dem Tode: Man fühlt nach und nach sich durchsetzt von einer Kraft. Diese Hierarchien durchträufeln einen mit Kraft, geben einem Kraft. Man fühlt die Kräfte des Kosmos in sich einströmen wie belebende Säfte. Man fühlt sich nach und nach erfüllt von kosmischer, todbringender Weltenkraft.

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Das also ist das zunächst Überraschende, dass die Kräfte des Lebensgeistes, die hier gemeint sind, ertötend wirken!

Also Sie kleiden sich drittens in das, was ich nennen kann: den Lebensgeist, was aber ertötend ist für die Kraft des Lebensleibes [Ätherleibs]. Und Sie bekommen ein drittes Glied Ihrer Wesenheit, durch das Sie in der Lage sind, jeden Ätherleib, der Ihnen in die Quere kommt, zu töten. Dadurch wecken Sie aus dem Getöteten Geistiges auf, zunächst eigentlich Seelisches. Es ist ein Töten, aber es ist zu gleicher Zeit eine Erlösung des Seelischen aus den Banden des Lebens. Sodass man sagen kann: Der Lebensgeist tötet irdisch Lebendiges, in ihm Seelisches auslösend. In dem Lebendigen ist gewissermaßen Seelisches verzaubert und das verzauberte Seelische wird herausgelöst aus dem Lebendigen. Das vierte Glied ist der Geistesmensch. Dadurch gewinnt man die Möglichkeit, Formen zu vernichten, respektive sie auch in andere zu verwandeln. Das ist eine kosmische Tätigkeit. Und der Mensch ist, indem er sich angeeignet hat diese Kraft der Entformung, der Entzeichnung, er ist mit ein Stück der kosmischen Welt geworden. Was hier auf der Erde Zerstörung, Untergang heißt, hat viel zu tun mit Entstehung, mit Bildung in den geistigen Welten. Sodass, wenn ich von Entzeichnung, Entformung spreche, ich nicht von Untergang in der geistigen Welt, sondern nur von Untergang in der seelischen Welt spreche; dagegen von Auftauchen von geistig Neuem in der geistigen Welt. [Rudolf Steiner: „Die Wissenschaft vom Werden des Menschen“ (3. Band, GA 183) Diese Arbeit, die die Verstorbenen schon heute von der geistigen Welt aus leisten, durch die Formen vernichtet und umgewandelt werden, die das Antlitz der Erde verändern, kann als eine Vorbereitungstätigkeit zu jener grundlegenden Erden-Transsubstantiation angesehen werden, wodurch die Erde sich vergeistigt. Dann wird aber nicht nur das Mineralische und Ätherische in diesen Vergeistigungsprozess einbezogen werden, sondern die ganze Menschheit. Und genauso wie bei dem Durchgang durch die Sonnensphäre nach dem Tode alles dasjenige, was der Läuterung sich widersetzt, zurückgewiesen wird, so vollzieht sich auch bei dem kosmischen Wandlungsprozess ein Abstoßen der niederen Kräfte, die sich dann pervertieren in Kräfte des Hasses und der Geistgegnerschaft, das heißt des Bösen. Im Kleinen können wir diesen Prozess schon bei der Meditation erleben: Auch hierbei werden geistfeindliche Kräfte aufgerufen in der Seele, je tiefer die Meditation unsere Seele erfasst und sie bis in die unterbewussten Seelenkräfte ergreift. Die stärksten Widerstandskämpfe machen sich aus dem physischen Leibe bemerkbar. Wir erleben hier eine Transsubstantiation, die alle unsere Wesensglieder ergreift. Aus der Umwandlung unseres Astralleibes ersteht das Geistselbst, aus der Verwandlung des Lebensleibes der Lebensgeist und aus der Transsubstantiation des physischen Leibes der Geistesmensch. Die erste Verwandlung entspricht der Siegelstufe, die zweite der Posaunenstufe und die dritte den Zornesschalen, oder anders ausgedrückt: der Imagination, der Inspiration und der Intuition. Wie sich diese kosmische Transsubstantiation im Zeitalter der Posaunenklänge im Einzelnen erfüllt, und in welcher Weise das Posaunenzeitalter schon heute in das Zeitgeschehen hineinwirkt, soll in unseren nächsten Beiträgen dargestellt werden. Denn wir sind im 20. Jahrhundert bereits in die irdische Projektion der 5. und 6. Posaune eingetreten, deren machtvolle Klänge die Menschheit unseres Jahrhunderts erschüttert haben in den ersten beiden Wehe-Rufen, denen der dritte Wehe-Ruf mit der 7. Posaune folgen wird. Welche Rolle hierbei der „Zorn Gottes“ spielt, soll uns auch noch beschäftigen, wenn wir zu einem neuen, wahrhaft durchchristeten Weltbild kommen wollen, worin sich der Mensch zum freien Mitarbeiter Gottes erhebt.

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9. Das Sonnenmysterium im menschlichen Lebenslauf Welche Bedeutung das Sonnenmysterium für den menschlichen Lebenslauf hat, geht aus der folgenden Skizze hervor, die wir unseren Lesern als Meditationsfigur empfehlen möchten: Abb. 12: Die Jahrsiebte im Lebenslauf

Machen wir uns klar, dass alle Planetensphären, die der Mensch nach dem Tode durchläuft, in den siebenjährigen Rhythmen seines Lebenslaufes ebenfalls von ihm durchlaufen werden. Dabei spielt die Sonnensphäre den zentralen Mittelpunkt unseres Lebens, und zwar bildet sie die Lebensmitte, und nimmt wegen ihrer zentralen Bedeutung dreimal sieben Jahre in Anspruch: vom 21. bis zum 42. Jahre. In diesen Jahren soll sich der Mensch zu seiner Selbständigkeit und Freiheit erheben. Von seinem Ich aus, das ja mit 21 Jahren in seine Selbständigkeit tritt, werden die Seelenkräfte seiner Empfindungsseele (vom 21.28. Jahr), seiner Verstandes- und Gemütsseele (28.35. Jahr) und seiner Bewusstseinsseele (35.42. Jahr) ausgebildet. Fasst man diesen Zeitraum der Lebensmitte ins Auge, dann ergibt sich die skizzierte Meditationsfigur. Sie kann uns deshalb für unsere Meditation wertvoll sein, weil sie uns zeigt, dass wir in der Mitte unseres Lebens die Ich-Kräfte ausbilden müssen, die uns gleichsam das Werkzeug liefern, um in der zweiten Lebenshälfte die natürlich gegebenen Veranlagungen zu vergeistigen. Denn die drei ersten Lebensperioden bis etwa zum 21. Jahre enthalten die karmischen Voraussetzungen, die zweite Lebenshälfte enthält die karmischen Erfüllungen. Diese letzteren hängen aber von der Freiheits- und Sonnenkraft ab, die wir in unserem Ich in der Lebensmitte ausbilden, um das Naturhaft-Gegebene in geistige Lebensfrüchte zu verwandeln. So erfüllt sich das Goethewort, das er zu Eckermann als das Geheimnis seines Lebens in das poetische Gleichnis kleidete:

Wenn man alt ist, denkt man über die weltlichen Dinge anders, als da man jung war. Es geht mir da mit wie einem, der in seiner Jugend sehr viel kleines Silber- und Kupfergeld hat, das er während seines Lebens immer bedeutender einwechselt,

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sodass er zuletzt seinen Jugendbesitz in reinen Goldstücken vor sich sieht!“ [Eckermanns Gespräche, 6. Dezember 1829] Darin liegt in der Tat das Geheimnis unseres Lebens. Und die Kraft zu dieser Umwandlung verdanken wir der Zeit, in der wir in unserem vorgeburtlichen Leben in der Sonnensphäre weilten, das heißt: wieviel wir von diesen Sonnenkräften mit ins Dasein bringen. So rundet sich das Leben zur Einheit, zum Kreis, wodurch Anfang und Ende, Geburt und Tod sich begegnen. Auch hierin erfüllt sich die Lebensweisheit Goethes, wenn er sagt:

„Was man in der Jugend sich wünscht, das hat man im Alter in Fülle.“ Für die erste Lebensperiode vom 1.7. Jahre gab Rudolf Steiner ein Lebensmotiv, das uns zeigt, wie sich das in der Kindheit Erlebte im Alter sich spiegelt:

Wer nicht gelernt hat als Kind die Hände zu falten, der kann sie im Alter auch nicht zum Segnen ausstrecken! [41] Nur durch die Kraft der Ehrfurcht und Devotion, die wir als Kind entwickeln, können wir im Alter anderen Menschen etwas geben und sein. Etwas Ähnliches kann von den anderen Jugendperioden gesagt werden. Folgt das kleine Kind bis zum siebten Jahre dem Trieb der instinktiven Nachahmung, so will es in der Lebensperiode vom 7.l4. Jahre zu einer verehrten Autorität aufblicken, an der es sich halten und orientieren kann, so wie die Pflanze dem Licht entgegenwächst, das ihrem Wachstum Kraft und Auftrieb gibt. Fehlt dem Kinde in dieser Periode der Halt und Aufblick zu einer verehrten Autorität, so wird der Mensch im späteren Lebensalter selbst keine Autorität und Führung für andere Menschen sein können, da er diese innere Stütze in sich nicht finden konnte. Und in der dritten Jugendperiode vom 14.-21. Lebensjahre, wo der Jugendliche der Autorität entwächst, sucht er eine Orientierung an Ideen, die ihm die Welt, die er vorfindet, begreiflich machen. Also nicht nur ein Tatsachenwissen, sondern zusammenfassende und aufklärende Ideen, wie sie zum Beispiel in der Geschichte anhand großer Persönlichkeiten anschaulich geboten werden können. Und wiederum, wenn diese aufweckenden Ideen fehlen, dann verfällt der Mensch gar zu leicht dem Stumpfsinn, das heißt, er setzt dann, wenn die natürliche Entwicklung ihn entlässt, im 28. Lebensjahre, seine geistige Weiterentwicklung nicht fort und bleibt in seinem 28. Jahre stehen, wie es heute leider sehr oft geschieht! In dieser Art rundet sich der Lebenslauf zu einem Ganzen: Wir ernten in der zweiten Lebenshälfte, was wir in der ersten gesät haben. Dabei durchlaufen wir bis zur Lebensmitte die Planetensphären der erdennahen Planeten Mond, Merkur und Venus, die wir auch im Leben nach dem Tode bis zum Eintritt in die Sonnensphäre durchleben. Und dann, nach dem 42. Lebensjahre die erdenfernen Planeten Mars, Jupiter und Saturn, welche die Anlagen unserer geistigen Glieder enthalten: Geistselbst, Lebensgeist und Geistesmensch, die ganz von unserer eigenen Arbeit abhängig ist, mit der wir unsere karmischen Voraussetzungen in der ersten Lebenshälfte umzuwandeln und zu vergeistigen vermögen. Aus dieser Meditationsfigur kann uns die weisheitsvolle Komposition unseres Lebenslaufes aufgehen, als ein irdisches Abbild unserer himmlischen Sonnenbahn.

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Bild 6: Albrecht Dürer, Die Engel mit den Posaunen, 1498

Die Schrecken der Posaunen, durch die das Große Gericht vollzogen wird. Der fünfte Engel schließt den Brunnen des Abgrunds.

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10. Die Pforte der Einweihung – Der starke Engel mit dem Sonnenantlitz Die jäh sich wandelnden Bilder der Apokalypse, die in oft völlig überraschender Folge ganz neue seelische Landschaften hervorzaubern und neue geistige Perspektiven erschließen, müssen vom irdischen Vorstellungsbereich wie die Zauberkunststücke eines Deus ex machina 182 wirken, die sich nur ein primitiver, unerfahrener Theaterdichter leisten darf. Sie erinnern uns im besten Falle an die Bilder von Märchen oder Legenden, in denen die Fee oder ein verborgener Geist den Zauber bricht und die verwunschene Prinzessin aus dem verhexten Bereich des bösen Magiers befreit, sodass sich alles noch zum Guten wendet. Man verzeihe uns, wenn wir solche scheinbar trivialen Vergleiche gegenüber den erhabenen Bildern und dramatischen Geschehnissen der Offenbarung Johannis heranziehen. Es soll hiermit nur die aller irdischen Logik und Gesetzmäßigkeit sich entziehende innere Dramatik in der dynamischen Bilderfolge der Apokalypse beleuchtet werden, damit sie uns ins Bewusstsein kommt. Gerade indem wir sie kontrastieren gegenüber den uns gewohnten Vorgängen der Sinneswelt, kann uns die andersartige Gesetzmäßigkeit, die darin zum Ausdruck kommt, aufgehen, kann die Frage vor uns aufsteigen: Welche Gesetzmäßigkeit ist es denn eigentlich, die sich darin manifestiert? Natürlich kann man alles einfach hinnehmen als eine Offenbarung aus der geistigen Welt, woran wir mit den Vorstellungen verstandesmäßiger und logischer Begriffe nicht herangehen dürfen, so wie die sogenannten Wunder in den Evangelien einfach als „Wunder“ hingenommen werden. Doch schon Thomas von Aquino, der große Kirchenlehrer und Führer der Scholastiker des 13. Jahrhunderts, sagt, dass die Vernunft bis in die höchsten Gebiete der Offenbarung mitgenommen werden müsse, weil der Mensch ein denkendes Wesen ist, dessen Natur auf dem Denken beruht:

Die menschliche Vernunft ist dem Menschen Natur. Was immer also wider die Vernunft ist, das ist wider des Menschen Natur. [53] Damit versuchte der große Scholastiker schon damals die Kluft zwischen Offenbarung (Glauben) und Erkenntnis zu überwinden. Es gibt heute im Zeitalter des Rationalismus und Materialismus, wo nur das logisch Beweisbare Anerkennung findet und die Zahl derer immer kleiner wird, welche die Offenbarungen der christlichen Überlieferung überhaupt noch ernst nehmen und gelten lassen, nur einen Weg, um ein neues Verhältnis zu den offenbarten Wahrheiten des Christentums zu finden; und dieser ist: die Realität einer übersinnlichen geistigen Welt wieder anzuerkennen! Damit ist scheinbar wenig, in Wirklichkeit jedoch sehr viel gesagt. Denn der moderne Mensch findet weder in der kirchlichen Tradition, wie sie heute vertreten wird, noch im kulturellen und wissenschaftlichen Leben, in dem er aufwächst und aus dem er seine Bildung bezieht, irgendwelche Anhaltspunkte für die Existenz einer

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Lateinisch für „Gott aus der Maschinerie“: Vor dem Zuschauer erscheint unerwartet eine Gottheit auf der Theaterbühne. – „Heute bezeichnet man mit Deus ex Machina ... meist eine unerwartet auftretende Person oder Begebenheit, die in einer Notsituation hilft oder die Lösung bringt.“ (Wikipedia)

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realen geistigen Welt. Das Einzige ist ein mehr oder weniger nebulöser Begriff von einer die Welt durchwaltenden Göttlichkeit. Würden wir mit der ähnlichen nebulösen Einstellung uns der Sinneswelt gegenüber verhalten, so kämen wir zum Beispiel im Bereich der Botanik nicht weiter als bis zu dem recht verschwommenen Begriff von „Pflanzen, Bäumen, Blumen“. Alles sind Pflanzen – die einzelnen Sorten, die Familien dieser Pflanzen, interessieren uns nicht. Ähnlich redet der Mensch gegenüber der göttlichen Welt, alles ist „Gott“, alles ist „Geist“, das Nähere interessiert uns nicht. Ja, der gut erzogene „Christ“ hält es für Vermessenheit, die Gesetze seiner begrifflichen Logik, seines denkerischen Unterscheidungsvermögens in den Bereich des Religiösen hineinzutragen, aus Scheu, damit die Erhabenheit einer aller logischen Begrifflichkeit sich entziehenden Welt zu verletzen. Gewiss: nicht mit Unrecht. Das beweist die moderne Bibelkritik, welche die religiösen Dokumente den kritischen Vorstellungen unserer Zeitbildung unterwirft, vor der sie selbstverständlich nicht bestehen können, da sie aus ganz anderen Quellen stammen und ganz andere Bewusstseinsvoraussetzungen haben. Gerade das Missverständnis, das daraus erwachsen ist, hat bewirkt, dass die religiösen Dokumente für das moderne Bewusstsein verloren gegangen sind. Schuld daran ist im Grunde weder das kritische Bewusstsein des heutigen Menschen, noch sind es die Schriften der religiösen Überlieferung. Schuld ist allein – wir können es unumwunden mit diesem Wort aussprechen – der Verlust von dem Wissen und der Realität einer geistigen Welt! Die ist der neueren Menschheit gründlich verloren gegangen, und damit ist „ein Drittel“ des geistigen Wesens des Menschen und der Welt dem heutigen Bewusstsein entfallen und „getötet worden“, wie es die Apokalypse ausdrückt. Die kopernikanische Weltanschauung hat die letzten Überbleibsel einer alten hellseherischen Anschauung zum Verlöschen gebracht. Und damit ist endgültig der Abnabelungsprozess zur geistigen Welt eingetreten, mit der die Menschheit noch bis ins 11., 12. Jahrhundert verbunden war. Man muss sich die Situation, in der sich die Menschheit seit den letzten Jahrhunderten befindet, als konsequente Folge des allgemeinen Entwicklungsprozesses der abendländischen Menschheit ins Bewusstsein heben, um sich ein unbefangenes, sachgemäßes Urteil aneignen zu können. Wir können weder die Kirchen noch die Wissenschaft anklagen. Die Ursache liegt tiefer: Sie liegt in dem allgemeinen Entwicklungsvorgang der neueren Menschheitsgeschichte. Und was liegt diesem Gang als tieferer Sinn zugrunde? Es ist der Weg zur Freiheit, zur eigenen Entscheidung, zum Handeln aus dem eigenen freien Willen, die dem Menschen einmal gegeben werden musste, wenn er zu seiner eigenen geistigen Existenz, zu seiner freien Persönlichkeit kommen sollte. Wer durchschaut, was dem heutigen Materialismus und der geistigen Irreligiosität zugrunde liegt, der wird die Notwendigkeit einsehen, zu einer neuen geistigen Orientierung zu gelangen, nicht nur auf religiösem Felde, sondern als Basis für das ganze menschliche Leben. Deshalb musste, durch die Notwendigkeit der neueren Menschheitsentwicklung bedingt, die moderne Geisteswissenschaft an der Wende zum 20. Jahrhundert in die Welt treten, um gemäß dem Bewusstsein der heutigen Zeit der Menschheit eine neue Orientierung und ein neues Wissen von der geistigen Welt zu bringen. Ohne diese Erkenntnisorientierung wird die Menschheit die religiösen Dokumente vollends verlieren und immer mehr ratlos und hilflos vor ihnen stehen – trotz aller technischen Fortschritte und Entdeckungen. Sie gleicht einem Kinde, das sich im

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Dickicht eines Waldes wie in einem Labyrinth verirrt hat, da es die Orientierung, den inneren Kompass verloren hat. Das ist die Situation, die der Apokalyptiker in den Gespensterstürmen der 5. und 6. Posaune beschreibt. Da öffnet sich der Vorhang der Weltenbühne, und der „starke Engel“ steigt vom Himmel herab, dessen Antlitz wie die Sonne leuchtet und der das Tor öffnet – die Pforte zur Einweihung. Wollen wir diese jähe Wandlung der geistigen Szenerie nicht nur als ein Wunder eines plötzlich erscheinenden Deus ex machina ansehen, der ohne höheren Sinn hier in das Menschheitsgeschehen eingreift, so müssen wir uns einen Augenblick beschäftigen mit den Gesetzmäßigkeiten des geistigen Lebens, die uns das meditative Leben erschließen kann. Ein Beispiel, wie verschieden die Gesetze der Sinneswelt im Verhältnis zur übersinnlichen Welt sich manifestieren, ist die Gerade. Die gerade Linie ist in der Sinneswelt die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten. In der geistigen Welt ist dies der längste Weg! Wir können diese Tatsache an der Schicksalsführung unseres Lebens schon erkennen. Überlegen wir uns einmal durch einen Rückblick auf unser Leben, welche Umwege wir zum Beispiel machen mussten, um in einem bestimmten Lebensjahr unserem Schicksalsgefährten zu begegnen. Manch einer muss zu diesem Zweck in ein fernes Land fahren, um seinen Lebensgefährten zu finden, und kommt hinterher zur Entdeckung, dass dieser (oder diese) in einer Nebenstraße seines Heimatortes wohnhaft ist! Ebenso ergeht es uns in unserem geistigen Leben und Streben. Wieviel Umwege sind oft nötig, um ein gewisses Ziel zu erreichen, das auf dem unmittelbaren Wege nie erreicht worden wäre! Mit dem direkten Wege, so wie man als Geschäftsmann gewohnt ist, sich planmäßig seinen Betrieb aufzubauen, um möglichst ökonomisch nach dem Gesetz der Rentabilität den größtmöglichen Gewinn zu ernten, wird auf dem esoterischen Weg wenig erreicht – womit nichts gegen eine planmäßige Durchführung unserer esoterischen Arbeit gesagt sein soll. Doch die großen entscheidenden Wendepunkte, die uns ruckweise vorwärtsbringen, die sich plötzlich unerwartet eröffnen, die neue Perspektiven erschließen, sie stellen sich meist in sehr überraschender Form nicht auf der geraden Hauptstraße ein, sondern auf unbeachteten Nebenwegen, die wir eingeschlagen haben! Hierbei können wir bemerken, dass eine wichtige Rolle nicht das bewusst ins Auge gefasste Ziel, als vielmehr das unterschwellige seelische Geschehen unseres sogenannten Unterbewusstseins spielt. Welch entscheidende Rolle diesem zukommt, kann man bei sich selbst und bei seinen Mitmenschen in Lebenskrisen beobachten. Wie oft können wir es erleben, dass ein hoffnungsvolles Leben plötzlich ein tragisches Ende durch Selbstmord nimmt, obwohl der Anlass dazu ein geringfügiger zu sein scheint. Auch im eigenen Leben gibt es Konflikte oder ernste Krisen, die uns in einen hoffnungslosen Abgrund führen, wobei die ganze Durchhaltekraft unseres positiven Glaubens an eine höhere, sinnvolle Lebensordnung nötig ist, um hier nicht zu versagen. Welches ist die tiefere Ursache, wenn ein Mensch plötzlich die Flinte ins Korn wirft und oftmals, um einer geringfügigen Schwierigkeit, sich dem Nihilismus 183 überliefert und Philosophisches, weltanschauliches oder einstellungsmäßiges „Verneiner-tum“: „Das Leben oder die Welt hat keinen Sinn“, „man kann sowieso nichts sicher wissen“ (Spektizismus oder Agnostizismus), „soll doch jeder machen, was er will“ (Amoralismus) usw. Vgl. Nietzsche: ... »die ewige Wiederkehr«. Das ist die extremste Form des Nihilismus: das Nichts (das »Sinnlose«) ewig! ... Was bedeutet Nihilism? Dass die obersten Werte sich entwerten. (Nachlass Band 12; 183

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seinem Leben ein Ende bereitet, obwohl der Anlass zu seiner Verzweiflung durch Umsicht und einige Selbstbeherrschung leicht hätte behoben werden können?! So zeigt sich ja auch in den meisten Fällen, wenn eine helfende Hand eingreift, dass trotz der „unüberwindlichen Schwierigkeiten“, trotz des geplatzten Wechsels und des drohenden Bankrotts die ganze Situation in wenigen Tagen durch klare Umsicht und tatkräftiges Handeln hätte in Ordnung gebracht werden können. Was aber ist die tiefere Ursache all dieser Krisen und Debakel? Es ist die fehlende Substanz in den unterschwelligen Tiefen unseres Lebens! Solange wir gesund und daseinsfroh so in den Tag hineinleben, bemerken wir dies nicht. Der heutige Mensch achtet wenig darauf, dass er nur von der „Hand in den Mund“ lebt – was sein seelisches Budget betrifft. Dass er nicht daran denkt, sich eine Vorratskammer anzulegen mit einer Wegzehrung für die Zeiten, wo er einen geistigen Rückhalt, eine innere Substanz braucht, wenn das äußere Leben brüchig wird, wenn Krankheit, Unfälle oder andere Schwierigkeiten sich einstellen, die ihn zwingen, die Substanz anzugreifen! Dann erst merkt er, dass die Scheunen leer sind. Und eben dann hat er nichts, was ihm Halt und Rückhalt gibt. Die immer mehr um sich greifenden seelischen Zusammenbrüche und die Selbstmordepidemie ist ein Zeichen für diesen inneren Leerlauf. Es ist der Barometerstand für das Vakuum unseres gegenwärtig atheistisch-areligiösen Lebens. Wir haben damit ein Gesetz aufgezeigt, das im geistig-seelischen Leben eine wichtige Rolle spielt. Wenden wir dies jetzt im positiven Sinne für das meditative Leben an. Der Geistesschüler wird sich durch ein rhythmisch durchgeführtes meditatives Leben eine geistige Substanz in den seelischen Vorratskammern seines unterschwelligen Lebens anlegen, die eine Wegzehrung darstellt, welche er nicht täglich anzugreifen braucht, auf deren Grundlage er jedoch sein äußeres Leben gestaltet. Kommen dann unvorhergesehene Lebensschwierigkeiten und Konflikte, so wird er den inneren Schwerpunkt nicht so leicht verlieren und aus der Fassung kommen, als wenn er dem Nichts gegenübersteht. Nun fragen wir uns: was ist denn der tiefere Sinn diesen Schulungsweges? Hierin unterscheidet sich der rosenkreuzerische Weg von den östlichen Schulungswegen, wie sie heute in vielen Yogaschriften dem Abendlande anempfohlen werden. Diese Praktiken des Ostens preisen dem Schüler Glück, Harmonie, ein langes Leben, Gesundheit, Erfolg und eine Glückseligkeit an, die dem Menschen alles gibt, was er sich als tiefste Befriedigung seines Lebens ersehnt. Der luziferische Zug hierin ist nicht zu übersehen. Selbst Śri Aurobindo, dessen Integraler Yoga dem Rosenkreuzer-Weg des Abendlandes viel näher kommt, verwirft Leid und Schmerz für den Schulungsweg, da er das Gemüt des Schülers nur trübe, und empfiehlt allein die Freude, welche die Seele verkläre und befreie. Hierin zeigt sich ein tiefgreifendes Merkmal, welches die östlichen Wege von denen des Abendlandes unterscheidet. Der östlich-indische Mensch will zurück ins verlorene Paradies, um der verlorenen Glückseligkeit, der Ruhe im Urgeist der Welt im Schoße Brahmans teilhaftig zu werden. Und was kann als das Ziel des rosenkreuzerischchristlichen Weges bezeichnet werden? Es steht in der Apokalypse vor uns. Es ist der Weg der Wandlung, der Transsubstantiation. Hier geht es nicht um die innere Glückseligkeit, auch nicht allein um eine Substanzbereicherung um des eigenen Wohlbefindens und Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke, Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, 1980.) Vgl. Mephisto in Goethes Faust: Ich bin der Geist der stets verneint! / Und das mit Recht; denn alles was entsteht, ist wert, dass es zu Grunde geht; / Drum besser wär’s, dass nichts entstünde. So ist denn alles was ihr Sünde, / Zerstörung – kurz das Böse – nennt, mein eigentliches Element. [33, Verse 1338 ff.]

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Reichtums willen. Dies alles mögen Begleiterscheinungen sein, doch nicht Ziel und Kern unseres Strebens. Das eigentliche Geheimnis des Schulungsweges im Sinne der Apokalypse ist die Wandlung. Nur durch die Wandlung können wir der Wesensvereinigung mit dem Göttlichen in der Kommunion teilhaftig werden. Diese Wandlung durchzieht, wie wir sahen, als Auswirkung des Mysteriums von Golgatha, die ganze Menschheitsentwicklung. Und sie kann in jeder Meditation als mikrokosmisches Abbild dieses makrokosmischen Prozesses erlebt werden. Es geht dabei nicht allein um eine Wandlung zum Guten, wodurch wir bessere Menschen werden. Diese Wandlung erstreckt sich vielmehr auf unser totales Menschenwesen mit allen seinen Gliedern, die nur durch eine Transformation, Umbildung und Verwandlung ihr eigentliches Menschheitsziel erreichen können. Was die Menschheit im Ganzen durchzumachen hat, das macht der esoterische Schüler in intensiverer Art auf dem Schulungswege durch, wobei er zukünftige Entwicklungsstufen vorausnimmt und ihnen dadurch erst den Weg bahnt. Darin manifestiert sich der Impuls, der durch das Blut auf Golgatha in die Menschheit geflossen ist und der, gleich einer verborgenen Flamme, zur Vergeistigung der Erde und Menschheit führt! Um ein konkretes Beispiel zu geben: Wenn Bewusstsein im Menschen entstehen soll, müssen Lebenskräfte abgebaut werden. Nur auf Grund der so entstehenden Sterbekräfte kann Bewusstsein entstehen. Dieser Prozess spielt sich auf höherer Ebene ab, wenn der Geist in den Menschen einziehen und sich verwirklichen will. Aurobindo, der in seinem „Integralen Yoga“ diesem Umwandlungsprozess und dadurch dem christlichabendländischen Weg sehr nahe kommt, bezeichnet diese Stufen der dreifachen Wandlung als:  1. die psychische Transformation,  2. die spirituelle Transformation,  3. die supramentale Transformation. Als erste Grundforderung dieser Wandlung wird genannt: die Hingabe. Der erste Prozess im Yoga ist, entschieden sich selbst hingeben zu wollen.

Lege dich mit deinem ganzen Herzen und all deiner Kraft in Gottes Hände. Mache keine Bedingungen, bitte um nichts, nicht einmal um Vollkommenheit im Yoga, um überhaupt gar nichts, außer um das eine: dass in dir und durch dich sein Wille direkt getan werden möge. Denen, die etwas von ihm wollen, gibt Gott, was sie wollen; denen aber, die sich selbst geben und nichts verlangen, gibt er alles, worum sie sonst vielleicht gebeten oder was sie gebraucht hätten, und sich selbst und die spontanen Gaben seiner Liebe gibt er noch dazu... Das Prinzip, das vor uns steht, ist ein sich-Überantworten, ein Aufgehen des menschlichen Seins in das Sein, in das Bewusstsein, in die Macht und in die Freude Gottes hinein, eine Union oder Kommunion an allen Treffpunkten der Seele. Es ist das erste Prinzip unserer religiösen Disziplin, dass das sich-selbst-Überantworten das Mittel der Erfüllung ist, und – solange Egoität oder vitales Verlangen und Wünsche gehegt werden – ein völliges sich-selbst-Überantworten unmöglich ist. Das mag schwer sein, und es ist schwer. Aber es ist das eigentliche Prinzip der religiösen Disziplin. Weil es schwer ist, darum muss das Werk beharrlich und geduldig getan werden, bis es vollkommen ist. Du musst fortfahren, das Vitale, jedes Mal wenn es sich erhebt und einmischt, zurückzuwerfen. Wenn du in seiner Ablehnung beharrlich bleibst, verliert es mehr und mehr an Kraft und schwindet dahin... 156

Eine gewisse Reinigung vom Egoismus ist die Bedingung beim ethischen Fortschritt und Aufstieg, umso mehr ist sie zum inneren Frieden, zu innerer Reinheit und Freude unentbehrlich. Aber ein viel radikaleres Befreitwerden ist notwendig, nicht nur vom Egoismus, sondern auch von der Ego-Idee und dem Ego-Sinn, wenn es unser Ziel ist, die menschliche in die göttliche Natur emporzuheben. Die Erfahrung zeigt, dass wir in dem Maße, in dem wir uns von dem beengenden, mentalen und vitalen Ego befreien, über eine umfassendere Existenz, ein höheres Bewusstsein, eine glücklichere Seelenverfassung verfügen. In der Kleinheit des Seins liegt kein Glück, sagt die Schrift. Das Ego aber ist von Natur Kleinheit des Seins. Es bringt Schrumpfung des Bewusstseins, Einkerkerung, Spaltung der Einheit, Schmerz und Leid. Um das Verlorene wiederzugewinnen, müssen wir ausbrechen aus der Welt des Ego... Wenn wir Gott suchen, dann muss es um Gottes willen sein und um nichts sonst, denn das ist der höchste Ruf, der an unser Sein ergeht, die tiefste Wahrheit des Geistes. Indem das Individuum sich dem Höchsten ganz überantwortet und ihm sich selbst gibt, ist es doch es selbst, das vollkommen sich selbst findet, indem es sich vollkommen opfert... [42] Als zweite Grundforderung der Wandlung wird genannt: sich öffnendes Vertrauen.

Das Herz des inneren sich-Überantwortens ist Glauben und Vertrauen zu Gott. Das ist die Haltung, die man einnimmt. Ich will Gott und nichts weiter. Ich will mich ihm ganz geben, und da meine Seele das will, muss ich ihn treffen und erfahren... In manchen religiösen Disziplinen findet das göttliche Handeln keine Anerkennung. Alles muss durch eigene Bemühung geschehen. Die Idee und die Erfahrung jedoch, dass Gott alles tut, gehört zu dem Yoga, der auf sich-Überantworten gegründet ist. Diesen Glauben musst du entwickeln, einen Glauben, der mit Vernunft und allgemeinem Menschenverstand übereinstimmt, dass nämlich, wenn Gott da ist und dich auf den Weg gerufen hat, auch eine göttliche Führung hinter allem stehen muss und du durch alle Schwierigkeiten hindurch zum Ziel kommen wirst. Nicht darf auf die feindlichen Stimmen gehört werden, nicht darf man meinen, dass es keinen Erfolg geben könne, weil die Schwierigkeiten zu groß sind... Ich will vorangehen, bis ich Erfolg habe, allen Schwierigkeiten zum Trotz. Gott ist da; indem ich Gott folge, kann ich nicht scheitern. Durch alles hindurch will ich voranschreiten, bis ich ihn finde. – Alles Übrige ist Sache der göttlichen Gnade, auf die man sich fest verlassen muss; eigenes Verdienst, Tugend oder Vermögen sind es nicht, die die Realisation bringen. [42] Dadurch gelangen wir zur geistigen Haltung der dritten Grundforderung: Beiseitetreten und Gott wirken lassen:

Der nächste Prozess ist: Beiseite treten und das Wirken der göttlichen Macht in dir anschauen. Mit diesem Wirken verbindet sich oft Störung und Aufruhr im System, darum ist Glaube notwendig. Denn alle Unreinheit, die in dir ist, wird sich nun erheben, solange sie nicht erschöpfend ausgefegt ist, und Zweifel ist in diesem Zeitalter eine nahezu universale Unreinheit. Aber selbst wenn Zweifel dich anfällt, stehe fest und warte, bis er vorüberzieht. Die Befreiung kommt nicht als ein plötzliches Wunder, sie kommt als ein Prozess der Reinigung. Und wenn der Staub dich auch zu ersticken scheint, gleichwohl halte durch. Um beiseite zu treten, musst du dich selbst als die Person wissen, die nur zuschaut, dem Werk Gottes zustimmt. Das Werk selbst wird um Gott als Wirkensmacht getan...

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Zuerst steigt die göttliche Liebe als etwas Transzendentes und Universales herab und aus dieser teilt sie sich dem Menschen mit, indem sie eine umfassendere, größere, reinere Liebe schafft, als irgendein menschlicher Geist oder Herz sich ausdenken kann. Wenn man diese Herabkunft gefühlt hat, dann kann man wirklich ein Instrument für die Geburt und das Handeln der göttlichen Liebe in der Welt werden.– Wenn Gott etwas in dir erhellt und ein Licht anzünden will, dann komme du doch nicht mit dem nassen Handtuch der Niedergeschlagenheit und schlage die Flamme nicht aus! Erlaube dem Angreifer nicht, dein Begleiter zu werden, biete ihm nicht die offene Türe und den Platz am Kamin an. Vor allem aber: Treib mit deinem entmutigenden nassen Handtuch der Traurigkeit und Verzweiflung nicht Gott, der hereinkommt, hinweg! Wie die Dunkelheit schwindet, werden die inneren Türen sich öffnen! [42] Der Weg, wie ihn Aurobindo hier beschreibt, erinnert in der Grundhaltung und Stimmung an die christlichen Mystiker des Mittelalters. Die mittelalterliche Mystik hat ja auch manche Ähnlichkeit mit der indischen Mystik, da beide im Gottesgrund wurzeln. Daher geben uns die Ausführungen Aurobindos ein gutes Bild von der Hingabe und Haltung der Seele, die sich in Gott finden will. Was für die östliche Seele des Inders noch leichter zu erreichen ist, wird allerdings für den westlichen Menschen umso schwerer, je mehr er in der Bewusstseinsseele sein Ich entwickelt. Denn hier handelt es sich nicht nur um den Vorbereitungsprozess, den Aurobindo beschreibt, der gläubigen Hingabe an das Göttliche, sondern um einen realen Umschmelzungsprozess, um einen Kampf mit den Mächten des Bösen, die durch diesen Prozess aufgerührt werden. Zwar berührt Aurobindo diesen Kampf in der Auseinandersetzung mit dem Zweifel und anderen Seelenfeinden, die sich geltend machen; aber der östlichen Seele liegt doch dieser Kampf mit den Mächten des Bösen ferner, da sie noch tiefer eingebettet ist in dem Vaterschoß der Vergangenheit, aus dem sie sich noch nicht so weit emanzipiert hat wie der abendländische Mensch. Daher vermag sie auch nicht die neuen Kräfte in jener Region zu entfalten, in die der „Heilige Geist“ als Geist der Zukunft hineinwirkt. Der östliche Weg sucht im Grunde den Vatergrund („Brahman“) als seine ursprüngliche Heimat. Er hat daher weniger Verständnis für das Wort: Keiner kommt zum Vater außer durch mein Ich! (Joh. 14,6) Dieser Weg führt über das durch das Mysterium von Golgatha zur Wirksamkeit gekommene Christus-Ich zum neuen Gottesgrund im Heiligen Geist. Von diesem Geist ist die ganze Apokalypse erfüllt und durchwoben. Er ist seit Golgatha der Führer, der den Abgrund der Gegenwart in die neue Weltenära des Geistes hineinführt: nicht zurück zum Vatergrund im Schoße Brahmans, sondern voraus in das Erwachen des Ich in der Sphäre des Heiligen Geistes – zum Weltenziel. Wer diese Wegrichtung als Ziel des christlich-rosenkreuzerischen Weges ins Auge fasst, der wird Verständnis gewinnen für den dramatischen Charakter dieses Menschheitsweges, für die „Abstürze“ und dramatischen Kämpfe, die damit verbunden sind. Alle alten aus der Vergangenheit rumorenden Seelenkräfte der Empfindungs-, Verstandes- und Gemütsseele müssen auf diesem Wege abgebaut und umgewandelt werden, was nicht ohne Stürze und Abstürze in bodenlose Tiefen erfolgen kann. Der Tiefpunkt, das sogenannte Nichts, muss von jedem einmal erreicht werden, bevor das Neue in uns einziehen kann. Es ist der schmerzhafte Umwandlungsprozess eines 158

Schmelztiegels, zu dem unsere Seele wird. In den Mysteriendramen Rudolf Steiners findet sich dieser Weg in ergreifenden Bildern anhand der Schicksale der einzelnen Pfadsucher, sehr anschaulich dargestellt. Jeder dieser Geistesschüler wird in das Nichts geführt, wo alle alten Schicksalswege und überkommenen Seelenkräfte ihr Ende finden. Dort erst, wo der Einzelne seinen Abgrund erkennt, kann sich das Tor öffnen, die Pforte zur Initiation! – Dies ist das Gesetz des rosenkreuzerisch-christlichen Schulungsweges, das sich im gegenwärtigen Menschheitsschicksal erfüllt. Die Menschheit ist heute bis an die Schwelle zur geistigen Welt gelangt, sie steht daher an ihrem Abgrund. Alle Zeichen der Zeit können uns dies bestätigen. Alle alten Kräfte haben sich erschöpft. Sie können uns nur tiefer hinabführen in das Gespensterspiel, das aus der Tiefe des Abgrundes seine verlockenden Fangarme uns entgegenstreckt. Ist es das prädestinierte Los – unsere Vorbestimmung – diesem Abgrund zu verfallen? Fast scheint es so zu sein, so wie der Apokalyptiker es am Ende der 6. Posaune (im 9. Kapitel) beschreibt. Die Menschen, die durch die Plagen der losgelassenen, aus dem Abgrund hervorbrechenden Gespenster nicht umkommen, taten nicht Buße durch Sinneswandlung, sondern fuhren fort, die materialistischen Idole der goldenen, silbernen, ehernen, steinernen und hölzernen Götzen anzubeten . Ist dies nicht ein reales Bild unserer

Zeit, wenn wir sie vom Geistigen aus erleben würden? Da aber, an diesem Tiefpunkt, öffnet sich das Tor, das der starke Engel, der unerwartet vom Himmel herabsteigt, vor uns auftut. Er ist selbst dieses Tor, indem er seinen rechten Fuß auf das Meer, seinen linken auf die Erde setzt. Damit richtet er auf der Erde für die ganze Menschheit die Pforte der Einweihung auf. Und damit wird ersichtlich, dass die Menschheit an dieser Schwelle doch nicht allein gelassen wird. Denn tief im unterschwelligen Bereich der Menschheitsgeschichte waltet als Führer und Lenker der Erdengeschicke: der Erzengel der Sonne, das „Antlitz des Christus“, welchem er vorausgeht und ihm die Wege bereitet! So wie der Geistesschüler auf seinem Wege nie ganz verlassen ist, so ist auch die Menschheit an dieser Zeitenschwelle nicht ganz vom Geist verlassen. – Aber sie steht vor einer Schwelle, die für jeden eine harte Prüfung mit sich bringt. Das sonnenstrahlende Antlitz des Erzengels Michael verwandelt sich vor uns zum ernsten Antlitz des Hüters der Schwelle. Dieses Richtungs- und Schwellenmotiv bildet die Mitte der Offenbarung Johannis – die Mitte und die Scheidung der Geister. Es hält uns einen Erkenntnisspiegel vor die Seele, damit wir uns in unserer Zeit und ihren ernsten gebieterischen Forderungen erkennen. Von hier aus trennen sich endgültig die Wege. Der eine führt durch das Tor der Einweihung nach oben – bis zur Grundlegung des himmlischen Jerusalem (im 11. Kapitel), der Erschließung der neuen Inspirationsquelle der göttlichen Sophia (12. Kapitel), der der Ersten Auferstehung (20. Kapitel); der andere Weg führt konsequent Stufe für Stufe bis in den Schwellensumpf, dem feurigen Pfuhl des Abgrundes, in den das Tier mit dem falschen Propheten und mit der Stadt Babylon gestürzt wird.

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Abb. 13: Die beiden apokalyptischen Wege

Das ist der dramatische Wendepunkt, der mit der 6. Posaune gegeben ist. Die wandelbaren Bilder, die den Inhalt der Offenbarung Johannis bilden, sind deshalb nicht leicht in ihrer zusammenhängenden Komposition zu erfassen, weil sich diese Komposition als treibendes Motiv unserem Blicke zunächst entzieht. Dieses voranschreitende Motiv ist in seiner überraschenden Dramatik unterschwellig, darum verbirgt es sich uns. Es ist auch nicht durch den vordergründigen Verstand mit leicht formulierten Begriffen zu erfassen. Das beste Gleichnis gibt uns die Meditation. Wir können uns oft lange Zeit vergeblich bemühen, ohne dass der geistige Strom zu fließen beginnt: „Wir sitzen im Trockenen“, ohne einen Fortschritt in unseren Bemühungen zu spüren – bis plötzlich ein Lichtschimmer den dunklen Horizont erhellt und wir uns von einer „ätherischen Wolke“ begnadet fühlen. Sie nimmt uns mit sich fort, trägt uns empor zu geistigen Höhen, aus denen uns das strahlende Licht einer geistigen Sonne erleuchtet. Wir sehen uns in die Gefilde der „Seligen“ auf ätherische Gipfel versetzt, von wo die befreiende Aussicht in weite Geistbereiche sich uns eröffnet. Das voranschreitende, unsichtbare Motiv, das lange Zeiten sich unserem Geisteswege entzieht, ist die geduldige, unentwegte Seelenarbeit. Während wir uns im „Trockenen“ fühlen und vergeblich nach einer Erleuchtung Ausschau halten, während wir unter der drückenden Last von depressiven Stimmungen leiden, hat sich im Innern der Seele ein unterschwelliger Keim herangebildet. Es braucht oft lange Zeiträume des geduldigen Wartens, bis er zu reifen beginnt und wie eine Blüte des Lichtes sich heranbildet und öffnet – um dann plötzlich gleich einer Sonne vor uns aufzugehen. Dieses verschwiegene, vorwärtsschreitende Motiv ist im apokalyptischen Menschheitsgeschehen der Schritt des „starken Engels“, der in allen Gespensterstürmen anwesend ist und die Handlung vorwärtstreibt – in Abgründe und Verfinsterungen hinein, bis sein mächtiger Atem den Schauplatz reingefegt und gesäubert hat, sodass sein Sonnenantlitz erscheinen kann, wie es im 10. Kapitel mitten in dem verfinsterten Dämonenbereich der 6. Posaune geschieht. Hier müssen wir uns mit einem wichtigen Gesetz bekannt machen, ohne das wir das Wesen der göttlichen Führung nicht verstehen, sondern missdeuten. Als Beispiel sei hier eine Stelle aus dem Vortrag Rudolf Steiners über „Die drei Wege der Seele zu Christus“ zitiert

Es wäre eine ganz falsche Auffassung, wenn man annehmen würde, dass Luzifer den Tod gebracht hat. Luzifer hat nicht den Tod gebracht. Er hat gebracht, was wir nennen können die Möglichkeit des Irrtums, auch des moralischen, die Differenzierung der Menschen in Rassen und die Möglichkeit der Freiheit. Das hat 160

Luzifer gebracht. Wenn alles das, was Luzifer gebracht hat, allein wirksam gewesen wäre in der Menschheit, wenn ihm nichts entgegengesetzt worden wäre, dann hätte dieses luziferische Prinzip dazu geführt, dass die Menschheit aus der fortlaufenden göttlichen Evolution herausgefallen, herausgebrochen wäre. Die Menschheit hätte sich zwar vergeistigt, aber nach einer ganz anderen Seite hin, als wohin die fortschreitende göttliche Evolution ging. Um die Menschheit innerhalb dieser göttlichen Evolution zu erhalten, um sie nicht verloren gehen zu lassen für die göttliche Evolution, musste eine besondere Einrichtung getroffen werden: dass der Mensch immerfort daran gemahnt wird, was es für Folgen hat, wenn er die Möglichkeit des Irrtums und der Freiheit missbraucht. Alle Krankheit, Gebrechlichkeit, Siechtum und Tod sind Mahnungen, dass der Mensch sich entfernen müsste von der fortlaufenden göttlichen Evolution, wenn er zu der Möglichkeit der luziferischen Freiheit auch noch gesund und kraftvoll wäre. So sind Krankheit, Siechtum und Tod nicht Gaben des Luzifer, sondern Gaben der guten, weisheitsvollen göttlichen Mächte, die damit einen Damm vorgesetzt haben den Einflüssen des Luzifer... Alles, was uns entgegentritt in der Welt als von außen kommendes, fortgesetztes menschliches Übel, als Krankheit und Tod, das ist da, damit wir Menschen an das Erdendasein so lange gefesselt bleiben, bis wir Gelegenheit haben zum Gutmachen, damit wir eine Erziehung haben, uns an unsere Organisation anzupassen. Wir leiden, damit wir aus unserem Leid heraus die Erfahrungen schöpfen, den Ausgleich zu finden für unser von Luzifer durchzogenes Ich... Jeder Tod ist damit der Ausgangspunkt für etwas anderes. Es kann der Mensch nicht sterben, ohne dass er mitnimmt das, was ihm die Möglichkeit gibt, einstmals den Tod zu überwinden in seinen fortlaufenden Inkarnationen. Alle Schmerzen sind da, damit wir aus den Leiden heraus die Erfahrungen schöpfen, wie wir uns unserer fortlaufenden göttlichen Organisation anzupassen haben. [43, 2. Vortrag] Wenn wir diesen Gesichtspunkt berücksichtigen und ihn zugrunde legen den Abstürzen, Gespensterstürmen und furchtbaren Plagen des apokalyptischen Dramas, so finden wir erst den richtigen Wertmesser für unser Urteil. Weder der „Teufel“ noch ein zorniger Gott plagt die Menschen und verhängt das Unheil als Strafe über sie, sondern die Plagen entstehen so wie ein eitriges Geschwür, das alles Unreine im Blut des menschlichen Organismus hervortreibt, damit sich der Organismus seiner Krankheitsstoffe entledigen und wieder gesunden kann. Erst dann bekommen wir den rechten Blick zur Beurteilung der menschlichen Qualen und Plagen. Wir können sie weder als Strafen Gottes auffassen, eines erzürnten Jahwes – wenn auch dieser Eindruck zunächst hervorgerufen wird –, noch als die Orgien der Hölle, die ihre Triumphe an den menschlichen Qualen feiert. Erst die Idee einer objektiven karmischen Gerechtigkeit, die im Großen wie im Kleinen sich in allem moralischen Leben auswirken muss, kann uns Verständnis bringen für das scheinbare „Strafgericht Gottes“, das aber in Wirklichkeit nur ein letzter Rettungsversuch für die entartete und ihrem göttlichen Ursprung und Urbild entfallene Menschheit ist! Das Urbild aller Geschehnisse im dramatischen Ablauf der sieben Posaunen eröffnet sich hier im Bild des starken Engels, der vom Himmel herabkommt und mit seinen beiden Füßen das Tor zur Einweihung bildet. Dieses Urbild liegt allen Abstürzen und Prüfungen im Zeitalter der Posaunen zugrunde. Es entrückt uns in da Mysterium der Sonne, wo die große Transsubstantiation stattfindet, wie sie der Mensch zwischen zwei Erdenleben im 161

Dasein zwischen Tod und neuer Geburt durchmacht. Denn hier in der Sonnensphäre verwandelt sich Stoffliches in Geistiges und Geistig-Moralisches in Stoffliches! Was der Mensch so beim Durchgang durch die Sonnensphäre durchmacht – dass sein physischer Leib und seine Erdentaten sich zu seiner geistig-moralischen Physiognomie verwandeln, sowie seine geistige Physiognomie beim Rückgang zur Erde in der Sonnensphäre zum neuen Erdenleib sich verwandelt –, das vollzieht sich mit der gesamten Menschheit im Sonnenmysterium der Posaunenklänge. Deshalb vollzieht sich hier die große MenschheitsTranssubstantitation, die zugleich eine Einweihung ist. Sie weitet sich von einer persönlichen Einweihung, die der Verfasser der Apokalypse hier durchmacht, zu einer Menschheits-Initiation. Das machtvolle Tor, das der Erzengel der Sonne bildet, ist die große Menschheitsprüfung, der niemand sich entziehen kann. Das ist der Schwellenübergang unseres Jahrhunderts! In dieser Prüfung liegt die Menschheits-Wandlung, das eigentliche Sonnenmysterium beschlossen. – Darin besteht ja gerade das Herankommen der geistigen Welt, dass die Schwelle mitten durchs Erdenleben geht und dass jene Wandlung, die der Mensch somit nach dem Tode durchmacht, ins irdische Geschehen sich hereindrängt. Wir müssen hier die beiden Aspekte beim Zeitalter der Posaunenklänge ins Auge fassen; die irdische Projektion und das kosmische Urbild. Die irdische Projektion zeichnet sich schon heute in allem irdischen Geschehen als Schwellenübergang ab. Das kosmische Geschehen, in dem sich das himmlische Urbild auswirkt, und das die große ErdenTranssubstantiation umfasst, wird sich erst später, im VII. Zeitraum der großen Erdenperiode abspielen. Abb. 14: Erdentwicklungs-Perioden

Bei dieser großen Übersicht der sieben großen Erdenperioden, die nicht verwechselt werden dürfen mit den sieben kleineren Kulturperioden, darf man nicht übersehen, dass durch verschiedene Faktoren, vor allem der technisch-atomaren Entwicklung, wie sie in einem unvorhergesehenen Ausmaß im 20. Jahrhundert Platz ergriffen hat, eine Beschleunigung des Erdenzerfalls eintreten kann. Hinzu kommt noch die Verunreinigung und Verseuchung der Elemente von Wasser, Luft, Wärme-, Licht- und chemischem Äther, sodass bei dem jetzigen Erdenzustand nicht vorauszusehen ist, wie lange die Erde überhaupt noch für den Menschen bewohnbar sein wird. Alle diese Faktoren machen es verständlich, dass eine Beschleunigung der Evolution Platz ergriffen hat, sodass sich vieles zusammendrängt, was bei einem normalen Entwicklungsgange in weit späteren Entwicklungsperioden der Erde vorgesehen war. Da der Mensch im 20. Jahrhundert in das Zeitalter seiner Freiheit eingetreten ist, hat auch er eingegriffen in die Räder der Weltentwicklung, sodass sich im Zeitverlauf der Weltenuhr vieles verschoben hat. Dies erklärt, weshalb Rudolf Steiner am Ende seines Lebens, 1924, das Posaunenzeitalter bereits in unsere Zeit verlegt, wenn auch in dem oben angedeuteten irdischen Aspekt. Das Wort des Apokalyptikers: die Zeit drängt, bewahrheitet sich in der Gegenwart immer mehr, je mehr der Mensch in die Periode seiner Ich-Entwicklung und 162

Freiheit eingetreten ist. Von diesem Gesichtspunkte ist die Periode der Bewusstseinsseele das Zeitalter der Posaunenklänge, unter dessen Erschütterungen wir stehen! Machtvoll lässt der „starke Engel“ seine Stimme wie einen Posaunenklang vernehmen: Er schrie mit großer Stimme wie ein Löwe brüllt. Und da er schrie, antworteten sieben Donner mit ihrer Stimme. Und als die sieben Donner gesprochen hatten, wollte ich sie niederschreiben. Da vernahm ich eine Stimme vom Himmel zu mir sagen: „Versiegle die Stimme der sieben Donner, schreibe sie nicht auf!“ (Off. 10, 34) In den Willen versiegelt sollen die Donner des kosmischen Weltgewitters werden. Als Kraft sollen sie die Menschheit über die Schwelle führen, damit sie den Durchgang durch den Engpass der Schwelle finden. Denn jetzt folgt ein großes Wort, ein Schwur, der vor Gottes Antlitz geschworen wird, der den großen Übergang aus dem zeitlichen Werden in das Reich der Dauer einleitet. Und der Engel, den ich stehen sah auf dem Meer und auf der Erde, hob seine Hand auf gen Himmel und schwur bei dem Lebendigen von Ewigkeit zu Ewigkeit, der den Himmel geschaffen hat und was darin ist, und die Erde und was darin ist und das Meer und was darin ist, dass hinfort keine Zeit mehr sein soll! Denn in den Tagen des die siebte Posaune blasenden Engels soll das Mysterium Gottes sich erfüllen, wie er es seinen Dienern und Propheten verkündet hat! (Off. 10, 5-7) Und nach diesem gewichtigen Wort erfolgt der eigentliche Einweihungsakt, die Aufnahme und das Verzehren des offenen Büchleins aus der Hand des Engels184: Und ich hörte eine Stimme vom Himmel abermals mit mir reden: „Gehe hin, nimm das offene Büchlein von der Hand des Engels, der auf dem Meer und auf der Erde steht.“ Und ich ging hin zum Engel und sprach zu ihm: „Gib mir das Büchlein!“ Und er sprach zu mir: „Nimm hin und verschling es! Es wird dich in deinem Bauche grimmen, aber in deinem Munde wird es süß wie Honig sein!“ In den Sagen der Juden findet sich ein ähnlicher Akt der Einweihung. Adam Kadmon, der himmlische Urmensch,185 empfängt vom Sonnen-Erzengel Michael das Buch der Urweisheit: Michael gab daraus Adam die Grundlage des Wissens, und Adam ward weise.

Vor dem Sündenfall leuchtete [Adams] Antlitz wie die Sonne: Als die Engel nach der Erschaffung Adams sein herrliches Aussehen gewahrten, wurden sie von der Schönheit seines Anblicks bewegt. Denn sie sahen seines Angesichts Gebilde, wie es dem Sonnenballe gleich in herrlichem Glanze entflammt war, dann seiner Augen Glanz, gleich dem der Sonne, und seines Körpers Licht, gleich dem eines Kristalls. [44] Nach dem Fall verändern sich die Verhältnisse:

Solange Adam noch in Eden war, forschte er in dem Buche der Urbilder und bediente sich alle Tage der Schätze des Herrn, und es wurden ihm die höchsten Geheimnisse offenbart, von welchen selbst die obersten Diener nichts wussten. Als aber Adam ... die Befehle des Herrn übertreten hatte, floh das Buch von ihm weg. Da schlug Adam sich auf den Kopf und stieg bis in den Hals in des Gihons Fluten. Und das Wasser machte Adams Leib schwammig, und sein Leuchten war dahin. [44]

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Vergleiche hierzu die am Anfang des 2. Kapitels zitierte Stelle aus Hesekiel. als Erde, Mensch und die heutigen Naturreiche noch eins waren

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Hier wird die Einweihung in die Uroffenbarung beschrieben, die auch durch Michael geschieht. Nachdem aber durch die luziferische Versuchung die michaelische Geistessonne getrübt wurde und sich für den Anblick des Menschen verfinsterte musste eine neue Einweihung begründet werden, die frei von Luzifers „Schlangengold“ die neue Weisheitsquelle um Fließen bringen sollte. Die neue Weisheitsquelle, die am Geisteshimmel aufging, ist die göttliche Sophia. Sie erglänzt nach dem Mysterium von Golgatha als neuer Stern am Horizont der Menschheit, der frei von Luzifers Strahlengold das neue Licht der Uroffenbarung wieder zum Leuchten bringt. Das ist nur möglich, wenn der Mensch wieder zum Lebensbaume findet. Dieser Weg zum Lebensbaume, der der Menschheit nach dem Genuss vom Erkenntnisbaum entzogen werden musste, weil sie sonst unrettbar der Herrschaft Luzifers verfallen und seinem Reiche unterstellt worden wäre, er ist durch Christus der Menschheit wieder erschlossen worden. Aber durch welche Kräfte, in welcher Art? Hier müssen wir uns ein Bild zu machen versuchen, das das traditionelle Bild der christlichen Weltanschauung unserer Erkenntnis näher bringt. Das christliche Dogma spricht ja von einer Sühne, die der Christus durch sein Leiden und den freiwilligen Opfertod bringt, um den Vater wieder zu versöhnen. Hinter diesen menschlichen Bildern, die allzumenschlich für das Bewusstsein heute wirken, verbirgt sich eine kosmische Wahrheit, ein Weltgeschehen, das wir bereits mit Bezug auf die Folgen der luziferischen Versuchung andeuteten mit den Worten Rudolf Steiners in diesem Kapitel. Wir müssen die biblischen Bilder ihres kindlich-bildhaften Charakters entkleiden, in welchem sie für die kindhafte Stufe eines älteren Menschheitsbewusstseins gegeben wurden und sie für unser Bewusstsein und modernes Weltbild durchleuchten. Da können wir sagen: Der Mensch hat durch das Ereignis, das man biblisch mit dem „Sündenfall“ bezeichnet, seine ursprüngliche, ihm von der Gottheit zugedachte Stellung als „Zehnte Hierarchie“ verloren und ist unter seine ihm zukommende kosmische Stufe gesunken, auf der Adam Kadmon als „kosmischer Mensch“ vor dem Fall durch die luziferische Versuchung stand (vgl. Rudolf Steiner: „Erbsünde und Gnade“). Dadurch kam er in eine niedere Welt, die sich in der Folge des luziferischen Falles bis in die heutige physische Materie verdichtete und so sich immer mehr von der geistigen Welt abspaltete. In dieser Welt herrscht Luzifer, der Lichtträger, der dem Menschen das Auge für das Licht der Sinnenwelt geöffnet hat, damit aber gleichzeitig ihm das geistige Auge schloss. Es ist eine einseitige und zu enge Auffassung, sich Luzifer, den „Lichtträger“, als bloßen Teufel vorzustellen, wie es im Mittelalter geschah. Seine königliche Strahlenkrone erleuchtet und inspiriert die Menschheit zu allen künstlerischen Werken, sein Licht hat den Funken zum immerwährenden Erkenntnisstreben und Lichtsuchen in die Menschen gepflanzt und ihnen daher den Impuls zur Freiheit, die Liebe zur Schönheit und zum geistigen Streben gegeben, sodass er, wenn er diesem luziferischen Impuls folgt, nicht wie ein Maulwurf nur das Erdreich durchwühlt und froh ist, wenn er Regenwürmer findet [33, Vers 605]186, sondern im ewigen Streben nach höheren Zielen über sich hinauszuwachsen bestrebt ist. Damit aber ist ihm zugleich die rastlose Unruhe, der nie sich befriedigende Ehrgeiz, die Unersättlichkeit seiner Ichsucht und Begierde eingeimpft worden. Und darin besteht eigentlich das Wesen der so genannten „Erbsünde“, die im eigenen Ego sich abschließt und die nicht Gott, nicht einer göttlichen Welt, noch dem Nebenmenschen verehrend und liebend sich hingibt, sondern nur sich selbst als Mittelpunkt des ganzen Universums gelten 186

wie es durch Ahriman geschieht

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lassen will. Ehrgeiz, Missgunst und Anerkennungssucht mit dem ganzen Gefolge dieser egoistischen Seeleneigenschaften haben den Menschen als Glied aus dem ihm vorbestimmten Geisterkosmos gelöst und Zwietracht, Hass und Streit um ihn gesät, sodass er auf diesem Wege mit der erwachenden Ichheit immer tiefer in die ihn umklammernde Materie sich einschloss. So wurde der Mensch ein Kind Luzifers, so wurde er ein Glied seines Reiches, so wurde das Menschenreich auf der Erde Luzifer untertan! Dies muss man sich einmal in möglichst objektiver Anschaulichkeit vor die Seele stellen, um die Konsequenzen der luziferischen Versuchung zu ermessen. Die Schöpfung der Menschen drohte, je tiefer sie in die Materie fiel, sich vollständig von ihrem göttlichen Ursprung zu trennen und damit in eine ganz andere Entwicklungsbahn zu gelangen, sodass sie für die Gottheit verloren wäre. Nur durch ein umfassendes freiwilliges Opfer, das ganz aus der Erkenntnis und Liebe geboren werden konnte, war die völlig in Luzifers Macht gesunkene Menschen-Schöpfung noch zu retten. Und eben diese umfassende Opfertat, wie sie als Heilsplan dem göttlichen Geiste entsprang, bereitete sich schon Äonen vor seiner Verwirklichung in Christus vor.

11. Die neue Isis-Sophia Und es erschien ein großes Zeichen im Himmel: Ein Weib, mit der Sonne bekleidet, und den Mond unter ihren Füßen, und auf ihrem Haupt trug sie eine Krone von zwölf Sternen. (Off. 12,1) Wahrhaftig: Ein großes majestätisches Bild steht vor uns, das kosmische Urbild des dreigegliederten Menschen. Auf seinem Haupte, das ein Abbild und Gleichnis des Himmels ist, erstrahlt die Krone der zwölf Sterne – aus deren Kräftebereich der Logos die geistige Gestalt des Menschen geschaffen hat; aus seinem Herzen leuchten die Sonnenkräfte, mit denen er „bekleidet“ ist; die Füße stehen auf der Mondenschale, zum Zeichen, dass die niederen Kräfte zum „Schemel seiner Füße“ 187 geworden sind. Doch warum erscheint die Urgestalt des Menschen hier in weiblicher Gestalt? Darauf gibt es verschiedene Antworten. Wir werden auf das eigentliche „Sophiengeheimnis“ noch später eingehen. Zunächst wollen wir dies Bild, wie es im Beginn des 12. Kapitels plötzlich, ohne Vorbereitung, vor uns erscheint, auf dem Hintergrund des Kompositionsgeheimnisses der Offenbarung Johannis betrachten. Was ist ihm vorangegangen? Die Einweihung des 10. Kapitels. Aus diesem zentralen Vorgang entfalten sich die anschließenden Ereignisse und Bilder: Zunächst die Grundsteinlegung des Tempels im 11. Kapitel. Es ist der Tempel, der auf den Maßen des Menschen beruht. Es ist das Maß jenes Menschen, der durch die Einweihung das „Phantom“, die durch Christus gerettete und wieder aufgerichtete Urgestalt des Menschen, in sich aufgenommen hat (vgl. die exoterische und esoterische Kommunion). Schon hier im 11. Kapitel taucht das Bild des neuen himmlischen Jerusalems – der künftige Jupiterzustand der Erde – vor dem Seher auf. Doch noch nicht als Vision der Zukunft: Er muss selbst den Grundstein aus eigenen Kräften dazu legen. „Stehe auf und miss den Tempel Gottes und den Altar und die darin anbeten. (Off. 11,1) Die Linie, die als karmische Folge der Initiation sich entfaltet, führt über die zwei Zeugen, die in „Sodom und Ägypten“ getötet und dann wieder auferweckt werden, steil nach oben 187

Auf Christus bezogen: Ein Psalm Davids. Jahwe sprach zu meinem Herrn: „Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße lege.“ (Psalm 110,1)

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bis zur Öffnung des Tempels Gottes, dessen verborgener Inhalt sich nun im 12. Kapitel offenbart. Das Weib mit der Sonne bekleidet ist die große erste Offenbarung aus dem bisher verhüllten Tempel Gottes: So müssen wir das Kompositionsgeheimnis erfassen, um zu verstehen, dass dieses majestätische Zeichen im Himmel eine Folge der Initiation ist – im gleichen Sinne wie die Krönung der Lazarus-Einweihung im Johannesevangelium die „Vermählung unterm Kreuz“ ist (19. Kapitel) zwischen dem Jünger, den der Herr lieb hat und der „Mutter Jesu“. Die Vermählung mit dem Geist, als chymische188 (oder mystische) Hochzeit, ist immer die letzte Stufe der Kommunion. So führt diese Linie als alle weiteren Ereignisse grundlegend beherrschende Kompositionsfigur von der Einweihung des 10. Kapitels zur Grundsteinlegung des neuen Jerusalems zu dem großen Zeichen am Himmel, das wir als die neue Isis erkennen bis zur Hochzeit des Lammes (19. Kapitel) und dem neuen Himmel und der neuen Erde des 20. Kapitels. Man muss die großen Kompositionslinien überschauen lernen in ihrer Dynamik und Kraft, die sich in ihrer Gestaltung wie ein machtvoller Baum aus einem Samenkorn entfaltet, um die zusammenhängenden Bild-Imaginationen zu erfassen, die dem Ganzen Sinn und Ordnung geben. Darin kann ja das Wesen des übersinnlichen Erlebens gesehen werden im Gegensatz zu dem rein sinnlichen Beobachten und Wahrnehmen. Während das sinnliche Wahrnehmen uns ein fertiges Bild liefert, dessen Einzelteile wir mit einem Blick überschauen, öffnet sich vor unseren geistigen Sinne ein Panorama von ätherischen und astralischen hinflutenden Bildern, die nichts Fertiges und Abgeschlossenes haben, sondern wie lebendige Keime die Kraft in sich bergen, ihr tieferes Wesen stets in neuen Formen und Gestalten zu entfalten. Die Kunst des „Lesenlernens“ dieser wechselnden Bilder besteht in der Stufe der Inspiration, durch die wir erst den tieferen geistigen Sinn durchschauen und erfassen. Erst durch die Inspiration wird uns der Zusammenhang des Ganzen, der sich in den verschiedenen Bildgestalten offenbart, lesbar und rundet sich zu einer zusammenhängenden Schrift – ähnlich wie es uns gegenüber der Schicksalsschrift unseres Lebens ergeht. Dazu aber müssen wir hinter die einzelnen Zeichen dringen; wir müssen in den Willensstrom eindringen, aus welchem die einzelnen Zeichen der Schicksalsschrift hervorgehen und sich bilden. Dies alles setzt eine höhere Stufe der Erkenntnis voraus – eben das Hineinwachsen in die geistigen Hintergründe, die im Willen ihren Ursprung haben. Und gerade dies setzt das Entschleiern desjenigen Zeichens voraus, das im Bilde des Weibes mit der Sonne bekleidet vor uns steht. Wir können nämlich bei subtiler Aufmerksamkeit bemerken, wie von hier an der ganze zweite Teil der Schrift der Apokalypse einen viel dynamischeren Charakter in der wechselnden Bilderschrift trägt als im ersten Teil. Von jetzt ab erscheinen die Gegensätze von hell und dunkel, von Licht und Finsternis viel krasser und härter in ihrer Dynamik. Dabei versagt jetzt die Gabe, die Bilder und Zeichen in einer linear-logischen Folge zu entziffern und zu einem Ganzen zusammenzuführen. Es ist wie bei einer Brucknerschen Symphonie, in der die einzelnen Motive nicht in einer Tonfolge auseinander sich entwickeln. Vielmehr setzt ein Motiv ein, klingt unvermittelt aus Höhen herein, bricht ab und wird von einem anderen ohne 188

Das Wort „chymisch“ (wahrscheinlich eine alte Form von „chemisch“ mit der damaligen Bedeutung „alchemistisch“) erscheint in dem Buchtitel Chymische Hochzeit, erschienen 1616, in Bezug auf Christian Rosenkreuz.

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hörbaren unmittelbaren Zusammenhang übernommen, bis wir uns plötzlich durch ein überraschend neues Motiv in eine ganz andere Welt versetzt fühlen. Es braucht längere Zeit und setzt ein subtiles mitgehendes Einfühlungsvermögen voraus, bis wir den tieferen Zusammenhang dieser Motive erfasst haben, der nicht, wie zum Beispiel in anderen musikalischen Kunstwerken, leicht überschaubar ist. Dies gilt im zweiten Teil der Apokalypse auch von der zeitlichen Folge. Als Beispiel haben wir bereits die Bilderfolge genannt, die sich als Folge der Einweihung im 10. Kapitel ergibt. Sie zieht sich auf sehr verschlungenen Pfaden, von dem Kontrapunkt des unterschwelligen Melos unterbrochen, bis zur Hochzeit mit dem Lamm und dem Herabsteigen des neuen Jerusalem im 20. Kapitel hin. Eine deutliche Scheidung wird von hier ab in der ganzen dramatischen Bilderfolge sichtbar. Dabei gewinnt zunächst das eine Leitmotiv die Oberhand, verschwindet dann wieder, um den aus dem Abgrund emporsteigenden Motiven der Tiefe zu weichen, wobei Motive, die erst im 20. Kapitel die Oberhand gewinnen, vom Gesichtspunkt der zeitlichen Evolution bereits im 10. Kapitel erscheinen. Sie treten durch die Einweihung schon unterschwellig „in occulto“, also unsichtbar, in Erscheinung, wie in der 1. Auferstehung und dem sogenannten 1000jährigen Reich (20. Kapitel). Wer dies übersieht, wie es meistens geschieht, kommt zu einer falschen Bewertung des sogenannten „Jüngsten Gerichtes“ als eines einmaligen Ereignisses, das den Schlussakkord bildet, während es doch schon vom 10. Kapitel an, der Einweihung im Bereich der 6. Posaune, seine unterirdischen Akkorde ertönen lässt. Das ist die Schwierigkeit, die lebendige Bildersprache der Apokalypse zu erfassen, je mehr sie vorschreitet und sich erhebt aus der Sphäre der Inspiration, die ein neues Organ zum Miterleben der fortschreitenden Grundmotive voraussetzt. Ebenso ist es mit dem Bild des „Weißen Reiters“ im 19. Kapitel, das als Motiv bereits viel früher, ja im Grunde die ganze Apokalypse durchzieht, wenn er auch erst hier am Ende in Erscheinung tritt. Es ist das Geheimnis der Parusie189, das die ganze Apokalypse beherrscht, dem wir uns hier zunächst zuwenden müssen. Stellen wir zunächst die beiden Motive in ihrer Gegensätzlichkeit nebeneinander, wie sie sich abwechselnd folgen nach der Zäsur der Einweihung des 10. Kapitels. Abb. 15: Die beiden apokalyptischen Wege II 10. Kapite l 11. Kapite l

Initiation

12. Kapite l 14. Kapite l 19. Kapite l 20. Kapite l 21. Kapite l

Sophia

189

Grundsteinlegung Ewiges Jerusalem

Zion mit den 144000 Erwählten – 1000jähriges Reich (20. Kapitel) Hochzeit mit dem Lamm

13. Kapitel

Die beiden Tiere

15./1 Kapitel 6.

Die Zornesschalen

17./1 Kapitel 8.

Der Sturz Babylons

Erste Auferstehung Himmlisches Jerusalem

der „Gegenwart“ Christi

167

7

Parusie Wer die innere Dramatik richtig erleben will, die durch die ganze Apokalypse als beherrschender Zug hindurchgeht, der muss sie in jener Stimmung auf sich wirken lassen, die in dem mehrfachen sehnsüchtigen Adveniat 190 im letzten Kapitel zum Ausdruck kommt. Und der Geist und die Braut sprechen: „Komm!“ Und wer es hört, der spreche: „Komm!“ Und wen dürstet, der komme und wer da will, der trinke vom Wasser des Lebens umsonst. (Off. 22,11) – Es spricht, der solches bezeugt: „Ja, ich komm bald.“ Amen, ja komm, Herr Jesu! (Off. 22,20) Es ist die Parusie, die als erwartungsvolle Stimmung die ganze Apokalypse durchzieht, die gleich einer Adventsstimmung die Erscheinung des Herrn herbeisehnt. Hier aber müssen wir das griechische Wort Parusie191 in seiner ursprünglichen Bedeutung erfassen. Sie ist nicht nur eine Offenbarung, der wir entgegengehen, sondern sie selbst kommt uns entgegen, ja sie steht schon über uns wie ein lichter Morgenstern, der nur noch von Wolken verdeckt ist. Dadurch wandelt sich die Richtung. Wir gehen nicht der Zukunft entgegen, sondern die Zukunft kommt auf uns zu – denn im Geiste „hat die Zukunft schon begonnen.“ Das ist mit dem Wort gemeint: Die Zeit drängt oder die Zeit ist nahe. Wie der weiße Reiter, der erst am Ende erscheint, so kommt die Erscheinung Christi durch die gedrängte Zeitenfolge auf uns zu. Wir spüren sie umso mehr herankommen, je gesättigter die Geistsubstanz ist, in der wir leben. – Dann erfassen wir uns im Ich im Punkte höchster Aktualität. Ja, wir finden uns selbst in dem dramatischen Geschehen der Apokalypse. Und darauf kommt es an, dass wir uns selbst in dem drängenden Pulsschlag miterleben! – Das ist die wahre Parusie des in dem drängenden Zeitenlauf lebenden und in dem Zeitenstrom lebenden ätherischen Christus, der schrittweise und stufenweise sich offenbart in dem Maße, wie unser Bewusstsein durchlässig wird und sich der Geisteswelt erschließt. Das bedingt aber, dass wir eine solche Offenbarung ganz anders lesen: nicht von vorne bis zum Schluss, sondern rückwärts, vom Schluss nach vorn! Das klingt grotesk und ist ja auch wörtlich genommen nicht auszuführen, wohl aber in der geistigen Blickrichtung und Einstellung. Es ist das Geheimnis, das wir auch in unserem Leben praktizieren können. Zwei Ströme sind es, die sich in unserem Lebenslaufe begegnen: Der eine verläuft im Sinne der fortschreitenden Zeit und geht der Zukunft entgegen, der andere kommt aus der Zukunft uns entgegen, denn die Zukunft hat 192 schon immer begonnen. Sie lebt in der Urbilderwelt über uns als unsere geistigen Schicksalsmotive, die wir mit ins Erdensein gebracht haben und die als das Auge unseres Genius uns ständig anblicken, mit dem unser höheres Ich verbunden ist. Wie sich diese beiden Strömungen kreuzen und begegnen, wie wir diesem Schicksalsstrom entgegengehen, ihn aufnehmen und bewältigen, davon hängt unser Erdenleben ab.

Latein für „er möge kommen!“ griechisch παρουσιόα (sprich: pa-ru-SSI-a) ist abgeleitet vom Verb παόρειμι (sprich: PA-rimi) „anwesend sein, zur Seite stehen, teilnehmen“ und παρωόν (sprich: pa-RON) „anwesend, persönlich“. 192 vom Geistigen aus gesehen 190 191

168

Könnten wir unser Erdenleben einmal von der anderen Seite, der Zukunft erleben, die noch von den Wolken verhangen über uns schwebt, so würden wir uns von dieser getragen fühlen wie von einer Gotteskraft, die uns vorbestimmt ist und in die wir hineinwachsen! Wir könnten gleichsam mit dem ruhigen Blick, wie wir ihn in der Rückschau 193 entfalten, von der Zukunft aus unserem Schicksal begegnen und vom Ziel und Ende unseres Lebens im Strom der Erfüllung schon in der Gegenwart leben, ohne Unruhe, Angst und Sorge, was das Schicksal uns noch bringen könnte! Was uns auf der Ebene des irdischen Zeitenlaufes schwer möglich ist zu verwirklichen, das können wir auf der geistigen Ebene zu üben versuchen; dann erheben wir uns zu der Warte des Apokalyptikers. Seinem Blick sind die geistigen Urmotive offenbar, die sich ihm von der Gipfelhöhe der geistigen Welt erschließen. Und er sieht sie von diesem Gipfel aus in der Urbilderwelt in der oberen Linie, von der Zukunft in die Richtung des vorwärts schreitenden Zeitenstromes schrittweise sich verwirklichen. Damit haben wir ein Grundgesetz der Apokalypse ausgesprochen. Denn im Grunde genommen sind alle Ereignisse des apokalyptischen Geschehens von dieser Warte aus in der Richtung vom Ziel (griechisch: telos) aus erlebt und geschaut. Daher nannte man den Eingeweihten in Griechenland telestes. 194 Vom Ziel aus, das dem Menschen sich erst im Tode offenbart, übersahen sie ihr Leben. Und von diesem Ziel der ganzen Menschheitsentwicklung übersieht auch der Apokalyptiker die einzelnen Ereignisse der Zukunft. Dabei müssen wir in der Tat eine radikale Umkehrung und Wende unseres Bewusstseins vornehmen. Wir müssen zu dem geistig prädestinierten Schicksalsstrom uns erheben, um in der göttlichen Weisheit zu leben. Und dort, wo uns dies gelingt, erleben wir die Begegnung dieser beiden Ströme, die sich in unserem Herzen kreuzen. Dann erfahren wir das Geheimnis der Parusie, die sich imaginativ-bildhaft in dem „weißen Reiter“ manifestiert. Dieser weiße Reiter, der erst am Ende (19. Kapitel) erscheint, kommt aus der bis dahin verhangenen Zukunft ständig auf uns zu. Und es liegt nur an uns, wann und wo wir ihm begegnen. In diesem Moment aber erfahren wir den jähen Pulsschlag unserer Begegnung mit der Parusie – dem auf uns zukommenden Christus im Strom der ätherischen Welt. Wir sind von unserem Thema scheinbar abgekommen; doch nur scheinbar. Denn wir sind vorgedrungen in den lebendigen Strom der geistigen Entwicklung, der sich in seiner Wahrheit in der Welt des Geistes erst enthüllt. Und dass sich dieser Schleier hier enthüllt, das eben ist die Folge der Einweihung im 10. Kapitel, durch die jetzt der Vorhang sich lüftet vor den eigentlichen Geist-Geheimnissen des 12. Kapitels. Wollen wir das himmlische Bild, das sich uns jetzt offenbart, unserem Bewusstsein näher bringen, so können wir die Imagination des „Weibes mit der Sonne bekleidet“ von zwei Aspekten erfassen, von dem der Vergangenheit und der Zukunft. Dann werden wir es in seiner aktuellen Bedeutung für die Gegenwart am besten verstehen. Geisteswissenschaftliche Übung, vor dem Einschlafen die Bilder des Tages in rückwärtiger Reihenfolge derart vor sich „ablaufen“ zu lassen, dass man „un-betroffen“ wie auf das Leben eines fremden Menschen blickt – einfach nur nüchtern feststellend, was sich ereignet hat, ohne weiter darüber nachzudenken oder zu bewerten. 194 griechisch telestes (τελεστηός, sprich: teles-TEES)bedeutet „vollendet, eingeweiht“, das Wort telos (τεόλος, sprich: TE-los)bedeutet „Ende, Ziel, Vollendung“. 193

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In fast allen Religionen finden wir dies Bild einer weiblichen Göttin, vor allem in den östlich-orientalischen Religionen, so wie es Richard Karutz in seinem Buch „Maria im fernen Osten“ beschrieben hat. Unter vielen Namen taucht es auf, im alten Ägypten als Isis, die den Horusknaben gebiert, bei den Griechen als Demeter, die in Eleusis als die große Mutter verehrt wurde, in China als Kwanon, in Indien als Shakti Kundalini. Und wir finden dieselbe mütterliche Gestalt auch in Europa in den vorchristlichen Zeiten der DruidenMysterien, wie sie in der Grotte von Chartre, die später zur Krypta der Kathedrale wurde, als das Bild der Virgo Paritura195 verehrt wurde. In allen diesen Bildern tritt uns die göttliche Mutter entgegen, welche das Kind gebären soll. Von diesem Bilde empfangen alle Völker segenspendende Heilkräfte, weshalb es auch für den heilenden Tempelschlaf der Ägypter verwendet wurde. Es geht zurück in sehr alte vorhistorische Zeiten, als der Mensch noch eine Erinnerung bewahrte an die „jungfräuliche Geburt“ vor der Geschlechtertrennung196 im alten Lemurien. Rudolf Steiner berichtet aus seiner Geistesforschung von den ägyptischen Mysterien, in denen das Götterbild der heiligen Isis noch eine große Rolle spielte:

Da stand vor dem im Tempelschlaf liegenden Kranken die Gestalt der Gebärerin, ihresgleichen ohne die Befruchtung von ihresgleichen. Da stand vor ihm die hervorbringende Frau, die Frau mit dem Kinde, die da jungfräulich ist, die Göttin, die in jener lemurischen Zeit eine Genossin der Menschen war, und die mittlerweile dem Blick der Menschheit entschwunden ist. Die nannte man die heilige Isis im alten Ägypten. Die Menschheit konnte diese Isis normalerweise damals nur sehen, als der Tod noch nicht eingezogen war... Und als die Isis nicht mehr die sichtbare Genossin der Menschheit war, als sie in den Kreis der Götter entrückt wurde, da interessierte sie sich immer noch aus der geistigen Welt heraus für die Gesundheit der Menschen, so sagten die Priester. Und wenn man den Menschen in abnormer Weise, wie im Tempelschlaf, zu einer Anschauung jener alten Gestalten, jenes heiligen Isisbildes brachte, dann wirkte die Göttin immer noch gesundend, dann ist sie das Prinzip im Menschen, das da war, bevor die sterbliche Hülle den Menschen umgab. Ihren Schleier hat kein Sterblicher gehoben, denn sie ist die Gestalt, die da war, als der Tod überhaupt noch nicht in die Welt gekommen war. Sie ist das im Ewigen Wurzelnde, sie ist die große heilende Wesenheit, die die Menschheit wieder erringen wird, wenn sie sich aufs Neue vertiefen wird in die spirituelle Weisheit. So sehen wir: Was geblieben ist in jenem wunderbaren Symbolum der jungfräulichen Mutter mit dem Kinde, die sich im Madonnenbilde – wir können es auf geisteswissenschaftlichem Boden mit aller Kraft sagen – die sich in dem gesundend wirkenden Madonnenbilde erhalten hat. Denn das Madonnenbild ist ... ein Heilmittel. Wenn es so behandelt wird, dass die menschliche Seele noch eine Nachwirkung hat, wenn sie im Schlafe liegt und etwa träumen kann von diesem Madonnenbilde, dann hat dieses auch noch eine heilende Kraft. Und nun fragen wir uns: Wo lagen denn in jener Zeit, als das Menschenwesen noch nicht von seinesgleichen befruchtet wurde, wo lagen denn da die befruchtenden Kräfte? Die Sonne selbst, die den noch von halbwässrigen Bildungen umgebenden Erdkern bestrahlte, befruchtete die Erde. So haben wir eine Erde, die außen beschienen wird von der Sonne, die der Mensch noch nicht sehen kann, diese Erde wird nicht nur von den Kräften der Wärme 195 196

lateinisch für „die Jungfrau, die gebären wird/soll“. Bis zur lemurischen Zeit gab es nur eine Art von menschlichen Körpern.

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bestrahlt, sondern zu gleicher Zeit von derselben Kraft, die heute in der Befruchtungskraft lebt. So haben wir Sonne und Erde miteinander in Beziehung. Diese Kraft, die da auf jene ungeschlechtlich sich fortpflanzenden Menschengestalten wirkte, empfand man als eine männliche Kraft, sie war ausgegossen als ein Produkt der Sonne über die ganze Erde. So waren die Verhältnisse in der allerersten lemurischen Zeit... [45, 2. Vortrag] Diese kosmischen Vorgänge in der lemurischen Erdenperiode, wo sich die Dreiheit von Sonne, Erde und Mond bildete und als selbständige Weltkörper aus der ursprünglichen Einheit herausgestalteten, dienten den ägyptischen Mysterien zu ihren Imaginationen als Osiris (Sonne), Isis (Mond) und Horus (Erde). In den Mysterientempeln verstand man in diesen Götterbildern zugleich Einweihungs-Vorgänge, die der Mensch durchleben musste, um die zukünftige Erde mit vorzubereiten. Da betrifft vor allem unsere gegenwärtige fünfte nachatlantische Kulturperiode.

Unsere Zeit muss nicht eine uralte Weisheit gebären, sondern eine neue Weisheit, die nicht nur in die Vergangenheit hineinweisen kann, sondern die prophetisch, apokalyptisch wirken muss in die Zukunft hinein. Wir sehen eine uralte Weisheit, bewahrt in den Mysterien der vergangenen Kulturperioden; apokalyptische Weisheit, zu der wir den Samen legen müssen, muss unsere Weisheit sein. Wir brauchen wieder ein Einweihungsprinzip, damit die ursprüngliche Verbindung mit der geistigen Welt wieder hergestellt werden kann. Das ist die Aufgabe der anthroposophischen Weltbewegung. Kein Wunder, dass so viele Menschen die Weisheit verloren haben, denn ohne das Einweihungsprinzip ist es heute schwer, Weisheit zu erringen, schwerer als früher, wo nur die Erinnerung an alte Erlebnisse aufgefrischt werden durfte, wo die Früchte früherer Entwicklungen erlebt werden konnten. Heute ist es schwer – daher begreifen wir, dass heute für den Menschen die Sinneswelt ohne Götter öde und leer ist. Aber wenn es auch erscheint, als ob die alte Geisteswelt erstorben wäre, sie ist dennoch da... Gesorgt ist dafür worden, indem gerade da, als zu verlöschen schienen die alten Erinnerungen in der griechisch-lateinischen Zeit, ein wunderbarer Keim für alle folgenden Zeiten in den kalten Boden der Erde gelegt wurde, der Keim, den wir als das Christus-Prinzip bezeichnen. In der Anknüpfung an dieses Christus-Prinzip wird die apokalyptische Weisheit, die wahre neue Geisterkenntnis gefunden werden, die nicht nur erinnernd zurückweist auf vergangene Zeiten, sondern die prophetisch auf die Zukunft hindeutet und gerade dadurch den Menschen zur Tätigkeit, zum Schaffen ruft. Jene tätige, jene produktive Weisheit freilich, hervorgegangen aus dem, was in der Vergangenheit als Same gelegt worden ist... Denn die Welt ist nicht bloß etwas, was mit der Vergangenheit zu tun hat, sondern was sich hineinentwickelt in die Zukunft, und unsere Erde hat noch ein großes Stück Zukunft zu absolvieren. Der Mensch aber wird noch „zukünftiger“ sein als die Erde, wenn wir ihn ganz kennen lernen wollen, dann müssen wir nicht nur in die Vergangenheit schauen, dann müssen wir studieren, was heute wirkt und was wirken wird im großen Weltenmorgen. [45, 2. Vortrag] Die ganze Offenbarung des Johannes ist diesem Ziel gewidmet, die Weisheit der Zukunft aus dem Schoße der Vergangenheit zu gebären. Daher können wir die Urbilder, wie sie an gewissen Höhepunkten auftauchen, nicht aus der bloß christlichen Entwicklung verstehen und sie in diesem Sinne nur deuten, wie es zum Beispiel die katholische Kirche tut, die das Weib mit der Sonne als die Kirche deutet, sondern müssen die ganze vorchristliche 171

Mysterienschau miteinbeziehen. Denn an der großen Zeitenwende vor 2000 Jahren, da die Zeit erfüllet war, erloschen zwar die alten mythischen Bilder, doch sie bekamen einen neuen Sinn: den Sinn der Erfüllung im irdischen Bereich. Dieser umfassende Wandlungsprozess, der sich in Bezug auf die ganze vorchristliche religiöse Entwicklung vollzog, als das Wort Fleisch ward, ist von der Kirche zu sehr verdrängt und als heidnisch erklärt worden, obwohl schon der Kirchenvater Augustinus im 5. Jahrhundert darauf hinweist, dass das Christentum nicht erst mit Christus begann, sondern schon vorher bestand! Wer dieses Gesetz nicht versteht, kann das Auftauchen der heidnischen Mythen im Christentum nicht im rechten Lichte sehen – er sieht dann nur eine Übernahme aller heidnischen Bilder und Gebräuche, die mit dem Christentum nichts zu tun haben und deswegen ausgemerzt werden mussten. Das betrifft vor allem die Madonnenverehrung. Aus verborgenen Quellen sehen wir sie schon seit dem 5. Jahrhundert heraufziehen und sich immer mehr in den christlichen Himmel als strahlender Stern einleben. Sie nimmt denselben Mittelpunkt ein wie die weiblichen Gottheiten der heidnischen Religionen, Kwanon, Shakti Kundalini, Demeter und Isis, über deren Tempel die Worte standen: „Ich bin die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet!“[46, S. 228] Was diese mütterliche Gottheit in den Bildern des Mythos durchmacht und als Schicksal erfährt, das sollte sich erst auf Erden verwirklichen, als die Zeit erfüllet war. Das ist die grandiose Erfüllung der Zeiten, die sich durch die Inkarnation des Logos an dieser Zeitenwende begibt. Dann erst schließt sich vorchristlich-heidnische mythische Schau zusammen mit der Erfüllung im Christentum. Der Grund aber für die dogmatische Verengung und Verkleinerung jenes kosmischen Weltbildes, das im Christentum seinem ganzen inneren Wesen nach veranlagt ist, liegt darin, dass schon viele der Kirchenväter diese Zusammenhänge nicht mit der antiken Mysterienwelt durchschaut haben und dadurch dem sich zur neuen Pflanze entfaltenden Christentum den Boden entzogen, sodass sie sich nicht zu ihrer umfassenden Größe und Schönheit entwickeln konnte. Peter Bamm stellt auch das historische Christentum auf den vorbereiteten Mysterienboden der Antike:

Die olympischen Götter haben, da ihre Verehrung die Staatsreligion war, den Beginn des Christentums um Jahrhunderte überlebt. Aber in all ihrer Schönheit und all ihrer bezaubernden Poesie vermochten sie nicht mehr, die Sehnsucht der Seelen zu stillen. Die ganze damalige Welt ist von geistiger Unruhe und religiöser Erwartung erfüllt. Das unbefriedigte metaphysische Bedürfnis der Menschen wandte sich den aus dem Osten kommenden Mysterien zu. Diese Welt war nicht unvorbereitet darauf, das Mysterium von der Geburt und dem Wandel des Sohnes Gottes auf Erden, seinen menschlichen Tod und seiner göttlichen Himmelfahrt zu vernehmen... Dieses Römische Reich griechischer Kultur, das der neuen Lehre zu erobern die Apostel aus der alten heiligen Stadt Jerusalem ausgezogen sind, ist eine Welt gewesen, die sie erwartet hat. Für den Kern der Lehre, dass Gott seinen Sohn geschickt habe, die Welt zu erlösen, hat diese politische und kulturelle Lage keine Bedeutung gehabt. Für den historischen Erfolg des Christentums in seinen Anfängen sind diese Voraussetzungen in hohem Maße wirksam gewesen.

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Die Historiker lehren uns den Ablauf der Geschichte. Ihren Sinn lehrt uns allein die Geschichte selbst. Da aber die Zeit erfüllet ward ... ist ein Satz, mit dem Paulus etwas über den Sinn der Geschichte aussagt. [7] Heute kann nur das erneuerte Mysterienwissen der Geistesforschung die Zusammenhänge richtig erkennen und deuten, die zwischen den alten Mysterien und dem Christentum bestehen. Das zeigt sich vor allem im Isismysterium, das den Tod des Osiris, der von seinem Bruder Typhon getötet wird, zum Hauptinhalt hat. Isis, seine Gemahlin, sucht die zerstückelten Teile des Leichnams. Der Mythos berichtet, wie sie sie begräbt und pflegt und wie daraus Horus geboren wird, der neue Osiris. Hierin zeigt sich eine Parallele zum griechischen Dionysos-Mythos. Auch Dionysos wird getötet und zerstückelt von den Titanen, die Hera, die Gemahlin des Zeus, aufreizt aus Eifersucht, dass sich Zeus mit Demeter verbunden hat, die zur Mutter des Dionysos wird. Wir haben es in beiden Mythen mit einer Zerstückelung des Göttersprosses zu tun, der Inkarnationstragik des Menschen, dessen geistiges Sonnenwesen in der Sinneswelt aufgeteilt wird. Beide Mythen sprechen von der Erweckung und Auferstehung des zerstückelten Gottmenschen in dem jüngeren Dionysos und Horus. Das Ganze ist der Inhalt von Einweihungsvorgängen, die sich in den Mysterienstätten Griechenlands und Ägyptens abspielten.

Der Osiris-Mythos erhält damit seine tiefere Bedeutung. Er wird zum Verhängnis dessen, der das Ewige in sich erwecken will. Osiris ist von Typhon zerstückelt, getötet worden. Die Teile des Leichnams sind von seiner Gemahlin Isis gehegt und gepflegt worden. Er hat nach dem Tode seinen Lichtstrahl auf sie fallen lassen. Sie hat ihm Horus geboren... [7] Es ist das Drama der menschlichen Seele, wie es der Eingeweihte in den Mysterien erlebte.

Der Mensch mag sich daher als das Grab des Osiris betrachten. Die niedere Natur (Typhon) hat die höhere in ihm getötet. Die Liebe in seiner Seele (Isis) muss die Leichenteile hegen und pflegen, dann wird die höhere Natur, die ewige Seele (Horus) geboren werden, die zum Osiris-Dasein fortschreiten kann. Den makrokosmischen Osiris-Weltprozess muss der zum höchsten Dasein strebende Mensch in sich mikrokosmisch wiederholen. Das ist im Sinn der ägyptischen Einweihung, der Initiation. Was Plato beschreibt als kosmischen Prozess, dass der Schöpfer die Weltseele in Kreuzesform auf den Weltenleib gespannt hat und dass der Weltprozess eine Erlösung dieser ans Kreuz geschlagenen Weltenseele ist, das musste mit dem Menschen im Kleinen vorgehen, wenn er sich zum Osiris-Dasein befähigen wollte. Der Einzuweihende musste sich so entwickeln, dass sein Seelenerlebnis, sein OsirisWerden, mit dem kosmischen Osiris-Prozess in Eins zusammenschmolz. Wenn wir in die Initiationstempel blicken könnten, in denen die Menschen der Osiris-Verwandlung unterzogen wurden, so würden wir sehen, dass die Vorgänge ein Welt-Werden mikrokosmisch darstellten. Der vorn „Vater“ stammende Mensch sollte in sich den Sohn gebären. Was er in Wirklichkeit in sich trägt, den verzauberten Gott, das sollte in ihm offenbar werden. Durch die Gewalt der irdischen Natur wird dieser Gott niedergehalten. Diese niedere Natur muss erst zu Grabe getragen werden, damit die höhere Natur auferstehen könne. [47, S. 99 f.] Wie sich die rein mystischen Einweihungsprozesse in historische Tatsachen zu verwandeln beginnen, die über das Persönliche hinausgehen, zeigt uns die Tatsache, dass die Eingeweihten sich in den späteren ägyptischen Zeiten als Söhne der trauernden Isis zu 173

bezeichnen pflegten. Isis erscheint jetzt nur noch als „die trauernde Witwe“. Osiris ist in die Totenwelt entrückt und kann nur noch im Totenreich gefunden werden. Hierin können wir eine historische Wende erblicken, die sich in den Jahrhunderten vor der großen Zeitenwende schon abspielt. Warum kann Osiris, der Sonnengott, nicht mehr wie in alten Zeiten von den Initiierten in der geistigen Sonnensphäre gefunden werden? Warum finden die Eingeweihten sich nur noch allein mit der trauernden Isis? – Weil Osiris seine alte Heimat bereits verlassen hat und sich auf dem Wege zur Erde befindet! Deshalb finden die eingeweihten Priester die Sonnensphäre als Stätte seiner einstigen Wirksamkeit leer. Deshalb ist Isis zur trauernden Witwe geworden!

Wollen wir uns ... vor die Seele schreiben, was der Eingeweihte in den späteren Zeiten erlebte. Da konnte er auch durch die weltallweiten Gefilde geführt werden bis zu den Ufern des Daseins..., da konnte er auch das Licht erkennen, das die Seele zwischen dem Tode und der neuen Geburt erleuchtet... Aber die Göttin blieb stumm und schweigsam! Kein Osiris konnte in der späteren Zeit geboren werden, keine Weltenharmonie ertönte... Und es war dann die Seele des zu Initiierenden so, dass sie ihre Erlebnisse nicht anders hat aussprechen können, als indem sie sagte: „So schaue ich trauernd hinauf, gequält von Wissensdurst und Wissenssehnsucht zu dir, o Göttin! – Du bleibst dieser Menschenseele schweigsam und stumm!“ [48, S. 56 f.] Welcher Zeitpunkt aber war das? Es war der Zeitpunkt, da Moses lebte (etwa 1340 v. Chr.).

Denn so erfüllte sich das Karma Ägyptens, dass Moses nicht nur eingeweiht worden ist in die Mysteriengeheimnisse Ägyptens, sondern dass er sie zugleich mitgenommen hat. Indem er sein Volk aus Ägypten herausführte, nahm er den Teil der ägyptischen Einweihung mit, der zu der trauernden Isis, die sie später war, hinzugefügt hat die Osiris-Initiation. So war der Übergang von der ägyptischen Kultur zu der Kultur des Alten Testamentes. Ja, Moses hatte hinweggetragen das Geheimnis des Osiris, das Geheimnis vom Weltenwort. Und hätte er nicht zurückgelassen die ohnmächtige Isis, dann hätte ihm nicht ertönen können, was ihm ertönen musste in der Art, wie er es für sein Volk verstehen musste: das große bedeutsame Wort von dem ICH BIN DER ICH BIN. So übertrug sich ägyptisches Geheimnis auf althebräisches Geheimnis. [48, S. 57] Das war der historische Wendepunkt, wo der Osiris nicht mehr von dem ägyptischen Initiierten gefunden wurde und Isis als die trauernde Witwe stumm blieb. Solche Weltenbilder können vor unserer Seele stehen, wenn das Bild der Virgo paritura im 12. Kapitel der Apokalypse beschrieben wird. Sie stellt auch hier den „Mythos der Seele“ dar, denn jetzt, da die Zeit erfüllet ward, erfüllt sich auch im Irdischen ihr Mythisches Schicksal. Das Drama, das sich jetzt abspielt, sobald das Knäblein geboren ist, wiederholt mit einigen Abwandlungen das Schicksal der Isis, nur dass ihr Spross entrückt und gerettet wird vor dem Zugriff Typhons, des Drachens, und Isis selbst aus Himmelshöhen in die Erdenwüste versetzt wird, wo sie vom ahrimanischen Drachen verfolgt wird. Ihr Inkarnationsweg beginnt – jetzt, da die Zeit erfüllet ward. Der Mythos verdichtet sich zur historischen Wirklichkeit. Das Weib erscheint uns zunächst als Urbild der menschlichen Seele in ihrer dreigliedrigen Wesenheit mit einer Krone von 12 Sternen auf ihrem Haupt, die Sonne strahlt aus ihrem Herzen, der Mond unter ihren Füßen. Und sie war schwanger und schrie in Kindesnöten, und sie hatte große Qual zur Geburt. Und es erschien ein anderes Zeichen im Himmel, und siehe, ein roter Drache, der hatte 174

sieben Häupter und zehn Hörner und auf seinen Häuptern sieben Kronen. Und sein Schwanz zog den dritten Teil der Sterne des Himmels hinweg und warf sie auf die Erde. Und der Drache trat vor das Weib, die gebären sollte, auf dass, wenn sie geboren hätte, er ihr Kind fräße. Und sie gebar einen Sohn, ein Männliches entstand, der alle Heiden weiden sollte mit eisernem Stabe. Und ihr Kind ward entrückt zu Gott und seinem Thron. Und das Weib entfloh in die Wüste, wo sie eine Stätte fand von Gott bereitet, dass sie daselbst ernährt würde 2160 Tage. (Off. 12, 26) Das ist der 1. Akt dieses apokalyptischen Dramas, das die Geburt des männlichen IchImpulses in der geistigen Welt schildert und die Flucht der jungfräulichen Mutter in die Wüste, womit der Inkarnationsweg beginnt. Die Isis wird auf die Erde versetzt. Das Kind aber wird vor dem Drachen gerettet, dem es nicht zum Opfer fällt wie Osiris seinem Bruder Typhon. Darauf folgt der 2. Akt. Es ist der Kampf Michaels mit dem Drachen, der auf die Erde gestürzt wird (Off. 12, 712). Der 3. schildert, wie der auf die Erde gestürzte Drache mit seinen Mächten das Weib und ihren Samen bedroht. Aber die Erde hilft ihr, indem sie das Wasser, das die Schlange wie einen Strom gegen das Weib schießt, auffängt und verschluckt. Und der Drache ward zornig über das Weib und ging hin zu streiten mit den übrigen von ihren Samen, die des Gottes Gebote halten und das Zeugnis Jesu Christi haben. (Off. 12,17) In diesen großen Bildern entrollt sich der Mythos der Seele, wie wir ihn im Drama der Isis und Demeter-Persephone finden. Aber der Akzent liegt jetzt in der Geburt der Virgo197, den die Sohn gebiert, der von den ahrimanischen Drachenmächten verfolgt wird, ohne ihnen zum Opfer zu fallen. Dafür wird die jungfräuliche Göttin verfolgt, das Knäblein aber wird entrückt, bis es herangewachsen ist, um selbst gegen die Drachenmächte zu kämpfen. Dazwischen findet sich als Mittelstück der bekannte Kampf Michaels mit dem Drachen, der aus den Himmelssphären auf die Erde gestürzt wird. Man könnte sagen: Auch hier ein Inkarnationsmotiv, das dem Weibe, die gleichfalls auf die Erde versetzt wird, zur Prüfung gereicht, da sie und ihr Samen dem Drachen ausgesetzt ist. – Was hier geschieht, ist ein übersinnliches Geschehen, das sich etwa in der Mitte der atlantischen Zeit abspielt, wo in den geistigen Welten sich ein wichtiger Vorgang ereignet. Es ist die Vorbereitung zur Ich-Werdung der Menschheit. Wir können dabei an die Mitte der atlantischen Zeit denken, in der ohne den Sündenfall, der die Ich-Werdung durch den luziferischen Eingriff ja verfrühte, die Menschheit zu ihrer Erdeninkarnation herabgestiegen wäre. (Dann wäre ihr der luziferische Eingriff erspart geblieben, der das Ich-Bewusstsein verfrüht erweckte und korrumpierte, sodass es mit der menschlichen Organisation nicht übereinstimmte, wie es sich dann in unseren Krankheiten und zuletzt dem Tode auswirkte.) Um die dadurch entstehenden Folgen soweit zu kompensieren, dass die Menschheit überhaupt entwicklungsfähig blieb, fanden in der geistigen Welt jene drei Durchdringungen mit dem Christusprinzip statt, die das kosmische Gleichgewicht ermöglichten, sodass die Menschen schon vor ihren irdischen Inkarnationen mit ihrem Urbilde verbunden blieben. Wir können dabei von drei Durchdringungen einer engelartigen Wesenheit mit dem Christus sprechen, die in der lemurischen und der atlantischen Entwicklungsperiode in der geistigen Welt sich abspielen. Es handelt sich 197

lateinisch virgo bedeutet „Jungfrau“.

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dabei um jenes Wesen, das als der Jesusknabe des Lukasevangeliums 198 seine erste Erdenverkörperung durchmachte und bis dahin in der geistigen Welt verblieben war. Diese Wesenheit hatte den Sündenfall nicht mitgemacht und war dadurch in einem engelhaften Zustand verblieben, die Ursubstanz der Menschheit in sich bergend. Dadurch, dass sie den luziferischen Eingriff nicht hatte über sich ergehen lassen, war ihr Ich in jenem kindlich-reinen Zustande verblieben, wie er uns im nathanischen Jesusknaben, den Lukas beschreibt, entgegentritt. So konnte sie sich in reiner Hingabe dem Christuswesen hingeben, um es in sich aufzunehmen und ganz zu durchdringen mit seinen Heilkräften. So können wir gleichsam von drei übersinnlichen Begegnungen des nathanischen Jesus mit der Christus-Wesenheit vor dem Mysterium von Golgatha sprechen, während in Palästina selbst die vierte Durchdringung mit dem Christus erfolgt. Die 1. Durchdringung galt der überempfindlich geworden waren.

Harmonisierung

der

Sinne,

die

durch

Luzifer

Unter der Wirkung des luziferisch-ahrimanischen Einschlags hätte das Sinnesleben die stärksten Begierden und Impulse auslösen müssen. Hätte der Mensch zum Beispiel eine rote Farbe gesehen – und so hätten vor allem die Sonnenstrahlen wirken müssen –, so hätte in brennendem Schmerz die begehrende Seele fliehen müssen, und bei der Wahrnehmung von Blau hätte sie sich, in sich verzehrend, in Qual überwinden müssen.199 Die Seele hätte furchtbar leiden müssen bei jeder Sinnesempfindung, gejagt von tierischer Wollust und Begehren zu versengendem Schmerz und Qual. [49, S. 94] Die beiden anderen Durchdringungen fanden in der atlantischen Zeit statt. Durch den luziferischen Eingriff kamen die Lebensfunktionen in Disharmonie:

Alles, was mit den Ernährungs- und Lebensfunktionen zusammenhing, löste eine ungeheure Aufstachelung von Sympathie und Antipathie aus, trieb die Seele von verschlingender Gier zu abstoßendem Ekel. Und wiederum war es jenes Geistwesen, das diese Gefahr für den Menschen abwandte. Ein zweites Mal ließ es sich mit dem Christus-Geist durchdringen und rettete dadurch die sonst in Unordnung geratenden Lebenskräfte im Menschen. [49, S. 92] Gegen Ende der atlantischen Periode drohten die menschlichen Seelenkräfte (Denken, Fühlen und Wollen) in Unordnung zu geraten, sodass sie in Leidenschaft erglüht waren oder in Furcht und Hass alles von sich abgestoßen hätten, was ihnen unsympathisch war. Da musste das engelartige Geistwesen, jene reine Seele, untertauchen in die von Leidenschaft erfüllte menschliche Seele und musste selbst zum „Drachen“ werden, um die luziferischen Seelenkräfte umzuwandeln und das Gleichgewicht auch im seelischen Dreiklang wiederherzustellen und ein drittes Mal sich von dem Christus-Geist durchleuchten lassen. Die Anthroposophie unterscheidet zwei Jesusknaben, den nach der Ahnenreihe aus Matth. 1, und den nach der Ahnenreihe aus Lk. 3. Dass die Mutter des letzteren Knaben schwerlich Maria gehießen haben kann, geht aus Joh. 19,25 hervor, auf das an späterer Stelle noch eingegangen wird. – Gemäß zweier Söhne König Davids, bei denen sich die Geschlechtslinie unterscheidet, wird das matthäische Knabe der „salomonische“, der lukanische Knabe der „nathanische“ genannt. 199 Qualitativ gesehen erlebt man die roten Farbtöne als „auf einen zukommend“, die blau-violetten als „zu sich hin saugend“. 198

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Diese 3. Durchseelung findet eine Widerspiegelung im Mythos von Sankt Georg und dem Erzengel Michael, der den Drachen besiegt.

In den nachatlantischen Kulturen sehen wir ein Bewusstsein lebendig von den in geistigen Welten sich vollziehenden Einwirkungen des Christus auf das Menschenwerden durch jenes Geistwesen. In dem Zarathustra-Kult tritt uns das hohe Sonnenwesen entgegen, und wie ein Abbild davon zeigt sich im griechischen Bewusstsein der Apollodienst. Am kastalischen Quell ist der Tempel des Apollo, wohin wohl vorbereitet die Griechen ziehen, um sich bei Apollo Rat zu holen. Python, der über den Dämpfen ruht, die aus dem Spalt aufsteigen und den Berg Parnass umwinden wie eine Schlange, er wird durch Apollo besiegt, und an seine Stelle tritt die Priesterin Pythia, durch deren Mund Apollo seine Weisheit den Griechen offenbart. [49, S. 92] In diesen dreimaligen „Durchseelungen“ der alma candida200, der reinen Menschheitsseele mit dem Sonnengeist, können wir das Urbild der späteren Christusheilung im Leibe des Jesus von Nazareth erkennen. Wir sehen, wie es bei diesen Heilungen im Übersinnlichen auf diese Durchdringung der reinen Menschenseele mit dem Christusgeist ankommt. Mit Recht ist man gewohnt, von Jesus als dem Heiler und Heiland zu sprechen (Jeschua heißt ja im hebräischen soviel wie Heiler, Heiland). Bei den späteren Heilungen, von denen die Evangelien erzählen und die nunmehr vornehmlich der Heilung des Ich galten wie das ganze Opfer auf Golgatha, kam es auf die beiden Prinzipien an, das Jesus- und das Christusprinzip. Nur durch das Jesusprinzip, die alma candida, konnte der kosmische Sonnengeist auf Erden wirken und seine Heilungen vollziehen. Wir erkennen hier von einem kosmischen Gesichtspunkte die Bedeutung der Geburt des Knäbleins, wie sie uns im 12. Kapitel als in der geistigen Welt stattfindend geschildert wird. Wir müssen dabei uns vorstellen, wie in der atlantischen Zeit die weibliche „Weltseele“ sich anschickt, zum männlichen Ich-Impuls, dem „Weltgeist“, sich zusammenzuziehen und zu konzentrieren. Die Frucht dieses Geschehens ist die Geburt des Knäbleins aus dem Schoß der Jungfrau. Es ist im Bilde der ägyptischen Mysterien der Horus-Knabe, der Weltenspross der Zukunft. Und eben in diesem Augenblick, wo der Knabe als männlicher Ich-Impuls in Szene tritt, regt sich der Drache und schreitet zum Kampf! Denn hier ist der Augenblick, wo sich aus der Vergangenheit (der Vaterwelt) die Zukunft gebiert, welche die Geistmysterien ankündigen. Wir können in dieser Geburt zwar schon die im Übersinnlichen sich ankündigende Christus-Morgenröte erblicken – wie sie sich dann im Weihnachtsmysterium auf Erden erfüllt –, wo sich abermals der Drache regt und das Jesuskind in dem „vierten König“, Herodes, verfolgt, doch auch hier wird der Nachdruck gelegt auf das Knäblein, eben das Jesus-Prinzip, ohne das auch in der übersinnlichen Welt jene Heilkraft des Christus für die Menschheitsentwicklung nicht in Kraft treten könnte. Wir stehen hier an einem Punkt in unserer Betrachtung, der für die Erfassung der ganzen Apokalypse von Bedeutung ist. Man könnte zum Beispiel verwundert sein, warum immer wieder bis zum Schluss in der Apokalypse Jesus angerufen und genannt wird statt Christus! So am Schluss des 22. Kapitels: „Ich, Jesus, habe gesandt meine Engel, solches zu bezeugen den Gemeinden. Ich bin die Wurzel des Geschlechtes Davids, der helle Morgenstern.“ – 200

lateinisch alma candida „weiße (d. h.: reine) Seele“.

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Es spricht, der solches bezeugt: „Ja, ich komme bald, Amen, ja komm, Herr Jesu!“ (Off. 22,20) Erst im letzten Vers als Siegel des Ganzen heißt es: Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi sei mit euch allen. Amen. (Off. 22,21) Es wäre verkehrt, in solchen Bezeichnungen ein einseitiges Jesus-Prinzip zu sehen, wie es heute in der modernen Theologie Mode geworden ist. So wie das bloße Jesus-Prinzip einseitig und abwegig ist, so ist es auch das einseitige Christus-Prinzip mit Auslassung des Jesus-Prinzips. Das geht aus folgenden Hinweisen Rudolf Steiners einleuchtend hervor:

Christus musste im Jesus seinen Wohnplatz aufschlagen und so zum Christus Jesus werden, weil nur in einem Menschenleibe das war, was zukunftsträchtig für die Erdenentwicklung ist. Daher haben wir in Christus das Kosmische, aber jenes Kosmische, das in alter Erkenntnis allein unmittelbar ergriffen werden konnte. Und in dem Jesus, zu dem der Christus gekommen ist, haben wir das, was fortan im Menschenwillen allein den Keim für die Zukunft trägt. Nicht begreift man den Christus, wenn man ihn nur als Christus oder nur als Jesus begreifen will. Man begreift ihn nicht, wenn man bloß von dem Christus redet, denn der Christus, von dem zum Beispiel die alten Doketen (eine Art Gnostiker) gesprochen haben, könnte nicht mehr erfasst werden; der gehört dem alten atavistischen Hellsehen an. Nicht begreift man den Jesus, wenn man nicht den Christus, der in den Jesus eingezogen ist, gelten lassen will. Man begreift nicht, dass durch den Menschenkeim auf Erden allein das Kosmische für die Zukunft gerettet werden muss, wenn man nicht den Christus in dem Jesus gelten lassen will. [50, S. 416 f.] Welche intime Beziehung zwischen dem Christus und dem Jesus waltet, geht aus dem Akt des Sterbens hervor:

Was musste denn geschehen, damit durch einen gewaltigen Ruck in die Entwicklung hinein ein entsprechender Impuls kam als eine Kraft, die die Menschheitsentwicklung durchdrang von einem Bewusstsein, dass dem Tode verdankt ist zu leben? Es musste das kommen, dass die Christus-Wesenheit, die drei Jahre hindurch in dem Leibe des Jesus von Nazareth lebte, diesem Leibe etwas sagte, was aber nur im Augenblick des Todes gesagt werden kann, denn nur im Augenblicke des Todes kann das alles zusammengedrängt werden, was Geheimnis des menschlichen Bewusstseins ist. Musste also nicht, damit der gesamte Bewusstseinsimpuls, der da kommen musste, in die Menschheit hineingedrängt werden konnte, musste nicht der Christus den Jesus zum Sterben bringen? Das musste er! Und wann sind wir selbst in jenem Augenblick, in dem wir hoffen können auf ein zusammengedrängtes Verständnis des Christus? Wir sind es in dem Augenblick des Sterbens. Denn da sind alle diejenigen Kräfte im Augenblick vorhanden, von denen unser Bewusstsein das ganze Leben hindurch erhalten wird. Im Moment des Sterbens sind wir geeignet, dasjenige aufzunehmen, was im Grunde genommen das Geheimnis unseres Bewusstseins ist, und damit den Christus-Impuls... Damit nun auch die Bedingungen geschaffen wurden, dass das so sein könnte, musste noch etwas anderes im Mysterium von Golgatha eintreten. Nachdem gewissermaßen der Christus dem Jesus im Sterben auf Golgatha das Geheimnis des kommenden menschlichen Bewusstseins anvertraut hat, musste die gewaltige Tatsache eintreten, dass der Jesus, der den Christus enthielt, sich zu einem neuen Leben erhob aus jeder 178

Kraft heraus, die der Tod ist. Das heißt: es musste die Auferstehung eintreten. [51, S. 289 f.] Es ist das Geheimnis der Menschwerdung des Christus, durch die der Mensch Jesus von Nazareth bis in seinen Willen hinein den Christusgeist aufnimmt, und damit die Kraft der Auferstehung. Denn aus der Menschwerdung des Christus folgt als zweiter Akt des göttlichen Dramas die Geistwerdung des Menschen! Und diese ist es, welche die Apokalypse in ihren verschiedenen Etappen und Bewusstseinsstufen beschreibt. Was sich aus der Menschwerdung des Christus ergibt, das ist man gewohnt als den „Heiligen Geist“ zu bezeichnen, welcher der Führer wird zu der Geistwerdung des Menschen, die die zweite Hälfte der Erdenentwicklung ausmacht. Damit diese aus dem Grabe von Golgatha auferstehenden Christuskräfte des Heiligen Geistes geleitet und nach oben gewendet werden konnten, dazu war das Durchschreiten des Todespunktes notwendig, in dem der Christus die Kräfte der Auferstehung dem Jesusbewusstsein einprägen konnte. Damit kommen wir zu den eigentlichen Geistmysterien, zu denen wir als Folge der Einweihung des 10. Kapitels jetzt erhoben werden, weshalb das 12. Kapitel beherrscht und gelenkt wird von dem Erzengel der Sonne, Michael, der schon in den vorhergehenden Ereignissen als verborgene Macht wirksam ist, jedoch sich erst hier mit seinem Namen enthüllt. Bevor wir auf den tieferen Sinn dieses michaelischen Impulses eingehen, der sich heute in unserem Zeitalter ankündigt und immer machtvoller offenbaren wird, verfolgen wir zunächst die Stufen des Inkarnationsprozesses, die das „Weib mit der Sonne bekleidet“ auf ihrer Wüstenwanderung zurückzulegen hat. Wir sahen, dass dieser Inkarnationsprozess, der in gewisser Beziehung die Menschwerdung der Heiligen Isis darstellt, eine unmittelbare Folge des Sieges Michaels über die Drachenmächte ist. Denn diese werden jetzt aus den göttlichen Sphären hinuntergeworfen, wodurch der Blick des Menschen frei wird zu den göttlichen Welten. Dafür aber nehmen die ahrimanischen Mächte jetzt Wohnung in den Häuptern und Herzen der Menschen auf Erden: „Darum freuet euch, ihr Himmel und die darin wohnen! Wehe denen, die auf Erden wohnen und auf dem Meer! Denn der Satan kommt jetzt zu euch hinab und hat einen großen Zorn und weiß, dass seine Zeit kurz ist.“ (Off. 12,12) Verfolgt man die einzelnen Motive dieses Kapitels, so sieht man, dass es einen Wendepunkt in der apokalyptischen Entwicklung darstellt, wodurch sich alles ändert. In den übersinnlichen Welten bereitet sich die Geburt des Christusimpulses schon vor, wodurch die Richtung zur Erde eingeschlagen wird, sowohl durch die Überwindung der Drachenmächte, die zur Erde hinabgeworfen werden, wie durch die beginnende Inkarnationslinie der Isis, wenn wir sie so nennen wollen. Dieser Kampf Michaels gegen die Drachenmächte spielt sich zu wiederholten Malen in der geistigen Welt ab, besonders aber in den Michael-Perioden, die sich in größeren Zeitabständen rhythmisch folgen. So war die letzte Michaelherrschaft in der Alexanderzeit, im 7. 3. vorchristlichen Jahrhundert, als sich der Durchbruch zum Erwachen der persönlichen Intelligenz auf Erden unter der Inspiration Michaels vollzog. Damals lebten die größten Geister als Zeitgenossen auf Erden, wie Plato, Sokrates, Aristoteles, Pythagoras, die großen Dramatiker Aischylos, Sophokles, Euripides, die griechischen Historiker Thukydides und Herodot, in China

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Laotse und Konfutse, in Indien Buddha; und alle gleichen Berggipfeln, die von der Sonne beschienen werden. Auch in der vorangehenden Michaelzeit spielen sich umwälzende Ereignisse ab, wie sie im 3. vorchristlichen Jahrtausend im Gilgamesch-Epos beschrieben sind, das zu Beginn des hereinbrechenden KaliYuga, des finsteren Zeitalters, spielt, als sich die Pforten der geistigen Welt für das menschliche Bewusstsein zu schließen beginnen und Gilgamesch noch einmal, entgegen dem Gebot seiner Zeit, den Götterberg erstürmen will und Chumbaba, den Schwellenhüter, zu besiegen trachtet. Was in diesen Zeitenwenden sich abspielt, ist ein erhöhter Angriff der luziferischahrimanischen Mächte, die das Licht Michaels erbeuten wollen. Deshalb nannte man Marduk (wie Michaels früherer Name in der babylonischen Zeit war) den „Menschenbildner“, da er unter den Göttern vor allem als Hüter und Beschützer der Menschen verehrt wurde, bei den Hebräern als das Antlitz Jahwes, bei den heidnischen Völkern als der Lenker und Leiter der Mysterien. Nach zwei Seiten war das Menschenbild der Gefahr ausgesetzt, seinen Ursprung zu verlieren: Durch die luziferischen Blutskräfte oder durch die ahrimanische Verhärtung. Die erste Abirrung drohte dem Menschen mehr in den vorchristlichen Zeiten; die letztere in der nachchristlichen Zeit, besonders in der Gegenwart. Michael ist es, der diesen Kampf gegen die „Drachenmächte“ immer wieder aufnimmt, um das Gleichgewicht des Menschenbildes wieder herzustellen. Wie aber vollzieht sich die „Fleischwerdung“ des jungfräulichen Gottes, die in allen Religionen verehrt wurde und den „Mythos der Seele“ bildet? Wir können diesen Inkarnationsprozess in großen Zügen verfolgen in der Generationstafel des Matthäusevangeliums. Fünf Frauennamen finden sich in den zweimal vierzehn Geschlechtern verzeichnet, die sonst nur Männer nennen, welche die Generationslinie bis zur Maria, der fünften Frau, fortsetzen. Doch alle diese genannten Frauen, bis auf Maria, tun dies in einer den moralischen Kodex und das Gesetz verletzenden Art. Sie sind nicht in unserem Sprachgebrauch, sondern auch im jüdischen Vokabular Huren. Die Namen dieser vier Frauen sind Thamar, das Weib des Juda, Rahab, die Mutter des Boas, Ruth, das Weib des Boas und Bath-Seba, die Frau des Uria, die David zur Hure macht. Und dennoch sind sie „Gottesmütter“, indem sie die Lücken der Generationslinie von Abraham bis zu Jesus schließen, die durch die Nichteinhaltung der Blutsgesetze entstehen. Als Beispiel sei Thamar genannt im 38. Kapitel des 1. Buches Moses (Genesis). Wir sehen uns in die Zeit von Joseph „dem Träumer“ versetzt, den seine Brüder nach Ägypten verkaufen, weil er noch alte hellseherische Eigenschaften bewahrt hat, die nach dem jüdischen Gesetz ausgeschaltet werden sollten, um das reine abstrakte Ich-Bewusstsein auszubilden. Das Joseph-Kapitel wirkt wie ein krasser Gegensatz zu dem nachfolgenden Juda-Kapitel. Hier, wo im 39. Kapitel dieser Name zum ersten Mal im Alten Testament auftaucht, fällt schon der Schatten herein, der den anderen Judasnamen im Neuen Testament verdunkelt, sodass ein ähnlicher Kontrast von Licht und Finsternis entsteht wie später zwischen Christus und Judas Iskariot. Dennoch wird nicht Joseph, sondern Juda(s) der Stammvater des jüdischen Volkes. Als Juda(s) gegen die Blutsgesetze seines Volkes verstößt und der Stamm Juda auszusterben droht, verkleidet sich Thamar als Hure und wird schwanger von Juda, ihrem Schwiegervater. Sie hat sich selbst zur Hure gemacht, um die Fortpflanzung ihres Geschlechtes zu erlisten: Da sie Juda sah, meinte er, es wäre eine Hure, denn sie hatte ihr Antlitz verdeckt. Und er sprach sie an auf dem Wege und sagte: „Lass mich doch zu dir kommen“, denn er wusste 180

nicht, dass es seine Schwiegertochter war. Sie antwortete: „Was gibst du mir, wenn ich zu dir komme?“ (1. Moses 38, 1518). Als Pfand für den Hurenpreis, einen Widder aus seiner Herde, verlangt Thamar von ihm drei symbolische Gaben: seinen Ring, seine Schnur und seinen Stab. Da gab er's ihr und kam zu ihr; und sie ward von ihm schwanger. Als ihr Juda den Widder durch seinen Freund bringen lässt, ist die Hure am Wege verschwunden. Darauf wird Thamars Schwangerschaft entdeckt. Siehe, sie ist von Hurerei schwanger geworden! Juda befiehlt, dass sie zu ihm gebracht werde, um auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden. Da zeigt ihm Thamar seine Pfänder: Von dem Manne bin ich schwanger, dem dies gehört! Sie hat sich selbst zur Hure gemacht, um die Fortpflanzung ihres Geschlechtes zu erzwingen. Sie ist dadurch zu einer „Mutter Gottes“ geworden. (Vgl. meine Evangelien-Bücher.) Wir verdanken Emil Bocks genialer Forscherarbeit in seinen Evangelienbetrachtungen tiefe Einblicke in diese geschichtlichen Zusammenhänge, wodurch wir in der Lage sind, das Rätsel dieser Frauen besser zu verstehen. Schon in ihren Namen offenbart sich etwas von dem Wesen und Schicksal dieser Frauen, die berufen waren, zu „Gottesmüttern“ zu werden und mitzubauen am Leibe des Messias. Die ich-hafte Linie des vordrängenden Egoismus schreitet im Geschlechtsregister des jüdischen Volkes von Stufe zu Stufe vorwärts, in dem sich der Sündenfall spiegelt. Das jüdische Volk hatte die Aufgabe, den Sündenfall am intensivsten zu erleben, da es das IchBewusstsein früher als die anderen Völker entwickeln sollte. Am Ende des Geschlechtsregisters steht Maria. Die Geburt Christi geschah: Als Maria, seine Mutter dem Joseph angetraut war, fand sich, dass sie vom Heiligen Geist schwanger war. (Mt. 1,18) Gleichsam wird hier noch einmal zurückgeholt, was die noch unschuldige Menschheit im unbewussten Schlafzustand erlebte: die geschlechtliche Vereinigung. Die Hingabe um eines Höheren willen, in dem sich das Marienschicksal erfüllt, schwebt über den Frauen den Geschlechtsregisters. Die Verbindung von Joseph und Maria wiederholt noch einmal, was die Menschheit auf ihrer Kindheitsstufe in paradiesischer Unschuld erlebte, als sich noch der Deckmantel des Unbewussten schützend über den Geschlechtsvollzug legte. So berichten apokryphe Evangelien wie das Jakobus-Evangelium, dass Maria als Tempeljungfrau in noch kindlichem Alter dem greisen Joseph aufgrund eines göttlichen Orakels vermählt worden sei. Der Schleier der Jungfräulichkeit bleibt gewahrt. Natürlich würde das ganze Geschlechtsregister zunichte gemacht und seine Darstellung wäre sinnlos, wenn Joseph nicht der leibliche Vater des Jesus wäre. Das Mariengeheimnis der „unbefleckten Empfängnis“ liegt vielmehr in der seelischen Haltung, die einen Urzustand der Menschheit wieder in der Seele der Gottesmutter aufleben lässt. Der Weg des Erdenabstiegs als Folge des Sündenfalles ist in den vier Frauen gekennzeichnet: Maria wendet den Fall der Menschheit wieder nach oben, daher kehrt der Engelgruß den Namen Eva in Ave201 um! Schon Goethe bezeichnet die Geschichte des hebräischen Volkes, wie sie im Alten Testament dargestellt ist, als urbildhaft für die ganze Menschheit. Im Geschlechtsregister des Matthäusevangeliums steht der Inkarnationsweg der Menschheit wie in einem Urbild 201

In der lateinischen Bibel begrüßt der Engel Maria mit ave, einer gebräuchlichen lateinischen Grußformel; die griechische Version hat chaire (χαιόρε).

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vor uns. Dieser Abstieg zur Menschwerdung vollzieht sich parallel mit der Menschwerdung des Logos. Die letzte Stufe ist auf Golgatha erreicht. Und hier erfüllt sich die große Wende nach oben! Als die Worte vom Kreuz ertönen: „Siehe, Frau, das ist dein Sohn!“... „Siehe, das ist deine Mutter!“ (Joh. 19,26 f.), vollzieht sich die Geistwerdung der Seele, die im Bilde der „Mutter Jesu“ unterm Kreuze steht. In der Sprache des esoterischen Christentums wurde Maria, die Gottesmutter, stets als „Sophia“ bezeichnet. Man verstand unter diesem Namen die geläuterte, durchchristete Seele, die „Jungfrau Sophia“, welche das mikrokosmische Abbild des „Heiliges Geistes“ ist. In der Gestalt der Mutter Jesu, die neben Johannes, dem Lieblingsjünger des Herrn, unterm Kreuze steht, können wir das menschliche Abbild des Heiligen Geistes erblicken. Es ist die Gestalt der Pietà202, wie sie Michelangelo und viele andere Künstler dargestellt haben. Ihre verklärten Züge sprechen von dem Leide, das ihre Seele durchgemacht hat. Rudolf Steiner hat in ergreifenden Zügen dieses Menschheitsleiden in seinen intimen Vorträgen über das „Fünfte Evangelium“ 203 geschildert, in das sie hineinwächst, je mehr sie für ihren Sohn Verständnis findet – bis sie mit Johannes unterm Kreuze steht. Da erfüllt und vollendet sich ihr Schicksal. Sie wird zur neuen Sophia, der durchchristeten Inspirationsquelle, aus welcher Johannes die Inspiration zu seinem Evangelium empfängt. Wer sich in diese Bilder vertieft, der schaut durch sie hindurch wie durch ein Himmelsfenster in weite Menschheitszusammenhänge. Er erkennt, wie die verschleierte Isis – der vorchristliche Mythos der Seele – durch das Mysterium von Golgatha zu neuem Leben erwacht ist. Nicht nur als Sinnbild und Symbol, sondern als geisterfüllte Lebenswirklichkeit. Und eben diese Wirklichkeit können wir erfassen als einen Stern, der am Geisteshimmel aufgegangen ist als neue Inspirationsquelle, die der Menschheit sich immer mehr eröffnen will. Vor diesem Menschheitshintergrund erfassen wir erst in ihrer ganzen Bedeutung die Szene unterm Kreuz, wie sie Johannes beschreibt. Johannes, der durchchristete Mensch, empfängt Sophia, die verchristlichte Weisheit, durch das Wort des Gekreuzigten. Anthropos, der Mensch, vermählt sich mit der wiedererstandenen Sophia. Aus dieser Vermählung soll eine neue Menschen-Weisheit erblühen, die Anthropos-Sophia! Darin unterscheidet sich das petrinische Christentum, das auf der historischen Sukzession fußt,204 vom johanneïschen, welches auf der geistigen Nachfolge beruht, die unmittelbar aus der geistigen Welt erfließt. Erst dann wird uns vieles verständlich in der Geschichte des Christentums, wie immer gleichsam aus dem Nichts neue geistige Impulse eingreifen, die neue Bewegungen auslösen wie die Gralsbewegung, von der berichtet wird, dass Titurel von Engeln den Auftrag erhält, eine Stätte für den Gral zu errichten, aus der die Ritter des Gral die geistige Wegzehrung empfangen, die nicht aus den Händen eines Priesters, sondern unmittelbar aus geistigen Höhen gespendet wird. 205 Italienisch für „Frömmigkeit“. GA 148, Quelle [78]. 204 „Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine „Kirche“ bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.“ (Matth. 16,18) Gemeint ist der Katholizismus, der sich auf Petrus als ersten „Papst“ begründet. 205 Gemeint ist das Parzival-Drama. 202 203

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Immer reiner und reiner fließt dieser Strom im Laufe der Zeiten, je mehr sich die Menschheit bewusst zum Geiste wendet. Und darin kann man das Signum unseres michaelischen Zeitalters erblicken: Es ist das Weib mit der Sonne bekleidet, die wiedergeborene Isis, die über uns richtungs- zielweisend steht, um die Erkenntnisse des Christus-Mysteriums in die Häupter und Herzen der Menschheit einströmen zu lassen. Isis-Sophia, die Weisheit Gottes, die durch den Sündenfall verloren ging sie ist aus der Christus-Weisheit neu erstanden!

Isis-Sophia, Des Gottes Weisheit, Sie hat Luzifer getötet Und auf der Weltenkräfte Schwingen In Raumesweiten fortgetragen. Christus-Wollen, Im Menschen wirkend, Es wird Luzifer entreißen Und auf des Geisteswissens Boden In Menschenherzen auferwecken Isis-Sophia, Des Gottes Weisheit. [52, S. 131]

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Bild 7: Albrecht Dürer, Vollzug des Strafurteils an den Mächtigen der Erde, 1498

Die Elohim, die den Satan vom Himmel gestürzt haben, vollziehen das Strafgericht an den Mächtigen dieser Erde.

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12. Das Mysterium des Bösen – Die beiden Tiere aus dem Abgrund In geheimnisvoller Art ist dem 12. Kapitel der Apokalypse, das den Höhepunkt, die Mitte und die Wende der Offenbarung Johannis darstellt, eingezeichnet die große Evolutionskurve der Menschheitsentwicklung. Das Bild der verklärten Isis-Sophia, das aus geistigen Höhen „im Himmel“ zu Anfang des Kapitels erscheint, lenkt unsere Blicke zunächst in die Vergangenheit zum Anfang der Menschheitsentwicklung. Da floss der Menschheit der Weisheitsstrom in der Form einer atavistischen, noch im Traumbewusstsein verhangenen Weisheit zu. Sie war damals im alten Orient eine Gabe der luziferischen Inspiration. Sie verflüchtigte sich zum „Mythos“ oder erstarrte zum toten intellektuellen Wissen des Verstandes, der blind ist für die übersinnliche Weisheit. Soll Isis neu geboren werden, so muss sie neu erweckt werden. Wir müssen die alte Isis-Osiris-Mythe heute in einem neuen Lichte sehen. Die ägyptische Osiris-Mythe spricht vom Tode des Sonnengottes, den die Menschen nur noch in der Welt der Toten finden konnten, nachdem er auf Erden getötet war. Der Eingeweihte musste durch die Initiation den neuen Gottesspross, den Horus, in seiner Seele neu gebären. Wir haben die Isis verloren – und Osiris in neuer Gestalt durch den Christus wieder empfangen. Was wir brauchen, ist die Auferstehung der verchristlichten Inspirationsquelle, der neuen Isis-Sophia. Vergangenheit und Zukunft ist diesem Mittelpunktskapitel der Apokalypse sichtbar als Komposition eingezeichnet. Abb. 16: Menschheit, Trinität und Isis-Sophia

Das ist der doppelte Aspekt, der sich aus dem Inkarnationsweg der Isis ergibt, wie er aus dieser Skizze hervorgeht. Damit sind wir eingetreten in das Zeitalter des Geistes, das sich als drittes Zeitalter an das Zeitalter des Vaters und Sohnes anschließt. Es beginnt 1879, mit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, mit dem Siege Michaels über die ahrimanischen Drachenmächte in der geistigen Welt. Gegenwärtig sind wir eingetreten in die große apokalyptische Menschheitsentscheidung. Und heute spielt sich der Götterkampf nicht mehr nur in den übersinnlichen Welten ab. Sein Schauplatz ist auf die Erde verlegt, in die menschliche Seele. Das ist das Neue, was sich in der Ära des Geistes heute abspielt. Der Mensch ist aufgerufen worden zum Mitstreiter an diesem Kampf, zum Mitkämpfer Michaels und Mitarbeiter Gottes! Nur mit seiner Hilfe und Mitwirkung kann dieser Kampf entschieden werden, kann die Welt an ihr Ziel gelangen. Daher stehen uns jetzt die Widersacher, die Michael aus dem Himmel gestürzt hat, im 13. Kapitel als das Tier aus dem Meer und vom Lande entgegen. Sie sind es, die als 185

Drachenmächte auf die Erde gestürzt sind, die das Weib und ihren Samen verfolgen, bis das Knäblein, das sie geboren hat, herangewachsen ist und in diesen Kampf eintreten kann. Der Same des Weibes, das sind die, welche Gottes Gebote halten und haben das Zeugnis Jesu Christi (Off. 12,17). Sie, die Jünger Christi und seine Mitstreiter, sind es, die hier am Ende des 12. Kapitels genannt werden, da sie jetzt in dem Zeitalter des Geistes in die Arena des michaelischen Kampfes einzutreten berufen sind. Wollen wir uns die Zukunftsbedeutung dieses Kampfes für das Zeitalter des Geistes, in das wir eingetreten sind, in einer Skizze vor Augen stellen, so kann es in dieser Figur geschehen, in einer Lemniskate, deren untere Schleife die Vaterwelt, deren Kreuzung die Welt des Sohnes und deren obere Schleife die Welt des Geistes darstellt. Abb. 17: Die Trinität und das Ich

Da, wo der Kreuzungspunkt liegt, liegt die Geburt des Ich; da ist die Wende – die Wende von der gotterfüllten Vaterwelt der Vergangenheit zur Sohneswelt, die das Ich zur Selbständigkeit und zur Mitarbeit aufruft, damit die Welt an ihr Ziel gelangt. Denn jetzt soll die obere Schleife des Geistes von demjenigen erfüllt werden, was der Mensch aus der Vergangenheit in die Zukunft als schöpferische Impulse entfaltet, der „Heilige Geist“, im Menschen wirkend, soll die Zukunft durch den freien Menschen gestalten und die Welt an ihr Ziel führen. Je nach dem sich vergrößernden Horizont unseres Weltbildes verändert und erweitert sich auch unsere Erkenntnis von dem Mysterium des Bösen. Denn ein Mysterium ist es. Das wird uns mit jedem Schritte mehr aufgehen, den wir in die Tiefen unserer eigenen Seele und in die verborgenen Tiefen der Welt tun. Nachdem der „Teufel“ des Mittelalters sich zur Mythe des „dummen Teufels“ verflüchtigt hat, über den der „sachliche Intellekt des Gebildeten“ mit einem mitleidigen Lächeln hinwegging, soll sich in unseren Jahrhundert „der Brunnen des Abgrundes“ öffnen, und die ganze Dämonie der entfesselten Unterwelt sich über die zivilisierte Menschheit ergießen, sodass das Sprechen von Dämonen in den Jahren nach dem Kriege wieder modern wurde. Zu krass hatte sich den Menschen das aus der modernen wissenschaftlichen Weltanschauung verbannte Reich des Bösen in allzu greifbarer Form aufgedrängt, um es als bloßen mittelalterlichen Spuk zu ignorieren. Doch die Zeiten haben sich bereits heute wieder geändert. Nicht dass das Böse in vielen Masken und Erscheinungen verschwunden wäre. Aber der Sinn ist durch die Gewohnheit dafür abgestumpft. Und wo sollen innerhalb des materialistisch-physikalischen Weltbildes Dämonen noch Platz haben? Das Problem des Bösen ist auf die Psyche abnormer Menschen zurückgedrängt, richtiger noch gesagt: auf deren abnormale Gehirnstruktur, 186

durch die sie seelisch belastet sind. Das Böse ist von einem metaphysischen Menschheitsund Weltproblem zu einem pathologischen Krankheitsproblem geworden. Der Verbrecher gehört nach dieser Auffassung nicht ins Gefängnis, sondern in eine pathologische Anstalt! Gerade durch diese Verschiebung unseres ganzen Weltbildes ist die Ursache und Quelle des Bösen soweit verschoben, dass es sich tarnen und unter tausend Masken verstecken kann. Und hier stoßen wir bereits auf die Quelle allen Übels, auf unsere von der Naturwissenschaft geprägte und infizierte Weltanschauung. Diese kennt kein metaphysisches Böses, da sie für eine geistige Welt keinen Platz hat. Also gibt es in diesem Weltbild auch kein objektives Böses. Es gibt nur menschliche Verfehlungen. Entgleisungen, Verrohungen oder andere abnorme krankhafte Erscheinungen! – Wir stehen hier an einem Punkt, der nicht nur zur rechten Beurteilung der Apokalypse entscheidend ist, sondern auch für unsere ganze gegenwärtige Zivilisation. Für diese gut das Wort Goethes aus dem Faust: Den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben! [33, Vers 2509] – Damit hat Goethe in genialer Art den „zweiten Sündenfall“ in der Tarnung Ahrimans ausgesprochen. Und diese Maske, hinter der sich das Böse durch den zweiten Sündenfall verbirgt, ist deshalb umso verheerender, weil sie ohne die in die okkulten Hintergründe eindringende geisteswissenschaftliche Erkenntnis niemand ihrem Wesen nach durchschaut. Religiös orientierte Menschen und solche, in deren Seelen der Mythos vom Sündenfall aus der Genesis des Moses nachklingt, haben an den Bildern des Alten Testaments noch eine Orientierung, auch wenn sie vom naturwissenschaftlichen Weltbild überdeckt und zurückgedrängt worden ist. Die mythischen Bilder von der Versuchung durch die Schlange sind aber in ihrer Anschaulichkeit so stark, dass sie auch unverstanden eine Gewalt auf die Seelen ausüben, leben sie doch auch in der christlichen Tradition fort! Vom „zweiten“, ahrimanischen Sündenfall besitzen wir keinen Mythos. Und gerade deshalb sind die modernen Menschen ihm umso mehr ausgeliefert, je mehr sie durch ihre intellektuelle Gescheitheit ihm ins Garn gelaufen sind. Das geht aus vielen religionsgeschichtlichen Werken der Gegenwart mit großer Deutlichkeit hervor. Wir nennen hier nur die katholische Schrift: „Traktat über den Teufel“ von Alois Winklhofer. Wie schon der Titel sagt, rechnet sein Verfasser nur mit dem einen Aspekt des Bösen, dem luziferischen Teufel, auch wenn er dafür gelegentlich den Namen Satan gebraucht. Es ist die luziferische Schlange des Sündenfalles, auf die alles bezogen wird. Und da durch die Opfertat des Christus der luziferische Sündenfall entsühnt und aufgehoben worden ist, so sind die Grundlagen der Kirche, der Felsen Petri, unangreifbar.

Die Geschichte ist als Heils- und Unheilsgeschichte immer Gericht, das über die Menschen geht. Wir halten uns dabei nicht an das einem sehr immanenten Weltverständnis entsprungene Wort Schillers, dass die Weltgeschichte das Weltgericht sei, sondern leiten unsere Wahrheit aus tieferen Gründen her: Was Menschen auch tun, fließt seit der Inkarnation des Ewigen Wortes aus der Gnade, die dafür gewährt wurde, oder aus der Zurückweisung der Gnade oder aus ihrer Versagung durch Gott; es ist in sich daher Lohn oder Strafe. Es ist Gericht, seit der Heilige Geist in ihr wirkt, ist Gericht insbesondere im Sinne der Scheidung. – Der Heilige Geist richtet jenen, der das Bild des Heiligen Geistes in sich verraten hat... Ist so die Geschichte wahrhaft Gericht, so ist sie wahrhaft auch Gericht über Satan, und all seine großen Triumphe, die er mit dem Tier aus dem Meer, dem Antichrist, und dem Tier vom Festland noch arrangierte, sind in ihrem eigentlichen Grunde nur 187

mehr die grandiosen Fanale seiner Niederlage. Die Zeit hat aufgehört, Satans zu sein. Das soll nicht vergessen werden gegenüber den Ballungen des Bösen, die wie Sturzfluten in immer rascherer Abfolge fortan über die Völker hinweggehen. Das ist die Art, in der das Lamm siegt. Es sind Triumphe wider allen Anschein. Alle Geschichte steht somit seit Christus unter dem Kraftfeld des Heiligen Geistes, nicht mehr Satans. Es ist wahr, er ist als „Fürst dieser Welt“ entmachtet; er gehorcht in allem einer fremden, heiligen Initiative. – Unsere Befestigungen sind sicher; unsere Lage ist unangreifbar; das Blut Christi, am Kreuze vergossen, hat alle Zugänge gesiegelt. Niemand kann uns zu verletzen wagen, wenn wir ihn nicht dazu ermächtigen. Alles Heilswirken der Kirche, des fortlebenden Herrn, ist auch im Hinblick auf Satan geordnet und angelegt, sodass es einer alles umfassenden und alles, auch Satan in Betracht ziehenden Heilsökonomie entspricht. [54] Weil in diesen Ausführungen das unangreifbare Fundament der Kirche so eklatant zum Ausdruck kommt, zitieren wir sie hier. Aus ihnen geht der grundsätzliche Irrtum hervor, der durch die mangelnde Unterscheidung des zweifachen Bösen entsteht, die in der Bibel durch die beiden Namen Diabolos und Satanas hervorgehoben werden. Durch das Zusammenwerfen dieser beiden verschiedenen Aspekte des Bösen, die man, wie Winklhofer, im Sinne des luziferischen Sündenfalles der Genesis auf den „Teufel“ bezieht, konnte die ahrimanische Macht sich umso besser tarnen und der zweite Sündenfall dem Bewusstsein verborgen bleiben. Und doch hat dieser im Anbruch des Zeitalters der Bewusstseinsseele das menschliche Bewusstsein und damit die menschliche Seele noch mehr in seine Netze gezogen als der erste luziferische Sündenfall! Worin liegt denn das Wesen der ahrimanischen Verführung? Es liegt im Wesen der intellektuellen Erkenntnis im gegenwärtigen Zeitalter der Bewusstseinsseele! Während die Verstandes- und Gemütsseele sich auf der Grundlage des ätherischen Leibes entwickelt, hat die Bewusstseinsseele den physischen Leib zu ihrer Erkenntnisgrundlage. Damit hängt es zusammen, dass wir heute nur durch das Gehirn, auf der Basis des physischen Leibes also, wahrnehmen und erkennen können. 206 Der Ätherleib bleibt dabei ausgeschaltet, der in der 4. Kulturperiode noch eine Herzenserkenntnis vermittelte. Das ist der Grund, weshalb die Glaubenswahrheiten nicht mehr mit der Bewusstseinsseele erfasst und mit den Erkenntniskräften durchdrungen werden können. Sie entziehen sich den rein intellektuellen Kopfkräften. Wir leben somit in all unserer intellektuellen Erkenntnis in

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Wer das richtige Gefühl erlangen will gegenüber dem Denken, der muss sich sagen: Wenn ich mir Gedanken machen kann über die Dinge, wenn ich durch Gedanken etwas ergründen kann über die Dinge, so müssen die Gedanken erst darinnen sein in den Dingen... Der Mensch muss sich vorstellen, dass es mit den Dingen draußen in der Welt so ist wie mit einer Uhr. Der Vergleich des menschlichen Organismus mit einer Uhr wird sehr häufig gebraucht; aber die Leute vergessen dabei meist das Wichtigste, dass auch ein Uhrmacher vorhanden ist. Man muss sich klar darüber sein, dass nicht von selber zusammengelaufen sind die Räder und sich zusammengefügt haben und machen, dass die Uhr geht, sondern dass es einmal einen Uhrmacher zuvor gegeben hat, der diese Uhr zusammengefügt hat. Den Uhrmacher darf man nicht vergessen. Durch Gedanken ist die Uhr zustande gekommen, die Gedanken sind gleichsam ausgeflossen in die Uhr, in das Ding. Auch alles, was Naturwerke, Naturgeschehnisse sind, muss man sich so vorstellen. Bei dem, was Menschenwerk ist, da lässt sich das schnell veranschaulichen, bei Naturwerken dagegen, da kann das der Mensch nicht so leicht bemerken, und doch sind auch sie geistige Wirksamkeiten, und dahinter stehen spirituelle Wesenheiten. Und wenn der Mensch denkt über die Dinge, so denkt er nur über das nach, was zuerst in sie hineingelegt worden ist. Der Glaube, dass die Welt durch Denken hervorgebracht worden ist und sich noch fortwährend so hervorbringt, der erst macht die eigentliche innere Denkpraxis fruchtbar. [GA 108, S. 259 f.]

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einem Bereich des Scheins, der nicht zu den Realitäten vordringt. Deshalb kann man mit dem Intellekt alles beweisen.

Das kommt davon her, dass das gegenwärtige menschliche Denken, der gegenwärtige Intellekt in einer solchen Schicht des Seins liegt, dass er bis zu den Realitäten nicht herunterreicht. Und daher kann man das eine beweisen und sein Gegenteil beweisen. Es ist heute möglich, auf der einen Seite streng den Spiritualismus zu beweisen und ebenso streng den Materialismus zu beweisen. Und man kann gegeneinander kämpfen mit denselben guten Standpunkten, weil der heutige Intellektualismus in einer oberen Schicht der Wirklichkeit ist und nicht in die Tiefen des Seins heruntergeht! [55, S. 172] Das typische Vorbild dieses nur noch die Oberfläche erreichenden intellektuellen Denkens ist der Computer, die „Denkmaschine“. Mit diesem Mechanismus, der das menschliche Denken ersetzt und besser und vor allem schneller komplizierte Rechnungen und Erwägungen ausrechnen kann, wurde der Krieg in Korea in den Jahren nach dem Kriege beendet, indem der Computer „berechnete“, dass für die USA keine Chance bei einer Fortsetzung des Krieges in Asien herauskommen würde. Alle menschlichen, persönlichen und moralischen Faktoren bleiben dabei unberücksichtigt. So ist die mechanische, mit ungeheurer Intelligenz funktionierende Denkmaschine das vom Menschen noch nicht erreichte Vorbild für ein völlig mechanisches, seelenloses Denken. Nun verläuft der größte Teil des modernen Seelenlebens in dem intellektuellen Bereich. Der Mensch wird mit dem bewussten Teil seines Wesens ein Automat, ein Mechanismus, der nur nach Gesetzmäßigkeiten arbeitet, denkt und sein gesamtes Seelenleben immer mehr ihnen unterwirft. Dadurch erleidet er eine unheilvolle Spaltung seines Seelenlebens, die immer mehr in sein gesamtes Menschenwesen eingreift. Denn der Intellekt ist seinem Wesen nach unter allen menschlichen Seelenkräften diejenige Fähigkeit, die am wenigsten menschliche Züge trägt. Der Intellekt ist dem Menschen fremd, jedenfalls so wie er heute arbeitet und nur die Oberfläche der Dinge erfasst. Gerade aber dadurch vermag jene Macht, die im Intellekt wirksam ist, den Menschen am leichtesten in ihr seelenloses Reich hinüberzuführen und dadurch dem eigenen Wesen zu entfremden! Die tiefste Ursache für die Entwicklung dieser seelenlosen Intellektualität aber ist zu suchen im „zweiten Sündenfall“, der sich im Anbruch des intellektuellen Bewusstseinsseelen-Zeitalters abspielte. Damals begann sich das Denken vom Menschen zu emanzipieren; die seelenlose Macht, die es erfasste, war von den Kräften Ahrimans durchsetzt. Denn Ahriman ist der Herr des Todes und gehört zu den größten Intelligenzen des Kosmos mit der Einschränkung, dass er als Widerpart und Gegenpol zu Michael, der die kosmische Sternenintelligenz verwaltet, die rein irdische Intelligenz beherrscht, die, von aller Moral entkleidet, von ihm allein nach seinen Zwecken verwendet wird. Und eben mit dieser ahrimanischen Intelligenz sucht er den Menschen an sich und seine Ziele zu binden. Das ist die Situation, in der sich der Mensch durch den zweiten Sündenfall befindet. Der erste Sündenfall durch die luziferische Versuchung hat ihm die Augen geöffnet für die Unterscheidung von gut und böse. Gott bestätigt dies selbst nach dem erfolgten Sündenfall. Siehe, Adam ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist! (1. Moses 3,22) Er ist als Erkennender wie Gott geworden. – Nur besteht die eigentliche Tragik, die seither über dem Menschengeschlecht waltet, darin, dass die Schuld dem Menschen die Augen öffnete für das Moralische. Die erste Erkenntnis, zu der er geistig erwachte wie aus einem 189

göttlichen Urzustand, war die eigene Schuld, durch die er aus der Einheit in die Sonderung und Sünde gefallen ist. Der ahrimanische Sündenfall löscht dagegen die moralische Erkenntnis aus. Denn für Ahriman gibt es keine Moral; moralisch ist ihm allein, was nützt und seinem Ziele dient. Rudolf Steiner beschreibt in seinem Lebensgang die Prüfungen, denen er vor der Jahrhundertwende in Berlin ausgesetzt war:

Was damals im Anschauen des Christentums in meiner Seele vorging, war eine starke Prüfung für mich. Die Zeit von meinem Abschiede von der Weimarer Arbeit bis zu der Ausarbeitung meines Buches „Das Christentum als mystische Tatsache“ ist von dieser Prüfung ausgefüllt. Solche Prüfungen sind die vom Schicksal (Karma) gegebenen Widerstände, die die geistige Entwicklung zu überwinden hat. Ich sah in dem Denken, das aus der Naturerkenntnis folgen kann – aber damals nicht folgte – die Grundlage, auf der die Menschen die Einsicht in die Geistwelt erlangen konnten. Ich betonte deshalb scharf die Erkenntnis der Naturgrundlage, die zur GeistErkenntnis führen muss. Für denjenigen, der nicht wie ich erlebend in der Geistwelt steht, bedeutet ein solches sich-Versenken in eine Denkrichtung eine bloße Gedankenbetätigung. Für den, der die Geist-Welt erlebt, bedeutet sie etwas wesentlich Anderes. Er wird in die Nähe von Wesen in der Geist-Welt gebracht, die eine solche Denkrichtung zur allein herrschenden machen wollen. Da ist Einseitigkeit in der Erkenntnis nicht bloß der Anlass zu abstrakter Verirrung; das ist geistlebendiger Verkehr mit Wesen, was in der Menschenwelt Irrtum ist. Von ahrimanischen Wesenheiten habe ich später gesprochen, wenn ich in diese Richtung weisen wollte. Für [diese Wesen] ist absolute Wahrheit, dass die Welt Maschine sein müsse. Sie leben in einer Welt, die an die sinnenfällige unmittelbar angrenzt. Mit meinen eigenen Ideen bin ich keinen Augenblick dieser Welt verfallen, auch nicht im Unbewussten. Denn ich wachte sorgfältig darüber, dass sich all mein Erkennen im besonnenen Bewusstsein vollzog. Umso bewusster war auch mein innerer Kampf gegen die dämonischen Mächte, die aus der Naturerkenntnis nicht GeistAnschauung, sondern mechanistisch-materialistische Denkart werden lassen wollten. Der nach geistiger Erkenntnis Suchende muss diese Welten erleben: Bei ihm genügt nicht ein bloßes theoretisches Denken darüber. Ich musste nur damals meine Geistanschauung in inneren Stürmen retten. Diese Stürme standen hinter meinem äußeren Erleben. [56, 26. Kapitel] In dieser Prüfung erlebte Rudolf Steiner den Eingriff und die Intentionen der ahrimanischen Macht in der Bewusstseinsseele: die Welt zu einer Maschine machen zu wollen!207 Und erst als er diese Prüfung des zweiten ahrimanischen Sündenfalles überwunden und durchschaut hatte, ward ihm das größte Erlebnis seines Lebens zuteil.

In der Zeit, in der ich die dem Wort-Inhalt nach Späterem so widersprechenden Aussprüche über das Christentum tat, war es auch, dass dessen wahrer Inhalt in mir begann, keimhaft vor meiner Seele als innere Erkenntniserscheinung sich zu entfalten. Um die Wende des Jahrhunderts wurde der Keim immer mehr entfaltet. Vor dieser Jahrhundertwende stand die geschilderte Prüfung der Seele. Auf das geistige 207

Dies beginnt damit, dass der einzelne Mensch anfängt zu denken, dass die Welt eine Maschine sei. Wenn ich in meinem Denken erst einmal davon überzeugt bin, dass alles „automatisch“ (das heißt streng gesetzmäßig vorhersehbar) ablaufe, dann werde ich mein Leben und ggf. auch mein Forschen und Philosophieren auf dieser Grundlage einrichten. – Um die Welt zu einer Maschine zu machen, ist der erste Schritt, den Nihilismus zu verbreiten.

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Gestandenhaben vor dem Mysterium von Golgatha in innerster Erkenntnis-Feier kam es bei meiner Seelenentwicklung an. [56] Dieses Erlebnis ist so einschneidend für Rudolf Steiner wie für jeden Menschen, der an dieser Schwelle angelangt ist, weil wir heute, seit der Jahrhundertwende, die Schwelle zum Michaelischen Zeitalter überschritten haben. Und damit ist die Menschheit in das Zeitalter des Geistes eingetreten. Erst auf diesem Hintergrund, wie wir ihn in der symbolischen Figur der Lemniskate dargestellt haben, wird uns die Bedeutung der Ereignisse der Apokalypse vom 9. Kapitel an ganz ersichtlich. Dies geht aus den Worten der Leitsätze Rudolf Steiners für die gesamte Menschheitszukunft hervor

In diese gottleer gewordene Welt wird der Mensch hineintragen, was in ihm ist, das, zu dem seine Wesenheit in diesem Zeitalter geworden ist. Menschheit wird sich hineinentfalten in eine Welt-Entwicklung. Das GöttlichGeistige, dem der Mensch entstammt, kann als kosmisch sich ausbreitende Menschenwesenheit durchleuchten den Kosmos, der nur noch in dem Abbild des Göttlich-Geistigen vorhanden ist. Nicht mehr dieselbe Wesenheit, die einst als Kosmos war, wird da durch die Menschheit aufleuchten. Das Göttlich-Geistige wird im Durchgang durch das Menschentum ein Wesen erleben, das es vorher nicht offenbart. [38, aus dem Abschnitt „Menschheitszukunft und Michael-Tätigkeit“] Dies ist die entscheidende Situation, die sich heute beim Übergang von der „Sohnessphäre“ zur Sphäre des Geistes ergibt. Die Menschheit lebt heute in der sogenannten Werkwelt, sie ist auf den Stufen ihres Inkarnationsweges bis in die Ahriman-Sphäre hinabgestiegen. Durch seine an den physischen Leib gebundenen Gedanken erlebt der Mensch nicht mehr die Lebendigkeit der ätherischen Welt, sondern nur die toten Gedankenschatten. Die Welt zeigt in dieser Sphäre ihm nur noch die Erinnerung an das göttliche Schaffen in ihren Formen, nicht mehr das lebenerfüllte Götterschaffen selbst. Dieser tiefste Punkt musste erreicht werden, um in dieser gottentblößten Welt den Menschen zu seiner Freiheit zu führen. In eben dem Maße, als in seinem Denken das lebenerfüllte Wesen des Göttlichen zurücktritt, lebt der Eigenwille in ihm auf. Er ist damit ganz auf sich selbst gestellt. Aus dieser Sphäre der völligen Emanzipation von der geistigen Welt kann er nur in Freiheit wie der den Anschluss zur geistigen Welt finden, wenn er die toten Gedankenschatten belebt und sich so zur ätherischen Lebenssphäre erhebt.

Michaels Sendung ist, in der Menschen Ätherleiber diejenigen Kräfte zu bringen, durch die die Gedankenschatten wieder Leben gewinnen; dann werden sich den belebten Gedanken Seelen und Geister der übersinnlichen Welten neigen, es wird der befreite Mensch mit ihnen leben können, wie ehedem der Mensch mit ihnen lebte, der nur das physische Abbild ihres Wirkens war. [38, Ende des Abschnitts „Der vor-michaelische und der Michaelsweg“] So ergibt sich als der Weg der Menschheitszukunft, um im michaelischen Zeitalter aus der Ahriman-Sphäre wieder emporzusteigen:

Michael geht die Wege wieder aufwärts, welche die Menschheit abwärts auf den Stufen der Geistentwicklung bis zur Intelligenzbetätigung gegangen ist. Nur wird 191

Michael den Willen aufwärts die Bahnen führen, welche die Weisheit bis zu ihrer letzten Stufe, der Intelligenz, abwärts gegangen ist. [38, Nr. 106] Wir stehen heute an diesem entscheidungsvollen Kreuzungspunkt, seitdem das Michaelzeitalter begonnen hat, das die dritte Stufe der Menschheitsentwicklung einleitet, die Ära des Geistes. In dieser sollen sich erfüllen die Impulse und Früchte der Menschheitsevolution auf Erden: Alles was der Mensch sich erarbeitet, errungen, geschaffen hat, soll jetzt aufgehen als „Blüte“, und den Inhalt bilden des Kosmos der Freiheit, welcher der Mensch der göttlichen Schöpfung einverleibt. Denn die Schöpfung des Vaters kann ohne den Menschen nicht an das Ziel gelangen. Es ist im Weltenplan mit ihr gerechnet worden. – An diesem entscheidungsvollen Punkte, wo alles auf dem Spiel steht, da alles davon abhängt, wie weit der Mensch seine Aufgabe erkennt und erfüllt, um der Götter Werk fortzusetzen, greifen die Widersachermächte ein:

Dass die Entwicklung diesen Fortgang nehme, dagegen wenden sich die ahrimanischen Mächte. Sie wollen nicht, dass die ursprünglichen göttlich-geistigen Mächte das Weltall in seinem weiteren Fortgang erleuchten; sie wollen, dass die von ihnen aufgesogene kosmische Intellektualität den ganzen neuen Kosmos durchstrahle und dass der Mensch in diesem intellektualisierten und ahrimanisierten Kosmos weiterlebe. [38, aus dem Abschnitt „Menschheitszukunft und Michael-Tätigkeit“] Das ist die Absicht Ahrimans: aus dem Kosmos eine rein mechanistische ahrimanische Welt zu gestalten, die gleich einer Maschine nach rein physikalisch-technischen Gesetzen funktioniert. Diese Welt des Geistes (die obere Schleife in unserer Figur) abzutrennen von der göttlichen Welt ihres Ursprungs, der göttlichen Vater- und Sohneswelt! Gottes Thron neu zu besetzen, nach menschengemachten intellektuellen Gesetzen diese Welt einzurichten gleich einer riesenhaften Maschine – ja, den Menschen selbst künstlich zu erschaffen nach eigenen Gesetzen als einen Homunkulus, das ist das letzte Ziel Ahrimans; dadurch will er die Welt von ihrem göttlichen Ursprung losreißen und sie mit seinem „Geist“ erfüllen. Daher können wir ihn als den eigentlichen Widersacher erblicken, der die Welt dem Vater und Sohne entfremden und an ihre Stelle die eigene Welt setzen will!

Bei einem solchen Leben würde der Mensch den Christus verlieren. Denn [Christus] ist mit einer Intellektualität in die Welt hereingetreten, die ganz so ist, wie sie einst in dem Göttlich-Geistigen gelebt hat, [als dieses] noch in seiner Wesenheit den Kosmos bildete. Sprechen wir heute so, dass unsere Gedanken auch die des Christus sein können, so setzen wir den ahrimanischen Mächten etwas entgegen, das uns behütet, ihnen zu verfallen. [38, aus dem Abschnitt „Menschheitszukunft und Michael-Tätigkeit“] Darin liegt ja das Wesen des zweiten Sündenfalles, wenn wir ihn vom Kosmischen aus betrachten: Es ist die pervertierte Korruption der kosmischen Intelligenz. Es geschah um der menschlichen Freiheit willen, dass Michael, der Hüter und Ordner der kosmischen Intelligenz, durch welche die Sterne in ihren Bahnen laufen und das kosmische Gleichgewicht bewahren, die lichterfüllte Weisheit seiner Gottesintelligenz dem Menschengeschlecht im Anbruch zur neueren Zeit zu eigenem Gebrauch übergab, sodass sie ihm entfiel und fortan auf Erden bei den Menschen herrschte. Damit wird der Weg geöffnet zur menschlichen Freiheit. Der Mensch erlebt sich in der Sphäre der Bewusstseinsseele vom 15. Jahrhundert an als Eigendenker, souverän und unabhängig von einer göttlichen Gedankeninspiration, an die er sich früher gewendet hat. Aber obwohl 192

Michael die kosmische Götterintelligenz der Menschheit übergeben hat, ist es sein Bestreben, die Verbindung zur kosmischen Intelligenz, die jetzt zu den Menschen gekommen ist, in Einklang mit sich zu halten.

Michael möchte, was sich da innerhalb der Menschheit als Intelligenz entwickelt, fortdauernd im Zusammenhange mit den göttlich-geistigen Wesen erhalten. – Dem aber steht ein Widerstand entgegen. Was die Götter als Entwicklung durchmachen in der Linie von der Ablösung der Intellektualität von ihrem kosmischen Tun bis zur Eingliederung in die menschliche Natur hin, das steht offen als Tatsache in der Welt drinnen. Sind Wesen vorhanden, die ein Wahrnehmungsvermögen haben, durch das sie diese Tatsachen schauen können, so können sie sich diese zu Nutzen machen. – Und solche Wesenheiten sind vorhanden. Es sind die ahrimanischen Wesen. Sie sind ganz dazu veranlagt, alles, was sich als Intelligenz von den Göttern löst, in sich aufzusaugen. Sie sind dazu veranlagt, die Summe aller Intellektualität mit ihrem eigenen Wesen zu vereinigen. Sie werden damit die größten, die umfassendsten und eindringlichsten Intelligenzen des Kosmos. Michael sieht voraus, wie der Mensch, indem er immer mehr zum Eigengebrauch der Intelligenz vorrückt, sich mit den ahrimanischen Wesen begegnen muss und wie er dann ihnen verfallen kann, indem er eine Verbindung mit ihnen eingeht. – Deshalb bringt Michael die ahrimanischen Mächte unter seine Füße, er stößt sie fortwährend in ein tieferes Gebiet als das ist, in dem der Mensch sich entfaltet. Michael, den Drachen zu seinen Füßen, ihn in den Abgrund stoßend, das ist das im Menschenbewusstsein lebendig, gewaltige Bild der hier geschilderten übersinnlichen Tatsachen. [38, auf dem Brief vom 19.10.1924] Wir erlangen hier einen Einblick in ein Welten-Mysterium. Es ist das Mysterium des Bösen. Wenn man es in einem menschlichen Bild ausdrücken wollte, so könnte man den folgenden Vergleich wählen: Es ist der Raub der „Bundeslade“, in der die heiligen Tempelgefäße mit ihren Substanzen verborgen sind. Diese heiligen Tempelschätze werden nicht nur geraubt, sondern entweiht und entheiligt, indem sie korrumpiert, verfälscht und in ihr Gegenbild umgewandelt werden. Dies geschieht durch die ahrimanischen Mächte. Sie eignen sich die kosmischen Göttergedanken an und entkleiden sie ihrer göttlichen Substanz, indem sie sie in ihr Wesen aufsaugen und zu ihren Zwecken verwenden. Dadurch reißen sie die kosmische Intelligenz von ihrem göttlichen Ursprung nicht nur los, sondern verkehren sie auch in ihr Gegenteil Die Logik ist immer dieselbe, die alle Gedanken beherrscht, ob sie aber für Ahrimans Zwecke verwendet wird oder für die Götterziele Michaels, das verwandelt sie grundlegend. Und damit haben wir ausgesprochen, worin das Verhängnis dieses zweiten Sündenfalles für den Menschen liegt. Wir können es mit einem Worte aussprechen: Die Kopfintelligenz des modernen Menschen ist verseucht durch Ahrimans Schatten; sie ist durchdrungen von ahrimanischen Wesenskräften, sodass sie nicht mehr von ihrem geistig-göttlichen Ursprung zeugt, sondern von dem lieblos-kalten ahrimanischen Geist, der sie in ihr Gegenteil verkehrt und den Menschen in den kosmischen Irrtum verführt! Das geht aus jedem wissenschaftlichen Buch heute hervor: Je geschliffener die Intelligenz ist, umso mehr führt sie in den Abgrund der kosmischen Verirrung! Dies ist der esoterische Vorgang, aus dem das Wesen des Mysteriums des Bösen als der eigentlichen Widersachermacht Gottes hervorgeht. Der Widersacher arbeitet mit göttlichen Mitteln, die er in ihr Gegenteil verkehrt, um Gott seine Welt streitig zu machen und den Menschen seinem immanenten 193

göttlichen Ursprung zu entfremden. Und das Mittel dazu ist heute, in der Weltepoche des Geistes, der Intellekt, der entgöttlichte Verstand.

Indem der Mensch seine Freiheit entfaltend in Ahrimans Verlockungen fällt, wird er in die Intellektualität hineingezogen wie in einen geistigen Automatismus, in dem er ein Glied ist, nicht mehr er selbst. All sein Denken wird Erlebnis des Kopfes; allein dieser sondert es vom Eigen-Herzerleben und eigenem Willensleben ab und löscht das Eigensein aus. Der Mensch verliert immer mehr von seinem innerlich wesenhaftmenschlichen Ausdruck, indem er Ausdruck seines Eigenseins wird; er verliert sich, indem er sich sucht; er entzieht sich der Welt, der er die Liebe verweigert; aber der Mensch er lebt sich nur wahrhaft, wenn er die Welt liebt. [38, Brief vom 16.1.1924] Zwei bildhafte Imaginationen, die in dem Michael-Mysterium der Leitsätze von Rudolf Steiner gezeichnet sind, können uns die Weltensphäre der kosmischen Weltgedanken Michaels und der korrumpierten Intelligenz Ahrimans in anschaulicher Art geben:

Eine der Imaginationen von Michael ist diese: Er waltet durch den Zeitenlauf, das Licht aus dem Kosmos wesenhaft als sein Wesen tragend, die Wärme aus Kosmos als Offenbarer seines eigenen Wesens gestaltend, er waltet als Wesen wie eine Welt, sich selbst nur bejahend, indem er die Welt bejaht, wie aus allen Weltenstätten Kräfte zur Erde niederführend. Dagegen eine solche von Ahriman: Er möchte auf seinem Gange aus der Zeit den Raum erobern, er hat Finsternis um sich, in die er die Strahlen des eigenen Lichtes sendet; er hat umso stärkeren Frost um sich, je mehr er von seinen Absichten erreicht; er bewegt sich als Welt, die sich ganz ein Wesen, [nämlich] das eigene, zusammenzieht, in dem er sich selber nur bejaht durch Verneinung der Welt; er bewegt sich, wie wenn er die unheimlichen Kräfte finsterer Höhlen der Erde mit sich führte. – Wenn der Mensch die Freiheit sucht, ohne Anwandlung zum Egoismus, wenn ihm Freiheit wird reine Liebe zur ausführenden Handlung, dann hat er die Möglichkeit, sich Michael zu nahen; wenn er in Freiheit wirken will bei Entfaltung des Egoismus, wenn ihm Freiheit wird das stolze Gefühl, sich selber in der Handlung zu offenbaren, dann steht er vor der Gefahr, in Ahrimans Gebiet zu gelangen. – Die oben geschilderten Imaginationen leuchten auf aus des Menschen Liebe zur Handlung (Michael) oder seiner Eigenliebe zu sich selbst, indem er handelt (Ahriman). [38, Brief vom 16.11.1924] Wenden wir uns nun wieder zur Apokalypse. Wir mussten diese geisteswissenschaftlichen Hintergründe zunächst etwas ausführlicher schildern, um das jetzt im 13. Kapitel einsetzende Drama in seiner Bedeutung für die Menschheitskrise der Gegenwart und Zukunft richtig würdigen zu können. Es bildet die Fortsetzung der Einweihung des 10. Kapitels, durch dessen Pforte wir in die große Entscheidung der anbrechenden Menschheits-Epoche des Geistes eingetreten sind. Zunächst kann uns dieses Kapitel eine Antwort geben auf die oben durch Alois Winklhofer behandelte Frage, inwiefern wir heute, in der Ära des Heiligen Geistes, der in der Geschichte waltet, „unangreifbar“ sind in den Grundmauern und Befestigungen der christlichen Gemeinschaften, die auf dem Felsen Petri aufgebaut sind.

Unsere Befestigungen sind sicher; unser Lager unangreifbar; das Blut Christi, am Kreuze vergossen, hat alle Zugänge gesiegelt. Niemand kann uns zu verletzen wagen, wenn wir ihn nicht dazu ermächtigen. Alles Heilswirken der der Kirche, des 194

fortlebenden Herrn, ist auch im Hinblick auf Satan geordnet und angelegt, sodass es einer alles umfassenden und alles, auch Satan in Betracht ziehenden Heilsökonomie entspricht. – Um u verstehen, wer Satan ist ..., ist an den Anfang aller Überlegungen die Tatsache zu stellen, dass er Gottes Geschöpf und ein abgefallener Engel ist. Als Gottes Geschöpf ist er ... von Gott abhängig. Gott der Herr muss ihn in allen seinen Lebensäußerungen und Handlungen als Erstursache tragen und bewegen, und in dem Augenblick bewahrt auch ihn Gott, wie jedes Geschöpf, davor, in das Nichts zurückzusinken, aus dem er ihn gerufen hat. Er hängt am goldenen Seile Gottes, um nicht in das Nichts abzustürzen... Auch Satan und seine Gefolgschaft müssen von Gott bewegt werden, um nur eins ihrer finsteren Werke auch nur in einem denkbar geringsten Ausmaß vorwärts zu bewegen. Daran hat sich seit dem Beginn seines Seins nichts geändert. Er riss sich auch in seinem Abfall und Aufruhr gegen Gott nicht aus dieser seiner ontologischen Seinsgebundenheit an Gott los, es steht ihm gar nicht zu, sich davon loszulösen, so sehr er sich davon auch loszusagen bemüht... Das Böse, das er tut, ist ein Nicht-Seiendes und Nicht-Seinsollendes wie alles Böse; er kann nichts schaffen und hat auch nicht die Mächtigkeit, neues Sein, das in sich böse ist, zu setzen. Insofern er böse ist und böse handelt, setzt er immer nur Handlungen, die in sich den Mangel des Seins tragen; es sind immer Mangelhandlungen, weil ihnen, insofern sie von ihm kommen, das Sein fehlt. Insofern diese aber sich und ein Sein haben, gründen sie in Gott, der Erstursache. Schon darin zeigt sich die Nichtigkeit all seines Handelns, insofern es das Seine ist. [54] In dieser Auffassung unterscheidet sich die Auffassung der katholischen Kirche prinzipiell von älteren christlichen Auffassungen wie dem Manichäismus, der dem Bösen eine geistige und somit ontologische Seins-Wirklichkeit zuerkennt. Dagegen wendet sich Winklhofer mit den Worten:

Man beobachtet immer wieder auch in der modernen theologischen Literatur eine gewisse Herauslösung des Dämonischen aus der Heilsökonomie, als bestünde es seit je und eh in einer geradezu manichäisch-dualistischen Weise als souveräne Wirklichkeit, die einfach der Heilsökonomie „gegenüber“ stehe. Im Raum des christlichen Denkens ist kein Platz für einen mazdanisch-manichäischen Dualismus208, nach dem Satan und seine Engel nicht von Gott erschaffen, sondern ihm gegenüberstehende selbständige Wesen wären. Gott und Satan stehen sich nicht wie selbständige Prinzipien gegenüber. – Der Teufel und die übrigen Dämonen sind durch Gott von Natur aus gut erschaffen, aber sie sind durch sich selbst böse geworden. [54] Dies konnte nur von Luzifers Fall gesagt werden, der auf der der Erdenentwicklung weit vorausgehenden „Alten Sonne“ ein Bruder Christi war; nicht aber von Ahriman, den die Bibel als Satan bezeichnet. Dieser wurde aus einem anderen Kosmos von der geistigen Menschheitsführung und ihren Ursprungsgöttern in die Erdenentwicklung hereingenommen, um der Menschheit die Todeskräfte und damit den Intellekt einzupflanzen, den sie zur Erringung ihrer Freiheit nötig hatte.

[Ahriman] ist ein Wissender, ein Weiser des Todes. Er ist daher der Herr des Intellektes. [57, S. 111] 208

In den Manichäismus ist vieles aus anderen Religionen Bekanntes enthalten, so auch das aus dem Alten Persertum bekannte Gegenüberstehen von Licht (Ahura Mazdao) und Dunkelheit (Ahriman).

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Er hat seine Kräfte erst nach dem Mysterium von Golgatha zu ihrer souveränen Stärke entfaltet; nachdem die Menschheit zu ihrer eigenen Intelligenz gekommen ist. Und daher können auch die führenden Götter ihn nicht entbehren. Wir blicken hier in das Mysterium des Bösen von der Warte der Götter hinein, die ihren Widersacher – um der Freiheit des Menschen willen – selbst berufen mussten, so wie der Christus dem Judas Iskariot beim Abendmahl selbst den Auftrag gibt, ihn zu verraten. Was du tun willst, das tue bald! (Joh. 13,27) – Von dieser Warte beantwortet sich uns die Frage, inwiefern das ahrimanische Prinzip auch nach dem Mysterium von Golgatha, ja bis zur Jupiterentwicklung, zugelassen und ihm volle Freiheit eingeräumt ist. Wir werden sehen, dass es sich bei dem ahrimanischen Prinzip nicht nur um eine Macht handelt, die am goldenen Seile Gottes hängt, sondern eine souveräne, auf ihrer eigenen ontologischen Grundlage beruhende Gegenmacht ist. Dies kann uns aus den Bildern des 13. Kapitels klar werden. Der Seher befindet sich am „Uferstrand des Meeres“. Zwei Tiere sieht er aus dem Abgrund aufsteigen. Das eine Tier aus dem Meere, das andere aus dem festen Boden des Landes. – Wir müssen uns darin üben, die imaginative Schrift dieser Bilder in ihrer Wandlung zu lesen und richtig zu verfolgen. Dazu genügt weder eine dogmatische Auffassung, die alles in die Schubfächer ihrer theologischen Begriffe einzuordnen sich bemüht, noch das naturwissenschaftliche Denken, das alles nach Ursache und Wirkung registriert. Hierzu ist das Einleben in die erste Stufe des übersinnlichen Wahrnehmens unerlässlich. Dies ist die Stufe der Imagination, die sich einstellt, sobald der Mensch auf dem Schulungswege so weit vorangeschritten ist, dass er leibfrei die zunächst in symbolischen Bildern erscheinenden „Zeichen“ und Figuren wahrnehmen kann, die sich aus den Seelenfluten der ätherischen und astralischen Welt gebären. Allerdings ist der Seher hier im 13. Kapitel bereits zur Stufe der Inspiration gelangt, durch welche sich ihm die geistigen Hintergründe der imaginativen Bilderschrift erschließen. Er schreitet auf diesem Wege fort zur Intuition, die mit dem 14. Kapitel sich ihm eröffnet. Will man die imaginative Bilderschrift in ihrer inneren Folge überschauen, um sie zu lesen, so muss man den künstlerischen Sinn üben, um die Bilder in ihrer Dynamik und gesetzmäßigen Metamorphose zu erfassen. Man kann dabei ganz naiv, das heißt unvoreingenommen und vorurteilslos vorgehen. Spekulatives Denken und Grübeln hindert nur, das Wesen dieser Bilder in ihrer wechselnden Folge zu erfassen. Weiter kommen wir, wenn wir einzelne Bilder zunächst in aller Ruhe auf uns wirken lassen und mit ihnen zu leben versuchen. Dann offenbaren sie uns oft ihre geistigen Hintergründe! Diese Bilder, wie sie der Seher im 13. Kapitel beschreibt, kommen nicht aus dem Nichts. Die Quelle dieser Geistesschau liegt in dem Durchschreiten der Pforte der Einweihung des 10. Kapitels. Daraus entfalten sich alle weiteren Ereignisse: die Grundsteinlegung des himmlischen Jerusalems, das Dankopfer der 24 Ältesten und dann die kosmische Schau der neuen Inspirationsquelle der göttlichen Sophia. Wir haben ihr Schicksal verfolgt, wie sie, nach der Geburt ihres Knäbleins, durch die Drachenmächte in die Wüste versetzt wurde und dort von dem Drachen verfolgt wird. Damit endet das 12. Kapitel. Und der Drache entbrannte vor Zorn gegen das Weib. Er stürmte dahin, um den Krieg zu entfesseln gegen den übrigen Samen des Weibes. Das sind diejenigen, die sich an die

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göttlichen Weltenziele halten und dem Zeugenschicksal Jesu folgen. – Als ich das sah, stand ich am Ufer des Meeres. (Off. 12,7 bis 13,1)209 Und jetzt geht vor seiner Schau das Tier aus dem Meer und aus dem Lande hervor. Der „Drache“, nachdem er aus dem Himmel auf die Erde gestürzt worden ist durch Michael und seine Heerscharen, erscheint jetzt in einem zweifachen Aspekt. Und ich sah ein Tier aus dem Meere emporsteigen. Es hatte zehn Hörner und sieben Häupter und trug auf seinen Hörnern zehn Kronen, und auf seinen Häuptern standen Namen der Feindschaft gegen den Geist. Das Tier, das ich sah, glich einem Panther, aber es hatte Füße wie ein Bär, und sein Maul war wie das eines Löwen. Und der Drache übertrug ihm seine Macht und seinen Thron und große Gewalt. Eines seiner Häupter sah aus, als ob es tödlich verwundet war, aber seine Todeswunde wurde geheilt. Und die ganze Welt folgte voll Bewunderung dem Tiere. Alle beteten den Drachen an, weil er dem Tier die Gewalt übertragen hatte. Und sie beteten auch das Tier an, indem sie sprachen: „Wer ist dem Tiere gleich, und wer vermag mit ihm zu kämpfen?“ Ihm ward ein Maul gegeben, das hochtrabende Worte und Lästerungen ausstieß, und es ward ihm Macht gegeben, es 42 Monate so zu treiben. Es tat das Maul auf zu Lästerungen gegen Gott, zu lästern seinen Namen und sein Zelt und gegen alle, die im Himmel ihr Wohnzelt haben. Auch ward ihm gestattet, Krieg zu führen gegen die geistergebenen Menschen und sie zu besiegen, und es war ihm Macht gegeben über alle Stämme und Rassen und Sprachen und Völker. Alle Erdbewohner werden es anbeten, nämlich jene, deren Namen seit Anbeginn nicht im Lebensbuch des geopferten Lammes geschrieben stehen. (Off. 13) Darauf erscheint dem Seher ein zweites Tier: Und ich sah ein zweites Tier aus dem Land aufsteigen; es hatte zwei Hörner gleich dem Lamme und redete wie ein Drache. Es übt die Macht des ersten Tieres aus vor dem Angesicht desselben und bringt die Erde und ihre Bewohner dazu, das erste Tier, dessen Todeswunde geheilt wurde, anzubeten. Es wirkt große Zeichen, sodass es sogar Feuer vom Himmel herabfallen lässt vor den Augen der Menschen. Es verführt die Bewohner der Erde durch Zeichen, die es zu vollbringen vermag vor dem Angesicht des ersten Tieres. Es fordert die Bewohner der Erde auf, ein Bild anzufertigen für das Tier, das die Schwertwunde trägt und wieder zum Leben kam. Auch wurde Tieren Macht gegeben, dem Bild des Tieres Leben zu geben, sodass es sprechen konnte. Es sorgt auch dafür, dass alle getötet wurden, die das Bild nicht anbeten wollten. Es bewirkt, dass alle, die Kleinen und Großen, die Reichen und die Armen, die Freien und die Sklaven sich ein Malzeichen auf ihrer Hand oder auf ihrer Stirn anbringen und dass niemand kaufen oder verkaufen kann, wenn er nicht das Malzeichen trägt, den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens. Hier braucht es Weisheit. Wer Verstand hat, der berechne die Zahl des Tieres. Sie ist die Zahl des Menschen. Seine Zahl ist 666. (Off. 13) Nehmen wir diese Schau zunächst als Bild hin, wie es uns geschildert wird, so taucht vor uns unwillkürlich auf das Bild aus dem Alten Testament von Leviathan und Behemoth, die in den apokryphen Schriften des Alten Testamentes genannt werden: An jenem Tage werden zwei Ungeheuer aufgeteilt, ein weibliches namens Leviathan, um in des Meeres Tiefe über den Wasserquellen zu hausen. Das männliche aber heißt Behemoth. Es nimmt mit seiner Brust eine ungeheure Wüste ein. Ich bat jenen Engel, 209

Luther übersetzt: Und der Drache ward zornig über das Weib und ging hin zu streiten mit den Übrigen von ihrem Samen, die da Gottes Gebot halten und haben das Zeugnis Jesu Christi. Und ich trat an den Sand des Meers [...] und sah ein Tier aus dem Meer steigen...

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mir die Macht jener Ungeheuer zu zeigen, wie sie an einem Tage geschieden und das eine in die Meerestiefe, das andere auf das trockene Land der Wüste geworfen wurden. (Henoch 59,7 ff.) Im Hiob-Buch erscheinen ebenfalls diese beiden Tiere vor Hiob Seele: Siehe, da ist Behemoth... Seine Knochen sind wie eiserne Röhren... Und siehe den Leviathan... Der Hauch, der von ihm ausgeht, glänzt wie ein Licht, und seine Augen sind wie die Wimpern der Morgenröte. Aus seinem Munde flammen Fackeln und feurige Funken sprühen hervor. Wie lichte Lohe ist sein Odem. (Hiob 40,15 ff.) Und hier steht das rätselvolle Wort: Er ist der Anfang der Wege Gottes. (Hiob 40,19) Emil Bock hat dieses Wort als Schwellenerlebnis gedeutet:

Was kann der Sinn des Wortes sein, das von Behemoth, dem ersten der bei den Ungeheuer, sagt: Er ist der Anfang der Wege Gottes ? Henoch ist noch mit diesem Geheimnis vertraut. Da, wo seine Schilderungen apokalyptisch auf das Kommen des Messias deuten, zeigt er uns gleich dem Apokalyptiker des Neuen Testaments die beiden Tiere, die aus dem Abgrund emporsteigen und überwunden werden müssen... Das Weltgeheimnis, das vor Henoch offen daliegt und sich nun auch dem Hiob durch die Gottesfrage offenbart, ist das der Schwelle. Zwei Ungeheuer wollen den Menschen hier zurückschrecken und zur Abirrung verleiten. Auf der einen Seite das Ungetüm der ahrimanischen Verhärtung. Gleich einer alles zermalmenden Maschine mit „eisernen Stäben“ reckt sich die Gestalt des Behemoth empor. Auf der anderen Seite lodert die Flamme luziferischer Verflüchtigung und Überhebung. Sein Herz ist so hart wie Stein, und dennoch sprüht der Leviathan heiße Lohe hervor.

Das Doppelantlitz des Bösen, das der Grieche als Szylla und Charybdis und der germanische Mythos als Fenriswolf und Midgardschlange kannte, zwingt den Menschen zum Zweifrontenkampf, wenn er sich der Schwelle des Geistgebietes naht. Weil sie die Schwelle bezeichnen, sind Behemoth und Leviathan wirklich der Anfang der Wege Gottes. Jenseits ihrer Wirrsalssphäre ist der Weg frei zu der verlorenen Sphäre der Uroffenbarung. Hiob schaut die Ungeheuer, die ihm das göttliche Wort weist, und siehe, er vermag ihren Anblick zu ertragen. Die grausigen Hüter der Schwelle können ihm den Weg nicht versperren. Was anderes als das schwere Leid gab ihm die Kraft, die Schwelle zu überschreiten? Hiob steht nicht als der Gedemütigte, als der reumütige Sünder da am Schluss des Dramas, wie die übliche Auffassung meint. Er, der „Prüfling“, hat die Prüfung des Leidens kraft des Leidens bestanden. Er darf selber aussprechen, dass er das Ziel erreicht hat und dass ihm das Auge für die Welt des Geistes aufgetan ist. Ich hatte von dir bisher nur mit den Ohren gehört, geschaut. (Hiob 42,5) [58, Kapitel „Noah-Hiob“]

aber

jetzt

hat

mein

Auge

dich

Das Gottschauen ist die Frucht der Leidensprüfung. Dieses Bild bildet in der Tat das Schwellenzeichen. Im roten Glasfenster des Goetheanums ist es über dem Eingang im Westen unter dem Motiv „Ich schaue“ abgebildet. Es bildet den Anfang des Erkenntnisweges, das Schwellenmotiv: In der Mitte das Antlitz des Menschen mit dem geöffneten Geistesauge, der Chakras auf der Stirn und am Kehlkopf, zur Linken die Tiere des Abgrundes, die sich aus der Tiefe erheben, zur Rechten Engelwesen, die ihm helfen, die Tiere zu überwinden und „den Abgrund zu übersetzen“ 210. 210

Ausdruck aus einem Mantram von Steiner.

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Erfasst man dieses apokalyptische Bild der aus dem Abgrund emporsteigenden Tiere in seiner majestätischen Größe als Schwellenerlebnis, dann kann man es erst in seiner menschheitlichen Bedeutung verstehen. Es bildet auch hier „den Anfang der Wege Gottes“. Erst nach seiner Überwindung wird der weitere Weg frei in die geistige Welt und in die Zukunft der Menschheitsentwicklung. Wie aber können wir die reich verschlungene Bilderschrift der beiden Tiere richtig entziffern? Denn sie birgt viele Geheimnisse, worauf der Apokalyptiker durch den Hinweis auf das okkulte Zahlengeheimnis selber aufmerksam macht. Hier ist Weisheit! Wer Verstand hat, der überlege die Zahl des Tieres, denn es ist eines Menschen Zahl, und seine Zahl ist 666. (Off. 13,18) Zunächst ist es der auf die Erde gestürzte Drache, der jetzt in Doppelgestalt aus dem Meer und aus dem Land hervortritt. Und zwar in sehr verschiedener Gestalt. Das Tier aus dem Meer hat 7 Köpfe und 10 Hörner. Das Tier auf dem Lande hat nur zwei unscheinbare Hörner, sodass es einem Lamme gleicht – also als der Widerpart von dem göttlichen Opferlamm erscheint. Beide Tiere stehen in einem engen Kontakt. Von dem wie im Hintergrunde bleibenden Tier-Lamm empfängt das Tier mit den 7 Köpfen seine Macht, um die Menschen zu verführen mit seinen gleisnerischen Künsten, sodass es die Menschen dazu bringt, von ihm ein Bildnis zu errichten und es anzubeten. Der Drache (der hier als Lamm erscheint) übertrug ihm seine Macht und seinen Thron und große Gewalt. Einen von den Köpfen sah ich zu Tode verwundet, aber seine Todeswunde wurde wieder geheilt, und die ganze Welt folgte bewundernd dem Tiere. (Off. ) Wie können wir in diesem Bild des Tieres mit den 7 Häuptern und 10 Hörnern Luzifer, den stolzen Fürsten des Lichtes, wieder erkennen? Und was hat es für eine Bewandtnis mit dem „Drachen“, der unschuldig wie ein Lamm mit seinen zwei unscheinbaren Hörnern aussieht, von dem aber das Tier alle Kraft empfängt? Das Rätsel der beiden Tiere und ihres Zusammenspiels vor den Augen der Welt löst sich erst, wenn wir das Geheimnis der Zahl des Tieres, die zugleich die Zahl eines Menschen ist, lüften: Es ist die Zahl 666.

13. Die drei Abstürze Die Komposition der Apokalypse entfaltet sich, wie wir sahen, in ihrer Dramatik besonders nach dem 10. Kapitel, das die Pforte der Einweihung bildet und damit die große Entscheidung einleitet: Wer wird durch dieses Nadelöhr hindurchschreiten oder wer wird es durch Unwissenheit, Unkenntnis, Hochmut oder Verblendung verschmähen? Dabei handelt es sich nicht um eine planmäßige, von einem Lehrer geleitete Einweihung, wie dies in früheren Zeiten, wie zum Beispiel in den antiken Mysterien der vorchristlichen Zeit der Fall war. Nachdem das michaelische Zeitalter angebrochen ist, wölbt sich die Pforte der Einweihung als Schwelle zur geistigen Welt über alles Zeitgeschehen hinweg und stellt jeden vor individuelle Schicksalsprüfungen. Das konnte vor allem in den großen Katastrophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebt werden, womit das PosaunenZeitalter eingeleitet wurde. Nach dem Erklingen der 5. und 6. Posaune öffnet sich die Schwelle, sowohl nach oben wie nach unten – in die übersinnliche Welt sowie in die untersinnlichen Bereiche, in welche die Menschheit durch die Erschütterungen der letzten

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Katastrophen, womit das „Atomzeitalter“ eingeleitet wurde, hinabgesunken ist – ohne bis heute wieder aus dem Abgrunde herauszufinden. So ergeben sich nach dem 10. Kapitel der Einweihung jene beiden dramatischen Linien, die nun das ganze apokalyptische Geschehen beherrschen als zwei nebeneinanderlaufende Kurven: der Absturz in die untersinnlichen Reiche und der Aufstieg in die übersinnliche Welt.

Abb. 18: Die Abstürze und Erhöhungen (10. Kapitel 13. Kapitel 15., 16. Kapitel 17., 18. Kapitel 19. Kapitel

Pforte der Einweihung) Die Tiere aus dem Abgrund

11. Kapitel

Die göttlichen Zornesschalen Der Sturz Babylons Der Sturz des Tieres und des falschen Propheten Sturz in den Abgrund 20. Kapitel Sturz Satans nach Beendigung des 1000jährigen Reiches

12. Kapitel 14. Kapitel 19. Kapitel

Grundsteinlegung des Himmlischen Jerusalem Das Weib mit der Sonne bekleidet Die 144000 Erretteten Die Hochzeit des Lammes

20. Kapitel

Erhöhung Die 1. Auferstehung

21. Kapitel 22. Kapitel

Das „Himmlische Jerusalem“ Das Wasser des Lebens, der Lebensbaum

Fassen wir die vom 10. Kapitel ausgehenden beiden Linien in ihrer dramatischen Bewegung ins Auge, so ergibt sich uns im Sinne des obigen Schemas deutlich die Komposition in ihrer apokalyptischen Scheidung. Um zunächst die großen Motive der abwärtsführenden Bewegung ins Auge zu fassen, wollen wir mit den drei Abstürzen beginnen, dem „Sturz Babylons“, dem „Sturz des Tieres und des falschen Propheten“ und dem „Sturz Satans“, die zuletzt im 20. Kapitel in dem feurigen Pfuhl der Hölle enden. Und der Tod und die Hölle wurden geworfen in den feurigen Pfuhl. Das ist der andere Tod. Und so jemand nicht ward gefunden in dem Buch des Lebens geschrieben, der ward geworfen in den feurigen Pfuhl. (Off. 20, 1415) Wir stehen hier in der Tat vor einem zentralen Problem der ganzen Apokalypse, das einer geisteswissenschaftlichen Durchleuchtung bedarf, wenn wir es nicht nur hinnehmen wollen mit dem üblichen Begriff der Hölle und der ewigen Verdammnis, sondern es unserem heutigen Bewusstsein und Weltbild einzugliedern versuchen. Wie können wir uns die „Abstürze“ im Licht einer geistigen Menschheitsentwicklung vorstellen? Im Grunde ist das ganze menschliche Leben ein stufenweiser Absturz! Und hierin unterscheidet sich der rosenkreuzerische Geistesweg von den orientalischen Wegen. Diese streben zurück nach dem verlorenen Paradies, in „Brahmas Schoß“. Die Richtung des Rosenkreuzerweges ist die entgegengesetzte; sie strebt nicht zurück zur Geburt, nicht zum Weltbeginn, sondern zum Tode und der Wiedergeburt, um der ewigen Individualität bewusst zu werden. Dieser Weg führt gleich dem menschlichen Lebenswege durch Abstürze hindurch. Damit ist nicht ein moralisches Absinken gemeint, obwohl dieser durch große Erschütterungen 200

und Krisen hindurchführende Weg auch solche Prüfungen mit sich bringen kann, sondern es ist der Verlust einer bis dahin den Schüler tragenden Seinsschicht. Es ist so, als würde uns plötzlich der Boden unter den Füßen entzogen, der uns sicher getragen hat. Was hiermit gemeint ist, kann uns ein kurzer Überblick über die Entwicklungsstufen des menschlichen Lebens lehren: Bis in das 3. Lebensjahr wird die Seele noch getragen und umfangen von der Geistessphäre, in der das kindliche Bewusstsein traumhaft ruht, aus der die Seele erst mit dem IchBewusstsein zu erwachen beginnt. Dann zieht sich die geistige Welt zurück, und der Mensch findet sich in seinem Erden-Ich immer mehr auf sich selbst gestellt. Was sich hierbei vollzieht, ist ein Sturz aus „Himmelshöhen“ in die Erdentiefen. Wir werden entlassen, von den tragenden Schwingen der dritten Hierarchie, in deren Fittichen wir in den ersten Lebensjahren noch ruhten. Mit dem 27. Lebensjahr verlässt uns die bis dahin natürlich wirkende Jugendkraft, da die physische Entwicklung, die unseren Leib aufbaut, sich jetzt zurückzieht und zum Stillstand kommt. Damit schwindet die Jugendbegabung, wir werden nicht mehr von unserem Genius ohne unser Zutun inspiriert. Es kann dieser Absturz von begabten Menschen als ernste Krise erlebt werden. Wenn der Mensch in der Lebensmitte nicht durch eigene Aktivität die naturhafte Entwicklung, die ihn bisher seelisch trug, selber fortsetzt, so bleibt er auf diesem Punkte stehen – ein Grund für das oft beobachtete Stagnieren und Verlöschen von Jugendbegabungen, die große Hoffnungen erweckten. Nach der Lebensmitte wächst der Mensch in der zweiten Hälfte seines Lebens immer tiefer in die unterbewussten Willenskräfte seines Leibes hinein. Dieses Ergreifen des Leibes kann wiederum zu einem Stagnieren der seelischen Entwicklung führen, weil der Mensch dann mit zunehmendem Alter die Verbindung zu den tragenden Vaterkräften der ersten Hierarchie verliert. Nur erhöhte Geistigkeit kann diesen Absturz in die sklerotisierten („verknöchernden“) Leibesprozesse, die den Menschen hinabziehen, überwinden. Was jeder Mensch, mehr oder weniger bewusst, auf seinem Lebenswege als Abstürze erlebt, durch welche sich Geisteskräfte entbinden (und das ist eben das Entscheidende), das vollzieht sich in erhöhtem, weil viel bewussterem Maße auf dem individuellen Schulungswege. Das beste Vorbild geben die dramatischen Entwicklungen der einzelnen Geistesschüler in den Mysteriendramen Rudolf Steiners. In den Gestalten von Johannes Thomasius, Capesius und Strader sind diese Krisen und Abstürze in ihrer Urbildlichkeit anschaulich geschildert. Es handelt. ich dabei um einen jeweiligen Durchbruch aus der persönlichen oder illusionären Bewusstseinssphäre, um zum Erleben der geistigen Realität zu gelangen. So muss Johannes Thomasius, der Künstler, seine persönliche Wunschessphäre durchbrechen, in der Luzifer ihn gefangen hält. Es ist ein Hüter-Erlebnis, das für ihn in Ahrimans Reich stattfindet, dort wo alle Wünsche „erfrieren“ müssen. – Capesius, der in seinen Ideen verfangene Geschichtsprofessor, muss aus seiner schattenhaften Vorstellungswelt sich befreien, um hinter den subjektiven Gedankenbildern zur geistigen Realität vorzustoßen. Es ist ein Absturz für sein Bewusstsein in das „Nichts“ – wobei das Ich ihm zu entschwinden droht. – Strader, der Techniker, gelangt in Ahrimans Reich, wo er die Kräfte erschauen muss, die als geistige Urbilder hinter der materiellen

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Erscheinungswelt leben. Hier zerbricht sein Denken in tiefer Erschütterung vor dem Rätsel des Bösen.

Ich darf mit meinem Menschendenken hier nicht weiter ... das ist jetzt an seinem Ende – (zu Ahriman): Ich kann – betracht ich dich – nur klagen, weinen! [59, 8. Bild] Was ist an diesen drei Abstürzen das Entscheidende? Es ist der Durchbruch der drei Geistesschüler durch die subjektive Sphäre ihrer Wünsche, Vorstellungen und Willensimpulse, in welche sie sich wie in einem Netzwerk gefangen haben. So werden ihnen die Erschütterungen dieser Lebenskrisen zu einem Akt geistigen Erwachens. In jedem Sturz in das Nichts vollzieht sich zugleich ein geistiges Erwachen – eine Auferstehung zu einer höheren Wahrheitswelt. Das ist das Bedeutsame hieran. Im Urbild steht dieser Sturz in der Verklärungsszene im 12. Kapitel des Johannesevangeliums vor uns. Wir haben diese Szene schon erwähnt: Es ist der letzte Schritt auf dem Wege der Inkarnation des Christus in die Leibeshüllen des Jesus, wo das Christus-Ich auf die ahrimanischen Kräfte als Folgen des Sündenfalles im Leibe des Jesus von Nazareth stößt, die jetzt ausgestoßen werden, damit der Leib ganz entsühnt und befreit ist von den luziferisch-ahrimanischen Kräften. Und eben durch diesen Sturz vollzieht sich die Geist-Verklärung. In diesem Geschehen steht das Urbild der menschlichen Abstürze vor uns. Sie sind, wenn sie sich als Wirkung des Schulungsweges vollziehen, eine geistige Befreiung und Bewusstseins-Erhöhung. (Off. 12, 2732) Dann folgt auf jeden Sturz die Verklärung. Wir werden auf einen Berg erhoben und von neuen Geisteskräften getragen. Wir empfangen ein neues Kleid und sind von göttlichen Kräften erfüllt. Diese Erhebung kommt nicht aus eigenen Kräften: Sie wird uns „von oben“ gegeben! Was sich als geistiges Gesetz bei diesen Abstürzen in der menschlichen Entwicklung feststellen lässt, ist das Folgende: Im Sinne der Ich-Entwicklung, wie sie sich vor allem in den letzten zwei Jahrtausenden im Abendland abgespielt hat, ergibt sich diese dramatische Linie der Abstürze als eine notwendige, weil eine neue Bewusstseinsstufe nur durch ein Opfer, einen Verzicht erklommen werden kann. Eine neue Bewusstseinsstufe kann nur dadurch erkauft werden, dass eine vergangene Stufe verloren geht. Und damit findet sich der Mensch in ein Vakuum, in ein Nichts gestellt, aus dem er sich nur durch erhöhte Kraftanstrengung wieder emporarbeiten kann. Das trifft besonders für die Bewusstseinsseele zu. Darin spricht sich ja der tiefere Sinn dieser Abstürze aus, dass der Mensch stärkere Ichkräfte entwickeln muss, um den Abgrund zu überwinden, in den er gefallen ist. Solange diese Ichkraft in genügendem Maße vorhanden ist, solange er über die nötige Kraft und Initiative verfügt, sich wieder hinaufzuarbeiten, werden ihm auch stets neue Kräfte des Geistes und der Seele erwachsen, sodass die Krise und das Dilemma überwunden werden können! Dazu ist aber eines notwendig. Wir können diese Seelenkraft, welche die Abstürze aufzufangen fähig ist, als „moralische Phantasie“ bezeichnen. Sie ist es, welche gleichsam den Mutterboden abgibt, der die moralische Grundlage in unserem seelischen Leben bildet, um den Absturz aufzufangen und verkraften zu können. Dieser Mutterboden ist das Vermächtnis unserer Vergangenheit. Er ist aus der seelischen Substanz gebildet, die wir uns in unseren früheren Erdenleben erworben haben. Alles hängt davon ab, wie stark, umfassend und tiefgründig diese moralische Substanz ist, die wir als Frucht unserer Vergangenheit mit uns tragen. 202

Fehlt dieser Boden, ist das geistig-moralische Erbe zu schwach, das wir in dieses Erdenleben mitgebracht haben, dann vermögen wir den „Absturz“ nur schwer aufzufangen wir entbehren der elastischen Kraft, die uns wieder zur Höhe führt. Die Lebenskatastrophen, wie sie in solchen Krisen entstehen und sich als Folge des Fehlens der moralischen Phantasie ergeben, enden dann oft mit einer Lebenstragödie. Dann wird der Absturz wirklich zu einem Sturz in bodenlose Tiefen, aus denen es keine Erhebung und Rettung mehr gibt. Was sich so als Gesetzmäßigkeit im menschlichen Leben manifestiert, das beherrscht als großes Entwicklungsgesetz die ganze Menschheit. Die Frage, die uns bei diesen apokalyptischen Abstürzen beschäftigen soll, ist: Haben wir es hier mit definitiven Abstürzen zu tun, die uns unwiederbringlich dem Abgrund verfallen lassen? Und was haben wir uns hier unter dem Schicksal der dem Abgrund verfallenen Wesen vorzustellen – welches ist der Abgrund, dem sie verfallen? Drei Abstürze nennt die Apokalypse:  1. Den Sturz Babylons,  2.den Sturz des Tieres und seines falschen Propheten,  3. den Sturz Satanas als der ahrimanischen Macht. Von diesen drei Abstürzen gehört der erste am meisten dem Bereich des Menschen an. Die beiden anderen greifen schon in übersinnliche und außermenschliche Sphärenbereiche ein, die allerdings den Menschen mit umfassen. Beginnen wir mit dem Menschen-Bereich, als dessen Symbol der Apokalyptiker das Bild der Stadt Babylon wählt. Wenn die Apokalypse von drei Abstürzen spricht, so müssen wir uns doch darunter vorstellen, dass es „rettungslose“ sind, die durch keine „moralische Substanz“, die als Erbe aus der Vergangenheit noch zur Verfügung steht, aufgehoben werden können. Denn ebenso wie der einzelne Mensch über ein moralisches Erbe verfügt, womit ich das „karmische Konto“ nach seiner positiven und negativen Seite meine, so hat auch die Menschheit ein karmisches Konto, dessen Fazit am Ende der Erdenentwicklung gezogen wird. Man könnte hier einwenden, dass dieses Karma der Menschheit doch von Christus in seinen Folgen für die Menschheits- und Erdenentwicklung übernommen werde. Das ist auch der Fall. Wir müssen uns hier jedoch den Begriff einer Kollektiv-Schuld bilden, welche die Summe von karmischen Wirkungen umfasst, die sich aus dem Karma einzelner Individuen zusammensetzen. Dadurch entstehen neue Gruppenseelen, wie sie als „Gog und Magog“ von der Apokalypse bezeichnet werden. Ein Beispiel solcher neuer Gruppenund Gattungsseelen sind die Kollektivwirkungen, die heute ganze Völker mit einem einseitig materialistischen Gepräge belasten. Wir haben es hier nicht nur mit staatlichpolitischen Bildungen zu tun, sondern mit realen Gruppenseelen, welche in diese sozialen Formen als ahrimanische Wesen einziehen und sich darin verkörpern. Darin besteht ja ihre kollektive Macht und Einflusssphäre. Das Individuum soll von solchen Gruppenbindungen unterdrückt, ausgelöscht werden und an dessen Stelle soll die ahrimanische Gruppenseele treten. Stellen wir uns diesen Prozess ins Große übertragen vor, sodass solche Gruppenseelen die einzelnen Individuen zum großen Teil so weit überschattet und ausgelöscht haben, dass sie 203

an deren Stelle agieren, so wie man es in einem ähnlichen Falle im „Dritten Reich“ in der nationalsozialistischen Demagogie erleben konnte, dann ersteht vor uns ein neues Menschheitsgebilde mit einer eigenen Gruppenseele, die sich von der normalen Menschheitsentwicklung löst und abschnürt und dadurch vom Christus nicht mehr getragen und erlöst werden kann, da sie diesen ja zurückgewiesen hat. Das ist mit der abnormen Gruppenseele gemeint, die der Apokalyptiker mit Babylon bezeichnet. Man darf dieses Symbol nicht einfach gleichsetzen mit dem antiken Rom, wie es in seinem Buche über die Apokalypse Peter Morant tut. Der Begriff ist viel weiter und größer zu fassen, er umfasst die ganze Erdenmenschheit, welche sich als „Gog und Magog“ der ahrimanischen Einflusssphäre ausgesetzt hat. Warum aber wählt der Apokalyptiker den Namen Babylon für diesen Auswurf der Menschheit? Babylon heißt in seiner ursprünglichen Bedeutung soviel wie das „Tor zur Oberwelt“, das Tor zu den Göttern. In seinen Mysterien besaß es den Schlüssel zu den geistigen Geheimnissen der göttlichen Welten. Von hier aus strahlte eine Weisheit, die weit über die Kultur Babylons hinausreichte. Wir können noch zur Abrahamzeit im 3. vorchristlichen Jahrtausend Wirkungen dieser Mysterienkultur in den Ausgrabungsschätzen erkennen, von denen im Britischen Museum in London kostbare Zeugnisse an Schmuck und Tempelgeräten vorhanden sind. Das Tigris- und Euphratstrombett war bis in diese Zeit hinein eine uralt-heilige Mysterienstätte. Die Bibel berichtet von ihrem Verfall und nennt dabei Nimrod, den Zeitgenossen Abrahams, der durch äußere magische Kräfte den geistigen Substanzverlust beim Einbruch des KaliYuga zu ersetzen sucht. Was sich hierbei als einbrechende „Götterdämmerung“ abspielte, entrollt sich in den machtvollen Bildern des Gilgamesch-Epos, eines Zeitgenossen von Nimrod und Abraham in seiner ganzen Tragik:

Nimrod:

O ja, die Zikurate, die stolzen Ziegelpyramiden... du denkst wie alle Welt, um Spaß erbaut ich sie? Ich aber sage dir, ich baute sie, so wie ein Mann, der untergeht im Meer, sich an ein Tau, das man ihm zuwirft, klammert. Mit all der Kraft, die die Verzweiflung schenkt, stemmt ich die Ziegelpyramiden, den Bau von Babylon, der Himmelswelt entgegen. Denn Babel ist: „Das Tor zur Götterwelt!“

Gilgamesch: Durch einen Turm verschüttet: der Weg zur Unterwelt! [60] Seit dieser Zeit wurde Babylon zum Tor der Unterwelt. Der Verfall der Ischtar-Mysterien, die in Uruk, Babylon und ganz Mesopotamien herrschten, wurde schon früher eingeleitet. Er trat nur in dem damaligen Michaelzeitalter zur Zeit Abrahams und Nimrods immer mehr hervor, da jetzt Michael, der unter dem Namen Marduk verehrt wurde, die Sonnenmysterien gegenüber den Mondmysterien der Ischtar zur Wirksamkeit brachte. Dadurch begannen die weiblichen Mondenkräfte, die sich den Sonnenmysterien widersetzten, ins Schwarzmagische auszuarten. Man muss sich hier klarmachen, dass der Verfall der Menschheit, der Missbrauch der spirituellen Kräfte, im Grunde genommen von den Führern der Menschheit ausgegangen ist. Das beste Beispiel ist der Missbrauch der Vulkan-Mysterien in der alten Atlantis, was zum Untergang der Atlantis führte. 204

Es kann einen erschütternden Eindruck auf uns machen, wenn wir zur Erkenntnis kommen, dass der Fall der Menschheit im Grunde genommen nicht von dem unentwickelten Teil der Menschheit ausgeht, sondern von den fortgeschrittenen, entwickelten Menschen. Und hier ist es immer die Versuchung, das Wissen, das sich diese errungen haben, in falsche – nämlich egoistische Dienste zu eigenen Zwecken – zu stellen. Hier liegt der Anfang der schwarzen Magie. Diese Versuchung machte sich schon zu Beginn unsere nachatlantischen Kulturströmung geltend, als der fortgeschrittenste Teil der atlantischen Menschheit von dem göttlichen Boten Manu (biblisch Noah, s. 1. Moses 6,5 ff.) an eine verborgene Mysterienstätte geführt wurde, um die nachatlantischen Kulturen zu begründen. Es war die Prüfung der Denkkraft, die sich bei den „Ursemiten“ in der 5. atlantischen Rasse zu ihrer Höhe entwickelt hatte, welche zur Weiterentwicklung in den nachatlantischen Rassen ausersehen war. Was die Atlantier bis zur Mitte der atlantischen Entwicklung auf das Gebot ihrer göttlichen Führer hin getan hatten, das sollte jetzt durch freie Entscheidung auf Grund des Denkens geschehen.

„Ihr habt bis jetzt gesehen diejenigen, die euch führten; aber es gibt höhere Führer, die ihr nicht sehet; und ihr sollt gehorchen einem solchen, von dem ihr euch kein Bild machen könnt.“ So klang aus dem Munde des großen Führers das neue höchste Gebot, das da die Verehrung vorschrieb eines Gottes, dem kein sinnlich-sichtbares Bild ähnlich sein konnte, von dem daher auch keines gemacht werden sollte. [61, 3. Vortrag] Von diesem großen Urgebote der fünften Menschenrasse ist ein Nachklang das bekannte: „Du sollst dir kein Götzenbild machen, noch irgendein Abbild von etwas, was droben im Himmel oder unten auf der Erde, oder was im Wasser unter der Erde ist.“ (2. Moses 10) Darin bestand die Erziehung des göttlichen Manu, alles Denken und Tun der Menschen auf die höheren Welten hinzulenken und ihm einen religiösen Charakter zu geben.

Dieser Entscheidung waren nicht alle Menschen gewachsen, welche der Manu um sich gesammelt hatte, sondern vielmehr nur eine geringe Zahl derselben. Und nur aus dieser letzteren Zahl konnte der Manu den Keim zu neuen Rassen wirklich bilden. Mit ihr zog er sich dann zurück, um sie weiterzuentwickeln, während die anderen sich mit der übrigen Menschheit vermischten. – Von der genannten geringen Zahl von Menschen, die sich zuletzt um den Manu geschart hatten, stammt dann alles ab, was die wahren Fortschrittskeime der fünften Wurzelrasse bis heute noch bildet. Daher ist es aber auch erklärlich, dass zwei Charakterzüge durch die ganze Entwicklung dieser fünften Wurzelrasse durchgehen. Der eine Zug ist den Menschen eigen, die beseelt sind von höheren Ideen, die sich als Kinder einer göttlichen Weltmacht betrachten; der andere kommt denen zu, die alles nur in den Dienst der persönlichen Interessen, des Eigennutzes teilen. [61, 3. Vortrag] So bereitet sich schon in der fünften atlantischen Rasse, bei den Ursemiten, welche zuerst die Denkkraft entwickeln, jene Krise vor, welche heute immer mehr in die große Spaltung der Menschheit drängt, und letztendlich in die apokalyptische Entscheidung führt, die in der 6. nachatlantischen Kultur, wenn der menschliche Manu erscheint, auch zu einer sichtbaren Scheidung der Geister führen wird. Wir können an diesem Beispiel ersehen, wie bestimmte Urmotive durch die ganze Menschheitsentwicklung hindurchgehen, die sich dann mit fortschreitender Entwicklung immer deutlicher zeigen. Das ist der tiefere Grund, weshalb die alte Mysterienstätte 205

Babylon, die mit Recht als das Tor der Götter bezeichnet wurde, zur Pforte der Unterwelt wurde. Menschliche Verirrungen haben ihre Wurzeln oftmals in geistigen Verrichtungen und religiösen Handlungen, die von ihrem ursprünglichen Ziel und Niveau herabsinken und dann das Tor bilden für selbstsüchtige Handlungen und dämonische Pervertierungen. Wenn die Apokalypse diese Verirrungen als ein „Unzuchttreiben mit der Materie“ bezeichnet, so geht schon daraus hervor, dass das Gleichgewicht zwischen Geist und Materie nicht bewahrt worden ist. Die nicht vom Geist beherrschten Leidenschaften sind es, die den Menschen in diese Verirrungen hineinreißen. Der Ursprung zu dieser Verirrung aber lag in den Mysterien. Man bediente sich in den babylonischen Mysterien, ähnlich wie in den spätägyptischen, der Medien211, wozu man in Ägypten Mumien gebrauchte, um in Verbindung mit den Geistern der Abgeschiedenen zu kommen. Wenn zu diesem Zwecke Medien verwendet werden, so sind diese einer bestimmten Gefahr – auch heute noch – ausgesetzt. Das Medium entäußert sich seines Ich, um anderen Geistern zum Sprachrohr zu dienen. Dadurch kehrt es nicht mit seiner vollen Ichkraft zurück, weshalb sein Astralleib und sein Ich von anderen Mächten erfüllt werden können und von diesen vielfach missbraucht werden. Was sich zunächst auf dieser rein geistigen Ebene abspielt als abnormer Schwellenübergang, hat zum Gefolge eine Korrumpierung des allgemeinen moralischen Niveaus. Lügenhaftigkeit, Eigennutz, Machtziele und Missbrauch zum göttlichen Dienst, um darauf immer mehr das allgemeine Kulturniveau zu verderben. Wir können manche Parallelerscheinungen im christlichen Dienst der mittelalterlichen Kirchen finden (Simonie212, Ablasshandel, Pervertierung der geistigen Vollmacht der Kirche zu persönlichen Zwecken usw.). Darin scheint eine Quelle der menschlichen Abirrungen zu liegen, dass die zum Altardienst geheiligten Geistesgaben zu rein äußeren egoistischen Zielen missbraucht und somit pervertiert werden. Das sind im Grunde die „Sünden wider den Geist“, die nicht vergeben werden können! 213 – Was sich als Folgen dieser Verirrungen seit altersher in der Menschheit eingenistet und die Menschen verunreinigt hat, muss ausgeschieden werden, bevor sich die Menschheit mit der geistigen Welt wieder vereinigen kann! Es betrifft dies zunächst die korrumpierten und daher unbrauchbar gewordenen ätherischen und physischen Leiber, die dann auch die Seelen nach sich ziehen, die von ihnen bewohnt sind. Man kann den „Sturz Babylons“, der sich damit vollzieht, als die notwendige Reinigung der ätherischen Erdensphäre bezeichnen, da auch die astralische Sphäre der Erde dadurch vergiftet wird. Damit haben wir das „Übel von der Wurzel“ aus angepackt, was der Apokalyptiker unter dem Bilde der Stadt „Babylon“ umreißt. Das Bild stellt in seiner Vordergründigkeit die „große Hure“ dar, die „Unzucht mit der Materie“ getrieben und die Menschheit in diese Versuchung hinabgezogen hat. Das Bild ist dem okkulten Sprachgebrauch entnommen, Plural von „Medium“, eine Person, die in der Lage ist, unter Ausschaltung ihres Selbstbewusstseins sich von nicht physisch verkörperten Wesenheiten (v. a. Verstorbene) ergreifen zu lassen, beispielsweise zu dem Zweck, diese Wesen durch sich reden zu lassen. 212 Als Simonie wird der Kauf oder Verkauf eines kirchlichen Amtes, von Pfründen, Sakramenten, Reliquien oder Ähnlichem bezeichnet. Im Zusammenhang mit dem Investiturstreit im Mittelalter wurde der Begriff zeitweilig auf jede Vergabe eines kirchlichen Amtes durch einen Laien ausgedehnt, ob gegen Geld oder kostenlos (Wikipedia). 211

213

Und wer da redet ein Wort wider des Menschen Sohn, dem soll es vergeben werden; wer aber lästert den heiligen Geist, dem soll es nicht vergeben werden. (Lk. 12,10; ähnlich Matth. 12,31)

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wonach das Ziel des Menschen in der Vermählung seiner Seele mit dem Geist besteht. Nun liegt die Gefahr des menschlichen Inkarnationsweges, der sich von Kultur zu Kultur stärker mit der Materie verbindet, in einer den Menschen korrumpierenden Ehe mit der Materie, woraus eine unwahre, nicht berechtigte Ehe entsteht. Darauf weist das Wort des Christus gegenüber der Frau aus Samarien hin: „Fünf Männer hast du gehabt und den du nun hast, das ist nicht dein wahrer Mann!“ (Joh. 4,18) Was sich bei dieser unwahren Ehe des menschlichen Geistes mit der Materie vollzieht, ist die Verbindung der Sinnlichkeit des Menschen mit der Verleugnung des Geistes, wie er in der „Weltanschauung des Tieres“ zum praktischen Materialismus im 20. Jahrhundert führt, mit all seinen Konsequenzen für die menschliche Bewusstseinsseele. Rudolf Steiner sagt über die Folgen dieser „Weltanschauung des Tieres“:

Und in der Zeit, die jetzt kommen wird, werden sich hineinschleichen in die Bewusstseinsseele und damit in das, was man das menschliche Ich nennt – denn das Ich geht in der Bewusstseinsseele auf –, diejenigen Wesenheiten, die man die Asuras214 nennt. Die Asuras werden mit einer viel intensiveren Kraft das Böse entwickeln als selbst die satanischen Mächte der atlantischen eine oder gar die luziferischen Geister der lemurischen Zeit215. Das Böse, das die luziferischen Geister dem Menschen zugleich mit der Wohltat der Freiheit brachten, das wird er alles im Verlaufe der Erdenzeit abstreifen. Dasjenige Böse, das die ahrimanischen Geister gebracht haben, kann abgestreift werden in dem Ablauf der karmischen Gesetzmäßigkeit. Das Böse aber, was die asurischen Mächte bringen, ist nicht auf eine solche Weise zu sühnen. Haben die guten Geister dem Menschen Schmerzen und Leiden, Krankheit und Tod gegeben, damit er sich trotz der Möglichkeit des Bösen aufwärts entwickeln kann, haben die guten Geister die Möglichkeit des Karma gegenüber den ahrimanischen Mächten gegeben, um den Irrtum wieder auszugleichen – gegenüber den asurischen Geistern wird das im Verlaufe des Erdendaseins nicht so leicht sein. Denn diese asurischen Geister werden bewirken, dass das, was von ihnen ergriffen ist – und es ist ja des Menschen tiefstes Innerstes, die Bewusstseinsseele mit dem Ich –, sie werden bewirken, dass das Ich sich vereinigt mit der Sinnlichkeit der Erde. Es wird Stück für Stück aus dem Ich herausgerissen werden, und in demselben Maße, wie sich die asurischen Geister in der Bewusstseinsseele festsetzen, in demselben Maße muss der Mensch auf Erden zurücklassen Stücke seines Daseins. Das wird unwiederbringlich verloren sein, was den asurischen Mächten verfallen ist. Nicht, dass der ganze Mensch ihnen zu verfallen braucht – aber Stücke werden aus dem Geiste des Menschen herausgeschnitten durch die asurischen Mächte. Diese asurischen Mächte kündigen sich in unserem Zeitalter an durch den Geist, der da waltet und den wir nennen können den „Geist des bloßen Lebens in der Sinnlichkeit und des Vergessens aller wirklichen geistigen Wesenheiten und geistigen Welten“... Alt-indisch asura (sprich: A-ssura) bedeutet „Dämon, böser Geist“; im Hinduismus sind sie die Gegenspieler der Götter (genannt Devas oder Suras). – Im Altpersischen waren diese Wörter in gegenteiligem Sinn in Gebrauch: Ein Dæva war ein böser, ein Ahura ein guter Gott (erinnert sei auch an die Bezeichnung Ahura Mazdao für den herabsteigenden Christus). 215 Gemeint ist die Erdepoche, in der die luziferischen bzw. ahrimanischen Wesenheiten ihre besondere Wirksamkeit entfalteten. 214

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Aber sie werden im weiteren Verlauf „und das, kündigt sich immer mehr und mehr an durch die wüsten Leidenschaften der Sinnlichkeit, die immer mehr und mehr auf die Erde herniedersteigen –, sie werden dem Menschen den Blick umdunkeln gegenüber den geistigen Wesenheiten und geistigen Mächten. Es wird der Mensch nichts wissen und nichts wissen wollen von einer geistigen Welt ... Er wird nicht nur lehren, dass der Mensch nicht bloß seiner Gestalt nach mit dem Tier verwandt ist, dass er auch seiner ganzen Wesenheit nach vom Tier abstamme, sondern der Mensch wird mit solcher Anschauung Ernst machen und so leben. Und in mancherlei von dem ..., was sich jetzt namentlich an den Stätten der großen Städte als wüste Orgien einer zwecklosen Sinnlichkeit geltend macht, sehen wir schon das groteske Höllenleuchten derjenigen Geister, die wir als die asurischen bezeichnen. [27, S. 248 f.] In diesen Asuras, die heute in dem immer mehr zum praktischen Materialismus gewordenen theoretischen Materialismus der wissenschaftlichen Weltanschauung des 19. Jahrhundert wirksam werden, kann man die saugenden Fangarme des Sonnendämons erkennen, der heute seine Zeit schon gekommen sieht, um seine Herrschaft anzutreten. Was in dem Bild Babylons vor uns steht, enthält alles, was an menschlichen Verirrungen sich während der Erdenentwicklung herangebildet hat und zum „Abschaum der Menschheit“ geworden ist, was nicht zur Jupiterentwicklung mitgenommen werden kann. Dabei müssen wir uns klar sein, dass es sich hier nicht nur um Abirrungen und menschliche Verschuldungen im gewöhnlichen Sinne handelt, die durch das Karma ausgeglichen werden können. Diese Verschuldungen rühren an die Wurzel des Übels, welche sich zu demjenigen Bösen verdichtet haben, die mit der schwarzen Magie zusammenhängen und deshalb nicht durch Karma ausgeglichen werden können, da der Missbrauch der spirituellen Kräfte dem Sonnendämonium Einlass bietet.

So sehen wir ein Wesen an die Menschen sich schmiegen von diesem Zeitpunkt an, das eine furchtbare Gewalt hat! Was tut denn dieses Wesen, um die Menschen in solche schauderhaften Dinge hineinzuführen, wie wir sie ahnen können? Damit die Menschen verführt werden zur bloßen Unmoral, zu dem, was sie schon als Normalmenschen kennen, dazu braucht es dieses Ungeheuers nicht, das als Sonnendämon erscheint. Erst wenn dasjenige, was im guten Sinne die Wesen auszeichnet, die dem Menschengeschlechte Rettung bringen, erst wenn die spirituelle Erhebung in ihr Gegenteil verwandelt wird, wenn die spirituelle Kraft in den Dienst des niederen Ich-Prinzips gestellt wird, dann kann sie die Menschheit so weit bringen, dass das Tier, das dargestellt wird mit zwei Hörnern, über sie Gewalt erlangt! Der Missbrauch der spirituellen Kräfte hängt zusammen mit jener verführerischen Kraft des Tieres mit den zwei Hörnern. Und wir nennen diesen Missbrauch der spirituellen Kraft die schwarze Magie im Gegensatz zum richtigen Gebrauch, den wir die weiße Magie nennen. So wird das Menschengeschlecht dadurch, dass es sich spaltet, sich darauf vorbereiten, auf der einen Seite in immer geistigere Zustände zu gelangen und dadurch in den Gebrauch der geistigen Kräfte, in die weiße Magie hineinkommen; auf der anderen Seite wird dasjenige, was Missbrauch treibt mit den spirituellen Kräften, sich vorbereiten für die wildeste Kraft des zweihörnigen Tieres, der schwarzen Magie. Es wird sich letzten Endes die Menschheit spalten in Wesen, welche die weiße, und in solche, welche die schwarze Magie treiben. So ist in dem Geheimnis von 666 oder Sorat das Geheimnis der schwarzen Magie verborgen. Und der Verführer zur schwarzen Magie, jenes furchtbarsten Verbrechens in der 208

Erdenentwicklung, dem kein Verbrechen gleichkommen kann, er wird vom Apokalyptiker dargestellt durch das zweihörnige Tier... Daher wird dieses ganze Treiben von schwarzer Magie, alles was da an Ehe entsteht zwischen dem Menschen und der Verhärtung in der Materie, zur Anschauung gebracht vor seiner Seherseele in der großen Babylon, in der Gemeinschaft, die alle diejenigen vereint, die schwarze Magie treiben, in der furchtbaren Ehe oder vielmehr wilden Ehe zwischen dem Menschen und den Kräften der herabgekommenen Materie. [8, S. 230 f.] Diese Gemeinschaft mit dem Sorat muss ausgestoßen werden, alles, was verfallen ist dem Prinzip des zweihörnigen Tieres und sich daher verhärtet hat zum Tier mit den sieben Köpfen und zehn Hörnern. Die Kraft, durch die der Sonnengenius (Christus) das Tier mit den zwei Hörnern überwinden lässt, ist das „Antlitz des Sonnengenius“. 216 Und das ist Michael, der als Stellvertreter des Sonnengenius das zweigehörnte Tier in den Abgrund stößt, Michael, die Schlüssel zum Abgrund tragend, in welchem der Drachen gefesselt wird, ist das Zeichen, welches im 20. Kapitel erscheint! Wir verstehen den geistigen Hintergrund der Bilder, die die Apokalypse bei dem Sturz Babylons im 17. und 18. Kapitel entrollt, in ihrer verhängnisvollen Bedeutung erst richtig, wenn wir ihren Ursprung ins Auge fassen. Der Ursprung zum Fall in diese menschlichen Verirrungen Babylons liegt, wie wir sahen, in der Korruption der spirituellen Kräfte der ursprünglichen Mysterien. Auch die alte Atlantis ist ja dadurch zugrunde gegangen, dass die Vulkanmysterien verraten wurden und die Menschen dadurch in den Besitz spiritueller Geheimnisse kamen, die sie missbrauchten. Der Apokalyptiker sieht „die Hure Babylon“ auf einem scharlachroten Tiere sitzen, mit dem sie sich verbunden hat: Da kam einer von den sieben Engeln, die die sieben Schalen trugen, und sprach zu mir: „Komm, ich will dir das Verhängnis der großen Hure zeigen, die auf vielen Wasserströmen sitzt, mit der die Könige der Erde Unzucht getrieben haben und von deren unreinem Wein die Bewohner der Erde trunken sind.“ Und er führte mich im Geistgebiet in eine Wüste. Und ich sah ein Weib, das auf einem scharlachroten Tiere saß. Das Tier war bedeckt mit Namen der Feindschaft gegen den Geist und hatte sieben Köpfe und zehn Hörner. Das Weib war mit purpurroten und scharlachroten Gewändern bekleidet und mit Gold und Edelsteinen und Perlen glänzend geschmückt. Sie hielt einen goldenen Kelch in der Hand, voll von Gräueltaten und unreinen Wesen, die ihrer Unzucht entstammten. Und auf ihrer Stirn stand ein Name geschrieben, ein Mysterium – das große Babylon, die Mutter aller Unzuchtwesen und Gräuelgestalten auf Erden! (Off. 17, 15) Auch die Unzucht stammt von Babylon. Auch dies darf nicht im trivialen Sinne genommen werden, denn auch hier liegt die Wurzel des Übels im verfallenen, korrumpierten Mysterienwesen:

Das Prostituierten-Wesen ist nicht im alltäglichen Leben aufgekommen; seine Entstehung liegt durchaus auf kultischem Boden. Babylonien ist das klassische Land, in welchem es unter den in den Tempeln Dienenden zuerst die Hierodulen 217, das heißt die Prostituierten, gab. 216 217

Vgl. die Michaeli-Epistel aus dem Kultus der Christengemeinschaft (nicht veröffentlicht). Zusammengesetzt aus hieros (ιεροός, sprich: hi-e-ROS)„heilig“ und dulos (δουόλος)„Diener“.

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Alle Laster, die auf Rauschwirkungen zielen und in Süchtigkeiten übergehen, haben so ihren Ursprung in Kulturzusammenhängen vorchristlicher Kulturen, in die das babylonische Prinzip eingezogen war. Erzogen durch das Alte und Neue Testament empfindet die heutige Menschheit eine radikale Gegensätzlichkeit und Unvereinbarkeit der irdischen Leidenschaften und der Sphäre des religiösen Lebens. Man muss aber doch ein Auge dafür haben, dass über all dort, wo die Menschen sich irgendeinem Rausch hingeben – gleichviel, ob dieser durch Rauschmittel oder Spielwut hervorgerufen wird, oder ob es sich um den in tausend Arten und Graden auftretenden Geld-, Erfolgs- oder Machtrausch handelt, – eine verirrte Sehnsucht nach wesenhafter Berührung mit höheren Welten zugrunde liegt. Die Menschen wollen sich durch äußere Mittel aus der bedrückenden Alltäglichkeit in andere Sphären versetzen lassen und werden dadurch nur immer noch mehr in das Irdische verstrickt. Der Aufschwung geschieht nicht unter Loslösung von der Erdenschwere, und das Gewicht der Tiefen verwandelt die Entrückung nur allzu bald in ein Sinken, Fallen und Stürzen.“ [3] Dies kann uns gerade unsere Gegenwart lehren, in der die Menschen, besonders die der jungen Generation, nach Rauschgiften greifen, um die verborgene und durch die Plattitüden des Materialismus unerfüllte Sehnsucht nach einem geistig-substantiellen Inhalt zu befriedigen. Auch der heutigen Rauschgiftabirrung liegt eine ungestillte religiöse Sehnsucht zugrunde! Der Schritt vom geistigen Streben, das sich oft in verschiedenen Masken tarnt, zur Perversität in sexueller Hinsicht und in mannigfaltigen Süchten, ist oft nur ein geringer. Er zeigt heute – und seit allen Zeiten –, wie sehr der Mensch gefährdet ist, wenn er seine Seele dem Geist erschließt und nicht die rechten Wege findet. Hier erfüllt sich der Weheruf aus dem Matthäusevangelium: „Wehe euch, ihr Schrift gelehrten und Pharisäer! Ihr Heuchler, die ihr das Himmelreich zuschließt vor den Menschen. Ihr kommt selber nicht hinein, und die hinein wollen, lasst ihr nicht hinein!“ (Mt. 23,13) Ist das Christentum von dieser Abirrung frei geblieben? Hat die Kirche nicht durch ihre Dogmen den Gläubigen den Zugang zur geistigen Welt versperrt und eine Verbotstafel vor der Schwelle aufgerichtet, die ihnen den eigenen Zugang in die Reiche des Geistes untersagt? Das sind die sieben Berge der Hindernisse, welche die babylonische Verirrung vor der Menschheit aufgetürmt hat. Das Weib ruft auf sieben Bergen. So heißt es in der Apokalypse: „Hier spricht die Vernunft, die von Weisheit erfüllt ist: Die sieben Häupter sind sieben Berge. Auf ihnen sitzt das Weib. Es sind zugleich sieben Könige, fünf von ihnen sind gefallen, einer ist da und einer ist noch nicht da. Wenn er kommt, soll er keine kurze Zeit bleiben. Und das Tier, das dagewesen ist und nicht da ist, ist selbst der achte König und gehört doch auch zu den sieben. Er wird dem Verderben anheimfallen. – Die zehn Hörner, die du siehst, sind zehn Könige, die ihre Herrschaft noch nicht angetreten haben. Aber sie werden eine Stunde lang mit dem Tiere als Könige ihre Macht ausüben. Diese alle sind von der gleichen Gesinnung beseelt. Sie werden ihre Kraft und ihre Macht in den Dienst des Tieres stellen. Sie werden gegen das Lamm streiten, aber das Lamm wird über sie siegen, denn es ist der Herr aller Herren und der König aller Könige. Zu ihm gehören diejenigen, die der Berufung und Erwählung teilhaftig sind und in denen die Kraft des Glaubens lebt.“ (Off. 17, 914) 210

Wie sehr die okkulten Hintergründe solcher Worte und Bilder auf ein triviales Niveau gedrückt werden, was ihnen nicht zukommt, geht aus einer Erklärung zur Exegese der Apokalypse hervor, die Peter Morant im landläufigen Sinne, das heißt im Sinne der katholischen Auffassung in seinem hier bereits zitierten Buche ausspricht: Danach ist das Tier auf den sieben Bergen = Rom, allerdings das heidnische Rom vor seiner „Christianisierung“.

In der genaueren Bestimmung „dieser Könige“ gehen die Auffassungen, auch der Katholiken, auseinander. Viele neuere Erklärer sehen in den sieben Königen sieben historische Einzelpersonen, sieben römische Kaiser, die in der Geschichte wirklich aufeinander folgten. Diese Auffassung wurde erstmals von Viktorin von Peterau (†304) vertreten ... und setzt sich in unseren Tagen immer mehr durch. – Die Bestimmung der vorausgegangenen Kaiser muss sicher ausgehen von jenem, der da ist, vom 6., nämlich von Domitian (81-96); denn nach der Tradition wurde Johannes unter seiner Regierung nach Patmos verbannt, wo er die Apokalypse schrieb. Der andere, der noch nicht gekommen ist, der siebte, wird deshalb sein Nachfolger Nerva (96-98) sein, der nur zwei Jahre regierte: Wenn er kommt, so soll er nur kurze Zeit bleiben. Er ist nicht angeführt, weil er eine besondere Bedeutung hätte, sondern nur, um die Siebenzahl voll zu machen. Auf diese Weise erhält man die folgenden sieben römischen Cäsaren: 1. Nero (54-68), 2. Galba (68-69), 3. Otho oder sein Gegenkaiser Vitellius (69), 4. Vespasian (69-79), 5. Titus (79-81), 6. Domitian (81-96), 7. Nerva (96-98). Aus diesem Vers ist zu ersehen, dass ein Kopf des Tieres, das nicht ist, trotzdem lebt. Der Tod des Tieres kann daher bloß ein relativer sein, unter einem Gesichtspunkt lebt es, unter einem anderen ist es tot. Das Tier, das war und nicht ist, ist auch selbst der achte und gehört zu den sieben und geht ins Verderben. – Nachdem die sieben Könige, Nero mit einbezogen, regiert haben, wird das Römische Reich nicht untergehen ... Wie viele Kaiser es noch geben wird, sagt Johannes nicht, sieht es wohl auch nicht voraus; er weiß bloß, dass das Reich, das im „Tier“ verkörpert ist, noch eine unbestimmte Zeit weiterleben wird; deshalb verlässt er auch das Schema der Siebenzahl. Er bezeichnet die Nachfolger einfach mit der Zahl der überbordenden Fülle, als „achten“ König und fasst sie alle zusammen mit dem Sammelnamen „Tier“, dem beliebig viele Köpfe nachwachsen können, wie es Gott gefallen wird; die Nachfolger bilden also eine unbestimmte Mehrzahl. [1] Dies mag als Beispiel dienen, wie durch solche rein historische Interpretation nicht nur das übersinnlich-geistige Niveau der Apokalypse völlig verlassen und herabgesetzt wird, sondern auch sein in die Menschheitszukunft weisender Charakter, aus dem sich ja die geistigen Urbilder der gesamten Menschheitsevolution manifestieren, entstellt wird. Solche Exegesen, wie sie seit Jahrhunderten schon üblich sind, beweisen nur, wie bar jeder okkulten Erkenntnis die christlichen Kirchen im Abendlande geworden sind. Wie sollen sie ein Dokument, das ganz auf okkulten Hintergründen aufgebaut ist und aus übersinnlicher Schau stammt, dann noch verstehen können?! – In allen okkulten Dokumenten, wie den Evangelien, spielt die Siebenzahl eine Rolle im Sinne der sieben Evolutionsperioden, die die Erde und der Mensch durchmachen. Diese Zahl der Evolution, die sich in der Siebenheit erfüllt, die jeder Äon durchläuft, spielt – wie wir sahen – auch in der Apokalypse eine gewichtige Rolle. Der Seher ist ihr auch 211

unterworfen: Sein geistiger Blick in die Vergangenheit und in die Zukunft wird von der jeweiligen Entwicklungsperiode bestimmt, in der er sich befindet. Das ist in der gegenwärtigen Erdenperiode die Zahl 5 als der 5. nachatlantischen Entwicklungsperiode der Erde, die von der atlantischen Flut bis zum Krieg aller gegen alle das irdische Menschheitsdrama umfasst und annähernd ein „Platonisches Weltenjahr“ (25.920 Jahre) ausmacht. Wie wir sahen, zerfällt jede solche große Entwicklungsperiode wiederum in 7 kleinere Kulturperioden. So befinden wir uns gegenwärtig in der 5. Kulturstufe, die unter dem Tierkreiszeichen der Fische steht, in die der Frühlingspunkt der Sonne seit dem Jahre 1413 eingetreten ist, das sie nach 2160 Jahren verlässt, wenn sie in das Zeichen des Wassermann ein tritt (3573 n. Chr.). Von dieser okkulten Zeitrechnung geben die „sieben Könige“ ein ganz exaktes Bild von dem Zeiger der Weltenuhr, wenn der Apokalyptiker sagt, dass das Weib auf den sieben Bergen sitzt, die zugleich sieben Könige sind, da sie jeder eine Entwicklungsperiode regieren. Fünf von ihnen sind gefallen, einer ist da und einer noch nicht. Wenn er kommt, soll er eine kurze Zeit bleiben. Und das Tier, das dagewesen ist und nicht da ist, ist selbst der achte König und gehört doch auch zu den sieben. Er wird dem Verderben anheimfallen. (Off. 17,10 f.) Damit berührt der Apokalyptiker das Geheimnis der „Achten Sphäre“. Die okkulte Wahrheit dieser sogenannten Achten Sphäre 218 wird von östlichen und westlichen Okkultisten umkämpft, so von dem englischen Theosophen Sinnet in seinem Buch „Der Geheimbuddhismus“, um einerseits den Christusimpuls, andererseits die Lehre der wiederholten Erdenleben zuzudecken. Rudolf Steiner hat diese falsche oder einseitige Auffassung der Achten Sphäre energisch zurückgewiesen und in seinen Vorträgen über „Die okkulte Bewegung des 19. Jahrhunderts“ korrigiert. Nicht, wie Sinnet es darstellt, ist der Mond die Achte Sphäre, sondern dieser ist dadurch, dass ihm von Jahwe eine derbere Materialität gegeben wurde, gerade der heilende Impuls gegenüber der Achten Sphäre. In der Geheimwissenschaft wird mit der Achten Sphäre alles bezeichnet, was aus den sieben Entwicklungsstufen der Erde herausfällt. Wir stehen in der Erdenentwicklung in der vierten Sphäre, der die drei Sphären der Saturn-, Sonnen- und Mondenentwicklung vorausgehen, so wie ihr drei weitere Sphären der Jupiter-, Venus- und Vulkanentwicklung folgen werden. Was nicht in diesen sieben Sphären sein Entwicklungsziel erreicht, das fällt aus der normalen Entwicklung heraus und bildet die Achte Sphäre, die Sphäre der die Erdenentwicklung bekämpfenden retardierenden Mächte. Nun findet ein Kampf statt zwischen den Elohim (Geistern der Form) als den Führungsgeistern der Erde und den luziferisch-ahrimanischen Mächten beim Übergang von der dritten zur vierten Sphäre, also vom alten Monde zur Erde. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass zur freien Heranbildung der menschlichen Intelligenz die wässrige Mondensubstanz sich verfestigen musste zur mineralischen Substanz der Erde. Denn nur auf der Grundlage des Mineralischen, wie es auch im Gehirn wirkt und die Grundlage für unser Denken bildet, kann sich der Intellekt entwickeln und der Mensch zur Freiheit gelangen. Dies aber wollen die retardierenden Mächte verhindern, indem sie die menschliche Evolution an die alte Mondenstufe im Sinne des atavistischen Hellsehens binden wollen.

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Etwas, das übrig bleibt, wenn sich die Siebenheit vollendet hat.

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Die halten für sich etwas von der Mondsubstantialität zurück. Darin haben wir ihr Wesentliches zu sehen, dass sie etwas zurückhalten von der Mondsubstantialität. Das entreißen sie gleichsam den Geistern der Form. Es kommt also, indem die Sphäre Drei weiterschreitet, hinzu, dass den Geistern der Form etwas entrissen wird von Luzifer und Ahriman. In diesen Teil, der da entrissen wird den Geistern der Form, kommen jetzt, statt der Geister der Form, Luzifer und Ahriman hinein. Die kommen ... dazu, und dadurch entsteht Acht aus Drei... Statt dass aus dem übrig gebliebenen Mondhaften eine Erde entsteht, wird ein Weltkörper geprägt, der dadurch entsteht, dass in das vom Monde Herübergekommene das der Erde substantiell Entrissene hineingebracht wird. [64, S. 86] Dadurch kommt eine Mondenwiederholung zustande, eine Art gespenstische unrechtmäßige Verdichtung von Imaginationen, die hinter der Erde leben und den Menschen zurückziehen in das mondenhafte Hellsehen.

Wir sind also eingespannt in eine Welt von verdichteten Imaginationen, die dadurch nur keine mondhaften Imaginationen sind, dass sie durch das Material der Erde verdichtet sind. Das aber sind die Gespenster, das heißt, hinter unserer Welt ist eine Welt von Gespenstern, geschaffen von Luzifer und Ahriman. [64, S. 87] So ist in unsere Erdensphäre eingeschlossen eine Mondensphäre, eine unrechtmäßige Achte Sphäre, die gegen die fortschreitenden Geister agiert.

Daraus aber entsteht die Notwendigkeit, dass um jedes substantielle Teilchen, das zum Mineralischen werden kann, die Geister der Form auf der Erde kämpfen müssen, damit es ihnen nicht entrissen wird von Luzifer und Ahriman und in die Achte Sphäre hineingebracht wird... Also, wir sind selber durchdrungen davon. Luzifer und Ahriman kämpfen gegen die Geister der Form, und uns soll überall entrissen werden mineralische Substanz. [64, S. 87] Dieser Kampf spielt sich besonders in unserem Denkorgan, dem Gehirn ab. Es geht bei diesem Kampf um des Menschen Freiheit.

Luzifer und Ahriman haben das Bestreben, gerade des Menschen freien Willen hereinzuzerren in ihre Achte Sphäre... Das heißt: Der Mensch ist fortwahrend der Gefahr ausgesetzt, dass ihm sein freier Wille entrissen und hineingezerrt werde in die Achte Sphäre. [64, S. 93] Das geschieht, wenn visionäres Hellsehen auftritt:

In dem Augenblick, wo der freie Wille umgewandelt wird zu visionärem Hellsehen, ist dasjenige, was sich im Menschen entwickelt, ein Beutestück von Luzifer und Ahriman, und wird für die Erde dadurch zum Verschwinden gebracht. Daraus können Sie sehen, wie durch die Bindung des freien Willens gleichsam die Gespenster der Achten Sphäre geschaffen werden. Fortwährend sind Luzifer und Ahriman damit beschäftigt, den freien Willen des Menschen zu binden und ihm allerlei Dinge vorzugaukeln, um dann das, was der Mensch daraus macht, ihm zu entreißen und in der Achten Sphäre verschwinden zu lassen. Und das, was der Naiv-Gläubige an allerlei Hellsehen entwickelt, ist oftmals so, dass da ihr freier Wille hineinimprägniert wird. Dann schafft es Luzifer gleich hinweg, und während die Menschen dann etwas von der Unsterblichkeit zu erreichen glauben, ist die Wahrheit diese, dass ein Stück oder ein Produkt des Seelenwesens herausgerissen und für die Achte Sphäre präpariert wird. [64, S. 93] 213

Wem treten da nicht vors Seelenauge die großen politischen Bestrebungen des 20. Jahrhunderts, die den Menschen zur Masse degradieren und durch Vorgaukelung nationaler Machtziele, die aus dem Blutrausch hervorgeholt werden (wie in den luziferischen Idolen des Nationalsozialismus), seinen Willen in Bann schlagen, sodass er eine Beute wird dieser Achten Sphäre! Gog und Magog haben nicht nur das kulturelle Erbteil der Mitte Europas verschlungen, sie sind auch im Osten wirksam, um die slawische Volksseele ihrer Zukunftsaufgabe zu entreißen, sodass der teuflische Plan der Gegenmächte gelingen würde, die Erdenentwicklung in die Achte Sphäre hineinzuziehen und verschwinden zu lassen! Als Gegengewicht gegen diese Vervisionierung, wie sie ja auch von Asien aus heute in vielen okkulten Bestrebungen das Abendland überflutet, hat Jahwe das Opfer gebracht, sich mit dem Monde zu verbinden. Von dort aus führte er seinen Kampf gegen die luziferischen Mächte, indem er in den Generationen des Blutes und der Vererbungsströmung weisheitsvoll wirkte. Heute jedoch hat er sich daraus weitgehend zurückgezogen, sodass das Gebiet der Fortpflanzung nicht mehr von der Weisheit Jahwes gelenkt wird. Die sexuellen Orgien und Ausschreitungen, die den Menschen in einen sinnlosen Rausch versetzen, können uns dies bestätigen! Das Gegengewicht gegen diese teuflischen Verführungen ist die Liebe. An diesem Punkt muss eingesetzt werden, um das Weltengleichgewicht herzustellen. Gerade in unserem Jahrhundert wird alles davon abhängen, wie weit wir diesen Impuls, durch den der Christus spricht, zur Überwindung des „Achten Königs“, „der auch zu den sieben gehört“, zur Wirksamkeit bringen. So sehen wir, wie in diesen „Königen“, auf denen das Weib thront wie auf sieben Bergen, die Geister der Hindernisse vor uns stehen, welche die Aussicht auf die Schwelle der geistigen Welt versperren, um die Menschheit in den Abgrund der Achten Sphäre hinabzuziehen, in der sie verhärtet und in den 10 Hörnern verhornt. Im Bilde des Tieres mit den 7 Köpfen und 10 Hörnern, den ins Materielle verhärtenden ätherischen Organen, steht die in die luziferischen Feuersümpfe gefallene Menschheit vor uns. In Hass und Feindschaft wird die in der Leidenschaft entartete Menschheit im Kampf entbrennen, nicht nur gegen das geistige Christusprinzip, sondern auch gegen die Hure Babylon, mit der sie sich verbündet hat. Die Wasserströme, die du siehst, auf denen die Hure sitzt, sind die Rassen und die Massen und die Völker und die Sprachen. Und die zehn Hörner, die du siehst, und das Tier, sie werden einmal in Hass gegen die Hure entbrennen und werden bewirken, dass sie vereinsamt und entblößt dasteht. Sie werden ihr Fleisch verzehren und sie im Feuer verbrennen. (Off. 17, 1516) Das Reich des Tieres zerfällt also von innen heraus. Man sagt ja im Volksmund auch: „da steckt der Wurm drin“, wenn man andeuten will, dass in einer Sache oder menschlichen Beziehung der gesunde Kern angefressen und vergiftet ist. Aus solchen Bildern spricht eine tiefe Wahrheit. Nur was nicht vom luziferischen Schlangengold oder der ahrimanischen Machtgier angefressen ist, sondern was sich in seinem innersten Wesen davon frei und rein halten konnte, ist dem Reiche des Tieres nicht verfallen und seinen „Fangarmen“ nicht ausgesetzt. Überall erstrecken sich seine Fangarme gleich „Saugnäpfen“, wie „ sie von Francesco Traini im Campo Santo zu Pisa im „Triumph des Todes“ und dem „Jüngsten Gericht“ dargestellt sind. Die suggestiv-magische Kraft, die als Anziehung von dem gehörnten Satan ausgeht, ist durch Saugnäpfe an der Brust des Satans dargestellt, womit er

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sich einsaugt in die Seelen der Menschen. Diese „Saugnäpfe“ sind heute besonders zahlreich und umso gefährlicher, da sie unter oft recht unschuldigen Masken getarnt sind. Günther Schwab gibt in seinem Buch „Der Tanz mit dem Teufel“ ein gutes Bild von den Verstellungskünsten, mit welchen die luziferisch-ahrimanischen Dämonen den Menschen zu umgarnen und in ihren Bereich hineinzuziehen wissen, ohne dass sie sich dessen bewusst werden. Unter dem Schlagwort des „Fortschritts“, unter der Autosuggestion des „Fortschrittswahns“ verfällt man jeder Illusion, die uns diese Dämonen vorgaukeln, ohne zu sehen, wie nicht nur die Seele des Menschen verarmt, sondern wie auch die Erde in ihren Elementen immer mehr verseucht, verunreinigt und unbewohnbar für das Menschengeschlecht wird. Damit aber hätte Ahriman, der „Fürst dieser Welt“, sein Ziel erreicht: Die Seelen von der Erde zu vertreiben, und nur die galvanisierten Hüllen, wie ausgepresste Zitronen, in sein Reich zu bannen – die entgeistigte Erdenschlacke! Die große Enttäuschung, welche die Menschheit überfallen wird, wenn sie das Tier mit den verführerischen Häuptern getäuscht hat, wird den großen Krieg und die Feindschaft der also getäuschten Menschheit gegen die Hure Babylon entfesseln. Der von den Dämonen umnebelte und getäuschte Teil der Menschheit wird zu spät zur Entdeckung kommen, dass in all ihren luziferischen Träumen, die sie verblendet haben, „der Wurm drinnen sitzt!“ Die dramatischen Bilder der Offenbarung Johannis wollen die Menschheit zu dieser Erkenntnis erwecken – bevor es zu diesem Akt einer geistigen Selbsterkenntnis zu spät ist! Darin besteht ihr erzieherischer Wert. Den großen Schlussakkord des Sturzes Babylons bildet der starke Engel, der einen großen Mühlstein in das Meer wirft: So wird mit einem Wurf Babylon, die große Stadt, gestürzt. Niemals steigt sie wieder empor. (Off. 17,21) Niemals wird mehr die Stimme der Harfenspieler, Sänger, Flötenspieler und Bläser in dir tönen – keine Arbeit, welcher Art sie auch sei, wird mehr in dir verrichtet werden. – Deine Kaufleute waren die Großen der Erde. Mit deinem Zaubertrank haben sie alle Völker der Erde verführt. In dir ist das Blut der Propheten und Heiligen geflossen und das Blut aller derer, die auf Erden als Opfer gefallen sind. (Off. 17,22) Das Wort des Christus geht hier in Erfüllung: „Wehe dem, der dem aufkeimenden inneren Menschen schadet. Ihm wäre besser, es würde ihm ein Mühlstein um den Hals gelegt und er würde in das Meer versenkt, wo es am tiefsten ist.“. (Mt. 18,6; Lk. 17,2) 219 Man muss bei diesem Bilde die ganze Schwere erleben, die Schwere der Erde, die uns in den Abgrund hinabzieht durch alles, was an Gedanken, Gesinnungen und Handlungen ausgeht von denen, die den Geist negieren oder ihm entgegenwirken: Dann bekommen wir einen realen Eindruck von den in den Abgrund führenden Kräften. Mit jedem dieser geistlosen, geistfeindlichen und lieblosen Gedanken verstärken wir nicht nur die zum Abgrund führende geistige Schwerkraft der Erde, sondern löschen damit die Auferstehungskraft des Christus aus, sodass wir damit die Erde den Christusgegnern überliefern, deren ganzes Sinnen und Trachten es ist, die Erde auszulöschen und zu vernichten, damit sie ihre Aufgabe nicht erfüllen kann: die Grundlage zur Erreichung des Ziele der Menschheitsentwicklung bis ans Ende zu sein! – Das ist die große Eventualität, die heute auf dem Spiele steht. 219

Luther übersetzt: Wer aber ärgert dieser Geringsten einen, die an mich glauben, dem wäre besser, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehänget würde und [er] ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist. – Es wäre ihm nützer, dass man einen Mühlstein an seinen Hals hänget und würfe ihn ins Meer, als dass er dieser Kleinen einen ärgerte.

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Der Sturz des Tiere und des falschen Propheten Bei diesem Stur haben wir es nicht nur mit menschlichen Verirrungen zu tun, sondern schon mit Übermenschlichen Kräften und Wesen. Blicken wir noch einmal zurück zum Ausgangspunkt der Betrachtung dieses Kapitels. Wir sahen, dass der Ausgangspunkt für die menschlichen Verirrungen in den babylonischen Mysterien zu suchen ist, wo durch den medialen Schwellenübergang das menschliche Ich soweit ausgelöscht wurde, dass unkontrollierte, dämonische Geistwesen in die menschlichen Hüllen schlüpfen konnten, die die Leiber der Menschen korrumpierten und von sich besessen machten. Je mehr in den nachchristlichen Zeiten das Ich zum Bewusstsein und zur Herrschaft gelangte, umso mehr hängt alles davon ab, welche „Geister“ der Mensch in sich aufnimmt oder wie man sagt: Wes Geistes Kinder wir sind! So tritt der Christus den „Donnersöhnen“ (den Söhnen des Zebedäus – Johannes und Jakobus) mit den Worten entgegen: Wisset ihr nicht, wes Geistes Kinder ihr seid? (Lk. 9,55), als sie über die Bewohner des Grenzlandes den Zorn Gottes beschwören, weil sie ihnen den Durchgang verweigern. Zur Zeit des Christus Jesus war es bekannt, dass Geistwesen von dem Menschen Besitz ergreifen konnten, wovon die bekannten Dämonenaustreibungen in den Evangelien Zeugnis ablegen. Im Zeitalter der aufgeklärten Wissenschaft lächelt man über diesen Aberglauben, ohne zu ahnen, wie wir heute in unserem materialistisch-technischen Zeitalter von Dämonen umgeben sind, denen die Menschheit reichliche Nahrung gibt! Das ist die zweite Stufe, die sich heute erfüllt. Das beste Beispiel, um was es sich bei diesem zweiten Sturz des Tieres und seines falschen Propheten handelt, kann uns die politische Bewegung des Nationalsozialismus bieten, die zur Macht kam, als das Tier im Jahre 1933 das Drachenhaupt aus der unterirdischen Versenkung emporhob – worauf Rudolf Steiner bereits zehn Jahre zuvor hingewiesen hatte. 220 Das Tier aus dem Abgrund brach hervor. Wir können in ihm bereits den Sonnendämon erkennen, der seine Vorboten sendet. Daher war seine Wirkung eine so große, daher vermochte er die staatlichen Vertreter und Führer der Kirchen, der Wissenschaft und des ökonomischen und sozialen Lebens in so großem Umfange zu umnebeln und seine suggestive Macht einzufangen! Hier erfüllt sich zum ersten Mal das Zeichen des Tieres, von dem es in der Apokalypse heißt, dass niemand kaufen oder verkaufen kann, der nicht das Zeichen des Tieres an sich trägt. (Off. 13,17) Dies kann wörtlich genommen werden, wie es ja auch im Zeichen des Hakenkreuzes geschah, das durch die Umkehrung des Swastika-Symbols, des alten Sonnenrades, in den antichristlichen Charakter der Gegenmächte verwandelt wurde.221 220

1933, meine lieben Freunde, bestünde die Möglichkeit, dass die Erde mit allem, was auf ihr lebt, zugrunde ginge, wenn nicht die andere weise Einrichtung da wäre, die sich nicht errechnen lässt. Es ist so, dass die Berechnungen nicht mehr stimmen können dann, wenn die Kometen andere Formen angenommen haben. Man müsste im Sinne des Apokalyptikers sagen: Ehe denn der ätherische Christus von den Menschen in der richtigen Weise erfasst werden kann, muss die Menschheit erst fertig werden mit der Begegnung des Tieres, das 1933 aufsteigt. (S. 239 f.). Vgl. hierzu Johann Joseph von Littrow: „Über den gefürchteten Kometen des gegenwärtigen Jahres 1832 und über Kometen überhaupt“, Wien 1832: Erst im Jahre 1933 fällt die Sonnennähe des Kometen auf den letzten ... Dezember, wenn er nämlich seine bisherige Umlaufszeit von 6 ¾ Jahren unverändert beibehält. Allein die großen Störungen, welch der Komet während dieser langen Zeit von den Planeten, vorzüglich dem Jupiter, erleidet, werden bis dorthin die Elemente seiner Bahn so sehr geändert haben, dass auch dann leicht alle Gefahr für die Erde ungemein vermindert, wenn nicht ganz vernichtet werden kann. [GA 346, S. 23 f.] – Littrow spricht nur über die physischen Auswirkungen eines eventuellen Kometeneinschlags; Steiner erwähnt auch, was zusammen mit der Annäherung eines Kometen an die Erde übersinnlich geschieht. 221 Dies ist nicht korrekt. Aus Tibet, Indien, Italien, Dänemark und vielen anderen antiken oder noch bestehenden Kulturen ist die Swastika in der Form gebräuchlich, wie sie im 3. Reich verwendet

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Nicht, als ob die antichristliche Bewegung des Nationalsozialismus schon die Erfüllung des Sorat-Dämons darstellt – wir wollen nicht in denselben Fehler verfallen, den wir erst gerügt haben und die Apokalypse auf eine politische Ebene herabziehen; aber die sozialen und politischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts, wie der Bolschewismus und der Faschismus, geben ein Beispiel für den pervertierten Schwellenübergang nach dem Ablauf des KaliYuga, der uns zeigen kann, wie die Menschheit, von ahrimanisch und luziferisch besessenen „Führern“ verführt, in den Abgrund der untersinnlichen Dämonie hinabgerissen werden kann, wenn sie die michaelische Orientierung verliert, um diese Schwelle im Zeichen der michaelischen Christusmächte zu überschreiten. Wenige Menschen vermochten das luziferische „Schlangengeschmeide“ zu durchschauen, das verführerisch die Massen blendete und verlockte, und sich dem Griff des Drachens zu entziehen, der durch den Rausch entfesselter Blutsdämonen die Seelenpforten geöffnet fand, worin er seinen Wohnplatz aufschlagen konnte. Auch darin hat sich das Wort des Apokalyptikers erfüllt, wonach der zweigehörnte Drache bewirkt, dass die Erde und ihre Bewohner das luziferische Tier, das aus den astralischen Fluten des Meeres emporsteigt, anbeten. Es führt die Bewohner der Erde irre durch die Geistestaten, die es zu vollbringen vermag vor dem Angesicht des ersten Tieres. Und es bewirkt durch seine Worte, dass die Erdenmenschen dem Tiere, das die Schwertwunde trägt und doch am Leben geblieben ist, ein Bildnis errichten. Es sorgt auch dafür, dass dem Bildnis des Tieres geistige Kraft innewohnt und dass es sprechen kann. Das tut es, damit alle, die das Tier anbeten, den Tod finden. Weiterhin bewirkt es, dass alle, Kleine und Große, Reiche und Arme, Freie und Unfreie, sich ein Zeichen auf ihre rechte Hand oder ihre Stirne machen. Es soll keiner kaufen oder verkaufen können, wenn er nicht den Namen des Tieres als Zeichen oder Zahl an sich trägt. (Off. 11)

Die Zahl des Tieres – 666 – hat sich darin schon angekündigt. Und zwar in der Vorbereitung zu ihrer dritten Wiederkehr: 1998 in dem Phänomen der Besessenheit. Beim zweiten Sturz des Tieres und des falschen Propheten geht es nicht nur um menschliche Verirrungen, sondern um übermenschliche Geistgewalten. Bei Jedem Sturz geht es darum, dass ein übermenschliches Potential aus einer Übersinnlichen Sphäre, aus der se seine Kraft schöpft, herabgestürzt wird in eine tiefere Sphäre, wodurch ihm ein Teil seiner Vollmacht geraubt wird, wie es im Sturz der „Drachemächte „ durch Michael geschieht (Off. 12). Die Drachenmächte verlieren ihre geistige Vormachtstellung und werden in die irdische Sphäre herabgestürzt, wo sie von jetzt ab in den Köpfen und Herzen der Menschen ihren Wirkensbereich aufschlagen. Bei jedem Sturz wird eine geistige Kraft frei, die Michael Raum gibt für sein Wirken, doch zugleich werden dadurch die Erdenmenschen in den Wirbel des Trichters, der nach unten sich öffnet, mit hineingerissen und hinabgezogen, da die Dämonen so viel als möglich in ihren Sturz mit hinabreißen. So haben wir es bei jedem dieser Abstürze stets mit einem Doppelten zu tun: mit einer Reinigung und Befreiung einer geistigen Sphäre und mit einem Absturz in untersinnliche Abgründe, in welche die Menschen mit hineingerissen werden, welche den Dämonen ihre Seelen geöffnet haben. Die Frage ist hier: wie weit die menschlichen Opfer in ihrem geistigen Wesensteil davon mitbetroffen sind. Vom geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkt müssen wir hier die von den Dämonen betroffenen menschlichen Wesensglieder unterscheiden. Beim ersten Absturz, des Falles Babylons sind es zunächst die Hüllen der menschlichen Leiber (ätherisches und physisches Phantom), die ausgeschaltet und nicht mehr für die fortschreitende Entwicklung brauchbar sind. Beim zweiten Sturz des Tieres, und des falschen Propheten werden die Seelen (Astralleib) schon selber in den Abgrund mit hineingerissen und aus der Evolution ausgeschaltet. Beim dritten Absturz erstreckt sich der Eingriff der Widersachermächte bis in das geistige Wesen, das Ich der Menschen. Denn, wie wir sahen, handelt es sich hier um wurde.

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den Zugriff der Mächte des Sorat, der Teile des Ich dem Menschen entreißt. Die Apokalypse schildert die beiden letzten Abstürze im 19. und 20. Kapitel in den Bildern des Sturzes in die Feuersümpfe, aus denen die Schwefelflammen hervorschlagen: Die luziferischen Mächte, die sie verführt hatten, wurden in die Sümpfe des Abgrundes gestürzt, aus denen die schwefligen Flammen lodern. Dorthin wurden auch das Tier und der falsche Prophet gestürzt. Tag und Nacht haben sie nunmehr Qualen zu erdulden durch alle Zeitenkreise. (Off. 19,20) Was dem Seher sich in solchen Visionen darstellt, ist der Sturz in den Abgrund der Weltentiefen, in welchen alles hinabsinkt, was ausgeschieden werden muss aus der fortschreitenden Weltentwicklung. Dabei zeigt sich der geistigen Bewusstseinsentwicklung, dass die menschlichen Seelen, die aus der Menschheitsentwicklung ausgeschieden werden, trotzdem sie in den Absturz mit hineingerissen werden, noch nicht für immer „verloren“ sind. Sie finden zunächst den Schauplatz ihrer weiteren Entwicklung auf einem „Nebenplaneten“, der aus der Erde ausgestoßen wird und zwar in astralischer Form, da die Erde sich dann schon, nach dem Posaunenzeitalter, zur Astralität verwandelt hat.

Der sechste Zeitraum (das Zeitalter der Posaunenklänge nach dem Krieg aller gegen alle) ist die heruntergestiegene astralische Welt, das heißt die Abbilder, die Ausdrücke, die Offenbarungen davon. Und dann wird die Erde am Ziele ihrer physischen Entwicklung angelangt sein. Dann verwandelt sich die Erde in einen astralischen Himmelskörper. Alles, was an der Erde ist als Wesen, verwandelt sich in einen astralischen Himmelskörper. Die physische Substanz verschwindet als physische Substanz; sie geht in dem Teil, der bis dahin die Möglichkeit gefunden hat, sich zu vergeistigen, über in den Geist, in die astralische Substanz. Also denken Sie wohl: Alle diejenigen Wesenheiten der Erde, welche bis dahin die Möglichkeit gefunden haben, in ihrer äußeren materiellen Gestalt auszudrücken das Gute, das Edle, das Intellektuelle, das Schöne, – die in ihrem Antlitz einen Abdruck zeigen werden des Christus Jesus, die in ihren Worten einen Ausdruck zeigen werden des Christus Jesus, die da tönen werden als tönende Gedanken – alle die werden die Macht haben, das, was sie an physischer Materie in sich haben, aufzulösen, wie laues Wasser Salz auflöst. Alles Physische wird übergehen in eine astralische Weltkugel. Dasjenige aber, was bis dahin es nicht so weit gebracht hat, in dem Materiellen, in dem Körperlichen ein Ausdruck des Edlen, Schönen, Intellektuellen, des Guten zu sein, das wird nicht die Kraft haben, die Materie aufzulösen. Für das wird die Materie bestehen bleiben; das wird sich verhärten in die Materie, das wird behalten materielle Gestalt. Es wird an dieser Stelle der Erdenentwicklung stattfinden ein Aufstieg ins Geistige mit lauter Gestalten, die in diesem Astralischen leben werden und die ausscheiden werden aus sich eine andere materielle Kugel – eine Kugel, welche die Wesen enthalten wird, die unbrauchbar sind für den Aufstieg, weil sie nicht das Materielle auflösen können. [8, S. 166 f.] Sieben Zeiträume werden vergehen, in denen diese besondere astralische Weltkugel herausgetrieben wird, die sich verhärtet hat. Wir haben es auch mit einer astralischen Substanz zu tun, die sich aber verhärtet hat, daher das Tier mit den 7 Köpfen als Ausdruck der in die atlantische Gruppenseele zurückfallenden ätherischen Leibesgestalt und 10 Hörner als Ausdruck der Verhornung der physischen Leiblichkeit. Es ist die entgegengesetzte Kraft, welche diese Scheidung bewirkt, von der, die die Materie zur Auflösung bringt. 218

Was wird die Menschen denn zum Auflösen der Materie fähig machen?

Das ist die Kraft der Liebe, die durch das Christusprinzip gewonnen wird. Die Wesen werden fähig, die Materie aufzulösen dadurch, dass sie die Liebe in ihre Seele aufnehmen. Je wärmer die Seele wird durch die Liebe, desto intensiver wird sie wirken können auf das Materielle; sie wird die ganze Erde vergeistigen, verastralisieren, in eine Astralkugel verwandeln. Aber ebenso, wie die Liebe die Materie auflöst wie laues Wasser das Salz, so wird das Gegenteil von Liebe hinunterdrücken, wiederum durch sieben Stufen alles, was nicht fähig geworden ist, diese Erdenmission zu erfüllen. Das Gegenteil der göttlichen Liebe nennt man den göttlichen Zorn – das ist der technische Ausdruck. Und dieses Wirken des göttlichen Zornes, dieses Hinausstoßen der Materie, wird uns angedeutet in der Apokalypse des Johannes durch das Ausgießen der sieben göttlichen Zornesschalen. [8, S. 167] In einem figürlichen Bilde beschreibt Rudolf Steiner die aus der feineren Substanz sich herausgliedernden harten Teile wie Schalen, wie die Schnecken sie abwerfen.

In dem letzten Zeitraum, dem Zeitraum der Posaunenklänge, würden Sie schon sehen mit hellseherischen Augen, wie die Menschen aus feinen Leibern bestehen, aus durchgeistigten Leibern; und wie diejenigen, die in, sich verhärtet haben das materielle Prinzip, das in sich bewahrt haben, was heute die wichtigsten Bestandteile der Materie sind, und wie das wie Hülsen herunterfallen wird in diese materielle Kugel, die als Überbleibsel sein wird nach diesem Zeitraum, der durch die Posaunenklänge angedeutet wird. [8, S. 168] Es ist, wie wir sahen, eben das entscheidende Problem, ob das, was diesem herunterfallenden „Hülsenschicksal“ unterliegt, nur die verhärteten Hüllen sind, oder auch das seelische und geistige Wesen des Menschen? Der Dichter-Seher Novalis hat in seiner „Hymne“ den durch Liebe bewirkten Transsubstantiationsprozess, der einmal die ganze Welt ergreift und zum Geiste zurückträgt, als großes Liebes-Mahl besungen:

O, dass das Weltmeer Schon errötete, Und in duftiges Fleisch Aufquölle der Fels! Nie endet das süße Mahl, Nie sättigt die Liebe sich. Nicht innig, nicht eigen genug Und so währet der Liebe Genuss Von Ewigkeit zu Ewigkeit. Hätten die Nüchternen Einmal gekostet, Alles verließen sie Und setzten sich zu uns An den Tisch der Sehnsucht, Der nie leer wird. Sie erkennten der Liebe Unendliche Fülle Und priesen die Nahrung Von Leib und Blut. [62] 219

In dieser von göttlichen Ahnungen erfüllten prophetischen Seele erklingen Töne, welche die große kosmische Auferstehung der Erde und des ganzen Weltalls am Ende der Tage vor uns erstehen lassen.

Getrost, das Leben schreitet Zum ewigen Leben hin; Von innrer Glut geweitet, Verklärt sich unser Sinn. Die Sternenwelt wird zerfließen zum goldnen Lebenswein, Wir werden sie genießen Und lichte Sterne sein. [63] Dass mit der Ausscheidung des Nebenplaneten auch menschliche Iche verbunden sind, geht aus einem Hinweis Rudolf Steiners auf jene untermenschliche Bevölkerung hervor, die Ahriman in sein unterirdisches Reich schon einfangen konnte, indem er dem Menschen nach seinem Tode seine „Instinktnatur“ entreißt und ihn dadurch in sein Reich bannt.

Wenn der Mensch während seines Lebens verfallen ist den ahrimanischen Mächten, sodass er seinen Leidenschaften, Instinkten, Trieben ganz hingegeben ist, dass er ein wüster Mensch ist, dann können sie das herausreißen nach dem Tode. Und auf diese Weise gibt es nämlich schon eine ganze Bevölkerung der Erde. Die ist wirklich vorhanden, die ist im Wasser und im Irdischen vorhanden. Und da wartet Ahriman, da warten die ahrimanischen Mächte darauf, dass die Menschen einmal in einer solchen Inkarnation herunterkommen durch ein Karma, das durch die Instinkte, Triebe, Leidenschaften bewirkt wird, dass sie herunterkommen..., dass Menschen in einem bestimmten Erdenleben sagen: „Ich will nicht wieder zurück in die geistige Welt, ich will, nachdem ich meinen physischen Körper verlassen habe“ – aus dem man ja doch wiederum herausgeht zu einem übersinnlichen Leben – „mich verkörpern in einem solchen untersinnlichen Wesen. Dafür bleibe ich dann mit der Erde vereint. Ich wähle, ein untersinnliches Wesen zu sein.“ Und in der Tat, so paradox es klingt (man muss darüber erstaunt sein, weil ja die ahrimanischen Wesen eben außerordentlich klug sind), sie sind immer der Meinung, ... dass sie imstande sein werden, soviel Menschen auf diese Weise hineinzulocken in ihr Geschlecht, dass die Erde sich einmal mit lauter solchen ahrimanischen untermenschlichen Wesen bevölkern werde; und dadurch wollen sie die Erde selbst unsterblich machen, sodass sie nicht zerstäubt im Weltenraum. [65, S. 146 f.] Das sind die beiden Absichten der ahrimanischen Wesen: Die eine geht dahin, die Erde von den Menschen zu entvölkern und sie in ihr Reich zu locken. Dadurch würde die Erde galvanisieren und könnte sich in diesem durch Ahriman permanent gemachten verhärteten Zustand nicht vergeistigen. Die Menschen würden an sie gebannt und als untermenschliche Wesen, die völlig von der Welt ihres Ursprungs, der geistigen Welt, abgeschnürt wären, auf ihr leben. – Die andere Intention läuft darauf hinaus, die Erde verfrüht durch die Erhöhung der Radioaktivität (Atommeiler, Kernspaltung, Verseuchung der Elemente) für die Menschheit unbewohnbar zu machen, sodass das geistige Entwicklungsziel der Erde nicht erreicht werden könnte. Beides läuft auf dasselbe hinaus: Die Erde in den Griff der ahrimanischen Mächte zu bekommen, sodass ein Teil der Menschheit der ahrimanischen Versuchung verfällt und 220

deren Reich als untermenschliche ahrimanische Wesen die Erde allein bevölkert – während der andere Teil der Menschheit „abwandern“ müsste, um auf anderen Planeten ihr Entwicklungsziel zu erreichen. Auf diese Möglichkeit wurde von Rudolf Steiner in den Vorträgen über das „Erwartungsvolle Leben“ hingewiesen. Dass dieser Nebenplanet, der sich im astralischen Zustand als verhärteter Trabant von der Erde trennt, nicht mit seinen verhärteten Menschenseelen endgültig dem „Abgrund“ verfällt, wird daraus ersichtlich, dass aus diesem „Abgrund“, dem Rest der Erde, ein Jupiter-Trabant sich bildet.

Hier wird sich die letzte Möglichkeit bieten, dass besonders vorgerückte Menschen durch ihre starke Kraft eine Anzahl der Heruntergesunkenen zur Umkehr bringen. In der zweiten Hälfte der Jupiter-Entwicklung der Erde werden aus AhasverMenschen, welche das Entwicklungsziel der Erden-Stufe nicht erreichten, weil sie den Christus-Impuls immer wieder durch alle Inkarnationen von sich stießen, die neuen Naturgeister, Elementarwesen dieser Jupiter-Stufe. [5, S. 327]

Der dritte Absturz des Satans Je höher die hierarchische Stufe ist, von der ein Wesen fällt, umso mehr reißt es mit sich in seinem Sturz, umso größere Katastrophen zieht der Sturz nach sich. Nun ist es doch recht problematisch, sich den Sturz Satan-Ahrimans im geisteswissenschaftlichen, das heißt konkret im Sinne eines hierarchischen Wesens vorzustellen, das durch die Hierarchie der Archai (Zeitgeister) wirkt, also eine Stufe höher steht als der Erzengel Michael. Eine gewisse Analogie scheint in dem Sturze der Drachenmächte durch den Sieg Michaels vorzuliegen. Dieser Sturz aus der geistigen Sphäre in die sinnliche Erdenwelt geschah im 19. Jahrhundert und endete 1879 mit dem Sieg der michaelischen Sonnenmächte, wodurch der Durchbruch zur geistigen Welt für das irdische Bewusstsein des Menschen sich vollzog! Hier, bei dem dritten Absturz der satanischen Macht, haben wir es mit einem kosmischen Geschehen von einem noch größeren Ausmaß zu tun. Denn die satanische Macht reicht bis in die kosmischen Planetensphären hinein. Sie er streckt sich damit bis in die überirdischen Sternensphären, die sie in ihren Bann schlagen will, um sie aus den göttlichen Bahnen ihrer „prästabilisierten Harmonie“222 ins Chaos hinabzustürzen – ein Ereignis kosmischen Ausmaßes steht also vor uns, an dessen Beginn wir gegenwärtig schon stehen! Um sich davon eine hinlängliche Vorstellung bilden zu können, muss man ins Auge fassen, dass Michael die kosmische Sternenordnung verwaltet. Er ist der Träger der „kosmischen Intelligenz“, welche die Planetenbahnen von der Sonne aus lenkt und regelt, sind doch die einzelnen Planeten nicht nur unbeseelte physikalische Körper, sondern Schauplätze für geistige Wesen, die gemäß ihren Entwicklungsstufen und ihren Beziehungen zueinander ihre Umkreisläufe und ihre rhythmischen Zeitenzyklen erfüllen. Dadurch wird ein Gleichgewichtszustand hergestellt, sodass sich die Himmelskörper gegenseitig tragen

Ein Ausdruck der leibnitzschen Philosophie ... für die allen Dingen innewohnende Ordnung (soweit nicht das Kausalverhältnis auf sie zutrifft), die Gott so eingerichtet habe, dass ein harmonisches, nämlich paralleles Geschehen ablaufe, ähnlich dem zweier Uhren, die genau einreguliert sind (Uhrengleichnis). – Damit vertritt Leibniz einen starken Determinismus [von Anfang an]. Da beide Bereiche parallel verlaufen, erscheint es uns nur so, [als ob] der eine (z. B. geistige) Bereich auf den anderen (z. B. körperlichen) einwirkt. (Wikipedia) – Diese Bedeutung ist vom Autor möglicherweise nicht beabsichtigt, sondern wohl eher die wörtliche Übersetzung: „im Voraus festgemachte Eintracht“.

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können, ohne von äußeren Stützen getragen zu werden. Würde sich in dieser kosmischen Harmonie auch nur ein Geringes verschieben, so drohte das Ganze ins Chaos zu kommen. Der Mensch hat sich im 20. Jahrhundert nicht mehr darauf beschränkt, seine Herrschaft auf die Erde und ihre Naturreiche auszudehnen. Sein Griff geht ins Weltenall, um dies unter seine Herrschaft zu bekommen. Das zeigt sich an verschiedenen Phänomenen der Raumschifffahrt, Astronautik, wie sie bei den Mondfahrten praktiziert worden sind. Welche Einflüsse davon auf die Meteorologie, die Rhythmen der Jahreszeiten, auf die Bewässerung der Erde ausgehen, auf die Erdenatmung und die ganze ätherische Atmosphäre, entzieht sich noch der „wissenschaftlichen“ Erkenntnis, obwohl die zunehmenden Witterungsumschwünge und Katastrophen mit ihrem hemmenden disharmonischen Einflüssen auf den Menschen ein beredtes Zeugnis ablegen für die dadurch im Kosmos erzeugte Disharmonie. Gerade wenn man sich bewusst ist, dass das Universum nicht nur ein toter physikalischer Apparat ist nach ahrimanisch-technischem Vorbild, sondern ein beseelter und von ätherischen Bildekräften durchpulster lebendiger Organismus, wird man die verheerende Wirkung ermessen, die von dem „Griff der Menschen in das Weltall“ ausgeht!

So steht die ahrimanische Macht, deren Einfluss über die Erde hinaus bis in den Kosmos sich erstreckt, als der bedeutsame Gegner und Widerpart Michaels vor uns. Indem die satanische Macht auf der hierarchischen Stufe der Archai steht, reicht ihre Macht bis in die planetarischen Himmelssphären hinein. Indem sie darauf lauert, durch die Kometen, die das willkürliche, unberechenbare Element im Kosmos bilden, Unordnung in die kosmische Ordnung hineinzutragen, ist Ahriman der große Opponent Michaels, der es sich als sein Verdienst anrechnet, als Träger und Verwalter der kosmischen Intelligenz auch den Menschen durch seine verschiedenen Erdenleben in einem Zusammenhang mit dem Kosmos zu halten.

Hingegen sind es die Anstrengungen und Intentionen der satanischen Macht, die Planeten aus ihren Bahnen zu bringen und mit ihnen die Erde. Und es ist vorauszusehen, dass die ersten Schritte auf diesem Wege der satanischen Macht gelingen werden. Wenn dies eintritt, dann würden die berechenbaren und vorausberechneten Sternenbahnen mit den Rechnungen der Astronomen nicht mehr übereinstimmen! Wir würden einem ungeahnten Chaos entgegen gehen! Nur durch eine starke Spiritualität der Menschen kann dieser Eingriff Ahrimans ausgeglichen werden. – Es scheint hier ein Widerspruch sich zu ergeben. Wir sprechen von den drei Abstürzen der Hure Babylons, dem luziferischen Tier und seines falschen Propheten sowie von Satan – und müssen konstatieren, dass ihr Einfluss und ihre Macht immer größeren Umfang annimmt. Erleben wir es doch, wie die von den Dämonen besessenen Menschen von Jahr zu Jahr zunehmen, wie die von Ahriman gelenkten „wissenschaftlichen“ Experimente der Raumschiffahrt immer bedrohlichere Wirkungen auslösen usw.

Wie ist dieser Machtzuwachs mit einem Sturz dieser menschlichen und übermenschlichen Wesen zu vereinen? Vielleicht kann uns ein Beispiel hier einen Schritt weiterhelfen! Es scheinen auch hier bestimmte Grenzen gesetzt zu sein – Grenzen, die wie die Naturgesetze gezogen sind. Nach menschlichen Berechnungen konnte dem sich über die Erde ausbreitenden „Reich des Tieres“ niemand einen Halt mehr bieten und eine Grenze setzen! Und doch, als es in seiner Machtentfaltung an einen Kulminationspunkt gekommen war, war auch der Punkt seiner äußersten Kraft überschritten – es brach zusammen. Und wie war es mit all den großen Satrapen, Diktatoren, Cäsaren der asiatischen Reiche bis zur jüngsten Vergangenheit des zu einer Weltmacht sich aufblähenden „tausendjährigen Reiches“ des Faschismus? – Wiederholt sich nicht immer wieder das gleiche, wie es Nebukadnezar, dem großen Weltherrscher Babylons, geschah? Erscheint nicht im Augenblick des größten Triumphes, wo alle dem Dämon zu Füßen liegt, der selbst die goldenen Tempelgeräte geraubt hat und nicht davor zurückschreckte, das Heiligtum zu schänden, von unbekannter Hand die geisterhafte Schrift an der Wand: Mene mene tekel

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uparsin! 223 Und erfolgt nicht im selben Augenblick schon der Sturm, der Sturz in die Tiefen des Abgrundes?! Dies scheint ein Weltgesetz zu sein. Ein ehernes Gesetz Gottes, ein unübertretbares Gesetz der geistigen Welt! Dieses unantastbare Gesetz: „bis hierher und nicht weiter!“ geht wie ein Grundakkord durch die ganze Apokalypse. Es macht sich in allen geschichtlichen Ereignissen geltend – vom Turmbau zu Babylon bis zum Sturz der Hure Babylons, von dem Zerfall der großen orientalischen Reiche bis zum Sturz des „Weltreiches“ Hitlers! Wenn die satanische Herrschaft zu den Sternen greift und Himmel und Erde in ihren Bann schlägt, dann erscheint die Geisterschrift des Mene-tekel-uparsin! an der Wand. Das kann unser Trost sein, das sollte unseren Glauben stärken, dass wir in einem von Gott getragenen Kosmos leben, der allen Anstürmen Satans standhält. Allerdings für menschliche Begriffe geht diesem Sturz voran ein Herabsinken des moralischen Barometerstandes bis weit unter den Nullpunkt menschlich gedachter Möglichkeiten. Ohne diesen Tiefpunkt der letzten Verzweiflung – keine Wende; ohne diesen Zusammenbruch aller Hoffnungen – kein rettender Engel. Durch diesen Abgrund führen die „Abstürze“ der dämonischen Mächte. Hier gilt es zu bestehen. Ohne diese harte Prüfung – kein Aufstieg, keine Rettung. Hier ist die, Geduld der Heiligen, die sich bewähren muss! Diese Prüfungen hat Gott den Menschen auferlegt. Erst nach dem dreifachen Absturz kann das Gottesreich Einzug halten. Die Leitmotive als die rettende Hand Gottes sollten in unserer Seele schon leben und vorgebildet werden. Wir haben sie bitter nötig. Denn was den Absturz der Dämonen beschleunigt und was endlich den Sieg des Guten bewirkt, das sind die Gebete der Heiligen, das sind die helfenden Gedanken, die Meditationen derer, die dem Geist ergeben sind. Was als Leitmotive uns führen kann, dem Ansturm der dunklen Mächte zu trotzen, ihnen Stand zu halten, was als geistige Heilkraft wir ihnen entgegenstellen müssen, um dem Gottesreich zu dienen und seinen Einzug zu beschleunigen, das kann in der göttlichen Weltenordnung der Trinität uns vor Augen stehen:  Die Heilkraft zur Überwindung und Beseitigung der menschlichen Verirrung mit der „Hure Babylon“ = der Heilige Geist, den wir in unsere Gedanken aufnehmen, welche den Grundstein für den Jupiter bilden.  Die Heilkraft zur Überwindung des Tieres und des falschen Propheten und der Besessenheit = die Einwohnung des Christus.  Die Heilkraft zur Überwindung Satanas = die Treue zur Vaterordnung im Sternenall, die wir in der Treue zur Sonnen-Intelligenz Michaels bewahren.

223

König Belsazar machte ein herrliches Mahl seinen tausend Gewaltigen und soff sich voll mit ihnen. Und da er trunken war, hieß er die goldenen und silbernen Gefäße herbringen, die sein Vater Nebukadnezar aus dem Tempel zu Jerusalem weggenommen hatte..., und der König, seine Gewaltigen, seine Weiber und Kebsweiber tranken daraus. Und da sie so soffen, lobten sie die goldenen, silbernen, ehernen, eisernen, hölzernen und steinernen Götter. Eben zu derselben Stunde gingen hervor Finger wie einer Menschenhand, die schrieben, gegenüber dem Leuchter, auf die getünchte Wand in dem königlichen Saal; und der König ward gewahr der Hand, die da schrieb. Da entfärbte sich der König, und seine Gedanken erschreckten ihn, dass ihm die Lenden schütterten und die Beine zitterten... Da ward Daniel hinein vor den König gebracht. Und der König sprach zu Daniel: „... Von dir aber höre ich, dass du könnest Deutungen geben und das Verborgene offenbaren. Kannst du nun die Schrift lesen und mir anzeigen, was sie bedeutet...?“ – Da fing Daniel an und redete vor dem König: „... Das aber ist die Schrift, allda verzeichnet: Mene, mene, tekel, uparsin. Und sie bedeutet dies: Mene: Gott hat dein Königreich gezählt und vollendet. Tekel: Man hat dich in einer Waage gewogen und zu leicht gefunden. Peres: das ist: Dein Königreich ist zerteilt und den Medern und Persern gegeben.“ ... Aber in derselben Nacht ward der Chaldäer König Belsazar getötet. (Buch des Propheten Daniel, Kapitel 5)

223

In dieser dreifachen Hinorientierung zum Geist, zum Sohn und zum Vater, denen wir die Treue in unserem Denken, Fühlen und Wollen bewahren, stärken und vermehren wir die „Gebete der Heiligen“, welche die Überwindung des dreifachen Übels der Widersachermächte beschleunigen helfen, indem sie dem Satan seine gottgewollte Grenze ziehen!

224

Bild 8: Abrecht Dürer, Der Riesenengel mit dem Säulenfuß über Land und Meer, 1498

Und er setzte seinen rechten Fuß auf das Meer und den linken auf die Erde und er schrie mit großer Stimme wie ein Löwe brüllt. (Off. 10,2)

225

14. Das Ende des 1000jährigen Reiches Es ist wohl mit keiner religiösen Vorstellung solcher Missbrauch, bewusst und unbewusst, getrieben worden als mit dem Begriff des 1000jährigen Reiches. Noch im 20. Jahrhundert wurde das Tausendjährige Reich vom Nationalsozialismus okkupiert und für seine glorreiche Herrschaft propagiert. Schon daraus geht die materialistische Verkennung der apokalyptischen Bilder hervor, die von jeher auf rein irdische Geschehnisse zugepasst worden sind. So hat man immer das Tausendjährige Reich der Apokalypse als ein im Sinne des römischen Imperiums gedachtes Herrschaftsreich der glanzvollen Freude und Herrlichkeit sich vorgestellt, als einen paradiesischen Zustand, wo der Drache gefesselt ist und die Auserkorenen mit Christus tausend Jahre regieren werden. Auch Peter Morant sieht in dem Tausendjährigen Reich eine Periode der Kirche, worin die römische Kirche ihre glanzvolle Macht ausbreiten wird, was sich ja vor allem auf Erden verwirklichen muss. Er charakterisiert diese Entwicklung folgendermaßen:

Es handelt sich [bei den Teilnehmern am Tausendjährige Reich] hier nicht bloß um die Seligen im Himmel, sondern wie Augustinus ausdrücklich betont (Gottesstaat 20,9) sind darunter sowohl die noch Lebenden wie die Verstorbenen zu verstehen; denn schon die Lebenden herrschen mit Christus auf verschiedenste Art, zum Beispiel durch die Macht des Gebetes (vgl. 8, 35), die Beherrschung der Leidenschaften, Begründung einer christlichen Familie, Gestaltung der Welt durch Beispiel, Wort und Tat. Das Reich umfasst also alle Gerechten im Himmel und auf Erden, nicht aber die gottfeindlichen Menschen; noch am Ende gibt es gewaltige christusfeindliche Heere, die zahlreich sind wie der Sand am Meere (V,8). Ort des Reiches: Mit der Bestimmung der Teilnehmer ist auch schon die Frage beantwortet, wo sich das Reich abspielen werde: vorzüglich im Himmel, aber auch schon auf der Erde; es umfasst die vollendete, aber auch die pilgernde Kirche. Dass dieses tausendjährige Reich sich auch auf die Erde erstreckt, ergibt sich schon daraus, dass es im Zusammenhang steht mit der Fesselung Satans. Auf den Himmel könnte diese Beschränkung der dämonischen Macht überhaupt keine Wirkung haben. Wenn „das Lager der Heiligen und die geliebte Stadt“ nicht auf Erden wäre, könnten sie am Schlusse von den gottfeindlichen Heeren nicht angegriffen werden. [1] Die säkularisierende Tendenz, die bei allen religiösen Vorstellungen in der katholischen Kirche eine überwiegende Rolle spielt, um alles übersinnliche Geschehen der Evangelien und der Apokalypse „dingfest“ und handgreiflich zu machen, geht schon aus dieser Auffassung hervor. Während die evangelische Kirche alles zum bloßen Symbol oder Mythos verflüchtigt, greift die katholische Kirche zum Miraculum, um dem Unbegreiflichen, das sich nur dem übersinnlich-geistigen Erleben erschließt, durch das Wunder eine dingfeste Realität zu geben Darin aber manifestiert sich gerade die unhaltbare Lage der christlichen Konfessionen, die den Boden der Erkenntnis einer realen geistigen Welt verloren haben, die früher durch den Glauben ersetzt wurde. Die dadurch hervorgerufene Lage der christlichen Kirchen schildert Emil Bock sehr treffend:

Seit über zweihundert Jahren scheiden sich innerhalb des christlichen Lagers die Geister an der Wunderfrage. Auf der einen Seite diejenigen, die an Wunder glauben, auf der anderen Seite diejenigen, die bestreiten, das sich die Wunder tatsächlich 226

zugetragen haben, sei es, dass sie die Wunder-Erzählungen für fromme Legenden erklären, mit denen die ersten christlichen Gemeinden Christus hätten verherrlichen wollen, sei es, dass sie die Wunder rationalistisch oder symbolisch ausdeuten. Es läuft immer auf eine Leugnung des Wunders hinaus, gleichviel ob man, wie es zu Ende des 18. Jahrhunderts geschah, das Wandeln auf dem Meere dadurch erklärt, dass Christus auf einem den Jüngern unsichtbaren, schwimmenden Balken gestanden habe, und ob man das Wunder von Kana so deutet: Christus habe das Wasser der jüdischen in den Wein der christlichen Religion verwandelt, oder ob man das Wandeln auf dem Meer und das Wunder bei der Hochzeit zu Kana überhaupt als Legenden abtut. Als Aberglauben empfinden die Kritiker die Stellung derer, die an den Wundern festhalten. Als Unglauben empfinden umgekehrt diese die Stellung der Kritiker. [31] Man kann die unruhige Sorge derer verstehen, die an den Wundererzählungen in der alten Art festzuhalten versuchen und jedes Antasten derselben als Unglauben empfinden. Denn tatsächlich verliert das ganze Evangelium, wer ein Stück von ihm verliert. Man hat das Evangelium ganz oder gar nicht. – Heute ist der Verlust des Evangeliums und der Bibel für den größten Teil der christlichen Menschheit längst zur Tatsache geworden. Und der Verlust des Evangeliums ist ein Symptom für das Erlöschen der christlichen Vorstellungswelt überhaupt... Der Grund des Widerstreites zwischen den beiden Wunderauffassungen liegt in dem Materialismus der neueren Weltanschauung, der sowohl in der einen wie in der anderen versteckt enthalten ist. Er ist die gleiche Fehlerquelle auf beiden Seiten. – Der Materialismus in den Denkgewohnheiten lässt die Frage gar nicht aufkommen, ob das Evangelium einen sinnlichen oder einen übersinnlichen oder wenigstens einen sinnlich-übersinnlichen Vorgang meint, weil man den Begriff eines übersinnlichen Geschehens nicht kennt und sich unter einem solchen nichts vorstellen kann. Zu der Absicht und Wahrheit des Evangeliums dringen wir angesichts der sogenannten Wundererzählungen nur vor, wenn wir den Bann des Materialismus sprengen, uns in ehrlichem Erkenntnisstreben den Begriff realer geistiger Vorgänge erarbeiten und zum Beispiel das Wandeln des Christus auf dem Meer als einen solchen Vorgang, von den schauenden Seelen der Jünger erlebt, erkennen. Die Wunder hören dann auf, im landläufigen Sinne „Wunder“, das heißt Mirakel zu sein. Dafür werden sie aber durchsichtig für eine ganze höhere Welt, die wahrzunehmen etwas unendlich viel Wunderbareres bedeutet als, auf Kosten des Denkens, an „Wunder“ zu glauben. Die sogenannten „Wunder Jesu“ stelle, um ein Wort aus Rittelmeyers Jesusbuch zu gebrauchen, keine Durchbrechung der Naturgesetze, wohl aber das Durchbrechen höherer Daseinsgesetze dar. Mit diesen Worten ist der wahre Grund der Krise des heutigen Christentums ausgesprochen: Er liegt in dem Bewusstseinsverlust einer realen geistigen Welt und deren Gesetzen, die den Hintergrund bildet für die Evangelien sowie die Apokalypse. Da man diese verloren hat, so fehlt auch die notwendige Vorstellung für die Erlebnisse der Jünger, die zum größten Teil sich auf diese übersinnliche Welt beziehen, wie sie überall hereinspielt in den Berichten der Evangelien. Schon im ersten Kapitel des Johannesevangeliums wird der Vorhang zu dieser geistig-übersinnlichen Welt mit den Worten aufgezogen, die der Christus Jesus zu Nathanael spricht: Amen, Amen, ich sage dir: Von nun an werdet ihr die Himmel sich öffnen sehen und die Engel Gottes auf- und niederschweben auf des Menschen Sohn! (Joh. 1,51) 227

Bei der Apokalypse, die ja fast ausschließlich in den hierarchischen Sphären der übersinnlich-göttlichen Welt spielt, ist es unerlässlich, sich bekanntzumachen mit der Wirklichkeit einer hierarchisch geordneten geistigen Welt. Fehlt dieser Hintergrund, so wird man nicht umhin können, ihre Bilder und Geschehnisse materialistisch auszudeuten und sie auf die sinnliche Welt zu beziehen. Das geschieht ja vorwiegend in dem zitierten Buch „Das Kommen des Herrn“ von Peter Morant, wo zum Beispiel die beiden Tiere des 13. Kapitels auf das Römische Weltreich in seiner heidnischen und politischen Bedeutung bezogen werden. Eine solche Interpretation verführt gerade bei der Apokalypse, da die Geschehnisse zum Teil einen sehr anschaulich-realistischen Charakter tragen, auch wenn sie im Übersinnlichen spielen. So kann man sich nicht vorstellen, dass „die Fesselung Satans“ in der geistigen Sphäre stattfindet, denn: auf den Himmel könnte diese Beschränkung der dämonischen Macht überhaupt keine Wirkung haben! Wo aber hat sich denn der Kampf Michaels mit dem Drachen abgespielt, wenn nicht im Himmel (12. Kapitel)? Wird hiermit doch deutlich beschrieben, dass seine dämonische Macht im Himmel gebannt und beschränkt wird! – Aber wo ein lebendiges Gefühl, eine Anschauung für die konkreten Ereignisse und Wesen der geistigen Welt fehlt, ist es auch nicht möglich, sich zu den Urbildern aufzuschwingen, die auch hinter den dramatischen Geschehnissen der Sinneswelt stehen. Dazu aber will uns der Apokalyptiker erziehen. Wenn wir hier im Anschluss an das 13. Kapitel der Apokalypse schon auf das Tausendjährige Reich übergehen, das erst gegen das Ende, im 20. Kapitel, genannt wird, so deshalb, weil die anschließenden apokalyptischen Bilder nur verständlich werden, wenn wir das Urbild des Tausendjährigen Reiches erfassen. Denn es macht sich überall geltend und spielt, richtig erkannt, gerade in unserer Zeit eine große Rolle. Zunächst beginnt das 20. Kapitel mit der Fesselung des Drachens: Und ich sah einen Engel vom Himmel fahren, der hatte den Schlüssel zum Abgrund und eine große Kette in seiner Hand. Und er griff den Drachen, die alte Schlange, welche ist der Teufel und Satan (Luzifer und Ahriman) und band ihn auf tausend Jahre und warf ihn in den Abgrund und verschloss und legt ein Siegel darauf, damit er die Völker nicht mehr verführe, bis die tausend Jahre vollendet wären. Danach wurde er auf kurze Zeit losgelassen. (Off. 20, 13) Das ist die Ouvertüre, die mit dem entscheidenden Ereignis der Fesselung des Drachens einsetzt. Darauf folgt das Bild einer geistigen Erhebung, ähnlich wie die „Versiegelung der 144000“ nach dem 6. Siegel (im 7. Kapitel). Von diesen, die in die göttliche Lebenssphäre aufgenommen werden, sodass sie enthoben sind den irdischen Leiden und Prüfungen, heißt es: „Wer sind diese mit den weißen Kleidern angetan und woher kommen sie?“ Und ich sprach: „Herr, du weißt es.“ Und er sprach zu mir: „Diese sind es, die gekommen sind aus großer Trübsal und haben ihre Kleider gewaschen und leuchtend gemacht im Blute des Lammes. Darum stehen sie vor dem Throne Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel; und der auf dem Thron sitzt, wohnt und waltet unter ihnen. – Sie werden keinen Hunger und keinen Durst mehr verspüren, noch können sie von der Hitze der Sonne oder einem Feuerbrand überwältigt werden. Denn das Lamm in des Thrones Mitte wird ihr Hirte und Führer sein zu den Quellen, aus denen das Wasser des Lebens fließt. Und Gott wird alle Tränen aus ihren Augen wischen.“ (Off. 7,13 ff.)

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Während es sich bei der Versiegelung der 144000, die in die Sphäre des ewigen Lebens erhoben werden und das Siegel der göttlichen Lebenskräfte empfangen (vergeistigter Ätherleib), um die Aufnahme in die himmlische Devachansphäre handelt, wodurch diese Seelen den dämonischen Gewalten der astralischen und irdischen Sphären entrückt sind, handelt es sich im 20. Kapitel um das Aufgerufenwerden jener durchchristeten Seelen, welchen das göttliche Richteramt in der geistigen Welt übertragen wird, um aktiv mit ihrem Rat mitzuwirken bei den Entscheidungen der geistigen Welt. Solche Würde kommt nur Eingeweihten und durch ihre erlangte Reife hockentwickelten Führerseelen zu. In dem Mysteriendrama „Die Pforte der Einweihung“ schildert Rudolf Steiner in dem Geistesführer Benedictus eine solche Seele, die berufen wird, schon während ihres Erdenlebens mit ihrem Rat zu dienen in den Geistessphären.

... „Als auf dem Pilgerpfad der Seele erreicht ich hatte jene Stufe, die mir die Würde gab, mit meinem Rat zu dienen in den Geistessphären, da trat zu mir ein Gotteswesen, das niedersteigen sollte in das Erdenreich, um eines Menschen Fleischeshülle zu bewohnen. Es fordert dies das Menschenkarma an dieser Zeitenwende. Ein großer Schritt im Weltengang ist möglich nur, wenn Götter sich binden an das Menschenlos. Es können sich entfalten Geistesaugen, die keimen sollen in den Menschenseelen, erst wenn ein Gott das Samenkorn gelegt in eines Menschen Wesenheit. Es wurde mir nun aufgegeben, zu finden jenen Menschen, der würdig war, des Gottes Samenkorn in seine Seele aufzunehmen. So musste ich verbinden Himmels-Tat mit einem Menschenschicksal“... [32, S. 68] Aus verschiedenen Vortragszyklen Rudolf Steiners wissen wir, wie in den göttlichen Welten „geistige Konferenzen“ stattfinden, in denen Menschheitsführer und Eingeweihte wie Christian Rosenkreutz aufgerufen werden, wichtige Entscheidungen für die Menschheitsentwicklung zu treffen und so zu Mitarbeitern der Götter erhoben werden. 224 – 224

Gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts fand daher eine jener Konferenzen statt, wie wir sie hier vor einem Jahre kennen gelernt haben, als nämlich im dreizehnten Jahrhundert Christian Rosenkreutz selbst eingeweiht wurde. Diese okkulte Konferenz der führenden Individualitäten vereinigte Christian Rosenkreutz mit jenen zwölf Individualitäten von damals und noch einigen anderen bedeutsamen Individualitäten der Menschheitsführung. Es waren dabei anwesend nicht nur Persönlichkeiten, die auf dem physischen Plan inkarniert waren, sondern auch solche, die sich in den geistigen Welten befanden. Anwesend war bei jener Konferenz auch dieselbe Individualität, die im sechsten Jahrhundert vor Christus verkörpert war als der Gautama Buddha... Einer praktischen Antwort wegen trat daher jene Konferenz [...] zusammen [...]. Wohlvorbereitet war diese Konferenz von Christian Rosenkreutz dadurch, dass der intimste Schüler und Freund des Christian Rosenkreutz der im Geistleib lebende Gautama Buddha war. [19, S. 316 und 320]

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Auch die Griechen wussten um dieses Geheimnis, wie Menschen gewürdigt werden, an den Tafeln der Götter mitzuspeisen. Wehe aber denjenigen, die sich in Hochmut dessen brüsteten oder frevelhaft dabei benahmen! Der Mythos von Tantalus, der aus den olympischen Höhen, wo er mit den Göttern speist, herabgestürzt wird, spricht hiervon. Doch auch in den Mythen anderer Völker finden wir Hinweise von Lieblingen und Auserwählten der Götter, die zu ihnen berufen werden, um mit ihrem Rate ihnen zu dienen. Das war ja das Amt der Eingeweihten in den antiken Mysterientempeln, Zwiesprache zu halten mit den göttlichen Wesenheiten, die durch sie die Menschheit leiten konnten. Das „Richteramt“, das uns jetzt im 20. Kapitel nach der Fesselung des Drachens beschrieben wird, wird jenen Menschen übertragen, die diese Stufe erreicht haben, die man mit einem indischen Namen einen Chela 225 nennt, der seinen Lebensleib vergeistigt hat zum Lebensgeist (Buddhi). Es werden uns hier die Märtyrer genannt sowie die durch ihren Lebenswandel durchchristeten Seelen. Sie sind es, die jetzt aufgerufen werden, um mit Christus tausend Jahre zu herrschen. Das ist die „erste Auferstehung“. Sie sind berufen zu Priestern Gottes und des Christus. Das ist das eigentliche Kernstück des 20. Kapitels, worin uns mit lapidaren Worten das Tausendjährige Reich beschrieben wird. Und ich sah Throne und darauf ließen sich diejenigen nieder, denen das Richteramt übergeben ward. Auch sah ich die Seelen derer, die um des Zeugnisses Jesu und des Wortes Gottes willen enthauptet worden waren, und jene, die weder das Tier noch das Bild angebetet noch das Malzeichen auf ihre Stirn und auf ihre Hand genommen hatten. Diese lebten und herrschten mit dem Christus tausend Jahre lang. Die übrigen Toten leben nicht (oder kamen erst wieder zum Leben) bis dass die tausend Jahre vollendet waren. Das ist die erste Auferstehung. Selig und geisterfüllt (heilig) ist, wer an dieser ersten Auferstehung Anteil hat. Über sie hat der zweite Tod (der Seelentod) keine Gewalt. Sie werden Priester Gottes und des Christus sein und tausend Jahre lang mit ihm die Herrschaft teilen. (Off. 20, 46) Hier steht leuchtend das geistige Urbild des „Tausendjährigen Reiches“ vor uns. Wie aus der ganzen Beschreibung hervorgeht, kann dies Reich nur im Himmel, das heißt in den höheren Sphären der geistigen Welt, sein. (Der katholische Erklärer sagt hierzu Wo diese

Throne aufgestellt sind, im Himmel oder auf der Erde, sagt uns der Seher nicht, deren Standort wird also durch den Wortlaut nicht näher bestimmt. [1])

Der dritte Abschnitt des 20. Kapitels spricht von dem Ende des Tausendjährigen Reiches, als Satan wieder frei wird. Die Folgen dieser Freilassung sind verheerend: Und wenn die tausend Jahre vollendet sind, wird der Satan aus seinem Kerker losgelassen werden. Er wird ausziehen, um die Völker zu verführen in allen vier Regionen der Erde, den Gog und Magog, um sie zum Kriege zu sammeln, ihre Zahl wird wie der Sand am Meere sein. Und sie zogen herauf über das ganze Erdenrund und belagerten das Lager der Heiligen (der geistergebenen Menschen) und die geliebte Stadt. Da aber fuhren Feuerflammen vom Himmel hernieder und verzehrten sie. Die Teufel (die luziferische Macht), die sie verführt hatte, wurden in den Feuer- und Schwefelsee (die Sümpfe des Abgrunds) geworfen, wohin auch das Tier und der falsche Prophet gestürzt wurden. Tag und Nacht haben sie nun Qualen zu erdulden durch alle Zeitenkreise. (Off. 20, 710) Gehen wir zunächst von dem geistigen Urbild aus, der Fesselung des Drachens, womit das Tausendjährige Reich und die erste Auferstehung eingeleitet werden. Man muss sich daran 225

Orientalischer Ausdruck für einen fortgeschrittenen Geistesschüler.

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gewöhnen, die Bilder der Apokalypse, besonders die beherrschenden Urbilder wie „die Frau mit der Sonne bekleidet“ und den „Kampf Michaels mit dem Drachen“, nicht nur als einmalige Ereignisse aufzufassen, die dann in ihrer Einmaligkeit historisch festgelegt werden, sondern als Höhepunkte der Menschheitsgeschichte, die in gewisser Beziehung periodisch wiederkehren und sich im Zeitenwandel stufenweise erfüllen und ihre Vollendung finden. Das geht besonders deutlich aus dem Bild des Kampfes Michaels mit den Mächten des Drachens hervor. Wir sahen wie dieses apokalyptische Bild sich in jeder Michaelherrschaft periodisch wiederholt. Fasst man diese Periodizität ins Auge, so wird uns klar, dass auch das Tausendjährige Reich als eine Periode, da Satanas gefesselt ist, mit solchen sich ablöst, wo Satanas frei ist und eine erhöhte Wirksamkeit in seinen Attacken auf die Menschheit entfaltet. Hier wird uns klar, dass das in der geistigen Welt spielende Urbild der Fesselung und Freilassung der satanischen Mächte, ähnlich wie des Sieges Michaels über die Drachenmächte, seine Konsequenzen in der irdischen Welt als deren himmlische Projektion hat. Denn beide, die himmlische und die irdische Welt, stehen ja in enger Verbindung, wie wir immer deutlicher erkennen werden. Es gibt nicht eine von der irdischen Menschenwelt durch eine Kluft von der geistigen Welt abgetrennte Sphäre, weshalb in die geistig-himmlische Welt die Taten der Widersachermächte, vor allem aber die Wirkungen der Menschentaten sehr real hineinspielen. Der Kampf Michaels gegen die Mächte des Drachens spielt sich also ebenso real in der geistig-himmlischen Welt ab wie die Fesselung des Drachens. Nun hat man von theologischer Sicht, besonders der katholischen Kirche, das Tausendjährige Reich auch nicht als eine quantitativ aufzufassende Geschichtsperiode von tausend Jahren angenommen, sondern als eine qualitative Periode, die unter der Einwirkung Christi steht. Genauer gesagt: das Tausendjährige Reich ist die Kirche.

Das Königtum, das den Gläubigen in der Apokalypse schon des öfteren versprochen wurde, beginnt schon in diesem Leben, es ist somit das Leben der Seligen im Himmel und zugleich das Leben der Heiligen auf Erden, deren „Herrschaft“ vor allem in ihrem Fürbittegebet und in ihrem Einsatz für Christus liegt. Das ist das ungeteilte Königtum der pilgernden und triumphierenden Kirche, eine der Hauptideen der Apokalypse. Diese Herrschaft dauert zunächst 1000 Jahre, also solange als der Drache im Abgrund gefesselt ist. Es ist die ganze Dauer der Kirchengeschichte. Nach deren Ablauf hört ihr Leben nicht auf, es erfährt aber die höchste Vollendung, sobald nach kurzer Freilassung Satan für immer unschädlich gemacht wird und die allgemeine Auferstehung Leib und Seele zur Verklärung führt... Die ganzen 1000 Jahre bilden bloß ein Schema für die Fülle der Zeit (Gal. 4,4) und zeigen die ganze Kirchengeschichte von der Seite der ruhigen Entfaltung und des Friedens... Es sind die Freuden des Seelenfriedens, des guten Gewissens, des Sieges über die Sünde und die bösen Leidenschaften, des Lebens in Christus, vor allem die Freuden der Anschauung Gottes, der Seligen im Himmel. Satan hat durch den Tod Christi seine Hauptmacht eingebüßt, ohne indessen jeden Einfluss auf die Christen zu verlieren. Er geht nach der bildhaften Beschreibung des Heiligen Petrus wohl umher wie ein brüllender Löwe, suchend, wen er verschlinge (1. Petr. 5,8), aber er ist doch an der Kette, er ist bloß für jene gefährlich, die nicht in Christus geborgen sind, die sich ihm freiwillig nähern. – Am Ende der Zeit wird er aber nochmals losgelassen, 231

um alle Nationen zu einem gigantischen Kampf gegen die Kirche zu sammeln. Aber jene Tage werden um der Auserwählten willen abgekürzt; es kommt die Parusie des Herrn... Zusammenfassung: Die Weissagung vom Tausendjährigen Reich steht in ihrer bildhaften Schilderung wohl isoliert da im neutestamentlichen Schrifttum, sachlich ist sie aber kein Fremdkörper; sie stimmt vollinhaltlich mit den anderen Prophezeiungen des Buches überein. Sie ist nichts anderes als ein der johanneïschen Umwelt entnommenes Bild der geistigen Herrschaft der pilgernden und besonders der vollendeten Kirche seit der Verklärung Christi bis zum Ende der Welt. Die Einkleidung ist zeitbedingt, aber von großer Einprägsamkeit und Kraft. [?1] Der heilige Augustinus schreibt zu der Freilassung Satans:

Wenn die messianische Zeit zu Ende geht und Jesu Wiederkunft bevorsteht, soll Satan für kurze Zeit noch einmal Macht entfalten können. Es scheint, dass sich in dieser kurzen Zeit niemand mehr dem christlichen Volk anschließen werde, dass vielmehr der Teufel lediglich mit denen kämpfen werde, die er bereits als Christen antrifft... Trotzdem werden noch Menschen, die draußen stehen, mit der Gnade Gottes zum Glauben kommen. [73, 20/8] Nun stellt man sich diese „kurze Zeit der Entfesselung des Satans“ analog der Stelle von Kapitel 11, 710 der Apokalypse vor, wo die beiden Zeugen, Elias und Moses, 3½ Tage tot auf der Straße liegen müssen. Also etwa 3½ Jahre! 226

Die Freilassung Satans scheint deshalb als letzte Stufe und Züchtigung für die Verblendung der Menschheit und als Fegefeuer für jene zu gelten, für die es wegen der bevorstehenden Parusie keine andere Gelegenheit mehr dazu gibt. [?1] Es ist gut, diese kirchlichen Vorstellungen sich noch einmal ins Bewusstsein zu stellen, um daran zu ermessen, wie der Versuch, die umfassenden kosmischen Bilder der Apokalypse in den festen Rahmen kirchlich-dogmatischer Vorstellung hineinzuzwängen, immer ein unzureichender sein und bleiben muss. Das zeigt sich besonders an der Apokalypse, deren lebendiges Bildergewoge die Grenzen jeden solchen Rahmens sprengen muss. Im Grunde zeigt es sich im ganzen Christentum.

Das Christentum hat als Religion begonnen, aber es ist größer als alle Religion. [2, S. 161] Ohne den Erkenntnishintergrund einer lebendigen Geisteswelt mit ihren Gesetzmäßigkeiten, wie ihn die moderne Initiations-Wissenschaft uns heute erschließt, muss jede Bemühung fruchtlos oder dilettantisch bleiben, die geistigen Geschehnisse in ihrer Urbildlichkeit zu erfassen. Denn erst von hier aus, vor dem Hintergrunde einer konkreten geistigen Welt, die nicht gleich durch die Brille der christlichen Theologie gesehen wird, bietet sich eine Möglichkeit, die übersinnlichen Geschehnisse, die der Apokalyptiker beschreibt, ebenso vorurteilslos und objektiv zu erfassen wie die in einem anderen Dokument, zum Beispiel der Bhagavad Gita, wiedergegebenen Bilder. – Um die menschheitlichen Hintergründe dieses schwierigen Kapitels aus der Apokalypse geistesgeschichtlich von der Entwicklungsstufe der ganzen Menschheitsentwicklung einigermaßen wirklichkeitsgemäß richtig zu erfassen, gehen wir aus von dem Petrusbewusstsein. In ihm spiegelt sich in gewisser Beziehung das Bewusstsein derjenigen 226

Ein Jahr ist wie ein Tag.

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christlichen Bekenner, die dann das „Kirchenvolk“ der Jahrhunderte bis zur Neuzeit bildeten. Wie lässt sich dieses Petrusbewusstsein charakterisieren? – Petrus ist trotz seines ersten Erkenntnisblitzes, den er in Cäsarea Philippi, vielleicht vor dem Augustustempel mit dem Bild und der Inschrift des zum Gott erhobenen Cäsars, hatte, der Mann „ante portas“ 227 geblieben. Im Gegensatz zu Johannes, dem Lieblingsjünger des Herrn, ist er vor der Himmelstüre stehen geblieben, zu der er die Schlüssel empfangen hat. Er ist der machtvolle Fels, der ecclesia von Rom geworden, vor deren Toren er gekreuzigt wurde, mit dem Kopf nach unten, sodass er auf die Stelle blickte, wo heute die Peterskirche steht, ein mächtiges Sinnbild für die Macht und Glorie der Römischen Kirche, die sich auf den Felsen Petri berufen kann. Die Kirche Petri ist ein Abbild des Petrusbewusstseins geblieben. Sie ist vor der Himmelstüre mit ihrem Bewusstsein stehen geblieben, zu der sie den Schlüssel verwaltete. Das war nach dem Abklingen der hellseherischen Reste, die noch in den ersten christlichen Jahrhunderten bei vielen vorhanden waren, der zeitbedingte und zeitgeschichtlich beschränkte geistige Horizont. Daher ist Petrus der zu Recht bestehende geistige Führer, das Haupt der christlichen Kirche in der 4. nachatlantischen Kulturperiode 228. In dieser Zeit war der Glaube die einzige Seelenkraft, die die Menschen mit dem Himmel verband, und Petrus bildete den Felsen als unerschütterliches Fundament für diese Kraft, die nicht im Denken, sondern im Willen wurzelte. Solange der Himmel verschlossen war und die Menschheit, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ante portas der geistigen Welt aus den Glaubenskräften lebte, solange keine neuen Offenbarungen durch die geöffnete Himmelspforte ihr zuflossen, solange blieb die Petrusgemeinschaft von den losbrechenden Mächten des gefesselten Drachens wenn nicht verschont, so doch soweit unbehelligt, dass sie den Weg des Glaubens, getragen und unterstützt vom christlichen Messekultus, beschreiten und fortsetzen konnte. Von diesem Gesichtspunkte kann von einem Schutz und einer geistigen Führung gesprochen werden, in der sich die christliche Gemeinschaft entfalten konnte, trotz aller Auswüchse und Veräußerlichungen der römischen Kirche, die ja dann erst bedenkliche Formen annahmen, als das petrinische Zeitalter mit der 4. nachatlantischen Kulturperiode im 15. Jahrhundert abgelaufen war und die Morgenröte des anbrechenden intellektuellen Zeitalters, der 5. Kultur im Zeichen der Bewusstseinsseele begann. Dieser Übergang machte sich ja vor allem durch die Kirchenspaltung und andere Symptome im Zeitalter des Protestantismus bemerkbar. Man möchte sagen: Es war eine Not-Lösung, von der aufgehenden Bewusstseinsseele bedingt. Die petrinischen Glaubenswurzeln wurden erschüttert, ohne dass ein neuer geistiger Durchbruch sich vollzog. Daher die Streitigkeiten, Unklarheiten und fruchtlosen Diskussionen über den geistigen Kern des Christentums: das Abendmahl. Mit der Abschaffung des Abendmahles im Messekultus und den tragenden Stützen des Sakramentalismus blieb der Evangelischen Kirche nur noch das Evangelium als einziger tragender Boden und Grund ihres Glaubens „das Wort Gottes“. Wie es mit dieser letzten Säule steht, ist genügsam bekannt. Mit dem zunehmenden Intellektualismus musste der Lateinisch für: „vor den Toren“, das heißt: außerhalb der Stadtmauern von Rom, oder: außerhalb des Himmels. Vergleiche Lk 11,52: Weh euch Schriftgelehrten! denn ihr habt den Schlüssel der Erkenntnis weggenommen. Ihr kommt nicht hinein und wehret denen, die hinein wollen. 228 Griechisch-Römische Epoche 227

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für alles Geistige blind gewordene Intellekt des reinen Kopfdenkens die geistigen Hintergründe der Bibel und der Evangelien immer mehr verlieren – bis zu dem Punkte, an dem die evangelische Christenheit (doch auch z. T. die katholische Kirche) heute angelangt ist, wo alle übersinnlichen Erzählungen der Evangelien als ein „Mythos“ erklärt und ausgelöscht werden (vgl. Bultmann S. 19). Damit stehen wir mitten in der Krise der Evangelischen Kirche. Die Katholische Kirche, die noch die Säule des Kultus als tragfähige Kraft besitzt, ist aber auch von den inneren Erschütterungen nicht frei geblieben, weil sie den notwendigen, von der neuen Periode der Bewusstseinsseele geforderten Übergang in die Erkenntnissphäre bisher nicht vollziehen konnte, ohne sich selbst in ihrer petrinischen Konstitution aufzuheben. Heute stehen wir in der Ära eines neuen Jahrtausends, das man als das Johanneïsche Zeitalter bezeichnen kann. Die Morgenröte zeichnet sich im 20. Jahrhundert mit der ätherischen Wiederkunft des Christus ab. Es erfüllt sich von jetzt ab das Wort aus dem Johannesevangelium, das der Auferstandene am See bei Tiberias zu Petrus sagt, nachdem er diesen dreimal berufen hat und dieser sich zu dem ihm folgenden Jüngling wendet, den der Herr lieb hat: „Was soll aber mit diesem geschehen?“ – „Wenn ich will, dass er bleibe, bis ich komme, so stört das deine Wege nicht! 229 Folge du mir nach!“ (Joh. 21,22) Hiermit ist deutlich hingewiesen, dass Johannes bis zur Wiederkehr des Auferstandenen im Ätherlicht warten soll – wenn die Ära des petrinischen Christentums beendet ist. So ist ja Johannes auch nie nach Rom gekommen. Er, der der einzige Eingeweihte unter den Jüngern war (Joh. 11)230, dem die Himmelspforte sich dann auf Patmos öffnete, er blieb Rom gegenüber der Jünger ante portas. Als man ihn gefangen nach Rom führte und vor der Porta Latina (wo heute der Rundbau als Erinnerung steht) in einen Kessel mit siedendem Öl tauchte, blieb er unversehrt. Da gaben ihn die römischen Soldaten, entsetzt und erschüttert, frei, und er kehrte nach Ephesus in Klein-Asien zurück, der Stätte des Logos, so schon Heraklit gewirkt hatte. Dort ist er im Alter von über 100 Jahren gestorben. 231 Damit sind wir an die Pforte des johanneïschen Zeitalters gelangt. Und von hier erschließt sich im Rückblick auf die geistige Menschheitsgeschichte ein Licht der wieder geöffneten Himmelspforte, nachdem die das menschliche Bewusstsein verdunkelnden „Drachenmächte“ durch den Sieg Michaels im 19. Jahrhundert zurückgedrängt wurden. Es ist dies das eigentlich entscheidende Ereignis, das mit der „Fesselung“ der satanischahrimanischen Mächte als Auswirkung des Mysteriums von Golgatha zusammenhängt. Diese vollzog sich in der sogenannten „Höllenfahrt“, als Christus nach seinem Kreuzestode in die Unterwelt in den Hades fuhr, um die Seelen aus dem sie verdunkelnden Todesbann zu befreien, in welchen sie in den Jahrhunderten vor der Christuserscheinung immer mehr gekommen waren, je mehr sie sich mit der Sinneswelt verbanden. 232 Daher der Ausspruch Lieber ein Bettler auf Erden als ein König im Reiche der Schatten .233 – So beklagt die Mutter des Odysseus, als dieser sie aus dem Hades beschwört, ihr Dasein als einen flüchtigen Traum, dem keine innere Wahrheit innewohnt. In dieses abgeblasste Schattendasein, in Andere Übersetzungen haben: Was geht es dich an? Dort wird, als Tod des Lazarus, seine Einweihung geschildert 231 Nach der Legenda Aurea, die in Fußnote Error: Reference source not found zitiert wurde. 232 Vergleiche hierzu das apokryphe Nikodemusevangelium. 233 Ein solches Zitat erscheint mehrmals bei Steiner (z. B. in GA 104a), in GA 109 wird es Achilles zugesprochen. Statt „Reich der Schatten“ steht ursprünglich „Hades“. 229 230

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dem die Verstorbenen immer mehr in den Bannkreis Ahrimans, dem Herrn des Todes, kamen, sodass ihnen „der zweite Tod“, der Tod der Seele, drohte, trug der Christus das Licht eines neuen geistigen Bewusstseins, indem er die ahrimanischen Dämonen bannte. Das ist der tiefere geistige Sinn der „Höllenfahrt“ – die Befreiung der Toten aus dem Bannkreis der ahrimanischen Mächte, die sie umklammert hielten! Ja, darin liegt im Grunde genommen das Mysterium von Golgatha in seiner übersinnlichen Bedeutung begründet, die Seelen aus dem Todesbann Ahrimans zu befreien durch die Lichtgewalt, die von dem durch den Tod unversehrt gegangenen Christus ausging. Dies bildet ja das Grundmotiv des Johannesevangeliums. Hier haben wir also den Schlüssel in der Hand für die Fesselung der Dämonen, wie der Apokalyptiker es im 20. Kapitel beschreibt. Im Lichte der Geisterkenntnis ergibt sich nun ein tief in die geistesgeschichtlichen Hintergründe der Menschheitsentwicklung eingreifendes Bild, das im Alten Testament eine rätselvolle Stelle erklärt, wie sie in der Genesis mit den Worten angedeutet wird, dass die Göttersöhne Gefallen finden an den Töchtern der Menschen aus dem Geschlechte Kains (1. Moses 6,2). Rudolf Steiner sagt hierzu:

Daraus ging ein Geschlecht hervor, das gewöhnlich in den Büchern des Alten Testaments nicht einmal erwähnt, sondern nur angedeutet wird, ein Geschlecht, das nicht für physische Augen wahrnehmbar ist, welches in der okkulten Sprache „Rakshasas“ genannt wird, ähnlich den „Asuras“ der Inder. Es sind das teuflische Wesen, die vorhanden waren und die jetzt verführend auf die Menschen wirken, sodass das menschliche Geschlecht selbst herabkam. Diese „Poussade“234 der Göttersöhne mit den Töchtern der Menschen gab ein Geschlecht, welches verführend wurde für die 4. Unterrasse der Atlantier, die Turanier, und zum Untergange des Menschengeschlechtes führte. Einiges wird hinübergerettet in die neue Welt. Die „Sintflut“ ist die Flut, welche Atlantis vernichtet. Die Menschen waren nach und nach verschwunden... Jetzt muss ich etwas sagen, was Ihnen jedenfalls sehr eigenartig erscheinen wird, was aber unendlich wichtig ist zu wissen, was von einer ganz besonderen Bedeutung ist, was ein okkultes Geheimnis durch viele Jahrhunderte hindurch war für die Außenwelt und was für den Verstand der meisten unglaublich erscheinen wird, aber trotzdem wahr ist. Ich kann Ihnen die Versicherung geben, dass jeder Okkultist sich oft überzeugt in dem, was wir die „Akasha-Chronik“ nennen, ob das so ist, aber es ist so: Diese Rakshasas sind vorhanden; sie sind vorhanden gewesen, aktiv als wirkliche Verführer der Menschen. Sie haben gewirkt auf die menschlichen Leidenschaften bis zu dem Zeitpunkt, wo in dem Jesus von Nazareth der Christus sich inkarniert hat, wo in einer menschlichen Leiblichkeit das Buddhi-Prinzip selbst gegenwärtig geworden ist. Nun mögen Sie das glauben oder nicht – das hat eine kosmische Bedeutung, die hinüberreicht über den irdischen Plan. Die Bibel drückt das nicht umsonst aus: „Christus ist in die Vorhölle hinabgestiegen“. Da waren nicht mehr menschliche Wesen, er hatte es mit geistigen Wesen zu tun. Die Wesen, die Rakshasas, kamen dadurch in einen Zustand der Lähmung und Lethargie; sie wurden gleichsam im Zaume gehalten, sodass sie unbeweglich wurden. Dies konnten sie nur dadurch werden, dass ihnen von zwei Seiten her entgegengewirkt wurde. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht zwei Naturen in Jesus gewesen wären: Auf der einen Seite der alte Chela, der ganz verbunden war mit dem 234

„Liebschaft, Flirt“.

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physischen Plan, der auch auf dem physischen Plan wirken konnte und durch seine Kräfte ihn im Gleichgewicht zu halten vermochte, und auf der anderen Seite der Christus selbst, ein reines Geistwesen. Das ist das kosmische Problem, das dem Christentum zugrunde liegt. Der ganze Okkultismus des Mittelalters strebte danach, die Wirkung der Rakshasas nicht herauskommen zu lassen. Diejenigen, welche auf höheren Planen sehen können, haben schon längst vorhergesehen, dass der Zeitpunkt, wo es geschehen kann, am Ende des 19. Jahrhunderts eintreten kann. [74, 10.6.1904] Aus diesen Zusammenhängen ergibt sich, dass die Fesselung der Dämonen auf das Mysterium von Golgatha und die dadurch bewirkte Höllenfahrt zurückgeht und dass diese Fesselung nur eine zeitbedingte Wirkung hat. Durch die immer stärker werdenden materialistischen Tendenzen im 19. Jahrhundert finden die abgelähmten Dämonen (Rakshasas) nun neue Nahrung, sodass sie wieder sich zu regen beginnen und frei werden. Die volle Entfesselung der satanischen Mächte wird sich allerdings erst am Ende des 20. Jahrhunderts vollziehen, wenn das Prinzip des Sonnendämons, der Sorat, eingreift und wirksam wird. Diese Entfesselung wird sich nicht nur innerhalb von 3½ Jahren, sondern durch die ganze Endzeit der Menschheitsentwicklung auf Erden erstrecken. Dies geht schon daraus hervor, dass die Entfesselung Satans erst am Ende der Apokalypse (20. Kapitel) geschildert wird: Wir müssen uns gewöhnen, die apokalyptischen Zeitangaben „eine kurze Zeit“ nicht mit menschlichen Begriffen, sondern qualitativ aufzufassen. Die uns noch bleibende Endzeit ist, gemessen an der ganzen irdischen Menschheitsentwicklung, immer noch „eine kurze Frist“!

Der dreifache Aspekt des tausendjährigen Reiches Die Schilderung des tausendjährigen Reiches gehört sicher zu den schwierigsten Kapiteln der Apokalypse, da die dort beschriebenen Zusammenhänge von den höchsten Geistessphären bis zu den tiefsten Abgründen sich erstrecken und eine Unterscheidung erfordern, wo die einzelnen Ereignisse sich abspielen, die im 20. Kapitel geschildert werden. Es wird aus der beschriebenen Entfesselung der Dämonen im 19. /20. Jahrhundert auch ersichtlich, weshalb wir es schon hier vorausnehmen, weil die Wirkung der entfesselten Dämonen schon in allen Ereignissen der Gegenwart spürbar wird. Man kann die dramatischen Bilder der Apokalypse nicht nur in ihrem geschilderten Verlauf in der kausalen Folge von Ursache und Wirkung nehmen, sondern nach dem Gesetz, das sich in der übersinnlichen Welt manifestiert, wonach das im zeitlichen Werden viel später erst in die physische Erscheinung tretende Urbild in seiner irdischen Projektion sich bereits viel früher schon bemerkbar macht. Deshalb versagt hier unsere pragmatische geschichtliche Auffassung, die alle historische Entwicklung nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung aufzufassen gewohnt ist. Die Folge einer Ursache in der geistigen Welt kann sich schon viel früher auf Erden zeigen, bevor die geistige Ursache sich dem Bewusstsein enthüllt hat. Bevor wir diese irdische Projektion der Entfesselung des „Drachens“ in unserem Jahrhundert in einigen ihrer charakteristischen Symptome ins Auge fassen, stellen wir die ineinander greifenden, oft sehr verschlungenen Zusammenhänge dieses Kapitels in ihrem dreifachen Aspekt vor uns hin. Den 1. Aspekt können wir als den bis ins Physisch-Leibliche sich auswirkenden VaterAspekt bezeichnen. Er offenbart sich zunächst in der Lähmung und Fesselung der 236

satantisch-ahrimanischen Mächte durch die Auswirkungen des Mysteriums von Golgatha (Höllenfahrt). Wir sahen, dass die beiden christlichen Jahrtausende bis ins 19. Jahrhundert hinein noch unter diesen Wirkungen standen – obwohl man sich hüten sollte, diese Periode einfach als das „Tausendjährige Reiche“ zu bezeichnen. Es ist höchstens eine Folge der noch in einem Bewusstseinsschlaf befangenen Menschheitskultur, eben des Petrusbewusstseins, dem die Abgründe der übersinnlichen Welt noch verschleiert sind. Und damit auch die Tiere aus dem Abgrund. – Der 2. Aspekt ergibt sich aus den übersinnlichen Ereignissen, die in der geistigen Welt als Folge der durchchristeten Menschen sich zeigen. Dieser Sohnes-Aspekt offenbart eigentlich erst das Urbild des Tausendjährigen Reiches. Denn darin besteht eben der Irrtum und die Verkennung dieses Reiches, das es immer wieder auf eine glorreiche irdische Machtentfaltung, sei es der Kirche, sei es politisch-nationaler Verhältnisse, bezogen wird, während es sich als Urbild in der übersinnlichen Welt vollzieht, die der Mensch nach dem Tode betritt. Der dritte Aspekt ist der geistige: Er wird uns als die geistige Auferstehung in jenem Reich beschrieben, in dem sich die Folgen des Mysteriums von Golgatha am reinsten und machtvollsten offenbaren. Hierhin gehört auch das Ordnen der Schicksalsfäden, wo Christus als Ordner des Karmas auftritt. Dieser geistige Aspekt des „Jüngsten Gerichtes“ muss heute beachtet werden. Wir werden ihm näher zu kommen versuchen 18. Kapitel. Hier ist der Ort, wo wir auf einige zeitgeschichtliche Symptome eingehen können, die sich schon heute bemerkbar machen als Folgen der wieder entfesselten Rakshasas, die sehr bemerkbar aus der Ruhe der Unterwelt hervorzudringen begonnen haben. – Will man die Zeitsymptome vom Gesichtspunkt des Apokalyptikers erfassen, so muss man sie auf dem Hintergrunde der character bestiae, des Zeichens des Tieres, erfassen, wie unsere Zeit genannt wird, die im Zeichen des Tieres steht. Und ist hiermit nicht treffend der Charakter unseres materialistischen Zeitalters ausgesprochen, das den Menschen nur bis zum Tiere gelten lässt, seine spezifisch menschlichen Wesenszüge, die im Geistigen wurzeln, jedoch leugnet? Alles was sich in unseren sozialen, ethischen, medizinischen Vorstellungen eingenistet hat, steht unter diesem Zeichen der Weltanschauung des Tieres. Man denke nur an die Euthanasie – die Vertilgung unwerten Lebens. Sie ist zwar erst durch Hitler und sein Regime erstmalig zum Staatsgesetz erhoben, ihre Wurzel reicht aber schon bis ins 19. Jahrhundert, da sie die Konsequenz des praktischen Darwinismus ist. Diese „Weltanschauung des Tieres“ ist aber längst keine theoretische Weltanschauung mehr, sie hat sich im 20. Jahrhundert nicht nur durch die Euthanasie, sondern in der ganzen Entfesselung untermenschlicher Bestialitäten zu verwirklichen begonnen:

Der Mensch nimmt allmählich die Prägung und den „Charakter des Tieres“ an, weil er einem Weltbild huldigt, das ihn nur bis zum Tier hin versteht und für sein eigentliches Menschentum blind ist. Krankheit entsteht, weil der Mensch mit seinem geistig-seelischen Wesen den Leib nicht mehr voll ergreift und durchdringt. Er müsste sonst das in ihm, was ihn vom Tiere unterscheidet, vor allem das Ich als den Geistleib seines Wesens, erkennen und bejahen. So ist, statt dass er der Herr über seinen Leib ist, der Leib sein Quälgeist und Tyrann. [3] Das kann man bei den meisten Zeitphänomenen feststellen, die das Absinken des moralischen Rückgrats auf den verschiedensten Gebieten bemerkbar machen, dass ein Vakuum des Ich die Ursache ist für die Auswüchse, die schon einen dämonischen Charakter angenommen haben. Der character bestiae löscht das Ich aus und wird so zum 237

Eingangstor für Dämonen, seien es luziferische oder asurische Wesen, die den Platz des menschlichen Ichs einnehmen. Das mechanische routinehafte Denken des modernen Menschen, der Denkmaschine des Computer gleich, nivelliert das Geistesleben immer mehr, sodass man von einem ichhaften Urteilen und individuellen Denken kaum noch sprechen kann – alles läuft ganz routinehaft ab. Neuerdings hat man Computer zu Hilfe geholt, um den Denkvorgang genauer beobachten zu können.235 Man hat beobachtet, dass bei intensivem Lernen und Nachdenken ganz bestimmte spindelförmige Zacken auftreten, die sogenannten „Alarmspindeln“. Zugleich zeigte sich, dass die Höhepunkte des Denkprozesses erstaunlich selten sind. Unser Gehirn registriert im Laufe eines Tages insgesamt kaum fünf Minuten solcher aktiven Denktätigkeit. Alles übrige, was man so für „Denken“ hält, geschieht automatisch, ob die Versuchspersonen Briefe diktieren, Maschinen bedienen oder Zeitung lesen – die Wellenlinie bleibt im Leerlauf. Alarmzacken tauchen nicht auf. Die dafür nötige Denkleistung ist für das Gehirn nicht der Rede wert. Nur wenn es bei einer Diskussion heftiger zugeht oder eine Maschine versagte, tauchten plötzlich die spitzen Spindelwellen auf. Bei Autofahrern beispielsweise verläuft die Hirnstromkurve völlig unauffällig. Alles geschieht automatisch und ohne Denkaufwand wie beim Essen oder Spazierengehen. – Dieser mechanische Gedankenablauf schafft die Voraussetzung für die Urteilslosigkeit in der öffentlichen Meinung, die zur Gruppenseelenhaftigkeit des Kollektivs führt, das heißt zur Willenslähmung und Willensohnmacht (vgl. Dr. Bodamer: „Der Mensch ohne Ich“). Jetzt sind wir an dem Punkt angelangt, wo vom mechanischen Kopfdenken das Gefühl und der Wille so weit erfasst sind, dass sie völlig kollektiv, das heißt unindividuell und routinehaft reagieren. Da der Mensch aber keine Maschine ist und auch nicht nur maschinenhaft leben kann, braucht er für das ihn sonst mit geistigen Inhalten erfüllende persönliche Selbst einen Ersatz. Den sucht und empfängt er aus dem luziferischen Pol: Die Rauschsucht, das sexuelle Leben, Sport und Pseudokunst (Kino, Fernsehen) bieten sich als Ich-Ersatz an und binden ihn an die luziferischen Triebe. Man kann dies besonders im Bereich der Rauschsucht (LSD, Haschisch) beobachten, wobei ohne Zweifel Schwellenübergänge zustande kommen, aber ohne das Ich: Das Ich wird dabei ausgeschaltet (psychedelische Kunst). Und dies ist der Angriffspunkt für die Dämonen, die an der Schwelle lauern, um das Ich zu spalten und von sich besessen zu machen. Wir erhalten so nachstehendes Schema, das uns verdeutlichen kann, wie Ahriman durch den routinehaften Intellekt zuerst das bewusste Seelenleben des oberen Pols aushöhlt und enticht; sodass durch das so entstandene Vakuum der „Tiermensch“ des unteren Poles von der Seele Besitz ergreifen kann.236 Die Seelenspaltung, die dadurch entsteht, schwächt, lähmt und „durchlöchert“ die Ewige Individualität und bietet den asurischen Mächten offene Tore zu ihrer Wirksamkeit (Sorat).

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Gemeint ist wohl das EEG. Geisteswissenschaftlich spricht man von einem höheren Menschen (Kopfpol – Denken) und einem niederen Menschen (Gliedmaßenpol – Wollen), die sich während der physischen Verkörperung durchdringen (Rhythmische Organisation – Fühlen).

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Abb. 19: Ahrimanischer und luziferischer Pol Ahrimanischer Pol mechanischautomatenhaftes Denken (Computer) Urteilslosigkeit im Gemüt (öffentliche Meinung) Willensohnmacht = der kollektive Gattungsmensch (Gruppenseele) Schwelle Luziferischer Pol Rauschgiftsucht Sexus-Triebleben Pseudokunst Sport

Positive Heilkräfte Durch geisteswissenschaftliche aktive Denkarbeit wird das Ich gestärkt und füllt sich mit geistigen Inhalten Ich-Vakuum Ich-Erfüllung Imagination Inspiration Intuition

Im Grunde bieten die Gegenmächte dasjenige dem entichten Kollektivmenschen als Ersatz an, was er sich als geistigen Inhalt ersehnt in einer imaginativen Bilderwelt durch das lebenerfüllte inspirierte Wort und durch das intuitive bis in den Gliedmaßenpol ihn mit dem göttlichen Weltengrund verbindende Gebet (Meditation). Nur durch die Ewige Individualität kann die Seelenspaltung überwunden und das seelische Gleichgewicht im Ich wieder hergestellt werden. Wir werden noch ausführlicher einzugehen haben auf diese positiven Abwehr- und Heilkräfte, die den bedrohten Menschen in bewusster Art, das heißt mit seinem Ich (und nicht ohne dasselbe!) mit der ersehnten geistigen Substanz wieder erfüllen können. Diese Erfüllung kann dem Menschen der Gegenwart nur durch den Schulungsweg zuteil werden, wie er dem Michaelischen Christentum zugrunde liegt. Das traditionelle Christentum mag manchem religiösen Menschen noch einen Halt geben; da es aber ohne Beziehung zur konkreten Geisteswelt und den daraus erfließenden (michaelischen) Zeitimpulsen ist, lebt es in einer luziferischen Sphäre, die den Menschen nicht schützt vor dem ahrimanischen Zugriff (vgl. das Buch von Alois Winklhofer: „Traktat über den Teufel“, [54]). Wie sehr wir heute von der ahrimanischen Sphäre immer mehr umgeben sind, der wir uns auch gar nicht entziehen können, geht aus allen unseren Denkgepflogenheiten und Denkgewohnheiten hervor, die ja alle ihre Weisheit aus dem wissenschaftlichen materialistischen Weltbild nehmen. Davon macht auch die religiöse Anschauung keine Ausnahme. Davon ist der moderne Mensch völlig infiltriert. Hiergegen gibt es nur ein Abwehrmittel: die klare Erkenntniswaffe, die wir uns aus der geistigen Erkenntnis schmieden. Nur damit ist Ahriman, wenn nicht zu überwinden, so doch in Schach zu halten. Denn das Heimtückische und Gefährliche Ahrimans, der unsere Hochschulen, Universitäten, Schulen und Kirchen schon teilweise beherrscht, vom politischen und ökonomischen Leben ganz zu schweigen, ist nicht, dass er nur Unwahres den Menschen suggeriert, sondern dass er nur einen Teil der Wahrheit als die ganze Wahrheit in allen unseren wissenschaftlichen Büchern und pseudowissenschaftlichen öffentlichen Meinungen den Menschen anbietet, wobei die andere Seite verdeckt und verhüllt wird. Die halbe Wahrheit ist stets schlimmer und gefährlicher als die ganze Lüge! Auf seinem Gebiete hat der Materialismus immer Recht, zum Beispiel in der physikalischen Weltanschauung der Astronomie und Astrophysik. Da Ahriman aber den anderen geistigen Aspekt zudeckt, löscht er die geistige Seite und damit die Verbindung des Menschen und seine wirklichen Beziehungen zum Kosmos aus. Das lässt sich auch vom 239

Darwinismus und allen modernen naturwissenschaftlichen Entdeckungen sagen. Damit wird der Mensch als Sklave ganz dem materiellen Dasein unterworfen, da er seinen inneren Schwer- und Mittelpunkt verliert und eben dadurch der sinnlosen Hetze des Zeittempos verfällt, hinter der die hervorbrechenden Rakshasas stehen. Der Boden, auf dem alle diese Zeitphänomene wie Giftpflanzen hervorschießen können, ist das geistlose Weltbild unserer Zeit, das ganz im „Zeichen des Tieres“ steht:

Ein Weltbild, welches die übersinnliche Welt nicht mit umfasst, welches nicht berücksichtigt, dass vor allem der Mensch selbst ein übersinnliches Wesen ist, ist eine Lüge. Die Wissenschaft mag im einzelnen stimmen und großartigste Ergebnisse zeitigen... falsch und Lüge wird das alles, wenn gemeint wird, das sei nun schon „die Welt“, und wenn nicht eingesehen wird, dass man so nur an der Außenseite des Seines herumbuchstabiert... Die ahrimanische Macht hat es im größten Stile fertig gebracht, dass die Menschen die Außenseite der Welt schon für die ganze Welt halten. So konnte das Tier, dessen Haupt sich immer machtvoller von Jahr zu Jahr in den letzten Jahrzehnten hervorreckt, immer stärker den Menschen in seinen Bannkreis ziehen, in erster Linie durch die ahrimanische Lüge des Zeittempos, eine der wirksamsten Erfindungen nicht nur Ahrimans, sondern des zweigehörnten Tieres: Das zweigehörnte Tier erzeugt in der Menschheit die Illusion des Tempos. Es hetzt und knallt mit der Peitsche: keine Zeit, höchste Zeit! Der moderne Mensch ist bereits weitgehend unter die Suggestion der Zahl 666 geraten. Nicht nur, dass er es allmählich selbst glaubt, was bereits zur Phrase geworden ist, er habe keine Zeit, sondern er gefällt sich sogar als Jünger des Tempos und blickt verächtlich auf die Menschen herab, die sich noch nicht in die Hetzjagd des modernen Lebens haben hineinziehen lassen. In Wirklichkeit ist der Peitschenknall des Tempos eine ungeheure Lüge. Man kann leicht feststellen, dass Menschen in ruhiger lebenden Zeiten eine auch quantitativ wesentlich größere Lebensleistung vollbringen konnten, als es in der Regel heute der Fall ist. Hier gilt es, einen besonders abgefeimten Verführertrick Ahrimans zu durchschauen. Der Mensch kann ja durch nichts wirksamer von seinen inneren Aufgaben abgehalten und abgelenkt werden als durch die Illusion des sogenannten Tempos. Wer diese über sich Herr werden lässt, findet bald, selbst dann, wenn er es will, die innere Zeit und Ruhe nicht mehr, die er braucht, um Einkehr zu halten und an seiner Seele zu arbeiten. Das Zeithaben ist nicht eine Frage der Uhr, sondern der inneren Ruhe. Geht dem Menschen die innere Ruhe verloren, so verliert er nicht nur die Zeit, sondern den eigentlichen Anschluss an das Leben, ja zuletzt sich selbst. [3] Nun steht der Mensch trotzdem hoch bis zu einem gewissen Grade unter dem vom Mysterium von Golgatha und des durch die anschließende „Höllenfahrt“ des Christus bewirkten Schutzes. Doch hat sich der Brunnen des Abgrunds aufgetan, und das Jahr 1933 ist ein Meilenstein auf diesem Weg, wo der „Teufel“ an die Erdenoberfläche drang und mit ihm die Rakshasas, die die furchtbarsten Unmenschlichkeiten anstifteten, indem sie Menschen besessen machten und ins Untermenschliche herabzogen. Der Abgrund also, aus dem die „Heuschrecken“ aufsteigen, hat sich noch nicht geschlossen! Wird er sich je noch wieder schließen? – Nur durch die Erweckung einer Geistigkeit, die der Spiritualität des Urchristentums nahe kommt! – Aber die nach unten führende Kurve kann gemessen werden durch die Zeitsymptome, die sich mit jedem Jahr drastischer und grotesker ausleben. Schon um 1966 überschlugen sich die Wogen des Sexus. Dann setzte die Welle der Rauschgiftsucht ein und betäubte die 240

Jugend, die aus der kalten Steinwüste unserer ahrimanischen Zivilisation nach seelischer Substanz und geistiger Erfüllung hungerte und dürstete. Von dem Gangstertum, das damals nach amerikanischem Vorbild nach Europa übergriff und die gesetzmäßigen Bindungen der traditionellen Moral untergrub, ganz zu schweigen! Dennoch ist der Weg noch frei, auch wenn er ein schmaler ist, für eine geistige Weltanschauung und Lebensorientierung. Man möchte sagen: die Luft und geistige Atmosphäre ist noch nicht so weit verseucht und verpestet, dass die von den seelischen Auswüchsen des Materialismus verunreinigte Atmosphäre sich wie eine Pestilenz auf die Menschen auswirkt. Und dies wird kommen, wenn durch den Sorat, dem Sonnendämon, am Ende dieses Jahrhunderts, das verhängnisvolle Zeichen des zweigehörnten Tieres – 666 – sich zum dritten Mal erfüllt. Dann wird die von astralischer Unreinigkeit durchschwängerte Atmosphäre zur willkommenen Nahrung für das Sonnendämonium, das sich verbindet mit dieser von Menschen erzeugten dämonisierten Astralität. Und dann wird offen sich zeigen, was der Materialismus in seinem geistigen Wesen ist: eine Pestbeule, ein furchtbares Krankheitsgeschwür am Leib der Menschheit! Was jetzt noch verhüllt und nur im Seelischen wuchert, das wird dann in furchtbaren Krankheitsgeschwüren an den physischen Leibern aufbrechen, wenn Satan seine letzten Fesseln zerreißt und zu wirken beginnt. Das ist der Abschaum und Abgrund der Menschheit, der sich in seiner Verworfenheit bis ins Physische offenbart. In diesem Aussatz der Menschheit wird sich die Sündenkrankheit manifestieren bis in ihren physisch-leiblichen Aspekt, nach dem Wort des Johannesevangeliums aus den Abschiedsreden: Wenn dieser (der Paraklet) kommt, so wird er die Welt zur Rechenschaft ziehen, um der Sündenkrankheit, um der Gerechtigkeit willen und wegen der großen Weltentscheidung. Um der Sündenkrankheit willen, weil sie mich nicht aufnehmen wollen und sich mit meiner Kraft durchdringen; um der Gerechtigkeit willen, weil ich zum Vater gehe und ihr mich ferner nicht sehet. Wegen der großen Weltentscheidung, da über den Fürsten dieser Welt schon die Entscheidung gefallen ist. (Joh. 16,6) Das sind die drei Aspekte, in denen sich das apokalyptische Geschehen vollzieht: der Vateraspekt in der Sündenkrankheit des physischen Leibes; der Sohnesaspekt, der sich in der ausgleichenden Gerechtigkeit in der geistigen Welt erfüllt, und der Geistesaspekt, der durch die Posaunenklänge und die Zornesschalen das Materielle, den Abgrund und das Tier überwindet. Die unerschütterliche Gewissheit dieser Worte ist der Fels, auf der das Fundament unseres Glaubens – das himmlische Jerusalem, der Stern der Zukunft – ruht! Das Drama im 20. Kapitel entfaltet sich zunächst in diesen drei Akten, es scheint einen tragischen Verlauf zu nehmen, denn es beginnt mit der Fesselung des Drachens, der in den Abgrund gebannt wird; der zweite Akt entrückt uns in die geistige Welt, wo die Toten auf Thronen zum Rat der Götter berufen werden, welche als Märtyrer oder Geisteskämpfer für den Christusimpuls eingetreten sind und nun berufen sind, tausend Jahre mit Christus zu herrschen. Nach Ablauf dieser Frist wird der Satan wieder losbrechen und die Menschen an den vier Weltenecken verführen und sie im Gog und Magog versammeln, zum Streit wider die Gottesstadt. Nur durch Geistesfeuer, das vom Himmel fällt, kann dieser Kampf gegen die aus dem Abgrund aufsteigenden Satansmächte besiegt werden, also durch die Gewalt des Himmels. Und hieran schließt sich das Jüngste Gericht – nachdem die Dämonen und höllischen Tiere dem Abgrund überliefert sind. Bevor wir auf diesen dritten geistigen 241

Aspekt eingehen, der sich dann wie der erste Vateraspekt auch bis ins Physische auswirkt, sei der mittlere Aspekt des Sohnes, das eigentliche geistige Reich im Übersinnlichen, ins Auge gefasst – das sogenannte „Tausendjährige Reich“. – Trotz seiner lapidaren Kürze von nur zwei Versen (20, 45) hat sich dieses Bild unauslöschlich der Menschheit eingeprägt. Es bildet eine der großen kosmischen Imaginationen: die Seelen derer, die für Christus gestorben sind und die Geisteskämpfe und Zeugen wurden, und die auf Thronen als Mitregierer an der Menschheitsführung um den Christus sitzen. Die Seelen der Blutzeugen und Geisteskämpfer werden aufgerufen an die Tafel des Christus, um mit ihm zu regieren und erhöht zu werden in den Rang der 24 Ältesten – der Menschheitsführer und Mitarbeiter und Freunde Gottes (Joh. 15,15). Eine große Perspektive tut sich vor uns auf! Dies ist die erste Auferstehung. Auch diese menschlich-kosmische Imagination können wir in ihrer stationären archaischen Größe erst wirklich erfassen, wenn wir sie in den Wandel des zeitlichen Entwicklungsstromes hineinstellen. Das ist ja das Große und alle bisherigen theologischen Vorstellungen und Dogmen Umwälzende, dass wir im Lichte der Geisteswissenschaft das Gesetz der Evolution bis in die Hierarchien und bis zu den Höhen der Gottheit hineinnehmen müssen. Dann erst kommt Fluss und Bewegung in alles hinein. Das mag für manchen ein kühner Gedanke sein, aber er erweist sich gerade angesichts der Apokalypse als der einzig brauchbare, um das Bildergewoge der übersinnlichen Geschehnisse in ihrem dramatischen Zug verstehen zu können. Wie können wir uns im geisteswissenschaftlichen Sinne dies Bild der tausendjährigen Herrschaft der Seelen mit Christus vorstellen? – Wir können dies Bild nur dann aus seiner Absolutheit befreien, wenn wir uns das Christusmysterium als ein auf geistige Weise fortwirkendes vorstellen. Das Mysterium von Golgatha hängt daher notwendig zusammen mit der Erhebung der Menschheit zur Spiritualität, da es nur dann richtig erfasst werden kann. Das Christentum kann heute nur eine spirituelle Fortsetzung erfahren, nicht eine bloße historische im Sinne einer historischen Überlieferung. Deshalb kann man von dem „Reich Christi“ in unserem Erdenreich sprechen, in das es eingezogen ist. Dies Reich Christi hat sich verbunden mit den Schicksalen der Menschen:

Und dieses ganze Reich ist ein Erdenreich, es ist ebenso wie das natürliche Reich ein Erdenreich. Aber derjenige Impuls, der seit dem Mysterium von Golgatha lebt, der ist seit dem Mysterium von Golgatha der Christus-Impuls. Christus ist die dirigierende Macht in diesem Reiche. Man wird also nicht nur eine Wissenschaft von dem Mysterium von Golgatha begründen, sondern man wird in der Zukunft wissen müssen: Unsere Welt durchdringt, ebenso wie die Welt der natürlichen Tatsachen, ein Reich des Schicksalsmäßigen als der andere Pol. Dieses Reich des Schicksalsmäßigen wird heute noch wenig beachtet. Man wird es ebenso beachten müssen wie das Reich des Natürlichen. Aber man wird dann zu gleicher Zeit wissen, dass man in diesem Reich des Schicksalsmäßigen mit den Toten in Verbindung ist, man wird wissen, dass in diesem Reiche, das wir mit den Toten gemeinsam haben, zugleich das Reich Christi enthalten ist, dass Christus durch das Mysterium von Golgatha auf die Erde heruntergestiegen ist zu seiner Wirksamkeit, um mit uns Menschen auf Erden das wiederum gemeinsam zu haben, das wir mit den Toten ... gemeinsam haben. – Den Zusammenhang des Mysteriums von Golgatha mit dem Todesproblem konkret einzusehen, das ist es, worauf ich hinweisen wollte...

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Auf dem Wege, auf dem heute fast überall gewandelt wird, ist der Christus nur zu verlieren, gewonnen werden kann er als einzig wirklich berechtigter König und Herr der Erde nur durch die Erhebung der Menschheit zur Spiritualität. [75, S. 30] Erst wenn wir unsere Beziehung zum Christus so lebendig erleben, dass wir uns eine geistige Vorstellung machen können von dieser weiterwirkenden Beziehung nach unserem Tode, kann uns ein Bild aufgehen von diesem Reich des Christus und unserer Toten im geistigen Erdenreich. Denn davon hängt weitgehend unser post-mortem 237-Bewusstsein ab. Wie es aufgehellt wurde in den Seelen nach dem Tode zeigt die folgende Beschreibung Rudolf Steiners:

Als der Christus nicht mehr lebte in dem physischen Leibe des Jesus von Nazareth in dem Augenblick, da er auf Golgatha gestorben war, erschien der Christus in der geistigen Welt den zwischen Tod und Geburt lebenden Seelen, und da wich die Finsternis dort; wie von einem Lichte wurde plötzlich die geistige Welt durchstrahlt. Wie in einem dunklen Raum die Gegenstände alle plötzlich sichtbar werden, wenn ein Lichtstrahl hereindringt... so ergoss sich das Licht in jene Welt der Abgeschiedenen. Und diese konnten wieder wahrnehmen, was um sie herum war, konnten wieder sich verbunden fühlen im Geist gebiet mit ihren Brüdern und konnten nun als Anlage in die physische Welt hereinbringen die Liebe und die Brüderlichkeit. Ein neues Licht kam so hinein in diese Welt der Toten, denn das Mysterium von Golgatha hat nicht nur eine Bedeutung für die Welt, in der es sich physisch vollzogen hat, sondern es hat eine Bedeutung für alle die Welten, mit denen der Mensch in seiner Entwicklung es zu tun hat. Wäre es in der geistigen Welt so geblieben, wie es für die Toten in der griechischlateinischen Zeit war, wäre die Seele in der eisigen Kälte und Einsamkeit von damals geblieben, so wäre immer mehr in der physischen Welt das verschwunden, was man Brüderlichkeit und Liebe nennt. Es hätte der Mensch aus dem Devachan den Hang zur Abgeschlossenheit mitgebracht. Denn das Licht, das damals hineinströmte in die irdische Welt und das auch hineingeleuchtet hat in die Welt der Toten, das soll das Reich der Brüderlichkeit und der Liebe auf der Erde begründen. Das ist die Mission des Christusimpulses. – In dem Moment, als auf Golgatha das Blut aus den Wunden rann, erschien der Christus in der jenseitigen Welt in dem Schattenreich und legte Ahriman in Fesseln. – Wenn auch der Einfluss Ahrimans blieb, so ist doch dieses Ereignis das geworden, aus dem die Menschen Kraft saugen, um wieder hineinzukommen in die göttlich-geistige Welt. [76, S. 254] Dieses Licht trägt der Mensch auch in die geistige Welt mit hinein, wenn er es hier auf Erden gefunden hat.

Das, was der Mensch in der diesseitigen Welt von dem Christus aufnimmt, das geht ihm in der Zeit zwischen Tod und neuer Geburt nicht verloren. Das ist es, was dem Ausdruck, Sterben in den Christus hinein, entspricht. [45, 10. Vortrag] Wenn Christus nicht erschienen wäre, so würde das Menschenwesen zwar erhalten bleiben, aber das Bewusstsein würde sich nicht erholen können. Das Ereignis von Golgatha bewahrt den Menschen vor dem geistigen Tode, wenn er es mit seinem eigenen Wesen identifiziert. – Je mehr der Mensch hier erlebt von dem Christus, desto heller wird es drüben in der geistigen Welt. Als das Blut geflossen ist aus den Wunden des Erlösers, ist der Christusgeist heruntergestiegen zu den Toten. – 237

d. h. “nachtodliches“

243

Wenn wir diese intime geistige Verbindung mit dem Christus in unserer Seele immer wieder rege machen, so können wir uns in jene Verbindung hineinahnen, die sich daraus für die Seelen nach dem Tode ergibt. Hier erfüllt sich die Bitte aus dem 17. Kapitel des Johannesevangeliums: „Heiliger Vater, dies ist mein Wille, dass sie, die durch Dich zu mir kamen, immer da, wo mein Ich ist, bei mir sind. Und dass sie die Offenbarung meiner Ichheit schauen, die Du liebend vor mir erstrahlen ließest, ehe denn die Welt noch bestand.“ (Joh. 17,24)238 Die erste Morgenröte der ätherischen Christusoffenbarung, die den Menschen im 20. Jahrhundert bevorsteht, wird heute in der geistigen Welt schon erlebt. Auf Erden wird sie (nach einem Worte Rudolf Steiners) dann erst hervorbrechen, wenn das Tier emporgestiegen und überwunden ist. In dieser Zeitspanne befinden wir uns heute. Da das Reich „des Christus“ nicht im höchsten Himmel, sondern in der Ätherwelt, die an die Erde grenzt, zu suchen ist, so können wir unsere Verstorbenen, die sich mit Christus verbunden haben, in dieser Sphäre suchen. Sie sind uns nah. Denn das ist die Kraft, die wir dem Christus verdanken, dass wir mit seiner Kraft in die Erde hineinwirken können und sie und die mit uns verbundenen Seelen durchgeistigen können. Was wir hier beschreiben, ist die erste Auferstehung. Es ist die seelisch-geistige Auferstehung durch die Christuskraft, die wir in der geistigen Welt erleben, indem wir gewürdigt werden, in seinen Jüngerkreis aufgenommen zu werden und je nach unseren Gaben und Fähigkeiten seine Mithelfer beim Ordnen des Schicksals der Welt werden. – Die eigentliche Seligkeit nach dem Tode besteht in dem Erleben des ewigen Keimes, der durch Christi Opfertat die Zukunftskräfte des Jupiter – oder „des himmlischen Jerusalem“ – enthält, das Unterpfand für die Menschheitszukunft.

In dem Ätherleib sind neben den Kräften, welche die Erde zu ihrem Wärmetod führen, auch die Kräfte, die im Keime enthalten dasjenige, was die Erde hinüberführen kann in ihre nächste Verkörperung. Aber dieser Keimesteil des Ätherleibes, den kann man nur sehen, wenn man ein Verhältnis gewonnen hat zu den Christuskräften. Denn die Christuskräfte sind in diesem Keimesteil drinnen, befähigen den Menschen, die Erde hinüberzutragen in das Jupiterdasein. – Es macht aus des Menschen Seligkeit nach dem Tode, diese Kräfte zu schauen, wie es ausmacht des Menschen Unseligkeit, im Ätherleib nur dasjenige bemerken zu können, was dem Erdentod verfallen muss. Der Christusimpuls steckt darinnen als eine Substanz. Es ist, als ob man fortwährend in einem Erdbeben oder Vulkanausbruch in den ersten Jahrzehnten nach dem Tode sein müsste, wenn man nicht diese jungen Keimkräfte des Christusimpulses schauen kann. – Alles was die Seele an Seligkeit erleben kann zwischen Tod und neuer Geburt kommt davon her, dass der Christus sich ausgegossen hat in die Erdenaura. [?] So kann vor uns aufleuchten das Bild einer lichten Wolke, das Bild der mit Christus verbundenen Seelen. Das ist das eigentliche „Christusvolk“ – nicht die Kirche, die als das Tausendjährige Reich proklamiert wird. Denn die Kirche ist lange nicht mehr die durchchristete Gemeinschaft. Je mehr sie im Laufe der Zeit eine organisatorische, politischweltliche Macht wurde, umso mehr verlor sie ihr geistiges Gepräge und ihre Spiritualität. 238

Luther übersetzt: Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, dass sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast. Denn du hast mich geliebt, ehe denn die Welt gegründet ward.

244

Das gilt von allen Kirchen. Heute kommt es in erster Linie auf die individuelle Verbindung der Seelen zum Christus an. Daraus bildet sich die geistige Kirche, die alle Seelen umfasst, welche eine Beziehung zu Christus haben finden können. Als geistige Wolke schwebt sie über der Menschheit, diese mit ihren Strahlen durchdringend und erleuchtend. Von ihr gehen die Inspirationen und Impulse, die die Menschheit erleuchten und führen, aus. Diese Gemeinschaft wird in der Apokalypse die der Heiligen und Seligen genannt. – Vom geisteswissenschaftlichen okkulten Gesichtspunkte sind die Seligen diejenigen, die ihren Astralleib zum Geistselbst läutern und umwandeln konnten, die Heiligen, die auf der Stufe des Chelas stehen und den Lebensleib in den Lebensgeist (Buddhi) umwandeln konnten, sodass sie ihr Menschheitsziel bereits erreicht haben (wie zum Beispiel die Großen Eingeweihten). Man spricht in dieser Beziehung von dem „ewigen Leib“, da der Ätherleib nicht mehr aufgelöst zu werden braucht nach dem Tode. Das sind die Menschheitsführer, die dem Christus sein Werk vollenden helfen. Doch jeder Gedanke, jedes Ideal, das wir in dieser Richtung zum Christuswerk verrichten, verbindet uns mit dieser Christus-Gemeinschaft und trägt zur Vergeistigung der Erde bei. Dies Bild der Ecclesia Aeterna 239 sollte uns vor Augen stehen; sie hat sich um den lebendigen Christus versammelt, und in ihr leben die Seelen im Licht der ersten Auferstehung. Wir können sie als die Mitarbeiter und begnadeten Brüder des Christus betrachten, welche den Grundstein zum Himmlischen Jerusalem bilden, der terra lucida 240 oder Jupiter-Erde. Dieser Grundstein als ewiger Keim zerfällt nicht mehr – auch wenn der Drache wieder frei wird. Die durchchristeten Seelen, die wieder auf die Erde steigen, um das Christuswerk fortzusetzen, sind nicht befreit von den Attacken und Versuchungen der Drachenmächte, aber sie tragen in sich den ewigen Keim der Auferstehung, der sie bewahrt, ihnen zu verfallen! Nach dem Anbruch der Michaelherrschaft am Ende des 19. Jahrhunderts, im Jahre 1879, hat sich diese Christus-Gemeinschaft verstärkt, nachdem die michaelischen Seelen in der geistigen Welt sich um Michael versammelt haben und von ihm in einer übersinnlichen Schule die geistigen Impulse und Unterweisungen empfangen haben, die sie bei ihrer neuen Geburt um die Wende des 20. Jahrhunderts auf die Erde mitgebracht haben. Dies war notwendig, um die Michaelkräfte zu stärken, da der Kampf gegen die Drachenmächte, die im 19. Jahrhundert auf die Erde gestürzt wurden, auf Erden fortgesetzt werden muss. Im Sich-Bewusstwerden dieser Zusammenhänge kann der Mensch seine Verantwortung und Aufgabe erfühlen, die er als Diener Christi und Mitstreiter Michaels zum Teil schon vor seiner Geburt in seiner Seele trägt, um diese Kräfte der michaelischen Erkenntnisse in seinem ganzen Schicksalsbereich wirksam zu machen. Indem wir uns mit diesem Bewusstsein durchdringen, erleben wir uns im Brennpunkt des apokalyptischen Geschehens, in das wir uns mit einbezogen fühlen!

239 240

ecclesia aeterna: „ewige Kirche“. terra lucida: „leuchtende Erde“.

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Bild 9: Albrecht Dürer, Das Tier des Abgrunds, 1498

Das Weib auf der Mondsichel, mit der Sonne bekleidet, und der Drache mit den sieben Häuptern.

15. Der Zorn Gottes Im 1. Kapitel (Seite 26) wurde vom „Zorn Gottes“ gesprochen im Hinblick auf ein Christusbild in San Marco mit seiner unerbittlichen Strenge: „Das aber ist das Gericht, dass das Licht gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht; denn ihre Werke waren böse. Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht an das Licht, damit seine Werke nicht enthüllt werden.“ (Joh. 3, 1920) Hiermit ist das Wesen dieser apokalyptischen Enthüllung bereits ausgesprochen. Nicht die Gottheit tritt dem Menschen als strafender Weltenrichter entgegen, sondern der Mensch selbst erlebt im Angesichte der göttlichen Welt seine Nichtigkeit, seine Verworfenheit und Dunkelheit und verhärtet und verschließt sich in seiner Egoität – wenn er seine Seele ihr nicht zu öffnen vermag. Es ist ein Gericht, das sich in den Seelen als objektives Geschehen abspielt, wozu ein richtender zorniger Gott, wie er uns vielfach im Alten Testament entgegentritt, nicht nötig ist: „Wer mein Wort hört und sich nicht daran hält, den richte ich nicht. Denn ich bin gekommen, um die Welt zu richten, sondern um sie zu heilen. Wer mich von sich stößt und meine Worte nicht aufnimmt, der hat schon seinen Richter gefunden. Das Wort, das ich gesprochen habe, wird selbst sein Richter am Ende der Zeiten sein.“ (Joh. 12, 4748)

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In den Seelen des Abendlandes sitzt, vielfach tief unbewusst, das Erbe des Alten Testaments. Man kann sich demzufolge Gott nur als den strafenden, richtenden, zürnenden Jahwegott vorstellen, der als Richter kommt und von außen, wie es einem Richter geziemt, die Urteile ausspricht und vollstreckt und die Schafe von den Böcken scheidet. Und ist nicht die Bibel voll von diesen Stellen, in denen der Zorn Gottes uns entgegentritt? Dies scheint uns ja besonders in der Ausgießung der göttlichen Zornesschalen sehr anschaulich entgegenzutreten! – Die abendländische Kultur hat daher wenig Verständnis für eine selbständige moralische Welt, die ebenso gesetzmäßig wirkt wie die natürliche Weltenordnung in den Gesetzen der physikalischen Welt. Niemand wird bestreiten und in Abrede stellen, dass der Wurf eines Steines bestimmte physische Folgen nach sich zieht. Was man so als Gesetzmäßigkeiten in der Natur anerkennt, wird hingegen weitgehend in Abrede gestellt in der moralisch-geistigen Weltenordnung, da man diese ja gegenüber der physikalischen Naturgesetzmäßigkeit meistens überhaupt nicht gelten lässt. In seinem Buch „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“ hat Rudolf Steiner einige seelische Grundbedingungen genannt zur Erlangung geistiger Erkenntnisse, die erfüllt werden müssen, um die Wesen der höheren Welten anzuziehen:

In der Geheimschulung selbst wird ein ganz bestimmter Lehrgang befolgt. Gewisse Verrichtungen dienen dazu, die Seele des Menschen zum bewussten Verkehr mit der geistigen Welt zu bringen. [66, Kapitel: „die Stufen der Einweihung“] Rudolf Steiner fällt das Verdienst zu, dass er den höheren Schulungsweg nach den Bedingungen des gegenwärtigen Bewusstseins dem Abendland neu erschlossen hat, nachdem dieser in den letzten Jahrhunderten mehr und mehr in den Hintergrund getreten ist, während der Orient wie auch der Osten Europas bis in die jüngste Gegenwart hinein ihn in gewissen Schulungsstätten wie auch im privaten Leben in seiner alten Form gepflegt hat. Dadurch hat der Osten tiefere Einblicke sich bewahrt in die geistigen Gesetze einer objektiven moralisch geistigen Welt, die nicht zu verwechseln sind mit den Gesetzen der staatlich juristischen oder kirchlichen Ordnung, welche der Mensch selbst sich gab, und die daher auch weitgehend dem Wandel der Zeit unterworfen sind. In der Gesetzmäßigkeit des „Karma“ drückt sich vor allem diese objektive geistige Gesetzlichkeit aus, wonach in unserem Schicksal auf alle unsere Taten, Verhaltungsweisen, Gedanken und Gefühle ein Ausgleich in diesem oder einem folgenden Erdenleben ersteht mit derselben objektiven Gesetzmäßigkeit, nach der sich ein Steinwurf in der Sinneswelt vollzieht. Heute ist vielfach auch bei religiösen Menschen das Weltbild einer rein natürlichen Weltenordnung entstanden, die von einem Gott regiert wird, ohne den objektiven Hintergrund einer moralischen Weltordnung voll anzuerkennen, die genau solche notwendigen Gesetze hat wie die Naturgesetze für die Sinneswelt. Dieses Manko ist auch neben falsch verstandenen Vorurteilen einer der Gründe, weshalb religiös erzogene Menschen im Rahmen der christlichen Konfessionen oft das Karmagesetz und die Reinkarnation ablehnen.

Für denjenigen, der imstande ist, diese Vorurteile zu überwinden, eröffnet sich die Perspektive auf eine geistige moralische Weltenordnung, die nicht nur von abstrakten Naturgesetzen beherrscht wird, sondern die getragen und erfüllt ist von konkreten Geistwesen. Wir treffen in allen orientalischen Schriften und Mythen, wie im GilgameschEpos, solche „Schicksalsgötter“ wie die weisen Anukki, die das Schicksalsgesetz regeln und bestimmen. Das gleiche tritt uns in den indischen Upanishaden aus der Zeit der Veden 241 in konkreter Anschauung entgegen. Man braucht deshalb nicht dem Hinduismus oder dem Buddhismus beizutreten, wenn man solche konkreten Hinweise auf eine geistige Weltordnung anerkennt. Auch der abendländische Esoterismus kennt über den Menschen stehende Geistwesen, denen die Führung in der karmischen Ordnung zufällt. Diese Geistwesen, welche das Schicksalsnetz weiter ausgestalten und es nach dem Tode des Menschen bis in die höchsten Hierarchien tragen, damit es im Bereich der Seraphim, Cherubim und Throne seine Ausgestaltung für 241

Entstanden sind die Veden in der heute überlieferten Form zwischen 1200 und 500 v. Chr.

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das nächste Erdenleben findet, gehören allen Hierarchien an, die mit der karmischen Gesetzmäßigkeit der Menschen betraut sind. Dabei spielt sich ein für das abendländische Denken zunächst befremdlicher, da ungewohnter Vorgang ab. Da sich diese über den Menschen stehenden geistigen Wesen so innig und für die Taten des Menschen mitverantwortlich fühlen, erleben sie in ihrem moralischen Wesen die Gegenbilder der vom Menschen ausgehenden Taten. Was an unmoralischen, begehrensvollen und anderen Wirkungen vom Menschen erzeugt wird, ruft in ihrem eigenen Wesen Schmerz hervor. Sie tragen diesen Schmerz als Wirkung der menschlichen Abirrungen in ihrem eigenen Wesen. Und dieser Schmerz muss gemäß den Gesetzen der moralischen Weltordnung wieder ausgeglichen werden – und zwar von dem Menschen, von dem die unmoralischen Taten ausgegangen sind. Daraus bildet sich als moralische Gegenwirkung das Karma des nächsten Erdenlebens, wodurch die Sühne als karmischer Ausgleich wieder hergestellt wird. Wir müssen uns erst in diese Gesetzmäßigkeit einer Welt hineinleben, welche nicht nur aus Moralgesetzen besteht, sondern die zugleich von Weltwesen getragen wird, welche in ihrem eigenen Wesen die Wirkungen der Menschentaten erleben und erleiden. Das Gleichgewicht der Welt kann nur dadurch immer wieder hergestellt werden, dass der Mensch die Wirkungen seiner Taten nicht nur für die davon betroffenen Mitmenschen, sondern auch für die daran beteiligten Geistwesen ausgleicht und in Ordnung bringt im karmischen Ausgleich seiner Erdenleben. Erst so bahnen wir uns einen Weg des geistigen Verständnisses für die im übersinnlichen Bereich der Hierarchien mit Notwendigkeit sich vollziehenden Geschehnisse, die als Ausgleich der menschlichen Ereignisse auch die Erde ergreifen und sich als Menschheitsschicksal auf Erden abspielen, je mehr sich die Menschheitsentwicklung ihrem Ziel und Ende nähert. Von diesem Gesichtspunkt gewinnen wir eine andere Vorstellung von dem „Zorn Gottes“. Es gibt eine Skizze von Rudolf Steiner aus den Gemälden in den Kuppeln des ersten Goetheanum-Baues, der durch Feuer in der Sylvesternacht 1922/1923 vernichtet wurde. Es ist ein schmerzvolles Auge Gottes. Rudolf Steiner nannte es „Der Zorn Gottes“. In seinem durchdringenden, schmerzerfüllten Blick lebt weniger Zorn als Trauer, Schmerz und Wehmut. Versetzen wir uns in die Gottheit und versuchen, von ihren geistigen Höhen den Blick hinab zu richten auf die gefallene Menschenschöpfung. Schmerz umwölkt, voll Trauer und Wehmut ist der Blick Gottes, der die tiefe Kluft ermisst der von ihrer einstigen göttlichen Höhe in die finsteren Abgründe der ahrimanischen Tiefe gesunkenen Menschheit. In diesem Blick, von Trauer, Wehmut und Schmerz erfüllt, offenbart sich das Mysterium der Gottheit über die Schöpfungstragik und ihre Folgen. Dieser Hinweis möge genügen, um uns für einen Augenblick in das Mysterium der Gottheit hineinzuahnen. Denn es ist ein Mysterium. Und man muss es, wenn auch nur im menschlichen Gleichnis, nachzuerleben versuchen, um in die unausdenkbaren Tiefen Gottes hineinzublicken! – Dann wird man sich herantasten an ein anderes Bild als das eines zürnenden Gottes, der ein Strafgericht über seine Kinder herbeiführt, wie es die übliche Auffassung vom Jüngsten Gericht ist! Hier sei noch ein wichtiger Aspekt eingeschaltet, der sich aus dem Erleben des Schulungsweges ergibt. Wir tauchen in die „abgründigen Tiefen“ unserer unterbewussten Willensregionen, in denen auch das Böse urständet, wenn wir bei einer tiefen Meditation uns so weit vom Leibe und dem gewöhnlichen Bewusstsein lösen und entfernen, dass wir selbstvergessen in diese Willensregionen uns einleben. Wie Gewitter- und Donnerrollen tönt es aus diesen Tiefen herauf. Von mächtigen 248

Willenskräften fühlen wir uns getragen und durchkraftet. So tauchen wir in jene gewitterdurchkrafteten Weltengründe, aus denen uns die Seins-Gewalten des göttlichen Vatergrundes entgegenkommen – wie sie in der Grund Steinmeditation zu uns sprechen:

Übe Geist-Erinnern In Seelentiefen, Wo im waltenden Weltenschöpfer-Sein Das eigene Ich Im Gottes-Ich Erweset. Und du wirst wahrhaft leben Im Menschen-Welten-Wesen. Denn es waltet der Vater-Geist der Höhen In den Welten tiefen Sein-erzeugend: Ihr Kräfte-Geister, Lasset aus den Höhen erklingen, Was in den Tiefen das Echo findet. Dieses spricht: Aus dem Göttlichen weset die Menschheit. Das hörten die Elementargeister in Ost, West, Nord, Süd, Menschen mögen es hören! [67, Teil 1 von 4] Das Wort aus den Höhen findet in den Tiefen sein Echo. Dort in den Weltentiefen aber, wo der Donner grollt, dort wohnen auch die Mächte des Abgrunds und des Bösen. Wir tauchen da hinein, wenn wir in der Meditation in die Tiefen der Gottheit hinabsteigen. Das ist das Mysterium. Wir dringen hinab in die Weltengründe und erleben uns in ihnen am Herzen der Welt. Wir ruhen in der Intuition, wo uns das Geheimnis des Seins-Grundes der Welt aufgeht. Diesen Sein-Grund erlebte der Esoteriker als das Welten-Ich, was der Priester dunkelverhangen im Tempelheiligtum auf dem Zionsberg Jerusalems in dem heiligen unaussprechlichen Gottesnahmen ehje ascher ehje erlebte: „Ich bin der Ich-Bin!“ (2. Moses 3,14)242 Wer diese Tiefen in der Meditation erlebt, der ahnt das unaussprechliche Mysterium der Gottheit. In diese Tiefen führt uns der Apokalyptiker bei der Schilderung der Zornesschalen. Damit hat uns der Weg, der von dem gegenständlichen Erdenbewusstsein in den sieben Sendschreiben ausging, zu der ätherischen Sphäre der Imagination in der Entsiegelung der Siegel und zu den Posaunenklängen der Sonne uns erhob, wo uns die Klänge der Inspiration erweckten, bis zu den Zornes schalen ans Herz der Welt getragen – dem intuitiven Seins-Grund der Gott Wollen wir uns zunächst das Urbild des geistigen Geschehens vor die Seele stellen, das sich in den „Zornesschalen“ erfüllt. Wir haben bereits ein Urbild erwähnt, das im Grunde genommen schon bei den Posaunenklängen in die Erscheinung tritt als „pervertierte Kommunion“, wie es beim Abendmahl in den Abschiedsreden des Johannesevangeliums in Judas Iskariot sich vollzieht, als dieser durch den Bissen, den Jesus ihm reicht, den Satan in sich aufnimmt. Es gibt noch ein anderes Urbild im Johannesevangelium, das uns im positiven Sinne aufschlussreich sein kann für das geistige Geschehen, das sich hier bei den 242

Luther übersetzt: Ich werde sein, der ich sein werde, Schlachter: Ich bin, der ich bin!

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„Zornesschalen“ als innere Scheidung vollzieht. Es ist die rätselvolle Szene beim Einzug des Christus Jesus in Jerusalem (12. Kapitel), die wir schon erwähnten, wo sich die „Verklärung“ abspielt, die nicht wie bei den synoptischen Evangelien auf Bergeshöhen sich vollzieht, sondern als letzte Stufe auf dem Inkarnationsweg durch den Einbruch in die von den ahrimanischen Kräften erfüllten Seelentiefen. Eingeleitet wird diese Szene durch die Bitte einiger Griechen, die Jesus sehen wollen. „Jetzt ist meine Seele betrübt und voll tiefer Erschütterung. Und was soll ich sagen? Vater, hilf mir aus dieser Stunde! Aber um dieses Leidens willen musste ich in diese Stunde kommen. Vater, verkläre dein wahres Wesen!“ Da ertönte eine Stimme aus dem Himmel: „Ich habe es verklärt und ich werde es abermals verklären!“ Das Volk, das dabeistand und zuhörte, sprach: „Es hat gedonnert.“ Andere sagten: „Ein Engel sprach mit ihm.“ Jesus aber sprach: „Nicht um meinetwillen ließ diese Stimme sich hören, sondern um euretwillen. Jetzt geht das Gericht über die Welt und der Fürst dieser Welt wird nun ausgestoßen. Und wenn mein Ich erhöht wird von der Erde, will ich alle zu mir emporziehen. „ (Joh. 12, 2733) Diese „Verklärung“ kann sich erst vollziehen, nachdem „der Fürst dieser Welt“ aus dem Leibe des Jesus ausgestoßen wird, der als Folge des Sündenfalles auch in diesem Leibe vorhanden ist. Es ist der letzte Schritt auf dem Inkarnationswege des Christus. – Was in den synoptischen Evangelien am Anfang dieses Weges als die Versuchungsszene beschrieben wird, das wird uns im Johannesevangelium als letzter Schritt auf dem Inkarnationswege des Christus, am Palmsonntag, unmittelbar vor dem Mysterium von Golgatha beschrieben. Jetzt erst wird der Fürst dieser Welt aus den unterbewussten Leibestiefen ausgestoßen, sodass der Leib des Jesus das reine Sühneopfer voll bringen kann. Wir haben es auch hier mit einem Erlebnis zu tun, das sich in der Sphäre der Intuition abspielt, die auch in der Apokalypse sich bei den Zornesschalen vollzieht. Vom menschlichen Gesichtspunkt kann man sagen: Wenn das Geistige in seiner höchsten Form – und das ist „die Liebe Gottes“ – in den Menschen Einzug hält und bis in die Leibestiefen einzieht, dann trifft es auf die ahrimanischen Widersachermächte, die sich dagegen auflehnen. Es entsteht ein Kampf – und es kommt darauf an, welche Macht stärker ist, die göttliche Liebe oder der Hass der ahrimanischen Widersachermächte. Als „kosmischer Hass“, der der göttlichen Liebe entgegensteht, leben die ahrimanischen Kräfte bis in unser Knochensystem hinein in der Menschenorganisation. Denn darin liegt ja der tiefere Grund, dass die Götter Ahriman berufen mussten, um die Todeskräfte der Schöpfung einzugliedern und damit auch den Intellekt, der nur auf der Grundlage der Sterbekräfte sich bilden kann und der dem Menschen die Freiheit gibt:

Der Intellekt kann nur dadurch Platz greifen, dass ... der Mensch sterben kann, dass er fortwährend die Absterbekräfte in sich trägt. Der Tod kann nur dadurch eintreten, dass der Mensch nicht nur in seinem wässrigen Leibe, sondern auch innerhalb seines Gehirns Salze ablagert, das heißt mineralische Bestandteile, tote Bestandteile ablagert... sodass das Gehirn fortwährend die Tendenz nach dem Tode hin enthält. Diese Einimpfung des Todes musste über die Menschheit kommen... Wären die Menschen so geblieben, wie sie in alten Zeiten waren, dass sie eigentlich den Tod gar nicht gekannt haben, dann hätten sie niemals einen Intellekt entwickeln können, denn der Intellekt ist nur möglich in einer Welt, in welcher der Tod waltet. [57, S. 110] Das bildete die „Achillesferse“ der vorchristlichen Eingeweihten. Bis in das Innere des Knochenmarks, wo der Herr des Todes waltet, der die bis in das Knochensystem verhärtete 250

Leibesgestalt durch die Kräfte des „kosmischen Hasses“ aus ihrer ätherischen Substanz zusammengepresst und verfestigt hatte, soweit vermochten sie hineinzudringen. Sie bleiben daher den Todeskräften unterworfen. Dieser letzte Schritt bis in die Knochensubstanz, in der Ahriman als Herr des Todes waltet, konnte erst durch den Christus vollzogen werden. Und daher kann dieser Leib, befreit von den ahrimanischen Todeskräften, das reine Sühneopfer für die Menschheit vollbringen, deshalb kann er die Urgestalt und das Vorbild werden für den von den Kräften des Sündenfalles befreiten Menschenleib – den „zweiten Adam“243, an dem die Todesmächte keinen Anteil haben. Deshalb soll dieser Leib unversehrt bleiben, da seine Gestalt sich in die ätherische Substanz des aus ihm hervorgehenden Auferstehungsleibes abzeichnen und einprägen soll. Daher sollen ihm keine Knochen gebrochen werden: Dies ist geschehen zur Erfüllung des Wortes: „Sie sollen ihm kein Bein zerbrechen.“ Und wiederum sagt eine andere Stelle: „Sie werden den schauen, den sie zerstochen haben.“ (Joh. 19, 36 f.) Was sich im Leben des Christus Jesus in den drei Jahren in Palästina abgespielt hat, ist ein urbildhaftes Geschehen für die ganze Menschheit. Aus allen Leiden, Taten, Passionsstufen sprosst hervor die in die Zukunft wirkende Kraft, die man als den „Heiligen Geist“ bezeichnet. Er ist die Kraft, die der Menschheit den Auftrieb und die Richtung zur Vollendung des Menschheitsweges bis zu ihrem Ziel – der Wiederverbindung mit der geistigen Sonne – gibt. Und im Grunde ist das ganze apokalyptische Geschehen eine Folge des aus den „Drei Jahren“ hervorgehenden und die Menschheit leitenden „Heiligen Geistes“, der von diesem Leben und Opfer des Christus Jesus bis ans Ende der Zeiten ausströmt! Man kann sich diese fortschreitende, von Golgatha ausgehende Sublimierung und Vergeistigung der Erde und Menschheit in einer stufenweise emporsteigenden Linie denken; indem ähnlich wie beim Durchschreiten der Sphären nach dem Tode immer eine Leibeshülle als Existenzform abgelegt wird: zu erst die physische Leiblichkeit mit ihrer Umweltform, worauf Erde und Menschheit zur ätherisch-astralischen Form, dann zur geistigen Form aufsteigen, bis der Mensch ganz im „Devachan“, in der Sonnensphäre sich vergeistigt hat. Bei jeder dieser Wandlungsstufen wird das abgestoßen und zurückgelassen, was sich verhärtet hat, indem es sich mit den retardierenden Kräften verbindet: Dies sind die „Hörner“, die das Tier aus dem Abgrund trägt. Allerdings ist dies nur ein Aspekt dieser Vergeistigungslinie. Denn die höheren Sphären bewegen sich zugleich zur Erde herab. Das „himmlische Jerusalem“ kommt von oben aus dem Himmel zum Menschen hernieder; ähnlich wie wir auch auf dem individuellen Schulungswege nicht nur davon sprechen können, dass wir auf einen Berg steigen müssen, um uns mit unserem Selbst zu vereinigen. Wenn die Bedingungen in unserer Seele geschaffen sind, dann kommt es zu uns hernieder, um uns „einzuwohnen“: „Wer mich liebt, der nimmt mein Wort in sich auf, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und in ihm wohnen.“ (Joh. 14,20) Das „Einwohnen“ ist das christliche Prinzip des Schulungsweges, im Gegensatz zu dem ekstatischen Höhenflug, wie er in den vorchristlichen Wegen im Rausch der Ekstase die Seelen zum Geiste emportrug. Heute kommt die Seele auf diesem Wege zwar auch zum 243

Der erste Mensch ist von der Erde und irdisch, der zweite Mensch ist vom Himmel (1. Kor. 15,47).

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Geist, doch ohne das Gleichgewicht der Besonnenheit, kommt sie zu Luzifer statt zu Christus. Dies Prinzip der „Einwohnung“ erfüllt sich nun auf der letzten und tiefsten Stufe der „Zornesschalen“. Die Frage erhebt sich: Warum aber „Zornesschalen“, wenn Gott die Liebe ist? Sie wird für denjenigen eine innerlich tief erlebte Erfahrung, der auf dem christlichen Schulungswege sich mit dem Christus verbindet. Das kann besonders beim Erleben der Passionsstufen erfahren werden. Es ist eine uns zunächst erschütternde Tatsache, wenn wir erfahren, dass die Hüllen des Jesus von Nazareth von der Christus-Einwohnung wie verzehrt worden sind, sodass nach den drei Jahren der Tod erfolgen musste.

Stünde ein Mensch vor uns und könnte es durch irgendwelche Weltenmächte bewirkt werden, dass das gewöhnliche Ich von diesem Menschen entfernt würde, und man könnte dann in die drei Leiber ein solches Ich bringen, das im Zusammenhang wäre mit den geistigen Welten – was würde mit einem solchen Menschen geschehen müssen? Nach drei Jahren müsste sein Leib zerbrechen! Es müsste etwas geschehen durch das Weltenkarma, dass das Geisteswesen, das mit den höheren Welten zusammenhängt, nicht länger als drei Jahre in diesem Leibe leben könnte. Erst am Ende aller Erdenleben wird der Mensch das in sich haben können, was ihn länger als drei Jahre mit jenem Geisteswesen leben lässt. – Was hier vorausgesetzt wurde, war aber in der Geschichte da. Der menschliche Organismus, welcher bei der Johannistaufe am Jordan stand, als das Ich des Jesus von Nazareth aus den drei Leibern fortging, barg nach der Taufe in voller bewusster Ausgestaltung jenes höhere Menschheitsselbst, das sonst – den Menschen unbewusst – mit Weltenweisheit am Kinde wirkt. Aber damit war die Notwendigkeit gegeben, dass dieses mit der höheren Geisteswelt zusammenhängende Selbst nur drei Jahre in dem entsprechenden menschlichen Organismus leben konnte. Es mussten dann die Tatsachen so verlaufen, dass nach drei Jahren das irdische Leben des Wesens zu Ende war. Die äußeren Ereignisse, welche im Leben des Christus Jesus eintraten, sind durchaus so aufzufassen, dass sie durch die auseinandergesetzten inneren Ursachen bedingt sind. Sie stellen sich als äußerer Ausdruck dieser Ursachen dar. [34, Kap. 1] Wir blicken hier in einen großen Zusammenhang, der sich als Zukunftsaspekt darbietet. Dasjenige Selbst, das in der Jordantaufe in die Leiblichkeit des Jesus von Nazareth einzog, es konnte nur drei Jahre in diesen Hüllen leben, da diese unter der Größe und Gewalt dieses Menschheits-Selbst zusammenbrechen und dahinsiechen mussten, durch das Geistesfeuer dieses göttlichen Selbstes verzehrt. Daraus ergibt sich die Menschheitsaufgabe, dass der Mensch am Ende seiner Erdenleben soweit gelangt sein muss, das höchste Menschheitsideal zu verwirklichen: (Ich lebe aber, doch nun) nicht ich, sondern der Christus (lebt) in mir! (Gal. 2,20) Und damit haben wir von einer anderen Seite das Ziel beleuchtet, was in den apokalyptischen Ereignissen seine Erfüllung findet. Den Einzug und die Einwohnung des Christusselbstes, das in der Jordantaufe für drei Jahre Wohnung nahm in den Leibeshüllen des Jesus von Nazareth, in die Menschheit. Das ist das Urbild, das auf der letzten Stufe des Inkarnationsweges der Menschheitsentwicklung sich erfüllen soll. Wenden wir unseren Blick nun zu den kosmischen Gegebenheiten, die sich in diesem letzten Akt des apokalyptischen Dramas erfüllen. Das Schema der fortlaufenden Menschheitsentwicklung zeigt uns die Stufen der Vergeistigung der Erdenentwicklung, wie sie im Bilde der 252

„Sendschreiben, Siegel, Posaunenklänge und Zornesschalen in der Apokalypse beschrieben werden. Höheres Devachan Niederes Devachan Ätherisch-Astralische Welt

Intuition Inspiration Imagination

Zornesschalen Posaunen Siegel

Aus diesem gewiss sehr einseitigen Schema kann uns der stufenweise Übergang des Erdenbewusstseins in die höheren geistigen Bewusstseinssphären und die damit verbundenen Krisen anschaulich werden, da auf jeder Stufe Wesen zurückbleiben und sich verhärten. Wo befinden wir uns nun im apokalyptischen Geschehen, wenn die sieben „Zornesschalen“ ausgegossen werden? – Auf der höchsten Stufe zur geistigen Verwandlung, wenn die Erde ins höhere Geistgebiet übergeht, nachdem sie sich in der Sphäre der Posaunenklänge mit der Sonne wieder vereinigt hat. Stets wird der zur Weiter-Entwicklung fähige Extrakt einer der großen Erdenperioden hinübergerettet in die nächste Erdenperiode, und zwar erfolgt dies unter dem folgenden Gesetz:

Es war im letzten Drittel der atlantischen Zeit..., als sich ein kleines Häuflein in der Nähe des heutigen Irlands bildete, das zur höchsten Kulturstufe der Atlantis gekommen war und das dann auszog nach dem Osten, von wo aus alle späteren Kulturen ausgegangen sind. Der begabteste Teil der Atlantier zog nach Zentralasien; von da gingen die verschiedensten Kulturen aus. Aber auch diese atlantische Kultur hatte sieben aufeinanderfolgende Stufen, geradeso wie unsere Kultur sieben Stufen hat. Und es war in der fünften atlantischen Kulturstufe, als die Wanderung begann, sodass die auserlesenste Bevölkerung der alten Atlantis, die unserer Kultur zugrunde liegt, aus der fünften atlantischen Rasse genommen ist. Es folgte noch eine sechste und eine siebente Rasse. Das waren sozusagen die lauen Rassen. Sie sehen heute noch Nachzügler dieser alten überreifen Rassen, namentlich im chinesischen Volk. Das chinesische Volk ist dadurch charakterisiert, dass es sich nicht angeschlossen hat dem, was in der fünften Rasse, der Stammrasse, geoffenbart worden war. Damals, als der Ätherleib hineinging in den physischen Leib, war es, wo der Mensch die erste Anlage zum Ich-Sagen empfing. Sie hatten diesen Zeitraum verpasst, sie hatten allerdings dadurch jene hohe Kultur entwickelt, die bekannt ist, die aber nicht bildungsfähig war. [8, 8. Vortrag] Ebenso wird aus der sechsten nachatlantischen Kulturperiode, die in den sieben Sendschreiben der Apokalypse als der Bruderbund von „Philadelphia“ bezeichnet wird, der Extrakt für die folgende Erdenperiode nach dem großen Krieg hervorgehen (zur Zeit des Maitreya-Buddha um 4500 n. Chr.), und die siebte nachatlantische Kultur wird ebenso wie die chinesische Rasse zu den „Lauen“ gehören, wie sie als die von Laodizea bezeichnet wird:

Diese siebente [Kulturstufe] wird so hinüberleben in die neue Zeit, wie sie sechste und siebente Rasse der atlantischen Zeit – als verhärtete und sich versteifende Rassen – in unsere Epoche herübergelebt haben... Aus dieser verhärtenden Rasse wird sich dann nach dem großen Krieg die Rasse des Bösen entwickeln, die sich jetzt schon in der amerikanischen Bevölkerung vorbereitet. So werden sich dann zwei Strömungen gegenüberstehen, die bis ins Leibliche in ihrer Physiognomie sich unterscheiden. [8, 8. Vortrag] 253

Die VI. große Erdenentwicklungsepoche der Posaunenklänge bildet den Abschluss unserer Erdenentwicklung.

Da werden sich umgeändert haben alle Dinge und Wesenheiten auf unserer Erde. Denn wenn wir schon sagen müssen, dass in dem VI. Zeitraum die Menschen auf ihrem Antlitz ihr Gutes und ihr Böses tragen werden, dann werden wir umso mehr von jenem VII. sagen müssen, dass der Mensch in seiner Gestalt und alle Wesen in ihrer Gestalt ein Ausdruck sein werden des Guten und des Bösen in viel höherem Maße noch als in dem VI. Zeitraum. Alles, was Materie ist, wird den Stempel des Geistes tragen. Nichts, nichts wird in diesem VII. Zeitraum so sein, dass es irgendwie verhüllt werden könnte... Der Böse wird ausdrücken das Böse, der Gute das Gute. [8, 8. Vortrag] Die Zukunft hat auch in dieser Beziehung schon begonnen! Schon heute ist dieser VI. Zeitraum in der astralischen Welt, und der VII. in der devachanisch-geistigen Welt. (Vgl. S. 218) Der sechste Zeitraum ist die heruntergestiegene astralische Welt, das heißt, die Abbilder, die Ausdrücke, die Offenbarungen davon. Der siebente wird sein die heruntergestiegene himmlische Welt, der Ausdruck derselben. Und dann wird die Erde am Ziele ihrer physischen Entwicklung sein. Dann verwandelt sich die Erde in einen astralischen Himmelskörper. Alles, was an der Erde ist als Wesen, verwandelt sich in einen astralischen Himmelskörper. Die physische Substanz verschwindet als physische Substanz. Also denken Sie wohl: Alle diejenigen Wesenheiten der Erde, welche bis dahin die Möglichkeit gefunden haben, in ihrer äußeren materiellen Gestalt auszudrücken das Gute, das Edle, das Intellektuelle, das Schöne – die in ihrem Antlitz einen Abdruck zeigen werden des Christus Jesus..., alle die werden die Macht haben, das was sie an physischer Materie in sich haben, aufzulösen, wie laues Wasser Salz auflöst. Alles Physische wird übergehen in eine astralische Weltenkugel. Dasjenige aber, was bis dahin es nicht so weit gebracht hat, in dem Materiellen, in dem Körperlichen ein Ausdruck des Edlen, Schönen, Intellektuellen, des Guten zu sein, das wird nicht die Kraft haben, die Materie aufzulösen. Für das wird die Materie bestehen bleiben; das wird sich verhärten in die Materie, das wird behalten materielle Gestalt. Es wird an dieser Stelle der Erdenentwicklung stattfinden ein Aufstieg ins Geistige mit lauter Gestalten, die in diesem Astralischen leben werden und die ausscheiden werden aus sich eine andere materielle Kugel, eine Kugel, welche die Wesen enthalten wird, die unbrauchbar sind für den Aufstieg, weil sie nicht das Materielle auflösen können. [8, S. 166 f.]

Das Gesetz der Involution als Grundlage des „Jüngsten Gerichtes“ Wir sind hier an den entscheidenden Punkt gelangt, wo wir zu einem neuen Verständnis der „Scheidung der Geister“ kommen. Diese vollzieht sich im Jüngsten Gericht und wird von katholischer Sicht mit großem Nachdruck als das Lager der Auserwählten und der Verdammten beschrieben, wobei Gott oder Christus die Rolle des Weltenrichters übernehmen. Dem modernen Bewusstsein widerspricht diese Auffassung, besonders auch im Hinblick auf einen zürnenden und strafenden Gott. Peter Morant interpretiert die katholische Auffassung in seinem Buche folgendermaßen: Und der Rauch ihrer Qualen (z. B. der Rauch des quälenden Feuers) steigt auf in alle Ewigkeit und bei Tag und Nacht haben keine Ruhe, die das Tier und sein Bild anbeten und wer das Malzeichen seines Namens annimmt. – Im Gegensatz zur seligen Ruhe der

singenden Cherubim (4,8) und zur Glückseligkeit der im Herrn Sterbenden (14,13) haben die Verdammten keine Ruhe. Damit wird in aller Klarheit das Schrecklichste der Höllenstrafe, ihre Ewigkeit, ausgedrückt, die keine Erleichterung kennt. Es gibt also eine ewige Hölle, weil es einen ewigen gerechten Gott gibt. Daran wird nichts geändert, auch wenn ein leichtfertiges Geschlecht noch so sehr darüber spottet oder wenn ein liberaler Exeget die Bemerkung macht: „Wir wären dankbar, wenn die alten Christen diese grausame Vorstellung aus dem Judentum nicht übernommen hätten.“ (Joh. Weiß, Schriften des NT, 663) [1?] 254

Wir werden auf die ewigen Höllenstrafen im Kapitel über das Jüngste Gericht noch zurückkommen. Zunächst kann prinzipiell festgestellt werden, dass die Inhalte sowohl der Evangelien wie besonders auch der Apokalypse dem heutigen Bewusstsein neu erschlossen werden müssen, um deren spirituelle Hintergründe durch die imaginative Bilderschrift einer älteren Bewusstseinsstufe lesen und erfassen zu können. Und da ergibt sich die vielleicht überraschende Erkenntnis, dass dies nur durch eine neue Naturwissenschaft möglich ist, eine Naturwissenschaft, die im Sinne der Rosenkreuzerprinzipien aufgebaut ist und jene engen Beziehungen aufzuzeigen vermag, die zwischen Mensch und Natur waltet, wie ich es in meinem Buch über „Ursymbole der Menschheit“ dargestellt habe. Dann erst können die Evangelien in ihrem ursprünglichen Sinn wieder verstanden werden. Das gilt vor allem für die johanneïschen Schriften. Hierin waltet eine vergeistigte Naturauffassung, die in unmittelbarer Beziehung steht zu den geistig-seelischen Vorgängen des Menschen. Ohne diese Grundlage kann auch die Apokalypse nicht in ihrer kosmisch umfassenden Weite und weltumspannenden Größe verstanden werden. Als deus ex machinaError: Reference source not found, der alle Vorgänge leitet, bleibt der zürnende Jahwe-Gott ein Weltenrichter. Dieser Auffassung kann der heutige Mensch, dessen Weltbild sich immerhin um ein Beträchtliches erweitert hat, nicht bedenkenlos folgen. Ein ganz anderes Weltbild der apokalyptischen Vorgänge entsteht, wenn wir die gesetzmäßigen Weltprozesse verfolgen, die im geisteswissenschaftlichen Sinne sich bei der Entstehung der Erde seit ihrer ersten saturnischen Entwicklungsstufe abspalten (vgl. die „Geheimwissenschaft“ Error: Reference source not found). Es vollzieht sich hierbei ein stufenweiser Verdichtungsprozess von Wärme Luft – Wasser – Erde, das heißt mineralischer Substanz. Nachdem auf der vierten kosmischen Entwicklungsstufe der Erdenplanet den mineralischen Zustand erreicht hat und damit den äußersten Grad materieller Verhärtung, schwingt die Kurve dieses Inkarnationsprozesses zurück, um auf dem Wege der Involution den nach außen zu sich manifestierenden und inkrustieren den Prozess zurückzuhalten und zu vergeistigen. Die Kraft zu dieser Zurücknahme und Auflösung aus der materiellen Verhärtung ist der Auftriebskraft zu verdanken, welche dem Mysterium von Golgatha entströmt. Man kann sich dieses Gesetz der Inkarnation mit ihrem Spiegelbild der Involution in einer Kurve vorstellen.

255

Abb. 20: Die Erdenverkörperungen durch Evolution und Involution

Die Evolutionslinie der Inkarnation bis zu ihrer letzten Verhärtungsstufe sowie die Involutionskurve der Auflösung aus dem materiellen Aggregatzustand gehen aus diesem Schema hervor. Das ist ein ehernes Entwicklungsgesetz, das unserer ganzen Schöpfung zugrunde liegt. Der Rosenkreuzer fasste es mit seinen alchimistischen Kunstausdrücken zusammen: Cogula et solve! „Mache fest und löse auf“. Wer dies Weltengesetz erfasst, der erfasst die aus der kosmischen Entwicklung sich mit Notwendigkeit ergebende Gesetzmäßigkeit, der auch der Mensch in seiner Entwicklung untersteht. Denn eine solche geistige Weltentwicklung schließt den Menschen nicht aus, indem sie ihn nur bis zum Tierreich in seiner Entwicklung verfolgt und gelten lässt, sondern erkennt ihn als den Erstling der Schöpfung 244, dessen Urbild schon beim ersten Schöpfungstag den schaffenden Göttern vor der Seele stand, Grundstein und Ziel des ganzen Schöpfungsplanes. Denn wenn wir im Sinne der rosenkreuzerischen Naturanschauung das Verbindungsglied zwischen Gott und Natur, Innen- und Außenwelt suchen: Was war das treibende Motiv des ganzen Weltenplanes? Es ist die göttliche Liebe, die ihm zugrunde liegt und die in jeden Teil der Weltenschöpfung als Emanation Gottes eingeflossen ist. In jedem Stein, in jedem Blatt schlummert die göttliche Liebe. Der Rosenkreuzer erlebte sie kraft seiner vergeistigten Naturanschauung. Die rosenkreuzerischen Eingeweihten sprachen in anspruchsloser Art, indem sie aus ihrem Herzensfühlen sagen konnten:

„Gehen wir zu jenem Baum. Meine Seele kann in die Nadeln hineinkriechen, in die Tannenzapfen hineinkriechen, denn meine Seele ist überall. Wenn sie in die Tannenzapfen und in die Nadeln hineinkriecht, dann schaut sie durch die Tannenzapfen hinaus in die Welten tiefen und Weltenfernen, und dann wird man eins mit der ganzen Welt. Und das ist wahre Frömmigkeit, wenn man so eins wird mit der ganzen Welt. Wo ist Gott? In jedem Tannenzapfen ist Gott. Und wer nicht Gott in jedem Tannenzapfen anerkennt, wer Gott irgendwo anders sucht als in jedem Tannenzapfen, der erkennt den wirklichen Gott nicht...

244

Off. 3,14; vgl. auch 1. Kor. 15,2023.

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Ja, und dann, wenn man in die Tannenzapfen und in die Nadeln hinein kriecht, dann findet man, wie der Gott sich freut über die Menschen in der Welt. Wenn man aber in das eigene Herz ganz tief hinuntersteigt, dann findet man auch den Gott; aber dann lernt man ihn erkennen, wie er traurig wird über die Sünden der Menschen.“ [68, 3. Vortrag] Gott ist ausgegossen in die ganze Schöpfung. Es ist die göttliche Substanz, die in der ganzen Natur darinnen lebt. Und welches ist diese Substanz? Es ist die göttliche Liebe, die überall in jedem Tannenzapfen lebt. Diese göttliche Liebe, die der Mensch innerlich erleben kann, wenn er sich in einer kontemplativen Naturbetrachtung dafür öffnet, da sie überall als ätherische Substanz ausgegossen ist, sie offenbart sich im Wesen des Lichtes. Das ist eine fundamentale Erkenntnis, die uns aufgehen kann: Das Wesen der Welt ist göttliche Liebe, die sich nach außen als Licht offenbart! Das ist die tiefe esoterische Erkenntnis, die Christian Morgenstern in die schönen Verse gekleidet hat:

Licht ist Liebe... Sonnen-Weben, Liebes-Strahlung einer Welt schöpferischer Wesenheiten – die durch unerhörte Zeiten uns an ihrem Herzen hält, und die uns zuletzt gegeben ihren höchsten Geist in eines Menschen Hülle während dreier Jahre, da ER kam in Seines Vaters Erbteil – nun der Erde innerlichstes Himmelsfeuer: dass auch sie einst Sonne werde! [69] So sind wir auf der Erde umgeben von der sich im Lichte offenbarenden Liebe – wie in einem kristallreinen Wasser. Aber, fragen wir uns, was wird aus dem kristallklaren Wasser, wenn wir es verunreinigen, zum Beispiel durch einen schmutzigen Schwamm, dessen trübes Wasser wir in das reine Wasser auspressen und ausfließen lassen? – Das reine Wasser trübt sich, es wird schmutzig wie der schmutzige Schwamm. Ebenso wird die göttliche Liebe, die an sich rein ist wie das kristallreine Wasser und nur erfüllt von göttlicher Substanz, getrübt durch alles, was von der menschlichen Kulturbetätigung gerade im heutigen Zeitalter der Bewusstseinsseele ausgeht und alles verunreinigt, was Gott als Liebessubstanz ausgießt. Und eben diese göttliche Liebessubstanz, sie verkehrt sich in den göttlichen Zorn! Dies ist einer jener tiefen okkulten Erkenntnisse, die den Menschen erschüttern können. In der Sphäre der Maja verwandelt sich die göttliche Liebe in den göttlichen Zorn. Ein nahe liegendes Beispiel bieten uns die Naturerscheinungen, wie sie sich in der Meteorologie und den zahlreichen Naturkatastrophen in den letzten Jahrzehnten ausgelebt haben. Es sind Folgen der Menschentaten, alles desjenigen, was vom Menschen bewirkt worden ist in den kriegerischen Katastrophen und moralischen Gräueltaten und Verwüstungen. Sie offenbaren sich im Rhythmus von ungefähr sieben Jahren in den meteorologischen Unregelmäßigkeiten, abnormen Phänomenen der Naturkatastrophen. Und so müssen wir auch hier gründlich umdenken lernen. Denn was offenbart sich in diesen Katastrophen als der göttliche Zorn? In allen solchen Katastrophen offenbart sich in Wahrheit: die göttliche Liebe! Wer sich mit dieser Einsicht durchdringt, wer sie in seinem Inneren nachzuerleben 257

vermag, dem geht eine ebenso grundlegende Wahrheit auf: Würde Gott aus Barmherzigkeit die Menschen schonen wollen, indem er sie schützt vor den Auswirkungen des göttlichen Zornes, so wäre dies – von einem höheren Aspekt als dem menschlichen Gesichtspunkt – die größte Lieblosigkeit. Denn die Menschheit müsste dann rettungslos verloren sein. Sie müsste den Weg in den Abgrund ohne göttliche Hilfe und Korrektur weitergehen. Die Ausgießung der göttlichen Zornesschalen ist die einzige Rettung der Menschheit, umso viel als möglich das Böse wieder auszugleichen, das ja von der Erde aus bis in die geistigen Sphären hineinwirkt und dort Verwüstungen und zerstörende Wirkungen anrichtet, wie es das mahnende Wort des Geistes der Elemente in der „Pforte der Einweihung“ den Geistessuchern zu ruft, die an die Schwelle unwissend herangekommen sind:

Es müssen Geister Welten brechen, soll euer Zeitenschaffen Verwüstung nicht und Tod den Ewigkeiten bringen! [32, 4. Bild]

Die Ernte der Erde Wir gelangen nun zu dem majestätischen und in seiner Größe und Gewalt erschütternden, ja vernichtenden Bild der „Ausgießung der sieben Zornesschalen Gottes“, das gleichfalls wie bei den Posaunen durch einen kosmischen Kultus eingeleitet wird. Und dem schauenden Blick zeigte sich ein neues großes und staunenerregendes Geistesbild im Himmel. Sieben Engel mit den sieben letzten Prüfungen, in denen sich der Zorn Gottes vollendet. Und sich das Bild eines kristallenen Meeres mit Feuer vermischt. Und diejenigen, die als Sieger hervorgingen aus der Versuchung des Tieres und seines Bildnisses und über der Zahl seines Namens, – standen mit Harfen Gottes auf dem kristallenen Meer. Und sie sangen das Lied des Moses, des Gottesknechtes, und das Lied des Lammes. Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr Gott, Allherrscher! Gerecht und wahrhaft sind deine Wege, König der Völker. Wer sollte, Herr, deinen Namen nicht fürchten und lobpreisen? Denn du allein bist heilig. Alle Völker kommen zu dir, dich anzubeten; denn deine gerechten Gerichte sind offenbar geworden. – Danach sah ich, wie sich im Himmel der Tempel öffnete, das Tabernakel des Heiligtums. Und es traten die sieben Engel mit den sieben Plagen aus dem Tempel heraus, mit reiner glänzender Leinewand bekleidet, mit goldenen Gürteln um die Hüften gegürtet. Und eines von den vier Tieren gab den sieben Engeln sieben goldene Schalen, voll vom Zorne Gottes, der da lebt durch alle Ewigkeit. Da ward der Tempel voll Rauch und Gottesherrlichkeit und Macht. Und niemand konnte in den Tempel eintreten, bis die sieben Plagen vollzogen waren. (Off. 15, 18) Der Unterschied zu den Posaunenklängen liegt darin, dass jetzt der letzte Akt des apokalyptischen Dramas vorbereitet wird. Dieser letzte Akt ist die Heimholung der Erdenernte. Wir sind am Ende der Erdenentwicklung angelangt. Das Bild des Menschensohnes erscheint mit einer scharfen Sichel: Und ich schaute und siehe, eine Wolke, und auf der Wolke sah ich die Gestalt eines Menschensohnes. Er hatte auf seinem Haupte einen goldenen Kranz und in seiner Hand eine scharfe Sichel. Ein anderer Engel trat aus dem Tempel und rief mit mächtiger Stimme dem auf der Wolke Sitzenden zu: „Hole aus mit deiner Sichel und beginne die Ernte! Denn die Stunde der Ernte ist da; trocken steht die Ernte der Erde.“ Und der auf der Wolke Sitzende schwang seine Sichel über die Erde, und die Erde wurde geerntet. (Off. 14, 14 ff.) 258

Ein machtvolles Bild, das noch erweitert wird durch die Weinkelter, aus der das Blut fließt, und die anderen Engel, welche helfen, die Früchte der Ernte zu ernten. Bevor wir auf die mystisch-kosmische Bedeutung dieser Bilder eingehen, vergegenwärtigen wir uns zunächst die kosmische Weltenstunde, die jetzt geschlagen hat. Wir sind in den vorangehenden Posaunenklängen zu der Vergeistigung der Erde bis zu ihrem astralischen Zustand gekommen. Damit ist das Ende der Erdenentwicklung erreicht. Was nunmehr folgt als Erden-Ernte, kann verglichen werden der Lebensernte des Menschen, wenn er seinen Leib als Leichnam abgelegt hat. So wie der Mensch dann in die Himmelswelt aufsteigt und seine Lebensernte, die Probe bei der Prüfung im Angesicht der göttlichen Welt durchmachen muss, ob er besteht und aufgenommen werden kann, oder ob er zurückgewiesen wird und dem „Orkus“ verfällt wie der Leichnam, so findet jetzt die letzte Prüfung und Sichtung statt beim Übergang der vollendeten Erdenentwicklung zum Jupiterdasein. Und wiederum spielt hier das schon erwähnte Gesetz der Vergeistigung die entscheidende Rolle. Es bildet – wie wir sahen – die Grundlage der Entscheidung beim sogenannten Jüngsten Gericht. Dies wird durch die letzte Stufe der Vergeistigung der Erde eingeleitet, die nunmehr vom astralischen Zustand in den geistigen Zustand übergeht. Da zwischen den einzelnen Erdenverkörperungen oder – im Sinn der indischen Mystik – den Weltentagen (Manvantaras) je ein Weltennacht (Pralaya) liegt, in der alle Wesen in den Weltenschoß Brahmas zurückkehren, so kann man dies Vergeistigung der Erde mit allen ihren Wesen auch im Bilde sehen des sein Schöpfung wieder einatmenden Brahman. Er atmet die Welten aus – und es entsteht ein Weltentag; er atmet sie wieder ein – und alles kehrt zurück in den göttlichen Weltenschoß, in die Ruhe der Weltennacht. Was aber geschieht mit denjenigen Wesen, die Brahman nicht einatmen kann, da sie sich der Vergeistigung widersetzen und daher sich im Materiellen verhärtet und verfestigt haben, wie es das siebenköpfige Tier mit den zehn Hörnern im 13. Kapitel offenbart? Mit denen also, die zurückzucken in die astralischen Gattungskräfte der Gruppenseelen, die der Mensch vor seiner Menschwerdung durch den Ich-Einschlag bekam? Damit berühren wir eine entscheidende Frage, der wir uns versuchen wollen auf Grundlage der geisteswissenschaftlichen Erkenntnisse zu nähern! Wir sind an dem Zeitpunkt angelangt, der in den Bildern der Ausgießung der sieben Zornesschalen beschrieben wird, wo die Erde ihre eigentliche Entwicklung beendet hat und aus ihr herausgestoßen wird alles, was sich der Vergeistigung widersetzt. Dieser Vorgang wird von Rudolf Steiner folgen dermaßen beschrieben.

So wird unsere Erde ihrer Zukunft entgegenleben; so wird sie in ihrer Materie sich immer mehr verfeinern, bis sie die Kraft erhält, sich aufzulösen. Dann wird die Zeit kommen, wo das Nichtauflösbare herausgetrieben wird in einer besonderen Weltenkugel. Sieben Zeiträume werden vergehen, während das herausgetrieben wird, was in der Materie sich verhärtet hat; und die Kraft, die das herausgetrieben, wird die gegenteilige Kraft sein von der, welche die guten Wesen hinaufgetrieben haben wird. Was wird sie denn zum Auflösen der Materie bringen? Das ist die Kraft der Liebe, die durch das Christusprinzip gewonnen wird... Das Gegenteil der göttlichen Liebe nennt man den göttlichen Zorn – das ist der technische Ausdruck. Wie diese Liebe im Laufe der vierten Kulturstufe der Menschheit eingeprägt worden ist, wie sie immer wärmer und wärmer wird durch die letzten Kulturstufen unserer Zeit, durch die sechste und

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siebente, so wächst an auf der anderen Seite dasjenige, was die Materie um sich verhärtet: der göttliche Zorn. Und dieses Wirken des göttlichen Zornes, dieses Hinausstoßen der Materie, wird uns angedeutet in der Apokalypse des Johannes durch das Ausgießen der sieben göttlichen Zornesschalen. Stellen Sie sich vor, wie das Ganze sozusagen figürlich sein wird: Die Erde wird immer feiner und feiner in der Materie, der Mensch auch immer geistiger in seiner Materie, und die gröbsten Teile werden nur sichtbar sein in dem Feinen wie Schalen, wie zum Beispiel die Reptilien sie abwerfen oder die Schnecken. So werden die harten Teile immer mehr und mehr angegliedert sein der sich verfeinernden Materie. In dem letzten Zeitraum, dem Zeitraum der Posaunenklänge, würden Sie schon sehen mit hellseherischen Augen, wie die Menschen aus feinen Leibern bestehen, aus durchgeistigten Leibern; und wie diejenigen, die in sich verhärtet haben das materielle Prinzip, das in sich bewahrt haben, was heute die wichtigsten Bestandteile der Materie sind und wie das wie Hülsen herunterfallen wird in diese materielle Kugel, die das Überbleibsel sein wird nach diesem Zeitraum, der durch die Posaunenklänge angedeutet wird. [8, 8. Vortrag] In der Bildsprache des Apokalyptikers ist es das Tier mit den sieben Köpfen und zehn Hörnern, es ist diejenige Menschheit, welche dem Prinzip des zweihörnigen Tieres verfallen ist und sich in den alten luziferischen Gattungskräften verhärtet hat und daher der Zahl 666 verfällt. Diese Zahl erfüllt sich, wenn die Weltenuhr den 6. Verkörperungszustand unserer Erde, die Venus, zeigt und darin die 6. Entwicklungsepoche und die 6. kleinere Kulturepoche, sodass die geheimnisvolle Zahl des Tieres, die zugleich die eines Menschen ist, erfüllt wird. Dann

spaltet sich aus der Venus ein besonderer Weltenkörper heraus, der alles an Wesen enthält, was der Entwickelung widerstrebt hat, gleichsam ein unverbesserlicher Mond, der nun einer Entwickelung entgegengeht mit einem Charakter, wofür ein Ausdruck nicht möglich ist, weil er zu unähnlich ist allem, was der Mensch auf Erden erleben kann. Die entwickelte Menschheit aber schreitet in einem völlig vergeistigten Dasein zur Vulkanentwickelung weiter... [70, S. 413] Bis dahin wird der zurückbleibenden und sich verhärtenden Menschheit noch reichlich Gelegenheit gegeben sein, das Versäumte nachzuholen und sich der weiterschreitenden Evolution in ihrer Richtung nach dem Geiste anzuschließen. Dabei werden gerade die voranschreitenden Seelen ihre guten Kräfte einzusetzen haben, um die zurückbleibenden Seelen auf die Bahn des Guten zu bringen. Dies beginnt schon auf der Erde nach der Rückkehr des Mondes.

Es wird dies geschehen, weil dann eine genügend große Anzahl von Menschenseelen so viel innere Kraft haben wird, dass sie diese Mondenkräfte zur weiteren Entwickelung fruchtbar machen wird. Das wird eine Zeit sein, in welcher neben der hohen Entwickelung, die eine entsprechende Anzahl von Menschenseelen erreicht haben wird, eine andere einhergehen wird, welche die Richtung nach dem Bösen genommen hat. Die zurückgebliebenen Seelen werden in ihrem Karma so viel Irrtum, Hässlichkeit und Böses angehäuft haben, dass sie zunächst eine besondere, der guten Gemeinschaft der Menschen scharf entgegenstrebende Vereinigung der Bösen und Verirrten bilden werden. Die gute Menschheit wird durch ihre Entwickelung den Gebrauch der Mondenkräfte sich erwerben und dadurch auch den bösen Teil so umgestalten, dass er als ein besonderes Erdenreich mit der weiteren Entwickelung mitgehen kann. Diese Arbeit 260

wird sich auf dem Jupiter fortsetzen, wo sich die beiden Reiche, die mit der Entwickelung fortschreitenden und die ihr widerstreben den Menschen, gegenüberstehen. Ein großer Teil der Arbeit der guten Menschen wird der Umbildung der bösen Gemeinschaft gewidmet sein. [70, S. 411] Während des Venuszustandes wird es drei Menschenreiche geben von verschiedenen Vollkommenheitsgraden. Während dieses Venuszustandes bleibt die Erde mit der Sonne verbunden. Dann findet gegen das Ende der Venusentwicklung die definitive Trennung der bösen Menschengemeinschaft statt. Wir werden versuchen, der Frage noch näher zu treten, wie wir uns das Schicksal dieser „der Hölle“ verfallenen Menschen vorzustellen haben, dass heißt ob es wirklich eine „Hölle“ gibt für die „Verdammten“? Bereits nach dem großen Kriege aller gegen alle in der VI. großen Erdenperiode wird es eine Hauptaufgabe sein, zu retten was noch zu retten ist. Immer mehr sehen wir als Zukunftsperspektive die Erde zu einem „heilpädagogischen Heim“ sich verwandeln. Und darin erfüllt sich auch im Grunde der tiefere Sinn des Zurückbleibens des einen Teiles der Menschheit, damit das Gute daran sich erstarken kann.

Betrachten Sie es nicht als eine Härte des Schöpfungsplanes..., dass die Menschheit gespalten wird in solche, die zur Rechten und die zur Linken stehen werden, betrachten Sie es vielmehr als etwas, was im höchsten Grade weise im Schöpfungsplane ist. Denn bedenken Sie einmal, dass gerade dadurch, dass so das Böse sich von dem Guten trennte, das Gute seine Hauptstärke im Guten erhalten wird. Denn es wird das Gute sich nach dem großen Kriege aller gegen alle jede nur mögliche Anstrengung geben müssen, um die Bösen in dem Zeitraum, in dem es noch möglich sein wird, wieder herüberzuziehen. Das wird nicht eine Erziehungsaufgabe sein, wie heute die Erziehungsaufgaben sind, sondern da werden okkulte Kräfte mitwirken. Denn die Menschen werden in diesem nächsten großen Zeitraum (der VI. der großen Erdenperioden) okkulte Kräfte in Bewegung zu setzen verstehen. Die Guten werden die Aufgabe haben, auf ihre Mitbrüder der bösen Strömung zu wirken. Und in den okkulten Weltströmungen wird dieses alles vorbereitet. Die Weltströmung, die das vorbereitet, sagt folgendes zu ihren Schülern: Da reden die Menschen von Gut und Böse, und sie wissen nicht, dass es im Weltenplan notwendig ist, dass das Böse auch zu seiner Spitze kommt, damit diejenigen, die dieses Böse überwinden müssen, gerade in der Oberwindung des Bösen die Kraft so nutzen, dass ein umso größeres Gutes herauskommt. Aber es müssen die auserlesensten Menschen darauf vorbereitet werden, dass sie hin überleben über das Zeitalter des großen Krieges aller gegen alle, wo Menschen ihnen entgegenstehen werden, die in ihrem Antlitz haben werden die Zeichen des Bösen; sie müssen vorbereitet werden darauf, dass soviel als möglich gute Kraft einfließen muss in die Menschheit. Es wird noch möglich sein, dass die bis zu einem gewissen Grade weichen Leiber nach dem großen Kriege aller gegen alle umgeformt werden durch die bekehrten Seelen, die noch in diesem letzten Zeitraum zu dem Guten hinübergeführt werden. Damit wird viel erreicht werden. Das Gute würde nicht ein so großes Gutes sein, wenn es nicht also wachsen würde durch die Überwindung des Bösen. Die Liebe würde keine so intensive sein, wenn sie nicht eine so große Liebe werden müsste, um selbst das Hässliche im Antlitz der bösen Menschen zu überwinden. [8, 8. Vortrag] Die Weltenströmung, welche schon heute auf diese umfassende Aufgabe sich vorbereitet, ist der Manichäismus, der auf Manes (oder Mani) als seinen Begründer im 4. Jahrhundert 261

zurückgeht, einer der größten Eingeweihten, welcher in der 6. nachatlantischen Kulturperiode diese Mission übernehmen wird. In dieser Art ist das Böse im Schöpfungsplane mit eingeschlossen, es dient der Erstarkung und Erhöhung des Guten! – Versuchen wir nun auf diesem Hintergrund die Bilderschrift der sieben Zornesschalen zu lesen. Wir sahen schon bei den sieben Posaunenklängen eine gewisse Verwandtschaft zu den ägyptischen Plagen im Alten Testament. Der prinzipielle Unterschied liegt in der Evolutionsrichtung. Die ägyptischen Plagen, die Moses über die widerspenstigen, dem Zeitgebot sich widersetzenden Ägypter heraufbeschwört, sind Prüfungen der Inkarnation, nachdem das KaliYuga begonnen hat und die Menschheit die Verbindung mit den göttlichen Welten verließ, um in der hereinbrechenden Erdenfinsternis die Flamme des IchBewusstseins zu entzünden. Als Alb, astralische Gespenster und Todesgrauen erlebte der Mensch dieser Zeitenwende seine Inkarnation, das Hinabsteigen in die physische Leiblichkeit. Heute, am Ende des KaliYuga, findet als Spiegelbild dieses Schwellenerlebnisses ein Exkarnations-Erlebnis statt. Der Mensch fühlt den sicheren Boden, auf dem – wie auf der festen Erde – er sich von seinem Leibe getragen erlebt hat, wie unter seinen Füßen entschwinden. Todesfurcht lähmt ihn, denn die geistige Welt, die sich ihm zu öffnen beginnt, ist für ihn das reine Nichts! – In einem weit umfassenderen Maße müssen wir uns diejenigen Erlebnisse vorstellen, die in den imaginativen Bildern der Ausgießung der Zornesschalen beschrieben werden. Werden in den ägyptischen Plagen die Elemente verunreinigt – Frösche tauchen aus dem Wasser auf, Mücken im Luftkreis, Ungeziefer aus dem Erdenstaub, schwarze Blattern aus dem Aschenstaub, Hagel fällt vom Himmel, Heuschreckenschwärme in der Luft, Verfinsterung der Sonne und Gestirne –, so haben wir es hier bei den Zornesschalen mit einem „pervertierten Todeserlebnis“ zu tun. Gewiss kann man die imaginativen Bilder, die als Krankheitsgeschwüre usw. in ihrer konkreten Anschaulichkeit auf die materiellen Folgen in der physischen Welt beziehen, wie es Emil Bock in seiner Apokalypse sehr überzeugend tut (siehe [3]). Wir wollen uns aber zu dem urbildlichen Geschehen in der geistigen Welt erheben, um das über sinnliche Geschehen zu erfassen, wie es die Geisterkenntnis schildert, was sich bei der Ausgießung der sieben Zornesschalen am Ende der Erdenentwicklung vollzieht und dann erst auf die irdische Projektion hinweisen, die sich schon in der Gegenwart anzukündigen beginnt. Wir haben es auch, wie immer, wo die Zahl 7 auftritt, mit dem Geheimnis der menschlichen Evolution zu tun, die sich in sieben Stufen vollzieht, auf die die sieben Seiten der Äolsharfe der menschlichen Wesenheit eingestimmt sind. Wie in den früheren Siebenheiten der Sendschreiben, Siegel und Posaunenklänge, so untersteht die Siebenheit auch hier dem pythagoreischen Prinzip der Vierheit der menschlichen niederen Natur und der Dreiheit der drei höheren Prinzipien, die man gewohnt ist, im Dreieck des Gottesauges zu versinnbildlichen. In dieser höheren Zahlenmystik, die wir überall in den inspirierten, aus okkulten Quellen stammenden religiösen Dokumenten antreffen, wie im Johannesevangelium, herrscht eine strenge übereinstimmende Gesetzmäßigkeit, die keine Willkür, aber auch keine Spekulation oder Konstruktion kennt. Diese Gesetzmäßigkeit wohnt als Kompositionsgeheimnis allen inspirierten Urkunden inne und beherrscht sie wie der goldene Schnitt und die ästhetischen Schönheitsgesetze die Bilder Raffaels und anderer großer Künstler. So beziehen sich die vier ersten „Plagen“, wie sie der Apokalyptiker auch nennt, auf die vier unteren Prinzipien der menschlichen Organisation, den physischen Leib, die 262

Bildekräfte des ätherischen Leibes, den Empfindungsleib (Astralleib) und das Ich als Zentrum der menschlichen Wesenheit. Die drei letzten Prüfungen wenden sich an Geistesglieder, die noch im keimhaften Zustand sich befinden. Stellen wir uns noch einmal die konkrete Situation vor Augen. Was geschieht, wenn nach der 7. Posaune die Ernte der Erde heimgeholt wird und aus dem Tempel die sieben Engel mit den goldenen Schalen des göttlichen Zornes treten, die sie von einem der apokalyptischen Tiere empfangen? Es ist der Vorbereitungsakt zu der großen Vergeistigung, zum Sonnenwerden der Erde. Wie die Sonne in der hyperboräischen Zeit, der zweiten großen Erdenentwicklungsstufe, sich von der Erde trennte, indem die mit der Sonne verbundenen Wesen unter der Führung des „Feuergeistes“, des Christus, nur die feinsten Substanzen aus der Erde lösten, so findet jetzt am Ende der physischen Erdenentwicklung eine Wiedervermählung der Erde mit der Sonne statt. Die Kraft hierzu wurde durch das Mysterium von Golgatha der Erdenmaterie eingepflanzt. Nur was dieser Auftriebskraft folgt und sie in sich trägt, kann die Vermählung mit der Sonne vollziehen – alles was sich von der Schwerkraft der Materie nicht lösen kann, alles was der materiellen Dichte und herunterziehenden Kraft unterworfen bleibt, folgt deren Gesetz. Es ist das Gesetz, nach welchem der Erdenplanet aus seiner wärme- und lufthaften Substanz in die Schwere des Mineralischen sich verdichtet hat. Wir haben gesehen, dass dieser Verdichtung die Gegenkraft der göttlichen Liebe zugrunde liegt: es ist der kosmische Hass, durch den Ahriman, der Geist der Schwere, die Erde bis zum menschlichen Knochenskelett verdichtet und aus dem geistig-ätherischen Kosmos zusammen gezogen hat. Diese in die Schwerkraft gefallene Erdenmaterie, die ihrem Wesen nach ein Leichnam ist – ein Abfallsprodukt der göttlichen Schöpfung – kann nicht auf genommen werden in die nun stattfindende Vergeistigung der Erdenwesen. Sie sinkt als „Schale“ in den Weltenabgrund, ebenso wie der menschliche Leib als Leichnam nach dem Tode in das Grab sinkt. Während aber der Leichnam im Tode sich trennt vom seelisch-geistigen Wesen des Menschen, kann sich bei dem Tode, der Scheidung des Menschen vom Materiellen, der Mensch nicht der Materie entreißen. Er bleibt mit ihr verbunden. Es ist also eine Art „zweiter Tod“, der sich hier vollzieht für diejenigen Menschen, die dem Gesetz der Schwere verfallen sind. Und deshalb treten nun in diesen der Materie verfallenen Leibesgliedern die negativen Folgen, man möchte sagen: Phänomene des „pervertierten Todes“ auf, als die negativen Wirkungen des Geistigen. Wir können uns dies dadurch am besten klarmachen, wenn wir bedenken, dass der Mensch mit der Kraft des abgelegten Leibes, seiner geistigen Urgestalt, die ihm noch erhalten bleibt, die ihn zum Licht tragenden Formkräfte nach dem Tode empfängt. So ist es auch bei den anderen menschlichen Gliedern. Jetzt aber, weil keine wirkliche Trennung von der Materie stattfindet, treten die in der Materie eingravierten Wirkungen der geistigen Verbundenheit mit den einzelnen Wesensgliedern hervor in ihrer negativen, perversen Form. Und diese werden uns in den imaginativen Bildern der 7 Zornesschalen beschrieben. Stellen wir sie kurz zusammen in der unteren Vierheit:  Die 1. Schale wird auf die Erde gegossen Wirkung: Die Menschen mit dem Malzeichen des Tieres erhalten ein böses, unheilverbreitendes Geschwür an ihrem Leibe  Die 2. Schale wird ins Meer ausgegossen Wirkung: Es verwandelt sich in Blut von einem Leichnam (Totenblut) und jedes Lebewesen stirbt im Meer. 263

 Die 3. Schale wird in die Flüsse und Wasserquellen gegossen Wirkung: Sie werden zu Blut. Und ich hörte den Wasserengel sprechen: „Gerecht bist du, da sie das Blut der Heiligen vergossen haben, gibst du auch ihnen Blut zu trinken, denn so haben sie es verdient.“ (Off. 16,5 f.)  Die 4. Schale wird auf die Sonne ausgegossen Wirkung: Da wurde ihr Kraft verliehen, die Menschen mit Feuerbrand zu versengen. Und die Menschen wurden von großer Glut versengt, und sie lästerten den Namen Gottes, aber bekehrten sich nicht. (Off. 16,8 f.) Unschwer ergibt sich in diesen vier ersten Plagen der Zusammenhang mit den vier niederen Wesensgliedern der menschlichen Organisation. Anstatt sich zu vergeistigen und in ihren Wirkungen aufgenommen zu werden in die Sonnensphäre, werden sie zurückgestoßen und bleiben nicht nur in ihrer Verhärtung bestehen, sondern zeigen jetzt die daraus hervorgehenden negativen Wirkungen, die ja von ihnen ausgegangen sind. Man könnte auch hier von einem permanenten Kamaloka-Zustand sprechen, der sich auf dem so entstehenden seelischen Schauplatz des „ausgestoßenen Nebenplaneten“ abspielt. Das Geschwür, das sich unheilvoll am physischen Leib bildet, ist die Folge der Bosheit, die wie ein Karzinom-Geschwür wuchert und vom Ich nicht mehr beherrscht wird, da die Materie an sich finster und böse ist. Sie wird auch nicht mehr von den lebendigen Bildekräften des Ätherischen durch strömt, die ja zurückgewiesen respektive nicht zu geistigen Zwecken, sondern zum egoistischen Missbrauch der Schwarzen Magie verwendet worden sind und daher wie Totenblut in einem Leichnam das „Meer“, das heißt die ätherischen Bildekräfte, verunreinigen. Dies ist eine Folge des „Zeichens des Tieres“, oder wie es im Original heißt: der „Character Bestiae“, der darwinistischen Weltanschauung, die den Menschen nur als höherentwickeltes Tier anerkennt. Die irdische Projektion dieser ersten Plage macht sich schon im 20. Jahrhundert geltend und tritt immer stärker als Krankheitsgeschwür hervor, bis sich die 666 zum dritten Male erfüllt, 1998, und Sorat, der Sonnendämon, hervorbricht, wodurch Satan von seiner Fessel befreit wird. Wir haben es hier mit einer Krankheitsepidemie zu tun, die einen menschheitlichen Charakter annehmen wird, wenn sich Satanas mit den astralischen Wirkungen des Materialismus verbindet. Denn der Materialismus, der die geistige Welt leugnet und der im 19. Jahrhundert zur wissenschaftlichen Methode der modernen Weltanschauung erhoben wurde, ist im 20. Jahrhundert zur Lebenspraxis und seelischen Gesinnung geworden, der die Seelen und Gemüter bis in die innerste Faser beherrscht. Das ist das Zeichen des Tieres, womit sich der Sonnendämon verbindet, sodass seine verheerenden Wirkungen bis in furchtbare Krankheitserscheinungen sich manifestieren werden. Die Heilkräfte des ätherischen Organismus werden dadurch ebenfalls angegriffen, sie verdicken sich zu „totem Blut“, das heißt sie töten die geistigen, vom Kosmos einfließenden Lebenskräfte, je mehr der Mensch nur noch als physisches Wesen lebt und alles Außerirdische tingiert. Wenn sowohl bei der zweiten wie der dritten Zornesschale das Meer und die Wasserquellen genannt werden, die in Blut sich verwandeln, das den Menschen zu trinken gegeben wird, als karmische Folge ihrer begangenen Taten (Tötung der Heiligen in der 3. Plage), so ist damit auf eine feine Unterscheidung zwischen dem Salzwasser (Meer) Und dem Süßwasser (Quellen und Flüsse) hingewiesen. Das erstere ist ein Bild für die kosmischen Ätherströme im menschlichen Lebensleib; das letztere ein Bild für die innermenschlichen-seelischen Ströme des Astralischen. 264

Alles, was der Mensch verspottet, verhöhnt, zurückgewiesen, also geistig „getötet“ hat an göttlichen Werken, das fällt auf ihn zurück, er muss „das Blut der Heiligen“ trinken, da die geistige Welt jetzt die Gotteslästerungen und Verwünschungen der Heiligen in einem umgekehrten Spiegel uns zeigt und zurückweist. Das offenbart sich vor allem in der vierten Plage: Die Sonne verliert ihre heilende und segnende Kraft. Die mit dem Zeichen des Tieres gezeichneten Menschen werden von ihrer äußeren Glut wie von einem Feuerbrand versengt. Hier offenbart sich der zentrale Punkt des Menschen, das Ich-Mysterium, das zugleich das Sonnen-Mysterium ist! Es ist ein Gesetz der geistigen Welt, dass sie, je nach der seelischen Einstellung, die wir ihr entgegenbringen, auf den Menschen wirkt, so kommt es zum Beispiel in der Venussphäre, die von Liebe erfüllt ist, darauf an, ob wir ihr Liebe oder das Gegenteil von Liebe entgegenbringen, wenn wir sie nach dem Tode durchschreiten. Im letzteren Falle erleben wir diese Sphäre so, dass sie uns zurückstößt. Und dies gilt nun vor allem von der Sonne, die sich jetzt mit der Erde vereint. Da verwandelt sich die göttliche Liebes wärme in einen Feuerbrand, der uns verzehren will, wenn wir der Christusliebe nicht gewachsen sind. Schon im Leben nach dem Tode braucht der Mensch geistige Kraft, um den kosmischen Liebesströmungen gewachsen zu sein, wie es in den Mitteilungen eines im Ersten Weltkriege gefallen jungen Künstlers beschrieben wird:

24. Dezember 1915 Heiliger Abend! Unermessliches habe ich erschauen dürfen. Ich erzählte schon von den wunderbaren Klängen, die hinabquellen bis in die innersten Schichten der Erde. Aber nun habe ich noch etwas anderes erschaut, was viel höher ist und weit tiefer als alle Gesänge. Ich habe meinen Erlöser fühlen dürfen! Meinen Erlöser, Christus-Jesus. Wellen, die von ihm ausgingen, durchströmten mich, und ich empfing sie mit dem heiligsten Erkennen: Wellen von Ihm, von Ihm. Ich musste ganz ruhig verharren, nichts wurde mir vorher erklärt. Da kam ein Strom der Liebe an mir vorbei, ich wusste gleich: der war von GOTT, der war von Ihm! Ich aber verlor in seligster Hingabe das Bewusstsein. – Warum war das mit mir geschehen? – Warum war mir so sonderbar zumute? – Hatte ich nicht die Kraft, diesen heiligen Strom in mich aufzunehmen? Er kam vor bei, um weiter zu wehen, andere zu beglücken, andere zu beseligen. Ich war nicht reif, konnte die Liebe nicht verarbeiten, und so hat es mich überwältigt. Der Strom ging weiter an mir vorüber, nur ein kleiner Herzgedanke war in mir hängen geblieben von diesem Gewaltigen, das die Fluren durchweht hatte, um auch an mir vorbeizustreifen. Diesen Herzgedanken will ich hegen und pflegen wie eine ganz seltene Pflanze, die nur aus Liebe geboren ist und durch Liebe weiterleben kann. So empfinde ich diesen Herzgedanken. Es war das Größte, was ich erleben durfte. [71, 1. Folge] Darin offenbart sich ja im Grunde genommen das zentrale Geheimnis der Zornesschalen, dass die göttliche Welt in ihrer umfassenden Liebe wie ein mächtiger Feuerstrom in ihrer Ursubstanz den Menschen entgegenkommt, um ihn aufzunehmen, und dass die Menschen, die nur dem ahrimanischen Prinzip gedient und das Gegenteil von Liebe entfaltet haben, die göttliche Liebe als Flammen des Zornes erleben, die sie ausdorren und versengen. Hierin zeigt sich auch der Unterschied zu den Posaunenklängen. Während bei den vier ersten Posaunen nur ein Drittel der Geschöpfe im Ätherischen und Astralischen getötet wird und dann beim 6. Posaunenklang ein Drittel der Menschen getötet wird – es ist, wie 265

wir sahen, jeweils das geistige Drittel, das dem Tode verfällt –, sind es hier bei den Zornesschalen alle Geschöpfe und Seelen, die zurückgewiesen werden und dem Abgrund verfallen. Die Scheidung ist eine endgültige. Hier kann uns das Bild des Rosenkreuzers zu Hilfe kommen, das uns das Wandlungsgeheimnis lehrt. Der rosenkreuzerisch-christliche Wandlungsweg besteht darin, dass die niederen Triebe, die in unserem Blute rumoren, geläutert werden und durch den Tod gehen müssen, wie es im schwarzen Kreuz der Rosenkreuzermeditation versinnbildlicht ist. Nur was diese Läuterung besteht, kann als das vergeistigte höhere Leben in den sieben Lichtesrosen des Kreuzes erblühen. Wessen Seele aber dieser Läuterung sich widersetzt, wer sein Göttliches begraben hat oder dem Bösen ganz verschrieben hat, für den bleibt das schwarze Kreuz leer und kahl, da keine Rosen daraus auferstehen können. Kein Gott kann in dessen Seele den göttlichen Funken erwecken, der ihn begraben hat! Kommt uns in den vier ersten Plagen das Elementarische aus dem Physischen, Ätherischen, Astralischen und der geistigen Lebenskräfte der Sonne entgegen, so in den drei letzten Zornesschalen das göttliche Antlitz der Trinität. Die 5. Schale wird auf den Thron des Tieres ausgegossen. Diejenigen Seelen, denen das Reich des Tieres zu ihrer Geistesheimat geworden ist, verwünschen den „Heiligen Geist“ und verfluchen ihn mit der Zunge, dem göttlichen Werkzeug des Wortes, das im Bilde der göttlichen Flammenzungen bei der Offenbarung des Heiligen Geistes im Pfingstbild erschien und sich auf die Jünger niederließ. Es ist das Gegenbild des Geistes, das das Reich des von Christus und dem väterlichen Weltengrunde ausgehenden Geistes zum Verlöschen bringt. Und als Gegenbild des Reiches des Sohnes erscheinen bei der 6. Zornesschale die Könige aus dem Orient, die als die Heiligen drei Könige dem neugeborenen König der Juden ihre Gaben darbrachten. Doch welche Gaben bringen sie jetzt mit? Drei dämonische Wesen in der Gestalt dreier Frösche.

Das sind dämonische Geistwesen, die mit übersinnlichen Kräften wirken und die zu den Königen der Menschheit gehen, um sie in den Krieg zu hetzen, der entfesselt wird, wenn der große Tag des Weltenherrschers aufgeht. – Selig ist der Mensch, der ein waches Bewusstsein behält und seine Kleider bewahrt, dass er nicht nackt wandeln muss und man seine Blöße sieht. [3] Statt der Gaben der Heiligen drei Könige kommen jetzt über den durch die Zornesschalen ausgetrockneten Euphratstrom (einer der ätherischen Urströme des Paradieses) dämonische Geister aus dem Maule des Drachens hervor. Die drei Frösche deuten auf sexuelle unreine Kräfte, die magisch entfesselt werden. Damit wird Buddhi, der göttliche Lebensgeist, in den Abgrund gezogen und das Urbild des Menschenwesens pervertiert. Hier kann der Gedanke in uns aufsteigen, dass diese Pervertierung sich schon heute immer mehr ankündigt, womit der Westen, Europa und Amerika, die karmische Vergeltung für die Sünden heimgezahlt bekommt, der Westen dem Osten, vor allem China im 19. Jahrhundert, durch den Opiumhandel und den daraus entstehenden Opiumkrieg und Taiping-Aufstand zugefügt hat. Heute sendet der Osten im Rauschgiftschmuggel das bewusstseinstrübende und die Lebenskräfte ruinierende Gift dem Westen zurück, dem unsere Jugend zum Opfer fällt. Dabei kann man auch an alle okkulten Bewegungen denken, die von Indien über Amerika nach Europa gelangen und welche gleich einem verführerischen Gift das zentrale Mysterium der Menschheitsentwicklung, das Christus-Mysterium, auszulöschen trachten.

Aus dem Frieden des Sohnesreiches der durchchristeten Lebenskräfte wird von den östlichen Dämonen der Krieg entfesselt, der seinen Höhe- und Brennpunkt an jener Stätte 266

erfährt, der im Hebräischen „Harmagedon“ heißt. Durch alle diese Chaos verbreitenden und das Bewusstsein verdunkelnden Ereignisse der wachsenden Dämonisierung rückt die Schwelle als große Entscheidung heran.

Eine Entscheidung wird unausweichlich. Eine Schlacht muss geschlagen werden. Den Schauplatz desselben nennt die Apokalypse Harmagedon, das heißt „Berg der Schwelle“. Hier sind die Tore des Himmels und der Hölle offen. Aus den höllischen Bereichen drängen sich Riesenheere hervor. Werden genügend Diener des Guten da sein, um ihnen mit den Kräften, die sie aus dem offenen Himmel holen, siegreich entgegenzutreten? [3] Die 7. Schale offenbart im Zeichen des letzten Kreuzeswortes des Johannesevangeliums Es ist vollbracht (Joh. 19,30), die Erfüllung des Mysteriums von Golgatha und damit der ganzen Menschheitsentwicklung. Dieses Wort ist, wie ich es nachgewiesen habe, Offenbarung des Geistesmenschen, der durch Christus im Mysterium von Golgatha als Grundstein zur Jupiterentwicklung sich mit der Erde verbunden hat. Damit ist der Sieg des Lebens als Überwindung des Todes besiegelt. Es offenbart sich hier in seinem Gegenbild! Das bloß Vergängliche und zeitliche Gebundene, das keine Auferstehungskräfte in sich trägt, fällt dem Abgrund anheim. Vergessen wir nicht, dass unsere gegenwärtige technische Zivilisation dazu gehört. Sie hat nur eine Bedeutung für die Erde und die unmittelbare Gegenwart, doch nicht für die Zukunft noch für den Kosmos, wie die früheren Tempelkulturen der vorchristlichen Zeiten oder der christlichen Kultur des Mittelalters. Damit befinden wir uns heute, in der 5. nachatlantischen Kultur, wirklich an einer großen Schwelle. Wir stehen an der Kampfstätte von Harmagedon – dem „Schwellenberg“. Findet die Menschheitskultur des 5. und 6. Zeitraumes nicht den Übergang über diese Schwelle zum Geist und seiner Erkenntnis, so wird die Linie – trotz des Christusimpulses – nicht nach oben emporsteigen zur neuen Verbindung mit den geistigen Welten, sondern immer weiter in den Abgrund führen, wie es aus dieser Skizze der Evolutionskurve mit ihren zwei Möglichkeiten ersichtlich wird. Abb. 21: Die Wege der Involution und des Abgrunds

Ob die Menschheitsauferstehung oder ihr Tod auf das Wort Es ist vollbracht! erfolgt, das liegt letzten Endes in der eigenen Freiheit und Vollmacht der Menschheit!

Das Gesetz der Großzügigkeit Gottes, das in der Ausgießung der goldenen Tempelgefäße wirksam ist, offenbart sich auch in dem Geheimnis der Wiederkunft. Die Schalen der Liebe Gottes werden auf die Menschheit ausgegossen, gleichviel ob ihr Inhalt in der rechten oder in der unrechten Art, als Sakrament oder als Antisakrament, entgegengenommen wird. Die Menschheit verfügt über die abgründige Vollmacht, die sich ergießende Liebe Gottes in ihr Gegenteil zu 267

verkehren, ja, sie schließlich zu missbrauchen und in den Dienst der Gegenmächte zu stellen. So kommen auch durch das Erscheinen des Menschensohnes auf den Wolken des Himmels erhaben-große Möglichkeiten und Kräfte in den Lebensbereich der Menschheit herein, die segnen und heiligen sollen, die aber auch missbraucht und in ihr Gegenteil verkehrt werden können. Die Verarmung der Menschen, die sich gegen die neue Christusnähe verschließen, ist noch nicht das letzte. Das Kommen Christi bedeutet zugleich, dass der satanischen Macht des Antichristen gleichfalls der Weg offen steht. Gerade dann, wenn sich der Christus der Menschheit naht, werden die Menschen lernen, den Bann der sogenannten Naturgesetze zu durchbrechen und mit den Kräften des Abgrundes Wunder zu tun. [3] Schon neun Jahre vorher hat Rudolf Steiner auf das Jahr 1933 hingewiesen, als jenem Zeitpunkt, wo das Tier aus dem Abgrund emporsteigen werde. Ferner wies er darauf hin, dass erst dann, wenn die schwarzmagischen Kräfte des Bösen in die Erscheinung getreten sein werden, die Christuserscheinung im Ätherischen sich vollziehen könne! Lassen wir noch einmal die sieben Stufen der göttlichen Zornesschalen, die ihrem Wesen nach die Schalen der göttlichen Liebe sind, an uns vorüberziehen in ihrem geistigen Aufbau: Ich hörte eine mächtige Stimme aus dem Tempel den sieben Engeln zurufen: „Geht hin und gießt die sieben Schalen des Zornes Gottes auf die Erde aus.“ Und der erste ging hin und goss seine Schale auf die Erde aus: da entstand ein böses und schlimmes Geschwür an den Menschen, die das Malzeichen des Tieres trugen und sein Bild anbeteten. Der zweite goss seine Schale auf das Meer aus, und es ward wie Totenblut, und es starb jedes Lebewesen im Meer. Der dritte goss seine Schale auf die Flüsse und Wasserquellen aus, und sie wurden wie Blut. Und ich hörte den Wasserengel sprechen: „Gerecht bist du, der da ist und war, du Heiliger, der du also gerichtet hast. Da sie das Blut der Heiligen vergossen haben, gibst auch du ihnen Blut zu trinken; so haben sie es verdient.“ Ich hörte den Altar sprechen: „Fürwahr, Herr Gott, Allherrscher, wahrhaft und gerecht sind deine Gerichte.“ Und der vierte goss seine Schale auf die Sonne aus. Da ward ihr Kraft verliehen, die Menschen mit Feuer zu versengen. Und die Menschen wurden von großer Glut versengt, und sie lästerten den Namen Gottes, der die Macht über diese Plagen hat. Aber sie bekehrten sich nicht dazu, ihm die Ehre zu geben. Und der fünfte Engel goss seine Schale auf den Thron des Tieres aus. Da wurde dessen Reich verdunkelt, und sie zerbissen sich vor Schmerz die Zunge. Sie lästerten den Gott des Himmels ob ihrer Peinen und ob ihrer Geschwüre, aber sie bekehrten sich nicht von ihren Werken. Der sechste Engel goss seine Schale aus über den großen Euphratstrom. Da vertrockneten dessen Wasser, damit der Weg bereitet würde für die Könige vom Sonnenaufgang her. Und ich sah aus dem Maul des Drachen und aus dem Maul des Tieres und aus dem Maul des Lügenpropheten drei unreine Geister wie Frösche hervorgehen. Das sind nämlich die Dämonengeister, die Wunderzeichen wirken, die ausziehen zu den Königen der ganzen Welt, um sie zum Krieg zu sammeln für den großen Tag Gottes, des Allherrschers. „Siehe, ich komme wie ein Dieb. Selig, wer wacht und seine Kleider behält, dass er nicht nackt wandelt und dass man seine Blöße nicht sieht.“ Und sie versammelten sie an dem Ort, der auf Hebräisch Harmagedon heißt. Der siebte Engel goss seine Schale in die Luft aus. Da kam eine mächtige Stimme aus dem Himmel vom Thron her, die rief: „Es ist vollbracht.“ Und es entstanden Blitze, 268

Getöse und Donnerschläge, und es entstand ein große Erdbeben, wie noch keines gewesen war, seit se Menschen auf Erden gibt, ein solches Erdbeben, so groß! Die große Stadt fiel in drei Teile auseinander, und die Städte der Heiden stürzten ein. So wurde des großen Babylon vor Gott gedacht, um ihm den Becher des Glutweins seines Zorns zu reichen. Und alle Inseln verschwanden und die Berge waren nicht mehr zu finden. Und ein gewaltiger Hagel, wie zentnerschwer, ging vom Himmel auf die Erde nieder, Die Menschen aber lästerten Gott wegen der Hagelplage, weil diese Plage über die Maßen groß war. (Off. 16, 121)

Der Abgrund Gibt es eine Hölle? -

Durch mich geht’s ein zur Stadt der Schmerzerkorenen, Durch mich geht’s ein zur Qual für Ewigkeiten, Durch mich geht’s ein zum Volke der Verlorenen. Den hohen Schöpfer trieb, mich zu bereiten, Gerechtigkeit, Allmacht zu offenbaren, Allweisheit und Urliebe aller Zeiten. Vor mir war nichts Erschaffenes zu gewahren Als Ewiges, und auch bin ewiger Dauer. Lasst, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren! [72, III. Gesang] „Mich schuf die allmächtige Weisheit und die erste Liebe!“ – la somma sapienza ed il primo amore. Mit diesen Versen, die am Tore der Hölle stehen, beginnt im 3. Gesang der Divina Commedia die Reise Dantes in den Abgrund der Hölle. Der ersten Liebe Gottes steht gegenüber das Reich der Verlorenen. Der Abgrund entstand im Urbeginn der Schöpfung aus dem ewigen Quell der Liebe. Die Gerechtigkeit, mit der Gott diesen Ort bereitete, sowie die Finsternis als polar entgegengesetztes Prinzip bedingen einander. Das war die mittelalterliche Auffassung, wie sie Dantes „Göttlicher Komödie“ zugrunde liegt. Doch nicht nur in seinem Werk, wir finden sie in zahlreichen Bildern des Mittelalters wie dem „Triumph des Todes und im Jüngsten Gericht von Francesco Traini im Campo Santo zu Pisa und in vielen anderen Gemälden. Was uns heutige Menschen als Frage bewegen kann: Gibt es ein Reich der ewigen Verdammnis, wo Seelen für alle Ewigkeit „verloren“ sind? Aus dem es nie mehr eine Rettung gibt aus den ewigen Höllenqualen? Als Bestätigung eines solchen Reiches der ewigen Verdammnis können verschiedene Stellen aus der Apokalypse zitiert werden. Und der Rauch ihrer Qualen (d.h. der Rauch des quälenden Feuers) steigt auf in alle Ewigkeit und bei Tag und Nacht haben keine Ruhe, die das Tier und sein Bild anbeten und wer das Malzeichen seines Namens annimmt. (Off. 14,11) Peter Morant schreibt hierzu:

Im Gegensatz zur seligen Ruhe der singenden Cherubim (4,8) und zur Glückseligkeit der im Herrn Sterbenden (14,13) haben die Verdammten keine Ruhe. Damit wird in aller Klarheit das schrecklichste der Höllenstrafen „ihre Ewigkeit“. ausgedrückt, die keine Erleichterung kennt. Es gibt also eine ewige Hölle, weil es einen ewigen gerechten Gott gibt. [1] Doch nicht nur die Seelen der Verführten und Verdammten, werden in den ewig brennenden Pfuhl geworfen, sondern auch die Verführer – das Tier, der falsche Prophet und der Teufel – verfallen dem Abgrund. 269

Und das Tier wurde ergriffen und mit ihm der falsche Prophet, der in seiner Gegenwart – durch allerlei Wundertaten die Menschen verführt hatte, die das Zeichen des Tieres an sich trugen und sein Bildnis anbeteten. Beide wurden lebendig in die Feuersümpfe gestürzt, aus denen die Schwefelflammen hervorschlagen. (Off. 19,20) Der Teufel (die luziferische Macht), der sie verführt hatte, wurde in die Sümpfe des Abgrundes gestürzt, aus denen die schwefligen Flammen loderten, wohin auch das Tier und der falsche Prophet gestürzt worden war. Tag und Nacht haben sie nunmehr Qualen zu erdulden durch alle Zeitenkreise. (Off. 20,10) Wie können wir diese Bilder einer „ewigen Höllenqual“ und Verdammnis deuten? Wie in Einklang bringen mit der modernen geisteswissenschaftlichen Erkenntnis? Zunächst muss man sich über eines klar sein: der Apokalyptiker ist weder ein Philosoph noch ein „Okkultist“ oder Geistesforscher. Er hat zwar, wie er im Anfang verkündet, die imaginativen Bilder seiner Geistesschau in Zeichen gesetzt (wie die Zahl des Tieres), um sie von höherer Ebene aus zu deuten, aber er beschreibt im wesentlichen, was er geschaut hat, ähnlich wie es auch frühere Hellseher der vorchristlichen Zeiten getan haben. Das wesentlich Neue an dieser Offenbarung des Johannes ist allerdings, dass Johannes seine Schau kraft seiner christlichen Einweihung erlebt (Joh. 11) und dass demzufolge die geheime Kraft des Christusimpulses in der Komposition der Darstellung lebt. Dadurch erlebt er in allen Bildern seiner Geistesschau die Christuskraft, die als vorwärts drängender Impuls das Ziel (telos) 245 des Äons offenbart und den Übergang in den nächsten Äon, den Jupiterzustand, bildet. Dies muss schon deshalb ins Auge gefasst werden, um nicht dem Irrtum zu verfallen, dass es sich mit dem Ende der Erdenentwicklung um ein absolutes Ende der ganzen Menschheitsentwicklung handelt, wie es heute aufgefasst wird, dass nach der 7. Posaune das Jüngste Gericht als absolutes Ende gekommen sei. Geht doch darauf die Entwicklung der apokalyptischen Ereignisse durch aus weiter. So haben wir es mit dem Abschluss der Offenbarung Johannis im 21. und 22. Kapitel mit dem Ende des Äons Erde und mit dem Beginn des kommenden Äons, des „himmlischen Jerusalems“ zu tun. Wenn man dies ins Auge fasst, so muss man die großen Bilder am Ende der Apokalypse als das große Finale und Fazit der Erdenentwicklung nehmen, nicht aber als absolutes Weltenende. Denn die dem Guten entgegenstehenden Geistesmächte, Luzifer und Ahriman, werden auf dem kommenden Äon wieder in Wirksamkeit treten. Luzifer wird zwar bis zum gewissen Grade erlöst werden können, Ahriman jedoch nicht, da er auf der Jupiter-Erde durchaus noch für die am Widerstand sich stärkende Menschheitsentwicklung notwendig ist und daher auch noch nicht abberufen werden kann. Damit wollen wir in keiner Weise eine pedantische oder superkluge Korrektur den Bildern des Sehers von Patmos angedeihen lassen. Sie sind in ihrer Art durchaus wahr und berechtigt – genauso wie die Bilder der Nordischen Apokalypse, die den Weltenuntergang in der nordischen Edda beschreibt. Wir haben es hier mit einer Art umgekehrter Apokalypse zu tun. Die guten Götter – Odin, Thor und Freia – werden von den ihnen entgegenstehenden Mächten der Finsternis – dem Fenriswolf, der Midgardschlange und Sutur – in den Weltenabgrund gestürzt und von der Flammenlohe Suturs verzehrt. Es ist das Ende der alten Gottesherrlichkeit, das Ende der alten Sonnenschau, die mit dem Verlust von Baldurs Sonnenauge in die Götterdämmerung versinkt. Aber die nordische Apokalypse weiß, dass es nur das Ende des Sonnenerbes aus der Vergangenheit ist, 245

Griechisch telos „Ende, Ziel...“

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welches von der Nacht des hereinbrechenden KaliYuga verschlungen wird, und dass Widar, der Gott der Zukunft, das neue Licht anzünden und die alten Götter rächen wird, womit eine Prophetie auf den Christus ausgesprochen ist. Ebenso sinken am Ende der Offenbarung Johannis die Mächte der Finsternis in den Weltenabgrund. Sie haben jetzt ihr Werk vollbracht – aber im Gegensatz zur nordischen Apokalypse sind sie nicht Sieger über die lichte Götterwelt der Asen, sondern werden überwunden. Suturs Flamme verzehrt sie, zu den Lichteswelten ist ihnen der Zugang verwehrt. Einen Weltenabgrund kannten auch die Griechen in ihrem „Orkus“, in den alles Abgebrauchte, das ausgedient hatte, wie in einen großen „Ascheneimer“ hineinfiel. Auch der Leichnam der Erde wird in diesen Orkus hinabfallen. Ja, Rudolf Steiner weist darauf hin, dass alles Wertlose unserer Taten, Handlungen, alles was in unserem Leben bedeutungslos geworden ist, nicht in die Akashachronik eingetragen und somit aufbewahrt wird, sondern dem Weltenabgrund verfällt, wo es getilgt wird. Dies ist eine eherne Notwendigkeit und eine Wohltat für die Weltenentwicklung, dass der unnütze Ballast abgeworfen und vernichtet wird.

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Bild 10: Albrecht Dürer, Michael und seine Engel streiten wider den Drachen, 1498

Und es ward gestürzt der große Drache, die alte Schlange, die da heißt Teufel und Satan, der die ganze Welt verführt. Er ward geworden auf die Erde und seine Engel wurden mit ihm dahin geworfen. (Off. 12,7)

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16. Der weiße Reiter Und ich sah den geöffneten Himmel. Siehe, ein weißes Pferd! Und der Reiter, der auf ihm saß, soll den Glauben und die Erkenntnis wahr machen. Er richtet und kämpft aus geistiger Einsicht und Erkenntnis. Seine Augen leuchten wie Feuerflammen und auf seinem Haupte trägt er viele Kronen. Ein Name ist ihm eingeschrieben, den nur er selbst kennt. Er ist bekleidet mit einem blutbesprengten Gewande. Und der Name für dieses mit Blut besprengte Kleid ist der Logos Gottes – das Wort Gottes. Und das Heer des Himmels folgt ihm auf weißen Pferden mit reiner weißer Leinwand bekleidet. Und aus seinem Munde geht ein scharfes Schwert hervor, womit er die Völker trifft. Er wird sie regieren mit ehernem Stabe. Und er tritt die Kelter, aus der der Wein des göttlichen Zornes fließt. Auf seinem Gewande und auf seiner Hüfte steht ein Name geschrieben: der König aller Könige, der Herr aller Herren! (Off. 19, 1115) Diesem Bilde, das gegen das Ende der Apokalypse erscheint, wohnt eine zeugende Kraft inne. Der Himmel öffnet sich – und aus dem geöffneten Himmel kommt uns der Reiter auf weißem Pferde entgegen. Er erscheint wie ein Herold, der den letzten Akt einleitet: das Kommen des Ewigen Jerusalems, das gleichfalls aus dem geöffneten Himmel sich zur Erde herniedersenkt. In diesen beiden Richtungen liegt das charakteristische Merkmal dieser beiden Imaginationen. Das himmlische Jerusalem steigt nicht von der Erde zum Himmel empor, ja – es wird uns gar nicht als himmlische Stätte beschrieben, sondern als eine neue Erde, als eine neue Erde, die von der geistigen Welt herabsteigt. Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde. Denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen. (Off. 21,1) Und die zweite Richtungsänderung ist die des weißen Reiters. Er kommt aus der Ferne der Zukunft uns entgegen, er naht sich uns mit seinem großen Gefolge in stetem unabänderlichem und nicht aufzuhaltendem Schritt. Darin liegt das unausgesprochene Bildgeheimnis des weißen Reiters. Hat man dieses Bildgeheimnis einmal in sich aufgenommen, ist man von diesem aus der Zukunft uns entgegenkommenden unaufhaltsamen Schritt einmal innerlich berührt worden, so wirkt es mit magischer Gewalt in der Seele nach und beginnt sein Geheimnis uns zu enthüllen. Es ist das Geheimnis der Parusie, das der ersten Offenbarung Johannis innewohnt.

Eigentlich hat die Formulierung ‚Wiederkunft Christi’ selber dazu beigetragen, dass dieses Geheimnis, das so deutlich aus den biblischen Büchern spricht, verschleiert wurde. Das griechische Wort „Parusie“ bedeutet gar nicht ‚Wiederkunft', sondern ‚Gegenwart'. Gemein ist das dynamisch hervortretende Gegenwärtigsein. Der Christus braucht nicht erst zu kommen; er ist immer schon da, seit er sich durch das Mysterium von Golgatha mit Erde und Menschheit verbunden hat. Ebenso braucht das Mysterium des Geistesmenschen nicht von außen in die Menschheit hereinzubrechen. Durch die Menschwerdung Christi ist der Same des Geistesmenschen in den Acker der Erdenmenschheit versenkt. Die Parusie des Menschensohnes wird darin bestehen, dass für einen Teil der Menschheit die Seelenatmosphäre mit der Substanz des Christuswesens so gesättigt sein wird, dass sich, was bis dahin im Verborgensein reifte, der menschlichen Empfindung und Wahrnehmung unmittelbar kundtun kann. Das wird zusammenfallen mit dem Aufgehen der Saat des Geistesmenschen aus dem Mutterboden desjenigen Teiles der Menschheit, der sich mit dem Christus verbindet. Mit dem Christus wird für das in 273

der Menschheit erwachende neue Schauen der Geistteil des Menschen, der ‚Geistesmensch', sichtbar. Und so wird die ‚Wiederkunft Christi' die Wiederherstellung des verlorenen Menschenbildes sein. Ein Hellwerden der ganzen Geistessphäre ist mit der neuen Christusoffenbarung verbunden: Wie der Blitz aufzuckt im Osten und herüberleuchtet zum Westen, so wird die Parusie des Menschensohnes sein. (Mt. 24,27) [31] Hiermit hängt das Geheimnis des „Menschensohnes“ zusammen, der in den Evangelien immer beim Hinweis auf die künftige Christusoffenbarung genannt wird statt der Bezeichnung des „Sohnes Gottes“. Beim neuen Kommen Christi wird immer nur vom Kommen des Menschensohnes gesprochen. In dieser Bezeichnung drückt sich das Geheimnis von der Menschwerdung Christi, welche das Mysterium des „Ewigen Evangeliums“ ist, aus, welches der Engel mit lauter Stimme im 14. Kapitel verkündet: Und ich sah einen Engel fliegen mitten durch den Himmel, der hatte das Ewige Evangelium zu verkünden denen, die auf Erden wohnen, und allen Heiden und Geschlechtern, Sprachen und Völkern. Und er sprach mit großer Stimme: „Fürchtet Gott und gebt ihm die Ehre, denn die Zeit seines Gerichtes ist gekommen. Betet den an, der gemacht hat Himmel und Erde und das Meer und die Wasserbrunnen!“ (Off. 14,16) Joachim di Fiori fühlte den ersten Anbruch zu diesem Zeitalter, das sich an der Wende zur neueren Zeit bereits im Rosenkreuzertum vorbereitete; und damit das Erwachen zur geistigen Individualität, die schon im 13. Jahrhundert sich zu regen begann. Das EWIGE EVANGELIUM – gibt es ein solches? Und wo ist es zu finden? Friedrich Rittelmeyer sagt einmal, wenn er einen Wunsch haben könnte, so wäre es dieser: nach seinem Tode eine längere Zeit das Christusleben nachzuerleben, wie es in machtvollen Bildern sich in die Äthersubstanz der Erde eingegraben hat, in der sogenannten „AkashaChronik“, in der alle bedeutenden historischen Ereignisse und Persönlichkeiten aufbewahrt sind. Es ist dies aber nicht eine Chronik, wie wir sie in unseren Museen und Archiven aufbewahrt finden, sondern eine lebendige Bilderschrift, die uns Einblicke gewährt in die subtilsten inneren Seelenerlebnisse historischer Persönlichkeiten. Der Seher, dessen geistiges Auge für diese geistige Bilderschrift erschlossen ist, vermag sie zu lesen. Hiermit berühren wir die zentrale Frage, wie die Evangelien überhaupt zustande gekommen sind, da ja die Evangelienschreiber bei vielen Szenen, die sie beschreiben (wie bei dem Mysterium von Golgatha) gar nicht physisch anwesend waren! Die theologische Dogmatik spricht von einer „Verbal-Inspiration“ und meint damit eine bis ins einzelne Wort gehende Inspirationsquelle, aus welcher die vier Evangelisten geschöpft haben. Dieser Auffassung steht die kritische Bibelforschung gegenüber, welche die Evangelien als persönliche Erinnerungsberichte mit legendären Ausgestaltungen auffasst, die man ins Reich der „Mythenbildung“ verweist und ihnen keine historische Echtheit zuschreibt (so Bultmann). Zwischen diesen beiden Auffassungen bewegt sich die moderne Theologie, indem sie sich bald mehr der dogmatischen Auffassung, bald mehr der liberalen Richtung zuneigt. Beide Auffassungen übersehen die dritte Quelle, welche den Evangelienverfassern noch zu Gebote stand. An der Stellung zur „Wunderfrage“ drückt sich dieser Zwiespalt beider Auffassungen am krassesten aus. Emil Bock charakterisiert die beiden Lager der modernen Theologie mit den folgenden Worten:

Als Aberglauben empfinden die Kritiker die Stellung derer, die an den Wundern festhalten. Als Unglauben empfinden umgekehrt diese die Stellung der Kritiker. Der 274

Zwiespalt geht tiefer als man zugibt und denkt. Auch in der protestantischen Theologie, wo er sich jahrzehntelang in dem Streit der positiven und liberalen Richtung auslebte, ist er nur scheinbar zur Ruhe gekommen. Unter der Oberfläche gewinnt die Denkungsart derer, welche die Wunder preisgeben, rapide an Boden, bis in die katholische Theologie hinein. Man kann die unruhige Sorge derer verstehen, die an den Wundererzählungen in der alten Art festzuhalten versuchen und jedes Antasten derselben als Unglauben empfinden. Denn tatsächlich verliert das ganze Evangelium, wer ein Stück von ihm verliert. Man hat das Evangelium ganz oder gar nicht. Wer gewisse Partien davon preisgibt, indem er zum Beispiel nichts als Legenden darin sieht, gibt tatsächlich das Ganze preis. Heute ist der Verlust des Evangeliums und der Bibel für den größten Teil der christlichen Menschheit längst zur Tatsache geworden. Und der Verlust des Evangeliums ist ein Symptom für das Erlöschen der christlichen Vorstellungswelt überhaupt. So hat die Auffassung Recht, die in der sich immer mehr durchsetzenden kritischen Denkungsart gegenüber dem Evangelium ein irreligiöses Element und Unglauben sieht. Andererseits wäre es Blindheit, die Berechtigung und Notwendigkeit des kritisch-intellektuellen Prüfens zu verkennen... Der Grund des Widerstreites zwischen den beiden Wunderauffassungen liegt in dem Materialismus der neueren Weltanschauung, der sowohl in der einen wie in der anderen enthalten ist. Er ist die gleiche Fehlerquelle auf beiden Seiten. Deshalb kann ein Entweder-Oder zwischen den beiden Auffassungen nicht zur Lösung des Rätsels führen. Der Materialismus in den Denkgewohnheiten lässt die Frage gar nicht aufkommen, ob das Evangelium einen sinnlichen oder einen übersinnlichen oder wenigstens einen sinnlich-übersinnlichen Vorgang meint, wenn man den Begriff eines übersinnlichen Geschehens nicht kennt und sich unter einem solchen nichts vorstellen kann. [31] Das ist in der Tat der letzte Grund und die tragische Ursache für den Verlust des Evangeliums, dass in den letzten Jahrhunderten immer mehr eine Vorstellung von der realen, konkreten geistigen Welt dahingeschwunden ist, und eben damit auch im eigenen Seelenleben jedes Erspüren für die feineren geistigen Impulse und Strömungen, welche uns die Gegenwart einer übersinnlichen Welt verbürgen, abhanden gekommen ist. Das Seelenleben des heutigen Menschen gleicht einem brachgelegten Acker, der keinen Humusboden mehr trägt zur Aufnahme und Pflege geistiger Impulse und Erleuchtungen. Eine Auflockerung dieses vertrockneten Seelenbodens wäre der erste Schritt, um für das Hereinwirken einer geistigen Welt wieder offen zu sein. Es ist das Anliegen dieser Zusammenschau auf diese Auflockerung hinzuweisen. Es handelt sich dabei, um bei diesem Bilde stehenzubleiben, zunächst darum, den durch den Intellektualismus unserer Zeit verkrusteten und erstarrten Boden von den überlagerten Eismassen der materialistischen Vorstellungen frei zu schaufeln, damit er die Samenkörner geistiger ldeen und Einsichten überhaupt aufzunehmen vermag. Dazu ist vor allem Hingabe nötig, eine ruhige, vorurteilsfreie Hingabe an die Mitteilungen aus der Geistesforschung. Nie sollten wir dabei vergessen, dass es sich hier um Mitteilungen aus der geistigen Welt handelt, also um Mitteilungen aus einer höheren Sphäre als die unseres gewöhnlichen Alltagsbewusstseins. Das vergisst man so leicht, wenn man ein geisteswissenschaftliches Buch zur Hand nimmt, das sich äußerlich nicht von anderen heutigen Büchern unterscheidet.

Dadurch übersieht man so leicht, dass man derartigen Mitteilungen eine andere seelische Einstellung und Haltung entgegenbringen muss wie einem Zeitungsbericht oder einer anderen Veröffentlichung aus dem Bereich des intellektuellen Lebens. In früheren Zeiten sind die Menschen oft weite Strecken gepilgert, um einen Guru (d. h. geistigen Lehrer) zu besuchen, um dann aus seinem Munde solche Mitteilungen zu empfangen. Die Anwesenheit und der Umgang mit einem solchen Lehrer schuf die Stimmung, in der die Seele geistige Mitteilungen als Offenbarungen aus der geistigen Welt fruchtbar aufnehmen 275

konnte. Fehlt aber diese Stimmung, so vermag sich die Seele nicht den göttlich-geistigen Sphären zu erschließen, sodass das Wesenhafte in der Berührung mit den göttlichen Weltenmächten spurlos an ihr vorübergeht. Auf den Pfad der Hingabe und der Verehrung werden wir verwiesen, um den Mutterboden unserer Seele für die Lichtessamenkörner der höheren Welt zu erschließen. Damit betreten wir schon den Pfad in die höheren Welten. Denn aus der Hingabe an die Mitteilungen des Geistesforschers erwächst die erste Berührung mit den göttlichen Mächten, die wir in unsere Seelen einströmen lassen.

Zu dieser Hingabe an die Offenbarungen der fremden Welt gehört völlige Selbstlosigkeit. Und wenn sich der Mensch prüft, in welchem Grade er diese Hingabe hat, so wird er erstaunliche Entdeckungen machen. Will einer den Pfad der höheren Erkenntnis betreten, so muss er sich darin üben, sich selbst mit allen seinen Vorurteilen in jedem Augenblicke auslöschen zu können. So lange er sich auslöscht, fließt das andere in ihn hinein. Nur hohe Grade von solch selbstloser Hingabe befähigen zur Aufnahme der höheren geistigen Tatsachen, die den Menschen überall umgeben. Man kann zielbewusst in sich diese Fähigkeit ausbilden. Man versuche zum Beispiel gegenüber Menschen seiner Umgebung sich jedes Urteils zu enthalten. Man erlösche in sich den Maßstab von anziehend und abstoßend, von dumm und gescheit, den man gewohnt ist, anzulegen; und man versuche ohne diesen Maßstab, die Menschen rein aus sich selbst heraus zu verstehen. Die besten C7bungen kann man an Menschen machen, vor denen man einen Abscheu hat. Man unterdrücke mit aller Gewalt diesen Abscheu und lasse alles unbefangen auf sich wirken, was sie tun. – Oder wenn man in einer Umgebung ist, welche dies oder jenes Urteil herausfordert, so unterdrücke man das Urteil und setze sich kritiklos den Eindrücken aus. – Man lasse die Dinge und Ereignisse mehr zu sich sprechen, als dass man über sie spreche. Und man dehne das selbst auf seine Gedankenwelt aus. Man unterdrücke in sich dasjenige, was diesen oder jenen Gedanken bildet, und lasse lediglich das, was draußen ist, die Gedanken bewirken. – Nur wenn mit heiligstem Ernst und Beharrlichkeit solche Übungen angestellt werden, führen sie zum höheren Erkenntnisziele. Wer solche Übungen unterschätzt, der weiß eben nichts von ihrem Wert. Und wer Erfahrung in solchen Dingen hat, der weiß, dass Hingabe und Unbefangenheit wirkliche Krafterzeuger sind. Wie die Wärme, die man in den Dampfkessel bringt, sich in die fortbewegende Kraft der Lokomotive verwandelt, so verwandeln sich die Übungen der selbstlosen geistigen Hingabe in dem Menschen zur Kraft des Schauens und in den geistigen Welten. [77, Kap. “Pfad der Erkenntnis“] Nach diesen Voraussetzungen wollen wir der Frage näher treten, aus welcher Quelle der Strom fließt, der die Jünger inspirierte zu ihrer Erkenntnis der Ereignisse in Palästina, die sie zwar zum großen Teil miterlebt hatten, doch deren tieferer Sinn im Hinblick auf den Christus Jesus ihnen noch verschlossen geblieben war. Mit der Beantwortung dieser Frage beginnt das sogenannte „Fünfte Evangelium“. Es ist das „Ewige Evangelium“, wie es in der Akasha-Chronik eingezeichnet ist. Dass hiervon durch Rudolf Steiner zum ersten Male geistige Mitteilungen gemacht werden können, verdanken wir dem Anbruch des „Dritten Zeitalters“, der Ära des Geistes. In ihr hat sich diese Offenbarung vollzogen. Es ist die dritte Offenbarung, die die Menschheit nach der ersten Offenbarung des Alten und der zweiten des Neuen Testamentes hat empfangen dürfen. Die erste Offenbarung sollte sie durch das Gesetz und das Gebot zur Moral erziehen; die zweite Offenbarung durch das Vorbild zur Liebe. Die dritte Offenbarung des Geistes will die

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Menschheit durch die Erkenntnis zur Freiheit führen. Es ist das Ziel, wie es aus dem Johannesevangelium spricht: „Ihr werdet die Wahrheit machen.“ (Joh. 8,32)

erkennen

und

die

Wahrheit

wird

euch

frei

Das Fünfte Evangelium [78] kann als eine Ergänzung zum Johannesevangelium, als ein Führer zu diesem Wege betrachtet werden. Es ist noch nicht niedergeschrieben. Das wird gewiss auch einmal in der Zukunft geschehen. Die Mitteilungen, die wir Rudolf Steiner aus der Akasha-Forschung verdanken, gehören zu den intimsten und zartesten der Geisteswissenschaft, die Rudolf Steiner sich abgerungen hat und sollten daher auch nur mit der dafür erforderlichen Ehrfurcht aufgenommen werden. Welches Opfer dazu gehört, geht aus dem Hinweis Rudolf Steiners über den Charakter dieser Forschung hervor. Es ist ein Opfergeschehen, durch welches sich die Seele des Geistesforschers den höheren Mächten hingibt, um solche intimen Ereignisse, wie sie aus dem Leben des Christus Jesus, bis in die konkrete Anschauung hinein, empfangen zu können. Eine solche intime Forschung erfordert weit mehr als ein Einblick in allgemeine geistige Gesetzmäßigkeiten. Denn bei dieser Forschung muss die Seele sich den höheren hierarchischen Wesen zur „Speise“ hingeben. Sie muss einen Sinn mit den Worten verbinden können:

Die Seele reicht sich als Speise dar den Urbeginnen oder Archai, den Geistern der Persönlichkeit. – Das soeben Gesagte nimmt sich grotesk aus, aber wahr ist es, dass man solche konkrete Tatsachen wie das Leben des Jesus von Nazareth nicht erforschen kann, bevor man nicht einen Sinn mit den Worten verbindet: ‚Man werde als geistige Nahrung gegessen und diene so den Geistern der Persönlichkeit.’ ... Der Mensch ist gegenüber den Archai dasselbe, was das Weizenkorn für Sie als physische Menschen ist. Aber dies nicht nur theoretisch wissen, sondern so leben gegenüber den Archai, wie das Weizenkorn leben würde, wenn es zu Brei zermalmt durch unsere Zähne, durch Gaumen und Magen geht mit diesem Bewusstsein: Ich bin Speise des Menschen –, so auch wissen: ‚Ich bin Speise der Archai, ich werde verdaut von den Archai, das ist ihr Leben, was ich lebe in ihnen’ – dies lebendig zu wissen, heißt sich versetzen in das Bewusstsein der Geister der Persönlichkeit, ebenso wie es heißt, sich versetzen in das Bewusstsein der Erzengel, wenn man weiß: ‚Deine Seele wird getragen von den Erzengeln in diese oder jene Zeit’, und wie es heißt, sich versetzen in das Bewusstsein der Engel, wenn man weiß: ‚Meine Gedanken werden gedacht von den Engeln.’ Die Zustände des Erlebens müssen andere werden, wenn man lesend in die höheren Welten eindringen will. Notwendig ist, mit Wissen verzehrt zu werden von den Geistern der Persönlichkeit, wenn diejenigen Tatsachen erforscht werden sollen, die so konkret wie das Leben des Jesus von Nazareth in der Menschheitsentwicklung dastehen... Denn das Bild können Sie durchaus durchdenken, und es gibt Ihnen richtige Anhaltspunkte: Sie können sich in das Weizenkorn versetzen, das zu Brei zermalmt wird, zwischen den Zähnen zerkleinert wird, um eine Vorstellung davon zu bekommen, was durchaus analogisch richtig ist, wenn es sich um ein Lesen im Bewusstsein der Archai handelt. Man muss auch da seelisch zermalmt werden und muss es fühlen. Das heißt, höhere Forschung ist nicht möglich ohne innere Tragik, ohne inneres Erleiden. So glattweg abstrakt, dass es nicht wehtut, so wie die 277

Forschungen in der physischen Welt verlaufen, so ist eine Forschung in den höheren Welten nicht zu erlangen, wenn sie mehr sein soll als Phantasterei. [78] Deshalb liegt der Schwerpunkt dieser Mitteilungen aus dem Fünften Evangelium auch für die Entgegennahme vonseiten des Lesers, im seelischen Nacherleben, weniger in der intellektuellen Aneignung dieser Tatsachen:

Was man da schildert, das ist es weniger, worauf es ankommt. Worauf es ankommt, ist: ein lebendiges Fühlen zu bekommen von dem, was die Jesusseele durchgemacht hat, indem sie das erlebte, was geschildert worden ist, nachzufühlen den Schmerz der Einsamkeit, den unendlichen Schmerz, einsam dazustehen mit Urwahrheiten, für die keine Ohren da waren, zu hören. Hinweisen wollte ich auf das Empfindungsleben des Jesus von Nazareth. Den dreifachen großen Mitschmerz der Menschheit für die Zeit vom zwölften bis zum dreißigsten Jahr wollte ich darlegen, ... was gelitten werden musste von diesem Menschen Jesus von Nazareth, bis er herantreten konnte an das Mysterium von Golgatha, damit der Christus-Impuls in die Erdenentwicklung einfließen konnte. – Dadurch wird eine lebendige Vorstellung von diesem Christus-Impuls hervorgerufen, dass man dieses Leiden sich wieder erweckt... Je mehr es gelingt, diese wogenden, wellenden und webenden Empfindungen einer solchen Wesenheit, wie Jesus von Nazareth es war, wieder in sich zu empfinden, desto mehr dringt man in solche Geheimnisse ein. [78] Den Ausgangspunkt dieser intimen Mitteilungen bildet das Pfingsterwachen der Apostel. Und hier erschließt sich uns ein miterlebender Einblick in die Inspirationsquelle, aus der die Jünger und Evangelienschreiber geschöpft haben. Es ist ein persönlich-überpersönlicher Prozess, der in den Jüngerseelen in den vierzig Tagen zwischen dem Mysterium von Golgatha und dem sogenannten Himmelfahrtsereignis sich abspielt, ein langsames Erwachen zu einem hellseherischen Bewusstseinszustand, indem sie jenen „UnbekanntBekannten“, der mit ihnen die drei Jahre in Palästina gewandelt hat, zum ersten Mal in seiner übersinnlichen Wesenheit erfassen lernen. In diese intimen Vorgänge sich einzuleben, wie sie das Fünfte Evangelium schildert, bildet eine meditative Versenkung, durch die wir selbst das Erwachen des Christusgeistes in unserer Seele miterleben können:

Wie erwachend kamen sich die Apostel vor, wie Menschen, welche in diesem Augenblick das Empfinden hatten, dass sie lange Zeit hindurch in einem ungewöhnlichen Bewusstseinszustand gelebt hätten. Es war tatsächlich etwas wie eine Art Aufwachen aus einem tiefen Schlaf, der aber so ist – ich spreche immer von der Art, wie es dem Bewusstsein der Apostel erschienen ist -, dass man daneben alle äußeren Verrichtungen des Tages vollbringt... Dennoch trat der Zeitpunkt ein, wo es den Aposteln so vorkam, als ob sie eine lange, tagelang dauernde Zeit verlebt hätten wie im Traum, aus dem sie mit diesem Pfingst-Ereignis erwachten. Und dieses Erwachen, schon das fühlten sie in einer eigentümlichen Weise: sie fühlten tatsächlich, wie wenn aus dem Weltenall niedergestiegen wäre auf sie etwas, was man nur nennen könnte die Substanz der allwaltenden Liebe, und wie auferweckt aus dem geschilderten traumhaften Lebenszustand, so fühlten sich die Apostel. Wie wenn durch alles dasjenige, was als die ursprüngliche Kraft der Liebe, die das Weltenall durchdringt und durchwärmt, sie auferweckt worden wäre, wie wenn diese ursprüngliche Kraft der Liebe in die Seele eines jeden Einzelnen sich gesenkt hätte, so kamen sie sich vor. [78] 278

In der Petrusseele spiegelt sich dies Erwachen so, dass der Traumzustand einer geistigen Entrücktheit mit der Verleugnungsszene beginnt. Nach der Verleugnung breitete sich jener Zwischenzustand in seinem Bewusstsein aus:

Aber das alles erfüllte sich nicht mit bloßen Traumbildern, sondern mit Gebilden, die eine Art höheren Bewusstseinszustand darstellten... Und alles dasjenige, was geschehen war, was Petrus gleichsam verschlafen hatte seit jener Zeit, das trat wie aus einem hellschauenden Traum vor seine Seele. Vor allem lernte er jetzt schauen das Ereignis, von dem man wirklich sagen kann, er habe es verschlafen, weil zum vollen Verständnis für dieses Ereignis notwendig war die Befruchtung mit der allwaltenden kosmischen Liebe. Jetzt traten ihm vor Augen die Bilder des Mysteriums von Golgatha so, wie wir sie rückschauend im hellsichtigen Bewusstsein wiederum wachrufen können, wenn wir die Bedingungen dazu herstellen... Offen gestanden, mit einem Gefühl, das ganz eigenartig ist, entschließt man sich, in Worte zu prägen dasjenige, was sich eröffnet, wenn man hineinschaut in das Bewusstsein des Petrus und der anderen, die bei jenem Pfingstfeste versammelt waren. Mit einer heiligen Scheu nur kann man sich entschließen, von diesen Dingen zu reden. Man möchte sagen, man ist fast überwältigt von dem Bewusstsein, man betrete heiligsten Boden des menschlichen Anschauens, wenn man in Worten ausdrückt dasjenige, was sich dem Seelenblicke da eröffnet. [78] Was sich jetzt in dem Jüngerbewusstsein abspielte, war das Zusammenfließen der Bilder ihrer Erinnerungen an den Jesus von Nazareth, mit dem sie die drei Jahre gewandelt waren, mit demjenigen, was sie in diesem traumhaften Schlafzustand nach Golgatha erlebt hatten:

Wie zwei Bilder, die sich deckten, erlebten sie das: Ein Bild aus den Erlebnissen nach dem Mysterium von Golgatha, und eines, wie hereinleuchtend aus der Zeit, bevor sich ihr Bewusstsein getrübt hatte. So erkannten sie, dass diese zwei Wesenheiten zusammengehörten: der Auferstandene und derjenige, mit dem sie einstmals, vor verhältnismäßig kurzer Zeit, im Leibe herumgewandelt waren. Und sie sagten sich: „Der Auferstandene, mit dem wir durch die drei Jahre zusammen waren, Er hat uns unwissend in sein Reich aufgenommen, er enthüllte uns die Geheimnisse seines Reiches, die jetzt nach dem Pfingstereignis aufzutauchen beginnen.“ [78] Die durch Christus geheiligte Kraft der Erinnerung ist es, welche die Verbindung zur geistigen Welt herstellt, die zum Fenster, zur Türe wird, um uns mit Ihm und unseren Freunden in der geistigen Welt zu verbinden. Das ist das Mysterium, was sich uns hier enthüllen kann! –

Der geistige Inkarnationsweg des fünften Evangeliums Was die intime geistige Verbindung mit dem Christus in den Jahrhunderten der christlichen Entwicklung ermöglichen konnte, das war das Miterleben des Passionsweges, der ja den Anfang der „Christlichen Einweihung“ bildet. In unserer Gegenwart ist es schwer, ihn in dieser Intensität zu erleben, wie es in der Abgeschlossenheit mittelalterlicher Klosterzellen noch möglich war. Wir brauchen heute einen Einweihungsweg, der vom geistigen Erleben ausgeht, und von hier aus in die Seelentiefen führt, durch die uns das Leiden des Christusweges erschlossen wird. Ich glaube, dass ohne dieses Miterleben des 279

Mysteriums von Golgatha uns das tiefste Geheimnis des Christusopfers doch versiegelt bleibt. Und hier werden die intimen Bilder und Mitteilungen aus dem Fünften Evangelium zu einem Miterleben des Passionsweges, der schon vor dem Mysterium von Golgatha beginnt und sich durch die ganzen drei Jahre hindurchzieht. Es ist der langsame, schmerzhafte Inkarnationsweg, den der Christus von der Jordantaufe bis zum Tod auf Golgatha durchmacht, um ganz Mensch zu werden. Es ist die Menschwerdung Christi, was sich auf diesem Wege vollzieht. Im Hineinleben in diesen Prozess, wie ihn das Fünfte Evangelium beschreibt, erfühlen wir in innerer Meditation diesen Passionsweg, der uns hier vom Geiste aus beschrieben wird:

Wie jemand, der unter unendlichen Qualen immer mehr und mehr seinen Leib dahinschwinden sieht, so sah schwinden ihren göttlichen Inhalt die ChristusWesenheit, indem sie immer ähnlicher wurde als ätherische Wesenheit dem irdischen Leibe des Jesus von Nazareth, bis sie so ähnlich geworden war, dass sie Angst fühlen konnte wie ein Mensch. Das ist dasjenige, was auch die anderen Evangelien schildern beim Herausgehen des Christus Jesus mit seinen Jüngern auf den Ölberg, wo die Christus-Wesenheit in dem Leibe des Jesus von Nazareth den Angstschweiß auf der Stirn erlebte. Das war die Vermenschlichung, das immer menschlicher-undmenschlicher-Werden des Christus, die Annäherung an den Leib des Jesus von Nazareth. In demselben Maße, in dem diese ätherische Christus-Wesenheit immer ähnlicher wurde dem Leibe des Jesus von Nazareth, in demselben Maße wurde der Christus Mensch. Und da sehen wir den ganzen Passionsweg von jenem Zeitpunkt an, wie er bald nach der Johannestaufe im Jordan eintrat, wo die staunenden Menschen, die gesehen hatten, was der Christus vermochte, sagten: Das habe noch nie ein Wesen auf Erden vollbracht. – Das war die Zeit, in der die Christus-Wesenheit noch wenig ähnlich war dem Leibe des Jesus von Nazareth. Von diesem staunenden Ansehen der ringsherum befindlichen Bewunderer vollzieht sich in drei Jahren der Weg bis dahin, wo die Christus-Wesenheit so ähnlich geworden ist dem Leibe des Jesus von Nazareth, dass sie in diesem siechen Leibe des Jesus von Nazareth, dem sie sich angeähnelt hatte, nicht mehr antworten konnte auf die Fragen des Pilatus, des Herodes und des Kaiphas. So ähnlich war sie geworden dem Leibe des Jesus von Nazareth, dem immer schwächer und schwächer werdenden, immer siecher und siecher werdenden Leibe, dass auf die Frage: „Hast du gesagt, dass du den Tempel abbrechen und in drei Tagen wieder aufbauen werdest?“ – aus dem morschen Leibe des Jesus von Nazareth die Christus-Wesenheit nicht mehr sprach und stumm blieb vor dem Hohenpriester der Juden, dass sie stumm blieb vor Pilatus, der fragte: „Hast du gesagt, du wärest der König der Juden?“ – Das war der Passionsweg von der Taufe im Jordan bis zur Machtlosigkeit. Und bald stand die staunende Menge, die vorher die überirdischen Wunderkräfte der Christus-Wesenheit angestaunt hatte, nicht mehr bewundernd um ihn, sondern stand vor dem Kreuze, spottend über die Ohnmacht Gottes, der Mensch geworden war, mit den Worten: „Bist du ein Gott, so steige herab. Du hast anderen geholfen, jetzt hilf dir selber!“ – Das war der Passionsweg, unendliches Leiden, zu dem hinzukam jenes Leid über die Menschheit, die sich so weit gebracht hatte, wie sie eben war zur Zeit des Mysteriums von Golgatha. Dieses Schmerz-Erleiden aber gebar jenen Geist, der beim Pfingstfeste ausgegossen worden ist auf die Apostel. Aus diesen Schmerzen herausgeboren ist die allwaltende kosmische Liebe, die herabgestiegen ist bei der 280

Taufe im Jordan aus den außerirdischen, himmlischen Sphären in die irdische Sphäre hinein, die ähnlich geworden ist dem Menschen, ähnlich einem menschlichen Leibe, und die durchmachte den Augenblick der höchsten göttlichen Ohnmacht, um jenen Impuls zu gebären, den wir dann als den Christus-Impuls in der weiteren Evolution der Menschheit kennen. [78] Das meditative Einleben in diesen kosmisch-menschlichen Vorgang kann in uns selber jenen Wandlungsprozess bewirken, der zur geistigen Verbindung mit dem Christus führt. – Wie aus der Menschwerdung des Gottes, dem ersten Akte des Christusdramas, der zweite Akt der Gottwerdung des Menschen erfolgt, das vollzieht sich in der Himmelfahrt und im Pfingstereignis; es vollzieht sich im Grunde bis ans Ende der Erdenzeiten in seinen einzelnen Stufen, welche die Erde und Menschheit vergeistigen, sodass der Mensch seine verlorene Heimat wiederfinden kann, wie die Apokalypse es beschreibt. Sich hineinzuleben in diese Bilder des Fünften Evangeliums leitet den inneren Wandlungsweg, den Weg der Transsubstantiation in der mitfühlenden Seele ein. Das ist der Grund, weshalb Rudolf Steiner uns bittet, diese Mitteilungen nur mit innerer Ehrfurcht aufzunehmen. Erst wenn wir diese „Menschwerdung Christi“ in unsere Meditation aufnehmen und innerlich nacherleben, wird uns aufgehen die Bedeutung des Jesus-Prinzips als menschlicher Träger des Christus, in dessen Leibesformen sich der kosmische Christusgeist ergießt und mit ihm eins wird. Dadurch kann er in dieser menschlichen Gestalt, deren Geistgestalt er nach dem Tode auf Golgatha annimmt, den Jüngern erscheinen. Und diese menschlich-menschheitliche Geistgestalt vereinigt sich mit der Menschheitsentwicklung. Durch sie empfängt die Menschheit das Siegel der Auferstehungskraft. Das ist der tiefere Grund, weshalb Christus Mensch werden musste! – (Vgl. S. 178) Was musste denn geschehen, damit durch einen gewaltigen Ruck in die Entwicklung hinein ein entsprechender Impuls kam als eine Kraft, die die Menschheitsentwicklung durchdrang von einem Bewusstsein, dass dem Tode verdankt ist zu leben? Es musste kommen, dass die Christus-Wesenheit, die drei Jahre hindurch in dem Leibe des Jesus von Nazareth lebte, diesem Leibe etwas sagte, was aber nur im Augenblick des Todes gesagt werden kann, denn nur im Augenblicke des Todes kann das alles zusammengedrängt werden, was Geheimnis des menschlichen Bewusstseins ist. Musste also nicht, damit der gesamte Bewusstseinsimpuls, der da kommen musste, in die Menschheit hineingedrängt werden konnte, musste nicht der Christus den Jesus zum Sterben bringen? Das musste er! Und wann sind wir selbst in jenem Augenblick, in dem wir hoffen können auf ein zusammengedrängtes Verständnis des Christus? Wir sind es in dem Augenblick des Sterbens! Denn da sind alle diejenigen Kräfte im Augenblick vorhanden, von denen unser Bewusstsein das ganze Leben hindurch erhalten wird. Im Moment des Sterbens sind wir geeignet, dasjenige aufzunehmen, was im Grunde genommen das Geheimnis unseres Bewusstseins ist, und damit aufzunehmen den Christus-Impuls... Damit nun auch die Bedingungen geschaffen wurden, dass das so sein könne, musste noch etwas anderes im Mysterium von Golgatha eintreten. Nachdem gewissermaßen der Christus dem Jesus im Sterben auf Golgatha das Geheimnis des kommenden menschlichen Bewusstseins anvertraut hat, musste die gewaltige Tatsache eintreten, dass der Jesus, der den Christus enthielt, sich zu einem neuen Leben erhob aus jener Kraft heraus, die der Tod ist. Das heißt: es musste die Auferstehung eintreten. [51]

Wie dem Jesus von Nazareth, kann künftig jedem Menschen im Augenblick des Todes durch Christus die Erkenntnis aufgehen, dass aus dem todverwandten Bewusstsein der lebendige Geist geboren wird. Damit gewinnt der bekannte Rosenkreuzerspruch vom „Sterben in Christus“ 246 eine reale Bedeutung. Wenn wir dieses Geheimnis der Menschwerdung Christi erfassen, so wird uns die von dem 'Weißen Reiter' ausgehende Kraft erst verständlich. Wir sahen, dass diese Gestalt nicht als 246

In Christo morimur: „In Christus sterben wir“.

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ein Ereignis von außen an uns herantritt, wie sich viele die Wiederkunft Christi als eine aus den Wolken erscheinende göttliche Gestalt vorstellen. Zweierlei, können wir sagen, ist dafür notwendig. Das eine ist, dass die „Wolken des Sinnesseins“ für uns durchlässig werden – so transparent, dass sie die ätherischen Formen und Gestalten freigeben, die sie dem sinnlichen Wahrnehmen noch verbergen. Und das andere ist das in uns aufgehende Licht, das Aufleuchten der inneren Geisterkenntnis. Beide Quellen können zusammenwirken, müssen es aber nicht. Die innere Quelle der geistigen Inspiration muss nicht mit der hellseherischen äußeren Wahrnehmung verbunden sein, doch werden beide Quellen immer mehr zusammenwirken im Sinne der Bitte des Christus im „Hohepriesterlichen Gebet“ des Johannesevangeliums (17. Kapitel): „Vater, ich will, dass wo mein Ich ist, auch die bei mir seien, die Du mir gegeben hast, dass sie meine Lichtesherrlichkeit schauen, die Du im Urbeginne vor mir erstrahlen ließest, denn Du hast mich geliebt, ehe denn die Welt noch gegründet war.“ (Joh. 17,14) Diese Inspirationsquelle, wie sie der Christus in den Abschiedsreden den Jüngern verheißt, wird die wesentlichste Quelle sein, die auch in der Imagination des Weißen Reiters auftaucht. Es ist die innerste Quelle, die Verbindung vom Menschen-Ich zum Christus-Ich: „Wer mich liebt, der nimmt mein Wort in sich auf, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und in ihm wohnen. Wer mich aber nicht liebt, der trägt meine Worte nicht in sich. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht von mir, sondern vom Vater, der mich gesandt hat.“ (Joh. 14,24) Was die „kleine Apokalypse“ in den synoptischen Evangelien ist, das sind die Abschiedsreden des Johannesevangeliums – die innere Aufnahme für den Heiligen Geist, den Spender des Geistesmutes, der von nun an die geistige Führung übernehmen wird. In dieser Art ist dieser Geist, der den Jüngern hier erschlossen wird, die Ergänzung zur großen Offenbarung des Johannes. Denn die Abschiedsreden geben die intimen Hinweise zur Aufnahme dieses Geistes, des „Parakleten“ – und des Geisterwachens in seiner Sphäre der Bruderliebe! – Deshalb müssen diese Bilder, je mehr es zum Ende der Apokalypse geht, nicht nur als äußere Geisterscheinungen gelesen werden. Sie spielen sich im Allerheiligsten des Inneren ab, obwohl sie Aspekte in ihrer Namensnennung andeuten, welche ihre Strahlungskraft in der Welt der äußeren Erscheinungen verraten. Der Kern des „Weißen Reiters“ liegt allerdings ganz im Inneren begründet: Es ist der Name, den nur er selber kennt. Hierin ist ein Mysterium verborgen. Welches ist der Name, den nur derjenige kennt, der ihn als den ureigensten Namen seines Wesens aussprechen kann? – Es ist der Name, der niemals von außen an mich herantönen kann, den jeder nur sich selber geben kann. In der deutschen Sprache heißt er ICH; worin die Initialen des Jesus Christus = J-CH enthalten sind. 247 Und dieser geheimnisvolle Name, den der Reiter auf weißem Pferde sich eingeschrieben hat, den nur er allein aussprechen kann, den versteht auch kein anderer außer ihm! – Aber was bedeutet dies alles? Denn dieser Reiter hat doch noch einen anderen Namen: Er heißt der den Glauben und die Erkenntnis bringt (Off. 19,11). (Luther übersetzt „Treu und Wahrhaftig“, was das Wesentliche allerdings nicht trifft). Wenn der Name, den der Reiter nur auf sich selbst beziehen kann, nur für ihn allein gilt, so hätte dieser Name ja für uns keine weitere Bedeutung. Durch den zweiten Namen, der 247

Im ursprünglichen Alphabet der Römer wurden die Laute „i“ und „j“ durch denselben Buchstaben „I“ dargestellt.

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genannt wird: „der den Glauben und die Erkenntnis bringt“, werden wir aufgefordert, den geheimen Namen, den nur er selber kennt, in Beziehung zu uns selbst zu bringen. Denn er muss doch eine Bedeutung und eine Beziehung zu uns haben! Wie kann dieses Mysterium entsiegelt werden? – Doch nur dann, wenn wir mit ihm eins werden und der unaussprechliche Name in uns einzieht, sodass wir ihn in uns selbst verstehen. Es ist das Geheimnis des Christusnamens, der nur durch eine innere Erweckung in uns einziehen kann, wie sie Paulus in seiner Initiation erlebte: „Christus in uns!“ 248 – Wer diese Erweckung durchmacht, der erfährt zugleich das Geheimnis des ChristusNamens. Er wird erleuchtet von der Christuseinsicht und -erkenntnis. Die Christuswesenheit wird ihn mit ihrer Erkenntnis erleuchten. Er wird immer mehr Eins mit dieser werden. Das ist der Kern des unaussprechlichen Namens, das tiefe Mysterium des Weißen Reiters, der aus den Fernen der Zukunft uns entgegenkommt. Wir werden die „Ebene“, worin diese Begegnung sich vollzieht, erst richtig verstehen und würdigen, wenn wir die 'okkulte Landkarte' daraufhin studieren, die uns zeigt, wann und in welcher Sphäre sich die Begegnung mit dem Weißen Reiter abspielt. Es ist dies geschildert im 19. Kapitel nach der Ausgießung der sieben Zornesschalen und dem Sturz Babylons (17./18. Kapitel). Darauf erfolgt ein abermaliger Kultus als Atempause im Himmel. Da fielen die vierundzwanzig Ältesten und die vier Tiere nieder und beteten das Gotteswesen an, das auf dem Throne saß, und sprachen: „Amen, Hallelujah!“ Und vom Throne her sprach eine Stimme: „Lobpreiset den väterlichen Weltengrund, alle, die ihr ihm ergeben seid und in Ehrfurcht vor ihm steht, Kleine und Große!“ Und ich hörte eine Stimme wie von einer großen Schar und wie das Rauschen vieler Wasserströme und wie das Dröhnen gewaltiger Donner, die sprach: „Hallelujah! Denn der allmächtige Gott hat das Reich eingenommen. Lasset uns fröhlich sein und jubilieren und seine Offenbarung preisen! Denn die Hochzeit des Lammes ist gekommen und sein Weib hat sich bereitet.“ Und es ward ihr gegeben, mit reiner und leuchtender Leinwand zu bekleiden. Das weiße Gewand ist das höhere Wesen, derjenigen die dem Geist ergeben sind. Und er sprach zu mir: „Schreibe: Selig sind diejenigen, die zum Hochzeitsmahl des Lammes eingeladen sind!“ Und er fuhr fort: „Das sind wahrhaftige Gottesworte.“ Und ich fiel nieder zu seinen Füßen, um ihn anzubeten. Und er sprach zu mir: „Tue das nicht! Ich bin dein Mitknecht und einer deiner Brüder, die das Zeugnis Jesu haben. Bete Gott an!“ – In der Botschaft von Jesu aber spricht der Geist der Prophetie. (Off. 19,4 ff.) Und darauf öffnet sich der Himmel und der weiße Reiter erscheint. Wann spielt sich diese Szene ab? Beim Übergang der astralischen Erde in die geistige Erde des höheren Devachans! Hier müssen wir, um uns in das Wesen und die Gesetzmäßigkeit dieser geistigen Erdensphäre einzuleben, einige Grundbegriffe der Geist-Erkenntnis vor die Seele stellen. Es ist dies: Bereits in der rein geistigen Sphäre des Saturn, der ersten noch im Übersinnlichen schwebenden Erdenform, war der physische Leib des Menschen seiner ersten Anlage nach enthalten, obwohl noch nichts Stoffliches vorhanden war. Der „physische Leib“ muss als „Kraftform“ verstanden werden, als geistige Kraftgestalt, die in sich die physischen 248

So nun aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen. So nun der Geist des, der Jesum von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird auch derselbe, der Christum von den Toten auferweckt hat, eure sterblichen Leiber lebendig machen, weil sein Geist in euch wohnt. (Röm. 8,10 f.)

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Gesetzmäßigkeiten schon trägt – also in diesem Zustand noch unsichtbar ist. Das ist sie auch heute noch. Es ist das sogenannte „Phantom“, die übersinnliche Kraftgestalt des physischen Leibes, welche die irdischen Stoffe und Bestandteile des Erdenleibes zusammenhält. Sie ist es, die durch Christus erfüllt und belebt, nach dem Tode des Jesus von Nazareth aus dem Grabe erstand und als der Geistleib des „Auferstandenen“ erlebt wurde. Damit war die von den Elohim erschaffene menschliche Urgestalt (1. Moses 1, 2627) den luziferisch-ahrimanischen Mächten entrissen und konnte nun als Garantie für die Zukunft der Menschheit mit hinübergenommen werden in die Reiche der übersinnlichen Welt, in die sich die Erde und Menschheit wieder erheben soll. Dabei macht das Urbild des physischen Menschenleibes die gleichen Stufen auf dem Wege der Vergeistigung durch, den es bei seinem Abstieg in die Erdenstofflichkeit auf dem Wege der Verdichtung gegangen ist. Abb. 22: Die apokalyptischen Stufen

Die letzte Stufe der sogenannten Zornesschalen spielt also schon – jedenfalls in ihrer Urbildlichkeit – in der Devachanischen Welt und bildet, nach der 7. Posaune, bereits den Übergang von der Erdenentwicklung in die Jupiter-Erdenverkörperung. Es scheint dies im Widerspruch zu stehen mit dem Schluss-Finale, das schon beim die siebte Posaune blasenden Engel erklingt: Eingesetzt ist das Reich unseres Herrn und seines Christus. Er wird der König dieses Reiches sein für alle Zeitenkreise. (Off. 11,5) Und darauf erfolgt das Dankesopfer der vierundzwanzig Ältesten, der Himmel öffnet sich mit dem Tempel und dem Tabernakel: Es zuckten die Blitze, es ertönten die Stimmen, es rollten die Donner, die Erde erbebte und ein gewaltiger Hagelschlag erfüllte die Luft. (Off. 11,19) Obwohl die traditionelle Anschauung mit der siebten Posaune das Finale des apokalyptischen Dramas und die Auferstehung der Toten setzt, die ja (auch nach Paulus) 249 dann auferstehen, erfüllen sich ja erst hier die großen letzten Akte der Menschheitsentscheidung. Um dafür zu einem tieferen Verständnis zu kommen, muss man zweierlei berücksichtigen. Das eine ist, dass die traditionelle Anschauung, die auch Paulus vertritt, dass mit der 7. Posaune ein Abschluss erreicht ist, insofern Recht hat, als die Erdenentwicklung dann an ihr eigentliches Ziel in der astralischen Erde gelangt ist. Hier schon spielen sich jene Entscheidungen ab, die zur Ausstoßung einer „Neben-Erde“ führen, wo diejenigen Seelen 249

Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden; und dasselbe plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune schallen, und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden. (1. Kor. 15, 51 f.)

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ihr Fortkommen finden, welche in die devachanische Sonnensphäre, welche die Erde im himmlischen Jerusalem erreicht, nicht aufgenommen werden können. Was nun andererseits den scheinbaren Widerspruch betrifft, dass die erste und zweite Auferstehung sowie die Ausgießung der Zornesschalen und der Sturz Babylons usw. erst nach der 7. Posaune beschrieben wird, so müssen wir nochmals uns einzuleben versuchen in den Ablauf der zeitlichen Folge, wie sie uns in der Apokalypse entgegentritt! Dies ist kein einfaches Problem. Denn in der geistigen Welt wird „die Zeit zum Raum“ – wie es schon in Richard Wagners Bühnenweihespiel Parsifal heißt; das heißt: Der zeitliche Abstand erscheint in der Raumesperspektive je nach dem inneren Verhältnis, das sich in der geistigen Schau zu den Ereignissen, die er schaut, ergibt. Aber das ist nicht die einzige Ursache dieser scheinbaren Zeitverschiebungen! Sie liegt vielmehr begründet in dem zeitlichen Ablauf in der übersinnlichen Welt. Und das ist der tiefere, objektive Grund für die nicht nur im chronologischen Ablauf begründete Bilderfolge der Apokalypse! – Das beste Beispiel hierfür ist das Bild des Weißen Reiters. Wir haben schon zu Beginn dieser Zusammenschau darauf hingewiesen, wie sich in der geistigen Urbilderwelt Ursache und Wirkung vertauschen. Während nach der Gesetzmäßigkeit in der sinnlichen Welt die Ursache für ein Ereignis zuerst eintritt, dem dann nach entsprechender Zeit die Wirkung folgt, kehrt sich diese Folge in der Welt der Urbilder um. Der weiße Reiter ist in der geistigen Urbilderwelt die Ursache für die schon viel früher auftauchenden und von ihm hervorgerufenen und bewirkten Erscheinungen. Wir können uns diese Umkehrung von Ursache und Wirkung in der folgenden Figur veranschaulichen. Abb. 23: Umkehrung von Ursache und Wirkung

Da wo die Strömung, die aus der Zukunft mir entgegenkommt, sich mit der Strömung aus der Vergangenheit begegnet, bricht das Urbild aus der geistigen Welt in die irdische Welt ein – wie ein Erkenntnisblitz und eine Kommunion – und erfüllt sich in einem geistigen Erlebnis. Wir müssen uns dabei nur klar werden, dass in der geistigen Welt der Urbilder „die Zukunft immer schon begonnen hat“! Ihre Schatten und Lichter fallen in die irdische Sphäre hinein und verursachen dort die Ereignisse – als Wirkungen aus der übersinnlichen Welt. Herrscht nicht in unserem Schicksal ein ähnliches Gesetz? Geht man dem nach, so wird man zur Entdeckung kommen, dass Schicksalsereignisse nicht nur als Wirkungen von Ursachen aus der sinnlichen Welt bedingt sind, sondern hereinprojiziert werden schon lange vor dem Ereignis aus der übersinnlichen Welt. Die wahren Ursachen eines Schicksals können bereits Jahrhunderte vor unserer Geburt, in der geistigen Welt zwischen Tod und neuer Geburt, liegen und gemäß unserem Karma veranlagt worden sein. – Und etwas Ähnliches liegt dem zeitlichen Ablauf in der Menschheitsevolution zugrunde. Die geistiger. Urbilder für die Menschheitsschicksale und große einschneidende Wendepunkte und Ereignisse sind immer schon in der geistigen Welt vorhanden. Und eben in diese Sphäre der Urbilderwelt wird der Seher versetzt, er schaut darin die großen Zukunftsereignisse voraus – aber nicht in der Sinneswelt, sondern in ihrer geistigen Urbildwesenheit. Wie sie sich im Einzelnen in der Sinneswelt auswirken werden, das hängt 285

auch von den Menschen ab, ob sie zum Beispiel der Versuchung des Tieres gänzlich verfallen oder Kraft finden, sich ihm zu widersetzen! Wer dies erfasst als Gesetzmäßigkeit der geistigen Welt, kommt mit vielem scheinbar Widerspruchsvollen in der Bilderfolge der Apokalypse besser zurecht. Wir verstehen dann auch, warum erst im 20. Kapitel die erste und zweite Auferstehung geschildert werden, erst nach der 7. Posaune im 11. Kapitel. – Man möchte sagen, dass sich der Schreiber der Apokalypse hier eines „Kunstgriffes“ bedient; etwa wie ein Künstler, der bei seinem Werke ein vielen unbekanntes Geheimnis durch seine Komposition anschaulich machen will. Wie können wir dies Geheimnis in Worte kleiden? Wir werden im Schlusskapitel die Apokalypse unter dem Aspekt der wiederholten Erdenleben zu schildern versuchen. Da ergibt sich, dass das Jüngste Gericht in der Tat schon lange vor der 7. Posaune, schon heute begonnen hat; zunächst in der nachtodlichen Welt! Aber da zeigt sich eben, welche Wirkungen der Mensch aus dem Erdenleben in die Welt der Wahrheit hineinbringt. Was sich in der übersinnlichen Welt schon heute zeigt, das wird dann, wenn die Erde in die astralische und geistige Sphäre übergeht, auch sichtbar werden. Es wäre grundverkehrt, wenn wir uns die Vergeistigungszustände der Erde in der Zukunft als weniger real, sichtbar und konkret vorstellen würden als in der grobklotzigen Sinneswelt, wo wir alles betasten, fühlen und sehen können. Wir sagten schon, dass die sinnliche Geistgestalt des Menschen ja mitgenommen wird in die übersinnliche Weltensphäre der Erde. Und damit auch alles Unvollkommene, Böse und Verworfene! Dies tritt dann in seiner der Weltentwicklung sich widersetzenden und entgegenwirkenden Gestalt weit krasser zu Tage als hier auf Erden. Wird doch schon nach dem großen Krieg am Ende der rein materiellen Erdenentwicklung das menschliche Antlitz nicht mehr das moralische Gute oder Schlechte verbergen können, sondern in seiner Physiognomie offenbaren! So wird auch, was sich heute schon vorbereitet, die geistige Menschengestalt oder ihr ahrimanisch entstelltes Bild sich immer deutlicher offenbaren – zuerst in der Welt nach dem Tode, dann im Zustand der astralischen und vergeistigten Erde. Die Rückstände und Verfehlungen, die dann auftreten, werden immer mühevoller korrigiert und umgewandelt werden können. Das ist der Grund, weshalb uns der Seher jetzt erst im 20. Kapitel, nachdem die Erde und Menschheit schon ins Geistige der Jupiter-Erde übergehen, die beiden Auferstehungen schildert und das Bild der Hölle als den feurigen Pfuhl, in die diejenigen hinabgestoßen werden, deren Namen nicht im Buche des Lebens gefunden werden. Erst von diesem letzten Akt aus, der ins Geistige übergehenden Erde, können diese Entscheidungen in ihrer Urbildlichkeit richtig begriffen werden! Stellen wir uns noch einmal die Endsituation der Erde vor bei ihrer Vergeistigung. Dabei müssen wir uns auch die für die weitere Entwicklung „unbrauchbaren“ Gestalten und Leiber nicht in materieller Form, sondern als astralische Gebilde vorstellen. (Vgl. S. 218) Dann verwandelt sich die Erde in einen astralischen Himmelskörper. Alles, was an der Erde ist als Wesen, verwandelt sich in einen astralischen Himmelskörper. Die physische Substanz verschwindet als physische Substanz; sie geht in dem Teil, der bis dahin die Möglichkeit gefunden hat, sich zu vergeistigen, über in den Geist, in die astralische Substanz. Also denken Sie wohl: Alle diejenigen Wesenheiten der Erde, welche bis dahin die Möglichkeit gefunden haben, in ihrer äußeren materiellen Gestalt auszudrücken das Gute, das Edle, das Intellektuelle, das Schöne, die in ihrem Antlitz einen Abdruck zeigen werden des Christus-Jesus, die in ihren Worten einen Ausdruck zeigen werden des Christus-Jesus, die da tönen werden als tönende Gedanken: alle die werden die Macht haben, das, was sie an physischer Materie in sich haben, aufzulösen, wie laues Wasser Salz auflöst. Alles Physische wird übergehen in eine astralische Weltkugel. Es wird an dieser Stelle der Erdenentwicklung stattfinden ein Aufstieg ins Geistige mit lauter Gestalten, die in diesem Astralischen leben werden und die ausscheiden werden aus sich eine andere materielle Kugel – eine

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Kugel, welche die Wesen enthalten wird, die unbrauchbar sind für den Aufstieg, weil sie nicht das Materielle auflösen können. [8, S. 166 f.]

Kehren wir zunächst zurück zu dem großen Bild des Weißen Reiters. Drei Namen werden als drei Aspekte diesem Reiter gegeben. Den ersten, der sein eigentliches Geheimnis ausspricht und den niemand nennen kann, wenn er nicht in seinem eigenen Wesen das Christus-Geheimnis erfährt und es ganz in sein Ich-Wesen aufnimmt, haben wir schon besprochen. Es ist der eigentlich geistige Aspekt. Der andere Aspekt wird uns beschrieben in dem „blutbesprengten Kleid“. Damit wird auf das Blut von Golgatha hingewiesen. Aber der Name für das blutbesprengte Gewand ist ein anderer. Es ist das „Wort Gottes“ – der Logos. Der welcher in uns wohnen soll, der erfüllt uns mit dem Worte Gottes, das die Welt durch sein Licht und seine Wesenheit erleuchtet. Während die vorchristlichen Völker durch die Naturerscheinungen das Göttliche zu verstehen suchten, führt der Weg der Christen durch den Logos in das Herz Gottes. Das Wort Gottes trägt den Keim für ein Verständnis des Mysteriums von Golgatha in sich. Der dritte Aspekt, den der Weiße Reiter enthüllt, ist die Offenbarung durch seine Taten. Das zweischneidige Schwert aus seinem Munde, das die Entscheidung herbeiführt, offenbart diesen dritten Aspekt, der als Erfüllung des Christus-Impulses ausgeht. Er wird immer mehr die Christussubstanz in der Welt ausbreiten bis in die werktätigen Willenstaten! Der Name für diesen dritten Aspekt lautet: König aller Könige, Herr aller Herren (1. Timotheus 6,15) Unschwer können wir in diesen drei Aspekten und Namen die dreieinige Gottheit erkennen, den Vatergott, der den Naturtatsachen zugrunde liegt und bis in den Willen sich manifestiert; den Sohnesgott, der im Seelischen lebt und den Menschen zur Freiheit führt, und den Geistgott, der in der geistigen Ordnung herrscht und von da aus die neue soziale Ordnung herstellen wird. Der Einige Gott in seinen drei Aspekten ist es, der in dem Weißen Reiter aus der Zukunft uns entgegenkommt, um die Zukunftsordnung der Menschheit zu verwirklichen! Nicht zufällig erscheint er beim „Hochzeitsmahl“ (Off. 19,9). Es ist das seit altersher aus den Mysterienüberlieferungen bekannte Bild der Hochzeit, die hier zwischen dem Lamm und der Braut, der Seele und dem Geist gefeiert wird. Und als esoterische Folge dieser Vermählung wird der Weiße Reiter sichtbar, der die geistige Ich-Kommunion zur Offenbarung bringt. Eine wirklich tiefe Mysterienschau! – Denn in dieser „Kommunion“ von Menschen-Ich und Christus-Ich liegt das tiefste Geheimnis der christlichen Einweihung beschlossen. Aber in dieser geistigen Aufnahme in der Wesensverbindung mit dem Christus lebt ein Auftrag – eine geistige Verantwortung. Sie ist nicht nur ein Ruhen in der Gottheit, sie ist eine Sendung, die durch uns erfüllt werden will. Und daher entwickelt sich aus dieser Hochzeit der apokalyptische Endkampf, der sonst ganz unverständlich wäre – nach der Würde und Hoheit dieser Bilder. Um den Weißen Reiter sammeln sich die Tiere, die Könige und Heere, um zu kämpfen gegen den, der auf dem Pferde sitzt, und sein Gefolge! Es ist das Urmotiv der geistigen Kraft, die durch das Christus-Ich in die Erdenwelt eingetreten ist, und das überall, wo es sich in seiner Reinheit offenbart, den Angriff der Dämonen herausfordert. Noch hier am Schluss der apokalyptischen Entscheidungen, da der Weiße Reiter als die Christuskraft in ihren göttlichen Aspekten erscheint und die Erfüllung bringt, werden aus den verborgenen Tiefen die Dämonen herausgefordert, die sich zum Endkampf rüsten. Dieser Endkampf wird in wenig markanten Strichen gezeichnet. Obwohl er hier im 20. Kapitel, erst am 287

Schluss, im Anschluss an die Erscheinung des Weißen Reiters geschildert wird, stehen wir doch schon heute in seinen aus der geistigen Welt uns entgegenkommenden urbildhaften Wirkungen! Jede Zeile dieses 20. Kapitels ist ein michaelischer Willensschritt, jedes Wort stellt eine Weltentscheidung dar. Man fühlt, dass die Entscheidung schon gefallen ist in der geistigen Welt. Jetzt folgen nur noch die Auswirkungen in der Menschenwelt. Nachdem die dämonischen Heere der Widersachermächte, die sich zum Kampf gegen den Weißen Reiter und seine Gefolgschaft versammelt und gerüstet haben, abgeschlagen sind und durch das Schwert, das aus seinem Munde geht, besiegt worden sind, das Tier aber samt den falschen Propheten verbannt und in den feurigen Pfuhl geworfen sind, wird Satanas gefesselt und für tausend Jahre in den Abgrund verbannt. Danach muss er für eine kleine Zeit wieder los werden. (Off. 20,3). Wir haben bereits diesen Zusammenhang des gefesselten Satans mit dem Tausendjährigen Reich erwähnt. Wenn dies Ereignis erst hier am Schluss kommt, so aus demselben Grunde wie die Schilderung des Endkampfes mit dem weißen Reiter, der ja die Parusie Christi offenbart, welche im Grunde die ganze Apokalypse durchzittert. Aber erst jetzt offenbaren sich die geistigen Urbilder, die als geheime Ursache schon viel früher das Geschehen durchziehen und in Bewegung setzen. Das ist auch der Fall mit den majestätischen Schlussbildern des Jüngsten Gerichts, die nun in ihrer urbildlichen Größe im 20. Kapitel vor der Geburt des neuen Himmels und der neuen Erde auftauchen. Versuchen wir sie aus ihrer statischen monumentalen Größe zu lösen und in den zeitlichen Entwicklungsstrom hineinzustellen. Emil Bock tut dies in sehr anschaulicher Art: (Vgl. S. 42) Das Jüngste Gericht kommt zeitalterhaft. Auf der Erde kann es längst angebrochen sein, ehe es

bemerkt wird. Aber wenn die Seelen, die im Reiche der Verstorbenen die ernste Scheidung der Geister erlebt und erlitten haben, aufs neue zur Verkörperung auf die Erde herniedersteigen, muss sich immer krasser enthüllen, wovor die Erden-Menschen ihre Augen so gerne verschließen. Der höllische Rückschlag des Materialismus, den ein Teil der Menschenseelen nach dem Tode durchzumachen hat, muss ja im nächsten Leben zur qualvollen Erschwerungen des Schicksals und in tieferen Wesensschichten zu einer heiß-durstigen Sehnsucht führen, die letzten Endes auf Geistiges zielt. Das Lechzen nach einer Spiritualität wird sich in der Menschheit geradezu als eine Folge materialistisch durchlebter Inkarnationen einstellen; und dann wird auch auf der Erde die Scheidung der Geister unverkennbar werden in diejenigen, die durch die neue Christusnähe zum inneren Aufatmen gelangen, und diejenigen, die dadurch in eine umso qualvollere Atembeklemmung gestürzt werden. [3]

Schon Paulus weist darauf hin, dass das Kommen des Christus zuerst im Reiche der Verstorbenen erlebt wird. Hier im geistigen Reich ist das Jüngste Gericht, das mit der Erscheinung des Christus in ätherischer Gestalt verknüpft ist, längst schon angebrochen.

Von hier aus ist zu verstehen, dass das neue Kommen Christi im Reiche der Toten auch ein Gericht, eine Scheidung der Geister, bewirkt. Nur diejenigen Seelen sind imstande, die Christussonne aufgehen zu sehen, die „in dem Herrn“ gestorben sind, das heißt die aus dem Erdenleben einen Christus-Ertrag in die andere Welt mitgebracht haben. Was auf Erden an Christusnähe erlebt und errungen worden ist, wird nach dem Tode zum Organ der Seele, zu dem Auge, mit dem das Licht der Christuswesenheit geschaut werden kann. Die Menschen, die auf der Erde im Materialismus aufgegangen sind, können den Christus in der geistigen Welt nicht sehen, so nahe er auch an die Menschensphäre herankommt. Ihre Seelen sind blind und tappen im Dunkeln. Sie sind ohne Licht, weil es ihren Lampen an Öl gebricht. Die Seelen aber derer, die sich im Erdenleben mit Christus haben berühren und verbinden können, werden, wenn die Wiederkunft Christi anhebt – von nun an – beseligt. Sie können sich bereits auf dem hell beschienenen Gipfel des heiligen Berges

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als die Zukunftsmenschheit um das Lamm scharen. Auf dieses Geheimnis deutet auch Paulus hin: Ihr dürft nicht glauben, dass, wenn der Christus wiederkommt, die Erdenseelen denen, die entschlafen sind, etwas voraushaben werden. Der Christus wird vom Himmel herniederkommen, wenn die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes ertönt, und die mit Christus verbundenen Toten werden zuerst Anteil an der Auferstehung erlangen. Erst nach ihnen werden wir, die wir auf Erden leben, mit dem Herrn vereinigt werden. (1. Thessalonicher 4, 1517)

Erst nachdem sich die Sonne der Wiederkunft Christi im Reiche der Verstorbenen geltend gemacht hat, finden ihre Strahlen allmählich Eingang auch in die Seelen der auf Erden verkörperten Menschen. [3] Von diesem Gesichtspunkt der durch die verschiedenen Erdenverkörperungen hindurch schreitenden Menschenseelen gewinnen wir erst ein lebendiges Bild von der Menschheitsentwicklung und den einzelnen Menschen. Wir lernen begreifen, was mit der ersten und zweiten Auferstehung am Ende der Apokalypse im 20. Kapitel gemeint ist. Das sogenannte Tausendjährige Reich, in dem die mit Christus verbundenen Seelen mit Christus herrschen, ist kein äußeres Reich, wie wir bereits sahen, das sich wie ein Paradies auf Erden auswirkt – auch wenn Satan in diesem Zeitraum noch gefesselt ist; es ist ein geistiges Erwachen, ist eine Auferstehung in das geistige Reich der Sonnensphäre, in dem die von Christus durchdrungenen Seelen in seiner Lichtesherrlichkeit erstrahlen und mit Ihm die Geschicke der Welt beeinflussen und leiten. Hierin erfüllt sich die Bitte aus der große Fürbitte des Christus im Johannesevangelium, 17. Kapitel: „Heiliger Vater, dies ist mein Wille: dass sie, die durch Dich zu mir kamen, immer da, wo mein Ich ist, bei mir sind, und dass sie die Offenbarung meiner Ichheit schauen, die Du liebend vor mir erstrahlen ließest, ehe die Welt noch bestand.“ (Joh. 17,24) Das ist die erste geistige Auferstehung, die sich nach dem individuellen Schicksal der Menschen erfüllt in der geistigen Welt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Wer mit diesen Sonnenkräften erfüllt wieder ins Erdendasein eintritt, wird als Christusjünger das Vermächtnis seiner geistigen Wiedergeburt und Auferstehung im nächsten Erdenleben vorfinden und in diesem Lichte sein Leben als Gottesbote führen können – wie es in vielen bedeutenden Persönlichkeiten sich offenbart hat – wie Raffael, Novalis, Franziskus von Assisi und vielen anderen. Selig ist und geisterfüllt, wer an dieser ersten Auferstehung Anteil hat. Über sie hat der zweite Tod, der Seelentod, keine Gewalt. Sie werden Priester Gottes und Priester Christi sein und mit ihm tausend Jahre lang regieren. (Off. 20,6) Zwischen der ersten und zweiten Auferstehung ist das Interregnum, wo Satan losgelassen wird und an den vier Enden der Erde die geistfeindlichen Kräfte, Gog und Magog, zum Streit gegen die dem Geist ergebenden Menschen aufgerufen wird. Und sie umringten das Heerlager der Heiligen und die Gottesstadt. Da aber fuhren Feuerflammen aus dem Himmel hernieder und verzehrten sie. Der Teufel (die luziferische Macht), der sie verführt hatte, ward geworfen in die Sümpfe des Abgrundes, aus denen die schwefligen Flammen lodern. Dorthin wurden auch das Tier und der falsche Prophet gestürzt. Tag und Nacht haben sie nun Qualen zu erdulden durch alle Zeitenkreise. (Off. 20,9 f.) Und jetzt erst erfolgt die leibliche Auferstehung als das Endgericht. – 289

Bevor wir diesem Mysterium näher treten – denn ein solches ist es –, wollen wir den Versuch machen, den uralten Begriff der „Hölle“, der ja im christlichen Weltbild auf Grund der Apokalypse eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt, mit den Mitteln, die uns die Geisteswissenschaft gibt, denkerisch zu durchleuchten, ob und wieweit wir diesen Begriff in unser Weltbild aufnehmen können. Zunächst bildet ja das Bild der Hölle das Finale der Apokalypse im 20. Kapitel, bevor der neue Himmel mit der neuen Erde – die heilige Stadt – erscheint. Alle unverbesserlichen, widerstrebenden Widersachermächte und Menschen, deren Namen nicht im Buche des Lebens zu finden sind, werden in die Sümpfe des Abgrunds (oder nach Luther: „in den feurigen Pfuhl“) geworfen, aus denen die schwefligen Flammen lodern, worin sie durch alle Zeitenkreise unermessliche Qualen zu erdulden haben. Fragen wir uns zunächst: Was hat es für eine Bewandtnis mit der mythologischen Vorstellung des Orkus, welche sich bei den Griechen findet? Dort ist es quasi eine Welt, wo alles Unbrauchbare, Verendete und nicht mehr zum Dasein zu Erweckende, weil es keinen Wert für die Weltentwicklung mehr hat, hingeworfen wird. Einen ähnlichen Begriff kennt auch die Geisteswissenschaft, wenn zum Beispiel davon die Rede ist, dass der Leichnam der Erde, also was als Leichnam von ihr abfällt am Ende der Erdenentwicklung, sowie der menschliche Leib vom Menschen nach seinem Tode abfällt, in den „Weltenabgrund“ versinkt. Ähnliches kann gesagt werden von all demjenigen, was für die weitere Entwicklung keinen Wert mehr hat und daher in „Lethes Fluten“ der Vergessenheit übergeben wird. – Wir entnehmen persönlichen Aufzeichnungen aus den Erinnerungen von Frau Emmy von Gumpenberg. Dornach 1930, eine Beantwortung Rudolf Steiners auf eine diesbezügliche Frage:

Es wurde einmal im Anfang unserer Bewegung gefragt, ob wohl alles, was wir jemals gedacht und getan haben, durch die Reihenfolge unserer Inkarnationen in seinen Folgen im Weltenall erhalten bliebe, sodass wir rückwärts schauend unser ganzes Leben vom Moment an, wo wir Ich-Menschen geworden sind, immer überblicken müssten, ohne ein Vergessen irgendeiner Phase unseres Entwicklungsweges. – Dr. Steiner sagte mit einem Ausdruck des Schreckens über eine solche Vorstellung: „Das wäre ja furchtbar! Ewig an Kleinliches. Nichtiges. Fehlerhaftes gebunden zu sein! Nein – alles, was nicht für die Ewigkeit taugt, was sich nicht anpasst der vom Kleinlichen befreiten Seele, fällt von dieser Seele ab. Im Weltenall gähnt der große bodenlose Orkus und nimmt das auf, was keinen Platz finden kann im fortschreitenden Leben und in der immer heller aufglänzenden Schönheit dieses Lebens. Alles, was kein Heim finden kann im Göttlichen, das versinkt in diesem Orkus, in diesem bodenlosen Weltenabgrund. Es versinken die Schatten dunkler Taten in seinen Tiefen, aus denen es kein Auftauchen mehr gibt in die lichten ewigen Welten der frei gewordenen Seelen.“ Dieser Begriff ließe sich mit einem „Auslöschen“ identifizieren – einem Versinken in das Nichts. Er wird hier gebraucht für alle nichtigen, unbrauchbaren und wesenlosen Taten und Erinnerungen. die keine Bedeutung mehr haben für die Zukunft. Beim Begriff der Hölle geht es nicht nur um ein Auslöschen und Versinken, sondern um ein „Strafgericht“: Das für das moderne Bewusstsein schwer zu Ertragende und Unerträgliche dieses Begriffes ist nicht das Strafgericht, sondern die Ewigkeiten der Höllenstrafen. Wir können hier absehen von den materialistischen Bildern der Höllenstrafen, wie sie im Danteschen Inferno die Phantasie der Gläubigen bevölkert haben; ebenso wie ja auch die 290

apokalyptischen Vorstellungen durch die Bilder aus der jüdischen Apokalypse stark ins grob-materialistische gezogen wurden. (Vgl. [3]) Und ebenso sind die Bilder der Höllenstrafen einer wohl noch stärkeren Vergröberung anheim gefallen! Für denjenigen, der sich mit dem Schicksal der Seele nach dem Tode aus geisteswissenschaftlichen Schriften befasst hat, bietet es keine Schwierigkeit, sich eine im rein seelisch-geistigen Bewusstseinszustand verlaufende Läuterung vorzustellen. Man kann sich ein solches Purgatorium bis zu den Qualen eines Höllenzustandes gesteigert denken – und das moderne Leben bietet ja manche Gelegenheit, sich schon im Leibe in solche Zustände hineinzuleben –, was aber ein unerträglicher Gedanke ist, das ist die Ewigkeit der Höllenstrafen! Wie kommt das heutige Bewusstsein im geisteswissenschaftlichen Sinne damit zurecht? – Wieder sei eine Stelle in den Aufzeichnungen Emmy von Gumpenbergs zitiert, wo Rudolf Steiner auf die Frage eingeht und woraus sich neue Perspektiven für unser Bewusstsein von diesen sogenannten „ewigen Höllenstrafen“ erschließen:

Ganz im Anfang unserer Bewegung stellte ich einmal die Frage, ob es im Laufe der Menschheitsentwicklung etwas gäbe, das der Lehre der ewigen Verdammnis entspreche. Die Antwort darauf war: „Relativ genommen könnte man wohl von einer solchen sprechen. Es liegt aber eine fast unermessliche Zeit vor der Menschheit, während welcher immer neue Gelegenheiten gegeben werden, Wahrheiten zu erkennen, Fehler zu verbessern, gebotene Hilfe anzunehmen. Die Schar der Helfer wird immer größer, die fortschreitende Menschheit immer fähiger, die Welten-Liebesmacht des Christus erfassen zu können, sodass bis zum Ende der Venuszeit die ganze lichte Schar der Seelen, die einstmals Erdenmenschen gewesen, ihre Vollendung soweit erreicht haben werden, dass die zeitlich sich bildende Vollendung ihrer Welt die Stufe erreicht haben wird, die der Ausdruck ist des vollendeten Geistesmenschen. Es besteht nur die Möglichkeit, dass solche Menschen, die sich ganz verhärtet haben und ihr zunehmendes Wissen und ihre zunehmende Geistesmacht zu rein egoistischen Zwecken verwenden, die im Perversen ihre Freude und Befriedigung finden, im Töten und Leiden verursachen, in Grausamkeiten aller Art, die sich wohl magische Kräfte erringen, aber solche schwarzmagischer Art, dass diese völlig als Schwarzmagier verhärten. Bis gegen Ende der Venuszeit hat die Venusmenschheit das Ziel der Erdenentwicklung erreicht, die Venuswelt hat sich verwandelt zur Vulkanwelt, deren einziges Weltengesetz Gottseligkeit ist. Auf der Erde regiert noch das Weltengesetz von 'Geburt und Tod', und da fand statt das Mysterium der Vereinigung des Christus mit der Erde und Mensch. Mit der Erde ist der Tiefpunkt der Weltenentwicklung erreicht -, die Christustat auf der Erde, die eine vorbereitende war während der Entwicklung und Verwandlung der drei vorhergehenden Welten des alten Saturn, der alten Sonne und des alten Mondes; diese Christustat ist: „Das Wort wird Fleisch, der Logos Mensch und Erdgeist“, das heißt: Der Ich-Bedingung schaffende Gott senkt sich in das Ich. Die substantielle Differenzierung vollzieht sich, indem die vier Elemente sich bilden: Erde, Wasser, Luft und Feuer. Es entsteht das Ichbewusstsein und die IchArbeit. Bis zum Mysterium von Golgatha war die Erde in einer absteigenden Entwicklung. Nun kann der Mensch sich so mit seiner Welt vereinen, dass er die kommenden planetarischen Entwicklungsstufen der Erde hinaufträgt zur Vollendung. Diese ist erreicht gegen Ende der Venuszeit, wo die ganze Menschheit in eine Welt 291

und in einen Zustand übergehen wird, von dem wir uns heute noch keine Vorstellung machen können. Es besteht aber die Möglichkeit, dass innerhalb dieser Äonen sich einige Seelen so werden verhärtet haben als Schwarzmagier, dass sie von der Vollendung der Venuswelt ausgeschlossen werden müssen und damit an der Verwandlung zum Vulkan nicht teilhaben können. Sie werden gegen Ende der Venuszeit ausgeschieden werden in die sogenannte 'achte Sphäre', das heißt sie scheiden sich selber aus von der Welt, die nur eine Anziehungskraft hat für die Seelen, die bewusst und wollend den Entwicklungsweg gegangen sind, den diese Welt ihnen geboten hat. – Es kann aber eine Seele, die ihr Ich entwickelt hat, dasselbe nie wieder verlieren. Sie muss also mit ihrem klaren Selbstbewusstsein Äonen in einem Dasein verbringen, das ihr nichts bietet, was ihrer Entwicklung dient, keinerlei Arbeit, die ihr eine Befriedigung gäbe. Das ist Qual für eine Seele, die in unverlierbares klares Ichbewusstsein hat. In diesem Zustande muss sie verharren, bis im Laufe langer Zeiten aus den Gottesgedanken und dem Gotteswillen die Keime eines neuen Weltalls entstehen, und bis aus diesen Keimen eine Welt entsteht, in der die Ichheit eines Schwarzmagiers – denn nur solche verfallen diesem Los – weitere Entwicklungsmöglichkeiten finden kann. Das ist wieder ein für uns kaum zu fassendes Leiden. Denn die Welten, in denen wir Menschen von der Saturnzeit bis zum Vulkan unsere Entwicklungsbedingungen finden, sind ganz den Bedürfnissen unseres Geistes, unserer Seele und unseres Leibes entsprechend und waren für die werdende Menschenseele aus der Weisheit, Liebe und Willensmacht der Gottheit entstanden. – Jene Welten aber, die nach der Vollendung unserer Vulkanwelt sich als neue Keime aus dem unergründlichen Schöpferwillen der Gottheit erheben werden, werden anderen Zwecken und Zielen dieses Schöpferwillens folgen. Und der zum Schwarzmagier heruntergesunkene Mensch, der herausfällt aus der Weltenfolge, die zur Entwicklung der Menschenseele entstanden war, hat sich nun einer Welt anzupassen, die ihm nicht homogen ist. Er muss seine ganze weitere Entwicklung in Welten durchleben, die ihm wohl die Möglichkeit bieten, mit ihnen deren Ziele zu erreichen, doch unter dem Leiden des nicht völligen Entsprechens der Welt und des Weltenbewohners. Dieses Dasein mag wohl eine Hölle genannt werden und die Zeitdauer derselben eine Ewigkeit. Dennoch sind diese Begriffe relativ.“ (Diese Antwort ist nicht auf einmal gegeben worden, sondern ist zusammengefasst aus verschiedenen Aussprüchen Rudolf Steiners.) In den Vorträgen in London vom 12., 16. und 19. November 1922 und die „Erlebnisse der Menschenseele im Schlafe und nach dem Tode in der geistigen Welt“ behandeln, berichtet Rudolf Steiner aus seiner Geistesforschung von einem ganzen Geschlecht untermenschlicher Wesenheiten, in deren Instinktnatur sich Ahriman festgesetzt hat, sodass sie ihm nach dem Tode bis zum gewissen Grade hörig werden. Während die luziferischen Geister den Menschen zu einem „moralischen Automaten“ machen wollen, haben die ahrimanischen Wesenheiten ihre Festungen unmittelbar unter der Oberfläche der Erde,

aber ihre Wirkungen, die gehen in den menschlichen Stoffwechsel hinein... [65, 16. Nov.] Die ahrimanischen Wesen wollen den Menschen verhärten und ihn sich ähnlich machen:

Er würde dadurch im Materiellen unendlich klug werden; unendlich gescheit, unglaublich intelligent würde er werden. Diese Wesenheiten können das nicht direkt erreichen; sie möchten es indirekt erreichen. Deshalb ist es in der Tat ihren wirklich Jahrtausende alten Anstrengungen im Erdenleben schon gelungen, ein ganzes Geschlecht solcher untermenschlicher Wesenheiten auszubilden. Sie machen das so, 292

dass sie sich der Instinktnatur der Menschen bemächtigen, wenn diese Instinktnatur besonders wüst und stark ist; sie reißen gewissermaßen diese Instinktnatur an sich. Der Mensch ist dann während seines Lebens verfallen diesen ahrimanischen Mächten. (Vgl. S. 220) Wenn der Mensch während seines Lebens verfallen ist den ahrimanischen Mächten, sodass er seinen Leidenschaften, Instinkten, Trieben ganz hingegeben ist, dass er ein wüster Mensch ist, dann können sie das herausreißen nach dem Tode. Und auf diese Weise gibt es nämlich schon eine ganze Bevölkerung, eine untermenschliche Bevölkerung der Erde. Die ist wirklich vorhanden, die ist im Wasser und im Irdischen vorhanden. Und wenn wir fragen, was die ahrimanischen Wesenheiten mit dieser unter-menschlichen Bevölkerung vorhaben, so denken sie: Jetzt werde ich aus einem Menschen herausziehen diese Instinktnatur, daraus mache ich ein irdisch-wässeriges Wesen. – Diese irdisch-wässerigen Wesen bevölkern tatsächlich die Schicht, die unmittelbar unter der Erdoberfläche liegt. Da sind sie drinnen. Diejenigen Menschen, die in Bergwerken clairvoyant schauen können, die kennen diese Wesenheiten sehr gut. Es sind Wesenheiten, die dadurch vorhanden sind, dass sie dem Menschen im Momente des Todes entrissen worden sind. Und da wartet Ahriman, da warten die ahrimanischen Mächte darauf, dass die Menschen einmal in einer solchen Inkarnation herunterkommen durch ein Karma, das durch die Instinkte, Triebe, Leidenschaften bewirkt wird, dass sie herunterkommen, dass ihnen nun ein solches Wesen besonders gut gefällt, dass Menschen in einem bestimmten Erdenleben sagen: 'Ich will nicht wieder zurück in die geistige Welt, ich will, nachdem ich meinen Körper verlassen habe, aus dem man ja doch wiederum herausgeht zu einem übersinnlichen Leben, mich verkörpern in einem solchen untersinnlichen Wesen. Dafür bleibe ich dann mit der Erde vereint. Ich wähle, ein untersinnliches Wesen zu sein.' Und in der Tat, so paradox es klingt – man muss darüber erstaunt sein, weil ja die ahrimanischen Wesen eben außerordentlich klug sind – sie sind immer der Meinung, das kann man ganz richtig konstatieren : dass sie imstande sein werden, soviel Menschen auf diese Weise hineinzulocken in ihr Geschlecht, dass die Erde sich einmal mit lauter solchen ahrimanischen untermenschlichen Wesen bevölkern werde; und dadurch wollen sie die Erde selbst unsterblich machen, sodass sie nicht zerstäubt im Weltenraum. [65, S. 146 f.]

Aus solchen oft mehr aphoristischen Mitteilungen geht zur Genüge hervor, wie weit wir schon gegenwärtig gekommen sind in den großen apokalyptischen Menschheitsentscheidungen. Das „Jüngste Gericht“ spielt sich nicht in einem großen Gerichtstag nach der 7. Posaune ab. Wir stehen mitten darin in den immer drängender werdenden Entscheidungen, die einen immer definitiveren Charakter in der Zukunft annehmen werden. Was sich gegenwärtig im Geistigen nach dem Tode als Ergebnis unseres Schicksalsverlaufes auf Erden vollzieht, das wird in den kommenden Erdenleben sich bis ins Physische verwirklichen, indem die moralische Physiognomie der Menschen in ihrer Scheidung in eine gute und in eine böse Rasse auch nach außen sich sichtbar zeigen wird. Das aber kann allen nach dem Guten und dem Geiste strebenden Menschen ein Trost sein, der ihnen Vertrauen und Zuversicht auf den endgültigen Sieg des Guten gibt! Mag die ahrimanische Macht auch noch so stark werden auf Erden und die Menschen im Bereich der modernen Zivilisation auch noch so in ihren Bann schlagen und faszinieren, diesem Bann der ahrimanischen Verlockung folgt in jedem Dasein nach dem Tode eine Korrektur – die Möglichkeit einer Umkehr, gerade dadurch, dass wir die Folgen unserer moralischen Entgleisungen und Verschuldung im postmortem-Dasein zu fühlen bekommen. Das ist nicht ein Akt der Strafe, sondern die notwendige Korrektur, wodurch uns der Weg zur Einsicht und Umkehr eröffnet wird. – Eine Hilfe wird diesen Seelen durch diejenigen Menschen zuteil, die eines frühzeitigen Todes sterben, sei es durch einen Verkehrsunfall, sei es durch eine Kriegskatastrophe.

Indem solche Seelen in die geistige Welt hinaufgehen, bringen sie noch ganz besondere Kräfte mit hinauf, die eigentlich noch hier auf Erden wirksam sein könnten, die hier aber vorzeitig abgelenkt worden sind. Das sind besonders verwendbare Kräfte, welche diese Frühverstorbenen hinaufbringen. Und diese Kräfte benutzen nun die Wesenheiten der höheren Hierarchien, um diejenigen Seelen zu retten, die sie durch eigene Kraft nicht retten könnten. – So helfen die Seelen, die 293

frühzeitig zugrunde gehen, ihren Mitmenschen, die sonst im Morast des Materialismus versinken würden. [89, S. 218] Die Korrektur der von Ahriman angekränkelten Seelen im Leben nach dem Tode ist dazu angetan, sie zu einem geistigen Erwachen und damit zur Selbsterkenntnis zu bringen. Rudolf Steiner schildert, wie solche Menschen nach dem Tode dazu verurteilt sind, zu Dienern Ahrimans zu werden:

Da sehen wir – das ist wiederum für den Seher etwas Erschütterndes – viele Seelen, die eine gewisse Zeit zwischen Tod und neuer Geburt verurteilt sind, Sklaven zu werden der Geister, die da herein senden in das physische Leben Krankheit und Tod. Da sehen wir also Seelen zwischen Tod und Neugeburt, welche in das Sklavenjoch gespannt sind derer, die wir die ahrimanischen Geister oder die Geister der Hindernisse nennen, also derjenigen, die auf Erden am Tode schaffen, und derjenigen, die Hindernisse ins Leben bringen. Das ist ein hartes Los, das der Seher beobachtet bei manchen Seelen, wenn sie sich so in das Sklavenjoch beugen müssen. [89, S. 215] Diese Seelen haben sich dazu verurteilt, dass sie durch Bequemlichkeit und Gewissenlosigkeit in ihrem Erdenleben in den Bannkreis der ahrimanischen Geister geraten sind:

Da sehen wir also ein gewisses Verhältnis von Menschenseelen zu den bösen Geistern von Krankheit und Tod, den bösen Geistern der Widerstände. [89, S. 215] In dieser Art kann man schon heute sprechen von dem Jüngsten Gericht, das in der geistigen Welt nach dem Tode begonnen hat, zwar noch nicht endgültig – doch immer drängender, immer ernstere Perspektiven eröffnend! Was uns immer deutlicher werden muss, ist die Differenzierung der Bilder und Geschehnisse in der Apokalypse: Welche Geschehnisse spielen sich im Geistigen ab und welche Geschehnisse sind als irdische Ereignisse aufzufassen. Diese Differenzierung wird im Fortgang gegen das Ende zu immer schwieriger – eben weil die beiden Sphären der überirdischen und irdischen Welt sich immer mehr durchdringen und vermischen. Das entspricht ja auch dem Gang der Weltentwicklung, da die übersinnliche Welt ständig tiefer in die Sinneswelt einbricht, wodurch eben die geistfeindlichen ahrimanischen Einschläge sich immer stärker als finstere Gegenmächte bemerkbar machen. Bei jeder neuen Geistdurchdringung setzt eine neue Scheidung der Geister ein, eine Erhöhung derjenigen Seelen, welche sich zu diesem Aufstieg bereit gemacht haben – und ein Absturz derjenigen, die sich dieser Vergeistigung durch ihre Taten und ihre Lebenshaltung widersetzt haben. Wir müssen die Apokalypse, je mehr es zur Erfüllung geht, im Gesichtswinkel dieser fortschreitenden Durchdringung von Sinneswelt und Geisteswelt zu lesen versuchen. Dadurch wird auch die Kluft immer mehr überwunden, die der Tod für das Bewusstsein der Menschen zwischen beiden Welten aufrichtet. Und wenn es zum Schluss heißt: Der Tod wird auch in den Abgrund der Hölle – den schwefligen Feuersee – geworfen, so bedeutet das, dass die Wand gefallen ist und dass für die durchchristeten Menschen der Tod nicht mehr besteht, da ihr Bewusstsein zum Geistbewusstsein erweckt ist! Zwei gewaltige kosmische Bilder bilden den Abschluss der Apokalypse. Es ist das Himmlische Jerusalem – die Gottesstadt der neuen Erde – und der Sturz der Gegenmächte und der ihnen verfallenen Mächte, die im Bilde der anderen Stadt, Babylon, beschrieben werden. Beide Bilder stehen sich gegenüber. Versetzen wir uns in die Gottesschau des 294

Sehers, so liegt in beiden Bildern das Weltenziel der göttlichen Entwicklung – nicht nur das Ziel der Erdenentwicklung, sondern der ganzen kosmisch-planetarischen Weltentwicklung mit ihren sieben Stufen vom Saturn bis zum Vulkan. Der Sieg des Guten ist in diesem Weltenziel der Gottheit vorgesehen. Das ist der große ethische Gesichtspunkt, der als moralische Kraft durch die Offenbarung Johannis sich hindurchzieht. Und das ist die helfende, trostvolle, unversiegliche Kraft des Guten, die die Aufrichtekraft uns gibt. Denn diese Kraft ist unüberwindlich. Der Sieg des Guten ist bereits in der geistigen Welt errungen. Wieweit sie in den niederen Sphären sich durchsetzen wird, ist eine Frage, die Michael an die Menschen stellt, da es von ihnen abhängen wird, für welches Reich sie sich entscheiden werden – für das göttliche Reich des Lichts oder das Reich der ahrimanischen Finsternis! Der Weiße Reiter führt diese Welt- und Menschheits-Entscheidung mit drängendem Schritt ihrem Ziele entgegen und keine Macht kann sich dem Schwert seines Mundes – der Vollmacht des göttlichen Wortes – widersetzen!

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Bild 11: Albrecht Dürer, Der Antichrist und sein Prophet, 1498

Die Verführung der Menschen durch das Tier, dessen Herrschaft 42 Monate andauert. Dem Tier wird Beistand gegeben durch ein zweites Tier, dessen Zahl 666 ist. (vgl. Off. 13)

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17. Das Kommen des Sorat und das Wirken des Antichrist Das Schwierige der Deutung der Bilder der Apokalypse liegt unter anderem darin, dass sie nie eindeutig genommen werden dürfen. Sie müssen, je von welcher Warte wir sie betrachten, von verschiedenen Gesichtspunkten erfasst werden. Das Tier aus dem Meere trägt zwar unverkennbar luziferische Züge, aber Züge, die zugleich das Ungeläuterte der Menschennatur verraten: eine Anhäufung von tierischen Merkmalen. Seine Füße waren wie Bärenfüße, sein Maul wie ein Löwenmaul. Mit seinem Munde stößt es Worte der Lästerungen aus gegen Gott und führt Krieg gegen alle, die dem Göttlichen ergeben sind. Alle Erdenbewohner zwingt es, es anzubeten und ihm zu folgen. (nach Off. 13,2 f.) Das Bild, was der Seher beschreibt, wie es schlangengleich in vielen Farben schillert, mit den 7 Köpfen. mit Zeichen der Lästerung auf seinen Stirnen, mit einem Löwenmaul, das Verwünschungen ausstößt – es ist das Bild, das im Astralen sich zeigt als Menetekel 250 des Schwellenhüters jener Menschen, die dem Abgrund verfallen sind, weil sie die Schwelle nicht überschreiten konnten. Das Zerrbild des kleinen Hüters der Schwelle, der als Doppelgänger erscheint im Erkenntnisspiegel! Es zeigte sich in seiner hässlichen Tiergestalt schon einmal bei der Enthüllung der Siegel, wo eine erste Scheidung sich abspielte:

Und alles, was uns nun beschrieben wird bei der Enthüllung der Siegel, stellt nichts anderes dar, als das Hineingehen in den Abgrund. Während wir im fünften Zeitraum nur kurz hingewiesen werden auf diejenigen, die auserwählt sind, werden uns im übrigen alle jene gezeigt, die in der Materialität bleiben, die in den Abgrund hineingehen, die jene Gestalten, die vorher da waren, annehmen, weil sie nicht mitgekommen sind, weil sie nicht die Kraft in sich aufgenommen haben, diese Gestalten (der luziferischen Gruppenseele) umzuwandeln. Sie können sich ein Bild davon machen: Denken Sie sich heute alle Ihre Menschengestalten aus Kautschuk und innerhalb dieser Kautschukmenschenleiber Ihre innere Seelenkraft, die diesen Kautschukleibern Ihre Menschengestalt gibt; denken Sie sich, wir nehmen die Seelenkraft heraus: Da würden die Kautschukleiber zusammenschrumpfen; Tiergestalten würden die Menschen erhalten. In dem Augenblicke, wo Sie die Seele herausziehen aus dem Menschen-Kautschukleibe, da würde der Mensch ihnen die Tiergestalt zeigen (die früher vor dem Ich-Impuls da war). Was der Mensch sich errungen hat, ist wie etwas, was er durch seine eigene Kraft heute hervorbringt. Wenn Sie das, was er früher im astralischen Leib erzeugt hat, betrachten könnten, dann würden Sie sehen, wie diese Tierähnlichkeit vorhanden ist. Es ist wirklich etwas wie solch eine innerliche Kraft, die dem Kautschukmenschen die heutige Gestalt gibt. Denken Sie sich diese Kraft entfernt, denken Sie sich den Menschen nicht befruchtet von der Christuskraft..., und der Mensch zuckt zurück in die Tiergestalt. So wird es solchen ergehen, die zurückfallen: die werden nachher eine Welt bilden, die sozusagen unter der heutigen Welt liegt, eine Welt des Abgrundes, wo der Mensch wiederum Tiergestalt angenommen haben wird. [8, S. 149 f.] Genau das gleiche vollzieht sich bei der zweiten großen Menschheitsprüfung, beim Übergang der Erde in den astralischen Zustand, wie es hier beim Erklingen der 7. Posaune im 13. Kapitel geschildert ist:

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Vgl. zu diesem Wort Fußnote Error: Reference source not found.

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In dem Augenblick also, wo die Erde in den astralischen Zustand übergeht, erscheint vom Menschen dasjenige, was an ihm vorhanden war, als die Erde noch mit einer Wasserhülle umkleidet war (in der atlantischen Zeit). Es steigt auf: das Menschentier. Aus dem Wasser sieht man sich erheben das Tier mit den sieben Köpfen und den zehn Hörnern. Dass dieses Tier unbenutzt belassen hat die Erde, das macht, dass jetzt aus der Erde aufsteigen kann Sorat, der Sonnengegner, der Verführer, der dadurch sich dem Menschen nahen und ihn mit aller Kraft in den Abgrund hinunterreißen kann. So sehen wir ein Wesen an den Menschen sich schmiegen von diesem Zeitpunkt an, das eine furchtbare Gewalt hat! [8, S. 230] Hier wird der Schleier jenes zweiten Tieres gelüftet, das aus dem Wasser sich erhebt und dessen Zahl 666 ist. Dass es sich hier nicht nur um den ahrimanischen Widerpart handelt, geht schon daraus hervor, dass sein Wesen hinter der Zahl sich verbirgt, die die Zahl des Tieres und zugleich eines Menschen ist! Diese Zahl kann in zweifacher Weise gelesen werden, nach unserem Dezimalsystem sechshundertsechsundsechzig – oder nach dem okkulten Siebenersystem im Sinne der geistigen Evolution, die bekanntlich stets in 7 Perioden sich erfüllt. So werden uns 7 Sendschreiben, 7 Siegel, 7 Posaunenklänge und 7 Zornesschalen genannt. Die Sieben bildet immer die Erfüllung in einer Evolutionsreihe; bei der 6 ist es „5 Minuten vor 12“! Daher spielt sich in der 6. Periode immer eine Entscheidung ab, da es sich jetzt um die letzte Frist vor dem Torschluss handelt. Wir leben heute in der 5. nachatlantischen Kulturperiode. Sie wird abgelöst werden von der 6. Kultur. Was sich heute bereits anbahnt und durch den michaelischen Ruf an die Menschheit ergibt, das wird in der 6. Kultur von Philadelphia, der slawisch-russischen, zur ersten großen Entscheidung führen durch das Erscheinen des Maitreya-Buddha, des Bringers des Guten durch das Wort, der um 4500 n. Chr. sich inkarnieren wird, um den Stamm derjenigen Menschen auf der ganzen Erde zu versammeln, die über die Katastrophe des „Kriegs aller gegen alle“ hinübergetragen werden, wie in der 5. Rasse der atlantischen Zeit die Menschen um den großen Sonneneingeweihten Manu (Noah) versammelt und über die atlantische Flutkatastrophe getragen wurden. Der michaelische Ruf, der durch die moderne Initiations-Erkenntnis heute an die Menschheit ergeht, ist die erste Vorbereitung zu dieser Entscheidung. So bildet die 6. Kulturperiode schon die große Entscheidung, die heute bereits sich vorbereitet und anbahnt in den Seelen. Vom okkulten Gesichtspunkt stehen wir heute in der Zahl des Siebenersystems in der Zahl 455. Die erste Zahl weist auf die große planetarische Entwicklung, da die Erde ihre 4. Verkörperung durchmacht nach der Saturn-, Sonnen- und Mond-Entwicklung. Die zweite Zahl deutet auf die 5. große Erdenperiode: die nachatlantische Zeit, und die letzte Zahl bedeutet die kleinere Kulturperiode, in der wir heute stehen.

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Abb. 24: Epochen der Erdentwicklung

1. Epoche 2. Epoche 3. Epoche 4. Epoche Atlantische Flut 5. Epoche Krieg aller gegen alle 6. Epoche 7. Epoche Jupiter

IV. Verkörperung: Erde Polaris Hyperboräa Lermuris Atlantis 7 nachatlantische Kulturperioden (gegenwärtig die 5.) Siegel Posaunen Zornesschalen

Wenn wir das Geheimnis der Zahl des Tieres 666, die zugleich die des Menschen sein wird, in dieser Art entziffern, was offenbart sie uns dann? – Die erste 6 weist auf die 6. planetarische Entwicklungsstufe der Erde – das ist die Venus –, die zweite 6 ist die 6. große Entwicklungsperiode der Venus, und die dritte 6 ist die 6. kleinere Kulturstufe. Wenn die 6 sich dreimal erfüllt, dann fällt die große Entscheidung mit denjenigen Menschen, die sich geweigert haben, den Christus-Impuls aufzunehmen. Was also verbirgt sich hinter dem zweigehörnten Tiere, das als „Drache“ im Hintergrund bleibt und seine Macht dem schillernden Tier mit den 7 Häuptern und 10 Hörnern zur Verführung leiht? Sein Name verbirgt sich in der Zahl. Liest man sie in okkulter Weise, indem man für einzelne Ziffern hebräische Buchstaben setzt, so ergibt sich nicht „Nero“ , wie die ersten Christen für den Namen des zweigehörnten Tieres errechneten, sondern Sorat, der Name des Sonnendämons: Tau Resch Waw Samech 400 + 200 + 6 + 60 251 Man liest von rechts nach links: Sorat. Jeder Buchstabe hat im Hebräischen auch einen Zahlenwert, addiert ergibt sich 666. Sorat ist der Name des Sonnendämons, des Gegners des Lammes. Jeder Planet, auch die Sonne, hat ihren Genius wie auch ihre polare Gegenkraft, ihren Dämon. Und der Sonnendämon ist der Gegner des Christus. Daher erscheint er wie ein zweigehörntes Lamm, indem dieser Sonnendämon als der eigentliche Antichrist dem Christus die Seelen zu entreißen sucht, sodass sie sich nicht mit ihm vereinigen können, sondern ausgestoßen werden von der Menschheitsentwicklung. Der Mensch kann im Grunde gar kein Gegner des Christus werden, außer wenn er sich von den Kräften des Sonnendämoniums verführen lässt. Diese Menschen werden die Sonne gleichsam von sich stoßen, wenn sich die Erde mit der Sonne wieder vereinigen wird. Man versteht die Bildersprache des Apokalyptikers erst richtig, wenn man sie genau liest. Am Anfang der Apokalypse heißt es: Dies ist die Offenbarung Jesu Christi, die ihm Gott gegeben hat, seinen Knechten zu zeigen, was in Kürze („in Kürze“ bezieht sich nicht, wie fälschlich angenommen wird, auf die Kürze der Zeit, in der dies geschehen soll, sondern auf die kurze Darstellung der

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Samech (‫ )ש‬steht für „s“, Waw (‫ )ו‬für „o“ oder „u“, Resch (‫ )ר‬für „r“, Tau (‫ )ת‬für „t“. Der kurze Vokal zwischen Resch und Tau wird in den semitischen Schriften überhaupt nicht wiedergegeben.

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Ereignisse!) geschehen soll und hat sie in Zeichen gesetzt und uns gegeben durch seinen Engel seinem Diener Johannes. (Off. Anfang) In Zeichen gesetzt! – Wir werden also aufgefordert, diese Zeichen zu entziffern. Ein solches Zeichen offenbart sich in dem „zweigehörnten Lamm“: Und ich sah ein anderes Tier aufsteigen aus der Erde, das hatte zwei Hörner gleich wie ein Lamm. (Off. 13,11) Rudolf Steiner fügt hinzu:

Das sind nichts anderes als die zwei Striche oben an der Zeichnung (im Zeichen des Sonnendämons), um das zu verhüllen, nennt er einfach die zwei Striche hier „Hörner“. Das war immer so im Gebrauch der Mysteriensprache, dass man ein Wort vieldeutig gebraucht hat, um den Uneingeweihten nicht so ohne weiteres die Möglichkeit zu geben, die Sache zu verstehen. Was er also hier beschreibt, „hat zwei Hörner wie ein Lamm“. Das ist das Zeichen des Sonnendämons, das in der Mysteriensprache ausgedrückt wird durch das Wort Sorat. [8, S. 208] Dies Prinzip ist es, das in dem Bild des Lammes erscheint, das die Kraft des Lammes zurückstößt.

Und es wirkt so, dass ein gewisser Teil des menschlichen Geschlechtes ausgestoßen wird von der Entwicklung, die zur Sonne führt. Das sind die gegnerischen Kräfte der Sonne, die in Opposition zur Sonne stehen. Das sind zu gleicher Zeit diejenigen Kräfte, die die Anlage haben, wenn die 666 Entwicklungszustände verflossen sein werden, ganz hinausgeworfen zu werden aus unserer Entwicklung. Sie werden dann ausgestoßen sein endgültig in den Abgrund, sodass wir sagen müssen: In jener Zeit, wo die Erde mit der Sonne vereinigt wird, wird nicht nur dasjenige ausgestoßen, was durch das Tier mit den sieben Köpfen und zehn Hörnern symbolisiert wird, sondern auch das, was mit Kräften ausgestattet ist, die der Sonne gegenteilig sind. Das alles ist bestimmt, in den Abgrund hinein zu verschwinden, wenn die 666 erfüllt sein wird. [8, S. 204 f.] Es handelt sich hierbei nicht nur um fahrlässige Versäumnisse, die aus Schwäche begangen werden, sondern um Kräfte, die die spirituelle Entwicklung in ihr Gegenteil umkehren, was man auch mit „schwarzer Magie“ bezeichnet.

Erst wenn die spirituelle Erhebung in ihr Gegenteil verwandelt wird, wenn die spirituelle Kraft in den Dienst des niederen Ich-Prinzips gestellt wird, dann kann sie die Menschheit so weit bringen, dass das Tier, das dargestellt wird mit zwei Hörnern, über sie Gewalt erlangt! Der Missbrauch der spirituellen Kräfte hängt zusammen mit jener verführerischen Kraft des Tieres mit den zwei Hörnern. Und wir nennen diesen Missbrauch der spirituellen Kraft die schwarze Magie im Gegensatz zum richtigen Gebrauch, den wir weiße Magie nennen. So wird das Menschengeschlecht dadurch, dass es sich spaltet, sich darauf vorbereiten, auf der einen Seite in immer geistigere Zustände zu gelangen und dadurch in den Gebrauch der geistigen Kräfte, in die weiße Magie hineinzukommen; und auf der anderen Seite wird dasjenige, was Missbrauch treibt mit den spirituellen Kräften, sich vorbereiten für die wildeste Kraft des zweihörnigen Tieres, der schwarzen Magie. – Und der Verführer zur schwarzen Magie, jenes furchtbarsten Verbrechens in der Erdenentwicklung, dem kein Verbrechen gleich kommen kann, er wird vom Apokalyptiker dargestellt durch das zweigehörnte Tier. So tritt in unseren Horizont ein die Spaltung der Menschheit in urferner Zukunft: die Auserwählten des Christus, 300

die zuletzt sein werden die weißen Magier, und die Gegner, die wilden Zauberer, die schwarzen Magier, die nicht loskönnen von der Materie und die der Apokalyptiker darstellt als diejenigen, die mit der Materie Unzucht treiben. [8, S. 209] Dieser Abgrund hat sich bereits heute zu öffnen begonnen und zwar durch unsere überhandnehmende Verstandeskultur. Darauf weist ja der Apokalyptiker bereits mit seinen Worten: „Wer Verstand besitzt, der überlege die Zahl des Tieres! – Es ist die Zahl derjenigen Menschen, die sich durch ihren Verstand verführen lassen.

Nichts anderes wird es zuletzt sein, was die Menschen davon abhalten kann, gründlich davon abhalten kann, zum Christusprinzip zu kommen, als dieser verführte Verstand, diese verführte Intelligenz. Und wenn diejenigen, die zuletzt dem zweihörnigen Tier verfallen werden, zurückblicken könnten auf das, was ihnen eigentlich den bösesten Streich gespielt hat, dann würden sie sagen: ‚Zwar ist die Anlage zum Abgrund erst später gekommen, aber was mir verfinstert hat das Christusprinzip, das ist der Verstand.’ Oh, derjenige der diesen Verstand hat, der überlege die Zahl des Tieres! Denn gerade dadurch, dass der Mensch Mensch geworden ist, das heißt mit diesem Verstand begabt worden ist, dadurch kann er verfallen dem Tier: 666. Denn die Zahl des Tieres ist zugleich eines Menschen Zahl. Und dass es eines Menschen Zahl ist, kann keiner einsehen als derjenige, der Verstand hat: Desjenigen Menschen Zahl ist es, der sich durch seinen Verstand hat verführen lassen! [8, S. 230] Nicht umsonst findet man an den Portalen mittelalterlicher Kirchen, wie am Dom von San Martina in Lucca, das Labyrinth eingraviert: als Warnung, sich nicht im Labyrinth des Intellektes zu verlieren! Wir müssen nun noch einen Schritt weiter ins Konkrete unserer gegenwärtigen Zivilisation vorstoßen, um das Wesen dieses rätselvollen Tieres zu begreifen. Wenn man die Ausführungen Rudolf Steiners in dem Zyklus über die Apokalypse liest, so gewinnt man den Eindruck, als ob es sich bei dem zweigehörnten Tier um eine „urferne Zukunft“ handelt, da die Menschheit gegenwärtig noch nicht den erforderlichen Grad von Bosheit erreicht hat, damit es sich für den Sonnendämon „lohnt“, schon einzugreifen. Denn der Sonnendämon

stammt aus anderen Weltperioden, hat anderer Weltperioden Neigungen angenommen und wird sich tief befriedigt fühlen, wenn es auf Wesen stößt, wie diese bösen Wesen sein werden, die sich geweigert haben, innerlich anzunehmen, was als Gutes aus der Erde fließen kann. Dieses Wesen hat nichts von der Erde haben können; es hat kommen sehen die Entwicklung, aber es hat sich gesagt: Ich bin nicht mit der Erde so fortgeschritten, dass ich von dem irdischen Dasein irgendetwas haben kann. – Dieses Wesen hätte nur dadurch etwas haben können von der Erde, wenn es in einem bestimmten Augenblick die Herrschaft hätte erlangen können, nämlich da, wo der Christus heruntergestiegen ist auf die Erde. Wenn dieses Christusprinzip damals im Keim erstickt worden wäre, wenn der Christus von dem Widersacher überwunden worden wäre, dann allerdings wäre es möglich gewesen, dass die Erde in ihrer Ganzheit diesem Soratprinzip verfallen wäre. Das ist nicht der Fall gewesen, und so muss sich dieses Wesen begnügen mit den Abfällen, die sich nicht hingeneigt haben zum Christusprinzip, mit jenen Menschen, die in der Materie stecken geblieben sind; die werden in der Zukunft seine Heerscharen sein. [8, S. 219 f.] 301

Nun gibt es noch eine andere Möglichkeit, die Zahl des Tieres zu lesen, und zwar nach unserem gebräuchlichen Dezimalsystem, wie wir sonst die geschichtlichen Zahlen lesen. Dann ergeben sich die Impulse in der Geschichte, die man als die antichristlichen Impulse bezeichnen kann, die zum Beispiel 666 nach Christus einen gewissen Höhepunkt erreichten im vordringenden, die Welt im Gewande des Mohammedanismus bis Europa überflutenden Arabismus (Gundhishapur-Impuls252). Wer sich eingehender mit dem Islam und Koran beschäftigt, der wird den antichristlichen Impuls darin entdecken, wie sehr er sich auch maskiert. Nach dem Koran ist ja Christus nie gekreuzigt worden, sondern Allah rettete ihn, und ein anderer wurde an seiner Stelle gekreuzigt, sodass das Zentralmysterium – das Mysterium von Golgatha – nie stattgefunden habe. Durch die Eroberungszüge der Mohammedaner und deren Auswirkungen wurde dem Abendland eine verfrühte Bewusstseinsseele eingepflanzt, wodurch die Bewusstseinsseele einen Bruch erhielt, eine Spaltung, von der sie sich nie erholt hat. Vergessen wir nicht, dass unsere gesamte Wissenschaft durch die Araber ver-irdischt wurde, sodass wir im Grunde genommen auf keinem Gebiet von einer durchchristeten Wissenschaft sprechen können. Die okkulten Wirkungen, die vom Islam seit dem 7. Jahrhundert ausgegangen sind und sich dann in den Auseinandersetzungen der Scholastik geltend machten, die ein Bollwerk gegen das weitere Vordringen der antichristlichen Geistigkeit aufzurichten sich bemühte (Thomas von Aquino), sind weit größere, als man im allgemeinen weiß. Sonst könnten solche Bücher nicht heute erscheinen wie das unter dem verführerischen, aber verkehrten Titel: Allahs Sonne über dem Abendland von Sigrid Hunke (denn wir stehen nicht unter Allahs Sonne, sondern unter seinem Mond, da er eine Mondengottheit ist!). Dieser Impuls geht auf das Herzstück, auf das Zentrale des Christentums: Konsequent gedacht und durchgeführt will er das Kernstück auslöschen, wie es im Wandlungsgeheimnis des christlichen Kultus eine immerwährende Kommunion mit dem lebendigen Christus vermittelt. Denkt man etwas weiter, so führt dieser antichristliche Impuls auch dahin, die durch wiederholte Erdenleben hindurchschreitende ewige Individualität auszulöschen, da der einseitige und fanatisch vertretene Monotheismus des Islam keine Wandlung anerkennen kann, wie sie die Menschenseele durch die wiederholten Erdenleben durchmacht. Er bindet den Menschen an das Fatum, an das Kismet, wie es heute in der Naturwissenschaft lebt und sich vor allem in den Vererbungsgesetzen ausgewirkt hat. Wir können in diesem antichristlichen Impuls das erste Auftauchen des Sorat-Dämons erkennen, der sein Haupt, wenn auch noch verborgen und verhüllt, unter dieser geschichtlichen Erscheinung des Arabismus hervorstreckt. Dieser Impuls. verstärkte sich bei der doppelten Wiederkehr der Zahl 666 im geschichtlichen Werden. Wir kommen dann zum Jahre 1332, wo sich das Haupt des Sonnendämons im verstärkten Maße gegen den eigentlichen esoterischen Impuls des Christentums emporstreckt und diesen auszulöschen sucht. Dies geschieht in dem Prozess, den Philipp der Schöne gegen die Tempelherren und 252

Geradeso viel Jahre, als das Mysterium von Golgatha der Mitte dieses Zeitraumes vorangegangen ist, 333 Jahre, geradeso viel Jahre nach diesem Zeitraum war beabsichtigt von gewissen geistigen Mächten, die Erdenentwickelung in ganz andere Bahnen zu leiten, als sie dann, weil das Mysterium von Golgatha da war, geleitet worden ist. 333 Jahre nach dem Jahre 333 ist 666; das ist jene Jahreszahl, von der der Schreiber der Apokalypse mit einem großen Temperamente spricht. Lesen Sie die betreffenden Stellen, wo der Schreiber der Apokalypse von dem spricht, was sich auf 666 bezieht! Da sollte nach den Intentionen gewisser geistiger Mächte mit der Menschheit etwas geschehen, und es wäre geschehen, wenn das Mysterium von Golgatha nicht eingetreten wäre. (GA 182, S. 172)

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ihren Orden führt, der mit Hilfe der römischen Kirche zu der Verbrennung von Jacob von Molay, dem Leiter des Ordens, und 53 Tempelherren in Paris führte (1312). In diesem Prozess machten sich die antichristlichen Widersachermächte am stärksten geltend, derer sich die Kirche hierbei gerne bediente, um den verhassten Sonne-Impuls auszumerzen, der von den Templern noch vertreten wurde. Seitdem hat das Christentum den letzten Glanz der kosmischen Größe verloren. Überblickt man die entscheidenden Ereignisse des 20. Jahrhunderts, wie sie besonders seit seinem ersten Drittel ihre Wellen aus verborgenen Tiefen emporschlagen, so fällt der Blick auf das Jahr 1933. In diesem Jahr steigt das Tier für diejenigen, die Augen haben, um in den politischen Ereignissen die okkulten Hintergründe zu erkennen, sichtbar aus dem Abgrund auf, um die Mitte Europas in den Abgrund zu führen und zu vernichten... Damit wurde konsequent der Weg betreten, der uns seither immer tiefer in die Abgründe geführt hat, sodass wir dem am Ende dieses Jahrhunderts zu erwartenden Sonnendämon ein reiches Feld der Ernte voraussehen können. Er wird sein Haupt und Antlitz immer ungeschminkter und deutlicher offenbaren, tritt es uns doch schon in der geistfeindlichen Haltung und in der Brutalität vieler Menschen entgegen, die unbewusst in seinen Sog geraten sind. Bevor wir auf einzelne Phänomene eingehen, die sich immer krasser – besonders seit den sechziger Jahren – zeigen, sei erst die große Linie gezeichnet, die uns das urbildliche apokalyptische Geschehen entziffert, das sich mit dem Sonnen-Dämon unter dem Bild des zweigehörnten Tieres enthüllt. Denn dieser ist es, der mit der Wiederkehr des ätherischen Christus als sein Gegner gleichzeitig erscheint, wie es in den apokalyptischen Prophezeiungen der synoptischen Evangelien auch dargestellt wird. Hier scheint es uns wichtig, auf einen verhängnisvollen Irrtum aufmerksam zu machen, der sich in vielen Kreisen, auch der Anhänger der Geisteswissenschaft, eingeschlichen hat. Dieser Irrtum könnte sehr verhängnisvolle Folgen haben. Deshalb sei hier auf die Verwechslung des Antichristen mit der Inkarnation Ahrimans nachdrücklich hingewiesen.

Geradeso wie es eine Inkarnation Luzifers im Beginn des 3. vorchristlichen Jahrtausends gegeben hat, wie es die Christus-Inkarnation gegeben hat zur Zeit des Mysteriums von Golgatha, so wird es einige Zeit nach unserem jetzigen Erdendasein, etwa auch im 3. nachchristlichen Jahrtausend, eine westliche Inkarnation des Wesens Ahriman geben. Sodass man diesen Verlauf der geschichtlichen Entwicklung der Menschheit zwischen nahezu sechs Jahrtausenden nur richtig versteht, wenn man ihn so auffasst, dass an dem einen Pol eine luziferische Inkarnation steht, in der Mitte die Christus-Inkarnation, an dem anderen Pol die Ahrimaninkarnation. [55, S. 165] Bei diesem Antichristen handelt es sich um eine Besessenheit – ähnlich wie es Solowjew in seiner Erzählung Der Antichrist beschreibt. Ein genialer junger Mann wird von einer hohen luziferischen Wesenheit ergriffen, macht große Entdeckungen und findet durch sein begabtes, menschenoffenes und liebenswürdiges Wesen überall begeisterte Aufnahme, sodass er große Erfolge hat. Die ganze Welt liegt ihm zu Füßen, er verkündet den Frieden und richtet ein Weltreich unter seiner Führung auf, bis er alle Kirchen der Welt zu einem Weltkongress zusammenruft und sich durch die Hilfe eines Magiers aus dem Osten, der große Künste vor der Menge zum Besten gibt, zum Herrscher und Förderer aller Religionen aufruft, zu einer Art Gott... Da reißt ihm der Presbyter Johannes, der Leiter der östlichen Kirche, die Maske vom Antlitz und ruft entsetzt in die schon ihm verfallene Menge der Kongressteilnehmer: Kinder – der Antichrist! 303

Der Führer derjenigen Geister, die in dieser Weise sechs Prinzipien entwickelt haben, die also auf dem Monde bis dicht an die Vollendung herangekommen sind, ist der Antichrist, der dem Christus schon zum Verwechseln ähnlich sehen kann. [19, S. 334] Wir haben hier also eine luziferische Wesenheit vor uns. Wir nannten diese Verwechselung mit der Inkarnation des Ahriman auch deshalb verhängnisvoll, weil Teile der gegenwärtigen Menschheit heute auf den physischen Christus mit großer Spannung warten und, was die beste Vorbereitung für das Erscheinen des Antichrists ist, wenn dieser von allen, auch den geisteswissenschaftlich Unterrichteten, unerkannt, als ein von Luzifer besessener großer Führer erscheinen wird und sich dann als der Christus ausgeben wird! – Will man das Rätsel der vom Apokalyptiker geschilderten beiden Tiere geisteswissenschaftlich im rechten Lichte sehen, so muss man es als das dreifache Böse der Trinität des Göttlichen gegenüberstellen. Fällt uns zunächst die Dualität der beiden Tiere auf, die in gewisser Hinsicht eine Polarität darzustellen scheinen, ähnlich wie die beiden Säulen, welche im 10. Kapitel die Pforte der Einweihung bilden, so sehen wir, dass sie doch in einem inneren Zusammenspiel stehen, wobei das zweite, im Hintergrund stehende Tier als die stärkere Macht erscheint, da das luziferische Tier aus dem Meere von ihm seine Kräfte empfängt, um die Menschen in seinen Sog hineinzuziehen, obwohl es eine tödliche Wunde trägt. Mit dieser Wunde ist auf jenes Geheimnis gedeutet, auf das wir schon hingewiesen haben beim zweiten Sündenfall, der heute – auch in kirchlichen Kreisen – als das ahrimanische Antlitz des Bösen nicht mit einbezogen wird (vgl. [54]). Luzifer wurde tödlich verwundet durch das Opfer des Christus, sein Blut hat die Last der Sünde, die die Menschheit niederzieht, für die allgemeine Fortentwicklung der Erde und Menschheit getilgt, sodass die Erde jene Auftriebskraft empfangen konnte, um sich zum Jupiter zu entwickeln (vgl. Kapitel 4). Nicht so Ahriman. Das geht schon aus der Szene am Kreuz mit den beiden „Schächern“ hervor. Während der luziferische Verbrecher reumütig seine Sünden bekennt und Christus ihm auf seine Bitte antwortet: „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein!“ (Lk. 23,43), höhnt der andere Missetäter den mit ihm Gekreuzigten und verschließt sich dadurch seiner Heilswirkung. Wir blicken hier in ein Mysterium der Weltentwicklung hinein. Ahriman, der von den führenden Göttern der Erdenentwicklung von anderen kosmischen Welten in die Erdenentwicklung hineingenommen werden musste, um der Menschheit die Todeskräfte zur Bewusstseinsentwicklung als Grundlage der Freiheit zu bringen, wird sein Amt als Geist des Widerstandes bis ans Ende der Erdenentwicklung auszuüben haben, ja noch bis zur Jupiterentwicklung. Denn die Menschheit braucht diese Kräfte, um sich nicht zu früh zu vergeistigen – sie braucht sie ebenso wie der Hammer den Amboss zum Widerstand braucht, damit er das Eisen schmieden kann! Luzifer hingegen kann auf der Erde erlöst werden, und zwar vornehmlich durch den Menschen. Er trägt die „Wunde“, die ihn zu Fall bringt. Bedenkt man, dass Luzifer der „gefallene Engel“ ist, der auf der alten Sonne ein „Bruder Christi“ war, so erkennt man, dass er im Gegensatz zu Ahriman unserer planetarischen Erdenmenschheits-Entwicklung angehört. Die „tödliche Wunde“ wird die Sehnsucht nach Erlösung in ihm umso stärker werden lassen, je mehr er an ihr leidet. Fühlen wir doch selber unsere Schwäche und Ohnmacht, gerade wenn wir uns den luziferischen Eigenschaften und Trieben, der Eitelkeit. Selbstsucht, dem Größenwahn und der Selbst Überschätzung hingegeben haben und dadurch im Grunde unser ich aufblähen und eingebüßt haben, auch wenn wir äußerlich uns stolz über unser Selbst erhoben haben! – 304

Ganz anders bei den ahrimanischen Verlockungen. Das können wir bei uns und bei unseren Mitmenschen beobachten. Kommen wir in eine ahrimanische „Strähne“ hinein, wo wir uns dem Streben nach Besitz, Reichtum, Geld, dem Erfolg im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben hingeben, so werden wir erleben, wie uns Kräfte zuwachsen, je mehr wir in diesem Streben Erfolge zu verzeichnen haben. Wir werden dadurch umso mehr geblendet und bestärkt, auf dem eingeschlagenen Wege fortzufahren! Man kann das bei Erfolgsmenschen konstatieren. Zwar kommen dann Zeiten, wo sie periodisch zusammensinken, doch erholen sie sich bald wieder, um in ihrer robusten Gesundheit und Kraft zu glänzen und die Zügel wieder fest in die Hand zu nehmen. Sie scheinen unabtastbar zu sein. Das ist eben das heimtückische an der ahrimanischen Verführung, dass dieser Geist, der „durch Geistverleugnung geistig wirkt“, sich stets so zu verbergen versteht, dass er unter tausend Masken nicht zu erkennen ist, da auf jeder Maske ein Propagandaschild steht für ein selbstloses Menschheits-Ideal wie Fortschritt, Förderung des Wohlstandes, soziales Streben, gemeinnützige Ziele, und wie die Aushängeschilder alle heißen. Wer erst einmal in den ahrimanischen Sog gekommen ist, kann sich so leicht nicht wieder von ihm losmachen. Denn der Erfolg bestärkt ihn in seinem Streben, und Ahriman klopft ihm auf die Schulter und lobt sein Streben! 253 Viele erwachen erst nach dem Tode, wenn es für manche schon zu spät ist. Doch „zu spät“ ist es im Grunde nie. Die karmische Korrektur für unsere luziferischen Verfehlungen sind das Leiden, die Schmerzen, die wir besonders auch durch Krankheiten durchzumachen haben. Im Leiden wird unsere Schwäche korrigiert. Unterbewusst geht ja vieles in uns vor bei den Schmerzen und ihrer Überwindung, die wir während einer Krankheit durchmachen müssen. Da wird viel abgetragen; wir verwandeln uns dadurch. Das kann jeder spüren, wenn er nach einer langwierigen Krankheit genesen ist. – Anders bei unseren ahrimanischen Verfehlungen. Sie können zwar auch ausgeglichen werden, aber die Korrekturen greifen tiefer ein. Was wir gleichsam durch unsere ahrimanischen Tendenzen gesündigt haben, wodurch wir über unsere uns zukommende Sphäre hinausgegangen sind in unserer Raffgier, Besitzbemächtigung, Verhärtung im Geiz und der Selbstsucht – das alles schlägt jetzt auf uns zurück und wird uns genommen. Ein gutes Beispiel für diese Korrektur der ahrimanischen Verschuldungen (denn es handelt sich dabei stets um Schulden, die wir machen, im Sinne der 5. Vaterunser-Bitte, während das Luziferische uns in die persönliche Versuchung führt) bietet das mohammedanische Gesetz (Sharia). Dem Dieb wird die linke Hand abgehackt für sein Vergehen. So büßt der Mensch innerlich, in seiner ätherischen Konstitution, ein Glied oder Organ seines Leibes ein – als Ausgleich und Korrektur für seine ahrimanischen Vergehen, wodurch er sich zu stark mit dem Materiellen verbindet. Nur für ein Vergehen gibt es keine Wiedergutmachung: Das sind die Sünden, durch die wir den asurischen Geistern verfallen. Diese, schon auf der Saturnentwicklung als „Geister der Persönlichkeit“ zurückgebliebenen Wesenheiten, die heute auf der Stufe der Archai stehen, leben in der astralischen Sphäre, die durch sinnliche Orgien in Verbindung mit der Geistlosigkeit des Materialismus erzeugt wird. Diese Astral-Sphäre, wie sie heute besonders in Großstädten vorhanden ist, bietet diesen Dämonen den besten Nährboden. Es entsteht gleichsam eine Kulmination von den luziferischen und ahrimanischen Dämonen. Und diese können sich bis in das geistige Wesen der Menschen – sein Ich – einnisten. Was 253

Vgl. die Bücher von Joseph Murphy: „Alles kann man kriegen, was man will“. Oder die Seminare von Eugen Simon: „Wer Erfolg mit dem hat, was er erreichen möchte, macht alles richtig“.

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dadurch vom Ich des Menschen ergriffen und in Besitz genommen wird, verfällt unwiederbringlich dem Abgrund und kann nicht wieder hergestellt und durch Karma ausgeglichen werden! 254 Versuchen wir noch etwas tiefer einzudringen in das, was wir den Antichrist nennen. Geisteswissenschaftlich ist das Wesen des Bösen, wie besonders des Antichrists, deswegen so schwer zu erfassen, weil das Böse nicht nur als der „Teufel“ abgelehnt werden kann, sondern weil es ein „zurückgebliebenes“ Gutes ist, das nur an einem falschen Platze wirkt. Das geht besonders aus der Beschreibung jener in der Entwicklung zurückgebliebenen Geister hervor, deren Anführer als der bedeutsamste Geist der „Antichrist“ ist. Wir müssen uns schon auf diese Schilderung einlassen, um sein Wesen tiefer erfassen zu können. Rudolf Steiner beschreibt, wie gewisse luziferische Wesenheiten auf dem alten Monde zurückgeblieben sind und das Ziel ihrer Entwicklung nicht erreicht haben (GA 130, Vortrag vom 9.1.1912). Während die Hauptentwicklung des Menschen auf der Erde die Ausbildung des Ich ist, des sogenannten vierten Gliedes der menschlichen Wesenheit, das durch das makrokosmische Christus-Ich repräsentiert wird, sollten die luziferischen Geister, die das Ziel auf dem Monde nicht erreicht hatten, das in der Ausbildung der höheren Geistesglieder (Manas, Buddhi, Atma) besteht, dies Ziel auf der Erde nachholen. Es ist die gleiche Situation, die für den Menschen eintritt, wenn er versäumt, in der 6. nachatlantischen Kultur das Geistselbst (Manas) zu entwickeln und seinem Ich in der Bewusstseinsseele einzugliedern. So gibt es zwar über den Menschen stehende luziferische Geister, die aber das 5., 6, und 7. Grundprinzip auf dem alten Monde nicht entwickelt haben und dies auf Erden nachholen müssen. Da die Erde aber im Wesentlichen nur Leiber zur Entwicklung des Ich-Prinzips hergibt, so gleichen sie Parasiten, die ihren Wohnsitz in den Menschen suchen müssen, um ihr Ziel zu erreichen.

Das hatte zur Folge, dass unter den gewöhnlichen Menschen der alten Zeit solche auftauchten, welche von höheren Wesenheiten luziferischer Art – die natürlich höher standen als der Mensch, da sie ihr sechstes, siebentes Grundteil doch ausbilden sollten und der Mensch erst sein viertes – besessen sein konnten. Solche höhere Wesenheiten luziferischer Art gingen also in Erdenmenschenleibern auf der Erde herum. Sie waren die Führer der Erdenmenschen, sie wussten, verstanden und konnten viel mehr als die anderen Menschen. Uns wird von diesen Wesenheiten in den alten Erzählungen und Legenden berichtet, dass wir von ihnen hören, sie waren da und dort große Städtegründer, große Völkerführer und dergleichen. Das waren nicht bloß normale Menschen auf der Erde, sondern das waren Menschen, die von solch höheren Wesenheiten luziferischer Art besessen waren, im besten Sinne des Wortes besessen waren. Dann erst verstehen wir die menschliche Erdenentwicklung, wenn wir solches ins Auge fassen können. Immer aber suchen namentlich die niedriger stehenden dieser Wesenheiten, die ja selbst keinen Menschenleib erringen können, ihre Entwicklung in anderen Menschenleibern fortzusetzen. Luziferische Wesenheiten hatten immer die Sehnsucht, in anderen Menschen drinnen, indem sie sie von sich besessen machten – das tun sie heute noch – ihre Entwickelung in der geschilderten Art fortzusetzen... Und das ist eben die Versuchung der Menschen, dass in ihnen arbeiten die luziferischen Geister... Diese luziferischen Geister sind aber mittlerweile, geradeso wie die Menschen vorwärts gekommen sind, auch vorwärts gekommen, sodass gar mancher von diesen 254

Nach GA 107, S. 247 ff.

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Geistern, der – sagen wir – damals, als der Mensch eintrat in die atlantische Zeit, dastand an der Schwelle, um sein sechstes Grundteil zu entwickeln, jetzt so weit schon ist, sein siebentes Grundteil zu entwickeln. Das macht er auf die Weise, dass er nun wiederum einen Menschen von sich besessen macht, um vielleicht nur mehrere Jahre von diesem Menschen das zu benutzen, was dieser Mensch erleben kann, um seinerseits wieder zur Entwickelung zu kommen. Das ist nichts Übles in der Menschennatur. – Was wird man dadurch, dass man von einem hohen luziferischen Geist besessen ist? Ein Genie, das zwar – weil es als Mensch besessen ist und die eigentliche Menschennatur überstrahlt wird von dieser höheren Wesenheit – unpraktisch ist für die gewöhnlichen Verrichtungen, aber auf irgendeinem Gebiet bahnbrechend, tonangebend wirkt... Es wird eine Zeit kommen, wo man die Sache so auffassen wird, dass man den mächtigsten, den bedeutendsten dieser luziferischen Geister, der sozusagen die Menschen über sich selbst hinausführen wird wollen, auf den Schild erheben und für einen großen Menschenführer ansehen wird. Sprechen wird man: „Ach, dasjenige, was der Christus hat geben können, war im Grunde genommen nur ein Durchgangspunkt!“ Jetzt schon gibt es Menschen, die so reden: „Ach, was sind eigentlich die Lehren der Evangelien! Wir sind schon über sie hinausgewachsen!“ Wie gesagt, einen umfassenden, genialen Geist, einen hervorragenden Geist wird man aufzeigen, der Besitz ergreifen wird von einer menschlichen fleischlichen Natur, die er durchsetzt mit seiner Genialität. Man wird sagen: „Der übertrifft ja den Christus“, denn der Christus war im Grunde genommen nichts als der, welcher Gelegenheit hat, das vierte Prinzip auszubilden, jener aber gibt Gelegenheit, es während der Erdenentwickelung bis zum siebenten Prinzip zu bringen! – So werden der Christus-Geist und der Geist dieser Wesenheit einander gegenüberstehen: Der Christus-Geist, von dem die Menschen werden hoffen können, den mächtigen makrokosmischen Impuls ihres vierten Prinzips zu erhalten, und der luziferische Geist, der in einer gewissen Beziehung sie darüber hinausführen wird wollen. Wenn die Menschen dabei bleiben und sich sagen können: „Wir müssen von den luziferischen Geistern nur dasjenige erlangen, zu dem wir so hinaufblicken, wie wir zu unserer niederen Natur hinunterblicken“, so würden die Menschen recht tun. Indem aber die Menschen dazu kommen werden zu sagen: Seht, der Christus gibt nur das vierte Prinzip, da sind aber die Geister, die das sechste und siebente geben – da werden die Menschen, die dem Christus gegenüber so denken, anbeten und auf den Schild heben den Antichrist. So wird sich die Stellung des Antichristen zum Christus in der Zukunft geltend machen. Und mit dem äußeren Verstande, mit der äußeren Genialität wird man nichts gegen solche Dinge einwenden können, denn man wird vieles aufweisen können, was im Sinne von Vernunft und Genialität gescheiter sein wird beim Antichrist als das, was als tiefstes menschliches Prinzip von dem Christus immer mehr und mehr in die Seele einfließen wird. Weil der Christus den Menschen das vierte makrokosmische Prinzip bringt, das, da es makrokosmisch ist, doch unendlich wichtiger ist als alle mikrokosmischen Prinzipien... so wird man, weil es eben nur das vierte Prinzip ist, sagen, es sei niedriger als das fünfte, sechste, siebente, welche von den luziferischen Geistern kommen, es sei insbesondere niedriger als das, was vom Antichrist kommt. [19, S. 211 ff.]

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Von der ganz in luziferischen Glanz getauchten, schillernden und an Genialität alle überragenden Persönlichkeit dieses Geistes, dem alle Menschen zufliegen und ihn als Führer ausrufen werden, hat Wladimir Solowjew ein anschauliches Bild in seiner Erzählung vom Antichrist gegeben, das weitgehend übereinstimmt mit diesen, aus der okkulten Forschung stammenden Wesenszügen des Antichrist. Halten wir fest, dass es sich bei dieser luziferischen Wesenheit des sogenannten Antichrist nicht um eine Inkarnation (wie bei der Inkarnation Ahrimans im 3. Jahrtausend) handelt, sondern um eine Art Besessenheit einer menschlichen Persönlichkeit von einer hoch stehenden luziferischen Wesenheit. Diese wird auch nicht als Gegner des Christentums auftreten und dieses bekämpfen, sondern es zu unterwandern suchen, um die wesentlichen christlichen Impulse umzubiegen und für seine rein persönlichen Ziele zu gebrauchen. Das wird gerade das Verführerische und Gefährliche an dieser Persönlichkeit sein, dass sie sich in allem den Anschein des Christus geben wird, um seine Ziele für ihre ganz anderen Zwecke zu gebrauchen. Deshalb wird diese Persönlichkeit, die von Luzifer besessen ist, dem Christus „zum Verwechseln ähnlich“ sein und sich auch in christlichen Kreisen eines hohen Ansehens erfreuen, wie es Solowjew in seinem Antichrist darstellt, dem alle Parteien und Kirchen anhängen und verfallen. Sein Magier aus dem Osten wird durch seine magischen Künste das Seine tun, um seine Anziehungskraft und Verführungskunst für die Menschheit zu verstärken – in dem angedeuteten Sinne. In seinem Leben wird eine Art Spiegelung des Christuslebens sich vollziehen. In seinem 30. Lebensjahr wird die große Wende sich abspielen wie im Leben des Jesus von Nazareth. Nur dass statt des Christus die luziferische Wesenheit des „Antichrist“ von ihm Besitz ergreift und durch ihn wirken wird. – Wir stehen hier vor großen, einschneidenden Ereignissen, die sich heute schon vorbereiten. Als Retter und Heilbringer, der die Menschheit aus ihrer Not und bis dahin immer unheilvoller um sich greifenden kritischen Zuständen befreit, wird diese Persönlichkeit begrüßt werden, welche durch ihre Verführungskünste die Menschheit „errettet“ – in Wirklichkeit aber die letzten Grundlagen der christlichen Geistigkeit auslöscht und vernichtet. Diese letzten Grundlagen einer christlichen Geistigkeit sind Freiheit und Liebe. Der Antichrist wird, wie es Solowjew beschreibt, durch seine Vorspiegelungen zu weltweiten sozialen, Ökonomischen und kulturellen Verblendungszielen die Menschen ihrer wirklichen Freiheit berauben, um sie ganz in seine Macht zu bekommen! Nur der greise Presbyter Johannes, der wiedererstandene Führer des johanneïschen Christentums, ist der einzige, der die Persönlichkeit des Antichristen in dem glänzenden Weltkongress aller christlichen Kirchen durchschaut. Kinder – der Antichrist! Möge sich diese Erkenntnis wenigstens in einer Persönlichkeit durchsetzen und seine magischen Verführungskünste durchschauen und damit die Menschheit vor dem Untergang retten!

18. Das Jüngste Gericht im Lichte der wiederholten Erdenleben Das II. Vatikanische Konzil hat in der dogmatischen Konstitution über die Kirche mit überraschender Deutlichkeit in Erinnerung gerufen, dass wir in der eschatologischen Zeit stehen:

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Das Ende der Zeiten ist bereits zu uns gekommen (vgl. 1. Kor. 10,11), und die Erneuerung der Welt ist unwiderruflich schon begründet255 und wird in dieser Weltzeit in gewisser Weise wirklich vorausgenommen. Während die Christen der Urkirche sich von der Wiederherstellung der Schöpfung lebhaft engagieren ließen und sie mit Ungestüm schon für die nächste Zeit erwarteten, stehen die Menschen unseres Zeitalters ihr apathisch, skeptisch oder gar ungläubig gegenüber. Hat die Frühzeit ihren Glauben nicht so sehr auf die letzten Dinge im allgemeinen als vielmehr auf die Wiederkunft Christi selbst konzentriert, so ist das Kommen des Herrn in der Vorstellung des Weltenendes unserem Geschlecht vielfach verblasst oder verloren gegangen. Das Wiederkommen Christi heute, in der Weltzeit der pilgernden Kirche und in der Majestät des Gerichtes ist aber das Zentralgeheimnis der Eschatologie. Dieses Zentralgeheimnis, mit dem die Endzeit und damit das sogenannte „Jüngste Gericht“ eingeleitet wird, ist ein Ereignis, das sich ebenso wie die Inkarnation des Christus im Leibe des Jesus von Nazareth zu Beginn unserer Zeitrechnung in einer recht verborgenen Weise abspielt, da es nur denjenigen Menschen bewusst wird, welche die Wende unserer Zeit mit geistig wachem Bewusstsein erleben und dadurch die Fähigkeit erlangen, „Teilnehmer“ der geistigen Welt zu werden. Dies zentrale Ereignis, das in unserer Zeit sich abspielt, ist das karmische Richteramt des Christus.

Der Christus wird der Herr des Karma für die Menschen. Das heißt: Die Ordnung der karmischen Angelegenheiten wird in der Zukunft geschehen durch den Christus; immer mehr und mehr werden die Menschen der Zukunft empfinden: ‚Ich gehe durch die Pforte des Todes mit meinem karmischen Konto; auf der einen Seite stehen meine guten, gescheiten und schönen Taten, meine gescheiten, schönen, guten und verständigen Gedanken – auf der anderen Seite steht alles Böse, Schlechte, Dumme, Törichte und Hässliche.’ Der aber, der in der Zukunft für die Inkarnationen, die nun folgen werden in der menschheitlichen Entwickelung, das Richteramt haben wird, um Ordnung in dieses karmische Konto der Menschen hineinzubringen, das ist der Christus! [15, S. 215] Dies Ereignis, dass der Christus der Herr und Richter unseres Karmas wird, vollzieht sich zunächst in der geistigen Welt nach dem Tode. Und damit tritt der Mensch ein in die Sphäre des Jüngsten Gerichts. Denn das Herankommen des Christus in die ätherische Erdensphäre, das sich seit dem Jahre 1909 vollzogen hat, ist das Signal für den Beginn der letzten Erdenepoche, die einmündet in das Jüngste Gericht. Die verheißungsvollen Worte der Apokalypse wenden sich somit vor allem an unsere Zeit, obgleich das geistige Bewusstsein unserer Zeitgenossen stumpf, flach und apathisch für alle geistigen Zeichen der Zeit geworden ist: „Siehe, ich komme bald. Selig, wer die Worte der Weissagung in diesem Buche zu Herzen nimmt!“ (Off. 22,7) Die Rosenkreuzer des Mittelalters sprachen von Moses mit dem scharfen Gesetz, der ihnen nach dem Tode erschien und ihnen die Tafeln des Gesetzes, den Dekalog 256, vorhielt, als einen Spiegel für unser karmisches Konto. Von jetzt an wird Christus als Äthergestalt dem Menschen als Herr und Richter des Karma erscheinen. Was sich in dieser Weise heute vorbereitet und was der Mensch nach dem Tod erlebt, je mehr er ein Anziehungsband dazu 255 256

Lumen gentium, Art. 48. das sind die „Zehn Gebote“

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geschaffen hat, wird immer mehr auch hereinleuchten in das Erdenbewusstsein derjenigen Menschen, welche für diese übersinnlichen Impulse, die hinter den Kulissen des äußeren Weltgeschehens sich abspielen, hellfühlend werden. Das ist nur möglich, wenn die Menschen am Zeitschicksal teilnehmen und nicht nur in ihren privaten Angelegenheiten versponnen sind. Dadurch erwachen ihnen Fähigkeiten, wodurch sie zu Teilnehmern der geistigen Welt und ihren Menschheitsaufgaben und Zielen werden. „Hellsehen“ wird noch immer etwas anderes sein als diese Teilnehmerschaft. Aber wie es ein altes Hellsehen gegeben hat, das traumhaft war, so wird es ein zukünftiges Hellsehen geben, das nicht traumhaft ist, und wo die Menschen wissen werden, was sie getan haben – und was es bedeutet. Rudolf Steiner unterscheidet hier ein durch Schulung erworbenes Hellsehen von einem ätherischen Hellsehen, das als eine neue Fähigkeit der Menschheit in den nächsten Jahrhunderten erwachsen wird und den Menschen zum Teilnehmer an den übersinnlichen Weltenvorgängen macht:

Aber noch etwas anderes wird eintreten. Die Menschen werden wissen: ‚Ich bin nicht allein; überall leben geistige Wesenheiten, die in Beziehung stehen zu mir.’ Und der Mensch wird lernen, einen Verkehr zu haben mit diesen Wesenheiten, mit ihnen zu leben. Und in den nächsten drei Jahrtausenden wird einer genügend großen Anzahl von Menschen das als eine Wahrheit erscheinen, was wir nennen können „das karmische Richteramt des Christus“. Den Christus selbst werden die Menschen als eine ätherische Gestalt erleben. Und sie werden ihn so erleben, dass sie dann – wie Paulus vor Damaskus – ganz genau wissen, dass der Christus lebt und der Quell ist für die Wiedererweckung desjenigen physischen Urbildes, das wir mitbekommen haben im Beginne unserer Erdenentwicklung und das wir brauchen, wenn das Ich seine völlige Entfaltung erlangen soll. [15, S. 217] Mit diesen Worten ist auf den Kern der Tat von Golgatha hingewiesen: die Erweckung und Zurückgewinnung der durch den Sündenfall korrumpierten menschlichen Leibesgestalt. Wir werden auf dies Mysterium bei der „leiblichen Auferstehung“ noch eingehen. Nur in einem Leib, in dem die Kräfte für eine Regenerierung und Wiederherstellung des menschlichen Urbildes aufgenommen werden, kann das Ich sich zu seiner vollen Entfaltung entwickeln; sonst verkümmert und degeneriert es. – Auf solche intimen inneren Vorgänge müssen wir unser Augenmerk richten, um die Seelenprozesse in ihrer Bedeutung bis in die physische Leiblichkeit des Menschen zu erkennen. Und dazu gehören eben jene intimen Prozesse, in die wir durch unser Karma, durch das Schuldkonto unseres Schicksals verflochten sind. Wie sich gegenseitig bedingen und miteinander verwoben sind unsere ewige Individualität mit unserem Schicksal und wie dieser Zusammenhang sich im Schicksal der Menschheit manifestiert, das führt uns in die Kernfragen der Verbindung des Christus mit der Menschheitsschuld. Ist überhaupt der Gedanke der Sündenvergebung durch den Christus zu verbinden mit der Idee von Karma und Reinkarnation, die sich beide auszuschließen scheinen? Nimmt Christus nicht die „Schulden der Menschheit“ auf sich? Dass die menschliche Haltung und die individuelle Einstellung gegenüber unserer Schuld einen Unterschied in der „Sündenvergebung“ durch Christus bewirken, geht aus den beiden Verbrechern hervor, die mit Christus gekreuzigt wurden. Dem einen, der sich zu seiner Schuld bekennt und aus dieser Erkenntnis den Christus bittet: „Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ 310

erwidert der Christus: „Wahrlich ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein!“ (Lk. 23,43), während dem anderen, der ihn lästert und verspottet: „Bist du Christus, so hilf dir selbst und uns!“, nicht vergeben wird. Daraus erhellt sich, dass unsere Sünden nicht automatisch uns vergeben werden, so als ob der Christus auf die Welt gekommen wäre, um die Schulden aller Menschen zu tilgen – sodass uns die Frage bewegen kann: „Ist es denn wirklich christlich zu denken, dass ich alles tun darf und der Christus eigentlich nur in die Welt gekommen ist, um mir das alles abzunehmen, um mir meine Sünden zu vergeben, sodass ich mit meinem Karma, mit meiner Sünde nichts mehr zu tun habe?“... Bequem wäre es ja allerdings, wenn man bloß zu bereuen hätte und ausgelöscht wäre dadurch für sein ganzes späteres Karma alles das, was man in der Welt verbrochen hat! – Wollen wir die Stellung zum Christus in dieser Frage der Schuld richtig beurteilen, so sollten wir ausgehen von dem sogenannten „Sündenfall“, wie ihn die Genesis im 1. Buche Moses beschreibt. Denn hier liegt nicht nur der Anfang der menschlichen Entwicklung durch die wiederholten Erdenleben, sondern der Ausgangspunkt für alle menschliche Schuld, die der Mensch auf sich genommen hat. Dabei bleibt es ein Rätsel, wie der Mensch, der ja erst durch die luziferische Versuchung ein freies Urteilsvermögen empfangen hat, nachdem er vom Baum der Erkenntnis genossen hat, vor dem Sündenfall überhaupt schon zu einer freien Entscheidung imstande war, da er ja seelisch in der göttlichen Seele des Alloder Urbewusstseins ruhte, aus dem er sich erst durch die luziferische Versuchung löste! In der Tat scheint hier in der mosaischen Schilderung ein Widerspruch zu liegen. Denn erst nach dem Eingriff der luziferischen Versuchungsmächte heißt es, dass Adam die Gabe der freien Entscheidung erhalten hat, die ihm vordem noch fehlte. Durch den Genuss vom Erkenntnisbaum wird er ein freier urteilsfähiger Mensch und somit Gott gleich: „Adam ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist!“ (1. Mose 3,22) Was die Versuchermächte dem Adam als begehrenswerte Frucht der Versuchung angepriesen haben – „welches Tages ihr davon esset, so werden eure Augen aufgetan und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist!“ (1. Mose 3,5) –, das bestätigt hier Gott! Adam ist durch den Sündenfall gottgleich geworden. Die Tragik dieser Versuchungsgeschichte liegt doch im Grunde darin, dass Adam zum eigenen Urteil und damit zur freien Erkenntnis erst durch die Schuld erwacht. Dieser Akt der erwachenden Erkenntnis stürzt den Menschen in die Schuld – als Schuldlos-Schuldigen! Dadurch wird der Mensch abhängig von den luziferischen Mächten – er wird ein Kind Luzifers. Und er bleibt von ihnen durch die ganze fernere Entwicklung abhängig und ihrem Bannkreis verfallen. Der Widerspruch dieses Aktes, durch den der Mensch schuldlos-schuldig wird, wird erst gelöst und kompensiert durch die Erlösertat des Christus. So wie Adam in einem Bewusstseinszustand lebte, dass er ohne seine persönliche Schuld schuldig wurde – und mit ihm alle seine Nachkommen –, so kann der Mensch, ohne eigenen Verdienst, der Gnade teilhaftig werden und durch die Opfertat Christi erlöst und von der niederziehenden Kraft des „Sündenfalls“ befreit werden! Wer sich in diese „Gleichung“ vertieft und ihre seelischen Folgen überdenkt, dem wird das menschliche Rätsel in all seinen scheinbaren Widersprüchen und Paradoxien aufgehen. Die luziferischen Mächte haben uns die Möglichkeit zur Freiheit gegeben – und damit die Früchte vom Baume der Erkenntnis, ohne die der Mensch nur ein geistiges 311

Maulwurfdasein als ein blinder Automat geführt hätte, ohne Aufblick zu der Welt der Ideale, der Schönheit, ohne Begeisterungsfähigkeit und ohne das Reich der Kunst. Dies alles verdankt der Mensch Luzifer, der ihn zum Genuss des Erkenntnisbaumes anreizte – gegen das Verbot der die Menschheit führenden Gottesmächte! Es ist ganz unglaublich, was alles in diesen kindlich erscheinenden Bildern enthalten ist, wie sie immer neue Seiten der Weisheit offenbaren, je öfter wir sie überdenken! Sie können uns zeigen, dass der Mensch vom Moment seiner Geburt, seines geistigen Erwachens zu seiner Ich-Wesenheit, in einen Zwiespalt hineingestellt ist, in den Zwiespalt, der in der Versuchungsgeschichte des in die ägyptischen Mysterien eingeweihten Moses so anschaulich vor uns steht. Dieser Zwiespalt, in den das ganze Leben des Menschen gestellt ist, ist aber nicht im Menschen verwurzelt, sondern in der Welt und ihren entgegengesetzten zwiespältigen Mächten! Der Mensch ist nur ein Ausdruck von diesem Weltenzwiespalt geworden! – In dem mosaischen Bericht stehen sich diese zwei Weltenmächte gegenüber. Jahwe als Führer der Elohim (oder Exusiai = „Geister der Form“, die 1. Kategorie der zweiten Hierarchie, welche die drei Kategorien der Exusiai, Dynamis und Kyriotetes umfassen). Die „Geister der Form“ sind die eigentlichen Führer der Erdenentwicklung, die als Schöpfermächte in der Genesis des Moses beschrieben werden. Ihnen gegenüber stehen die „Mondenpitris“,257 die auf dem der Erde vorangehenden Mondenzustand der planetarischkosmischen Erdenentwicklung ihre Evolution durchgemacht haben, aber ihr Ziel nicht ganz erreichen und deshalb auf Erden dies Versäumnis nachzuholen haben. Da die Erde aber der Schauplatz für die Ich-Entwicklung des Menschen ist und nur physische Leiber zu diesem Ziel hervorgehen lässt, so befinden sich diese Mondwesen, die nicht zur vollen, über dem Menschen stehenden Engelstufe aufgestiegen sind, in einer Lage wie die parasitären Wesen, welche zu ihrem Wohnort andere Lebewesen gebrauchen und sich in ihnen einnisten – wie zum Beispiel die Mistel, die auf anderen Bäumen und Pflanzen ihr Fortkommen findet. So nisten sich jene Mondwesen in menschlichen Seelen ein. Sie schaden ihnen nicht, sondern begaben sie oftmals mit ihren übermenschlichen genialen Kräften! Ja, im Beginne der Erdenentwicklung traten solche luziferischen Wesen oft als Menschheitsführer auf, die der Menschheit wichtige Impulse gaben, wie die griechische Sagenwelt sie als Pelops, Theseus, Prometheus, Herakles und anderen kennt. (Vgl. einige Seiten zuvor) Solche höheren Wesenheiten luziferischer Art gingen also in Erdenmenschenleibern auf der Erde herum. Sie waren die Führer der Erdenmenschen, sie wussten, verstanden und konnten viel mehr als die anderen Menschen. Uns wird von diesen Wesenheiten in den alten Erzählungen und Legenden berichtet, so berichtet, dass wir von ihnen hören, sie waren da und dort große Städtegründer, große Völkerführer und dergleichen. Das waren nicht bloß normale Menschen auf der Erde, sondern das waren Menschen, die von solchen höheren Wesenheiten luziferischer Art besessen waren, im besten Sinne des Wortes besessen waren! Dann erst verstehen wir die menschliche Erdenentwicklung, wenn wir solches ins Auge fassen können.

Ein lebendiges Verständnis der menschlichen Erdenentwicklung, wie sie sich im Zuge der wiederholten Erdenleben abspielt – von der lemurischen Zeit bis zum Ende der sieben nachatlantischen Kulturperioden – bekommen wir erst von diesem Blickpunkt. Der Mensch ist ein Kind Luzifers geworden, aber er soll ein Bruder Christi werden. Das ist das Erdenziel! Wir sahen, dass Jahwe dem luziferischen Eingriff einem Damm vorsetzte, indem der Mensch nach dem Sündenfall aus dem „Paradies“ vertrieben wurde, damit er nicht strecke die Hand aus nach dem Baume des Lebens und breche davon und esse und lebe ewiglich! (1. Mose 3,22) – er wäre sonst Luzifer und seinem Reiche für alle Zeiten verfallen und damit in eine ganz andere Entwicklungsbahn gekommen. Der Damm gegen diese 257

Gewöhnlich wird der halb-lateinische Ausdruck „Lunar Pitris“ hierfür verwendet.

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einseitige luziferische Vergeistigung wird aufgerichtet durch die Vertreibung des Menschen aus dem Paradies. Hier beginnt die Entwicklung durch die wiederholten Erdenleben. Und die Widerstände, die er auf Erden findet, die materielle Welt, in die er versetzt wird, ist der Schutz gegen eine einseitige verfrühte Vergeistigung, worin ja das Prinzip der luziferischen Versuchung besteht, namentlich: Erkenntnis ohne das moralische Schwergewicht in einem verfrühten Zustand dem Menschen zu geben. Dies moralische Schwergewicht als Kompensation gegen die luziferischen Kräfte gibt Jahwe durch die Blutsliebe und die Verankerung in die Geschlechterfolgen der Generationen. So wird das Prinzip der Geschlechterliebe und der physischen Fortpflanzung, die der Weisheit Jahwes unterstehen, zum Ausgleich gegen die einseitige luziferische Vergeistigung. Von hier aus wird auch verständlich, dass das hebräische Volk so wenig künstlerische Anlagen hat – im Gegensatz zum Griechentum! Denn Jahwe kann als Gegner Luzifers betrachtet werden, der den Schwerpunkt ganz auf die moralische Erziehung legt, wie sie im Zehn-Gebote-Gesetz zum Ausdruck kommt. Das Gleichgewicht zwischen diesen beiden Polen zu halten, wie sie im moralischen Gesetz und den luziferischen Freiheitskräften gegeben sind, kann als das Leitmotiv der menschlichen Entwicklungen durch die wiederholten Erdenleben angesehen werden. Alle Überschreitungen nach dem luziferischen Pol rächen sich in Krankheit, Siechtum und Tod. Sie sind als solche jedoch nicht Gaben Luzifers, sondern der guten, weisheitsvollen göttlichen Mächte, die damit den Einflüssen Luzifers einen Damm vorgesetzt haben. Dadurch bleiben wir an das Erdendasein gefesselt so lange, bis wir das Gleichgewicht gefunden haben und uns unserer Organisation anpassen, die als Urbild der göttlichen Mächte uns gegeben wurde.

Wir leiden, damit wir aus unserem Leid heraus die Erfahrungen schöpfen, den Ausgleich zu finden für unser von Luzifer durchzogenes Ich... [43, S. 139] Alle durch Luzifer hervorgerufenen Schwächen und Verfehlungen finden ihren Ausgleich durch Schmerzen und Leiden, die uns als karmische Folge in einem unserer Leben heimsuchen. Doch dies Gleichgewicht in unserem Leben muss nicht nur gegenüber Luzifer gefunden werden, sondern auch gegenüber den ahrimanischen Mächten. Da diese mit dem Intellekt verbunden sind und mehr den geistigen Teil des Menschen bedrohen, so ist es verständlich, dass die ahrimanischen Kräfte, besonders in der Gegenwart im Zeitalter der Bewusstseinsseele, den Menschen umgarnt und in ihre Netze eingefangen haben, während Luzifer mehr in den früheren Zeiten den Menschen verführte. Im Grunde steht Ahriman der menschlichen Entwicklung ferner als Luzifer. Davon kann man sich einen Eindruck verschaffen durch den Modellkopf des Ahriman, den Rudolf Steiner als dessen „Porträt“ für die plastische Gruppe des Menschheitsrepräsentanten in Dornach schuf.258 Dieses in zynischem Hochmut und wie in Schmerz erstarrte Antlitz mit der fliehenden Stirn, den zusammengekniffenen Lippen, die nur Spott und Hohn wiedergeben, doch zu keiner menschlichen Herzenswärme sich öffnen können, die mongolengleichen 258

Nebenstehendes Bild ist der Website www.anthrowiki.at entnommen.

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Schlitzaugen, aus denen nur kalte Berechnung und Verachtung uns anschaut – diese Physiognomie ist eine Karikatur des menschlichen Antlitzes, da jede menschliche Regung und Herzensgüte ihm fehlt. Die Physiognomie dieses Antlitzes kann es uns verständlich machen, dass Ahriman ursprünglich nicht mit der Menschheitsentwicklung zusammenhängt. Wir blicken hier in eine Götterangelegenheit, da diese jene ahrimanischen Kräfte benötigten, um dem Menschen die freie Intelligenz zu ermöglichen, das heißt das intellektuelle Bewusstsein, was nur auf der Grundlage der Sterbe- und Todesprozesse sich entwickeln kann.

Der Intellekt kann nur dadurch Platz greifen, dass – sprechen wir es auf geistigseelische Art aus – der Mensch sterben kann, dass er fortwährend die Absterbekräfte in sich trägt... Der Tod kann nur dadurch eintreten, dass der Mensch nicht nur in seinem übrigen Leibe, sondern auch innerhalb seines Gehirns Salze ablagert, das heißt, mineralisch-feste Bestandteile, tote Bestandteile ablagert. Das Gehirn enthält fortwährend die Tendenz nach Salzablagerungen, nach nicht zustande gekommenen Knochenbildungen, sodass das Gehirn fortwährend die Tendenz nach dem Tode hin enthält. Diese Einimpfung des Todes musste über die Menschheit kommen. [57, S. 110] Hier schauen wir herein in die geistige Notwendigkeit, weshalb die oberen Hierarchien Ahriman, der einer anderen kosmischen Weltenordnung angehört, in die Erdenentwicklung hereinrufen. Sie mussten sich eingestehen:

„Wir höheren Hierarchien sind imstande, aus dem Monde hervorgehen zu lassen eine Erde, in der die Menschen nichts vom Sterben wissen, in der sie aber auch nicht den Intellekt entwickeln können. Es ist uns höheren Hierarchien unmöglich, die Erde so zu gestalten, dass sie die Kräfte hergibt, damit Menschen zum Intellekt kommen. Da müssen wir uns einlassen auf ein anderes Wesen, auf ein Wesen, das von anderen Wegen herkommt, als wir hergekommen sind, auf das ahrimanische Wesen. Ahriman ist ein Wesen, das nicht zu unserer Hierarchie gehört... Wenn wir den Ahriman dulden innerhalb der Erdenentwickelung, wenn wir ihm einen Anteil gewährend, dann bringt er uns den Tod und damit den Intellekt, und wir können in die menschliche Wesenheit Tod und Intellekt aufnehmen.“ Ahriman kennt den Tod... Er ist ein Wissender, ein Weiser des Todes. Er ist daher der Herr des Intellektes. [ebd.] Man kann immer überrascht stehen vor solchen „Götterentschlüssen“. Sie eröffnen uns einen Einblick in die waltende Weisheit, die der Weltentwicklung zugrunde liegt. Sich hineinzuversetzen in das Heer der göttlichen Hierarchien, welche nach ihren Zielen die Welt- und Erdenevolution leiten – das kann uns schon in die göttlichen Weltenziele einweihen, welche wir nur mit staunender Ehrfurcht und Bewunderung aufnehmen können. Und wie, auch hier, das menschheitliche Ziel – die Freiheit und Liebe – nur durch das Zusammenwirken entgegengesetzter und polarisch sich bekämpfender Mächte aus dem Wundergewebe göttlicher und götterfeindlicher Kräfte entstehen kann, das wird uns auch hier bei diesem Ratschluss der Götter ersichtlich, welche Ahriman, den Feind und Gegner der göttlichen Erdenentwicklung, in diese hineinberufen! Damit haben wir das eigentliche Mysterium der Menschheitsentwicklung und Erdenaufgabe berührt! – Von immer neuen Seiten tritt es uns in der InitiationsWissenschaft entgegen und will immer aufs Neue erfasst und unserem Bewusstsein einverleibt werden. Denn darin kann man das Wesen dieser geisteswissenschaftlichen Erkenntnisschau erblicken: Sie stellt kein Dogma vor uns auf, das unseren Glauben 314

verlangt, sie entspricht auch nicht einem philosophischen Gedankenbeweis, der abstrakte Ideengebäude vor uns aufrichtet, sie lässt uns beobachtend hineinblicken in kosmische Weltenvorgänge, indem sie uns würdigt, Einblick zu erlangen in Götterkonzilien und Götterbeschlüsse! Wer sich ein Organ für die Wahrheit bewahrt hat, kann dies Organ im Hineinleben in diese Weltgedanken, die jeder nachzudenken imstande ist, stärken und pflegen. Denn nur im Hineinleben, im geistigen Nachschaffen und Miterleben mit diesen Götter- und Menschheitszielen vermag sich unser Bewusstsein zu den geistigen Weltgedanken zu erheben, weiten und befreien. Und hierin besteht heute die erste Stufe zur geistigen Einweihung, die uns adelt und erhebt zur Teilnahme und zum aktiven Mitschaffen am Gottesprozess. Das heißt: in der Sphäre des Geistes, zu erwachen, wozu der Christus seine Jünger berief: „Ich habe euch noch viel zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener, der Geist der wahren Erkenntnis, kommen wird, so wird er euer Führer sein auf dem Wege zur allumfassenden Wahrheit.“ (Joh. 16,12) „Ich kann euch nicht mehr Knechte nennen, denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch habe ich Freunde genannt, weil ich euch alles verkündigt habe, was ich vom Vater empfangen habe.“ (Joh. 15,15) Dadurch, dass die Geist-Erkenntnis uns nicht nur philosophische Begriffe schenkt, sondern übersinnliche Anschauungen, lebt sich die Seele in diese geistigen Hintergründe ein. Es ist wie ein Sternenhimmel, der über uns zu leuchten beginnt. So wie die Sterne in ihrer kosmischen Ordnung sich gegenseitig tragen und keine Stützen als Träger brauchen, so tragen sich auch die geistigen Wahrheiten dieses übersinnlich-kosmischen Weltbildes, ohne materielle Beweise zu benötigen! Von dem Zentralmysterium des Todes fällt erst das volle Licht auf die Christus-Tat und das sogenannte „Jüngste Gericht“.

Wenn man in das menschliche Gemüt hineinschaut, so muss man sagen: Es ist der wichtigste Punkt der irdischen Menschheitsentwickelung da, wo der Mensch erkennen lernt, dass in dem Christus-Impuls eine Kraft lebt, durch die er selbst, wenn er sich mit ihr verbindet, den Tod in sich überwindet. [ebd.] Über der ganzen Menschheitsentwicklung liegt wie ein schwerer Schatten der Tod als dunkles Rätsel. Man kann es vergessen, man kann es negieren, wie es heute besonders in den westlichen Ländern, wie Amerika, geschieht. Man kann sich des Lebens trotzdem erfreuen, indem man seine Freuden und diesseitigen Güter genießt und seinen Schatten in eine abseitige Rumpelkammer stellt, damit sein Schatten uns den Lebensgenuss nicht verdirbt – das Todesrätsel bleibt und rächt sich umso mehr, je mehr wir es aus unserem Gesichtskreis zu bannen versuchen! Das hat uns das 20. Jahrhundert gelehrt mit seinen Hekatomben259 von Todesopfern, die in das gesicherte Bewusstsein der materialistischen Zeitkultur seit 1914 über uns hereingebrochen sind, um uns zu erinnern, wie dünn der Boden unserer glänzenden Zivilisation ist, auf die wir unsere ganze Existenz bis ans Ende der Zeiten glauben aufbauen zu können. – Je mehr eine Kultur den Tod auszuschalten und zu umgehen trachtet, umso mehr bricht er von hinten in sie ein und erscheint wie die 13. Fee, die nicht zum Hochzeitsfest geladen wurde. Man kann die geistige Welt auf die Dauer nicht ausschalten und negieren. Sie rächt 259

„Im übertragenen Sinn spricht man auch bei einer erschütternd großen Zahl von Menschen, die einem Unglück zum Opfer gefallen sind, von einer Hekatombe.“ (Wikipedia)

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sich mit Todesopfern, die ungewollt über die den Tod spottende Menschheit hereinbrechen! – Wie anders verhielten sich ältere Menschheitskulturen gegenüber dem Rätsel des Todes! Überall waren für ihn Sinnbilder, Zeichen und Symbole errichtet, wie in den ägyptischen Bauwerken der Sphinx und der Pyramide – Sinnbilder für Geburt und Tod – oder in den etruskischen Grabkammern, auf denen der Genius in einer Plastik zu sehen ist, in dessen Auge der Verstorbene vor ihm erwacht. Je mehr man gegenwärtig bestrebt ist, alle mythischen Züge auszulöschen, und sich nur auf die nackte physische Realität beschränkt – die Leichenhalle eines Krankenhauses und die Grabkammer des Friedhofs –, umso unbarmherziger und grausamer tritt uns der Tod als Skelett entgegen. Dann zeigt er uns das Antlitz des Totengerippes. Ist das seine wahre Gestalt? Der moderne Mensch glaubt es. Aber er geht am Tode ebenso vorbei wie an den Wundern des Sternenhimmels, wenn er ihn nur in seiner physikalischen Berechenbarkeit und materiellen Sicht betrachtet. Je weiter wir zurückgehen in die Vergangenheit, umso mehr tritt uns der Todesengel in seiner mythischen Gestalt entgegen. Bei den Griechen ist es ein Jüngling, der seine Fackel zur Erde senkt und sie löscht. Die Bilder des Ägyptischen Totenbuches zeigen das Totengericht, nach dem der Aufstieg des Toten zu einem Osiris erfolgt. Der Tote wird in den Zustand eines Gottes erhoben. Erst im Anbruch der neueren Zeit tauchen die Bilder des Totentanzes auf, zum Beispiel von Holbein in Basel. Denn jetzt, im Anbruch der Bewusstseinsseele, erlebt der Mensch nur noch das Knochengerippe, da seine Seele an die Sterbekräfte des Leibes fester gebunden ist als in der Zeit, wo er in den Empfindungskräften des Seelenleibes lebte. Und damit änderte sich auch das Bewusstsein des Menschen gegenüber dem Tode. Sein göttliches Licht verlosch und nur das Skelett blieb noch übrig. Der Tod ist vor allem lange ein hellfühlendes Wissen von den höheren Welten noch im Menschen vorhanden war, eine Erinnerung an ein vorgeburtliches Leben.

Die älteren Menschen, die in ihre inneren Offenbarungen hereinbekamen das Wissen von den göttlichen Wesen, die starben innerlich nicht. Sie blieben immer lebendig. Sie konnten lachen über den Tod, weil sie ja doch innerlich lebendig blieben. Die Griechen erzählen noch davon, wie glücklich die Alten waren, weil sie, bevor sie ans Sterben kamen, so innerlich betäubt wurden, dass sie nicht bemerkten, dass es dem Tode entgegenging. Das war aber schon der letzte Ausläufer dieser Weltanschauung, die nichts von dem Tode wusste. Der neue Mensch erlebt den Intellekt. Der Intellekt macht uns innerlich kalt, macht uns innerlich tot. Der Intellekt lähmt uns. Wir leben eigentlich nicht, wenn wir den Intellekt entwickeln. [ebd.] Ja, wir sind in das Reich Ahrimans, des Herrn des Todes, eingesponnen durch die Aufnahme des Intellekts. Und unser intellektuelles Bewusstsein droht selbst so schattenhaft und tot zu werden wie das fahle Pferd der apokalyptischen Reiter, das die Züge des Todes trägt und ein Drittel der Menschheit mit der Sense des Todes dahinmäht! – Die Überwindung des Todes durch Christus ist eine Götterangelegenheit, in welche der Mensch mit hineingezogen ist. Es ist nicht nur ein theologisches Dogma, das von der christlichen Kirche verkündet worden ist, sondern ein realer Kampf, der sich zuerst abgespielt hat in der Menschwerdung Christi. Der Mensch kann diesen Kampf nacherleben, wenn er die Menschwerdung Christi als inneren Passionsweg nacherlebt. Was durch die Jahrhunderte der christlichen Zeitrechnung die geistige Verbindung mit dem Christus ermöglichst hat, das war das Erleben des Passionsweges, der den Anfang der christlichen Einweihung bildet. In der Gegenwart ist es schwer, ihn in dieser Intimität zu 316

erleben, wie es in der Abgeschlossenheit der mittelalterlichen Klosterzellen noch möglich war. Wir brauchen heute einen Einweihungsweg, der seinen Schwerpunkt im geistigen Erleben hat und von hier aus in die Tiefen des seelischen Erlebens dringt. Doch ohne dieses Miterleben des Mysteriums von Golgatha glaube ich nicht, dass uns das Geheimnis des Opfers von Golgatha ganz erschlossen wird. Und hier eröffnen uns die Mitteilungen aus dem „Fünften Evangelium“ einen geistigen Passionsweg, der sich die drei Jahre von der Jordantaufe bis zum Tod auf Golgatha hinzieht. Es ist der schmerzhafte Inkarnationsweg, den der Christus die drei Jahre seines Erdenwandelns durchlebt, um ganz Mensch zu werden. Es ist die Menschwerdung Christi, was sich auf diesem Wege vollzieht. Im Hineinleben in diesen Prozess, wie ihn das Fünfte Evangelium beschreibt, das der Seher aus den geistigen Bildern der „Akasha-Chronik“ zu lesen vermag, kann der heutige Mensch den christlichen Passionsweg nacherleben. Nur mit innerer Andacht und Pietät können wir diese Bilder aufnehmen in ihrer Intimität und Zartheit, wie sie uns Rudolf Steiner aus seiner Forschung mitgeteilt hat: (Vgl. S. 280) Wie jemand, der unter unendlichen Qualen immer mehr und mehr seinen Leib dahinschwinden sieht, so sah schwinden ihren göttlichen Inhalt die Christus-Wesenheit, indem sie immer ähnlicher wurde als ätherische Wesenheit dem irdischen Leibe des Jesus von Nazareth, bis sie so ähnlich geworden war, dass sie Angst fühlen konnte wie ein Mensch. Das ist dasjenige, was auch die anderen Evangelien schildern beim Herausgehen des Christus Jesus mit seinen Jüngern auf den Ölberg, wo die Christus-Wesenheit in dem Leibe des Jesus von Nazareth den Angstschweiß auf der Stirn hatte. Das war die Vermenschlichung, das immer menschlicher und menschlicher Werden des Christus, die Annäherung an den Leib des Jesus von Nazareth. In demselben Maße, indem diese ätherische Christus-Wesenheit immer ähnlicher wurde dem Leibe des Jesus von Nazareth, in demselben Maße wurde der Christus Mensch. Und da sehen wir den ganzen Passionsweg von jenem Zeitpunkt an, wie er bald nach der Johannestaufe im Jordan begann, wo die staunenden Menschen, die gesehen hatten, was der Christus vermochte, sagten: „Das habe noch nie ein Wesen auf Erden vollbracht“... [78]

Wie aus der Menschwerdung des Gottes, dem ersten Akt des Christusdramas, der zweite Akt der Gottwerdung des Menschen folgt, das vollzieht sich in der Himmelfahrt und in dem Pfingstereignis: Es vollzieht sich im Grunde bis ans Ende der Erdenzeiten in der Vergeistigung der Erdenmenschheit, wie es die Apokalypse in ihren einzelnen Stufen beschreibt. Sich hineinleben in diese Bilder des Fünften Evangeliums leitet den inneren Wandlungsweg, den Weg der Transsubstantiation in der mitfühlenden Seele ein. Wir gingen vom Tode aus als einem menschheitlichen Phänomen auf dem Pilgerweg durch die wiederholten Erdenleben und sind bei dem Passionsweg Christi angekommen. Das ist kein Zufall: Denn hier vereinigt sich der Schwerpunkt der ganzen Erden- und Menschheitsentwicklung. Es ist der Tod auf Golgatha, der Kulminationspunkt des Passionsweges. Will man diesen Kulminationspunkt geistig erfassen, so muss man den Lebenslauf Christi von der Johannestaufe bis zum Tod auf Golgatha, Himmelfahrt und Pfingstereignis vom geistigen Aspekt erkennen lernen. Wir sahen, dass der erste Akt dieses Lebenslaufes die Menschwerdung des Gottes umfasst; der zweite Akt die Gottwerdung des Menschen, in den die ganze Menschheits- und Erdenentwicklung bis ans Ende der Erdenzeiten mit hineingezogen wird. Die Menschwerdung Christi, die mit der Johannestaufe beginnt, ist aber noch nicht gleichzusetzen mit dem Akt der physischen Geburt des Christus. Vielmehr sind die drei Jahre, in denen der Christus in den Hüllen des Jesus wandelt und sich immer tiefer in diese hineinsenkt, dem Embryonalleben im Leibe der Mutter zu vergleichen, das der Säugling in den Monaten vor seiner Erdengeburt durchmacht. Denn so wie der Mensch vor seiner Geburt noch vom Leibe der Mutter getragen und umschlossen ist, so ist auch die 317

Christuswesenheit von der Jordantaufe bis Golgatha noch umschlossen und eingehüllt von den Leibeshüllen des Jesus von Nazareth. Und die Geburt erfolgt erst, als diese Hülle von dem Christuswesen abfällt, wie es durch den Tod geschieht. So ist dieser Tod wirklich die Geburt des Christus für die Erde, als der Christus in seiner geistleiblichen Gestalt den Jüngern erscheint und sie belehrt in den 40 Tagen bis zur sogenannten Himmelfahrt. In diesen 40 Tagen liegt das eigentliche Erdenleben des Christus beschlossen! Und der „Tod“ als Abschluss dieses Lebens ist die Himmelfahrt, die den Auferstandenen den Augen der Jünger zunächst entzieht. Doch der Christus tauscht hier das geistige Leben im „Devachan“ ein mit dem Erdenschauplatz. Er tauscht die Erde für den Himmel ein und bleibt bei den Menschen. Das ist das Leben des Christus auf der Erde vom Geiste aus betrachtet. – In diesem Leben ist der Tod auf Golgatha nicht ein Abschluss, sondern eine bedeutsame Wende. Und damit kommen wir auf das Problem und Rätsel der sogenannten „leiblichen Auferstehung“, das ja ins Credo der Christenheit aufgenommen worden ist. Wie schwerwiegend dieser Glaube an die leibliche Auferstehung von den Aposteln und ersten Christen genommen wurde, zeigt das Wort des Apostels Paulus, wenn er sagt: Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsere Predigt eitel und auch euer Glaube vergeblich! (2. Kor. 15,14) Wie war es möglich, dass trotz der anschaulichen Hinweise in den Paulusbriefen vom „ersten und zweiten Adam“ die Erkenntnis in die mit dem Dogma der leiblichen Auferstehung verbundenen geistlich-leiblichen Zusammenhänge der Menschennatur soweit verschüttet und damit verloren gegangen ist, dass heute jede Einsicht in dieses Mysterium fehlt, sodass das eigentliche Fundament dem Christentum abhanden gekommen ist und damit auch die kosmisch-menschheitliche Bedeutung des Mysteriums von Golgatha? – Da es sich hier weder um ein rein theologisches Problem einer Gotteserkenntnis noch um ein rein menschliches der Naturerkenntnis handelt, sondern um die Durchdringung eines menschlich-göttlichen Vorgangs, kann dies Mysterium auch nur begriffen werden von einer durchchristeten Menschenerkenntnis, welche das Wesen des Menschen nach seinen drei Aspekten, nach Leib, Seele und Geist, zu erkennen vermag. Und eine solche Menschenkunde ist seit Jahrhunderten schon von zwei Seiten untergraben worden, von der Seite der Theologie, die seit dem Konzilsbeschluss von Byzanz im Jahre 869 den selbständigen Geist dem Menschen abgesprochen hat und ihn nur noch als Zweiheit, aus Leib und Seele bestehend, anerkennt, und von der Seite der Naturwissenschaft, die im 19. Jahrhundert ihm auch eine selbständige Seele abspricht und nur dem Leib gewisse seelische Funktionen zuerkennt. Dadurch musste jede geistig fundamentierte Menschenerkenntnis untergraben werden. Und dieser Verlust hat das Fundament zum Verständnis einer Christuswesenheit und des Mysteriums der leiblichen Auferstehung völlig unterhöhlt. Denn es zeigt sich hieran, dass der Christus-Impuls nur von zwei Seiten, von der menschlich-physischen und der göttlich-geistigen Seite, verstanden und wirklich durchschaut werden kann. Das ist der tiefere Grund, weshalb man auch die Begriffe des Paulus in ihrer geistigen Konkretheit nicht mehr auf geistige Realitäten bezieht, sondern als gemüthafte Erbauungsbilder nimmt. Durch die Einfachheit dieser Bilder vom ersten und zweiten Adam hat man sich verführen lassen, sie in ihrer kosmischen Bedeutung für die ganze Menschheitsevolution nicht ernst genug als geistige Realitäten zu nehmen. 318

Allerdings ist es ja so, wenn wir die Briefe des Paulus auf uns wirken lassen, dass wir zuletzt etwas vor uns haben, was durch seine ungeheure Einfachheit und durch das tief Eindringliche der Worte und Sätze einen allerbedeutsamsten Eindruck macht. Aber nur aus dem Grunde ist das der Fall, weil Paulus selbst durch seine eigene Initiation sich hinaufgearbeitet hat zu jener Einfachheit, die nicht der Ausgangspunkt des Wahren, sondern die Konsequenz, das Ziel des Wahren, sein kann. Wenn wir nun eindringen wollen in das, was zuletzt bei Paulus zum Ausdruck kommt, so werden wir uns schon in geisteswissenschaftlicher Art einem Verständnis der menschlichen Natur nähern müssen, zu deren Fortentwicklung innerhalb der Erde der Christus-Impuls gekommen ist. [15, S. 116] Man beachte bei dem Zitat des Paulus über den ersten und zweiten Adam, wie stets der Nachdruck auf den Menschen gelegt wird, auch bei Christus als dem zweiten Adam. Nun ist es aber eine Tatsache, dass Christus vom Tode auferstanden ist. Er ist der Urbeginn des neuen Lebens unter den entschlafenen Seelen (der Erstling). Wie durch einen Menschen der Tod, so ist auch durch einen Menschen die Auferstehung in die Welt gekommen. Wie in Adam alle Menschen dem Tod verfallen sind, so werden sie in Christus alle zum Leben erweckt. Dabei wird jeder der Ordnung folgen, die seinem IchWesen entspricht. Christus bildet den Urbeginn. Ihm folgen bei seinem geistigen Kommen die, welche sich mit ihm verbunden haben. Dann kommt das Ziel heran, wo er die mit ihm geeinte Welt dem göttlichen Vater übergibt und außer Kraft setzt die Urkräfte, die Offenbarer und die Weltkräfte (Luther: wenn er aufheben wird alle Herrschaft und alle Obrigkeit und alle Gewalt). Er muss der Herr des Schicksals sein, bis er alle Feinde unter seine Füße gezwungen hat. Als letzter Feind wird außer Kraft gesetzt sein der Tod. Dann hat er das ganze Weltall wirklich dem Schritte seines Fußes untergeordnet. (1. Kor. 15,20 ff.) Paulus unterscheidet den pneumatischen (geistigen Leib) vom Lebensleib und vergänglichphysischen Leib, also er spricht aus einer geisteswissenschaftlichen Menschenkunde, da er ja in Tarsos, seiner Geburtsstadt, in Kleinasien auch griechische Mysterienluft eingeatmet hat. Nun mag einer fragen: „Wie wird sich die Auferstehung der Toten vollziehen? Was ist es für ein Leib, den sie dann tragen?“ – Du Tor, was du auch säest, nichts wird zum Leben erweckt, wenn es vordem nicht stirbt. Was du auch säen magst, nie kannst du den Leib säen, der erst werden soll. Du säest nur das nackte Samenkorn, sei es nun des Weizens oder einer anderen Feldfrucht. Der Weltengrund gibt dem Korn den lebendigen Leib, wie es seinem göttlichen Willen entspricht, und jedem einzelnen Samenkorne gibt er einen eigenen Lebensleib. Und es gibt übersinnlich-himmlische Leiber, und es gibt irdische Leiber. Und eine andere Lichtgestalt haben die übersinnlich-himmlischen, eine andere die irdischen Leiber. Eine andere Lichtgestalt hat die Sonne, eine andere der Mond, eine andere die Sterne, und es unterscheidet sich jeder Stern von den anderen in seiner Lichtgestalt. Also auch ist es in der Auferstehung der Toten: Es wird gesät verweslich, und es wird auferstehen unverweslich. Es wird gesät im Scheine, und es wird auferstehen in Herrlichkeit. Es wird gesät in Schwachheit, und es wird auferstehen in der Kraft. Es wird gesät ein natürlicher Leib, und es wird auferstehen ein geistiger Leib. Gibt es einen natürlichen Leib, so gibt es auch einen geistigen Leib. Wie geschrieben steht: Der erste Mensch, Adam, wurde zu einer lebendigen Seele (wurde verkörpert in eine lebendige Seelenhülle), und der letzte Adam ward Geist, der da lebendig macht (in eine lebenerzeugende Geistgestalt). Aber nicht der geistige Leib ist der erste, sondern der natürliche, erst danach folgt der geistige (pneumatische) Leib.

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Der erste Adam hat seine Gestalt von der Erde und ist irdisch, der zweite Adam hat sie vom Himmel und ist überirdisch. Wie der irdisch gestaltete, so sind alle irdisch gestalteten Menschen, wie der übersinnlich-himmlisch gestaltete, so sind alle übersinnlich-himmlisch gestalteten Menschen. Und so wie wir das Bild des irdischen Menschen in uns tragen, also werden wir auch tragen das Bild des himmlischen Menschen in uns. (2. Kor. 5) Auch aus dieser Schilderung der leiblichen und geistigen Menschengestalt weht uns eine griechische Anschauung entgegen, die tief in Paulus, dem Juden, lebte. Es ist die menschliche Gestalt, auf die der Schönheitssinn der Griechen gerichtet war und in der er seine Götter erschaute. Die tiefe Kluft, welche der Jude zwischen sich und Gott legte, ist im Griechentum überwunden. Die Götter erscheinen ihm in vergöttlichter Menschengestalt. –

Der erste Philosoph der Christenheit nach Christus – der Apostel Paulus – sprach auf dem Areopag zu Athen genau davon und gewann damit das Herz der Griechen. Und zwar ist er nicht ferne von einem jeglichen unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir; wie auch etliche Poeten bei euch gesagt haben: „Wir sind seines Geschlechts.“ (Apg. 17,28) Vermögen wir uns im Geiste dem Geist zu nähern, erweisen

wir, dass wir zu seiner Familie gehören. Hier geht Paulus zu den Griechen über. Alles dies ist für Israel gotteslästerlich. Wer den Berg (auf dem Moses die Gesetze empfing) anrührt, soll des Todes sterben. Gerade diese Namensnennung „Vater“ führte zu dem sofortigen Todesurteil, das die Juden über Christus fällen (Joh. 5,18). Er machte Gott gemein mit sich. Auch wir tun es und durchschneiden das Band, das den Israeliten von Gott aussperrt. Wir sind nicht außerhalb, wir sind drinnen – im Drama Gottes. Auch wenn wir uns verloren haben wie der verlorene Sohn auf dem Felde bei den Schweinen. Wir sind unkündbar, weil wir Söhne sind und keine Knechte. [90] Von hier fällt ein helles Licht auf den Ausgangspunkt der Lehre des Paulus vom ersten und zweiten Adam. Beides sind Menschen, der erste ist der natürliche, der zweite der vergeistigte, vergöttlichte Mensch. Hieran kann uns das Problem einer durchchristeten Menschenkunde aufgehen, welche die Grundlage für die „leibliche Auferstehung“ – das fundamentale Dogma der christlichen Verkündigung – bildet. Dann erst gewinnen wir auch Verständnis für die Rolle, die Jesus, der menschliche Träger, im Christusdrama spielt. Paulus nimmt seinen Ausgangspunkt, auch wenn er ihn nicht ausdrücklich erwähnt, von den zwei Schöpfungen der Genesis. Die erste Schöpfung des Menschen wird in der Genesis beschrieben. Hier handelt es sich um die geistige Schöpfung, die noch in der geistigätherischen Sphäre sich abspielt, durch welche das Urbild des Menschen in seiner ursprünglich hermaphroditischen, zweigeschlechtlichen Form entsteht. Und Gott sprach (im ursprünglichen Text heißt es: Die Elohim sprachen): „Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das auf der Erde kriecht.“ Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn, und schuf ihn männlich-weiblich. (Luther übersetzt: und schuf sie einen Mann und ein Weib). (1. Mose 1, 2627) Auch Martin Buber stimmt der hermaphroditen Auffassung in dieser Stelle zu. Es würde sonst auch ein Widerspruch sich ergeben mit der zweiten Schöpfung, der Erschaffung Evas: Aber für den Menschen ward keine Gehilfin gefunden, die an seiner Seite wäre. Da ließ Gott der Herr einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen, und er schlief ein. Und er nahm eine Rippe aus ihm und schloss die Stätte mit Fleisch. Und Gott der Herr schuf ein Weib aus der Rippe, die er aus dem Menschen nahm und brachte sie zu ihm. Da sprach 320

der Mensch: Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch; man wird sie Männin heißen, darum, dass sie vom Manne genommen ist. (1. Mose 2, 2021) Wir haben es hier mit zwei Schöpfungen zu tun, die erste spielt sich im rein Ätherischen ab, die zweite im Irdischen; wie sie der Erschaffung der Eva vorausgeht: Und Gott, der Herr, machte den Menschen aus einem Erdenkloß und blies ihm den lebendigen Odem ein. Und also ward der Mensch eine lebendige Seele. (1. Mose 2,7) Emil Bock hat diese beiden Schöpfungen in seiner „Urgeschichte“ treffend herausgearbeitet in ihren verschiedenen Sphären:

Die Bibel sagt, dass die erste ur- und ebenbildliche Menschengestalt doppelgeschlechtlich-hermaphroditisch war, dass sich also, was später in der Doppelheit der Geschlechter auseinander fiel, hier noch zur Einheit verband: Die Elohim schufen den Menschen nach ihrem eigenen Bilde, nach dem Bilde Gottes schufen sie ihn, und sie schufen ihn männlich-weiblich (1,27). Wenn der so ins Dasein tretenden

Adam-Menschheit die Vollmacht zur Fortpflanzung erteilt wird (1,28), so heißt das, dass es dem ersten Erdenmenschen infolge der noch souveränen Herrschaft des Geistig-Seelischen über das Elementarisch-Leibliche von innen heraus möglich war, seinesgleichen zu erzeugen, Leibeshüllen zu bilden für andere im Erdenumkreis webende Menschenwesenheiten. Noch aber ist der Mensch weit davon entfernt, an seiner Umwelt zu arbeiten. Er arbeitet an sich selbst, ähnlich wie heute der Mensch im Schlafe an sich selber arbeitet; ist doch damals auch das Bewusstsein des Menschen noch einem tiefen traumumwobenen Schlafe zu vergleichen. Obwohl bereits die erste Menschenschöpfung berichtet wurde, kann die Bibel sagen: Es gab noch keinen Menschen, der das Land bebaute (2,5). Es bedarf einer weiteren Verdichtung seiner Leiblichkeit, damit die allerersten Anfänge dessen entstehen können, was wir Arbeit des Menschen an der irdischen Natur nennen. [58] Erst durch die fortschreitende Verdichtung der Erde kann die zweite Menschenschöpfung stattfinden. Jetzt heißt es nicht mehr, dass die göttliche Schöpfermacht den Menschen schafft, jetzt wird beschrieben, wie sie an seinem Leibe bildet und plastiziert („Erdenkloß“ ist viel zu grob und ganz ungenau). Und nun wird zum ersten Mal der Stoff bezeichnet, aus dem die Menschengestalt geformt wird: „Staub des Irdischen“. Es entsteht der wichtige Gleichklang zwischen dem Namen des Erdbodens – Adamah – und Adam. Adam ist kein individueller Name, es bedeutet aber auch nicht allgemein „der Mensch“, es heißt vielmehr ganz speziell: „der aus irdischem Stoff Gebildete“. Diese Bilder der ersten Menschwerdung sich vor die Seele zu stellen, kann unsere Phantasie anregen für die Vorgänge, die im Endzustand der Erdenentwicklung entstehen, wenn die physische materielle Menschenschöpfung sich wieder zu vergeistigen beginnt. Wird dann doch auch die Zweigeschlechtlichkeit wieder aufgehoben (bei der Rückkehr des Mondes), sodass der hermaphrodite Mensch in seiner ätherischen Gestalt entsteht, der durch die Kräfte des Wortes die ätherischen Gestalten von seinesgleichen erschafft, in die sich die Seelen verkörpern können (vgl. das 1. Siegel der Menschengestalt mit dem zweischneidigen Schwert aus seinem Munde. Die Fortpflanzungskraft rückt vom Geschlechtsorgan hinauf in den Kehlkopf). Erst wenn wir den Begriff der Entwicklung mit der ganzen Erden- und Menschenschöpfung verbinden, erlangen wir ein Verständnis für die einzelnen Metamorphosen der Erdenentwicklung und das Menschheitsdrama. Nichts entsteht aus dem Nichts. Auch der Mensch wird nicht aus dem Nichts geschaffen. Sein seelisch-geistiges 321

Wesen war schon vor der Erdenschöpfung vorhanden. Was neu hinzutritt, ist die irdische Menschengestalt, in der sich das Ich verkörpert, das die Elohim (Geister der Form) dem Menschen einhauchen.

Adam ist nach seiner Erschaffung nicht der einzige Mensch im Weltall. Michelangelo zeigt im wehenden Mantel der Gottheit Menschenwesen in Fülle, während der eine Mensch als Spiegel- und Ebenbild Gottes erschaffen wird. In seelisch-geistiger Existenz gab es die Menschheit schon. Was neu entsteht, ist die irdische Menschengestalt. Der Mensch empfängt statt der undifferenzierten Gesamtleiblichkeit den Anfang einer individuellen irdischen Behausung. Aber das Haus, das ihm die Schöpfergeister bereiten, ist noch nicht aus festem Erdenstoff gebaut. Als ätherischer Leib, dem vom physischen Leibe nur das Urbild geistigphysisch als „reine Form“ eingewoben ist, entsteht seine Gestalt. Mit physischen Augen hätte man sie noch gar nicht wahrnehmen können. [?] Erst von dieser geistig-physischen Kraft-Form, die dem später ins Materielle sich verdichtenden und vergröbernden Menschenleib zugrunde liegt, ist die Christustat der „leiblichen Auferstehung“ zu verstehen. Denn diese Kraft-Form, die die Elohim bei der ersten ätherischen Schöpfung als Urbild ihres Wesens erschufen, bildet den geistigen Grundstein, das Modell für alle kommenden Zeiten der Erdenentwicklung für die Menschheitszukunft: Nicht das Stofflich-Physische, was wir mit Augen wahrnehmen, ist der physische Menschenleib, sondern die geistig-unwahrnehmbare Kraft-Form, die als göttliches Urbild die Existenz und Erhaltung des menschlichen Leibes verbürgt und garantiert. Und diese Kraft-Form als göttliches Urbild der Elohim ist es, die durch den luziferischen Eingriff in der Versuchung korrumpiert worden ist. Dies muss ins Auge gefasst werden, um den sogenannten „Fall des Menschengeschlechtes“ in seiner ganzen, die Zukunft der Menschheit bedrohenden Schwere zu begreifen! Denn die Urgestalt des Menschen – die geistige Schöpfung der Elohim – war damit in Frage gestellt und musste immer mehr auseinanderfallen und den in die Menschheitsentwicklung einziehenden ahrimanischen Geistern zum Opfer fallen, je mehr Luzifer durch die egoistischen Triebe den Menschen von seinem gottgewollten Ursprung trennte und ihn dem Irrtum und der persönlichen Verblendung auslieferte. Hier liegt der wesentliche Einbruch der dem göttlichen Schöpfungsplan entgegenwirkenden luziferisch-ahrimanischen Mächte, die den Menschen von seinem Ursprung und Ziel abtrennten, je mehr er in seinem Erdenleben unter ihren Bannkreis geriet!

Wäre nun kein luziferischer Einfluss geschehen, dann hätte der Mensch im Beginne des Erdendaseins in voller Kraft dieses Phantom mit seinem physischen Leibe bekommen. Nun aber drangen in die menschliche Organisation, insofern sie besteht aus physischem Leib, Ätherleib und Astralleib, die luziferischen Einflüsse ein, und die Folge davon war die Zerstörung des Phantoms (der Urgestalt) des physischen Leibes. Das ist es, was uns in der Bibel symbolisch mit dem „Sündenfall“ ausgedrückt wird und mit den Tatsachen, wie es im Alten Testament gesagt wird, dass auf den Sündenfall der „Tod“ folgte. Der Tod war eben die Zerstörung des Phantoms des physischen Leibes. Und die Folge davon war, dass der Mensch zerfallen sehen muss seinen physischen Leib, wenn er durch die Pforte des Todes schreitet. Diesen zerfallenden physischen Leib, dem die Kraft des Phantoms mangelt, hat der Mensch überhaupt sein ganzes Erdenleben hindurch von der Geburt bis zum Tode. Das Zerfallen ist fortwährend eigentlich vorhanden, und das Zersetztwerden – der Tod des physischen Leibes – ist nur der letzte Prozess... 322

Wäre nun kein luziferischer Einfluss geschehen, so wäre im physischen Leib ein Gleichgewicht vorhanden zwischen den zerstörenden und den aufbauenden Kräften. Dann aber wäre alles in der menschlichen Natur im Erdendasein anders geworden; dann gäbe es zum Beispiel keinen solchen Verstand, der die Auferstehung nicht begreifen kann. Denn was ist das für ein Verstand, den der Mensch hat, mit dem er die Auferstehung nicht begreifen kann? Das ist der Verstand, der an das Zerfallen des physischen Leibes gebunden ist... Deshalb ist der menschliche Verstand, der menschliche Intellekt so dünn, so fadenscheinig geworden, dass er nicht in sich hereinnehmen kann die großen Prozesse der kosmischen Entwickelung. [15, 7. Vortrag] Da aber die Entwicklung des Ich-Bewusstseins im Erdenleben vom physischen Leib weitgehend abhängig ist, indem das Ich sich an den physischen Leibesformen, vor allem am Gehirn, spiegeln muss, so stand die Menschheit vor der Gefahr, durch den Zerfall des physischen Leibes das Ichbewusstsein als Errungenschaft der Erdenentwicklung zu verlieren. Daher die radikale Art, mit der Gautama Buddha im 5. Jahrhundert vor der Zeitenwende die völlige Vernichtung der physischen Leibesform predigte. Deshalb auch die Furcht des Griechen vor dem „Hades“, weil er fühlte, dass das Ich-Bewusstsein nur in einem gesunden Leibe bestehen konnte, nicht aber nach dessen Zerfall. Die antike Mysteriendämmerung, die sich in den Jahrhunderten vor der Zeitenwende in den Mittelmeerländern ausbreitete, ist der drohende Schatten für diese Entwicklung, die ihren Höhepunkt um die Zeitenwende erreichte. Wäre nichts hinzugetreten, so wären die Menschen nach der Zeitenwende herabgesunken in ein immer dumpferes Ichbewusstsein, insofern dies abhängt von der Vollkommenheit der Spiegelung am physischen Leibe. Von diesem geistigen Gesichtspunkt enthüllt uns das Mysterium von Golgatha erst seine für die Menschheitsentwicklung umfassende Bedeutung: die Wiederherstellung des reinen Kräfteleibes, welcher der Träger der physisch-materiellen Teile ist. Das Urbild, das den Elohim vor der Seele stand am Ausgangspunkt der Erdenentwicklung – das „reine Phantom“ des physischen Leibes mit allen Eigenschaften des physischen Leibes. Als die materiellen Teile des Jesusleibes zu Erdenstaub zerfielen (durch Prozesse, die mit diesem Leibe zusammenhingen) und der Leichnam durch das Erdbeben in eine Erdspalte aufgenommen wurde, sodass Petrus und Johannes in der Frühe des Ostermorgens nur die Grabtücher in dem leeren Grab erblickten, da erhob sich aus der Grabesstätte der reine Kraftträger des physischen Leibes, der als Geistleib auferstand und in seiner ätherischen Substanz (obwohl er mehr als ein Ätherleib war) den Jüngern erschien. So ist der Tod auf Golgatha und was ihm am dritten Tage folgte, wirklich ein Akt der Geburt, der Geburt einer neuen Urgestalt des Menschen, die von den luziferisch-ahrimanischen Einflüssen gereinigt und befreit ist:

Es ist eingetreten, dass dieser eine Mensch, der der Träger des Christus war, einen solchen Tod durchgemacht hat, dass nach drei Tagen dasjenige, was am Menschen das eigentlich Sterbliche des physischen Leibes ist, verschwinden musste – und aus dem Grabe sich erhob jener Leib, der der Kräfteträger der physisch-materiellen Teile ist. Das, was eigentlich dem Menschen zugedacht war von den Beherrschern von Saturn, Sonne und Mond, das hat sich erhoben aus dem Grabe... [15, S. 167] Im Johannesevangelium finden sich einige bedeutsame Hinweise auf die okkulte Bedeutung der physischen Gestalt des Jesus von Nazareth. Als die Kriegsknechte die Gekreuzigten abnehmen wollen, damit die Leichname nicht über den Sabbat am Kreuze blieben, brechen sie dem ersten und zweiten Gekreuzigten die Beine. 323

Als sie aber zu Jesus kamen und sahen, dass er schon gestorben war, brachen sie ihm die Beine nicht, sondern der eine der Kriegsknechte öffnete seine Seite mit dem Speer und alsbald floss Blut und Wasser heraus. – Solches ist geschehen, auf dass die Schrift sich erfüllte: „Ihr sollt ihm keine Knochen zerbrechen.“ Und abermals sagt eine andere Schrift: „Schauen werden sie den, den sie zerstochen haben.“ (Joh. 19, 3337) Der Leib Jesu, dessen Formgestalt sich eingeprägt hatte dem „Phantom“, sollte unversehrt erhalten bleiben, sodass der Geistgestalt im Ätherischen die unversehrte Form des physischen Leibes erhalten blieb. – Diese Formgestalt ist die Garantie für die Weiterentwicklung der Menschheit bis ans Ende der Erdenentwicklung. Hier erblicken wir die Bedeutung der Notwendigkeit, die der physische Christusträger beim Zustandekommen des Mysteriums von Golgatha spielt. Denn der Tod konnte nur überwunden werden in einem Menschenleib, um diesen Menschenleib dem Zugriff der ahrimanischen Kräfte zu entreißen! Und eben darin liegt das Geheimnis der Verbindung der kosmischen Christuswesenheit mit dem Menschen Jesus von Nazareth, in dem er seine Menschwerdung vollzog. Das Todesgeheimnis musste diesem Leib anvertraut werden als Unterpfand und Bürgschaft für alle Erdenmenschen, die diese Siegel aufnehmen. Deshalb sprechen Paulus wie auch Rudolf Steiner vom „Christus Jesus“, denn durch die Menschwerdung des Christus nimmt er dessen menschliche Gestalt an – so wie er den Frauen und Jüngern nach seiner Auferstehung erscheint. Die Jesusseele als die Wesenheit des nathanischen Jesus bleibt mit dem Christus verbunden in geistigen Höhen. Sie wurde schon vor dem Mysterium von Golgatha dreimal von der kosmischen Christuswesenheit durchseelt; sie bildet den „Glorienschein“, den Paulus bei seiner Begegnung vor Damaskus im Ätherleib erlebt. (Es ist dieselbe Wesenheit, die Arjuna in Gestalt seines Freundes Krishna in der Bhagavad Gita erlebt.) Diese engelhafte Seele, die vor dem Mysterium von Golgatha noch nie in einem Erdenleib verkörpert war, da sie in geistigen Höhen verblieb und den Sündenfall der Menschheit nicht mitgemacht hat, bildet seit dem Mysterium von Golgatha eine Einheit mit dem Christus. Denn sie hat im Leibe des Jesus die drei Jahre in Palästina des Christuswandelns mitgemacht und kann so in ihrer Menschlichkeit die Kräfte der Auferstehung in jeden Menschenleib einfließen lassen, der sich dafür öffnet. Ein wichtiges Mysterium liegt hierin, wie es auch Paulus im 2. Korintherbrief im Hinweis auf den „ersten und zweiten Adam“ ausspricht. In den folgenden Worten berührt Rudolf Steiner diese Verbindung des Christus mit dem Jesus von Nazareth, die sich im Menschheitsschicksal als Weltenkarma erfüllt: (Vgl. S. 178) Was musste denn geschehen, damit durch einen gewaltigen Ruck in die Entwicklung hinein ein entsprechender Impuls als eine Kraft kam, die die Menschheitsentwicklung durchdrang von einem Bewusstsein, dass dem Tode verdankt ist zu leben? Es musste das kommen, dass die Christus-Wesenheit, die drei Jahre hindurch in dem Leibe des Jesus von Nazareth lebte, diesem Leibe etwas sagte, was aber nur im Augenblicke des Todes gesagt werden kann, denn nur im Augenblicke des Todes kann das alles zusammengedrängt werden, was Geheimnis des menschlichen Bewusstseins ist... [51]

Damit ist doch darauf hingewiesen, wie die Kraft zur Auferstehung durch den Tod eingeflossen ist in den Jesus und sich dadurch in dessen menschlicher Eigenschaft mit der Menschheit verbinden konnte. Deshalb schaut auch Paulus in seiner Christus-Vision Jesus, der ihm die Worte entgegenruft: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?“ Er aber sprach: „Herr, wer bist du?“ Der Herr sprach: „Ich bin Jesus, den du verfolgst. Es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu auszuschlagen.“ (Apg. 9, 45)

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Auch in der Apokalypse offenbart sich der kosmische Christus in der direkten Rede als Jesus: „Ich, Jesus, habe meine Engel gesandt, solches zu bezeugen an die Gemeinden. Ich bin die Wurzel des Geschlechts David, der helle Morgenstern.“ ... Es spricht, der solches bezeugt: „Ja, ich komme bald.“ Amen, ja komm Herr Jesu! (Off. 22,16 und 20) Von hier aus wird uns klar, dass der Mensch Jesus von Nazareth die Grundlage für die Geburt des Christus-Impulses war und dass dieser durch ihn sich in die Menschen einleben kann und sie in die Wandlungsmacht einbeziehen: Daher sind wir uns klar, dass durch die drei Jahre, umhüllt durch die drei Hüllen eines anderen Menschen, der Christus-Impuls auf der Erde gelegt hat, sind uns aber auch klar, dass der Christus-Impuls auch dazumal nicht auf der Erde verkörpert war, sondern nur das Fleisch desjenigen durchdrang, ausfüllte, der als der Jesus von Nazareth da stand. –

Wie der Gott herabgestiegen ist in die Materie und als Gott verschwunden ist im Menschengeschlecht, so erscheint er wieder. Die Menschheit konnte in ihrem Innersten, Göttlichen wiedergeboren werden in dem Jesus von Nazareth! – Wie in jedem einzelnen Menschen das höhere Ich geboren wird, so wird in Palästina das höhere Ich der ganzen Menschheit, das göttliche Ich, geboren. [25, S. 16] Wenn wir die Menschheitsentwicklung im Lichte der wiederholten Erdenleben heute erblicken wollen, so müssen wir die Menschheitsevolution geleitet und durchdrungen sehen von der göttlichen Führung, die im Ausgangspunkt der Erdenschöpfung in den Händen lag der sieben Elohim, die die Genesis nennt (1. Mose 1), und die nach dem Mysterium von Golgatha übergeht an den „Heiligen Geist“, der als Folge des Mysteriums von Golgatha die Menschheit die Stufen nach oben führt, die sie bei ihrem Inkarnationsprozess abwärts gegangen ist. Man nennt diese neue Schöpfung, die durch das Christus-Opfer sich vollzogen hat, „eine Schöpfung aus dem Nichts“. Das Schaffen aus dem durch den Christus entstehenden Heiligen Geist ist eine 'Schöpfung aus dem Nichts', da sie weder durch die karmische Ursache der menschlichen Evolution aus der Vergangenheit erfolgt noch durch rein historisch-natürliche Faktoren. Es ist ein Wirken aus höheren Kräften, die jetzt erst in die Menschheit einströmen. Diese bilden die Grundlage für die ganz fernere Menschheitszukunft. Auch im persönlichen Leben können sie erschlossen werden und den Menschen befreien von seiner Karmalast.

Das Schaffen aus richtigen, schönen und tugendhaften Verhältnissen heraus nennt man in der christlichen Esoterik den heiligen Geist. Der heilige Geist beseligt den Menschen, wenn er imstande ist, aus dem Nichts heraus das Richtige, Wahre, das Schöne und Gute zu schaffen. Damit aber der Mensch imstande geworden ist, im Sinne dieses heiligen Geistes zu schaffen, musste ihm erst die Grundlage gegeben werden, wie zu allem Schaffen aus dem Nichts. Diese Grundlage ist ihm gegeben worden durch das Hereintreten des Christus in unsere Evolution. Indem der Mensch auf der Erde das Christusereignis erleben konnte, wurde er fähig, aufzusteigen zum Schaffen im heiligen Geist. So ist es Christus selbst, welcher die eminenteste, tiefste Grundlage schafft. Wird der Mensch so, dass er feststeht auf dem Boden des Christuserlebnisses, dass das Christuserlebnis der Wagen ist, in den er sich begibt, um sich weiterzuentwickeln, so sendet ihm der Christus den heiligen Geist, und der Mensch wird fähig, im Sinne der Weiterentwicklung das Richtige, Schöne und Gute zu schaffen...

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Das ist wiederum solch ein Aspekt der christlichen Esoterik. Es hängt die christliche Esoterik zusammen mit dem tiefsten Gedanken, den wir haben können von aller Entwicklung, mit dem Gedanken der Schöpfung aus dem Nichts... Der Mensch ist selber imstande, sich einzufügen diese Schöpfung aus dem Nichts. Der Mensch wird aber erst dadurch dazu imstande, dass er sich zu dieser Freiheit des Selbstschaffens durch die freieste Tat, die sein Vorbild werden kann, hinauferhebt. Was ist die freieste Tat? Die freieste Tat ist diese, dass das schöpferische weise Wort unseres Sonnensystems selber in sich beschlossen hat, in einen menschlichen Leib hineinzugehen und an der Erdenentwicklung teilzunehmen durch eine Tat, die in keinem vorhergehenden Karma lag. Als der Christus beschloss, in einen Menschenleib zu gehen, wurde er nicht durch ein vorhergehendes Karma gezwungen, sondern er tat es als eine freie Tat, die lediglich begründet war in der Vorschau zur künftigen Menschheitsentwickelung, die aber vorher noch nie dagewesen war, die zuerst in ihm entstand als ein Gedanke aus dem Nichts heraus, aus der Vorschau. Es ist ein schwerer Gedanke, aber die christliche Esoterik wird das niemals außer Acht lassen, und alles beruht darauf, dass man den Gedanken der „Schöpfung aus dem Nichts“ zu Evolution und Involution hinzuzufügen vermag. [27, S. 269] Wir glauben nunmehr die Grundlagen so weit uns erarbeitet zu haben, dass uns daraus das Wesen und die Aufgabe des Christentums in der Ära des Heiligen Geistes, in die wir seit dem 20. Jahrhundert eingetreten sind, entgegenspringen. Es ist das Christentum der Zukunft, zu dem uns das Johannesevangelium und die Offenbarung Johannis ein Führer sein können. Als wesentliche Merkmale können wir bezeichnen den „freien Menschen“, der sich im Geiste erkennt im Sinn des Leitmotivs des johanneïschen Christentums: „Ihr werdet die Wahrheit machen.“ (Joh. 8,32)

erkennen

und

die

Wahrheit

wird

euch

frei

Dieser Mensch aber kann sich durch die in ihm wieder- und neugeborene Erkenntnis aufschwingen zu seinem geistigen Wesenskern – seiner ewigen Individualität –, und von diesem Licht Vergangenheit und Zukunft, seine Evolution durch die wiederholten Erdenleben, überblicken. Was wird in diesem Lichte sich als seine dringlichste Aufgabe ergeben? – Sein Karma in Ordnung zu bringen! Je tiefer er den Gedanken der wiederholten Erdenleben zu erfassen vermag – nicht in buddhistischem Sinne, mit dem einzigen Ziele der persönlichen Befreiung und Erlösung. sondern im christlichen, das heißt aber: im menschheitlichen Sinne – umso mehr wird er sich als Glied der ganzen Menschheit mitverantwortlich fühlen für das Menschheitskarma. Wir versuchten, die großen Züge dieses Menschheitsschicksals zu skizzieren, vom Ausgangspunkt der Erdenentwicklung, dem „Sündenfall“, bis zum Erdenende, dem „Jüngsten Gericht“. In diese beiden Marksteine der Menschheitsentwicklung sah sich der Mensch eingespannt, bevor der Materialismus diese Grundpfeiler des traditionellen Weltbildes zerriss und beseitigte. Peter Bamm hat das Wort geprägt:

Die Bibel verkündet, dass der Mensch zwischen der Schöpfung und dem Jüngsten Gerichte steht. Der Glaube an diese Verkündigung ist fast zweitausend Jahre lang der Trost der Welt gewesen. Die Wissenschaft verkündet, dass der Mensch zwischen dem Affen und der Atombombe steht. Der Glaube an die Verkündigung ist die Verzweiflung unserer Zeit. [7] Bevor wir zum Schluss auf die persönlichen Schulden unseres Karmas und die Frage zu sprechen kommen, in welchem Verhältnis der Christus zu unserem persönlichen 326

Schuldkonto steht, sei nochmals eingegangen auf das Menschheitskarma, um dessentwillen der Christusgeist sich der Menschheit zugewandt und mit ihr verbunden hat. Denn nur dadurch, dass ein außerirdisches Gotteswesen sich mit der Menschheit verband und als Mensch durch die Pforten des Todes schritt, konnte der Bannkreis des Todes durchbrochen und Ahriman, als Herr des Todes, soweit in Schach gehalten werden, dass der Mensch sein finsteres Reich unbeschadet für seine geistige Existenz betreten und mit dem Christus-licht durchleuchten kann – so wie die mittelalterlichen Rosenkreuzer sagten: In Christo morimur!: „In den Christus sterben wir hinein!“ In der sogenannten Höllenfahrt des Christus 260 ist hingewiesen auf die Durchleuchtung des Hades durch das Christuslicht nach dem Tod auf Golgatha. Kann der Mensch diesen Götterkampf, den der Christus gegen Ahriman in der Überwindung des Todes durchmachte, teilen? Das ist der eigentliche Kernpunkt des esoterischen Christentums, den wir bereits mit dem Worte Rudolf Steiners zitierten, das uns zu einem meditativen Leitmotiv werden kann:

Es ist der wichtigste Punkt der irdischen Menschheitsentwicklung da, wo der Mensch erkennen lernt, dass in dem Christus-Impuls eine Kraft lebt, durch die er selbst, wenn er sich mit ihr verbindet, den Tod in sich überwinden kann. [57] Dadurch stellen wir den geistigen Schwerpunkt der Menschheitsentwicklung in unser Bewusstsein.

Was sich auf Golgatha vollzogen hat, ist der Abglanz von überirdischen Ereignissen, von einem Verhältnis, das sich abspielte zwischen den Götterwelten, die mit Saturn, Sonne und Mond zusammenhängen und mit der bisherigen Erde, und Ahriman. Dass man auf das Kreuz von Golgatha nicht bloß so hinschauen kann, als ob damit etwas Irdisches zum Ausdruck käme, sondern dass das Kreuz von Golgatha eine Bedeutung hat für den ganzen Kosmos, das war das, was Inhalt des esoterischen Christentums war. [ebd.] Erst heute, nachdem die Menschheit in die Region des Geistes, das dritte Weltenzeitalter, eingetreten ist, beginnt sich das Mysterium von Golgatha, als ein „Götterkampf“ für die Menschheit zu erfüllen. Dies wird durch ein bedeutsames Ereignis signalisiert, das die endgültige Scheidung der Geister ankündigt. Und damit beginnt eben das sogenannte Jüngste Gericht. Wenden wir uns noch einmal zu unserem Ausgangspunkt zurück, dem ätherischen Christusereignis: (Vgl. Kapitel 3) ... Und zwar lehrt uns die okkulte, hellseherische Forschung, dass in unserem Zeitalter das Wichtige eintritt, dass der Christus der Herr des Karmas für die Menschheitsentwickelung wird. Und dies ist der Beginn für dasjenige, was wir auch in den Evangelien finden, mit den Worten angedeutet: Er werde wiederkommen 'zu scheiden' – oder die Krise herbeizuführen für die Lebendigen und die Toten!

Nur ist im Sinne der okkulten Forschung dieses Ereignis nicht so zu verstehen, als ob es ein einmaliges Ereignis wäre, sondern es hängt mit der ganzen zukünftigen Entwickelung der Menschheit zusammen, Und während das Christentum und die christliche Entwickelung bisher eine Art von Vorbereitung bedeutet, tritt jetzt das Bedeutsame ein, dass der Christus der Herr des Karma wird, dass ihm es obliegen wird in der Zukunft zu bestimmen, welches unser karmisches Konto ist, wie unser Soll und Haben im Leben sich zueinander verhält. [15] 260

Im apokryphen Nikodemusevangelium beschrieben

327

Wir möchten nochmals unsere Leser darauf hinweisen, dass dies von Rudolf Steiner oft erwähnte Ereignis des „ätherischen Christus“ hier ausdrücklich mit dem Beginn der auch in den synoptischen Evangelien geschilderten Scheidung der Geister, als des Jüngsten Gerichtes in Zusammenhang gebracht wird. Wir sahen am Ausgangspunkt unserer Betrachtung, dass es von unserer Einstellung zu unseren Schulden abhängt, wieweit uns vergeben werden kann, wie aus der Szene am Kreuz gegenüber den beiden Schächern hervorgeht. Dem in eine luziferische Versuchung gefallenen Verbrecher kann der Christus vergeben, dem ahrimanisch-verhärteten Verbrecher nicht, da er sich verschließt und höhnend abwendet. Wird aber deshalb dem ersteren seine Schuld vergeben, sodass er in seinem Karma sie nicht auszugleichen hat? – Diese Frage beantwortet das Johannesevangelium in der Begegnung mit der Ehebrecherin im 8. Kapitel, wenn wir seine symbolische Sprache richtig verstehen.

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Bild 12: Albrecht Dürer, Der Jubel im Himmel, 1498

„Lasset uns freuen und fröhlich sein und ihm die Ehre geben, denn die Hochzeit des Lammes ist gekommen und seine Braut hat sich bereitet.“ (Off. 19,6)

329

19. Die Heiligung des Denkens Aus welchen Kräften können wir uns ein Boot bauen, das uns trägt durch die Wogen der apokalyptischen Stürme?

Luzifer-Kräfte und Ahriman-Kräfte durchwalten die Welt, und der Mensch muss durch sein Christusbewusstsein werden wie ein Wesen, das wie in einem Boote sitzt, das zwar immer in den Stürmen, die Luzifer und Ahriman erregen, schaukeln muss, das aber seinen Weg findet durch das Meer, dessen lebendige Substanz aus Luzifer und Ahriman besteht, durch das aber der Mensch sein Christusboot dennoch hindurchtreibt. [91, S. 296] Mit diesem Bild ist uns eine Aufgabe gestellt. Es ist die Aufgabe, eine neue Arche Noah zu bauen, die uns über die sturmbewegten Wogen des Weltmeeres trägt. Eine Tugend ist vor allem dazu als Grundbedingung erforderlich. Das ist seelischer Mut, der der Furchtlosigkeit entspringt. Nichts in der Welt kann den Menschen sonst unglücklich machen, sagt Schiller, als bloß und allein die Furcht. Das Übel, was uns trift, ist selten oder nie so schlimm als das, welches wir befürchten! – Und Rudolf Steiner verdanken wir das Wort, das uns die Kraft gibt, unser Schiff mit Gleichmut und Gelassenheit durch die aufgewühlten Wogen des apokalyptischen Ozeans hindurchzuführen:

Wir müssen mit der Wurzel aus der Seele ausrotten Furcht und Grauen vor dem, was aus der Zukunft herandringt an den Menschen. Gelassenheit in Bezug auf alle Gefühle und Empfindungen gegenüber der Zukunft muss sich der Mensch aneignen, mit absolutem Gleichmut entgegensehen allem, was da kommen mag und nur denken, das, was auch kommen mag, uns durch die weisheitsvolle Weltenführung zukommt. [92, S. 283] Um sich nicht zu verlieren in dem uns umbrandenden Strudel der schicksalhaften Ereignisse, deren Bilder uns aus der Offenbarung Johannis in Drangsal und Fülle entgegenkommen und die noch im Schoße der Zukunft liegen, braucht der Mensch in der Gegenwart und Zukunft einen geistigen Plan, der ihm die Orientierung für sein Leben gibt. Dieser Plan spricht aus den bewegten Imaginationen der Apokalypse; aber wir müssen diesen Weltenbildern erst wieder lesen lernen, um sie zu verstehen. Zeichnen wir uns zu diesem Zweck noch einmal den Grundriss des göttlichen Weltenplanes auf, wie er sich bis zu seiner Hälfte bereits in der Menschheitsevolution erfüllt hat. Wir erfassen dies große Weltendrama am besten in seinen kosmischen Stufen der vom Geistigen hinabführenden Inkarnationslinie, die in der vierten kosmischen Stufe, der Erdenentwicklung, ihren tiefsten Punkt erreicht hat, von wo die aufsteigende Linie der Exkarnation einsetzt, welche die Menschheit wieder zum Geiste hinaufführt. Das Mysterium von Golgatha bildet den Mittelpunkt nicht nur der Erdenentwicklung, sondern auch des gesamten Weltendramas. Für die Menschheitsentwicklung auf Erden heißt das große Losungs- und Leitmotiv der gegenwärtigen apokalyptischen Entscheidung:

Michael geht die Wege wieder aufwärts, welche die Menschheit abwärts auf den Stufen der Geistentwicklung bis zur Intelligenzbetätigung gegangen ist. Nur wird Michael den Willen aufwärts die Bahnen führen, welche die Weisheit bis zu ihrer letzten Stufe, der Intelligenz, abwärts gegangen ist. [38, Nr. 106] 330

Diese Entwicklungslinie hat die kosmische Weltentwicklung von dem Saturn an eingeschlagen; ihren dramatischen Tief- und Wendepunkt macht sie auf der Erde durch. Abb. 25: Übersicht über die Weltenentwicklung

In 7 großen Entwicklungsstufen vollzieht sich die gesamte Menschheits- und Weltenentwicklung. Die Stufen werden innerhalb der Erdenevolution in kleineren „Runden“ absolviert und wiederholt in den 3 absteigenden Runden der polarischen, noch ganz im Übersinnlichen sich abspielenden Erdenentwicklung als Wiederholung der alten Saturnentwicklung, in der hyperboräischen Runde, welche die Sonnenstufe wiederholt, in der lemurischen der Mondenwiederholung, bis sie gegen Ende der Atlantis die physische Materie erreicht hat und 333 Jahre vor ihrer eigentlichen Mitte das Lichtessamenkorn zum Wiederaufstieg im Mysterium von Golgatha eingepflanzt erhält. Abb. 26: Erdperioden I Polarische Periode II Hyperboräische Periode III Lemurische Periode IV Atlantische Periode V Nachatlantische Periode VI Periode der Siegel VII Periode der Posaunen Zornesschalen

kosmisch-geistig astralisch ätherisch physisch ätherisch astralisch kosmisch-geistig

Auf Erden erblüht diese Lichtkraft in der ätherischen Erde (Siegel), womit die Verwandlung der Erde zum Jupiterzustand eingeleitet wird, in der astralischen Erde (Posaunen) und der wieder geistig werdenden Erde (Zornesschalen), womit der Vulkanzustand vorausgenommen wird. Es findet also schon auf der Erde eine Rückverwandlung statt, die sich in ihren drei Stufen der Siegel, Posaunen und Zornesschalen, dann kosmisch auf den Jupiter bis zum Vulkan vollzieht. Stets werden die großen kosmischen Entwicklungsstufen vorausgenommen in den kleineren Runden, sonst könnten sie sich kosmisch nicht vollziehen. Darin liegt das Wesen der gesamten Welt- und Menschheitsentwicklung, deren Urbilder sich bis in die physisch-materiellen Entwicklungsstufen abspiegeln. Der Abstieg der Menschheit erfolgte, wie wir sahen, auf der Bahn der göttlichen Weisheit, welche die Menschheit stufenweise entließ. Sie klingt noch nach in den altorientalischen Kulturen. Der Aufstieg muss aus der Ich-Kraft geschehen. In diesem Individuationsprozess, wie er sich in den letzten Jahrtausenden im Abendland abgespielt hat, überwiegen noch die Furcht und der Hass, welche die Grundkräfte unserer Zivilisation bilden. 331

Die Grundlage der abendländischen Kultur ist Hass und Furcht, wie diejenigen des alten Orients Weisheit und Liebe waren. – Von Luzifer kommt der Hass als Prinzip der Absonderung, und als Folge davon bewirkt Ahriman die Furcht. Das Kind beider ist die Bequemlichkeit. [?] Was als Forderung auf dem Individuationsweg, der die Menschheit wieder nach oben, zur Freiheit führt, vor uns steht, ergibt sich in anschaulicher Weise aus dem menschlichen Lebensweg, auf dem die Menschheit stufenweise in ihre Freiheit entlassen wird. Man kann dies „Entlassenwerden“ von der geistigen Weltenführung von zwei Aspekten betrachten und bewerten. Der eine Aspekt ist ein Absturz in das bodenlose Nichts – der andere ist eine Erhöhung zur Freiheit. Es kommt dabei ganz darauf an, wie sich der Mensch zu diesen Notwendigkeiten der Weltenentwicklung stellt. Das Entlassenwerden aus der geistigen Weltenführung spiegelt sich in den einzelnen Kulturen bis zur Gegenwart darin, dass in der alten indischen Kultur, der ersten nach der atlantischen Katastrophe, der Mensch noch bis in die fünfziger Jahre seines Lebens aus der leiblichen Entwicklung seelische und geistige Kräfte für seine Entwicklung empfing. Die leibliche Entwicklung trug den Menschen und ernährte ihn mit göttlichen Weisheitskräften. Der Mensch wurde im Alter durch seine natürliche Entwicklung „weise“. Daher die Ehrfurcht, die man in den orientalischen Kulturen den alten Menschen entgegenbrachte. Dadurch fühlte sich der Mensch bis ins hohe Alter hinein noch angeschlossen an die göttlichen Hierarchien, die sich ihm erst im Alter erschlossen und mit ihrer Sternenweisheit erfüllten. Wir erhalten so eine Übersicht des stufenweisen Entlassenwerdens von der göttlichen Weltenführung, die sich in den nachatlantischen Kulturperioden vollzieht. Abb. 27: Kulturperioden und geistige Führung

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Kulturepoche Urindische Kultur Urpersische Kultur Altägyptische Kultur Griechisch-Römische Kultur Gegenwärtige Kultur Slawische Kultur Endkultur

Geistige Führung bis zum ... 56. Lebensjahr 49. Lebensjahr 42. Lebensjahr 35. Lebensjahr 28. Lebensjahr 21. Lebensjahr 14. Lebensjahr

Man kann diese Evolutionslinie des schrittweisen Entlassenwerdens von der geistigen Führung und der Verbundenheit als Abstürze ins Nichts empfinden, man kann sie jedoch auch als stufenweises Erklimmen zum Gipfel der Freiheit und wahren Menschenwürde erleben. Der Mensch ist zur Freiheit bestimmt. Aber er muss diese Stufen zu seiner Freiheit und Menschenwürde selbst erklimmen. Tut er dies nicht, aus Bequemlichkeit und Trägheit, dann bleibt er auf der Entwicklungsstufe stehen, auf der die Natur ihn entlässt. Das ist gegenwärtig das 28. Lebensjahr. Die Mehrzahl der Menschen des Abendlandes verweilen auf dieser Stufe als 27-28jährige Menschen, auch wenn sie ein hohes Alter erreicht. Seelisch bleiben sie 28 Jahre – wenn sie nicht ihre seelische Entwicklung durch eigene Aktivität fortsetzen! Und dieser Rückgang wird sich steigern, wie es sich aus der absteigenden Entwicklungskurve ergibt. Wir sehen hieraus, wie der Weg zur Freiheit im Grunde genommen nur durch die Mitwirkung des Menschen sein Ziel erreichen kann. Die Götter haben ihn schrittweise entlassen. 332

Dies Entlassenwerden kann zu seinem Verderben führen, es kann ihn sein Menschheitsziel gerade auf diesem Wege erreichen lassen. Daraus ergibt sich, wie die Götter mit dem Menschen und seiner Mitarbeit gerechnet haben. Und eben auf dieser göttlichen Weisheit ist die ganze Menschheitsentwicklung aufgebaut, wie es in den Stürzen und Erhebungen der Apokalypse zum Ausdruck kommt. Diesen Plan der göttlichen Weisheit muss man sich immer wieder ins Bewusstsein heben, um den Sinn der apokalyptischen Dramatik zu durchschauen. Ja, es ist eine ungeheure Dramatik, die sich darin vollzieht. Die Gottheit hat es dem Menschen nicht leicht gemacht. Von selbst durch bloße Passivität und frommes „die Hände in den Schoß legen“ wird das Menschenziel nicht erreicht. – Je mehr es in die Zukunft geht, umso mehr kann der Mensch nur durch äußerste Willenskräfte in innerer Aktivität die Hindernisse überwinden, die in den „Sieben Bergen“ das Tier vor ihm aufgetürmt hat. Daraus kommt uns die göttliche Weisheit entgegen! – Die Apokalypse schildert diesen Plan der göttlichen Weisheit, die die Menschheit als Folge des Mysteriums von Golgatha auf den Bahnen des Willens wieder emporführen will, den die Menschheit auf den Bahnen der Weisheit bis zum tiefsten Punkt herabgestiegen ist, in drei großen apokalyptischen Bildern, den Siegeln, Posaunen und Zornes- oder Liebesschalen. Im Sinne der Initiationswissenschaft sind es die drei Stufen, die man als Imagination, Inspiration und Intuition bezeichnen kann. In diesen Begriffen sind ganze Bewusstseins- und Weltensphären beschlossen. Auch wenn wir diese kosmischen Inhalte noch nicht voll überschauen, so helfen sie uns als Erkenntnis- und Bewusstseinsleiter die Fülle und die Dramatik der apokalyptischen Bilder in ihrer inneren Beziehung zu verstehen. Die erste Stufe dieser Erkenntnis- und Bewusstseinsleiter geht vom menschlichen Denken aus. Diese Stufe entspricht der Sphäre des Geistes, der die Menschheit heute als der „Heilige Geist“ um eine Stufe höher über das bloß intellektuelle Erkennen hinausführen will. Und damit ist gegenwärtig schon die erste apokalyptische Prüfung gegeben. Es handelt sich für die Entwicklung des gegenwärtigen Menschen darum, die Hürde des intellektuellen, an das physische Gehirn gebundenen Denkens zu überwinden, das heißt es zu vergeistigen. Auf die Spiritualisierung des intellektuellen Gehirndenkens kommt es heute an. Und wir können oft an unserer nächsten Umgebung beobachten, wie es manchen Menschen fast unmöglich zu sein scheint, zum Beispiel einen Gedanken, eine Idee auf Grund seines geistigen Gehaltes rein geistig erfassen und seine ihm innewohnende Oberzeugungskraft einsehen zu können. Man sucht nach äußeren Beweisen, wie man ein äußeres naturwissenschaftliches Experiment beweist und erhärtet, anstatt den Inhalt eines Gedankens auf seine innere Wahrhaftigkeit und Substanz zu prüfen und zu erleben. Wer zum Beispiel die Wahrheit des Gedankens der eigenen geistigen Unsterblichkeit sich zu einem Wahrheitserlebnis bringen will, der muss diesen Gedanken in seiner, vom Gehirn befreiten reinen Geistigkeit erleben können. Ein solches vom physischen Leib befreites Denken bildet für viele ein großes Hindernis, da sie das seelische Erleben nicht vom physischen Leibe loslösen können. Ihr Seelensein ist zu stark abhängig von der materiellen Grundlage; deshalb sind solche Menschen meistens Materialisten, die sich nur bis in die Regionen des intellektuellen und abstrakten Denkens, in denen sie sehr gewandt sein können, zu erheben vermögen. – Die Bilder der Offenbarung Johannis können im Grunde genommen in ihrer geistigen Urbildlichkeit nur von einem vom Gehirn sich lösenden, 333

sogenannten „leibfreien Denken“ wirklich verstanden werden. Daher ist die Beschäftigung mit diesem Dokument ein Weg zur Spiritualisierung des Denkens, wie auch die Meditation es ist. Was sich so in subtiler Weise heute bemerkbar macht, ist der Beginn einer Menschheitsscheidung in solche, die den Zugang zu der ätherischen Sphäre des Denkens finden, und in solche, welchen dieser Zugang verschlossen bleibt und die daher am stofflich-materiellen Bereich in ihrem Denken haften bleiben. Diese Scheidung wirkt sich bis in die über den Menschen stehende Hierarchie der Angeloi (Engel) aus, die mit den Menschen verbunden sind.

Da spielen sich nämlich Dinge ab, welche hinaufreichen in das nächste Hierarchienreich... Nehmen wir den Fall, dass das Karma so liegt, dass irgendeine Persönlichkeit nun im allereminentesten Sinne von anthroposophischen Impulsen ergriffen wird, mit Herz und Sinn, ich möchte sagen, mit Geist und Seele ergriffen wird. Dann, ja dann ist etwas notwendig, was ausgesprochen sonderbar klingt, aber es ist notwendig: Dann muss sein Engel etwas lernen. Und das, sehen Sie, das ist etwas ungeheuer Bedeutsames. Das Anthroposophenschicksal, das sich abspielt zwischen Anthroposophen und Nichtanthroposophen, das wirft seine Wellen hinein in die Welt der Angeloi. Das führt zu einer Scheidung der Geister in der Welt der Angeloi. Der Angelos, der den Anthroposophen begleitet zu den nächsten Inkarnationen, er lernt tiefer noch sich hineinfinden in die geistigen Reiche, als er das früher konnte. Und der Angelos, der dem anderen angehört, der gar nicht hinein kann, sinkt herunter. Und es zeigt sich zuerst an dem Schicksal der Angeloi, wie die große Scheidung geschieht. Es ist jetzt so..., dass aus einem verhältnismäßig einheitlichen Reich der Angeloi ein zweigeteiltes Reich der Angeloi entsteht, ein Reich der Angeloi mit einem Zug hinauf in höhere Welten und mit einem Zug hinunter in tiefere Welten. Während sich hier auf der Erde die Bildung der MichaelGemeinschaft vollzieht, können wir schauen über dem, was sich hier als MichaelGemeinschaft vollzieht, aufsteigende Angeloi, absteigende Angeloi. [35, S. 143] Hier öffnet sich uns ein Einblick in jene apokalyptische Scheidung, die von der Erde aus nach Maßgabe des Verhaltens der Menschen zu der im Denken sich vollziehenden übersinnlichen Michael-Offenbarung bis in das Reich der Engel auswirkt! Und das ist das Reich des „Heiligen Geistes“, dessen Boten und Vertreter die Engel der dritten Hierarchie sind. Was sich heute mit dem Eintritt der Michaelherrschaft als Scheidung der Geister im Denken vollzieht, das wird seine Wirkungen als immer tiefere Schicksalsfurchen bis in die physisch-materiellen Ereignisse der nächsten Zeiten ziehen. Denn dieser Michael-Impuls, der heute ins Erdengeschehen eingetreten ist, er wird einerseits zur Heranbildung einer zukünftigen Menschenrasse führen, die nicht aus den Bluts- und Generationskräften erzeugt ist, sondern aus den spirituellen Menschheitskräften der Michaelsmacht. Und demgegenüber werden die immer stärker in die ahrimanische Intellektualität sinkenden Menschen stehen, welche in Zukunft die Rasse des Bösen konstituieren.

Man wird es heute für bedeutsam halten, wenn man einem ansieht, er ist ein Türke, er ist ein Russe usw. – Bei denen, die heute mit wirklich innerer Seelenkraft, mit Herzensimpulsivität Anthroposophie aufnehmen als ihre tiefste Lebenskraft, werden solche Unterscheidungen, wenn sie wiederum zur Erde heruntersteigen, keinen Sinn mehr haben. Man wird fragen: „Wo ist denn der her?“ Der ist nicht von einem Volke, der ist nicht von einer Rasse, der ist, wie wenn er aus allen Rassen und Völkern herausgewachsen wäre. Das Geistige bereitet sich vor, zum ersten Male rassenbildend zu werden. Und die Zeit wird kommen, wo man nicht mehr wird sagen 334

können: „Der Mensch schaut so aus, also gehört er dorthin, er ist ein Türke oder Araber oder ein Engländer oder ein Russe oder ein Deutscher“; sondern man wird sagen müssen, entsprechend dem: „Der Mensch war in einem früheren Erdenleben dazu gedrängt, sich nach dem Geistigen im michaelischen Sinne zu wenden“. Sodass also unmittelbar physisch-schöpferisch, physisch-gestaltend dasjenige auftritt, was von Michael beeinflusst ist. [ebd.] So können wir für die erste Stufe des Geistes, die im Denken zuerst zu einer apokalyptischen Scheidung der Geister führt, als positive Heilkraft, welche uns über die stürmisch bewegten Wogen des heranbrandenden Zeitgeschehens trägt, die Erlangung der Imagination im leibfreien Denken setzen. Was sich heute keimhaft vorbereitet, wird in der Stufe der Siegel zur allgemeinen Scheidung der Geister und der Herausgliederung der zwei Menschenrassen führen, die sich als die Rasse des Guten und des Bösen gegenüberstehen. Dies wird dann schon in der 6. Kultur zu einer apokalyptischen Trennung der slawischen Kulturströmung führen: In eine Strömung, die in der östlich-russischen Seele als „Sophia“ verehrt wird, als durchchristete Volksseele, und in eine solche, die in der Apokalypse mit dem Namen „Gog und Magog“ bezeichnet wird. Wir haben es hier mit den ahrimanischen Kräften einer antichristlichen Gruppenseele zu tun, wie sie sich auch in anderen Ländern und Völkern heranbildet. Das Entscheidende dieser ersten Stufe bildet die Urteilskraft im Denken, die imstande ist, sich auf Grund einer geistfähigen Erkenntniskraft für das geistig Wahre gegenüber den illusorischen Verblendungsmanövern der luziferisch-ahrimanischen Widersachermächte zu entscheiden! Wir müssen uns zum tieferen Verständnis der übereinander gelagerten, sich aber durchdringenden Bildschleier der Apokalypse zu der Erkenntnisschau durchringen, dass diese Bildschleier mit dem Licht der Inspiration und Intuition durchleuchtet und gelesen werden können, sodass sie auf verschiedene Seins-Ebenen Bezug haben und auch tatsächlich sich auf verschiedenen Ebenen verwirklichen. Die erste Ebene ist für die Stufe der sieben Siegel das Denken. Hier vollzieht sich zunächst, für das äußere Geschehen und Sinnesanschauung ganz unwahrnehmbar, die geistig-innerliche Entscheidung auf Grund der für jeden Einzelnen erreichbaren Urteilskraft, so wie wir es mit Bezug auf das Karma im Verhältnis zur Michaeloffenbarung im 20. Jahrhundert und der mit dieser verbundenen Michaelgemeinschaft dargestellt haben. Was sich in diesem Licht heute abspielt, das bildet die karmische Grundlage für die in den kommenden Inkarnationen sich vollziehenden neuen karmischen Ordnung. Es bildet sich heute schon eine neue karmische Gemeinschaft der zu Michael gehörenden Menschen, welche die Basis einer neuen Menschenrasse bildet, die nicht mehr aus den Bluts- und gabrielischen Generationskräften ihr physisches Gepräge und ihre leiblich-bedingte Konstitution empfängt, sondern den rein geistigen Michaelkräften ihr Dasein verdankt, sodass die Angehörigen dieser Zukunftsrasse wie aus dem Extrakt der ganzen Menschheit herausgeboren erscheinen. Hierbei erfüllt sich das karmische Gesetz, das bisher für den einzelnen Menschen galt, in der ganzen Menschheitsentwicklung: Das rein innerliche Seelengeschehen des einen Erdenlebens verwirklicht sich in der äußeren materiellen Existenz des nächsten Erdenlebens, nachdem die Kraft zu dieser physischen Verdinglichung aus dem Sonnenbereich zwischen dem Tode und der neuen Geburt als „Siegel Christi“ empfangen worden ist. Was in dieser Art auf der zweiten Stufe physische Prägung bis ins Leibliche hinein erlangt hat, führt auf der dritten Stufe zu der großen Menschheitsentscheidung, die in den Stufen der Sieben Siegel beschrieben wird: in diejenigen, welche bei der Rückkehr des Mondes die 335

Fähigkeit sich erworben haben, leibfrei, ohne das physische Gehirn, ein denkerisches Bewusstsein zu entfalten, und in diejenigen, welche zu diesem leibfreien Bewusstsein sich nicht hindurchringen und erheben können und die sich daher mit den materiellen Kräften, die immer mehr in die Dekadenz geraten, sich zu verbinden trachten. Wir haben das Bild der „ahrimanischen Spinnen“, die der imaginative Ausdruck für dies dann sichtbar werdende intellektuelle Gespinst sind, bereits beschrieben, in das diese Seelen sich verstricken.261 An diesem Beispiel wird ersichtlich, wie stufenweise die apokalyptische Entscheidung vor sich geht und von der rein geistigen Ebene im Denken das Fühlen ergreift und sich im Wollen bis ins Physisch-Materielle auswirkt. Bei der Enthüllung der Siegel, wo die Schleier vor dem Ergebnis der Menschheitsentwicklung fallen, erscheinen die Seelen, die das Ziel erreicht haben, in weißen Kleidern, während die dem Abgrund verfallenden Seelen in tierähnlichen Gestalten erscheinen.

Warum gibt uns die Enthüllung der ersten vier Siegel ein so trostloses Bild? Weil da herauskommen diejenigen Menschen, die stehen bleiben wollen bei diesen vier vorbereitenden Kulturen, in denen die alte Form des Luzifer drinnen ist. Daher wird uns gezeigt durch die Enthüllung der Siegel, wie sie auch die Gestalt bekommen, die sie sich erworben haben. Sie haben verschlafen das Ereignis des Christus-Jesus; sie werden wiedergeboren in den Gestalten, die ihnen gegeben werden können ohne den Einfluss des Christusprinzips. Daher erscheint wieder dasjenige, was die bloße Intelligenz, den bloßen Verstand anzeigt: viermal hintereinander erscheint das Pferd! Es erscheint die alte Gestalt des Menschen, die er dadurch bekommen hat, dass er die Pferdenatur angenommen hat. Diese Gestalt erscheint bei der Entsiegelung der Siegel. Und in dem Augenblick, wo das fünfte Siegel entsiegelt wird, worauf werden wir da aufmerksam gemacht? Auf diejenigen, die im vorhergehenden Zeitraum haben erfassen gelernt das Ereignis des Christus-Jesus. Sie sind mit weißen Kleidern angetan, sie sind diejenigen, die aufbewahrt werden für die Vergeistigung der Welt. So ist es die Verbindung mit dem Christus-Jesus-Prinzip, welche die Menschen dahin bringt, diese weißen Kleider anzuhaben, zu erscheinen, wenn das fünfte Siegel gelöst wird. Da sehen wir, wie uns klar und deutlich angedeutet wird, dass in diesem Zeitpunkt, wo der Christus-Jesus erscheint, eine wichtige Epoche der Menschheit ist, jene Epoche, die da bewirkt, dass nach dem Kriege aller gegen alle die vier Zeiträume wieder erscheinen, wo diejenigen, die zurückgeblieben sind, geplagt werden von der Materialität, die mit der Entwicklung mitgegangen ist, und an die sie sich gefesselt haben; wo sie geplagt werden von all den Übeln und Qualen der verhärteten, in sich vergröberten Materialität. Und alles, was uns beschrieben wird bei der Enthüllung der Siegel, stellt nichts anderes dar als das Hineingehen in den Abgrund. Während wir im fünften Zeitraum nur kurz hingewiesen werden auf diejenigen, die auserwählt sind, werden uns im übrigen alle jene gezeigt, die in der Materialität bleiben, die in den Abgrund hineingehen, die jene Gestalten, die vorher waren, annehmen, weil sie nicht mitgekommen sind, weil sie nicht die Kraft in sich aufgenommen haben, diese Gestalten umzuwandeln. Sie können sich ein Bild davon machen: Denken Sie sich heute alle Ihre Menschengestalten aus Kautschuk und innerhalb dieser Kautschukleiber Ihre innere Seelenkraft, die diesen Kautschukleibern Ihre Menschengestalt gibt; denken Sie sich, wir nehmen die Seelenkraft heraus – da würden die Kautschukleiber zusammenschrumpfen; Tiergestalten würden die 261

Vgl. Zitat auf Seite 61.

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Menschen erhalten. In dem Augenblicke, wo Sie die Seele herausziehen aus dem Menschen-Kautschukleibe, da würde der Mensch Ihnen die Tiergestalt zeigen. Was der Mensch sich errungen hat, ist wie etwas, was er durch seine eigene Kraft heute hervorbringt. Wenn Sie das, was er früher im astralischen Leibe erzeugt hat, betrachten könnten, dann würden Sie sehen, wie diese Tierähnlichkeit vorhanden ist. Es ist wirklich etwas wie solch eine innerliche Kraft, die dem Kautschukmenschen die heutige Gestalt gibt. Denken Sie sich die Kraft entfernt, denken Sie sich den Menschen nicht befruchtet von der Christus-Kraft..., und der Mensch zuckt zurück in die Tiergestalt. So wird es solchen ergehen, die zurückfallen: die werden nachher eine Welt bilden, die sozusagen unter der heutigen Welt liegt, eine Welt des Abgrundes, wo der Mensch wiederum Tiergestalt angenommen haben wird. [8, S. 149 ff.] In dem Bilderschleier der einzelnen apokalyptischen Stufen heben sich ganz bestimmte Marksteine ab, in denen sich Zahlengeheimnisse aussprechen. Durchleuchtet man die einzelnen Entwicklungsstufen der Sendschreiben, der Siegel, Posaunen und Zornesschalen, sodass sie für den geistigen Blick transparent werden, dann sieht man die Korrespondenz in die Entsprechung der einzelnen Stufen, die sich besonders in dem korrespondierenden Zahlengeheimnis manifestiert. Die Fünfzahl ist die Zahl der Entscheidung, die zugleich die Zahl des Menschen ist (Pentagramm). Es ist nicht nur ein Zufall, dass die USA sowie die Sowjetunion beide den Fünfstern in ihren Wappen trugen (Pentagon!). Daher strahlt das Licht der oberen Entwicklungsstufen in die niederen schon hinein: was sich bis ins Physisch-Materielle der Siegelstufen in der 5. Stufe erfüllt, das bereitet sich heute in der 5. nachatlantischen Kultur schon vor. Daher taucht das Bild der mit weißen Gewändern bekleideten Menschen schon im 5. Sendschreiben auf. So durchdringen sich die einzelnen übereinander gelagerten Entwicklungsstufen, die sich nicht nur in einer zeitlichen Distanz abspielen, sondern Tore bilden für das Hereinstrahlen der geistigen Potenzen aus der übersinnlichen Sphäre, wie es aus dem 5. Sendschreiben hervorgeht.

Das 5. Sendschreiben Und an den Engel der Gemeinde zu Sardes schreibe: „Es spricht zu euch der, welcher Macht hat über die sieben göttlichen Schöpfergeister und die sieben Sterne. Ich durchschaue dein Tun. Du hast den Namen eines lebendigen Wesens. Und dennoch bist du tot. Strebe nach einem geistigen Erwachen und erkrafte, was in deiner Seele noch lebendig ist, damit es nicht auch noch erstirbt. Ich kann dir nicht bestätigen, dass dein Tun vor dem göttlichen Angesichte volle Wirklichkeit besitzt. Belebe in dir die Erinnerung an alles, was du aus den geistigen Welten empfangen und gehört hast; pflege es in dir und wandle deinen Sinn. Wenn du nicht zu einem höheren Bewusstsein erwachst, so werde ich wie ein Dieb kommen. Du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über die komme. Einige wenige Namen hast du jedoch in Sardes, die ihre Gewänder von Flecken und Trübungen rein erhalten haben. In weißen Gewändern werden sie meine Pfade gehen. Dessen sind wir würdig. Wer die Prüfung besteht, soll gleicherweise mit weißen Gewändern bekleidet werden, und ich werde seinen Namen nicht auslöschen aus dem Buche des Lebens. Ich will mich zu seinem Namen bekennen vor dem Angesichte meines Vaters und vor seinen Engeln. – Wer Ohren hat, der höre, was der Geist zu den Gemeinden spricht.“ (Off. 3, 16) Eine Steigerung in der dramatischen Enthüllung der Zahl fünf kann von einer Entwicklungsstufe zur anderen beobachtet werden: Das anfängliche Bildgeschehen in den 337

ersten beiden Stufen der Sendschreiben und Siegel wandelt sich in der Posaunenstufe zur Tat, die aus den kosmischen Sternenwelten bis in die physische Welt eingreift und den Brunnen des Abgrundes öffnet, aus dem der Rauch mit den dämonischen Scharen des Bösen emporsteigt, der alles verfinstert: Und der fünfte Engel posaunte: Da sah ich einen Stern, der vom Himmel auf die Erde niederstürzte. Ihm war der Schlüssel zum Brunnen des Abgrundes gegeben. Und er schloss den Brunnen des Abgrundes auf. Da stieg Rauch aus dem Brunnen empor, als wäre es der Rauch eines mächtigen Ofens, sodass die Sonne verfinstert wurde und dazu die ganze Atmosphäre: durch den Rauch aus dem Abgrund. Und aus dem Rauch stiegen Heuschreckenschwärme hervor, die das ganze Erdreich überzogen. Ihnen war eine ähnliche Macht gegeben, wie sie auf Erden die Skorpione haben. Und eine Stimme sprach zu ihnen: Sie sollten das Gras der Erde nicht beschädigen, alles Grünende und alle Bäume sollten sie verschonen. Nur gegen die Menschen, die nicht an ihrer Stirne das Gottessiegel trügen, sollten sie sich wenden, um sie fünf Monate zu peinigen. Die Qualen, die sie bereiteten, waren wie der Schmerz, den der Skorpion hervorruft, wenn er den Menschen sticht. In jenen Tagen werden die Menschen sich nach dem Tod sehnen, aber ihn nicht finden können, sie werden den Wunsch haben, zu sterben, aber der Tod wird vor ihnen fliehen. (Off. 9, 16) Wo aber sind hier die Menschen „in weißen Kleidern“? Sie fehlen sowohl beim 5. Posaunenklang wie bei der 5. Zornesschale. Die Entscheidung ist beim 5. Siegel bereits gefallen. Jedenfalls die Entscheidung, welche die Scheidung bewirkt: In die sich in die Zukunft entwickelnde Menschheit und in den zurückbleibenden retardierenden Teil, der nach der 7. Posaune auf einem Nebenplaneten der Erde seiner Entwicklung entgegengeht. Wir wiesen bereits darauf hin, dass auch dann noch die Möglichkeit besteht, diese Seelen zum Guten zu wenden und wie hierin das manichäische Prinzip sich erfüllt, durch ein am Widerstand mit dem Bösen erstarktes Gutes das Böse zu überwinden. Das Gute würde nicht ein so großes Gutes sein, wenn es nicht so stark würde durch die Überwindung des Bösen. Die Liebe würde keine so intensive sein, wenn sie nicht eine so große Liebe werden müsste, um selbst das Hässliche im Antlitz der bösen Menschen zu überwinden. Das wird schon vorher (durch den Manichäismus) vorbereitet, und den Schülern wird gesagt: Also dürft ihr nicht glauben, dass das Böse nicht im Schöpferplan begründet sei. Es ist darinnen, dass durch es einmal das große Gute sei! [8, 8. Vortrag]

So wird das Ringen um das Gute im Sinne des Manichäer-Prinzips den Rest der Erdenentwicklung erfüllen. Unser Jahrhundert hat den Brunnen des Abgrunds geöffnet. Auch hier zeigt sich, wie das, was in der Posaunen-Stufe über die Menschheit in der astralischen Ebene hereinbricht, schon heute in seinen Auswirkungen sich bemerkbar macht: der Brunnen des Abgrundes hat sich geöffnet; das Tier ist 1933, wie es Rudolf Steiner vorausgesagt hat, aus dem Abgrund hervorgebrochen und hat seine vernichtenden Kräfte in seiner untermenschlichen Größe und Gewalt gezeigt! Wir können die Augen nicht davor verschließen, dass die Entwicklung sich seither beschleunigt hat und dass wir mit rasanter Geschwindigkeit in die Abgründe des untermenschlichen Seins hinabgesegelt sind. Gibt es keine Rettung mehr für die menschliche Zivilisation auf Erden? – Wenn die Fünfzahl den Brunnen der Tiefe öffnet und die gesamte Menschheitsentwicklung hinabzureißen droht, wie wir es gegenwärtig in der 5. nachatlantischen Kultur erleben, so tritt inmitten der dämonischen Gespensterstürme plötzlich der Erzengel der Sonne auf den Weltenplan, wie es beim Klang der 6. Posaune im 10. Kapitel geschieht. Er öffnet das Tor zur Initiation und reicht dem Seher das Büchlein, um es der Menschheit zum 338

Schwellenübergang zu geben, damit sie durch seine starke Kraft das rettende Ufer erreicht, damit sich „das Mysterium der Gottheit“ erfülle. Und der Engel, den ich sah, wie er zugleich auf dem Meere und auf dem Lande stand, erhob seine rechte Hand zum Himmel und schwor im Namen dessen, der das Leben der Welt durch alle Äonen trägt..., dass die Zeit noch nicht da sei, dass sie aber kommen werde in den Tagen, da der siebente Engel seine Stimme erhebt und seine Posaune erschallen lässt. Dann soll sich das Mysterium der Gottheit erfüllen, wie es die Diener Gottes, die Propheten, verkündigt haben. (Off. 10, 57) Wir sahen, dass die Schattenrisse dieser apokalyptischen Entscheidungen schon heute gegen das Ende des 20. Jahrhunderts in das Zeitgeschehen hereinfallen, und wir wollen versuchen, die Schriftzeichen in ihrer übersinnlichen Bedeutung zu entziffern, um die Heilkräfte zu finden, die uns der Erzengel der Sonne mit seinem Büchlein gibt! – Das Grundphänomen, das sich im Zeitalter der Siegel enthüllt und das sich gegenwärtig in allen Erscheinungen unserer technischen Zivilisation immer deutlicher zu offenbaren beginnt, kann mit einem Begriff umrissen werden. Es ist: die Entichung des Menschen. Das Denken wird nicht nur durch ein automatenhaftes Denken zu einer automatenhaften Computer-Tätigkeit degradiert und enticht, sodass es ein willenloses Werkzeug in der Hand Ahrimans wird – der Mensch selber wird durch dieses automatenhafte Denken in den Bannkreis der seelenlosen ahrimanischen Macht hineingezogen, sodass wir ihn nur dann richtig erkennen, wenn wir ihn als Menschen ohne Ich erfassen. Der Computer wird dadurch immer mehr das ahrimanische Gespenst der heutigen intellektuellen seelenlosen Menschheit! – Der Mensch – ohne Ich! Einer oberflächlichen Betrachtung scheint ein solches Urteil die egoistische Brutalität und Willkür, mit der der Mensch sich heute durchsetzt, zu widerlegen. Man verwechselt dabei jedoch brutale Willensmacht, die sich gegen alle Widerstände durchsetzt, mit der vom Geist geleiteten und seelisch erfüllten Ich-Kraft. Es zeigt sich immer wieder, dass rücksichtslose Menschen, die im Erdenleben große Erfolge zu verzeichnen haben, ich-schwache Naturen sind, die bei entscheidenden Situationen plötzlich zusammenklappen. Nicht ihr Ich ist der Leiter und Lenker ihrer Handlungen, sondern die ahrimanische Kraft, deren Suggestion sie unterworfen sind:

Das Eingreifen des ahrimanischen Geistes bedeutet für die davon betroffene Persönlichkeit eine Steigerung und Intensivierung ihres gesamten Daseins. Alte Fähigkeiten und Veranlagungen werden durch die Einwohnung so weit über dem Menschen stehender Wesen in starkem Maße erhöht. Ein solcher Mensch dürfte auf den ersten Blick nicht wie ein Kranker wirken, der er doch in einem tieferen Sinne ist. Im Gegenteil! Er wird den Eindruck machen, eine Verjüngung und Belebung erfahren zu haben. Seine Leistungsfähigkeit wird wachsen; er wird von Aktivität und Spannkraft erfüllt sein und wahrscheinlich eine überdurchschnittliche Arbeitskraft haben. Er wird von Einfällen und Ideen übersprudeln und alle Zeichen einer wirklichen Genialität an sich tragen. Dadurch kann sein Einfluss auf andere Menschen erstaunlich wachsen. Viele werden von der suggestiven Kraft seiner Rede hingerissen sein, und es wird schwer sein, sich seiner Einwirkung zu entziehen. Wie sollten einem solchen Menschen nicht die Massen nachlaufen! Denn er ist ohne Frage ein Genie, dem vieles spielend zufällt und dem die Herzen der Menschen entgegenschlagen. Er ist ein Genie von Ahrimans Gnaden. Doch würde man sich täuschen in dem Glauben, dass das, was er sagt und tut, den Stempel des absolut 339

Falschen und Unwahren, des Niederen und Bösen an sich trägt. Viele Teilwahrheiten werden in geschickter Weise die Tatsachen verdecken, dass er im Grunde ein Vertreter der Lüge ist. Ahriman ist ein Wesen von allerhöchster Klugheit und tritt nicht so plump auf, wie man sich den Teufel vorgestellt hat. Eine raffinierte Verführungskunst wird mit großer kalter Klugheit gepaart aus solchen Menschen sprechen, und es wird schwer sein, das relativ Gute und Richtige vom Bösen und Falschen, die Lüge von der Wahrheit zu unterscheiden... Solche besessenen Persönlichkeiten werden unter Umständen zuerst daran erkannt werden können, dass man eine ungewöhnliche Labilität an ihnen beobachtet. Ihre zu Zeiten unleugbare Genialität und die staunenerregende Intensität ihres ganzen Auftretens werden mit Zuständen abwechseln, in denen sie wie leer und ausgebrannt zurücksinken. Ein Hinund Herschwanken zwischen dynamischer Kraftentfaltung und dumpfer Erschöpfung, wie es in diesem Ausmaße bei gesunden Menschen nicht aufzutreten pflegt, wird bei solchen Kranken kaum ausbleiben, da sie nur von Zeit zu Zeit von ihrem übersinnlichen Inspirator überschattet werden. Aber möglicherweise könnten in Zukunft auch Fälle von Einkörperungen auftreten, bei denen dieses jähe Auf und Ab nicht so deutlich in Erscheinung tritt. [79] Wir rühren hiermit an ein Zeitphänomen, das erst ganz verständlich wird in seinen Einzelzügen auf dem Hintergrund des sogenannten „Zweiten Sündenfalles“, der den Boden für die Ich-Schwäche des modernen Menschen bildet. Das Urphänomen dieses zweiten Sündenfalles, der sich als konsequente Folge des ersten luziferischen Sündenfalles im Anbruch der neueren Zeit abgespielt hat, liegt in der unpersönlichen Anonymität der intellektuellen Zivilisation, die den Menschen in den Bann Ahrimans einschließt, sodass das Zentrum seiner Persönlichkeit immer mehr von anonymen, außermenschlichen Motiven abgedunkelt und gelenkt wird. Der erste Sündenfall band ihn an luziferische Triebfedern, denen sein Ich sich überlieferte; doch er schenkte ihm das Unterscheidungsvermögen: „Siehe, Adam ist geworden wie unsereiner. Er weiß das Gute und das Böse!“ (1. Mose 3,22) heißt es in der Genesis. – Der zweite Sündenfall des Intellekts löscht das Unterscheidungsvermögen von Gut und Böse aus. Die materialistische wissenschaftliche Weltanschauung kennt kein objektives Böses mehr – es ist alles „relativ“ geworden. Das Böse ist nur eine Folge von physisch abnormalen Entwicklungsprozessen, wodurch der Hinterhauptslappen im Gehirn nicht zur vollen Ausbildung gekommen ist. Luzifer hat dem Menschen das Licht der Erkenntnis angezündet; Ahriman blendet ihn durch das Licht seines Intellekts, aber dies Licht löscht alle geistigen Hintergründe aus und nivelliert alles zu einem relativen Weltbild, das keine moralischen Abstufungen, plastischen Tiefen und Erhöhungen mehr kennt. Alles steht in diesem Lichte gleichberechtigt nebeneinander. Es ist das Weltbild des Tieres, das den Geist auslöscht und keine selbständigen moralischen Werte mehr kennt. Es ist das Weltbild, das der Apokalyptiker mit dem Namen character bestiae bezeichnet. Der zweite Sündenfall des Intellektes löschte aber nicht nur alle geistig-moralischen Werte aus, die nur als subjektive Wertbezeichnung des Menschen gelten gelassen werden, ohne ein objektive Bedeutung in der geistigen Welt zu haben. Dieser zweite Sündenfall hat den Menschen emanzipiert in seinem Ich von seinem Denken und damit von dem Ursprung seiner Existenz. Und das ist das Verhängnis, unter dessen Folgen seine Weltanschauung und all sein Denken gegenwärtig steht, das wie ein Computer – ohne sein persönliches Engagement, ohne sein Zutun und Mitgehen – funktioniert! Dieses selbständig funktionierende, entmenschlichte Denken wird den Kindern schon in der ersten 340

Volksschulklasse beigebracht. Es ist das gepriesene Ideal eines neutralen objektiven Denkens. Es ist kein Zufall, sondern tief bedeutsam und symptomatisch, dass die künstliche Denkmaschine gerade in diesem Jahrhundert erfunden und bis in die Politik und ihre Entscheidungen über Krieg und Frieden angewendet wird. So wurde der Computer um Rat gefragt, ob der Koreakrieg nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges fortgesetzt werden sollte oder nicht. Man kann hier einwenden, dass der Computer doch von Menschen erfunden und konstruiert worden ist, um komplizierte Rechnungen durchzuführen und somit dem Menschen Zeit und Arbeit abzunehmen. Der Mensch bleibt dennoch an die spezifischen Möglichkeiten dieses Apparates, die alles in reine Zahlenbeziehungen vereinheitlichen muss, gebunden. – Darin zeigt sich gerade das Heimtückische des entseelten und vom Menschen sich emanzipierenden Intellektes: Der Mensch glaubt ihn zu beherrschen, wohingegen sich der Intellekt schon längst einer alles bezwingenden logischmathematischen Gesetzmäßigkeit unterworfen hat und ihn, den Menschen, in ihre entmenschlichte Gesetzmäßigkeit eingespannt hat und beherrscht! – Und dieser Herrschaftsbereich des modernen Intellektualismus hat heute das gesamte moderne Leben erobert: das Wirtschaftsleben, den staatlich-politischen Bereich und vor allem das eigentliche Quellgebiet und den Mutterboden, nämlich den akademisch-wissenschaftlichen Betrieb, der zu einer unumstößlichen Autorität geworden ist, von weit größerer Macht als es die Dogmen der Kirche und der Glaube an das Evangelium im „finsteren Mittelalter“ waren! – Welche Macht aber hat sich in dies seelenlose, selbständig agierende „wissenschaftliche Denken“ eingenistet, dessen höchstes Ideal gerade die kalte objektive berechnende Logik auf allen Gebieten ist, die nur das Gesetz, nicht aber den Menschen noch kennt und anerkennt? Es ist die Macht, die mit „Geistverleugnung geistig wirkt und schafft!“ Es ist die anonyme Macht, die hinter tausend Masken sich immer neu zu verbergen und zu tarnen weiß. Es ist Ahriman, der Herr des Intellekts und der Todeskräfte! Ahriman wirkt unerkannt in dem modernen Denken, das seinen geistigen Ursprung verloren hat, je mehr das Denken zum reinen Kopfdenken geworden ist und sich von den geistig-seelischen Ursprungskräften gelöst hat, die noch im Mittelalter in der Entwicklungsstufe der Verstandes- und Gemütsseele ihm innewohnten. Mit dem Erwachen der Bewusstseinsseele verlor das Denken seine Verbindung zur göttlichen Weisheit, die ihm durch die Michaelkräfte bis dahin noch zuflossen. Es wurde ein reines Kopfprodukt, ein Ergebnis des toten, von der geistigen Welt emanzipierten Intellektes, der vom Gemüt und Herzen sich getrennt hat. Dadurch ist die Welt nur noch ein totes Gerippe für diesen toten, vom Weltganzen getrennten Intellekt geworden. Und hierin zeigt sich nicht nur die Folge dieses zweiten intellektuellen Sündenfalles – es verbirgt sich ein Mysterium der ganzen Menschheitsentwicklung darin. Vom Gesichtspunkt der Götter ergab sich die Notwendigkeit, Ahriman in die kosmisch-planetarische Weltentwicklung hereinzurufen, um der menschlichen Freiheit willen. Sollte das Ziel der Weltenevolution erreicht werden, dass der Mensch kein bloßer Automat werde, der die Gebote der Götter befolgt, sollte das göttliche Ziel der Freiheit erreicht werden, so war dafür die unabdingbare Basis der tote Intellekt, durch die der Mensch sich in Freiheit entscheiden kann für das Gute oder das Böse. Denn nur durch diesen toten Intellekt, den Ahriman, der Herr des Todes, der Menschheit einpflanzen konnte, war die Basis für die menschliche Freiheit – und damit für den zweiten Sündenfall – gegeben! 341

Dies geistige Urbild hängt so innig mit der ganzen Menschheitsentwicklung zusammen, dass das apokalyptische Menschheitsdrama ohne dies Mysterium nicht verstanden werden kann. Damit die Menschheit dem Einfluss Ahrimans nicht völlig zum Opfer fiele, fand das Opfer des Christus statt.

Was sich auf Golgatha vollzogen hat, ist der Abglanz von überirdischen Ereignissen, von einem Verhältnis, das sich abspielte zwischen den Götterwelten, die mit Saturn, Sonne und Mond zusammenhängen und mit der bisherigen Erde und Ahriman. Dass man auf das Kreuz von Golgatha nicht bloß so hinschauen kann, als ob damit etwas Irdisches zum Ausdruck käme, sondern dass das Kreuz von Golgatha eine Bedeutung hat für den ganzen Kosmos, das war das, was Inhalt des esoterischen Christentums war. [57] Erst auf dem Hintergrund dieses Mysteriums können wir die Folgen dieses zweiten Sündenfalles verstehen, der schon seit dem vierten nachchristlichen Jahrhundert sich vorbereitet hat mit dem erwachenden Intellekt und den Menschen dem Tode auslieferte.

Als das Denken noch lebendig war, fürchtete der Mensch sich nicht im allergeringsten vor dem Tode. Der Tod war ja für ihn kein außergewöhnliches Ereignis. Das ist etwas außerordentlich Wichtiges in der Geschichte der Menschheitsentwicklung, dass die Menschen den Tod ganz anders genommen haben, als etwas ganz Selbstverständliches, während, als die Menschen das Bewusstsein von dem vorirdischen Dasein immer mehr und mehr verloren haben, das abstrakte Denken, das den physischen Leib zum Werkzeug hat, immer mehr die Furcht vor dem Tode brachte und den Glauben, dass der Tod etwas Abschließendes sei. Beide Tatsachen, das Herabsteigen des Christus zu Geburt und Tod und die Auferstehungstatsache, die des Sieges über den Tod, konnte der Menschheit bis in das 4. nachchristliche Jahrhundert hinein empfindungsgemäß klar sein, weil das lebendige Denken noch vorhanden war. Von dem 4. nachchristlichen Jahrhundert ab, indem immer mehr das abstrakte Denken heraufrückte, wurde die Menschheit immer unfähiger, Gedanken mit dem Inhalt des Mysteriums von Golgatha zu verbinden. Und es ist schon das Schicksal der Menschheitsentwicklung, dass in dem Zeitalter, in dem die Menschheit sich durch das abstrakte Denken ihre Freiheit errang, durch das im Verhältnis zur geistigen Welt tote Denken das Verständnis für den Christus Jesus, das ja in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten vorhanden war, verloren gehen musste. [24] Wenn wir diesen historischen Hintergrund der ganzen Menschheitsentwicklung ins Auge fassen, dann wird uns sowohl die heutige Lage des Christentums begreiflich wie auch die Durchsetzung unserer ganzen Gegenwartszivilisation mit ahrimanischem Geist. Sehr treffend charakterisiert Alfred Schütze in seinem Büchlein „Das Rätsel des Bösen“ diese Situation:

Es besteht die Gefahr, dass das Ahrimanische nicht nur als schattenhafter Begleiter und Vollstrecker einer emanzipierten Intelligenz auftritt, sondern sich der totalen Leib-Seele-Organisation einzelner Menschen unter Ausschaltung ihrer Persönlichkeit selbständig bedient. Es droht eine Überfremdung des Personenhaften, ein Zurückdrängen jener Kernkräfte der Seele, die normalerweise alle menschlichen Funktionen dirigieren und verantworten. Schon bei jeder moralischen Versuchung harmloser Art weiß man, wie ein unserem Ich fremdes Element sich hereindrängen und zu bestimmten Handlungen nötigen möchte. – In zahllosen Abstufungen und Schattierungen ist dieser Prozess bereits im Gange. In der Seelsorge, der 342

psychotherapeutischen Praxis und Kriminalistik häufen sich die Fälle, in denen Menschen aussagen, dass sie sich genötigt sahen, etwas zu tun, das gegen ihren eigenen Willen ging, dass sie nachtwandlerisch Handlungen ausführen mussten, von denen sie erst später ein volles Bewusstsein bekamen... Es scheint, dass gerade die sogenannten gebildeten Schichten besonders anfällig sind, also jene Kreise, die das Erbe des modernen Intellektualismus zu verwalten haben und somit der ahrimanischen Bewusstseinsdurchschattung im besonderen Maße ausgesetzt sind. Es ist begreiflich, dass deshalb in diesem scheinbar wohlbehüteten Milieu neben außerordentlich vielen „Nervenzusammenbrüchen“, Störungen des seelischen Gleichgewichtes, Neurosen und anderen auch die charakterisierten halbschizophrenen Zwangshandlungen auftreten. – Was früher nur als seltene Ausnahme auftrat, wird gegenwärtig zu einer schon ziemlich verbreiteten Verfallserscheinung. Hochachtbare Persönlichkeiten, die in angesehener sozialer Stellung leben und oft Hervorragendes leisten, führen im Verborgenen ein zweites Leben, das sie in mancherlei Bedenklichkeiten und moralische Tiefen führt. Die Zeitungen sind voll von solchen Fällen eines Doppellebens, das bei irgendeiner Gelegenheit ans Tageslicht kommt. Es müssen dabei nicht immer verbrecherische und sonst wie tief unmoralische Entgleisungen vorliegen. Meist handelt es sich um Unregelmäßigkeiten, die den Betreffenden keineswegs mit dem Gesetz in Konflikt bringen. Spielleidenschaft, Alkoholismus, Narkotika und Sexualität sind die Gebiete, die dabei eine Hauptrolle spielen. Das sind zwar altbekannte Versuchungen, die man an sich nicht überschätzen sollte, aber ihr Ausmaß und ihr Auftreten bei anscheinend sonst gefestigten Menschen stellt etwas Neues dar. Insbesondere stößt man gelegentlich auf kultivierte Menschen, die die Überfremdung ihres Wesens als etwas durchaus Normales betrachten und höchstens insofern entschuldigen, als sie sagen, sie brauchten von Zeit zu Zeit solche „Entspannungen“. Ungemein aufschlussreich ist die Bemerkung des wegen Atomspionage verurteilten Dr. Fuchs, wonach sein Verhalten, das freilich ein ganz anderes Gebiet betraf, eine Art „kontrollierte Schizophrenie“ darstelle. Er war offensichtlich der Meinung, dass man sozusagen „auf zwei Gleisen fahren“ könne – aber früher oder später wird der Mensch dadurch „auseinander gerissen“. [79] Die okkulte Grundlage zu all diesen Spaltungserscheinungen, die sich in den letzten Jahren besonders in jugendlichen Kreisen in der Rauschgiftsucht wie eine Besessenheit ausleben, ist der Einbruch der ahrimanischen Intellektualität, die das Ich schwächt und aushöhlt, sodass in dies Vakuum andere Mächte einbrechen. Ahriman hält den Menschen am Seil der Intellektualität in seinem Bannkreis und liefert ihn fremden menschenfeindlichen Mächten aus, die das Ich verdunkeln, schwächen und auslöschen wollen. Dies sollte allen bewusst sein, die sich um die Therapie bemühen. Es ist der Brunnen des Abgrunds, der hier sich auftut durch die Ich-Schwäche: Dabei haben wir nicht das niedere, selbstische Ego im Auge, sondern das wahre „höhere Ich“. Das kleine egoistische Ich mag sogar kräftig ausgebildet sein, und doch kann eine Ich-Schwäche vorliegen. Die Praxis des modernen Lebens rechnet überhaupt nur mit dem irdischen Ich-Abbild und fördert gerade dadurch die Schwächung der wahren Ich-Kräfte, die allein durch die Lebensbeziehung zur göttlichen Welt gespeist werden. Wird dieser Zusammenhang unterbrochen oder gestört, so sind die Vorbedingungen dafür erfüllt, dass ein fremdes Ich, sei es das eines Menschen wie bei der Hypnose und sonstiger unberechtigter Suggestion, sei es das eines übermenschlichen Wesens sich festsetzen kann.

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Das Kapitel der Ich-Schwäche ist ein außerordentlich ernstes Problem der Gegenwart und hängt mit zahlreichen Niedergangserscheinungen unserer Zivilisation zusammen. Intellektualismus und Materialismus sind die wichtigsten Schrittmacher der Ich-Schwäche; nicht zuletzt sind dabei die ungesunden Auswirkungen der Übertreibung technischer und mechanischer Einwirkungen zu nennen. Franz Werfel hat einmal auf die „Entwirklichung“ der Welt durch die Technik hingewiesen, weil sie die eine Hälfte des Daseins, nämlich die geistige, die genau so zur vollen Wirklichkeit gehört wie die materielle, verkümmern lässt. Man müsste eine ganze Pathologie der Zivilisations-Missbräuche schreiben, um die Fülle derjenigen Faktoren zu kennzeichnen, die zu einer Untergrabung des wachbewussten Ich beitragen.

Das Problem des Bösen wächst sich gegenwärtig zu einem übermoralischen aus, weil das Böse in seiner Wesenhaftigkeit selber auf den Schauplatz der menschlichen Seele gerufen wird. [80?] Das eigentliche Grundphänomen ist und bleibt der sogenannte zweite Sündenfall, durch den das Ich untergraben, verkümmert und ausgelöscht wird, sodass an seiner Stelle ein Gegen-Ich als Schein-Ich auftritt. Das gilt im kleinsten wie im größten Maß. Es beginnt mit der routinehaften Gewohnheit des intellektuellen Ablaufs unserer Gedankenschablonen, wie sie im Berufsleben den Menschen an einen mechanisch-maschinellen Prozess binden, der ohne unser ichbewusstes Dabeisein noch besser, glatter und reibungsloser funktioniert als unter der Kontrolle und Aufsicht des Ich; und diese Ich-Flucht mündet in die Besessenheit fremder Gewalten, die von uns Besitz ergreifen.

Eine ungeheure Menschheitsgefahr ist damit heraufbeschworen. Der eingeleitete Dämonisierungsprozess ist von weit größerem Ausmaß als die aus dem TriebEmotionellen stammende Amoralität früherer Zeiten. [80?] Von diesem Gesichtspunkt ergibt sich das folgende Schema als Ober- und Durchblick über den Einbruch ahrimanisch-luziferischer Gewalten, die unser Menschtum in unserem Ich auszulöschen trachten. Das Einbruchstor bildet heute im Zeitalter der Bewusstseinsseele der schablonenhafte Ablauf des intellektuellen Schein-Denkens, wodurch das Ich untergraben und ausgehöhlt wird, bis sich an seine Stelle ein anderes Wesen setzt, das den Menschen auslaugt. (In der Apokalypse wird es im Bilde der Heuschrecken-Menschen beschrieben, die aus dem Abgrund als Dämonen aufsteigen und die Menschen mit Skorpionstichen quälen.) Die Ent-ichung des ahrimanischen Intellekts führt in der Gefühlsregion zur „öffentlichen Meinung“, das heißt zur eigenen Urteilslosigkeit, da sie das ent-ichte Seelenleben der herrschenden „öffentlichen Meinung“ ausliefert und an diese versklavt (weshalb die modernen Parteischlagworte eine solche Massenwirkung haben). Die dritte Stufe ist die Willensohnmacht: Der Mensch wird zum kollektiven Gattungswesen degradiert – und wird zuletzt als solches von der ahrimanisch-luziferischen Gattungsseele als „Gog und Magog“ verschlungen und dieser einverleibt! – Die Schwelle, die das bewusste Seelenleben vom Unterbewussten trennt, geht durch das Herz, vom biologischen Gesichtspunkt durch das Zwerchfell, da dieses den Schutzwall bildet gegen die im unteren Menschen (Solarplexus) vom untersinnlichen Bereich einströmenden Kräfte des Bösen. Wird das Ich entmachtet und ausgelöscht, so können die untersinnlichen Kräfte in dies Vakuum des oberen Menschen einfließen und Besitz ergreifen. Sie machen sich zunächst geltend als Ersatz für die fehlende seelische Substanz

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in der Rauschsucht, im Sex und in allem, was als technische Pseudokunst im Kino und im Fernsehen lebt, in Wirklichkeit aber ihn an die untersinnlichen Erdenkräfte bindet. Dazu gehört auch der mit ungeheuer magischer Kraft die Massen fesselnde Sportbetrieb, wobei wir an die Fußballwettspiele denken, welche die Menschen besessen machen und ihrem Willen an die untersinnlichen Erdenkräfte binden, das heißt ihn brutalisieren, – so erhalten wir das folgende Schema im Zusammenwirken der entichenden ahrimanischen und der dämonischen luziferischen Kräfte, die das Vakuum erfüllen. Abb. 28: Character Bestiae – das Auslöschen des Menschentums

1. 2. 3. Schwelle 1. 2. 3.

Ahrimanischer Bewusstseinspol: Ent-ichung Das automatenhafte Computer-Denken Das Auslöschen des eigenen Urteils in der „öffentlichen Meinung“ Die Willensohnmacht: die daraus entstehende kollektive Gattungsseele ↓ ↑ Luziferischer Triebpol: Ich-Besessenheit Rauschsucht Sexus Pseudokunst, Sportbesessenheit

Heilkräfte Erziehung des Denkens durch geisteswissenschaftliches „Studium“

Ich statt Imagination (Offertorium) statt Inspiration (Wandlung) statt Intuition (Kommunion)

Eine dritte „Kunstart“, die neben Radio, Kino und Fernsehen als pervertierter Ersatz für die Imagination, Inspiration und Intuition den Menschen sich anbietet, wird – wie es Rudolf Steiner einmal angedeutet hat –, um den Willen an die asurischen Mächte zu binden, in der Zukunft noch zu erwarten sein, wodurch den Rakshasas262, die mit der Entfesselung der Sorat-Mächte frei werden, das Tor zum Ausstieg aus der Unterwelt geöffnet wird. Das vollbewusste, geisterfüllte menschliche Ich bildet die Grenzscheide, den schützenden Wall gegenüber dem Einbruch der untersinnlichen Gewalten. Nur die „Ewige Individualität“, die dem Menschen die Einsicht in die wiederholten Erden erschließt, kann den Mittel- und Schwerpunkt des modernen materialistischen Weltbildes bilden. Das ist das Bild einer Kulturanalyse, das sich als Folge des zweiten Sündenfalles für die Gegenwart und Zukunft ergibt, das zu der großen Menschheitskrise des großen Krieges „aller gegen alle“ führt und der Scheidung in den sogenannten sieben Siegelstufen. Die Weichen zu dieser Menschheitsentscheidung sind heute alle schon gestellt. Schneller als wir ahnen, treibt die Menschheit auf diese Entscheidung zu, die sich wie alle Entscheidungen in ihrem Entwicklungstempo beschleunigt hat. Nach dem Gesetz, das sich in der Zahlenmystik ausspricht, bahnt sich in der 5. nachatlantischen Kultur, in unserer Gegenwart also, die Menschheitskrise und Entscheidung der Siegelstufen heute schon deutlich sichtbar auf allen Kulturgebieten an! Der erste „Ruf“ zur Sammlung der Seelen um den großen Menschheitsführer, der als Nachfolger des Buddha Gautama als der „Buddha Maitreya“ – der „Bringer des Guten durch das Wort“ – genau 5000 Jahre nach der Erleuchtung des letzten Buddha unter dem Boddhibaum vom Bodhisattva zum Buddha aufsteigen wird, hat sich im 20. Jahrhundert abgespielt, und zwar in der Michaelbotschaft der Anthroposophie. Dieser Ruf wird sich bis 262

Vgl. Seite 235.

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zum Jahre 4500 n. Chr. wiederholen, bis dass der gegenwärtige Menschheitslehrer von der Stufe des Bodhisattva zum Buddha aufsteigen wird. Jeder Bodhisattva erfüllt als Menschheitslehrer seinen Auftrag durch 5000 Jahre, wo er sich jedes Jahrhundert verkörpert bis er seine Lehre bis in seinen Leib verwirklicht hat. Das war das große Ereignis, das sich im Prinzen Siddharta in seinem 29. Jahre in der Erleuchtung unter dem Bodhibaum abspielte, wo der damalige Bodhisattva zum Buddha, was soviel wie der „Erleuchtete“ bedeutet, aufstieg und seither sich nicht mehr verkörpert, da er seine Mission in der Lehre vom „Achtgliedrigen Pfad“ erfüllt hat. Er war als Lehrer der Liebe und des Mitleides der Vorbereiter des Christus. Von den 12 Bodhisattvas, die um den Mittelpunkt des Christus sich scharen, haben sich 6 als Vorbereiter auf den Christus in den vorchristlichen Kulturen inkarniert, und 6 werden als Boten des Christus seine Lehre in der nachchristlichen Zeit zur Erfüllung bringen. Es sind die erleuchteten Boten des Heiligen Geistes, was das indische Wort beinhaltet. In den indischen Tempeln wie im Mendut und dem Buddhatempel Borobudur in Mittel-Java (Djogiakarta) ist der Buddha der Zukunft, der zur Buddhawürde im 5. Jahrtausend aufsteigen wird, stets in aufrecht stehender Haltung abgebildet; wie man es auch in vielen japanischen Darstellungen finden kann. Denn dem östlichen Okkultismus ist bekannt, dass der Buddha Maitreya sich nicht im Orient, sondern im Abendlande verkörpern wird. Wir mussten auf dies große Ereignis in der Zukunft hinweisen, um den Charakter und die Aufgabe der letzten nachatlantischen Kulturen zu verstehen, von welchen sich in der 6. Kultur die große Erfüllung des Christus-Impulses vollziehen wird, und zwar mit Hilfe und durch die Kräfte des durchchristeten „magischen Wortes. Von ihm sagt Rudolf Steiner:

Der Gautama Buddha hat große intellektuelle Lehren, vom rechten Sprechen, rechten Lehren, rechten Denken usw. in dem achtgliedrigen Pfad ausgesprochen; der Maitreya-Buddha wird Worte haben, die unmittelbar durch ihre magische Kraft zu moralischen Impulsen werden bei den Menschen, die sie hören. Und würde es für ihn einen Johannesevangelisten geben, so würde der noch anders sprechen müssen, als der Johannesevangelist von dem Christus sprach. Da heißt es: Und das Wort ist Fleisch geworden; der Johannesevangelist des Maitreya-Buddha würde sagen müssen: „und das Fleisch ist Wort geworden“. [(Buddha und Christus. Die Sphäre der Bodhisattvas. Mailand, Vortrag vom 21. September 1911):] Wie eine Lichtspur zieht sich diese Linie des Bodhisattva, der zum Buddha in der 6. nachatlantischen Kultur aufsteigen wird, durch die Zeiten: Licht und Trost spendend auch in unserer Zeit.

In einer wunderbaren Weise wird durchdrungen sein das, was von den Lippen des Maitreya-Buddha kommen wird, von der starken Kraft des Christus. Unsere okkulten Forschungen zeigen uns heute, dass in einer gewissen Weise auch äußerlich der Maitreya-Buddha nachleben wird das Leben des Christus. – Und der Bodhisattva des 20. Jahrhunderts wird auch nicht appellieren an irgendwelche Vorverkündiger, die ihn als Maitreya-Buddha proklamieren, sondern an die Kraft seines eigenen Wortes, und er wird als Mensch allein in der Welt stehen. [19] In unserer Menschheitsentwicklung wirken zwei Strömungen, die eine ist die Weisheitsoder Buddhaströmung, die höchste Lehre von Weisheit, Herzensgüte und Erdenfrieden. Dass diese Buddhalehre in alle Herzen wirksam einziehen könne, dazu ist der Christusimpuls unerlässlich. Die zweite ist die Christusströmung, welche hinaufführen wird die Menschheit von dem Intellektualismus über den Ästhetizismus zur Moralität. 346

Und der größte Lehrer des Christusimpulses wird immerzu sein der Nachfolger jenes Bodhisattva, der sich immer wieder inkarniert und der zum Maitreya-Buddha wird nach dreitausend Jahren. Denn wahr ist dasjenige, was die orientalischen Urkunden sagen: dass genau nach fünftausend Jahren, nachdem der Gautama Buddha seine Erleuchtung unter dem Bodhibaum empfangen hat, der Maitreya-Buddha sich auf Erden zum letzten Mal verkörpern wird. – In dieser Art bildet die 6. nachatlantische Kultur einen wichtigen Markstein für die große Menschheitsentscheidung. Denn der große Menschheitsführer als Christusbote, der schon in diesem Jahrhundert sich verkörpert hat und die Seelen gesammelt hat, er wird bei der großen Katastrophe – ähnlich wie der göttliche Manu (Noah) – die Seelen um sich scharen und über jene Katastrophen führen, die die nachatlantischen Kulturen vernichtet, um dies „Häuflein“ über die neue Sintflut hinüberzuretten, die er aus den Angehörigen der sechsten Kultur nimmt. So wird jede Erdenperiode über ihre Katastrophen durch eine kleine Gruppe gerettet:

(In Lemurien bei der Feuerkatastrophe) gab es wiederum unter den damaligen Menschen eine kleine Gruppe, welche die Vorgerücktesten in sich fasste. Diese Gruppe war die allerletzte der (lemurischen) Rassen. Also, die allerletzte der Rassen hatte ein kleines Häuflein, das auswandern konnte und das nachher die sieben Rassen der Atlantier begründete. Die letzte der lemurischen Rassen begründete die atlantischen Rassen. Die fünfte der atlantischen Rassen begründete unsere Kultur. Die sechste der unsrigen Kulturen begründet die zukünftige Kultur der VI. Erdenperiode, nach dem großen Kriege aller gegen alle; und die allerletzte dieser Kulturen wird diejenige zu begründen haben, die durch die sieben Posaunen angedeutet wird. – Und dann wird die Erde am Ziele ihrer physischen Entwickelung angelangt sein. Dann verwandelt sich die Erde in einen astralischen Himmelskörper. [8, S. 165] Gleich einer großen Melodie, welche die Grundlage der ganzen Erdenevolution bildet, durchzieht alles dieser Urklang der Transsubstantiation – auf allen Stufen der irdischen Menschheitsentwicklung. Er taucht in allen Schöpferseelen auf, er durchzieht und durchdringt alles Menschheitsstreben und Menschheitsleid in musikalischen Klängen und Symphonien im dichterischen Wort, in architektonischen Kunstwerken, in philosophischen Schöpfungen ideeller ldeen. Er lebt als Ur-Melos in der Menschheitsseele und ist ihr eingepflanzt als Botschaft des Himmels, als Sehnsucht nach Wiedervereinigung mit dem verlorenen Gottesgrund. Am höchsten erhebt sich dieser Lichtestempel aus den Worten des Johannesevangeliums. Und wir wollen zu diesem Tempel unseren Blick erheben, um die Heilquellen der Genesung zu suchen, die wir heute in dem dunkelsten Zeitalter so nötig haben, um die Kluft zu überwinden, welche als Abgrund der Gottlosigkeit vor der Menschheit gähnt und sie in die Tiefe zu reißen droht. Diese Lichtkräfte der Heilung, die sich aus dem Johannesevangelium dem lichtdurstigen Geistsucher eröffnen, sprechen zu uns wie eine Urmelodie aus den sieben Ich-Worten des Christus Jesus. Aus diesem Bronn kann die Menschenseele die genesende Kraft trinken, um das zerrissene, gespaltene Ich, das den Muttergrund seines Wesens verloren hat, wieder mit Gott zu verbinden und mit göttlicher Substanz zu erfüllen. Diese Worte bilden eine UrMelodie, die wie eine symphonische Schöpfung die dämonischen Gespenster, die aus den ersten vier Siegeln in Gestalt der apokalyptischen Reiter die Zerstörung, den Schrecken und den Tod über die Erde säen, zu überwinden. 347

Damit ist viel gesagt. Denn diese dämonischen Gewalten – wir haben sie in unserem Schema charakterisiert – sind nicht durch bloße Frommheit, nicht durch bloße passive Hingabe zu überwinden, wie es in christlichen Kreisen vielfach der Glaube ist. Nachdem die Menschheit eingetreten ist in die Ära des Geistes, ist der Mensch zum Mitkämpfer in seinem Ichwesen aufgerufen – zum Mitstreiter im Dienst und in der Heerschar Michaels, des Gottesstreiters. Er muss sich daher das geistige Schwert schmieden – täglich, sowie es das Wort aus der Parzivalerzählung des Wolfram von Eschenbach sagt – vom Brunnen in Karnat, wo das Schwert „vor Tage“ geschmiedet werden muss, das sonst zerbricht! -

Das Schwert besteht den ersten Schlag, Doch von dem andern bricht's entzwei. Bringst du's zum Brunnen, wieder neu Wird es von des Wassers Guss. Doch von der Quelle nimm den Fluss Am Fels, eh sie beschien der Tag! [93, Kapitel 12] Die Quelle, die wir jeden Tag aufsuchen müssen, ist die Quelle des Heiligen Grals, Sie erschließt sich „vor Tage“, wenn wir aus dem Schlafe erwachen und noch unberührt von den „Fratzen des Tages“ in die jungfräulichen Kindheitskräfte eintauchen, die wir aus den übersinnlichen Schlafesbereichen mitbringen. Dann, wenn der erfrischende Morgentau noch unsere Seele belebt, können die aus dem Christusquell geschöpften Worte des Johannesevangeliums die Seele wie mit zarten Schwingen aus dem Reich der Ewigkeit berühren und wundersame Empfindungen in uns erwecken. Nicht um geistreiche Ideen, die wir „Erkenntnisse“ nennen, handelt es sich hier. Es ist ein Tauchen in die reinen Fluten dieses Nektarquells, der wie eine Engelschwinge uns streift, berührt und durchdringt. Vor diesem Trunk verblasst das intellektuelle Scheingewebe unserer Erdengedanken, auf die wir so stolz sind, wie ein dürres Schattengewebe. Denn wir werden zum Kinde, zum unberührten kindlichen Geist, dem alles zum Wunder wird, wie wir es in Novalis Dichtungen erleben! – Was als Gegenkräfte des Ich, die das Ich verfinstern und den dämonischen Kräften der alten Gruppenseele ausliefern wollen, uns in den ersten vier Bildern der apokalyptischen Reiter entgegenbraust, es lebt auch in unserer Seele als der nicht vom Ich durchgearbeitete und umgewandelte Rest der Vergangenheit: konkreter gesprochen als „Samskara“, der dunkle Rest unseres Vergangenheitskarmas, der uns an alte Schulden mahnt, die uns in die Abgründe hinabziehen, solange wir sie nicht vom Ich aus durchleuchtet und aus den Bindungen erlöst haben. Dieser Rest, der uns an das Schuldenkonto der alten Gruppenseele der unerlösten Menschheitsschuld bindet, er mag uns nicht bedrücken, solange wir nicht in die Tiefen dringen. In gewissen Konflikts- und Krisensituationen unseres Lebens macht er sich bemerkbar. Dann tritt er uns jäh und erschreckend vor die Seele – im Bilde der „Kundrie“, wie sie Parzival vor Augen trat, als er seine Mission versäumte und die Gralsburg verließ, ohne die schicksalswendende Frage zu stellen, die die Gralsnot hätte beenden können. Kundrie, die Gralsbotin in ihrer tierhaften Gestalt, erschien im Kreis der Arthusritter als Hüter der Schwelle, um ihn an seine Pflicht zu mahnen, den Weg seines Ich, den er im Begriffe war zu verlassen, fortzusetzen! – Um diesen Weg zu gehen, der die vergangenen Schulden, Versäumnisse und Irrtümer, die tief in unserem karmischen Konto – dem Lebensbuch – eingetragen sind, zur Lösung führt, bedarf es der Kraft geistiger Substanz. Es bedarf der Ich-Kraft, die diesem Anblick gewachsen ist und dem Blick des Hüters standzuhalten vermag. Daher beginnt der Weg des Ich mit dem 1. Wort, welches uns diese Kraft gibt. Es ist das Wort vom Brot des Lebens 348

(Joh. 6). Bevor das Licht im Ich entzündet werden kann, bedarf der Mensch der tragenden Kraft, welche den Mutterboden bildet, um aus der Humuserde die Wachstums- und Ernährungskräfte zu ziehen. Und dieser Mutterboden ist das Fundament, das als erstes der moderne Mensch braucht für seine Ich-Entwicklung! Zwei Entwicklungslinien stehen sich hier gegenüber. Die eine in den vier ersten Siegelstufen führt in den Tod. Die andere der Ich-Bin-Worte führt zum Leben. Die apokalyptische Wende vollzieht sich auch hier in der 5. Stufe. Sie bringt die Entscheidung. In den sieben Siegelstufen haben wir den Rückblick auf den in den sieben nachatlantischen Perioden sich vollziehenden Inkarnationsprozess, wie er sich nach dem Untergang der alten Atlantis vollzog. Die Menschheit steigt mit jeder Kulturperiode tiefer in die physische Leiblichkeit hinab, bis sie in der 4. Kultur, der griechisch-römischen Zeit, zum vollen Ichbewusstsein gelangt. In dieser Entwicklung erfüllt sich bis zur 4. Entwicklungsstufe der luziferische Sündenfall; um den Preis der ursprünglichen Verbundenheit mit der göttlichen Welt kommt der Mensch auf diesem Inkarnationsweg zu seinem Ich-Bewusstsein, das er so durch Luzifers Gnaden und aus seinen Händen empfängt. Was vom Gesichtspunkte der fortschreitenden Individuation sich als ein positives Ergebnis erweist und seinen Gipfelpunkt in der zur Selbständigkeit erwachenden Persönlichkeit findet: das kann nur als Weg, doch nicht als Ziel genommen werden. Denn es bildet nur die notwendige luziferische Schale, die dann durch das Christus-Ich seinen wahren Inhalt und seine Erfüllung findet. Daher treten dem rückschauenden Blick des Apokalyptikers in diesen ersten vier Entwicklungsstufen – sie stehen noch ganz im luziferischen Lichte, aus dem ja die Menschheit ihre Erkenntnisse empfangen hat, die ihr durch die Uroffenbarung zuteil geworden sind – die Imaginationen der alten noch nicht umgewandelten luziferischen Kräfte entgegen, insofern sie sich noch nicht unter die Herrschaft des Christus gestellt haben. Es sind, wie wir sahen, die vier apokalyptischen Reiter, da ja das Pferd die Intelligenz symbolisiert. Diese Evolutionslinie aber, die in der äußeren Kulturentwicklung als eine aufsteigende sich darstellt, ist vom geistigen Blickpunkt eine absteigende, die immer mehr in den Niedergang führt. In den symbolischen Gestalten der vier Pferde erlebt der Seher den schrittweisen Fall der Menschheit bis in die Todeskräfte, die das fahle Pferd auf der vierten Stufe darstellt. Und als es das vierte Siegel öffnete, hörte ich die Stimme des vierten Tieres sprechen: „Komm!“ – Und ich sah: Siehe, ein fahles Pferd, und der Name seines Reiters hieß der Tod, und das Reich der Toten ist sein Gefolge. Ihnen ist Vollmacht gegeben über ein Viertel der Erde, sie dürfen töten mit dem Schwert, durch Hunger und Tod und durch die Tiere der Erde.“ (Off. 6,7 ff.) „Fahl“ heißt im Griechischen chloros. Das Pferd, das jetzt erscheint, ist chlorfarben, seine Farbe ist schwefelartig, gelblich-grün. Und der Name des Reiters ist der Tod. Die Totenwelt, der Hades, ist sein Gefolge. Ihm ist die Macht gegeben, einen Teil der Lebewesen auf Erden zu töten. Das Prinzip des Todes durchdringt das Menschendenken, das zuerst sich in der Farbe der Unschuld im ersten apokalyptischen Siegelbild gezeigt hat: Siehe, ein weißes Pferd, und sein Reiter hielt einen Bogen in der Hand, und es wurde ihm eine Krone auf das Haupt gesetzt. Und als Sieger zog er aus zu weiteren Siegen. (Off. 6,2) Noch heute wird das Fest des Krishna in Indien gefeiert, wobei ein Reiter auf einem weißen Pferd erscheint, der auf eine Schlange tritt. Wie eine Erinnerung an die Verheißung der 349

Genesis wirkt diese Handlung: Krishna, der Gott des Ich, setzt der Schlange den Huf seines Rosses auf das Haupt. Das indische Denken hatte noch die Durchlässigkeit und Bildhaftigkeit des vorgeburtlichen Denkens, das der Mensch in der geistigen Welt besaß vor seinem Niederstieg zur Erde. Und so erinnert der weiße Reiter des ersten Siegels an die kindhaft-reine Menschheitsvergangenheit und öffnet zugleich die Perspektive auf das Ziel und die Erfüllung der Menschheitsevolution, wo abermals ein weißer Reiter mit dem Ewigen Evangelium erscheint als Sieger, der zu weiteren Siegen auszieht! Und ich sah den Himmel aufgetan und siehe, ein weißes Pferd. Und der darauf saß, hieß Glauben und Erkenntnis. Und er richtet und streitet mit Gerechtigkeit. Seine Augen sind wie Feuerflammen, und auf seinem Haupte trägt er viele Kronen. (Off. 19,11) Wie dem Reiter auf dem fahlen Pferde das Heer der Unterwelt folgt, so folgt dem weißen Reiter das Heer der himmlischen Gottesboten in weißen Gewändern. – Das zweite Pferd trägt eine feuerrote Farbe. Dem Reiter ist die Macht gegeben, den Frieden über die ganze Erde hin zu stören. Er trägt ein großes Schwert in seinen Händen. – In der zweiten, urpersischen Kultur steigt der Mensch in die Blutskräfte hinab, deren marshafte Natur dem Ich und somit auch der menschlichen Intelligenz einverleibt wird. Darin drückt sich die Tragik des Individuationsweges aus, dass der Mensch auf diesem Wege sich verbinden muss mit den egoistischen Kräften des Gattungsblutes. – Das dritte Siegel lässt das schwarze Pferd erscheinen. Das lichtvolle Denken der Vergangenheit, das in die Blutskräfte gefallen ist, wandelt sich nun zum berechnenden Intellekt des Händlergeistes: Und ich hörte eine Stimme sprechen: „Ein Maß Weizen für einen Denar, drei Maß Gerste für einen Denar. Dem Öl jedoch und dem Weizen sollst du keinen Schaden zufügen!“ (Off. 6,6) Die schwarze Farbe des dritten Pferdes, das das Denken in die materielle Berechnung und Nützlichkeit niederzieht, wo es seine Himmelsabkunft verliert, ist noch nicht der tiefste Punkt auf diesem in die Tiefen hinabsteigenden Wege. Die letzte Stufe wird erst in dem „fahlen Pferde“ erreicht; es ist die Farbe des farblos Abstrakten, zu dem der Intellekt sich wandelt. Es ist die Welt des leichenfarbenen Intellektualismus. Das Prinzip des Todes und der Todeskräfte beherrscht nunmehr den intellektualistischen Menschen. Die entscheidende Wende kündet sich als Folge des im vierten Zeitraum sich vollziehenden Zentralereignisses der Menschheitsentwicklung an: Zum ersten Mal erscheinen in den Siegeln statt der Tiere Menschengestalten – Menschen in weißen Gewändern, die um des göttlichen Wortes und um ihrer Zeugenschaft willen den Opfertod erlitten hatten. Die Kraft der Transsubstantiation, die vom Mysterium von Golgatha ausgeht, wird sichtbar und zeigt sich von nun an in der weiteren Menschheitsentwicklung. Stellen wir die beiden Evolutionslinien einander gegenüber, so erhalten wir bis zum 5. Siegel das folgende Bild: Abb. 29: Siegelstufen und Ich-Bin-Worte Siegelstufen der absteigenden Menschheitsentwicklung 1. Das weiße Pferd 2. Das feuerrote Pferd 3. Das schwarze Pferd 4. Das fahle Pferd 5. Menschen in weißen Gewändern

Die Ich-Bin-Worte des Christus

1. „Ich bin das Brot des Lebens“ 2. „Ich bin das Licht der Welt“ 3. „Ich bin die Türe“ 4. „Ich bin der gute Hirte“ 5. „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ 350

Wie können wir uns den Unterschied vom luziferischen Schein-Ich, das wir im Grunde genommen verfrüht durch die luziferische Versuchung empfangen haben, und dem wahren Ich, das wir Christus verdanken, klar machen? Obwohl die Elohim oder Geister der Form im Beginn der Erdenentwicklung aus ihrer eigenen göttlichen Substanz den Menschen mit dem Ich-Funken begabten, indem sie Wesen ihres eigenen Wesens in ihn einfließen ließen und ihn so mit dem Gotteswesen begabten, so verlief die weitere IchEntwicklung durch den Einbruch der luziferischen Geister doch unregelmäßig – abnormal. Das heißt: der Mensch erwachte dadurch zu früh zu seinem Ich-Bewusstsein in einem noch unreifen Zustand und riss sich dadurch von der normalen Entwicklung los, die ihm die fortschreitenden Götter als Führer der Erdenentwicklung zugedacht hatten. Diese Diskrepanz als Spaltung in der menschlichen Entwicklung macht sich schon im kindlichen Alter bemerkbar, wenn das Kind schon in den ersten Jahren zum IchBewusstsein erwacht, wozu es seiner ganzen Anlage nach eigentlich noch nicht reif ist.

Denn das Bewusstsein des Ich tritt mit dem dritten und vierten Jahre auf, die Organisation für das Ich aber erst im 20. und 21. Lebensjahr. Diese Tatsache ist von fundamentaler Wichtigkeit für das Verstehen des Menschen... Alles, was der Mensch erleben kann an Zwiespalt zwischen äußerlicher Organisation und innerer Erfahrung, an Leiden und Schmerzen im Leben dadurch, dass ihm gewisse Dinge vermöge seiner Organisation nicht möglich sind, an Disharmonie zwischen dem, was er wünschen und wollen und dem, was er ausführen kann, die Tatsache, dass er Ideale haben kann, die über seine Organisation hinausführen, all das führt zurück auf die Tatsache, dass das Bewusstsein unseres Ich einen ganz anderen Weg geht, als der Träger unseres Ich. In dieser Hinsicht sind wir ein zweifacher Mensch, ein äußerer Mensch, der darauf hinorganisiert ist, seine Ichheit im 20. oder 21. Jahre zu entwickeln, und ein innerer Seelenmensch, der sich schon im vierten und fünften Jahre auf sein Seelenleben hin von seiner äußeren Organisation emanzipiert. Emanzipation des Ich-Bewusstseins von der äußeren Organisation findet statt im Kindesalter. Wir machen in unserer Seele etwas durch, was von unserer äußeren Organisation unabhängig verläuft, was sogar in herben Widerspruch kommen kann mit unserer äußeren Organisation... Seelisch entwickeln wir uns ganz anders als unsere Leiber sich entwickeln! [43] Auf diesem Widerspruch beruht unsere Freiheit, wodurch wir uns mit unserem IchBewusstsein losreißen von unserer Organisation. Das Ich-Bewusstsein macht einen eigenen selbständigen Weg durch als Folge des luziferischen Einbruchs. Aus dieser verfrühten Entwicklung unseres Ich-Bewusstseins ergeben sich nicht nur unsere seelischen Diskrepanzen, sondern auch die Diskrepanzen mit unserer Organisation. Dem Ich fehlt die Kraft, gegenüber der äußeren Organisation sich durchzusetzen. Es fühlt sich ihr gegenüber nicht gewachsen.

Ich selbst mit dem Ich, woran ich mich zurückerinnere, vermag nichts gegen meine Organisation, der ich nicht gewachsen bin. Aber es gibt etwas, was ich als Kraft aufnehmen kann in mein Ich..., unmittelbar aus den geistigen Welten kommt etwas herein, das nicht in mir liegt, aber meine Seele durchdringt. Etwas kann hereinfließen aus unbekannten Welten in meine Seele. Wenn ich es aufnehme in mein Herz, wenn ich mein Ich damit durchdringe, dann hilft es mir unmittelbar aus den geistigen Welten heraus. [ebd.] 351

Dies Etwas ist die Christuskraft, die aus jedem Christuswort zu uns spricht. Ich glaube, dass es nur durch die innere meditative Versenkung möglich ist, von jenem Schwingenschlag einer ganz anderen Welt berührt zu werden, die aus diesen Ich-Worten uns entgegenkommt. Es ist sehr schwer, dies Wesenhafte jenes anderen Ich in Begriffe zu bringen. Aller luziferischer Glanz, alles persönliche Hervortretenwollen fehlt diesen Worten völlig. Es ist, als ob aus einer ganzen Sphäre sich eine Welt in ihrer andersgearteten Ur-Melodie offenbaren wollte, die nicht sich selbst – als dieses besondere Ich – zur Geltung bringen will, sondern die sich nur hingibt, damit der Weltengrund, in welchem es wurzelt, zur Sprache kommen kann. – Nur in intimster Meditation, im lauschenden Hinhorchen auf diesen Klang, der durch dieses völlig selbstlos zurücktretende Ich aus dem Weltengrunde zur Offenbarung kommt, werden wir berührt von diesem Geheimnis der Christusworte, von dem Mysterium des Christus-Ich... Wenn unser luziferisches Ich gar nicht anders wollen kann, als sich selbst zur Geltung zu bringen, da es sich selbst als Mittelpunkt der Welt empfinden muss, von dem alles, seine ganze Existenz abhängt, so ist ihm seit dem luziferischen Fall eben die Lebensstrahlung seines Wesens eingeprägt. Diese Richtung geht von dem inneren Mittelpunkt nach außen. Nur so kann sich das Ich zum Bewusstsein bringen. Damit hängt es zusammen, dass das Ich, gleich Ikarus, sich überspringt, über seine eigene Kraft und Größe hinausgeht und in diesem Streben sich dauernd überschätzt, überspannt, überfliegt. Gerade durch diese Strebensrichtung überschattet und verdeckt es sich selbst seine innere Substanz, indem es sich im Äußeren spiegelt, genießt und glorifiziert. Die ganze Haltlosigkeit und Leere, die fehlende geistige und moralische Substanz wird durch dies luziferische Ichstreben und Icherleben zugedeckt. Darin liegt ja im Grunde der Charakter Luzifers, sein Licht in stolzer Pracht glänzen und strahlen zu lassen. Die Ich-Worte des Christus können nur auf diesem Hintergrunde in uns Leben gewinnen. Wir gehen an ihrem tieferen Sein und Wesen vorbei; wenn wir sie nur als moralische Maxime und Richtlinie nehmen. Das sind sie gewiss auch. Aber sie quellen wie völlig absichtslos aus dem Sonnenherzen der Welt – wie aus einem bis zum Rande gefüllten Brunnen, der von seiner Licht-, Lebens- und Liebes-Kraft überfließt! Ja, er fließt über und will nichts anderes, als seine göttliche Substanz verströmen und verschenken. Denn dieser Bronn ist nur geistiges Leben und göttliche Liebessubstanz, die aus dem göttlichen Seinsquell als Grundsubstanz des Vaters fließt. Und es ist das Wesen dieses Quells, dass er nie leer wird, je mehr er sich spendet: dass seine Substanz umso reicher wird, je mehr sie sich verschenkt! – Es ist also das Gegenteil der Gesetze, die hier walten, von der irdischen Gesetzmäßigkeit, nach welcher eine Quelle einmal versiegt, wenn sie sich gänzlich verströmt! – Das ist der Grund, weshalb im ersten der Ich-Worte die überströmende, nie versiegende Substanz genannt wird – im Symbol des Brotes, das durch das Christusopfer als Lebensbrot für die Welt geopfert wird. 1. „Mein Ich ist das Brot des Lebens... Wer von diesem Brote isset, der lebt für alle kündigen Zeitenkreise. Und das Brot, das mein Ich euch gibt, ist mein Leib, den ich für das Leben der Welt hingebe. Wahrlich so ist es: Wenn ihr nicht den Leib des Menschensohnes esst und trinket sein Blut, so tragt ihr nicht das Leben in eurem inneren Wesen. Wer meinen Leib isset und trinket mein Blut, der bleibet in mir und ich in ihm. Und ich gebe ihm die Kraft der Auferstehung für das Ende der Zeiten.“ (Joh. 6,51 ff.) 352

Gewiss ist es nicht möglich, auch nur andeutungsweise die Substanz dieser Worte auszuschöpfen und durch Worte aufzuschließen. Wir betreten hier den inneren Raum eines Tempels, der nur durch immerwährende meditative Versenkung sich uns öffnet. Hier wollen wir nur hinweisen auf diese Substanz von Leben, Licht und Liebeskräften, die als Heiligung unserem Ich gegeben werden, zur Erfüllung des luziferischen Schein-Ichs mit dem wahren Gottes-Ich. Es ist eine Speisung, die unser tiefstes Wesen dadurch empfängt, eine Speisung, die aber durch eigene Aktivität in der Meditation immer wieder vollzogen werden muss im Sinne des Wortes: „Wirket Speise, die nicht vergänglich ist, sondern die da bleibt und teilhat am ewigen Leben.“ (Joh. 6,27) Es ist die Speise für das Ich; zunächst für unser Denken und seine Durchgeistigung uns gegeben. Wir wollen hier diese Heilkräfte gegenüberstellen den luziferischen Kräften unseres ScheinIch, die in den Siegeln am Alten verhaftet sind und die das Ich in ihre dunklen, sich immer mehr verengenden Trichter ziehen. Ist das 1. Siegel noch überstrahlt von den reinen Kindheitskräften des Denkens, so wird es im 2. Siegel von den Triebkräften des Blutes verdunkelt. Sie leben trotz der scheinbaren Objektivität des intellektuellen Denkens auch in uns, solange wir nicht die Wende und den Übergang im 5. Siegel gefunden haben. Alles Persönliche ist nicht frei von der egoistischen Ichsucht. Sie auslöschen zu wollen, ist meist ein falscher Weg buddhistischer Askese, der das luziferische Schein-Ich mit dem dahinter stehenden wahren Ich verwechselt. Nicht auslöschen, wohl aber durchleuchten, weiten und den Weg weisen zum höheren Ich, das im Einklang sich weiß mit Gott und der Welt, ist der Weg zur Heilung des Ich. Dies Licht leuchtet uns zu unserer Katharsis aus dem 2. Ich-Bin-Wort entgegen. 2. „Mein Ich ist das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern das Licht haben, das seine Lebenskräfte durchleuchtet...“ (Joh. 8,12) Das meditative Hineinleben in dieses Wort trägt uns in die sich öffnenden Sonnenkräfte der ätherischen Sphären und befreit uns von allem dumpfen Befangen- und Gebundensein unserer Persönlichkeit. Wie frei und erhaben sich der Mensch aus den persönlichen Fesseln und Banden fühlen und sich über sein kleines Ego erheben kann, das kann in begnadeten Augenblicken die meditative Hingabe an dies Lichteswort uns offenbaren. Dabei ist es zum tieferen Verständnis der Ich-Worte wichtig, die Hintergründe ins Auge zu fassen, aus welchen sie gesprochen werden. Hier ist es das Schuldenkonto der „Ehebrecherin“, das die Ätherkräfte verdunkelt, welches durch das folgende Licht-Wort durchleuchtet werden soll. – Der Abstieg der Intelligenz führt uns in der dritten Siegelstufe bis zur völligen Abkapselung von der göttlichen Ursprungswelt des Denkens. Das schwarze Pferd erscheint als Ausdruck des materiellen Händlersinns, der nur die Nutzbarkeit, den persönlichen Profit sehen und berechnen kann. Die Tür als Zugang zur höheren Welt ist zugefallen. Die Schwelle ist verriegelt. Luzifer und Ahriman haben sie verschlossen. Der Mensch hat sich völlig eingeschnürt in seine persönlichen selbstsüchtigen Ziele. Alles Höhere ist in dieser materiellen Sphäre verblasst und zählt nicht mehr im Kontobuch der Wirtschaft. Das Schwellenkapitel des Johannesevangeliums öffnet die Tore zu der verschlossenen höheren Welt. Diese Türe kann nicht durch die luziferische Egoität und die ahrimanische 353

Berechnung geöffnet werden Beide Mächte sind es, die in diesem 10. Kapitel die Schwelle verriegeln – im Bild des „Diebes“ (Luzifer), der nur kommt, um zu stehlen, zu raffen und zu raufen, und im Bild des „Wolfes“(Ahriman), der die Schafe zerstreut und zerreißt. Sie sind es, die den Menschen den Zugang im eigenen Ich verwehren, das von diesen Kräften verengt, verdunkelt und gefangen ist. – Der Aufstieg kann nur durch eine Kraft geschehen, die sich selbst „zur Türe“ macht. 3. „Mein Ich ist die Tür. Wer durch mein Ich den Zugang findet, dem wird das Heil zuteil. Er wird die Schwelle überschreiten von hier nach dort und dort nach hier, und er wird Nahrung finden für seine Seele auf der Sternenweide. Das niedere Ich kommt wie ein Dieb, nur um zu stehlen und zu töten und zu vernichten. Als das wahre Ich bin ich gekommen, dass sie das Leben haben und die überströmende Fülle.“ (Joh. 10,9 f.) Das dritte Ich-Wort, das die Schwelle öffnet, geht unmittelbar in das vierte Wort über, das den Mittelpunkt der sieben Ich-Worte bildet, das Wort vom guten Hirten. Wir stehen hier am Tiefpunkt des Abstiegs, wo das fahle Pferd mit dem Tod erscheint, in dessen Gefolge die Unterwelt sich befindet. Die abwärts gehende Linie hat ihren Tiefpunkt erreicht. Wie immer und überall im menschlichen Leben und in der Weltentwicklung fällt das Höchste und Tiefste – die Gipfelhöhe und der Abgrund – unmittelbar zusammen. Der letzte Tiefpunkt auf der absteigenden Entwicklungslinie, der den Menschen dem Reich des Todes und dem Schatten des Hades zuführt, ist die vierte Stufe in der griechisch-römischen Kultur – eben in derselben Zeit, als der Gott in Menschengestalt erscheint im unscheinbaren Gewande des Jesus von Nazareth, um dem ausgedorrten menschlichen Ich einen neuen Inhalt zu geben, der es mit der zur Höhe führenden Gotteskraft verbindet. Und diesem menschgewordenen Gott steht gegenüber der zum Gott sich erklärende römische Imperator in der luziferischen Pracht des Weltbeherrschers. Wir können uns das Petrus-Bekenntnis als eine historische Szene vor dem Augustustempel in Cäsarea Philippi vorstellen, wo angesichts des dem göttlichen Cäsar geweihten Tempels jener Erkenntnisblitz in die Petrusseele hereinzündet: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“ (Mt. 16,16) – Wahrlich eine Szene von welthistorischem Ausmaß!

Es war ein stiller, aber weltgeschichtlicher Augenblick. Die Tempelinschrift erklärte den mächtigen Cäsar in Rom für den Messias. Und an der gleichen Stelle sprach der Fischer von Bethsaida die Worte aus, durch die der von der Welt unbeachtete Nazarener zum ersten Male als das menschgewordene Gotteswesen bezeichnet wurde. Die goldenen Buchstaben des Herodes hatten Unrecht, das Bekenntnis des Petrus aber sprach die große, weltumgestaltende Wahrheit aus. Nicht aus menschlichem Denken und Erkennen waren die Worte des Petrus entsprungen; sie waren die schönste, reifste Frucht des hellseherischen Seelentums, das die GaliläaNatur in das Menschenwesen gelegt hatte. Eine intuitive Erleuchtung war in Petrus aufgeblitzt. Aus ihr heraus hatte er das unerhörte Wort gesprochen. [81, S. 229] Augustus begann mit dem Cäsarenkultus. Im römischen Pantheon hatte der Cäsar ein göttliches Bild, inmitten aller Götter, die Rom von den unterworfenen Völkern entwendet und sich untertan gemacht hatte, womit es die Macht Roms zu vermehren hoffte. Und die Cäsaren erzwangen sich diese Macht, indem sie sich einreihen ließen in die Mysterien der unterjochten Völker. Augustus ließ sich im Jahre 12 v. Chr. unter riesigem Gepränge in Anwesenheit unübersehbarer Volksmassen das Amt des Pontifex Maximus, des „Obersten Priesters“ übertragen.

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Das Unerhörteste aber war, das alte Amt des Pontifex Maximus, das sich bisher nur auf den Kultus der Stadtgötter beschränkt hatte, auszubauen, dass es zu einer zusammenfassenden Spitze aller Kulte und Mysterien, gewissermaßen zu einer allbeherrschenden religiösen Weltmitte, wurde. Dazu war ja nötig, dass der Träger dieses Amtes zuvor irgendwie sämtlicher Priesterweihen und Einweihungen teilhaftig wurde. Eine Quintessenz zu schaffen von allen religiösen Kräften und magischen Möglichkeiten, die in der Vergangenheit lebendig gewesen waren, darauf lief der genial-kühne Gedanke des Pantheons hinaus. Die Cäsaren von Tiberius, Caligula, Nero an bis auf Constantin den Großen wollen, weil sie darin das hervorragendste Mittel ihrer Macht sahen, gestützt auf das Pantheon, an den Mysterien der alten Welt festhalten, von denen das salomonische Judäa, das perikleische Griechenland und das alte demokratische Rom als die Erstlinge einer neuen Menschheit entschlossen Abschied genommen hatte. Alle Mysterienveröffentlichungen erweckt in den Cäsaren Angst, Abscheu und Hass. Unter Ausnützung ihrer Macht – waren sie nicht alle Träger des nun so gloriosen Amtes eines höchsten Priesters der ganzen Welt? – frönen sie stattdessen dem Mysterienraub und dem Mysterienmissbrauch, die Dekadenz und Dämonisierung vollendend. Das gespensterhafte, abergläubisch-halluzinatorische Geistesleben der römischen Cäsaren lässt uns erkennen, welchem Irrlichter-Chaos die alte Götterklarheit gewichen ist. Der Vollzug der tief in die Seelen eingreifenden Einweihungspraktiken muss die unvorbereiteten und von ungeläuterten Trieben und Instinkten erfüllten Seelen der Cäsaren jeder Ich-Form und geradlinigen Vernunftfähigkeit berauben. Der Cäsarenwahn, durch dessen schauerliche Auswirkungen das Zeitalter des Urchristentums sein äußeres Gepräge erhielt, war mehr als Größenwahn. An ihm wurde eine völlige Chaotisierung aller Seelenkräfte offenbar als unvermeidliche Folge der erzwungenen Einweihungen. Augustus selbst, eine nicht nur geniale, sondern auch starke Seele, die sich nie erlaubte, von dem Wege der Vernunft und Klugheit ekstatisch abzuirren, blieb von der Geisteskrankheit, die den Cäsarenkultus begleitete, verschont. Aber seine Nachfolger verfielen ihr bis auf wenige Ausnahmen in maßloser Leidenschaftlichkeit. Wie könnte es anders sein, als dass sich die geistige Spannung und Gegensätzlichkeit zwischen Cäsarentum und Christentum in den Hassausbrüchen der Christenverfolgungen dramatisch entlud? [81] Das ist der historische Hintergrund für diese vierte Stufe des „fahlen Pferdes“. Nicht nur der Todesschatten des Intellekts mit seinem untersinnlichen Gefolge zieht ein in die Seelen, sondern die Seelenspaltung – das ahrimanisch-besessene Pseudo-Ich. Denn hier beginnt das ahrimanische Prinzip, das in der nach-christlichen Kultur immer mehr die Herrschaft gewinnt, das luziferische zu verdrängen. Wenn die 4. Siegelstufe uns den Reiter auf dem „fahlen Pferd“ vorführt, dem Vollmacht über ein Viertel der Erde gegeben ist, so haben wir uns nicht nur die vierte Kulturperiode in ihrer Dekadenz vorzustellen, sondern, was schwerer wiegt, alles unüberwundene Machtstreben des alten Roms, das mit spirituellen Machtmitteln Missbrauch treibt. Das 20. Jahrhundert gibt uns ein grauenerregendes Schauspiel von dem wieder auferstehenden Rom und seinen magischen Mitteln in den sozialen Gespenstern, welche die Menschen, die in ihren magischen Bannkreis geraten, besessen macht. Das Drama unseres Jahrhunderts kann uns daran mahnen, welcher Weltbrand durch die nicht überwundenen Rassen- und Gattungskräfte, die im Blute rumoren, entfesselt werden kann, wenn sie durch magische Mittel geweckt und missbraucht werden zu politischen 355

Machtzielen. Sie müssen heute in der nachchristlichen Ära weit unheilvoller in ihren Auswirkungen sein als vor 2000 Jahren! Wer diese geistesgeschichtlichen Hintergründe erfasst, der wird die einzige Rettung vor dem Einbruch dieser luziferischen Gattungskräfte, die immer mehr einen ahrimanischen Charakter in der Zukunft annehmen müssen, in dem vierten Ich-Wort erkennen, das den Mittelpunkt in der Komposition der sieben Ich-BinWorte bildet. Es ist das zentrale Wort, worin das Ich im Gottes-Ich sich findet und erkennt, wenn wir es zum esoterischen Erleben vertiefen. Denn hier tritt nicht nur ein Bild an uns heran, hier geht die Sphäre der bildhaften Imagination in die Inspiration über. Hier wird der Kern und Mittelpunkt unseres Wesens selber angesprochen. Es ist ein inneres Erweckungserlebnis, das sich im „Allerheiligsten“ unseres Ich abspielt. Der „gute Hirte“, der durch die sich öffnende Türe über der Schwelle erscheint, kündet sich durch die eigene Stimme an. Es gehört zu den zartesten Seelenerlebnissen, diese Stimme des Christus-Ich im eigenen Ich zu vernehmen. 4. „Mein Ich ist der Gute Hirte. Und ich erkenne die, welche zu meinem Ich gehören. Und die zu meinem Ich gehören, erkennen mich, sowie mich der Vater erkennt, und ich den Vater erkenne.“ (Joh. 10,14 f.) Wenn wir in diesem Wort zu ruhen vermögen, so geht uns nicht nur von außen die Türe – im Bilde – auf, sondern es öffnet sich der Inspirationsquell, der uns im innersten Wesen mit dem Christus-Ich verbindet. Wir werden eins mit Ihm. Und dieses Einswerden des Menschen-Ich mit dem Gottes-Ich ist in Wahrheit der entscheidende Durchbruch, die Befreiung von den illusorischen Schatten- und Trugbildern, die uns als luziferische Schemenwesen unseres Schein-Ichs umgaukeln, blenden und verführen und uns dadurch in die Seelenspaltung hineintreiben. Hier beginnt sich die verschlossene Pforte zu unserem höheren und wahren Ich zu öffnen, das uns als Führer erscheint. Man muss dies Erlebnis in schweigender Stille erfahren, um die neue Lebenssphäre zu erahnen, in der das wahre Ich lebt und die sich hier für uns eröffnet. Sie führt uns unmittelbar in den geistigen Hintergrund, der der Mutterschoß des Ich ist. „Ich und der Vater sind eins.“ (10,30) Und damit lüftet der Christus zugleich den Vorhang vor dem verschlossenen Tempelgeheimnis, der nur den Eingeweihten der griechischen Mysterien offenbart worden war. Das Menschen-Ich ist von gleicher Herkunft und Substanz wie das Gottes-Ich. Daher die Entrüstung der Juden, denen dies Mysterium streng geheim gehalten war, die den Christus-Jesus steinigen wollen. Da antwortete Jesus: „Steht nicht in eurem Gesetz geschrieben: ‚Ich habe gesagt: Ihr seid Götter?’“ (Joh. 10,34) Das verhangene Mysterium ist durch den Christus und seine Opfertat der Menschheit offenbart worden. Deshalb setzt jetzt nach dieser Wende die eigentliche apokalyptische Entscheidung ein, die nun auf der 5. Stufe zur Scheidung der Geister führt! – Wie wir sahen, ist die Fünfzahl die Zahl des Bösen, doch auch die der Entscheidung. Nicht umsonst hat Rudolf Steiner immer wieder nachdrücklich darauf hingewiesen, dass unsere fünfte nachatlantische Kultur in ihren für die gesamte Menschheitsentwicklung entscheidenden Ereignissen sich noch in diesem Jahrhundert sich abspielen wird. Und da das Tempo der Entwicklung sich in unserer Zeit zusammengedrängt und beschleunigt hat, so werden viele Entscheidungen schon in diesem Jahrhundert fallen, die für die Zukunft von großer 356

Bedeutung sind. Dies ist das Motiv unserer Zeit, wie es im 5. Siegel und im 5. Ich-Bin-Wort sich ankündigt. 5. „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer sich mit meiner Kraft erfüllt, der lebt, auch wenn er stirbt. Und wer mich aufnimmt als Kraft des Lebens, Der ist von der Macht des Todes befreit für alle Erdenzeiten!“ (Joh. 11,25 f.) Dieses Wort, das am Grabe des Lazarus in Bethanien gesprochen wird, bildet in der Komposition des Johannesevangeliums die Wende von den ersten vier Ich-Bin-Worten zu den letzten drei, die im zweiten, dem eigentlich esoterischen Teil des Johannesevangeliums stehen. Dies Wort muss von der Warte der ganzen Menschheitsentwicklung hier gelesen werden, die heute in unserer 5. Kultur sich schon ankündigt und sich in der 5. Siegelstufe, beim Übergang in die Ätherisierung der Erde, nach dem großen Krieg aller gegen alle bis ins Physische verwirklichen wird. Zum ersten Mal erscheinen hier Menschengestalten statt der Tiergestalten, welche, wie wir sahen, das Mysterium von Golgatha in ihr ganzes Sein aufgenommen und damit das Zeugenschicksal erlitten haben. Es sind die Erstlinge einer neuen Menschheit. Jedem wird ein weißes Gewand gegeben, indem sie getröstet werden, dass ihr Schicksal sich in Kürze mit ihren Brüdern erfüllen werde, die gleich ihnen den Zeugentod erleiden würde. – Wenn wir diese Wende vom geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkt betrachten, so ergeben sich zwei Aspekte: der eine ist der persönlich karmische, der andere ist der kosmische, die beide hier zusammenfallen und sich heute schon ankündigen und vorbereiten. Der karmische Aspekt ergibt sich aus der Frage: wie es möglich ist, dass der Mensch den „letzten Heller“ seiner Schulden jemals in seinem Kontobuch abtragen kann, da zu den alten Fehlern, Versäumnissen und Lebensschulden in jedem Erdenleben doch neue hinzukommen! Und gerade die Gegenwart bietet reichlich Gelegenheit dazu, da der Mensch heute einen weit größeren Freiheitsraum zum willkürlichen Ausleben seiner Wünsche und Laster hat, als es in den früheren Lebensverhältnissen der Fall war. – So sagt Maria in den Mysteriendramen Rudolf Steiners zu Johannes-Thomasius vor dem Hüter der Schwelle:

Es wandelt wahrlich mancher Mensch auf Erden, Der nur mit Schamgefühl erblicken würde, Wie wenig er in seiner Gegenwart Entspricht dem Leben, das er einst geführt. [59, 7. Bild] In der Tat wäre es wohl kaum möglich, dass der Mensch alle seine karmischen Schulden bereinigen könnte, wenn zu dem rein persönlichen Karma-Motiv nicht noch ein überpersönliches hinzutreten würde. Dieses überpersönlich-geistige ist im ersten Mysteriendrama „Die Pforte der Einweihung“ dargestellt, das zwischen Maria und Johannes waltet. Dies Band wurde geknüpft, als Maria als Christusbote der hybernischen Mysterien den Germanen die Kunde von dem Sonnenwesen brachte, das auf die Erde niedersteigt, um während dreier Jahre in eines Menschen Leib zu wohnen. Und Johannes verdankt seine erste Berührung mit dem Christus-Impuls dieser Botschaft. Hier liegt der Nerv ihrer überpersönlich-geistigen Schicksalsverbindung. Das ist der „Gnadenstrahl“, der unserem Karma einverwoben ist, der das Schuldenkarma aufsaugt und durchleuchtet, wie das Licht der Sonne das Eis zum Schmelzen bringt. Dieser Gnadenstrahl hängt zusammen mit der geistigen Mission, dem Lebensauftrag, der unserem Karma vor unserer Geburt 357

einverwoben wurde und der sich schrittweise im Erdenleben entfaltet, je mehr er in unserem Bewusstsein erwacht. Und so wie Rudolf Steiner in seinen letzten Vorträgen von den „abnormen Schicksalsabläufen“ der michaelischen Seelen gesprochen hat, die dazu prädestiniert sind, bereits nach kurzer Zeit wieder zurückzukehren, um im Dienste Michaels sich zur Rettung der Erdenzivilisation einzusetzen und diese vor dem völligen Verfall zu retten: So hat er auch den Schleier gelüftet von ihrem vorgeburtlichen Schicksal in den vorangehenden Jahrhunderten, als sie in der übersinnlichen Lehrschule des Michael die Unterweisungen Michaels empfingen, die dem unterbewussten Strom ihres Schicksals tief einverwoben sind und die diese Seelen auf Erden die Wege finden ließ zur Offenbarung Michaels in der modernen Initiations-Erkenntnis des 20. Jahrhunderts. Während Gabriel im 18./19. Jahrhundert die geistige Führung der Menschheit in Händen hatte, war der Erzengel der Sonne frei von der ihm obliegenden Menschheitsführung auf der Erde.

Das ist für einen führenden Erzengel eine besondere Lage: zu sehen, dass seine Tätigkeit, die durch lange Zeiträume hindurch ausgeübt worden ist, sozusagen aufgehört hat. Und so kam es, dass Michael zu den Seinen sagte: Es ist notwendig, dass wir für die Zeit, in der wir nicht Impulse auf die Erde schicken können – für die Zeit, die mit dem Jahre 1879 etwa endet –, uns eine besondere Aufgabe suchen, eine Aufgabe suchen innerhalb der Sonnenregion. Es sollte für diejenigen Seelen, die ihr Karma in die anthroposophische Bewegung hineingeführt hat, die Möglichkeit vorhanden sein, in der Sonnenregion auf dasjenige hinblicken zu können, was Michael und die Seinen in der Zeit taten, die auf Erden die Zeit der GabrielHerrschaft war. Das war etwas, was sozusagen herausfiel aus all den sonstigen fortgehenden Taten unter Göttern und Menschen. Die mit Michael verbundenen Seelen... sie fühlten sich wie herausgerissen aus dem althergebrachten Zusammenhange mit der geistigen Welt. Da wurde von den Menschenseelen ... im Übersinnlichen etwas erlebt, was früher niemals in den überirdischen Regionen zwischen Tod und Geburt erlebt worden ist. Früher wurde eben erlebt, dass in der Zeit zwischen Tod und neuer Geburt von den Menschenseelen im Verein mit führenden geistigen Wesenheiten das Karma für die künftige Erdenexistenz ausgearbeitet worden ist. Aber so ausgearbeitet wurde früher kein Karma, wie jetzt das Karma derjenigen, die durch die angegebenen Dinge prädestiniert waren, Anthroposophen zu werden. Niemals arbeitete man in der Sonnenregion früher zwischen Tod und neuer Geburt so wie jetzt unter der von Erdenangelegenheiten frei gewordenen Herrschaft des Michael gearbeitet werden konnte. [82] Hier haben wir ein anschauliches Beispiel für das Phänomen der Prädestination, die im Karma veranlagt ist und aus den überpersönlich-geistigen Schicksalszusammenhängen ihre Erfüllung und Bestimmung erhält im Leben zwischen Tod und neuer Geburt. Hier haben wir ein leuchtendes Beispiel, wie geistige Mächte aus der Sonnenregion den Faden in das Schicksalsgewebe hineinweben, die den Menschen auf Erden über sein rein persönliches Karma erhebt und ihn zu seiner geistigen Aufgabe und Bestimmung ruft! Und daraus kann uns aufgehen, wie in der Erfüllung dieser Menschheitsaufgabe der Mensch über sich und sein persönliches Karma hinauswächst und damit Menschheitsziele und Verantwortungen auf sich nimmt. Er wächst dadurch in eine allgemein menschheitliche Sphäre hinein. Und damit wird ein Teil seines Schuldenkarmas durch diesen „Gnadenstrahl“ ausgelöscht. 358

Damit hängt unmittelbar der zweite, kosmische Aspekt zusammen, der in der Ätherisation der Erde in der Periode der „Siegel“ sich erfüllt. Die Erde geht nach der großen Kriegskatastrophe in einen ätherischen Zustand über, der heute sich schon vorbereitet, indem sich die ätherischen Bildekräfte von einzelnen menschlichen Organen emanzipieren, eine Tatsache, mit der die Heilkunst der Zukunft rechnen muss, um von den ätherischen Lebenskräften aus die physischen Organe zu heilen. Und das Nämliche gilt auch für das menschliche Denken und Urteilen. Es ist der Schritt „vom Land aufs Meer“, der heute vollzogen werden muss, indem wir den Mut aufbringen müssen, uns aufzuschwingen zu einem geistigen Denken und Urteilen, da das routinehafte Denken und Urteilen aus den rein materiellen Verhältnissen heraus versagt. Das ist das große Leitmotiv, wie es in der 5. Stufe, schon heute deutlich vernehmbar, erklingt und zum schicksalsbestimmenden Motiv bis zum Ende der materiellen Erdenentwicklung immer mehr sich erfüllen wird: Ändert euren Sinn, das Reich der Himmel ist nahe herbeigekommen und wird sich unter manchen verheerenden Zeichen kundtun und in die physischen Erdenverhältnisse eindringen, wie sehr sich auch die Menschen dagegen sperren und versetzen. Kosmisch gesehen geht es bei den Siegelstufen um nichts Geringeres als um die Erhebung zur Stufe des Lebens, innerhalb derer der Tod überwunden wird. Es ist das „Ewige Leben“ des Evangeliums, das mit der Spiritualisierung des Denkens beginnt, um dann bis zu den leiblichen Prozessen das Physisch-Materielle zu überwinden und ins Ätherische der Bildekräfte hinaufzuheben. Daher stehen sich hier am Ende der Siegelstufen die Sphäre des Todes und des Lebens gegenüber. Denn mit den Siegelstufen endet bereits die rein physisch-materielle Erdenentwicklung. Der Mensch wird sich dann in einer ätherischen Leibeshülle verkörpern, die nicht durch die physischen Fortpflanzungskräfte gezeugt werden, sondern durch vergeistigte magische „Worte“ des Kehlkopfes. Die Fortpflanzungskraft rückt herauf vom unteren Menschen zum oberen. Darauf weist die hebräische Sprache schon hin, die dasselbe Wort für die Sexualorgane und die Sprache hat. Die Sprachkräfte haben eine tiefgehende Verwandlung durchgemacht, denn die Sprache ist die Hälfte des einstigen Fortpflanzungsvermögens. Damit hängt beim Manne die Stimmänderung in der Pubertätszeit zusammen. Der große Zukunftsgedanke weist in diese Richtung: das Lebendige zu bemeistern, wie der Geometer und Architekt das Unlebendige mit Lineal, Zirkel, Wasserwaage bemeistert, sodass ein Tempel aus den lebendigen Menschenseelen entsteht, die sich nach den Bauformen des Ewigen gestalten. Darauf deutet das Tau-Zeichen (T). – Das, was sich aus der Seele als Macht über die Erde entfaltet, ist in diesem Symbol ausgedrückt. In der Legende vom Hieram spielt dieses Zeichen eine große Rolle. Als die Königin von Saba die am Salomonischen Tempelbau beschäftigten Arbeiter zu sehen wünscht, hebt Hieram das Tau-Zeichen in die Höhe, worauf alle „in sozialer Gemeinschaft zusammenwirkenden Menschen“ von allen Seiten zusammenströmen. Im Gegensatz zu der bis dahin wirkenden Gattungskraft der alten Rassen und Völker symbolisiert das Tau-Zeichen eine ganz neue Macht, die erst in der Zukunft sich zu ihrer Bedeutung entwickeln wird und die, auf die Freiheit begründet, in einer ganz neuen Naturkraft besteht. Diese Kraft wird nur durch die Macht der selbstlosen Liebe gesetzt werden können. Im Bild des heiligen Gral ist auf diese menschenverwandelnde Kraft der Menschenbruderschaft hingewiesen! – Im Zeichen des Pentagramms, in dem die Fünfzahl steht, ist diese Stufe des 5. Siegels in ihrer Entscheidung ausgedrückt. Sie wirkt sich aus in den letzten beiden Stufen, welche die Konsequenzen 359

dieser apokalyptischen Entscheidung darstellen: Tod und Leben. Das VI. Siegel verdunkelt die Sonne und Sterne, sie fallen auf die Erde hernieder, wie wenn ein Feigenbaum vom Wehen des Windes sein Laub verliert. Und der Himmel wich zurück wie eine sich zusammenrollende Buchrolle. (Off. 6,14) Mit der Ätherisierung der Erde können die Sterne nur noch ätherisch in ihrer geistigen Wirksamkeit wahrgenommen werden, für den Sinnenschein verschwinden sie. Für die an der Materie verhaftet bleibenden Menschen ist es ein erschreckendes Todeserlebnis hereinbrechender Finsternis. Je stärker die Bande sind, die die Menschen an die irdischen Grundlagen der als „unerschütterlich“ scheinenden Fundamente ihrer Macht binden, umso größer das Entsetzen, wenn die Materie sich als das enthüllt, was sie vor dem Geiste in Wahrheit ist: Schein, Trug und Illusion! Und die Könige der Erde, die Großen und die Führer der Heere, die Reichen und die Starken und alle Sklaven und alle Freien verbargen sich in die Schluchten und in die Felsenklüfte der Gebirge und sprachen zu den Bergen und Felsen: „Stürzet zusammen über uns und verbergt uns vor dem Angesicht der Thronenden und vor dem Zorn des Lammes. Der große Tag des göttlichen Zornes ist gekommen, wer kann vor ihm bestehen?“ (Off. 6,16) Die neue vergeistigte Grundlage der Erde erhebt sich schon bald hier beim 6. Siegel, das die große Entscheidung bringt und damit den Zusammenbruch der materiellen Grundlage unserer Welt. Der geistig erweckte Sinn kann in den Gewittern der Zeit und in vielen Naturkatastrophen dies Herannahen und Hereinbrechen des Zusammenbruchs der für unerschütterlich und als ewig in ihrer Existenz gehaltenen natürlichen Welt schon heute die Vorboten dieser machtvollen Umwandlungsprozesses erleben – während der materialistische Sinn dies alles für notwendige Naturgesetze in rein physischem Sinne ansieht, da er schon heute blind ist für das Walten und Wirken übersinnlicher Gewalten. Umso bestürzender muss es sein für solche Menschen, die Auflösung und den Zusammenbruch der physisch-sinnlichen Daseinsform zu erleben. Sie werden den Irrtum auch der naturwissenschaftlichen Weltanschauung von der Ewigkeit der Naturgesetze erfahren, die ja nur Geltung haben innerhalb der sinnlich-materiellen Welt. Das 6. Ich-Wort des Christus erfüllt sich hier in seiner sonnenhaften Größe, das die Seelen, welche das Siegel der Lebenskräfte empfangen, im Erleben der ätherischen Lichtwelt haben. 6. „Mein Ich ist der Weg, die Wahrheit und das Leben!“ (Joh. 14,6) In diesen drei Worten erfüllt sich ganz genau die Erhebung in die todlose Lebenssphäre. Es wird im esoterischen Bereich der Abschiedsreden zu dem zweifelnden Thomas-Jünger gesprochen, der auf das Wort des Christus: „Und wohin ich gehe, das wisset ihr, und den Weg, der dorthin führt, kennet ihr auch!“ entgegnet: „Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst, und wie können wir den Weg kennen?“ (Joh. 14,5) – Es ist die bange Frage des Menschen gerade unserer Zeit. Die Naturwissenschaft hat den Menschen gelehrt, nur das Sichtbare, Greifbare, was unsere Augen sehen, was unsere Hände betasten können, als wahr anzuerkennen, was sich dem materiellen Experiment unterwirft – und alles andere, was nur vom Geistigen angesehen und durch den Ichsinn als Wahrheit anerkannt und eingesehen werden kann, als zweifelhaft oder als Illusion abzutun. Dies Wort, das sich im Grunde genommen an die am Materiellen sich anklammernde Forschergesinnung unserer 360

Zeit richtet, spricht das Ich als den Weg an, den Weg, der im Ich zur Wahrheit führt und der der einzige Weg ist, welcher die unumstößliche Wahrheit im Ich erkennt. Alles andere bleibt trügerisch und der Täuschung der Zeitmeinungen unterworfen. Wer nicht diesen Weg findet und beschreitet, dem fehlt es an der Ich-Kraft, ohne materielle Stütze und Grundlage dem Geistig-Übersinnlichen sein Auge zu erschließen. Hier ist das Christus-Ich als objektives Menschheits-Selbst der innere Halt auf diesem Wege, der zum Erkennen der Wahrheit führt. Und diese Wahrheit ist nicht nur eine Pilatus-Wahrheit, die nach einer logischen einseitigen Rechtfertigung fragt, der gegenüber die Frage berechtigt ist: „Was ist Wahrheit?“ (Joh. 18,38) Die Menschen noch zur Zeit des Urchristentums haben Wahrheit ganz anders erlebt, als Lebens- und Lichtesquell, als die tragende Grundlage und das Ziel des Menschenlebens. Das Sonnensiegel der Sonnenstufe weist auf den Weg zur Sonne, aus der der wahre Weltengrund sich offenbart: „Niemand kommt zum Vater außer durch mein Ich!“ (Joh. 14,6) Was das Wort des Sonnensiegels uns verheißt, erfüllt sich im letzten Ich-Bin-Wort: 7. „Mein Ich ist der Weinstock und mein Vater ist der Weingärtner. Jede Rebe an mir, die keine Frucht trägt, reißt er aus und jede, die da Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht trage. Ihr seid schon sein durch das Wort, das ich zu euch gesprochen habe. Bleibet in mir, so werde ich in euch bleiben. Wie die Rebe keine Frucht aus sich selbst tragen kann, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so könnt auch ihr es nicht, wenn ihr nicht mit meinem Ich verbunden bleibt und von meinem Lebensblut durchströmt werdet. Mein Ich ist der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in meinem Ich den Gottesgrund findet und mich in seinem Ich wohnen lässt, wird reiche Früchte tragen. Seid ihr von mir getrennt, so könnt ihr nichts vollbringen. Wer nicht in mir bleibt, wird weggeworfen und muss verdorren wie die Reben, die man sammelt und die man ins Feuer wirft und die verbrannt werden. Findet ihr den Gottesgrund in mir und lasst meine Worte in euch leben, so wird euch zuteil, was euer Wille erbittet. Dadurch offenbart sich der Gottesgrund, wenn ihr reiche Früchte traget und immer mehr zu meinen Jüngern werdet.“ (Joh. 15,1 ff.) In diesem letzten Ich-Wort ist die Scheidung schon deutlich im Bilde der Reben vollzogen, die vom Lebensblut des Weinstocks durchpulst sind und in diejenigen, die vom Lebensblut ihres Seins sich getrennt haben und verdorren müssen. In den Bildern des VI. und VII. Siegels wird diese apokalyptische Scheidung dargestellt. Es kann zunächst befremden, dass von den Seelen, welche im VI. Siegel den Anschluss an das geistige Licht der Lebenssphären nicht finden und in den Ruf ausbrechen: „Stürzet zusammen über uns, ihr Berge und Felsen, und verbergt uns vor dem Antlitz des Thronenden!“, ferner nicht mehr die Rede ist. Wir werden nur Zeuge des kultischen Geschehens, das sich jetzt in der Versiegelung der 144000 abspielt, welche das Siegel der durchchristeten Lebenskräfte empfangen. Damit sind sie enthoben der Kräfte des Todes und der Vergänglichkeit und aufgenommen in die Kraftsphäre der durchgeistigten, todlosen Lebenskräfte („Buddhi“). Dies entspricht der Stufe der Eingeweihten und „Chelas“, welche die ätherischen Bildekräfte in ihre Macht bekommen haben (wie Christian Rosenkreutz), und dem gewöhnlichen Durchgang durch die wiederholten Erdenleben enthoben sind. In einem festlich-strahlenden Bilde wird dieser Aufstieg in die neue todlose Lebenssphäre im 6. Kapitel beschrieben: Abermals tauchen die weißen Gewänder auf, in denen die 144000 erscheinen.

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Sie haben ihre Gewänder gewaschen und leuchtend weiß gemacht durch das Blut des Lammes. Deshalb können sie vor dem göttlichen Throne stehen und ihm Tag und Nacht in seinem Tempel dienen. Und der Thronende waltet über ihnen. Sie werden nicht mehr hungern und dürsten; sie können nicht mehr von der Hitze der Sonne oder einem anderen Feuer überwältigt werden. Denn das Lamm in des Thrones Mitte wird ihr Hirte sein und ihr Führer zu den Quellen, aus denen das Wasser des Lebens fließt. Und der väterliche Weltengrund wird alle Tränen von ihren Augen wischen. (Off. 7,14 ff.) Alle Worte im Johannesevangelium, die sich auf das „ewige Leben“ beziehen, das ein Hauptmotiv im Johannesevangelium bildet, finden hier in diesen apokalyptischen Bildern ihre Erfüllung. Denn ist es nicht das eigentlich esoterische Ziel der ganzen Menschheitsentwicklung, durch die Vergeistigung unserer ätherischen Lebenskräfte, die noch dem Tode unterworfen sind, solange sie noch nicht vom höheren Ich, dem Christus, durchdrungen sind, unabhängig zu werden von den Bedingungen des vergänglichen physischen Leibes und ohne ihn ein Ich-Bewusstsein zu entfalten? Das ist die „Engelstufe“, und die soll der Mensch am Ende der Erdenentwicklung erreichen. Daher der Jubel, der diese geistige Erhebung in die höhere Stufe der durchchristeten Lebenskräfte verklärt. Mit einem Kultus wird das letzte Siegel eröffnet, der die Ouvertüre bildet für die nächsthöhere Stufe der sieben Posaunenklänge. Und als es das siebente Siegel öffnete, entstand ein tiefes Schweigen in den Geisteswelten, eine halbe Zeitenrunde lang. Und ich sah die sieben Engel, die vor dem Vatergott stehen, denen sieben Posaunen gegeben wurden. Und der andere Engel kam und trat mit einem goldenen Rauchgefäß an den Altar. Ihm wurde viel Räucherwerk gereicht, damit er es zu den Gebeten aller Geist-Ergebenen spendete auf dem goldenen Altar angesichts des Thrones. Und aus der Hand des Engels stieg der Weihrauch empor zusammen mit den Gebeten der Geist-Ergebenen vor dem Angesicht der Gottheit. Dann nahm der Engel das Rauchgefäß, füllte es mit dem Feuer des Altars und schüttete es hinunter auf die Erde. Da rollten die Donner, es tönten die Stimmen, es zuckten die Blitze, und die Erde erbebte. (Off. 8,1 ff.) Dies kultisch-feierliche Geschehen ist der Inhalt der 7. Siegelstufe, aus welcher unmittelbar die Posaunenklänge sich entfalten. Es scheint keine weitere Trennung oder Kluft vorzuliegen. Die Seelen, welche gewürdigt worden sind, die durchchristeten Lebenskräfte zu empfangen, werden Zeuge des Kultus in den Geisteswelten, der sie emporführt zur devachanischen Sphäre, aus der die Posaunenklänge ertönen. Im rhythmisch geübten Meditieren der Sieben Ich-Bin-Worte, die der planetarischen Folge der Wochensprüche entsprechen, kann der Mensch sein durch den Intellektualismus geschwächtes und gespaltenes Ich stärken und mit innerer Substanz erfüllen. Und diese geistige Stärkung braucht er heute und in der Zukunft gar sehr, um den Attacken und zersetzenden Einflüssen unseres Zeitalters gewachsen zu sein. Im Triumphgefühl unserer technischen Zivilisation übersieht der Mensch, dass er ohne geistiges Fundament über einem Abgrund schwebt, der sich oft durch eine kleine Erschütterung jählings vor ihm öffnet. Das Bauen an dem brüchig gewordenen Fundament unseres Ich gehört zu den ersten Pflichten eines Menschen, der nicht nur wie eine Eintagsfliege in den Tag hineinlebt und daher auf der Stufe des „bürgerlichen Tiermenschen“ steht, wie Pestalozzi den Horizont seiner Zeitgenossen nannte. Dr. med. Joachim Bodamer beschreibt in seinem Büchlein „Der Mensch ohne Ich“ die Situation des durch die technische, völlig geistlose Umwelt schwer gefährdeten Menschen und wie unerlässlich eine Selbsterkenntnis und seelische Heilmittel zur geistigen 362

Gesundung gesucht werden müssen, um diese Krankheit – denn eine solche ist es – zu heilen.

Seitdem der heutige Mensch den Glauben an seine jenseitige Bestimmung und an die Notwendigkeit seiner Erlösung faktisch aufgegeben hat, fehlt ihm der reinigende Spiegel, der ihm das Bild seines Ich unerbittlich und ohne Beschönigung korrigiert zurückwirft. Offenbar erblickt der Mensch sein eigenes Bild nur im und durch das Gegenbild Gottes, denn er kann die Maßstäbe für sich selbst nicht seinem Ich entnehmen oder den Notwendigkeiten des Tages, den wechselnden Weltanschauungen und am wenigsten dem sogenannten Fortschritt. Ich-Verlust und Gottes-Verlust sind also zwei Seiten desselben Vorganges. Die Brennlinse, die das Ich des Menschen als seinen inneren Mittelpunkt zentrieren könnte, ist trübe geworden und mit ihr dieses Ich, in welchem winzigen Wörtchen die ganze unabsehbare Wirklichkeit, die schlichte Größe und die Monstrosität des Menschen sich artikuliert. Das scheint auch der Grund für eine weitere Erfahrung zu sein, dass nämlich der – selbst in der Krankheit – sich entfliehende Mensch so selten an Schuldgefühlen leidet und so schwer dazu zu bringen ist, eine Schuld, die er objektiv auf sich geladen hat, auch als solche anzuerkennen. Dem scheint zu widersprechen, dass in der Psychotherapie und bei der Behandlung von Neurosen so viel von Schuld und Schuldgefühlen die Rede ist, aber der Neurotiker bezichtigt sich meist einer Scheinschuld, er leidet unter Verfehlungen, die er gar nicht begangen hat, und der Nachweis ist nicht schwierig, dass damit oft die wirkliche Schuld, die Unfähigkeit mitmenschlicher Liebe, nur zugedeckt werden soll, meist unbewusst, was aber die Behandlung dann außerordentlich erschwert. Der Mensch muss aber, um sich schuldig zu fühlen, ein verantwortliches Ich haben, eine innere Zentralstelle, die unaufgefordert Stellung nimmt und Scheinlösungen wie Selbsttäuschungen verachtet. Wenn dieses Ich aber keine moralische Institution der Selbsterkenntnis mehr ist, sondern nur noch der Ort einer unaufhörlichen Selbstbestätigung unserer Triebhaftigkeit und Getriebenheit, dann wird der Mensch wieder „schuldlos“, in einem bösen und vernichtenden Sinn, wird ein großes Kind oder ein ewig infantiler Erwachsener, der von dem tiefen und tragischen Ernst menschlichen Daseins keine Ahnung mehr hat. [83] Wieweit wir ein „verantwortliches Ich“ haben, das kann uns der Bilderspiegel der Apokalypse lehren, der sich zum Spiegel der Selbsterkenntnis für uns vertiefen und erweitern kann.

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Bild 13: Albrecht Dürer, Das große Babylon, 1498

Der siebente Engel gießt seine Schale aus, die auf der Erde große Katastrophen auslöst. Es ist dies das Gericht über die große Hure Babylon, die auf dem Tiere, das aus dem Abgrund gestiegen ist, reitet.

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20. Die Heiligung des Fühlens – Der Sinn unserer Schicksalsprüfungen Ein nur die Bilderfolge ins Auge fassender Beobachtender der Apokalypse könnte die Frage erheben, warum nach dem erklommenen Gipfel der in die Höhen des ewigen Lebens erhobenen Seelen nicht die Krönung und das Ziel des Menschheitsdramas mit dem Bilde der in weiße Gewänder gekleideten Seelen, welche die Quellen des Wassers des Lebens gefunden haben, schon erreicht ist, und er könnte überrascht und befremdet sein, dass nun auf diesem Gipfelpunkt jählings sich das anschließende Drama der Posaunenklänge vollzieht, die ein Drittel der Erde und der Lebenskräfte vernichten? Ja, dass diese Vernichtung nicht aus den Erdenkräften, sondern aus den Himmelskräften, und zwar aus der Hand des „anderen Engels“, indem wir den starken Engel mit dem Sonnenantlitz erkennen können, den Erzengel Michael, erfolgen! Man wird immer mehr von dem Gefühl durchdrungen werden, je länger und eingehender man sich mit den Bildern der Offenbarung Johannis beschäftigt, dass die Deutung der einzelnen Bilder nicht ausreicht, ja, dass sie auch nicht als Bilder für sich genommen und erklärt werden können. Man spricht auf dem geisteswissenschaftlichen Erkenntniswege von der Stufe der Inspiration, die der Stufe der Imagination folgt. Sie erst vermag die Bilderwelt richtig zu durchleuchten, in ihren tieferen Zusammenhängen zu durchschauen und zu einer befriedigenden, weltorientierenden Erkenntnis zu bringen. Dazu aber ist mehr nötig, als den intellektuellen Sinn der einzelnen Bilder zu deuten. Dazu ist in der anderen Folge dieser Bilderwelt vor allem nötig ein Durchdrungensein der Seele mit dem tieferen Ethos und dem sich daraus ergebenden Sinn der christlichen Welterfassung oder einer durchchristeten Weltanschauung. Was ist damit gemeint? – Wer nicht an der Oberfläche einer verstandesmäßigen Erklärung und Deutung bleiben will, der wird sich eingestehen müssen, dass dies nicht mit einigen Worten und Begriffen auszusprechen ist. Er würde dem Kinde gleichen, das mit einer Nussschale das Meer auszuschöpfen unternimmt! So tief und umfassend wie das Meer ist die unerschöpfliche Größe, Tiefe und Weite der geistigen Welt, in die wir in den Bildern dieser Offenbarung eintauchen; so grundlosunaussprechlich ist das Mysterium einer „durchchristeten“ Welt. Wer nicht mit einigen dogmatischen Begriffen sich begnügt, der wird zunächst nur staunend vor der unfasslichunermesslichen Tiefe und Größe dieses bodenlosen Meeres stehen bleiben und die Nussschalen seiner Begriffe wie das Kind zu Boden werfen, wenn ihm sein kindisches Unterfangen bewusst geworden ist! – Damit wollen wir nicht nach Art der Mystiker das Denken verachten und geringschätzen, um uns nur mit dem anbetenden Gefühl in die Tiefe des göttlichen Mysteriums zu versenken. Aber wir wollen uns mit der Empfindung durchdringen, dass unserer Erkenntnismöglichkeit solange das Niveau fehlt, als unsere Erkenntnis noch auf dem „neutralen“ Boden der heutigen Urteils- und Erlebnisart stehen bleibt, mit der wir gewohnt sind, die Welt zu erfassen. Wir müssen auch hier Ursache und Wirkung vertauschen. Wir gelangen nicht zum erkennenden Erfassen der Bilder, die sich vom 9. Kapitel ab (der Posaunenklänge) vor unserem geistigen Auge entfalten, wenn wir nicht schon von Beginn an uns von der Wirkung als dem geheimen Sinn dieser Bilder haben durchdringen lassen! Und diese Wirkung entfaltet sich in unserer Seele eben in der durchchristeten Welterfassung: sie ist ihr Ergebnis, ihr Resultat. Das ist der Grund, weshalb man sich scheut, diese Erfahrungen – denn nur durch Erfahrungen können diese Bilder erfasst, erlebt 365

und „erkannt“ werden – in begrifflichen Deutungen auszusprechen, die alle sich als unzulänglich und daher zu einseitig erweisen müssen. Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass auch der Autor sich nicht reif genug und fähig fühlt, das im Innern geistig Erfahrene schon soweit in einer Sprache auszusprechen, die dem Leser verständlich sein und welche ihn befriedigen kann. Der Hinweis auf das Erkenntnisringen Schellings in seiner Philosophie der Offenbarung und Mythologie möge das Gemeinte veranschaulichen. Schelling zog sich nach dem Tode seiner Frau Karoline 30 Jahre in die Einsamkeit zurück und verstummte. In diesen Jahren hielt er geistige Zwiesprache mit den seine Seele durchdringenden umfassenden Problemen, die in ihm reiften. Seine Seele wuchs hinein in eine übersinnliche Welt, aus deren Umgang die in die Abgründe des Seins tauchenden Fragen der Gottheit in ihrem dreifachen Aspekt in ihm reiften, sodass er versuchte, ihnen eine begriffliche Deutung zu geben, als er mit 66 Jahren nach Berlin an die Universität von König Friedrich Wilhelm II. berufen wurde. Doch in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts war die Zeit schon vorüber, wo man noch in seinen Vorlesungen ein Organ gehabt hätte für diese feinsinnigen Auseinandersetzungen. Nach den ersten Vorlesungen, die von erwartungsvollen Hörern besetzt waren, leerten sich schon bald die Bänke. Die naturwissenschaftliche Epoche war angebrochen und lähmte das Interesse für diese metaphysischen Fragen. So blieb die langjährige Frucht von Schellings Arbeit, die zugleich der Gipfelpunkt eines philosophischen Ringens war, das in die übersinnliche Erfahrung einmündete, von seiner Zeit unbeachtet und unbeantwortet. Und erst im Anbruch des nächsten Jahrhunderts konnte im beginnenden michaelischen Zeitalter durch Rudolf Steiner der Durchbruch zu der konkreten Geistanschauung vollzogen werden. – Dennoch kann es uns auch heute eine willkommene Hilfe sein, um uns aus den Plattheiten materialistischer Vorstellungen zu befreien, wenn wir uns in die abstrakte Höhe der Schellingschen Begriffe aufschwingen. Denn auch wir befinden uns in einer ähnlichen Lage. Was wir an konkreten und geistgesättigten Begriffen der Geist-Erkenntnis verdanken, wird, wenn es einmal ganz ausgereift und mit Lebensblut durchdrungen ist, uns die Seelenschwingen lösen, um jene Höhen wieder zu erreichen, die Schelling, Jakob Böhme Uria. erreicht haben, nun aber mit den geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen ausgerüstet, die zur imaginativen und inspirierenden Anschauung heranreifen. – Diese Worte als Vorbemerkung für die nachfolgenden Ausführungen wollen den Leser vorbereiten auf die noch aphoristische und unzulängliche Art dieser „Erfahrungen“ auf dem Hintergrund eines lebensvollen durchchristeten Weltbildes. Wenden wir uns noch einmal zu der Frage: Warum die Apokalypse mit der in der 6. Siegelstufe erreichten Höhe nicht abschließt und das eigentliche Drama des erneuten Abstiegs in den vernichtenden Posaunenklängen erst beginnt, so treffen wir mit dieser Frage in das Herz der Christusmysterien. Denn dieses Herz offenbart sich in den Posaunenklängen. Es ist, als Herz des Mysteriums der Erdenund Menschheitsentwicklung, das Mysterium von Golgatha. Die Folgen dieses Mysteriums werden sich durch die ganze Weltentwicklung erstrecken und sich sowohl innerhalb der Menschen- wie der Götterwelt manifestieren. Die höheren Geister sind ebenso daran beteiligt wie die Menschen; wir können hier zum besseren Verständnis einen Begriff einführen, nämlich den vom Weltenkarma, das sich auf die höheren Sphären der ganzen Weltentwicklung durch die Opfertat Christi erstreckt. Damit berühren wir ein Problem, für 366

welches die orientalische Weltanschauung mehr Verständnis besitzt als die abendländische Weltbetrachtung. Es liegt im Begriff des „Karma“ beschlossen. Der Mensch greift durch seine Taten, Worte und Gedanken in das Leben der höheren Hierarchien ein, wodurch objektive Weltenwirkungen entstehen. Diese müssen auf jeden Fall wieder in Ordnung gebracht werden, wenn das Gleichgewicht der Welt wieder hergestellt werden soll. Der Begriff „Strafe“ ist hier nicht am Platz. Der Orientale kennt ihn auch nicht im gleichen Maße wie die hebräische Weltanschauung. Es handelt sich um objektive Gesetzmäßigkeiten, die erfüllt werden müssen. Ein Beispiel, wie tief der Mensch eingreift in die objektiven Gesetzmäßigkeiten der Hierarchien, bietet unsere Sprache, die wir den Dynamis und Erzengeln verdanken. Rudolf Steiner beschreibt die dadurch mit der Sprache verbundene Tätigkeit dieser höheren Geistwesen und die Folgen, welche die menschliche Sprache für diese Wesen hat.

Aber indem man diese Fähigkeit entwickelt, werden gewissermaßen die Tätigkeiten der Dynamis verrenkt und auch ins Kleinliche verzerrt. Und wenn der Mensch seine Worte dazu verwendet, Böses, Hasserfülltes zu sagen, dann werden sie stark verrenkt, diese Tätigkeiten der zweiten höheren Hierarchien. Und das alles muss wieder eingerichtet werden. Das alles muss so werden, dass der Mensch nicht in den Formen weiterlebt, die er all dem, was ich da geschildert habe, gegeben hat durch seine moralische Wesenheit oder auch seine unmoralische Wesenheit, sondern dass er das alles abstreift und dass er sich hineinfindet in die Betätigung und Regsamkeit, welche die der zweiten Hierarchie ist. Dieses Abstreifen der Verrenkungen, der Verkleinlichungen, dieses Abstreifen der ins Gegenteil gehenden Verkehrungen der Regsamkeiten der zweiten Hierarchie, das wird bewirkt durch all dasjenige, was ich als den Durchgang des Menschen durch die Seelenwelt beschrieben habe. [24, S. 43] Stellen wir uns vor, wie die höheren Hierarchien durch ihre Tätigkeit einverwoben sind der menschlichen Erdentätigkeit und wie der karmische Ausgleich erfolgen muss, zunächst im Leben nach dem Tode, um die „Verrenkungen“, die der Mensch den höheren Wesen zugefügt hat, wieder in Ordnung zu bringen, so bekommen wir ein Verständnis für den notwendigen Ausgleich durch das Karma und die objektiven Weltgesetze, die hier hineinspielen. Und eben dieses Weltgesetz können wir auch anwenden auf die Folgen des Mysteriums von Golgatha. Die Opfertat Christi ist zwar eine nicht vom Karma bedingte freiwillige Tat, eine „Schöpfung aus dem Nichts“, der aber die weitgehenden Folgen für die ganze Weltentwicklung entspringen. Man kann sagen: die ganze Weltentwicklung – im Sinne der ursprünglichen Vaterwelt – hat dadurch einen neuen Einschlag erhalten und ist auf eine neue Seins-Ebene emporgehoben. Das meint das Evangelienwort vom Eckstein, den die Bauleute verworfen haben, zu dem Christus als Grundstein der neuen Weltenordnung geworden ist. Diese neue karmische Weltenordnung gibt seitdem der ganzen ferneren Weltentwicklung ihren Sinn und ihr Gepräge. Sie löst den Menschen von den alten Gesetzmäßigkeiten, um ihn zur Freiheit und damit zur Erfüllung seines Menschheitszieles zu führen. Aber sie steht als notwendige neue Gesetzmäßigkeit vor uns, die, wenn wir ihr zuwider handeln, den Menschen zurückwirft in die alten Gesetzmäßigkeiten, die dann als karmische Folgen sich geltend machen und ihn den Asuras – dem Abgrund – überliefern. Darin spricht sich ein objektives Weltgesetz aus, das zum Heil und dem geistigen Fortgang der Welt seine Erfüllung verlangt! – Wir wollen versuchen, auf diesem geistigen Hintergrund uns nun heranzutasten an dieses Lebensblut der neuen Weltenordnung, deren Urbild im Mysterium von Golgatha vor uns steht. – Da 367

der neue Sinn der Welt durch den „Sohn“ der Welt eingepflanzt ist, so erfüllt er sich zunächst in dem Schicksalsbereich des Menschen, wo wir ihn am besten überschauen können. Und die Bilder der Posaunenklänge versinnlichen uns dies Gesetz, das als Lebensblut die Menschenschöpfung bis zu den Hierarchien durchzieht. Was heißt das anders, als dass alles, was diesem neuen Sinn der Menschheitsentwicklung entgegensteht und ihr zuwiderläuft, umgewandelt und ausgeschaltet werden muss wie die Rebe, die vom Weinstock sich trennt! – So wie die sieben Ich-Bin-Worte als Stab des Ich in den Stufen der sieben Siegel die Richtung zur Höhe weisen, so sind es die sieben Passionsstufen, welche in ihrer Urbildlichkeit uns die Richtung zur Erfüllung des Christusmysteriums weisen. Es ist die Heiligung des Fühlens, wie die Ich-Bin-Worte die Heiligung des Denkens uns spenden. Hier aber treten wir ein in den esoterischen Kern der Christusmysterien, den wir kaum in Worte zu fassen vermögen. Denn dieser Kern spielt sich im verschlossenen Allerheiligsten unseres Innern ab. Er kann nur nacherlebt werden in der innersten Empfindungswelt. Einer begrifflichen Aussage versagt sich das Wort, das sich scheut, dieses Mysterium zu trivialisieren. Deswegen sagte ich am Anfang dieses Kapitels, dass im Bereich der durchchristeten Welt- und Lebensanschauung alles nur mit dem Gefühl nacherlebt werden kann und dass der Begriff nur wie ein Wegweiser auf dies Ziel hinweisen kann, ohne den Inhalt erschöpfen zu können. Dies muss bei den folgenden Ausführungen im Auge behalten werden! – Die Gesetzmäßigkeiten, die in diesem Bereich uns entgegentreten, scheinen paradox zu sein. Denn sie gehören nicht der exoterischen Sphäre des äußeren Daseins an, die sich mit der Logik erfassen lassen. Beginnen wir mit einer Szene aus dem ersten Mysteriendrama „Die Pforte der Einweihung“, die Rudolf Steiner dramatisch gestaltet hat. Es ist die sogenannte „Fluchszene Marias“ im 3. Bilde. Maria, als fortgeschrittenste Schülerin des Benedictus, erfährt durch ihren Lehrer das Rätsel ihres Lebens, das ihr große Prüfungen auferlegt. Sie ist zu einer großen Mission ausersehen, die sie gemeinsam mit Johannes Thomasius vollbringen soll. Die Enthüllung des Geheimnisses ihres Lebens erschüttert sie so, dass ihre Seele sich von ihrem Leib löst und in höhere Reiche emporsteigt, wo sie mit Johannes gemeinsam die Einweihung durchlebt. Während nun ihr geistiges Wesen in der Devachansphäre zu ihrem Urbild aufsteigt und von der höchsten Seligkeit und Dankbarkeit zu ihrem geistigen Lehrer Benedictus durchdrungen wird, stürzt der irdische Teil ihres Wesens in finstere Abgründe, vom ahrimanischen Widersacher ergriffen, der sich durch ihren Leib offenbart und ihren Führer und seine Sendung verflucht. Diese Spaltung der Seele wird sich immer bemerkbar machen an der Schwelle der Einweihung. Wenn wir uns den geistigen Mächten hingeben wollen, dann benutzen die Widersachermächte diesen Augenblick, den niederen vergänglichen Teil unseres Wesens zu ergreifen und sich durch ihn zu offenbaren. Dies ist das Gegenbild der Hingabe der Fußwaschung. Das Obere trennt sich vom Unteren in Kälte und Glut. Ein Drittel der irdischen Kräfte wird vom Feuer verzehrt, um umgewandelt zu werden in die höheren Kräfte.

Dem höheren Leben muss erwachsen, was aus dem niederen Sterben blüht! [?] In diesem Urbild kann uns anschaulich werden, was sich auf dem geistigen Wege abspielt. Der christliche Einweihungsweg ist ein Weg der Wandlung, ein Opferweg, auf dem die 368

niederen Lebens- und Seelenkräfte verwandelt werden müssen. Die Passionsstufen des Johannesevangeliums offenbaren uns diese Transsubstantiation. Und alles, was dieser Wandlung entgegensteht und sich widersetzt, offenbart sich in den Prüfungen der Posaunenklänge. Was sich der Wandlung der Transsubstantiation widersetzt, muss abfallen und ersterben, verbrannt werden von der Flamme des geistigen Feuers, oder es verhärtet sich und wird zum Krankheitsgeschwür. Das ist der tiefere Sinn der Prüfungen, welche die Posaunenklänge über die Menschheit bringen. Es ist die geistige Kraft aus der Höhe, welche als Umwandlungskraft die Menschheit ergreift, welche sich durch die Sonnenkraft Christi zum Astralischen und Geistigen durchringen soll. Was nicht diese Wandlung zum Geiste willig ist mitzumachen, verfällt den Widersachermächten. Das Ziel und der Sinn dieser Prüfungen leuchtet uns aus den sieben Passionsstufen auf, welche die Erfüllung dieses Transsubstantiationsprozesses zeigen. So stellen die Passionsstufen das geistige Urbild als Heilkräfte zu den Posaunenklängen dar, wenn wir sie in ihrem Verhältnis zum Menschen erfassen. Was die Posaunenklänge und Gewalt uns rauben, das wird durch das Erlebnis von Christi Passion in die Auferstehungskräfte verwandelt. Das ist der tiefere Sinn, der uns in den Passionsstufen als Sinn der Erden- und Menschheitsverwandlung aufgeht. Am deutlichsten kann uns das aus der 4. Stufe, der Kreuztragung und Kreuzigung aufgehen. Das Kreuzeswort, das Matthäus wie Markus bringt, kann von zwei Seiten gelesen und verstanden werden. Mein Gott, warum hast du mich verlassen? oder Mein Gott, wie hast du mich verherrlicht! 263 – Das erste würde dem Jesusbewusstsein entsprechen, das sich vom Christus-Ich verlassen fühlt, das zweite dem Christusbewusstsein, das Gott dankt für die Verherrlichung und Verklärung in der Vollendung der Tat, wie es bei der Einweihung der antiken Mysterien der Fall war, wenn der Einzuweihende wieder in den Leib zurückkehrte. In diesem zwiefachen Aspekt geht uns die Wandlung auf, die uns den Sinn unserer Schicksalsprüfungen auf dem Passionsweg zum Bewusstsein bringt. Wir müssen alle durch unser Gethsemane und Golgatha hindurch, wir müssen die Angst bis zum Blutschweiß durchstehen, für jeden von uns kommt die Stunde, wo er von Gott und aller göttlichen Hilfe und Gegenwart sich verlassen fühlt: Mein Gott, warum hast du mich verlassen! Im Aufblick zu Christi Passion können wir den Halt und die unerschütterliche Gewissheit erlangen, die uns den tieferen Sinn unserer Prüfungen und Leiden offenbart. Dann steigt der Dank in uns auf nach durchstandener Passion: Mein Gott, wie hast du mich verherrlicht! – Dann fühlen wir, wie im Durchschreiten der einzelnen Passionsstufen die Antwort auf die Hierzu Auf die Trennung des Inneren des Christus Jesus von diesem Göttlichen in der physischen Natur, darauf hat der Schreiber des Matthäusevangeliums den Blick gerichtet. Und die alten Mysterienworte, die da lauteten immer, wenn die geistige Natur des Menschen heraustrat aus dem physischen Leib, um schauen zu können in der geistigen Welt: „Mein Gott, mein Gott, wie hast du mich verherrlicht!“, er ändert sie dahin, dass er sagt, hinschauend auf den physischen Leib: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt. 27,46) Du bist von mir weg, hast mich aufgegeben in diesem Moment. [GA 123] Zur Übersetzung dieses Ausrufs sind einige irrige Meinungen im Umlauf. Die griechischen Codices zeigen eine Transkription von Mt. 27,46 und Mk. 15,34 allesamt so etwas wie l*ma sabachthani, lima sabaktani oder lama za(ba)phthani. Zwischen Hebräisch und Aramäisch besteht hierbei kein nennenswerter Unterschied; ‫ – שבחת‬šabacht(ā) – bedeutet hebräisch „du hast verlassen“, aramäisch „du hast (zurück)gelassen“. In Psalm 22,2 wird statt diesem Wort das Verb ‫ תבזע‬asabthā benutzt, das hebräisch ebenfalls „verlassen“ bedeutet; im Altaramäischen ist dieses Wort nicht belegt. Ein ähnliches Wort ist ‫ – שבחת‬hebräisch šibbaħthā (pi’el) / aramäisch šabbéħth(ā) (pa’el) – „du hast gepriesen“. 263

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Frage nach dem Sinn der Schicksalsprüfungen uns zuteil wird. Dann erleben wir in innerer Bestätigung: Nur durch das Durchschreiten und Nacherleben von Christi Passion können wir ihm nachfolgen und den Weg zur Auferstehung finden. Es gibt keinen anderen Weg. Es ist der Weg der Wandlung, der Weg der Transsubstantiation, den die ganze Menschheit durchleben muss, wie ihn Christus uns vorgelebt hat! Es kommt alles auf die Einsicht, auf eine aus der Erkenntnis folgende Bereitschaft an, diesen Weg freiwillig auch gehen zu wollen. Dann erblühen aus dem dunklen Kreuzesholz die lichten Rosen. Aber die Widerstände sind groß, die aus der menschlichen Natur kommen. Mit der Einsicht in die Notwendigkeit, die Wege der Wandlung zu beschreiten, ist es nicht getan. Große Überwindungen sind dazu notwendig, um die aus der menschlichen Natur uns überwältigenden Widerstände zu besiegen. – In den Posaunenklängen erhalten wir ein Bild dieser Kräfte, die überwunden, die verbrannt werden müssen, um die höheren Stufen zu erreichen. Aus dem apokalyptischen Drama geht hervor, dass diejenigen Seelen, welche die höheren Lebenskräfte im 6. und 7. Siegel erreicht haben, diese Umwandlung bereits durchgemacht haben und daher die negativen Folgen der sich der Wandlung widersetzenden Seelen in dieser Form nicht durchzumachen haben. An ihnen hat sich das Wort erfüllt: Dem höheren Leben soll erwachsen, was aus dem niederen Sterben blüht! Sie sind durch den Tod des niederen Sterbens schon hindurchgeschritten! – So ergibt sich die folgende Gliederung, wobei die sieben Passionsstufen uns das Urbild der in Demut und freiwilliger Hingabe durchlebten Wandlung vor Augen stellen‚ während die sieben Posaunenklänge negative Bilder derjenigen Menschen schildern, die durch ihren Widerstand gegen den Christusimpuls die Transsubstantiation bis zu Krankheits- und Vernichtungserscheinungen erleben. Die erste Stufe der Fußwaschung enthält in ihrer Hingabe und Demut bereits das Urbild aller folgenden Passionsstufen, um diese siegreich zu bestehen. Aber wir dürfen nicht übersehen, dass selbst dem Geist ergebene Menschen von den Tiefenkräften ihrer ungeläuterten Natur noch überwältigt werden können. Die Gethsemane-Prüfung bleibt keinem erspart – so nimm diesen Kelch von mir! (22,42) Denn die niedere Natur des Menschen will sich nicht opfern. In ihrem Widerstand bewirkt sie die Spaltung der Seele in Kälte und Glut, in das Obere und das Untere. Sie muss den Verlust der Lebenskräfte, die sich klammern an die physische Existenz in dieser Spaltung schmerzhaft erleiden. Es ist der Tod, der im Märchen Goethes in der Gestalt der schönen Lilie dargestellt wird, den jeder erleiden muss, der sie berührt. Das Geistige wirkt vernichtend und todbringend, wenn wir ohne die vorhergehende Läuterung mit ihm in Berührung kommen. Ganz exakt ist diese Wirkung in der 1. Posaune beschrieben: Hagel und Feuer mit Blut vermischt fällt auf die Erde, auf die Seelen hernieder, die ohne die Läuterung dem Geistesregen ausgesetzt sind. Ein Drittel der sprossenden Lebenskräfte wird dem Menschen entzogen, die im PhysischNaturhaften verharren. Bis zur 4. Posaune erstreckt sich diese Wirkung auf die menschliche Hüllennatur des physischen, ätherischen, astralischen Leibes. Dann – in der 4. Posaune – wird auch das an den Leib sich klammernde Ich-Bewusstsein ausgelöscht.

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Abb. 30: Passionsstufen und Posaunenklänge 1. Passionsstufe: Fußwaschung. Liebesopfer der selbstlosen Hingabe. 2. Passionsstufe: Geißelung. Schicksalsschläge und schuldlose Leiden

3. Passionsstufe: Dornenkrönung Verengung und Einschrumpfung des Bewusstseins. Die ätherischen Lebensquellen gehen dem hellsichtigen Bewusstsein verloren. Eine Kreuzigung des Denkens wird erlebt. 4. Passionsstufe: Kreuztragung und Kreuzigung (Bewusstseinsverfinsterung in der Bewusstseinsseele)

1. Posaune: Hagel mit Blut und Feuer vermischt, 1/3 der niederen Lebenskräfte verbrennt 2. Posaune: Das Meer wird durch einen feurigen Berg in Blut verwandelt, der ins Meer stürzt. Ein Drittel des Meeres wird in Blut verwandelt, sodass ein Drittel aller beseelten Geschöpfe umkommt und ein Drittel aller Schiffe zerstört werden. 3. Posaune: Durch einen brennenden Stern, der vom Himmel fällt, wird ein Drittel aller Wasserquellen in „Wermut“ verwandelt, wodurch viele Menschen durch die Bitterkeit des Wassers sterben.

4. Posaune: Mein Gott, warum hast du mich verlassen. Sonne und Sterne verfinstern sich.

Die drei letzten Stufen beziehen sich auf die Umwandlung und Auferstehung der höheren Dreiheit des geistigen Menschen. 5. Passionsstufe: 5. Posaune: Öffnung des Brunnens des Abgrunds, aus Höllenfahrt und mystischer Tod dem die Heuschrecken-Dämonen emporsteigen, welche die Erde verfinstern und die Menschen wie Skorpione quälen. 6. Passionsstufe: Auferstehung 6. Posaune: Ein Drittel der Menschheit wird durch drei Unheilsgestalten, durch das Feuer, den Rauch und den Schwefeldampf getötet, welche von den Pferden mit den Schlangenschwänzen ausgehen. 7. Passionsstufe: Himmelfahrt 7. Posaune: Einsetzung des kosmischen Christusreiches, Öffnung des Tempels im Himmel nach der Einweihung durch Michael.

Die letzten drei Posaunen eröffnen kosmische Aspekte als Gegenbilder zur Auferstehung der drei höheren Geistesglieder von Manas, Buddhi, Atman (Geistselbst, Lebensgeist, Geistesmensch). Während der Christus herniederfährt in den Hades, um die Dämonen im Totenreich zu bannen, steigen bei der 5. Posaune die Dämonen aus dem untersinnlichen Bereich empor und quälen die Menschen Es vollzieht sich also eine Art pervertierte, umgekehrte Auferstehung. Das gleiche vollzieht sich in der 6. Posaune, die ein Drittel der Menschen durch die Unheils-Dämonen der „Pferde“ tötet. In den Bildern dieser Rosse mit Schwänzen gleich Schlangen, von denen Rauch, Dampf und Schwefel ausgeht, erkennen wir die untersinnlichen Gegenbilder der höheren ätherischen Lebenskräfte des Licht-, Klang- (chemischen) und Lebensäthers, die in ihren untersinnlichen Gegenkräften heraufdringen und ein Drittel der höheren Lebenskräfte der Menschen töten. Nach dieser Verkümmerung und Trübung der geistigen Lebenskräfte, die zum Teil ausgelöscht werden, erfolgt die strenge Prüfung durch den Hüter der Schwelle, der in der Gestalt des Michael die Schwelle öffnet (10. Kap.). Die Bilder der 7. Posaune beziehen sich 371

auf diejenigen Menschen, welche diese Schwellenprüfung bestehen: der Tempel im Himmel wird aufgetan und das kosmische Christusreich begründet: Eingesetzt ist der Kosmos zum Königreich unseres Herren und des Christusreiches, das der Vater gesandt hat. Durch alle Äonen wird er der König dieses Reiches sein. (Off. 11,15)264 Was uns hierbei als das eigentliche tiefste Geheimnis im Nacherleben der Passionsstufen und ihrer Gegenbilder aufgehen kann, das ist mit Worten schwer auszusprechen. Wer versucht, diese Leiden, welche der Christus durchlebte, nachzuerleben, wer die ganzen aufgelegten Martern und Qualen der Kreuzigungsstufen miterlebt, dem wird die Quelle der unermesslichen Christusliebe sich öffnen und alles, auch die furchtbarsten Qualen, werden von ihm getragen. Das kann eine unerwartete, ganz objektive Erkenntnis in uns wecken: Man könnte sie, um nicht in den Fehler einer abstrakten Moral zu verfallen, was hiermit nicht gemeint ist, vielleicht in folgende Worte kleiden: Im Anblick und Miterleben dieser unbegrenzten Liebesquelle, aus welcher die Kraft und der Drang zu dem sich immer wiederholenden Opfer entströmt, verschwindet plötzlich alles, was an Sorgen, Belastungen im Leben uns unbewusst bedrückt und uns zu unserer persönlichen Einstellung und Haltung zum Leben und unseren Mitmenschen bestimmt hat. Es kommt der Moment, wo dies alles von uns abfällt, verbrannt wird, sodass wir uns zum ersten Mal wie befreit fühlen – frei von unserer eigenen Persönlichkeit, die uns an ganz bestimmte Bindungen, Vorurteile und Beklemmungen gefesselt hat. Wir erleben damit einen Zustand der Befreiung von uns selbst, den der Zen-Buddhismus Satori nennt. Allerdings kommt er auf einem anderen Wege zustande. Denn der östliche Weg des Zen sucht das unpersönliche „ES“, in dem das Bewusstsein aufgeht. Hier aber ist und bleibt der zentrale Mittelpunkt das ICH, und zwar das Ich, das uns aus dem Opfer der Christusliebe entgegenströmt. Diese objektive Liebeskraft strömt aus dem Mittelpunkt des Herzens. Und aus diesem Erlebnis bildet sich der Gedanke: Ist dieser Herzmittelpunkt nicht ein Abbild des umfassenden Menschheitsorgans der Christusliebe und können wir darauf nicht unser ganzes Leben aufbauen! Denn dies Mittelpunktsorgan unseres Herzens ist nicht ein vergängliches, das an unser physisches Dasein gebunden ist. Es ist eine rein geistige Kraftquelle, die unvergänglich ist und uns auch nach dem Tode bleibt. Es ist ein geistiges Tastorgan, mit dem wir auf geistige Weise die geistige Umwelt ertasten, mit dem wir als Geist unter Geistern wirken und leben und uns in andere Wesen versenken können. Es ist gleichsam die unvergängliche Kraftquelle unseres unvergänglichen Wesens. Machen wir sie immer mehr zur Grundlage unseres ganzen Wesens und Seins, dann verlöschen alle Probleme und Einschränkungen, Nöte und Egoismen, die uns bannen, wie Gespensterschatten vor dem Lichte der aufgehenden Sonne – und wir stehen als ein Freier und Befreiter in diesem Licht über allen unfruchtbaren Nöten und Nötigungen unserer eingeklemmten, unfreien Natur. Hier kann uns das Licht und die Freiheit aufgehen, die aus dem Pauluserlebnis spricht: „... nicht ich, sondern der Christus ... in mir!“ (Galater 2,20) Das alles kann uns stufenweise zu einer neuen Erkenntnis- und Lichtesquelle werden, aus der ein unaufhaltsamer Strom hingebender Menschenliebe strömt, der uns selbst immer wieder neu erschafft. – Damit ist verbunden ein inneres Regsamwerden wie ein Augen264

Luther übersetzt: Es sind die Reiche der Welt unsers HERRN und seines Christus geworden, und er wird regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit.

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Aufmachen nach allen Seiten. Augen öffnen sich für subtile Wirkungen und Strömungen, die von unserer Umgebung auf uns ausgehen, in welche wir eingebettet sind und die wir bisher kaum bemerkt haben. Es ist ein seelisch-geistiges Erwachen durch die Liebe, das uns in eine neue Welt stellt, die wir bisher gar nicht wahrnehmen konnten, weil das Herzorgan noch nicht geweckt war! – Dieses kleinste Kapitel dieser Betrachtungen könnte nach seinem Gehalt den geistigen Schwerpunkt bilden, wenn sein Inhalt in seinem esoterischen Gehalt nicht „unaussprechlich“ wäre. Unaussprechlich ist im Grunde genommen auch das Christusopfer. Man hat im Mittelalter den Passionsweg in der Abgeschiedenheit der Klosterzellen durchlebt. Das Christentum beruhte auf diesen Erlebnissen. Sie waren das esoterische Fundament, der persönlich-geistige Weg der Christusverbindung, ohne welchen die Kathedralen, Kirche, Kapellen und die malerischen Kunstwerke des Mittelalters und der Renaissance nicht denkbar wären. Dieser Weg hat viele Menschen zur Einweihung und damit zur Christusbegegnung geführt. Wenn er auch heute in der früheren Form kaum möglich ist, so kann er doch geistig ergänzt werden, da er die einzige Möglichkeit bietet, das Mysterium von Golgatha in der tiefsten Seele nachzuerleben und damit den Christus als „Phantom“ – in seiner geistigen Gestalt und Substanz – aufzunehmen. Eine solche geistige Ergänzung zu dem seelischen Erleben bieten die Vorträge über das „Fünfte Evangelium“ 265 von Rudolf Steiner. Sie gehören zu dem Intimsten, was wir aus der Geistesforschung besitzen. Mit wunderbarer Zartheit sind hier persönliche Erlebnisse aus dem Leben des Christus Jesus geschildert. Und vor allem der Passionsweg, der nicht erst auf Golgatha beginnt, sondern durch die ganzen drei Jahre von der Jordantaufe, als sich die Christuswesenheit in die Hüllen des Jesus einsenkte, bis zum Tod auf Golgatha hindurchzog. Wir erhalten aus diesen subtilen Schilderungen aus dem Leben des Jesus Christus das Nacherleben der unendlichen Leiden, die in diesen drei Jahren bei dem Einleben des kosmischen Christuswesens in die menschlichen Leibeshüllen des Jesus von dem Christus durchgemacht worden sind, der sich in die menschliche Leiblichkeit gleichsam hineinzwängen musste, bis er ganz „Mensch“ geworden war und damit seine geistigen Kräfte verloren hatte. Es ist die Menschwerdung des Gottes. Und aus diesem Schmerzensweg erwächst die unendliche Liebe, die dann auf Golgatha sich mit der ganzen Menschheit verbindet. – Diese Vorgänge sind geeignet, uns tiefer hineinzuleben in die Wandlungsvorgänge und die daraus hervorströmende Christusliebe. (Vgl. S. 280) Wie jemand, der unter unendlichen Qualen immer mehr und mehr seinen Leib dahinschwinden sieht, so sah schwinden ihren göttlichen Inhalt die Christus-Wesenheit, indem sie immer ähnlicher wurde als ätherische Wesenheit dem irdischen Leibe des Jesus von Nazareth, bis sie so ähnlich geworden war, dass sie Angst fühlen konnte wie ein Mensch. Das ist dasjenige, was auch die anderen Evangelien schildern beim Herausgehen des Christus Jesus mit seinen Jüngern auf den Ölberg, wo die Christus-Wesenheit in dem Leibe des Jesus von Nazareth den Angstschweiß auf der Stirn erlebte. Das war die Vermenschlichung, das immer menschlicher-undmenschlicher-Werden des Christus, die Annäherung an den Leib des Jesus von Nazareth. In demselben Maße, in dem diese ätherische Christus-Wesenheit immer ähnlicher wurde dem Leibe des Jesus von Nazareth, in demselben Maße wurde der Christus Mensch. Und da sehen wir den ganzen Passionsweg von jenem Zeitpunkt an, wie er bald nach der Johannestaufe im Jordan eintrat, wo die staunenden Menschen, die gesehen hatten, was der Christus vermochte, sagten: Das habe noch nie ein Wesen auf Erden vollbracht. – Das war die Zeit, in der die Christus-Wesenheit noch wenig ähnlich war dem Leibe des Jesus von Nazareth. Von diesem staunenden Ansehen der ringsherum befindlichen Bewunderer vollzieht sich in drei Jahren der Weg bis dahin, wo die Christus-Wesenheit so ähnlich geworden ist dem Leibe des Jesus von Nazareth, dass sie in diesem siechen Leibe des Jesus von Nazareth, dem sie sich angeähnelt hatte, nicht mehr antworten konnte auf die Fragen des Pilatus, des Herodes und des Kaiphas. So ähnlich war sie geworden dem Leibe des Jesus von Nazareth, dem 265

GA 148, Quelle [78].

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immer schwächer und schwächer werdenden, immer siecher und siecher werdenden Leibe, dass auf die Frage: „Hast du gesagt, dass du den Tempel abbrechen und in drei Tagen wieder aufbauen werdest?“ – aus dem morschen Leibe des Jesus von Nazareth die Christus-Wesenheit nicht mehr sprach und stumm blieb vor dem Hohenpriester der Juden, dass sie stumm blieb vor Pilatus, der fragte: „Hast du gesagt, du wärest der König der Juden?“ – Das war der Passionsweg von der Taufe im Jordan bis zur Machtlosigkeit. Und bald stand die staunende Menge, die vorher die überirdischen Wunderkräfte der Christus-Wesenheit angestaunt hatte, nicht mehr bewundernd um ihn, sondern stand vor dem Kreuze, spottend über die Ohnmacht Gottes, der Mensch geworden war, mit den Worten: „Bist du ein Gott, so steige herab. Du hast anderen geholfen, jetzt hilf dir selber!“ – Das war der Passionsweg, unendliches Leiden, zu dem hinzukam jenes Leid über die Menschheit, die sich so weit gebracht hatte, wie sie eben war zur Zeit des Mysteriums von Golgatha. Dieses Schmerz-Erleiden aber gebar jenen Geist, der beim Pfingstfeste ausgegossen worden ist auf die Apostel. Aus diesen Schmerzen herausgeboren ist die allwaltende kosmische Liebe, die herabgestiegen ist bei der Taufe im Jordan aus den außerirdischen, himmlischen Sphären in die irdische Sphäre hinein, die ähnlich geworden ist dem Menschen, ähnlich einem menschlichen Leibe, und die durchmachte den Augenblick der höchsten göttlichen Ohnmacht, um jenen Impuls zu gebären, den wir dann als den Christus-Impuls in der weiteren Evolution der Menschheit kennen. [78]

Darin spricht sich der esoterische Hintergrund des Passionsweges aus. er sich immer mehr darin versenkt, der ahnt die Größe der allumfassenden Christusliebe und wird von ihrer menschheitsumwandelnden Kraft erfasst.

21. Die Heiligung des Wollens Wollen wir uns den zeitlichen Rahmen abstecken, in dem die sieben Zornesschalen ausgegossen werden, so spielt sich dieser End-Akt des apokalyptischen Dramas erst nach Beendigung der Erdenentwicklung ab, nach der siebten Posaune, womit die Erdenentwicklung in das devachanisch-geistige Gebiet übergeht, das heißt, in das „himmlische Jerusalem“. Es ist gleichsam die letzte Ausstoßung derjenigen Seelen und Bestandteile der Erdenentwicklung, die sich gegen diese Vergeistigung gewandt haben und die deshalb nicht mitgenommen werden können in den der Erdenentwicklung folgenden Jupiterzustand, „das himmlische Jerusalem“. Es ist zunächst gut, sich dies als „zeitliche Landkarte“ vor Augen zu stellen, um eine Übersicht zu haben. (Vgl. S. 259) So wird unsere Erde ihrer Zukunft entgegenleben; so wird sie in ihrer Materie sich immer mehr verfeinern, bis sie Kraft erhält, sich aufzulösen. Dann wird die Zeit kommen, wo das Nichtauflösbare herausgetrieben wird in einer besonderen Weltenkugel. Sieben Zeiträume werden vergehen, während das herausgetrieben wird, was in der Materie sich verhärtet hat... Die Menschen werden fähig, die Materie aufzulösen dadurch, dass sie die Liebe in ihrer Seele aufnehmen. Je wärmer die Seele wird durch die Liebe, desto intensiver wird sie wirken können auf das Materielle; sie wird die ganze Erde vergeistigen, verastralisieren, in eine Astralkugel verwandeln. Aber ebenso, wie die Liebe die Materie auflöst wie laues Wasser das Salz, so wird das Gegenteil von Liebe hin unterdrücken, wiederum durch sieben Stufen alles, was nicht fähig geworden ist, diese Erdenmission zu erfüllen. Das Gegenteil der göttlichen Liebe nennt man den göttlichen Zorn, – das ist der technische Ausdruck. [8, S. 8]

Wir können hier ein wichtiges Gesetz feststellen, dass die Naturgesetze, die bis heute noch von der moralischen Weltordnung getrennt erlebt werden, weswegen ja eine geistigmoralische Weltordnung von den Materialisten überhaupt geleugnet und in Frage gestellt werden kann, am Ende der Erdenentwicklung zusammenfallen, oder richtiger gesagt: die Naturgesetze als solche lösen sich auf in ihrer physikalischen Ausprägung und werden immer mehr der Ausdruck rein geistiger Gesetzmäßigkeiten. Was sich heute nur im Seelischen vollzieht, das wirkt dann bis in das Physische hinein, wobei sich Urgesetze der Weltentwicklung offenbaren. Die eine Kraft ist die Liebe, die andere ist der Hass. Was heute nur im Seelischen sich auswirkt, die auflösende, erwärmende und aufbauende Kraft der Liebe und die erkaltende, sich 374

verkrampfende und verhärtende Kraft des Hasses, das wird dann zur Scheidung der Geister bis ins Physische sich auswirken. Wir müssen zum tieferen Verständnis dieses letzten Aktes der apokalyptischen Prüfungen an das Gesetz der geistigen Durchringung und der Spiegelung der großen, kosmischen Runden in den kleineren mikrokosmischen Runden denken. In diesem Gesetz spiegelt sich die göttliche Weisheit der Weltentwicklung. So spiegelt sich in den sieben Wochentagen die ganze Weltentwicklung wie im Tages- und Nachtzustand ein „Manvantara“ (Schöpfungstag) und „Pralaya“ (nächtliche Ruhepause). Und so wird das apokalyptische Drama in seinen zukünftigen kosmischen Geschehnissen schon heute hereinprojiziert und spiegelt sich in den irdischen Ereignissen. Versuchen wir, die wichtigsten Symptome, die uns im Zeitalter der Zornesschalen im 14., 15., 17. und 18. Kapitel beschrieben werden, zu überschauen. Der Übergang zum letzten Akt des apokalyptischen Dramas wird bereits im 14. Kapitel durch ein majestätisches Bild eingeleitet. Es ist das Lamm auf dem Berge Zion, um das sich die 144000 scharen, die beim Übergang in die höhere Lebenssphäre „versiegelt“ wurden. Ein festlicher Kultus spielt sich ab: das „neue Lied“ wird angestimmt: Keiner konnte das Lied erlernen außer den 144000, die von der Knechtschaft des Irdischen frei geworden waren. Sie sind herausgelöst als der Urbeginn einer neuen Menschheit, die dem Vatergott und dem Lamme angehört. Auf ihren Lippen wird kein Trugwort laut. Ungetrübten Wesens sind sie. (Off. 14, 35) Unendliche Mysterien werden hier sichtbar. Erinnern wir uns an die sogenannten Chladnischen Klangfiguren, in welchen sich der Ton in bestimmten Figuren in der Materie anordnet – ein Gleichnis für die dem Klangäther entströmende ätherische Gestaltungskraft. Wir können von diesen Experimenten uns ahnend zu der geistig-ätherischen Schöpfungskraft erheben: Die Elohim sprachen: „Es werde Licht!“ (1. Mose 1,3). Aus dem göttlichen Schöpferwort hat sich der Klang- und Lebensäther so angeordnet, dass die Erdenformen bis in die Form des Menschen hinein als Ebenbild Gottes sich gebildet haben. Und jetzt? – Jetzt wird die neue Erde geschaffen, aus dem Gesang der durchchristeten Menschheit, die sich um das Lamm auf dem Gipfel des Berges Zion gesammelt hat, der Jahrtausende als das Sinnbild der Friedenssphäre, des Sonnenheiligtums Melchisedeks, galt. Wir müssen alle nur gemüthaften pietistischen Vorstellungen an fromme Kirchengesänge hier unterdrücken, wenn wir dies Bild in seiner kosmischen Größe und Bedeutung ernst nehmen wollen. Es ist der kosmische Gesang der neuen Weltschöpfung, der wie das Rauschen großer Wasserströme und wie das Rollen gewaltiger Donner erbraust. – Und es entspricht einer objektiven Wahrheit, wenn es heißt, dass keiner das neue Schöpfungslied erlernen kann außer den 144000, die die Christuskraft aufgenommen haben in ihren Seelen. Die neue Weltschöpfung geht von der Kraft jener Seelen aus, die das neue Lied zu singen vermögen. Denn in diesem Lied lebt die Heileskraft der Auferstehung. Und dies wird zur geistigen Grundlage für die neue Erde! Im Zeitalter der „Posaunenklänge“ erklangen die Gerichtsposaunen von den Engeln. Jetzt erklingt aus Menschenmund das neue Schöpfungslied. Und dies Lied ertönt nicht wie die Posaunen, von deren Klang die Berge erdröhnen und die Menschen erzittern. Untermalt ist das neue Schöpfungslied von Harfenspielern, die auf ihren Harfen spielen und das neue Lied singen. – Wir ahnen uns hinein in das aus dem tiefen Schweigen der großen 375

Weltenstille in zarten und innigen Tönen aus den Seelen sich gebärende Lied, in dem sich das Mysterium der neuen Schöpfung offenbart... Wenn hier am Endakt des apokalyptischen Dramas das Lied der neuen Schöpfung erklingt, so geht die neue Schicksalsordnung daraus hervor, die zugleich das bewegende Motiv zur neuen kosmischen Weltenordnung wird. Hier kehren sich die bisherigen Verhältnisse um. Was durch die Siegel und Posaunen vom Kosmos aus bewirkt wird als die neue Erdenordnung, das geht jetzt von den Menschen aus, welche das Hochziel der Zukunftsschöpfung erreicht haben. Von ihnen strömt die Kraft aus, welche das Morsche, Baufällige, das den „Wurm in sich trägt“, zusammenstürzen lässt. Darin zeigt sich das Weltengesetz der Vollmacht des Guten. Es ist zwar immer schon vorhanden, kann aber erst zur vollen Auswirkung kommen, wenn die „Wunde des einen Tieres“ (Luzifer) die Seelen soweit unterhöhlt und ausgelaugt hat, dass sie sich angesichts der Vollmacht der mit Christus verbundenen Menschenseelen in der Hohlheit der nach außen protzenhaft sich zur Geltung bringenden Seelen nicht mehr halten können. Dieser Zusammenbruch tritt jetzt machtvoll in Erscheinung in dem Sturz Babylons. Es ist interessant, wie dieses Bild des stürzenden Babylons sich vom 14. Kapitel bis zum 19. Kapitel hindurchzieht; und wie es umrahmt und durchleuchtet wird von den 144000 der durchchristeten Seelen, die jungfräulicher Natur sind (und nicht wie Luther übersetzt: denn sie sind Jungfrauen), von dem Engel mit dem Ewigen Evangelium, der die Zeit des Gerichtes schon verkündet (14, 78), bis zu dem Preislied der „großen Scharen im Himmel“: „Halleluja, Heil und Preis, Ehre und Kraft sei Gott, unserm Herrn! Denn wahrhaftig und gerecht sind seine Gerichte, dass er die große Hure verurteilt hat, welche die Erde mit ihrer Hurerei verderbt und hat das Blut seiner Knechte von ihrer Hand gefordert.“ (Off. 19, 12) In dem Bild des untergehenden Babylons steht das Gegenbild der geistigen Kommunion vor uns. Wir sahen, dass Babel, das „Tor der Götter“ schon in der Nimrod-Zeit (zur Zeit der dritten nachatlantischen, babylonisch-assyrischen Kulturperiode, die von Gilgamesch begründet wurde), zum Tor zur Unterwelt geworden ist, sodass das Bewusstsein der Menschen durch den überhandnehmenden Gebrauch von Medien immer mehr von luziferisch-ahrimanischen Mächten getrübt und missbraucht wurde (ein Gegenbild ist der heutige Missbrauch von Rauschgiften, die das Ichbewusstsein ablähmen). Die Ehe der Menschenseele mit den rein materiellen Erdenkräften und den daraus entsprießenden sinnlichen Orgien hat man im okkulten Sprachgebrauch immer als die „Unzucht mit der Materie“ bezeichnet. Es ist die perverse Ehe – als vertiertes Gegenbild zur „chymischen Hochzeit“, wie sie unmittelbar im Anschluss an den Fall Babylons im 19. Kapitel beschrieben wird. Man muss solche Kompositionsfiguren beachten. Denn unmittelbar auf das Danklied für den Fall der Hure Babylons folgt die Hochzeit des Lammes mit der menschlichen Seele, wie sie im Bilde des „Weibes“ beschrieben wird. Und ich hörte wie die Stimme einer großen Schar und wie die Stimme großer Wasserströme und starker Donner, die sprachen: „Hallelujah, denn der allmächtige Gott hat das Reich eingenommen. Lasset uns freuen und fröhlich sein und ihm die Ehre geben! Denn die Hochzeit des Lammes ist gekommen und sein Weib hat sich bereitet!“ – Und er sprach zu mir: „Schreibe: Selig sind, die zum Abendmahl des Lammes berufen sind... Das sind wahrhaftige Worte Gottes.“ (Off. 19, 67) Die kosmische Bedeutung dieser Worte geht vor allem aus dem folgenden Vers hervor, wo der Seher Johannes dem Engel zu Füßen fällt, um ihn anzubeten: 376

Und er sprach zu mir: „Siehe zu, tue das nicht! Ich bin dein Mitknecht und einer deiner Brüder, die das Zeugnis Jesu besitzen. Bete Gott an.“ (Off. 22,9) Was will das anderes besagen, als dass der durchchristete Mensch hier auf der Engelstufe angelangt ist, dass er das Ziel der Menschheitsentwicklung auf Erden erreicht hat? Deshalb heißt es dann ja auch, dass der Mensch die Zahl des Engels hat. – Die radikale Scheidung der Geister vollzieht sich erst jetzt im 19., 20. und 21. Kapitel. Mit dem „Sturze Babylons“ werden alle diejenigen ausgeschieden, die – auch nach der großen Reinigung des „Krieges aller gegen alle“ – sich nicht gewandelt haben, sondern sich soweit verhärtet haben, dass sie sich nicht nur den luziferisch-ahrimanischen Kräften verschrieben haben, sondern als „Schwarz-Magier“ auch den asurischen Sorat-Mächten. Alle diese Seelen können nicht aufgenommen werden in das „himmlische Jerusalem“. Die Bilder, die hier folgen, sind die Bilder des Unterganges – ähnlich wie in der nordischen Apokalypse der Edda. Nur sind es dort die Götter, die in der Unterwelt – im Weltenbrand – versinken, da ihre Herrschaft abgelaufen ist, hier sind es die Menschenseelen mit den Tieren, die in den feurigen Pfuhl geworfen werden. Und die andern wurden erwürgt mit dem Schwert des, der auf dem Pferde saß, das aus seinem Munde ging; und alle Vögel wurden satt von ihrem Fleische. (Off. 19,2) Es ist also das geistige Wort (vgl. Joh.), was die Entscheidung im Grunde genommen herbeiführt – als ein objektives Geschehen. Im Sinne der Bilder des Apokalyptikers ist es nur konsequent, wenn der End-Akt der apokalyptischen Entscheidung in der Gegenüberstellung der Hochzeit des Lammes und dem Sturz in den feurigen Pfuhl gipfelt. Denn, ganz abgesehen wie wir diese Bilder in ihrem Geistgehalt deuten, endet die um das Gute in Freiheit ringende Erdenmenschheit in dieser Scheidung in die beiden Reiche, die sich als das Reich des Guten und des Bösen gegenüberstehen. Deshalb entsprechen im geistigen Raum diese Bilder der Wahrheit! – Schwerer scheint es, die Frage zu beantworten nach der geistigen Seinssphäre der Bilder, die uns in den sieben Zornesschalen beschrieben werden im 16. Kapitel. Denn wie die Geisteswissenschaft beschreibt und wie es uns im 15. Kapitel dargestellt wird, steigt die Erde dann in das rein Geistig-Devachanische auf, oder – richtiger gesagt – die devachanisch-geistige Welt steigt zur Erde herab, weshalb alles ausgestoßen wird, was sich nicht mit ihr vereinigen kann! – Im Bilde der Erden-Ernte wird der letzte Akt der Erdenentwicklung beschrieben (14,14). Es ist das Bild des „Menschensohnes“, der eine scharfe Sichel in seiner Hand trägt. Er wartet auf den Befehl aus der göttlichen Welt, wann er mit der Ernte beginnen soll. Und ein anderer Engel ging aus dem Tempel und schrie mit großer Stimme zu dem, der auf der Wolke saß: „Schlage mit deiner Sichel und ernte, denn die Zeit der Ernte ist gekommen. Die Ernte der Erde ist reif geworden.“ Und der auf der Wolke saß, schlug zu mit seiner Sichel und die Erde ward geerntet. (Off. 14,15) Bedeutsam kann es erscheinen, dass nicht der Christus als Logoskraft die Erde erntet und die Saat schneidet und die Trauben am Weinstock der Erde (14, 1820), in welchem Bilde sich das 7. Ich-Bin-Wort aus dem Johannesevangelium erfüllt (Kapitel 15), sondern der „Menschensohn“, der ja immer wieder in der Apokalypse auftaucht. Es ist die durch das Mysterium von Golgatha mit der Erde sich verbunden habende Kraft des Christus-Jesus, die als Mensch in der Menschheit aufersteht, welche die Ernte der Erde einholt. Auch darin liegt ein großes Mysterium! 377

Wenn wir nun den Sinn der Bilder der sieben Zornesschalen begreifen wollen, so müssen wir uns mit einem Weltgesetz vertraut machen. Man kann es darin aussprechen, dass auf jeden Heiligen ein Verbrecher kommt. Das liegt in der Weltentwicklung begründet. Die negativen Bilder des Bösen bilden den Kontrapunkt des Aufstieges der Guten. Der zum Lichte aufsteigende Mensch entzieht der Menschheitsentwicklung die Kräfte zu seiner Entwicklung, die den anderen Seelen verloren gehen. Daher liegt es im Schöpfungsplan begründet, dass „der Heilige“ verpflichtet ist, die anderen Seelen, die gefallen sind, mitzuziehen zur Erlösung. Und was uns die Bilder der sieben Zornesschalen vor die Seele stellen, sind die Gegenbilder des Menschheitsbildes – alles, was vom Urbild der Menschheit soweit abgefallen ist, dass es den Gegenkräften verfallen ist. Es ist das Bild vom Weinstock, das sich hier erfüllt: Mein Ich ist der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in meinem Ich den Gottesgrund findet und mich in seinem Ich wohnen lässt, wird reiche Früchte tragen. Seid ihr von mir getrennt, so könnt ihr nichts vollbringen. Wer nicht in mir bleibt, wird weggeworfen und muss verdorren wie die Reben, die man sammelt und ins Feuer wirft und die verbrannt werden. Findet ihr den Gottesgrund in mir und lasst meine Worte in euch leben, so wird euch zuteil, was euer Wille erbittet. Dadurch offenbart sich der Gottesgrund, wenn ihr reiche Früchte traget und meine Jünger werdet. (Joh. 15) Solche Gegenbilder entsprechen einem Weltengesetz, sie liegen als geistige Konsequenz der Menschheitsentwicklung zugrunde, man muss sich damit abfinden, auch wenn sie uns grausam erscheinen. Deshalb erhebt der Seher zuerst den Blick auf die positiven Früchte der Menschheitsentwicklung. Es ist die große Imagination des „gläsernen Meeres“ mit Feuer vermischt, an welchem die 144000 mit Harfen stehen, um das neue Schöpfungslied zu singen (15, 24). Darauf wird der Tempel mit dem Tabernakel der Selbstzeugung geöffnet, aus dem die sieben Engel mit den sieben Plagen hervorgehen. In dem Gläsernen Meer offenbart sich das Geheimnis des Neuen Tierkreises, der am Ende der gesamten Erdenentwicklung (in der Vulkanstufe) sich aus der Erden-Sonnenstufe bildet. Eine neue Schöpfung geht aus der planetarischen Erdenevolution hervor. Es ist die kosmische Frucht der Christus-Erdenentwicklung. Darauf erst, nachdem der Grund zur neuen kosmischen Schöpfung gelegt ist, tauchen die negativen Gegenbilder vom Urbild des Menschen auf, die dem Gegenprinzip des Christus – also dem Sorat-Prinzip – verfallen. Was so als geistige Urbilder in diesen sieben Stufen vor uns steht – so wie es der Mensch vom Geistigen überblickt, wenn er auf der Sonne im Devachan im Leben nach dem Tod sein Leben übersieht und das Mangelhafte, Unvollkommene, seine Verfehlungen und Schulden erkennt, die er nicht ins geistige Sonnendasein mit hineinnehmen kann –, das erweist sich als dem väterlichen Schöpfungsprinzip entgegenstehende Prinzip. Wir können es mit der dritten Kraft des Bösen bezeichnen, die dem Vatergott im Willen sich feindlich entgegenstellt! Wie weit dies Prinzip schon heute eingreift und den Leib, den wir dem Vater verdanken, uns zu entfremden strebt, sodass er nicht vom Ich aus mehr beherrscht werden kann, wollen wir versuchen, bei diesen sieben Stufen des göttlichen Zornes anzudeuten, deren Urbilder das gefallene Menschenbild darstellen. Es handelt sich hier wirklich um die Sonnensphäre, in der der Mensch nach dem Tode sein göttliches Urbild findet, von deren Gipfelhöhe der Seher in die Tiefen hinabblickt, aus welchen ihm die Geschwüre der entstellten Menschheit entgegenkommen, die den göttlichen Vaterquell verloren hat, weil sie sich vor dem Sohn verschlossen und ihn verstoßen hat. – Wir verstehen die entstellenden Geschwüre und Krankheiten des 378

Menschenbildes am besten, wenn wir sie beziehen auf die siebengliedrige Menschenwesenheit. So entspricht die erste Zornesschale dem physischen Leib, wobei wir zunächst an dessen geistiges Urbild zu denken haben. Und ich hörte eine gewaltige Stimme. Die sprach aus dem Tempel zu den sieben Engeln: „Macht euch auf und gießt die sieben Schalen des göttlichen Willens auf die Erde aus!“ Der erste ging hin und goss seine Schale auf die Erde aus. Und es entstand an den Menschen, die das Zeichen des Tieres an sich trugen und die sein Bild anbeteten, eine böse, unheilverbreitende Drüse. (Off. 16, 12) Zunächst scheint mit diesem Bild auf ein Geschwür als Krankheitssymptom des menschlichen Leibes hingewiesen zu sein. Doch kann dies Bild noch in einem tieferen Zusammenhang gedacht werden. Ist es ein reiner Zufall, dass hier das Bild der Drüse genannt wird? Welche Funktion haben die Drüsen im menschlichen Leib? – Es sind Aussonderungsorgane, welche den Abbauprozessen dienen, ohne welche diese Abbaustoffe direkt ins Blut gehen würden und dieses vergiften (wie die Sekrete von Harn, Schweiß sowie die Aussonderungen der Leber und Niere). Die Drüsen spielen in der ganzen menschlichen Konstitution also eine hochwichtige Rolle. Obwohl sie den Abbauund somit den Zerstörungsprozessen dienen, so sind sie gerade darum genau so wichtig für die Gesamtkonstitution des Menschen wie alle Abbau- und Zerstörungsprozesse im Menschen. Die Geisteswissenschaft lehrt uns, dass der Mensch durch bloße Aufbauprozesse niemals zu seiner Bewusstseinsentwicklung gelangen würde, genau so wie der noch ganz in den blühenden Lebenskräften eingebettete Säugling zu keinem denkerischen Bewusstsein erwachen kann. Alles Bewusstsein beruht auf Abbau- und Sterbevorgänge im menschlichen Leibe. Diese sind unseren dem Aufbau dienenden Leibesfunktionen aus höherer Weisheit beigemischt und einverwoben. Es ist eine primitive Vorstellung, wenn die materialistische Naturwissenschaft glaubt, dass das Denken durch Sublimierung und Verfeinerung der materiellen Gehirnprozesse entstünde. Aus diesen organischen Lebenskräften könnte niemals Bewusstsein entstehen, sondern nur ein unbewusstes pflanzenhaftes Erleben, wie es in der Pflanzenwelt vorhanden ist. Nur auf der Grundlage von Abbau- und Zerfallsprozessen kann sich im Gehirn Geistiges entwickeln, das in das Physisch-Materielle eingreifen kann. – Wenden wir diese grundlegende Erkenntnis, welche dem Gesetz der Involution entspricht, wodurch die dem Aufbau dienende Evolution im menschlichen Organismus zurückgehalten wird, auf die kosmischen Weltenvorgänge an, wie sie der Apokalyptiker uns beschreibt, so kann uns der Begriff der Drüse, der hier bei der ersten Posaune, als aus dem menschlichen Leibe hervorgehend, auf einen wichtigen Zusammenhang aufmerksam machen! Ist nicht auch in den kosmischen Weltenprozessen, die wir in ihrem geistigen Wesen als Ausdruck der göttlichen Liebe erkannt haben, eine Beigabe einverwoben, die als notwendige Absonderungsprozesse das Weltengleichgewicht durch die hemmenden Kräfte des göttlichen Zornes bewirken? Spielen diese hemmenden Kräfte nicht eine ähnliche Rolle wie die Drüsenaussonderungen im menschlichen Organismus, die die menschliche Geistigkeit zur Bewusstseinsbildung in den Leib einfließen lassen? – Wenn wir uns zur Oberschau dieser kosmischen Vorgänge zu erheben versuchen, so kann uns das Bild der Drüse hier am Anfang der Ausgießung der Zornesschalen einen wichtigen Schlüssel in die Hand geben zum tieferen Verständnis dieser kosmischen Weltengesetze, die hier walten. Es kann unser Anliegen sein, uns zu befreien von den alttestamentlichen 379

Vorstellungen des zürnenden Jahvegottes. Diese Vorstellung widerstrebt unserem modernen Bewusstsein von einer universellen Liebesmacht, welche die Welt trägt und leitet. Ein persönlich strafender Gott will zu diesem universellen Weltbild nicht mehr passen. – Wer das Schicksalsgesetz im Ausgleich des durch die wiederholten Erdenleben hindurchschreitenden Menschen in seiner objektiven karmischen Weltgesetzlichkeit erkannt hat, der kann auch die geistige Weltenführung nicht mehr im Bilde einer zürnenden, strafenden Gottheit erblicken, wohl aber in der Form objektiver göttlicher Weltengesetze. So wie im menschlichen Organismus Absonderungsorgane eingegliedert sind, die das Unreine, das zu Vergiftungsprozessen im Blute führt, ausscheiden, ebenso müssen hemmende Kräfte als Absonderungsorgane der göttlichen Liebe eingegliedert sein, die die Vergiftungskräfte ausscheiden. Man könnte auch sagen: Wenn Gott die Welt retten und sie nicht den Zerstörungskräften überlassen will, dann darf er die kosmischen „Drüsenfunktionen“ nicht hemmen, da sie ja von höherer Warte Reinigungsprozesse bewirken, welche den Weltenfortgang vom Gift der Bösen befreien. So kann uns das Bild der Drüse in der ersten Posaune einen wichtigen Ausblick geben, der uns die Ausgießung der sieben Zornesschalen als eine gesetzmäßige Folge der dem Weltengange sich widersetzenden Menschentaten erklärt. Dass dieses Bild der „Drüse“ gleich hier in der ersten Stufe erscheint, weist zugleich auf die notwendige Absonderung der Giftstoffe des physischen Leibes hin, der durch und durch krank ist. Er ist das Gegenbild des jungfräulichen reinen Menschenleibes, zu dem die Menschheit herabgesunken ist als Folge ihrer Entwicklung am Erdenende, welche die reinigenden Kräfte der Erneuerung von sich gewiesen hat. Und sind die Merkmale dieser die menschliche Leiblichkeit krankmachenden Kräfte nicht in unserer Zeit an zahlreichen Symptomen immer deutlicher zu erkennen? Wir sprechen von typischen „Zeitkrankheiten“ und ahnen deren Zusammenhang mit den seelischen Einseitigkeiten und Schwächen unserer Zeit. Aber wir durchschauen noch nicht (oder sträuben uns davor), das Bild des Apokalyptikers auf unsere Zeit anzuwenden, die er als „Bild der Anschauung des Tieres“ bezeichnet (character bestiae)! Und doch trifft er mit diesem Begriff ganz exakt die geistigen Symptome und wahren Grundlagen unserer Zeit. Unter dem Einfluss dieser materialistischen Weltanschauung, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vom Westen aus sich bis Mitteleuropa ausbreitete und die geistige Weltanschauung des deutschen Idealismus zum Verlöschen brachte, wurde der Mensch nur noch als Nachkomme des Tieres erkannt und alle menschlichen Eigenschaften wurden ausgelöscht. In der Tat leben wir seither in dem „Zeichen des Tieres“, und es bestätigt nur die Konsequenz dieser darwinistischen Weltanschauung, wenn diese im 20. Jahrhundert in die Bestialität als praktische Folgen der character bestiae umgeschlagen ist! – Zu diesen praktischen Konsequenzen gehört es, dass das Ich, als geistiger Mittelpunkt des Menschen, den Leib vom Geiste aus nicht mehr zu beherrschen und zu durchdringen vermag, wodurch der Leib von Wucherungsprozessen erfüllt wird, wie es im Karzinom als einer typischen Zeitkrankheit der Fall ist, von der schon Kinder erfasst werden. Wir dürfen hier nicht an karmische Verursachungen denken, weil es sich um typische Zeiterkrankungen handelt, die jeden erfassen können, der unter den krankmachenden Wirkungen der Zeit steht. Die geistige Ursache ist aber in dem angedeuteten Zeitphänomen der character bestiae zu suchen. – Diese „Zeitkrankheit“ wird voraussichtlich noch in unserem Jahrhundert immer bedrohlichere Ausmaße annehmen, je mehr die Wirkungen dieser seelischen Krankheit sich 380

bis ins Physische erstreckt. Und die Weltanschauung des Materialismus ist eine Krankheit, je mehr sie die menschliche Gesinnung ergreift und den Menschen bis in sein Gemüt und bis in die unterbewusste Willenssphäre durchdringt. Im 19. Jahrhundert war der Materialismus noch eine mehr theoretische Angelegenheit. Er ist heute eine Gesinnung geworden, die bis in die praktische Lebensführung geht. Der Mensch ist dadurch immer mehr der geistigen Welt entfallen; die Pseudokünste der Technik: Fernsehen, Radio, Kino haben dazu beigetragen, dass anstelle des Gedankens (in Gestalt einer guten besinnlichen Lektüre) das sensationelle Fernsehbild auf der fluktuierenden Leinwand des technischen Apparates getreten ist, das allen noch vorhandenen „Geist“ auslöscht und jede seelenvolle Unterhaltung abschneidet. Da wir aber noch in diesem Jahrhundert die „Entbindung“ des Sonnendämons Sorat zu erwarten haben, so werden die Folgen der Zeitkrankheit sich bis ins Leibliche immer stärker zeigen. Denn dessen Bestreben ist es, die menschliche Leiblichkeit ihrem Ursprungsquell, der Gottheit, zu entfremden, sodass das menschliche Ich nicht mehr darin wohnen kann. Begegnen wir nicht heute schon solchen „Heuschrecken-Menschen“, wie sie die 5. Posaune beschreibt, die als ichlose Wesen dem Abgrund des Bösen entsteigen und die nur noch seelenlose und ichlose Automaten darstellen?! – Der grobe materialistische Sinn wird dies Zeitphänomen, wie es sich immer stärker der sensiblen Beobachtung aufdrängt, nicht erkennen. Denn darin besteht ja gerade die vergröbernde Wirkung der materialistischen Zeitkultur, dass er blind ist für die seelischen Wirkungen und Einflüsse des Materialismus. Er nimmt sie hin als fortschrittliche Erscheinungen seiner Zeit! Und darin liegt eine der abgefeimtesten Verblendungsmanöver des ahrimanischen Zeitgeistes, durch welche er die Menschen in seinen Bannkreis zieht. Im Grunde ist mit der ersten Zornesschale, durch welche die Drüse entsteht, im Leibe der mit dem Zeichen des Tieres gezeichneten Menschen der Grund für alles weitere schon gelegt; oder besser gesagt: alle Krankheitssymptome treten dadurch in Erscheinung, die in der geistverlassenen Menschheit bereits veranlagt sind. – Gibt es ein Heilmittel gegenüber dieser Zeitkrankheit? Es gibt im Grunde nur ein Heilmittel dagegen. Und das ist die Wiederverbindung des ganzen Menschen mit der geistigen Welt. Da aber der Verlust der Ich-Aktivität durch das antireligiöse, atheistische, materialistische Denken schon zur routinehaften Gewohnheit und Gesinnung geworden ist, so kann nur eine Heilung erfolgen durch eine Heilkraft, die genau so magisch wirkt wie die magisch wirkenden Gegenkräfte der geistauslöschenden, leibvergiftenden, krankmachenden Kräfte der asurischen Geister. Im Vaterunser ist der dreifachen Gottheit das dreifache Böse in Gestalt der luziferischen, ahrimanischen und asurischen Geister entgegengestellt. Dem Heiligen Geist steht der unheilige Geist in Gestalt des Luzifer gegenüber, der das Seelische verunreinigt, indem er unsere Ichsucht verstärkt und dadurch das persönliche triebgebundene Ich vor den „Namen“ der Gottheit stellt. Geheiligt werde dein Name – Und führe uns nicht in Versuchung! Dem Christusreich, das in uns einziehen will, steht das Reich des „Fürsten dieser Welt“ gegenüber, dem wir durch unsere Schuld verhaftet werden. Und dem väterlichen Willen steht das Übel, als dritter Aspekt des asurischen Bösen, gegenüber, das unseren Leib der Gottheit entfremdet und ihr das Ich entreißt durch die Ehe zwischen der materialistischen Geistlosigkeit und der wüsten Sinnlichkeit, wie sie sich heute immer mehr in den Orgien unserer modernen Zivilisation auslebt. 381

So steht die Trinität in den ersten drei Bitten des Namens (Geist), des Reiches (Sohn) und des Willens (Vater) dem dreifachen Bösen in den drei letzten Bitten gegenüber:  Führe uns nicht in Versuchung (Luzifer)  Und vergib uns unsere Schuld (Ahriman)  Und erlöse uns von dem Übel (Asuras) Den Mittelpunkt der 7 Bitten des Vaterunsers bildet die Bitte um das Brot, das panem supersubstantialem266, wie man im Mittelalter sagte, das die Speise des Geistes in der Kommunion war. Wenn der menschliche Leib als Ichträger seine Erdenaufgabe erfüllen soll, so ist diese vierte Bitte in der Tat der Mittelpunkt. An der modernen Scheinernährung kann man die Aktualität dieser Bitte für unsere Zeit erleben. So erhalten wir die folgende Figur als Komposition des Vaterunsers: Wer sich in die nebenstehende Figur vertieft, der kann den Zusammenhang der dreifachen Gottheit mit dem dreifachen Bösen erkennen. In der Apokalypse entspricht: 1. die Siegelstufe dem Heiligen Geist zur Überwindung des Luziferischen 2. die Posaunenstufe dem Sohn zur Überwindung des Ahrimanischen 3. die Zornesstufen dem Vater zur Überwindung des Asurischen Die erste Stufe bewegt sich auf der Stufe des umgewandelten Denkens = Imagination (Offertorium – Opferung)  Die zweite Stufe bewegt sich auf der Stufe des durchchristeten Fühlens = Inspiration (Transsubstantiation – Wandlung)  Die dritte Stufe bewegt sich auf der Stufe des geistdurchleuchteten Wollens = Intuition (Kommunion – Vereinigung).    

Abb. 31: Das Vaterunser und die Widersachermächte

Daraus kann uns ersichtlich werden, wie es sich bei der Stufe der Zornesschalen um die bis in die Leibestiefen hineingehende Umwandlung der Kommunion, als der sich erfüllenden göttlichen Liebe handelt. Diese Stufe wird im Johannesevangelium in den 7 Zeichen beschrieben, die in ihrer geistigen Urbildlichkeit den christlichen Sakramenten zugrunde liegen. Versuchen wir, uns zunächst eine Überschau von ihnen zu bilden: Abb. 32: Die Zeichen des Johannesevangeliums und die christlichen Sakramente 1. Zeichen 2. Zeichen 3. Zeichen 266

Hochzeit von Kana Heilung des Sohnes von Kapernaum Heilung des Gelähmten am Teich Bethesda

=

Sakrament der Taufe Sakrament der Konfirmation (Firmung) Sakrament der Beichte

panis „Brot“; supersubstantialis wird allgemein mit „zum Lebensunterhalte notwendig“ übersetzt.

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4. Zeichen 5. Zeichen 6. Zeichen 7. Zeichen

Speisung der 5000 Wandeln des Christus über dem Meer Heilung des Blindgeborenen Erweckung des Lazarus

Sakrament des Abendmahls Sakrament der Lebensgemeinschaft Sakrament der Priesterweihe Sterbesakrament, letzte Ölung

In den Sakramenten ist die Christuskraft im Sinne der Worte aus dem Hohepriesterlichen Gebet im 17. Kapitel des Johannes Evangeliums gegeben: Du hast ihn zu der schaffenden Kraft gemacht in allen irdischen Menschenleibern, damit er allen, die durch dich zu ihm kamen, das ewige Leben verleihe. (Joh. 17,2) Durch die Sakramente der Kirche wird diese Kraft den Menschen gespendet als Gnadengabe. Heute, im Zeitalter der Bewusstseinsseele, wird der Mensch in seinem Erkenntniswillen sich einen neuen Zugang dazu bahnen müssen, um sie auch in seinem bewussten Ich aufnehmen zu können. Versuchen wir, diese intuitive Heilkraft unserem Erkenntniswillen näher zu bringen, die bis in die Leibestiefen unseren Willen heiligt. Wir haben in den sieben Sakramenten die Heileskräfte wirksam, die die entstellte und kranke Menschengestalt zu heilen und wieder mit ihrem verlorenen Urbild zu verbinden vermag. Die das Urbild der physischen Menschengestalt heilende Kraft liegt im Wesen des Taufsakramentes begründet. Ihr Urbild ist das erste Zeichen: die Hochzeit von Kana (Joh. 2). Lesen wir dies Zeichen richtig, so deutet die dabei sich vollziehende Wandlung des Wassers in Wein auf die bei der Geburt des Menschen stattfindende Wandlung des reinen ätherischen Lebenswassers, in dem die kindliche Seele vor ihrer Geburt ruht, in das rote Blut, mit dem die Seele durch die Geburt sich mit dem Vererbungsstrom verbindet und dadurch in den Blutstrom der Generationen herabgezogen wird, um den Individuationsprozess der Ich-Werdung zu vollziehen. Es ist der Dionysosfunke, der in der Seele des neugeborenen Kindes geweckt wird, wie er in den griechischen Dionysosmysterien gepflegt wurde. Die Dionysosmysterien waren die einzigen, in denen Wein genossen wurde, da der Wein den dionysischen Funken entfacht und im Rausche bis zur Ekstase steigert. Bekannt sind ja die bacchantischen Züge des Dionysos, die die IchGeburt feierten. In der Taufe von Kana steht Christus als der neue Dionysos neben der Mutter, durch die uns die Gestalt der jungfräulichen Demeter erscheint. Der Wein, der durch den neuen Dionysos, der das Erden-Menschheits-Ich erweckt, gespendet wird, ist frei von den luziferischen Blutstrieben, denn er entströmt den reinen ätherischen Quellwassern, welche die Diener in den sechs Taufgefäßen schöpfen. Die Berührung mit dem taufrischen Christusimpuls hat ihm die neue Kraft gegeben. Dieses erste Zeichen atmet noch ganz die jungfräuliche Reine der sich eben mit der Erde verbindenden Christuskraft, die wie die anbrechende Sonne des Morgens die Erde bescheint. Nimmt man dies Bild in seiner ätherischen Jungfräulichkeit, so spricht es uns von den reinen Quellwassern, welche die Menschenseele in der Taufe mit dem Christusgeist heiligen und mit ihrem Urbild – dem Adam Kadmon vor dem Sündenfall – verbinden können. Es findet hierbei gleichsam ein Akt der Weihe und Heiligung des Menschen im Zwiegespräch mit seinem Engel statt. Der Engel hält Zwiesprache mit der kindlichen Seele, um sie zu stärken bei der Erdengeburt, damit sie nicht in den luziferischen Blutskräften versinke. Wir können darin erleben, wie die reinigende Kraft durch den aus der Engelwelt hereinstrahlenden Geist der sicherste Schutz gegen die den menschlichen Leib 383

verseuchenden Krankheitskräfte ist, wenn der Mensch diesen Geist im Hinblick auf eine vorgeburtliche Existenz in sein Bewusstsein aufzunehmen vermag. Der Mensch erhebt sich zu diesem Geist, wenn er seine Seele erhebt zu dem kosmischen Höhenflug seiner geistigen Existenz vor seiner Geburt, wie er in den Worten des Hohepriesterlichen Gebetes lebt. Sie können ihn heiligen und heilen bis in KrankheitsGeschwüre seines materialistischen Aussatzes hinein. Und nun hebe ich meine Seele zu dir, o Vater, Damit Du mein Wesen durchleuchtest mit dem Lichte, Das Du liebend vor mir erstrahlen ließest als Deines Wesens Offenbarung, Das mich durchdrang, als die Welt in Deinem Schoße noch ruhte. (Joh. 17,5) Das ist die wahre Heiligung des Menschen, der sich im Erleben dieser Worte der Verklärung des Sohnes durch den Vater in der Erkenntnis erhebt zu seinem ewigen göttlichen Wesen, das vor seiner Geburt im Schoße des Vaters ruhte. – Das Taufsakrament in den Zeiten des Urchristentums, wo nur die Erwachsenentaufe vollzogen wurde, war der Nachklang eines Einweihungsaktes. Im Anbruch des johanneïschen Zeitalters kann der Mensch durch sein Ich sich erheben zu diesem Lichte seines vorgeburtlichen Selbstes und von ihm sich bis in seinen Willen durchleuchten lassen. Das ist die Entbindung des christlichen Sakramentes in die Sphäre der Erkenntnis. Es ist zugleich die Heilung und Heiligung des menschlichen Leibes aus der Krankheit, in die er immer mehr unter dem Einfluss des den Geist auslöschenden Materialismus fallen musste. Es ist die Heiligung des Menschen im Geiste des Gralstempels des johanneïschen Christentums. Wie in der Bergpredigt durch die Verbindung mit der Christuskraft alle Glieder der Menschennatur geheiligt werden, so offenbart sich die „Sündenkrankheit des in den geistlosen Materialismus und des Atheismus gefallenen Menschen in allen seinen Leibes-, Seelen- und Geistesgliedern. Dann, wenn der Sonnendämon, als der eigentliche Widersacher des Sonnengenius, des Christus, frei wird und aufsteigt, bindet er alle antigöttlichen Kräfte an sich, wie mit magischer Gewalt, sodass sie sich in ihrer satanischen verheerenden Folge offenbaren. Denn dem antichristlichen Dämon ist Macht gegeben, diese Beute sich anzueignen. Und er lauert schon lange auf diese Beute. Der Krankheitsprozess schreitet fort: das blühende Leben der Ätherleiber verwandelt sich durch die Ausgießung der zweiten Schale in Blut wie von einem Leichnam. Und der zweite Engel goss seine Schale aus in das Meer, und es verwandelte sich in Blut wie von einem Leichnam, und alle lebendigen Seelen starben im Meer. (Off. 16,3) Das Meer ist Bild für die ätherischen Bildekräfte. Wenn das Blut, der Ausdruck des Ich, das von den geistigen Lebenskräften durchpulst und durchströmt wird (wie es ja im Blutkreislauf geschieht, der nicht vom Herzen als einer „Pumpe“, sondern von den im Blute kreisenden Lebenskräften in Bewegung gesetzt wird) sich in das zerfallende und zersetzende Blut eines Leichnams verwandelt, dann kann das Ich nicht mehr eingreifen in die Lebenskräfte, es stirbt und mit ihm alle übersinnlichen Wesenskräfte, die in den Bildekräften leben. Dass bei dieser zweiten Schale das Blut in der Form eines „Leichnams“ genannt wird, kann das Bild einer ahrimanischen „Entseelung“ erwecken, was uns schon heute bei manchen Menschen entgegentritt, die wie Automaten oder leblose Marionetten, von äußeren Fäden gezogen, ihre Erdenexistenz verbringen.

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Was sich als Menschheitskrise schon heute vorbereitet bei jenen Menschen, die nicht mehr aus ihrem inneren Lebensquell leben, sondern wie Produkte der mechanischen Technik von außen aufgezogen und getrieben erscheinen und dadurch nicht den Anschluss an die im Lebensorganismus pulsierenden und das Blut in gesundem Kreislauf unterhaltenden Sohneskräfte finden, soll durch das zweite Sakrament der Firmung oder Konfirmation überwunden werden. Dies Sakrament bildet im Pubertätsalter des jugendlichen Menschen den Übergang von den bis zu diesem Alter vorwaltenden leiberhaltenden Vaterkräften zu den Sohneskräften, für die die Seele sich jetzt öffnen soll. In dem zweiten Zeichen des Johannesevangeliums wird die Heilung des Sohnes beschrieben, der in Fiebern und im Sterben liegt, da er den Übergang zu den Sohneskräften nicht finden kann. Er wird geheilt durch das Wort. Und Jesus kam wieder nach Kana in Galiläa, wo er das Wasser in Wein verwandelt hatte. Dort war ein königlicher Beamter, dessen Sohn krank lag in Kapernaum. Als dieser vernahm, dass Jesus von Judäa nach Galiläa kam, ging er ihm entgegen und bat ihn herabzukommen, um seinen Sohn zu heilen, welcher im Sterben lag. Jesus erwiderte ihm: „Wenn ihr keine Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht!“ – Der königliche Beamte aber sprach: „Herr, komm herab, bevor mein Kind stirbt.“ – Da sprach Jesus: „Gehe hin, dein Sohn lebt!“ – Der Mensch glaubte dem Worte, das Jesus zu ihm sprach und ging hin. Und indem er hinabging, kamen ihm seine Diener entgegen und verkündeten ihm: „Dein Sohn lebt!“ Und da er nach der Stunde forschte, wann die Besserung eingetreten sei, antworteten sie ihm: Gestern um die siebte Stunde verließ ihn das Fieber. Da erkannte der Vater, dass es dieselbe Stunde war, wo Jesus ihm gesagt hatte: „Dein Sohn lebt!“ – Und er glaubte, er und sein ganzes Haus. Das ist das zweite Zeichen, das Jesus vollbrachte, als er aus Judäa nach Galiläa zog. (Joh. 4,46) Man kann das ganze Johannesevangeliums in diesem Licht sehen, das den Übergang von dem Vater zum Sohn darstellt. Daher die Kontrastwirkung zu den Juden, die ihn angreifen, weil die meisten der Heilungen an einem Sabbat geschehen, der dem Vatergott geheiligt war, wie im dritten Zeichen, der Heilung des 38jährigen Gelähmten am Teich Bethesda (Joh. 5). Bei dieser Heilung spricht der Christus das Wort: „Bis jetzt wirkte mein Vater, und von nun an wirke auch ich.“ (Joh. 5,17)267 Das ist der große Übergang, der sich erst heute, im Zeitalter des Geistes, immer mehr zu offenbaren beginnt als die große Menschheitskrise. Dies Grundmotiv durchzieht das ganze Johannesevangelium, und es bildet auch gegenwärtig das Gebot der Stunde, was die Kirchen an den Symptomen zwar erkennen, aber zu wenig aus den geistigen Fundamenten anerkennen wollen und sich danach verhalten. Die Schwelle zum johanneïschen Christentum kann nur im Morgenrot der michaelischen Erkenntnis überschritten werden, welche die Menschheit zur Freiheit führt: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen!“ (Joh. 8,32) Denn die eigentliche Entscheidung vollzieht sich erst heute im Lichte des johanneïschen Zeitalters. Daher wetterleuchtet es im Johannesevangelium überall, wo der johanneïsche Geist einbricht.

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Luther übersetzt: Mein Vater wirkt bisher, und ich wirke auch.

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„Der Vater richtet niemand. Alle Entscheidung hat er dem Sohn in die Hände gelegt, damit alle den Sohn ehren, wie sie den Vater geehrt haben.“ (Joh. 5,22) Der Übergang vom Vater zum Sohn wird im Johannesevangelium als der Übergang in die Sphäre des ewigen, todlosen Lebens als die eigentliche Krise dargestellt. Diese Krise wird zuerst von den Toten erlebt. „Wer mein Wort hört und an den glaubt, der mich gesandt hat, der ist zum ewigen Leben schon hindurchgedrungen. Ihn trifft nicht das Gericht, sondern er ist bereits aus der Sphäre des Todes in die des Lebens übergegangen. Fürwahr, ich sage euch: Es kommt die Zeit und sie ist schon angebrochen, dass die Toten die Stimme des göttlichen Sohnes hören werden, und die sie hören, werden zum Leben erwachen. So wie der väterliche Weltengrund das Leben in sich trägt, so hat er auch dem Sohn die Macht gegeben, das Leben der Welt in sich zu tragen. Und damit hat er ihm, weil er der Sohn des Menschen ist, zugleich die Macht verliehen, die Schicksale der Welt zu entscheiden. Verwundert euch nicht: Schon kommt die Stunde, wo alle, die in den Gräbern ruhen, seine Stimme hören werden. Diejenigen, welche Gutes getan haben, werden durch die Auferstehung zum höheren Leben erweckt, diejenigen aber, die Böses getan haben, kommen durch die Auferstehung in das Gericht der großen Entscheidung.“ (Joh. 5,2429) Die Christus-Tat erfüllt sich stufenweise. Wir sahen, wie die große Entscheidung heute sich zunächst in der Krise des Denkens vorbereitet und dann in der Siegelstufe sich in der Rassentrennung vollzieht. Darin liegt das tiefere Geheimnis, dass heute in der anbrechenden Ära des Geistes die Kräfte des Vaters, die im Blut, im Gebot, in der äußeren Autorität die Menschheit durch Jahrtausende geleitet haben, wirkungslos geworden sind. Sie nehmen ein gespenstisches Aussehen an, wie die alten Götter, die heute zum Teil noch als „Gespenster des Alten Testaments“ in den nationalen Idealen der chauvinistischen Nationalismen leben und die Menschheit an das Blut der Rassen und Gattungstriebe binden wollen. Diese aber sind heute immer mehr von luziferisch-ahrimanischen Dämonen und Gespenstern durchsetzt. Das zweite Zeichen, wie es sich in seiner negativen Wirkung in der zweiten Zornesschale im verwesenden Blut zeigt, das zerfällt und keine Lebenskräfte mehr besitzt, kann heute in vielen Kulturerscheinungen erkannt werden. Wir haben seine Heilkraft im Übergang von der mosaischen Gesetzeswelt in das Zeitalter der Freiheit in der Heilung des „Sohnes“ angedeutet. Dieser Übergang, der von Christus als Übergang von der Welt des Todes in die Welt des Lebens bezeichnet wird, ist der Übergang vom traditionellen Kirchenglauben zur individuellen Erkenntnis. Diese Stufe wird als die Grundlage einer geistigen Christusverbindung im Hohepriesterlichen Gebet beschrieben. Indem der Mensch sich zu ihr erhebt, erhebt er sich zum Teilnehmer am „ewigen Leben“! Mit dieser bahnbrechenden Erkenntnis beginnt die große Fürbitte: „Vater, gekommen ist die Stunde: Verkläre Deinen Sohn, damit Dein Sohn Dich auch verklären kann. Du hast ihn zu der wirkenden Kraft gemacht in allen irdischen Menschenleibern, damit er allen, die durch Dich zu ihm kamen, das todlose Leben der Ewigkeiten verleihe. Das aber ist das Leben der Ewigkeiten, dass sie Dich erkennen als den wahrhaft einigen Weltengrund und Jesus Christus als den, den Du ihnen gesandt hast.“ (Joh. 17,1) Die Menschheitskrankheit, die bisher an den Symptomen der leiblichen Hüllen sichtbar geworden ist, ergreift nun immer mehr die inneren Kräfte des Seelischen und Geistigen. Die seelischen Quellwasser, aus denen die Menschheit gelebt hat, die in ihren Gebeten, 386

Kulten und Meditationen ihr die astralischen Erneuerungskräfte spendete, versiegen und verwandeln sich in Blut. Hier in der dritten Zornesschale, die durch die Drüse die hemmenden und zerstörenden Kräfte aus der Gottesliebe der Menschheit sendet, wird schon deutlich ersichtlich, wo die tieferen Ursachen liegen. Das in Blut sich verwandelnde Quellwasser der seelischen Inspirationsströme entspricht dem Blut, das die den Geist bekämpfende Menschheit vergossen hat an den Geistesboten, die die göttliche Menschheitsführung ihnen gesandt hat. Das Blut der Märtyrer und Propheten ist es, das die Drüse in ihrer Funktion der Absonderung ihrer vernichtenden Kräfte geöffnet hat – damit die fortschreitende Menschheit gereinigt wird von den Giftstoffen und Untaten, die sie bewirkt hat. Und der dritte Engel goss seine Schale aus in alle Ströme und Wasserquellen. Und alles Wasser verwandelte sich in Blut. Und ich hörte den Engel der Gewässer rufen: „Herr, du bist gerecht und heilig, der du warst, bist und sein wirst. Sie haben das Blut der Heiligen und der Propheten vergossen, und jetzt gibst du ihnen das Blut zu trinken. Dies Geschick haben sie sich selbst zugezogen.“ Und ich hörte vom Altar her einen anderen Engel sprechen: „Ja, Herr, göttlicher Gebieter des Alls, deine Gerichte sind wahrhaftig und gerecht!“ (Off. 16, 57) Wir sehen eine Steigerung, eine Vertiefung der einzelnen Prüfungen nach innen. Sie wenden sich immer mehr an den moralischen Wesenskern des Menschen. Die Menschen haben das Heilige, was ihnen durch die Geistesboten gegeben wurde, vergeudet, verleugnet, verraten und mit Füßen getreten. Dadurch haben sie die seelischen Quellen verstopft und verunreinigt (vgl. das norwegische Märchen: Der grüne Ritter). Die moderne Esoterik ist durch den Intellektualismus und die daraus hervorgehende hochmütige Arroganz, und Blasphemie in Ahrimans Hände gefallen, der sie vergiftet hat. Und dadurch sind die astralischen Kräfte immer mehr ins Perverse der Sexualität gefallen. Diese Pervertierung, wie man sie vor allem seit den 1960er Jahren konstatieren kann, steht in einem engen Zusammenhang mit der immer stärker um sich greifenden Seelenöde und Leerheil der Glaubenslosigkeit als Folge des wachsenden Atheismus. Die verdorrten Seelen suchen im Sex und Rauschgift nach einem neuen Seeleninhalt. Man muss sich diese astralischen Wirkungen möglichst objektiv, ohne pietistischen Beigeschmack, in ihren karmischen Konsequenzen vorstellen, die bis in die geistigen Reiche der Hierarchien hinaufreichen, um sich ein kosmisches Bild davon machen zu können. Die Menschen sind selbst die Verursacher, dass die Drüsenabsonderungen sich zu öffnen beginnen und sie mit dem ätzenden Gift der Zerstörungskräfte erfüllen. Dieser Innerlichkeit der dritten Zornesschale, welche aus der Drüse hervorquillt, entspricht das dritte Zeichen der Heilung. Es ist die Erkenntnis, die hier allein heilen kann, die tief genug ins Moralische führende Selbsterkenntnis, wie sie im dritten Zeichen der Heilung des Gelähmten als Urbild des Sakramentes der Buße und Beichte gegeben ist. Wir müssen alle durch den Missbrauch der Beichte entstandenen Vorurteile allerdings überwinden, um das ursprüngliche Sakrament der Beichte als ein Zwiegespräch zu erfassen, als ein Zwiegespräch mit dem höheren Selbst. Wobei es sich auf diesem Gebiete handelt, ist das Bedürfnis zu einer offenen und freien Aussprache ohne moralische Maximen und Vorschriften. Man könnte ein ganzes Buch über dies Thema schreiben. Was so viele Menschen, auch unter der Jugend, suchen, ist die Aussprache mit einem Menschen, der ihnen Verständnis entgegenbringt, dem sie ihr Vertrauen entgegenbringen können, Das ist es, was sie suchen – mehr als ihren Rat und moralische Maximen. Das aber finden die 387

bedrängten und bedrohten Seelen heute wenig im Zeitalter der antisozialen Abgeschlossenheit und seelischen Kälte. Das Urbild eines solchen „Beichtgesprächs“ wird im dritten Zeichen des Johannesevangeliums gegeben: es ist das Gespräch des Gelähmten mit Christus am Teich von Bethesda (5. Kap.). Christus fragt ihn, der seit 38 Jahren gelähmt dort liegt und auf den herniederfahrenden Engel wartet, da niemand ihn ins Wasser trägt, damit er gesunde: „Willst du gesunden?“ – im Grunde doch eine paradoxe Frage. Der Kranke antwortet: „Herr, ich habe niemand, der mich zum Teich hinabträgt, wenn sich das Wasser bewegt (durch den hereinfahrenden Engel). Und wenn ich komme, so steigt schon ein anderer vor mir hinein.“ – Da sprach Jesus zu ihm: „Stehe auf, nimm dein Lager und gehe!“ Und zur Stunde wurde der Mensch gesund, nahm sein Lager und ging fort. (Joh. 5,79) Die Beichte vollzieht sich hier in einem Zwiegespräch, wodurch der Kranke die Richtung seiner Sehnsucht findet. Er steht zwischen der Sehnsucht, gesund zu werden, dem passiven Wunsch, der ihn in die Vergangenheit seine Blicke lenken lässt – zum Kindheitsengel –, und der Zukunft. Die kann er nur durch den aktiven Willensschritt erreichen. Und eben diesen weckt der Christus in ihm. „Hast du den Willen, gesund zu werden?“ (Joh. 5,6) – Wie vieles könnte in „Ordnung“ gebracht werden in oft so verfahrenen Situationen, wenn dem seelisch Kranken oder Belasteten die Richtung gewiesen würde! Und oft ist es nur ein Wort, was diese Richtung andeuten kann. – So ist das 3. Zeichen als Urbild des Beichtgespräches die heilende Kraft, welche die Balance der karmischen „Gerechtigkeit“ in unserem persönlichen Karma wie im Gleichgewicht der Welt herstellen könnte! – Das vierte Zeichen bildet wie die vierte Schale den Mittelpunkt. Es ist der Mittelpunkt des Menschen – sein Ich, an den sich das zentrale Zeichen der Kommunion wendet, das in der wunderbaren Speisung der 5000 (Joh. 6) vor uns steht. In der Tat ist es der Mittelpunkt, so wie die Sonne der Mittelpunkt des Planetensystems ist. Daher steht die Sonne auch äußerlich im Mittelpunkt. Und der vierte Engel goss seine Schale aus über die Sonne. Ihm war aufgegeben, die Menschen mit Feuersgluten zu versengen. Und so wurden die Menschen verzehrt von heißer Glut und stießen Verwünschungen aus gegen den Namen der göttlichen Macht, die solche Prüfungen und Plagen über die Menschen verhängte, und sie änderten ihre Gesinnung nicht, sondern verschlossen sich vor der göttlichen Offenbarung. (Off. 16,8) Diese Prüfung richtet sich an das menschliche Herz, das Abbild der Sonne, denn im Herzen lebt in innerer Sonne das Ich. Und so ist die Sonne am Himmel der Ausdruck des kosmischen Ich- des Christus. Dieser Zusammenhang ist dem Christentum schon seit langem verloren gegangen. Der mondenhafte Intellekt im Gehirn hat sich wie ein dunkler Schatten davorgelegt. Dies bildet mit einen Grund für den Verlust der unmittelbar menschlichen Verbindung zu dem geistigen Christuswesen. Die Kirche hat sich mit ihrer Macht davorgelegt, so wie es der russische Philosoph Solowjew in seinen Vorlesungen über das Gottmenschentum als die erste große Versuchung ausgeführt hat: Er unterscheidet die äußere Anerkennung und Aufnahme des Christus von der inneren.

Die innere Aufnahme des Christus, das heißt die Aufnahme des neuen geistigen Menschen, sie besteht in einer geistigen Wiedergeburt, in jenem von oben oder vom Geiste geboren werden, von dem in der Unterredung mit Nikodemus die Rede ist... Und indem der Mensch dieses neue, von Christus geoffenbarte Leben als das absolut 388

Notwendige, als das Heil und die Wahrheit erkennt, ordnet er ihm freiwillig sein fleischliches und menschliches Leben unter, um sich innerlich mit dem Christus, als dem Stammvater dieses neuen geistigen Reiches, zu vereinigen. Ein solches Aufnehmen der Christuswahrheit macht von Sünde frei (wenn auch nicht von Sünden) und formt den geistigen Menschen in uns. Das äußerliche Aufnehmen des Christus kann nur die Anerkennung der wunderbaren Verkörperung eines göttlichen Wesens, das zur Erlösung der Menschen auf die Erde gekommen ist, es kann nur die Annahme der Lehren dieses Wesens nach dem Buchstaben, als einem äußeren bindenden Gesetze, sein. Ein solches äußerliches Christentum schließt aber die Möglichkeit in sich, der ersten Versuchung des bösen Prinzips sofort zu verfallen. Durch das historische Erscheinen des Christentums nämlich wurde die ganze Menschheit in zwei Teile geteilt, in die christliche Kirche, die im Besitze der göttlichen Wahrheit und die Vertreterin des göttlichen Willens auf Erden war, und in die übrige außerhalb des Christentums befindliche, im argen liegende Welt. Und da ist es nun möglich, dass die Christen, die es nur rein äußerlich sind ... das Bedürfnis haben, ja – es sogar als ihre Pflicht empfinden, dem Christus und seiner Kirche die ganze übrige nichtchristliche und feindliche Welt zu unterwerfen, und da die im argen liegende Welt sich den Kindern Gottes nicht freiwillig unterwirft, sie durch Gewalt zu zwingen. Dies wurde der Weg der Römischen Kirche, da

ein Teil der von den römischen Hierarchien geleiteten Kirche dieser Versuchung unterlag. Aus dieser Haltung spricht der verborgene Unglaube der Kirche, dass man nur mit den Mitteln von Gewalt und Betrug das Böse überwinden könne – das heißt aber, „nicht an das Gute, nicht an Gott glauben“. Und dieser Unglaube liegt, anfangs nur als kleiner, unbemerkbarer Keim, im Katholizismus verborgen, um dann in der Folge klar zutage zu treten. So ist im Jesuitismus, diesem äußersten und reinsten Ausdruck des römisch-katholischen Prinzips, das treibende Moment nicht christlicher Eifer, sondern geradezu Herrschsucht. Die Völker unterwerfen sich nicht dem Christus, sondern der kirchlichen Macht, ... von ihnen wird nicht ein wirkliches Bekenntnis ihres christlichen Glaubens verlangt, sondern es genügt, wenn sie den Papst anerkennen und den kirchlichen Machthaber untertan sind. [?] Die Folge dieses Irrweges war eine Verschiebung und Verlagerung des esoterischen Mittelpunktes der römischen Kirche. Dieser Mittelpunkt liegt nicht so sehr im Dogma der Lehre als vielmehr in der kultischen Messehandlung. Die Messe wurde schon im 8./9. Jahrhundert veräußerlicht, der zweite esoterische Teil, der früher nur den dazu vorbereiteten Gläubigen zugänglich war, veröffentlicht und damit ging der esoterische Kern als das Sonnenmysterium des Sohnes, das noch im Symbol des Sanctissimum 268 vorhanden ist, verloren oder wurde in den ausschließlichen Beschlag der Priesterschaft genommen, ähnlich wie das Abendmahl in zweierlei Gestalt! – Was sich durch diese Verschiebung vollzog, war eine Zurückhaltung der Esoterik durch die Machtpolitik der Kirche. Dazu gehört auch die Aberkennung des Geistes, der dem Menschen im VIII. ökumenischen Konzil von Byzanz269 im Jahre 869 abgesprochen wurde, Lateinisch für: „das (Aller)heiligste“

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Im Jahr 869 n. Chr. fand das vierte Konzil von Konstantinopel statt, auf dem die Trichotomie, die Dreigliederung des Menschenwesens in Leib, Seele und Geist, als häretisch verurteilt wurde... Literatur: Heinz Herbert Schöffler (Hg.): „Der Kampf um das Menschenbild. Das achte ökumenische Konzil von 869 und seine Folgen“, Verlag am Goetheanum, Dornach 1986; Renate Riemeck: „Glaube – Dogma – Macht. Geschichte der Konzilien“, Urachhaus, Stuttgart 1985, S. 85 – 103; Karl-Heinz Tritschler: „Der blinde Fleck.“ In: „Wochenschrift „Das Goetheanum“, Nr. 25, 16.06.2012, S. 89.

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den die Kirche für sich allein in Beschlag nahm. Man muss in diese Usurpation der freien christlichen Esoterik, die ja doch vom Christus dem menschlichen Geist zu seiner Vertiefung übergeben worden ist, hineinleuchten, um zu verstehen, wie hier die Grundlagen für die Erstarrung der römischen Kirche liegen sowie für den Verlust der Beziehung von Menschen-Ich und Christus-Ich, die ja doch den gleichen göttlichen Ursprung haben. Dr. Carl Unger schreibt über diesen Eingriff der römischen Kirche, das Sonnenmysterium für sich zurückzuhalten:

Einige Jahrhunderte nach dem Mysterium von Golgatha finden wir bei der Kirche den Versuch, die alte Macht der esoterischen Wirksamkeit wieder aufzurichten. In der ersten christlichen Zeit sehen wir die durch das Mysterium von Golgatha geschaffenen Tatsachen in gewisser Weise „vor aller Augen“ stehen. Dann aber wurde durch die Priesterschaft die Tat des Christus für sich in Anspruch genommen; das Mittlertum der Priester wurde gestiftet. Die Kirche schuf einen Kult und behielt ihrer Priesterschaft die geistige aktive Teilnahme an der geweihten Handlung vor. Mit Hilfe von Mitteln der dritten (ägyptisch-babylonischen) Kultur wurden so die freien Mysterien des Christus „allem Volk“ vorenthalten. Es ist dies ein außerordentlich wichtiges Ereignis in der Geschichte, das zeigt, dass in jener Zeit noch nicht möglich war, die Freiheit des Esoterischen aufrecht zu erhalten. Dadurch aber entstand eine Verzögerung des Heraufkommens des Geistbewusstseins der fünften nachatlantischen Zeit. Was durch die religiöse Tradition an Kultischem in unserer Zeit lebt, stützt sich alles noch auf die Formen der magischen Mysterien der dritten Kultur, und was die Priesterschaft den Laien abspricht, geschieht aus den Impulsen der vierten Kulturepoche. Die meisten Kämpfe, die die christliche Kirche auszufechten hatte, gingen um diese Fragen. Welch gewaltiges Ringen entstand um das Abendmahl, um die Frage, ob der Kelch auch dem Laien zu reichen sei oder allein der Priesterschaft zukomme! Die Menschen jener Zeit empfanden etwas von der unmittelbaren Wirksamkeit des Christus, diese Fragen durchwühlten ihre Seelen aufs tiefste. Die Kämpfe waren so ernst, weil die Menschen Stück um Stück der lebendigen Anteilnahme ins „Geheimnis“ zurückgeführt sahen. In ihre Seelen aber wurde dafür eingepflanzt, was in künstlerischer Gestaltung aus den Impulsen der vierten (griechisch-lateinischen) Epoche noch fortlebte. Der Sinn des Christentums ist für die traditionelle religiöse Anschauung in den Sakramenten enthalten. Das Wort „Sakrament“ findet man zum ersten Mal in der Vulgata als Obersetzung von dem griechischen Mysterium. Sonst war anstelle des Wortes Mysterium „Geheimnis“ getreten, was die Mysterien in den älteren Zeiten waren; in den Sakramenten lag die Esoterik auch der neueren Zeit. In die Sakramente wurde von den Priestern die Esoterik hineinversiegelt. Es gilt den esoterischen Gehalt wieder zu entsiegeln und ihn für unser heutiges Bewusstsein neu zu gestalten. Die Heiligung durch die Sakramente muss unmittelbar zu jedem einzelnen Menschen gelangen können. [84] Gerade die Symbole der Apokalypse legen es uns nahe, die versiegelten Geheimnisse der „Sakramente“ unserem geistigen Verständnis näher zu bringen, damit wir ihre Heilkräfte in unserem Bewusstsein aufnehmen können. Und da das vierte Sakrament als das Altarsakrament der Mittelpunkt ist, so mag es berechtigt sein, die historischen Hintergründe etwas herauszuleuchten. Denn wenn die römische Kirche – nach Wladimir (Anthrowiki, „869“)

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Solowjew – der ersten Versuchung, der Macht, verfiel, so fiel der Protestantismus der Versuchung des Rationalismus als dem zweiten Irrweg zum Opfer. Die Folge dieser Irrwege, welche die Kirchen einschlugen, ist der Verlust des esoterischen Mittelpunktmysteriums und damit auch der Verlust einer esoterischen Erkenntnis des Christusmysteriums – das erst heute durch die anthroposophische Geist-Erkenntnis wieder neu errungen werden konnte! Dadurch kann der Zusammenhang von Sonne und Christus wieder gefunden werden, wodurch wir auch den Zusammenhang von Christus-Ich und Menschen-Ich wieder erkennen, der durch die Irrwege der christlichen Kirchen verloren gegangen ist.

Eines schon unter vielem anderen sollte man beachten: das Auseinanderreißen desjenigen, was Sonne und Sonnenkraft einerseits und was Christus und Christuskraft andererseits ist. Wenn nicht der Zusammenhang zwischen Sonne und Sonnenkraft und Christus und Christuskraft wieder erkannt wird, dann wird die Welt nicht immer leicht an das Geistige angeknüpft werden können. Darin liegt aber gerade eine der Hauptaufgaben geistiger Wissenschaft, dass man wiederum das große Sonnengeheimnis auffinden kann, das vor dem Mysterium von Golgatha noch nicht das Christusgeheimnis sein konnte, das nachdem aber zugleich das Christusgeheimnis geworden ist. [85, S. 224] Die vierte Schale hat als Mittelpunkt die Sonne. Sie wird über die Sonne ausgegossen! Und der vierte Engel goss seine Schale aus über die Sonne. Ihm war aufgegeben, die Menschen mit Feuersgluten zu versengen. Und so wurden die Menschen verzehrt von heißer Glut und stießen Verwünschungen aus gegen den Namen der göttlichen Macht, die solche Prüfungen und Plagen über die Menschen verhängte, und sie änderten ihre Gesinnung nicht, sondern verschlossen sich vor der göttlichen Offenbarung. (Off. 16,8) Hat das kirchliche Dogma den Mittelpunkt des Christentums – den Zusammenhang von „Christus und Christuskraft und Sonne und Sonnenkraft“ auseinander gerissen, sodass der Mensch in seiner freien Individualität den Christus nicht mehr finden konnte, so hat die aus dieser Gottlosigkeit entstandene atheistische Wissenschaft unserer Zeit die Grenzen zur untersinnlichen Welt ohne Gewissensskrupel überschritten und durch die Atomspaltung die unter-sinnlichen Mächte entfesselt, die bis in die übersinnlichen Sonnenhierarchien ihre zerstörerischen Wirkungen erstrecken. Wenn „die Wissenschaft“ auch diese auf die ganze Sphäre des Erdenumkreises eingreifenden Wirkungen leugnet, weil sie sie nicht sehen und anerkennen will, so ist dem vorurteilslosen, unbefangenen Menschengemüt dies kein Geheimnis mehr. Die durch die Kernspaltung und Atomexperimente seit Jahrzehnten aufgewirbelten Energien, durch die die Radioaktivität sich in ihrer zersetzenden Wirksamkeit um ein Vielfaches vermehrt hat, sind die Ursache der meteorologischen und anderer Naturkatastrophen, da sie in die elementarischen Reiche des Naturgeschehens tief eingreifen. Eine materialistische Wissenschaft ist dafür blind und leugnet – zu ihrer eigenen Ehrenrettung – diese Folgen, trotz zahlreicher Beweise, die dies bestätigen könnten. Damit greift sie in den radioaktiven Zersetzungsprozess der Erdenentwicklung ein und beschleunigt diesen in einer unvorstellbaren Art, da wir heute die Konsequenzen dieser allgemeinen Zersetzung der Erdenstoffe noch nicht abzuschätzen vermögen. Der Mensch gräbt sich selbst sein Grab, indem er die notwendige Grundlage für seine irdische Fortentwicklung abträgt und zerstört. Damit werden die ätherischen Lebenskräfte ausgelaugt und zerstört, die einen Schutzmantel gegen kosmische Hitze- und Kältestrahlen 391

um die Erde bilden. In den abnormen Temperaturschwankungen der letzten Jahre können diese kosmischen Einbrüche konstatiert werden. Es liegt nahe, gerade von den abnormalen meteorologischen Erscheinungen die apokalyptischen Bilder allein von diesem Aspekt zu deuten, wie es zum Teil auch geschehen ist, indem man in den Bildern der Apokalypse einen Atomblitz mit seinen vernichtenden Folgen nachzuweisen versucht. Hiermit aber würde man an dem Wesen und Charakter der Apokalypse ganz vorbeigehen. Denn nicht um naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten geht es hier – in unserer heutigen Auffassung – sondern um deren geistigen Hintergründe, die im Bereich des Obersinnlich-Moralischen spielen. Gewiss wird die Sonne, von der die Menschheit durch Jahrmillionen das sie zum Geist erweckende Licht, die lebenserhaltende Wärme, empfangen hat, immer mehr ihre ätherischen Lebenskräfte einbüßen, vor allem für die Menschen, welche in der Sonne nur einen toten Gaskörper sehen. Schon jetzt bereitet sich das vor, dass der majestätische Sternenhimmel von vielen Menschen nur noch als ein seelen- und lebloser physikalischer Mechanismus angesehen wird. Diese Menschen sind blind für die Erhabenheit und Größe der göttlichen Herrlichkeit des Sternenhimmels. Und sie sind auch blind für die göttliche Fülle der Sonne, die den Menschen einstmals Dankeshymen entlockte. Doch ist es nicht allein die subjektive Blindheit für die Wunder der Schöpfung in ihrer farbigen Fülle und Schönheit, obwohl der Mensch als Folge seiner Abstraktheit farbenblind wird, sodass er die farbige Natur nur noch als graues Einerlei erleben wird! – Aber in diesem Zeichen liegt mehr vor: Der Engel gießt seine Schale über die Sonne aus! Und damit werden ausgelöscht die ätherisch-geistigen Lebens- und Liebes- und Wärmekräfte! Es wird kahl, nackt und öde um den Menschen, der seine Liebesglut und menschliche Wärme verloren hat. Liegt nicht darin gerade die Absicht und das Ziel der sichtbaren Schöpfung, in welche wir Menschen auf Erden hineingestellt sind, dass uns von außen im sichtbaren Kosmos entgegenkommt die göttliche Liebe, wie sie uns von der Sonne entgegenströmt, dass wir das geistige Urbild als Urquelle der göttlichen Liebe von innen entwickeln und entzünden? Einmal soll das menschliche Herz die innere Sonne gebären, das innere geistige Licht, das alles beleuchtet. Einmal soll das Licht von innen kommen und nicht mehr von außen, das durch Luzifer, den Licht-träger, entzündet worden ist. denn den sichtbaren Kosmos verdanken wir Luzifer. Er entzündete uns das äußere Licht, indem er das äußere Augenlicht aufschloss, womit zu gleicher Zeit das geistige Sehen erlosch. Die Prophezeiung in der Bibel ist wie alle biblischen Worte wörtlich zu nehmen. Luzifer verheißt den Menschen das äußere Licht, das er ihm eröffnet: „Ihr werdet mitnichten des Todes sterben, sondern Gott weiß, dass welches Tages ihr davon essen werdet, so werden eure Augen aufgetan und werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist!“ (1. Mose 3, 45) Luzifer, der Gott des Lichtes, beleuchtet unsere Welt, solange wir in seinem Bannkreis stehen. Wir verdanken ihm das äußere Sehen, denn er hat uns die Augen geöffnet. Doch im Tod, wenn wir zum geistigen Schauen erwachen sollen, erlischt das äußere Licht. Und es erlischt auch, wenn wir von der materiellen Schöpfung in die ätherische und geistige aufsteigen sollen. Es entspricht nur einer geistigen Entwicklungsstufe, wenn das äußere Sonnenlicht verlöscht, wenn die Schöpfung wieder übergeht vom physischmateriellen Zustand zum ätherisch-geistigen, aus dem sie in der hyperboräischen Sonnenepoche der Erde hervorgegangen ist. Schon bei der Ätherisierung der „Siegelstufen“ 392

wird die ätherisch-geistige Sonne den 144000 aufgehen, die das Gottessiegel empfangen. So heißt es von der Herrlichkeit im künftigen Jerusalem. Und die Stadt bedarf keiner Sonne noch des Mondes, dass sie ihr scheinen, denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie und ihre Leuchte ist das Lamm. Mit diesem Licht erhellt sie die Wege der Völker, und die Könige der Erde opfern ihr ihren Glanz. Die Tore der Stadt werden an keinem Tage verschlossen, denn es gibt dort keine Nacht. (Off. 21, 2325) Die Schwierigkeit, diese Bilder in ihrer geistig-irdischen Realität zu lesen und sie nicht nur als mystische Innenerlebnisse zu nehmen, liegt nicht an diesen Bildern, sondern an der Einseitigkeit unserer religiösen Erziehung. Die Apokalypse des Johannes ist aber eine „Chymische Hochzeit“, nicht nur eine mystische Hochzeit, welche nur Bilder der innerseelischen Entwicklung gibt. Der rosenkreuzerische Schulungsweg wollte nicht wie der christlich-mittelalterliche allein die mystische Innenschau als „communio mystica“ zeigen, sondern die Vergeistigung der ganzen Welt, in der die Vergeistigung der Natur mit eingeschlossen war. Und deshalb muss die Apokalypse als chymische, das heißt chemische Hochzeit, gelesen werden, deren Bilder die Transfiguration und Vergeistigung der ganzen Natur mit umfassen. Im Johannesevangelium beginnt diese Transfiguration in der Verklärung Christi bereits in den Abschiedsreden. Sie setzt sich dann nach dem Mysterium von Golgatha fort und erfasst die ganze Erde. Ihr letztes Ziel ist erreicht, wenn das himmlische. Jerusalem als vergeistigte Erde in der Verklärung der göttlichen Offenbarung aufzuleuchten beginnt. Im Grunde ist die Ausgießung der vierten Zornesschale auf die Sonne nur ein Strafgericht für diejenigen, welche sich in ihrer seelisch-blinden Verstocktheit bis dahin verschlossen haben vor der anbetenden Verehrung und Erweckung des inneren Lichtes, das wie die Morgenröte eines neuen Weltentages schon bei den Siegelstufen aufzustrahlen beginnt, wenn die Erde sich ätherisiert. Darin besteht ja das Wesen der apokalyptischen Entwicklung, dass die Menschheit bei jeder höheren Stufe, die sie erreicht, stärkere geistige Kräfte entfalten muss, die jetzt nicht mehr von außen, sondern nur von innen ihr gegeben werden. Es ist also ein Weg vom Nehmen zum Geben. Dieser entspricht dem Gang der Wellenentwicklung, dass jedes Wesen von einem empfangenden zu einem gebenden aufzusteigen berufen ist. Die Heilkräfte für die Verfinsterung der äußeren Sonnenkraft bietet das ganze Johannesevangelium. Es ist eine fortschreitende Verklärung der Christuswesenheit, angefangen von dem Lichtwort bis zum Tod von Golgatha. Am Kreuze leuchtet der Leib in seiner letzten Lichtesherrlichkeit. In dem letzten Gebet bittet der Christus den Vater um diese Verklärung. „Vater, verkläre deinen Sohn, damit dein Sohn dich wiederum verkläre!“ (17,1) Friedrich Rittelmeyer sagt hierzu in seinen Briefen über das Johannesevangelium:

Die ganze erste Hälfte der Weltgeschichte diente diesem Ziel, dass im Menschen der Gottessohn zur Offenbarung komme. Immer reicher und tiefer wird man erkennen, dass alle Religionen. Mysterien und Kulte, ja letzten Endes auch alle äußeren Weltereignisse auf das große Ereignis zugeordnet waren, dass Christus in der Menschheit erscheint. Doch ist das Entscheidende an dieser Offenbarung dann nicht, was Christus tut oder leidet, sondern dass Christus stirbt und aufersteht. Denn die Verherrlichung, von der Christus redet, ist nicht nur das, was nach seinem Tode geschieht, sodass er über seinen Tod nur so hinwegblickte, sondern eben der Tod 393

selbst und die ihm folgende Auferstehung. Und dies Werk kann Christus nicht selbst vollbringen, sondern er muss es in die Hände des Vaters legen. Wir blicken hier tief hinein in das Zusammenwirken von Vater und Sohn, das der Hintergrund der Weltgeschichte ist. Auch die rohen Henkershände sind nur die Vollzugsorgane für das, was hier zwischen Vater und Sohn besprochen wird. Von diesem Zusammenwirken des Sohnes und des Vaters haben wir schon einen Klang gehört am Grab des Lazarus (vor allem Joh. 11,41). Nun wird uns hier der Vorhang noch viel mehr hinweggezogen von den göttlichen Gesprächen, die hinter der Weltgeschichte vor sich gehen. In letzter und reinster Größe sehen wir Christus vor uns stehen, wie er mit dem Vater von dem Furchtbaren redet, was jetzt auf der Erde geschehen soll. Aber es mag hernach in der Ausführung noch so wehtuend sein: hier sprechen nur die strahlenden göttlichen Wirklichkeiten. Ein Offenbarungswerk soll vollzogen werden, von dessen eigentlichem göttlichen Inhalt die Menschen, die auf der Erde sich so laut und wichtig gebärden, gar keine Ahnung haben, das aber hier in seiner strengen überirdischen Wahrheit erscheint. Und der Sohn selbst bittet den Vater, das Werk zu vollbringen, das äußerlich so grauenvoll aussieht, und gibt sich in voller Klarheit und Willenseinigkeit in seine Hände. Wer göttliche Größe atmen will, dem ist sie hier zum Greifen nahe. [94] Wer diese im Tode sich offenbarende Lichtesherrlichkeit in sich nachzuerleben versucht, dem wird das Licht aufgehen, das von keiner Sonnenverfinsterung getrübt werden kann. Dies höchste Ziel der menschlichen Erkenntnis offenbart sich im Johannesevangelium in der Liebe, mit der der Vater den Sohn liebt. Diese Liebe soll zur Inspirationsquelle der Jünger werden, aus der sie ihre Erleuchtung und die Quelle ihrer Liebe schöpfen – „Vater, Du hast sie mir zu eigen gegeben. Mein Wille ist, dass wo ich bin, auch sie bei mir seien. Da werden sie schauen die Herrlichkeit, die in mir leuchtet und die Du mir gegeben hast. Denn ehe der Grund zur Erdenwelt gelegt wurde, hat Deine Liebe schon auf mir geruht.“ (Joh. 17,24) Wie alle aus okkulter Inspiration geschöpften Schriften, so ist auch die Apokalypse des Johannes nach einer strengen Komposition aufgebaut, wobei die okkulten Zahlenwerte eine grundlegende Rolle spielen. Darin spricht sich ein Weltgesetz aus, das aller Entwicklung zugrunde liegt. In vielen alten Symbolen finden wir es. So wie in der Siebenzahl die in der Zeit verlaufende Evolution sich vollendet, in der Zwölfzahl das Gesetz der Gleichzeitigkeit in der Dauer, so manifestiert sich im Pythagoreischen Quadrat oder Viereck mit dem Dreieck darüber das Prinzip der niederen Kräfte des Menschen, die die Basis bilden für die drei höheren geistigen Prinzipien, weshalb man das Dreieck als „Gottesauge“ oft in Kirchen sehen kann, worin sich diese alte Tradition noch erhalten hat. Gemäß diesem okkulten Gesetz enthalten die sieben Glieder der Siegel, Posaunen und Zornesschalen in den drei oberen Stufen das geistige Prinzip, das der Mensch als Abbild der göttlichen Trinität in seiner Organisation als Zukunftskeim trägt. Im „Vaterunser“ werden diese drei geistigen Glieder, die in der Gottheit ruhen, in den ersten drei Bitten des göttlichen Namens, Reiches und Willens herabgebeten. Durch diese Komposition empfängt man den nötigen Blick für den Tempelbau der Welt, der vom göttlichen Baumeister nach diesem Plan gebaut ist. Nach diesem Gesetz bilden die drei letzten Zornesschalen die Vollendung des Menschheitstempels. Und da sie die Gotterfüllung bilden, wie sie von der durchchristeten Menschheit, die das neue Lied anstimmt, schon in der Siegelstufe erreicht wird (7. Kapitel). so müssen diese drei höchsten Stufen als Abbilder der Gottheit hier in den Zornesschalen ausgelöscht, beziehungsweise in ihr Gegenteil verwandelt werden. Statt 394

dem einziehenden Heiligen Geist als erstes Glied des höheren Menschen (dem „Geistselbst“) steigt das negative Gegenbild, der Thron des Tieres, vor dem Seher auf, über welchen die Schale des Zornes ausgegossen wird. Da verfinsterte sich das Reich des Tieres, und die Menschen zerbissen sich vor Qual ihre Zungen und verwünschten die göttliche Macht wegen ihrer Qualen und wegen ihrer Drüsen und bekehrten sich nicht und ließen nicht ab von ihren Werken. (Off. 16,10) Abermals erscheint wie zur Bekräftigung hier das Wort der Drüsen, das schon bei der ersten Posaune genannt wurde. Ist es ein Zufall, dass es hier bei der ersten Stufe des Geistes wiederholt wird als Ausdruck für die Notwendigkeit der durch die Menschheitsbosheit bewirkten Vernichtung der den drei bösen Prinzipien verfallenen menschlichen Trichotomie? Sie stehen in den drei letzten Zeichen des Johannesevangeliums als die Urbilder des Heiligen Geistes, des Lebensgeistes und des Geistesmenschen vor uns. Es ist kein Zufall, sondern okkult tief begründet, dass das 5. Zeichen das Urbild für die Lebensgemeinschaft ist, die durch den Heiligen Geist begründet wird. Das Bild des Christus, der über den stürmischen Wogen den Jüngern erscheint und ihnen zuruft: „Ich bin! Fürchtet euch nicht!“ ist das geistige Urbild, das jeder Menschengemeinschaft voranleuchten kann, die in einem Höheren sich findet, um nicht unterzugehen in den äußeren und inneren Lebenswirren. Diesem Zeichen, das mit dem Geist sich verbindet, steht das Reich des Tieres gegenüber, dessen Insassen sich die Zungen zerbeißen vor Wut. Schmerz und Verwünschungen: die Zunge, das Organ des Wortes, was im Pfingstfest im Bilde der feurigen Zungen erscheint – und hier dem Tiere verfällt! Ein grandioses Symbol – in seiner erschreckenden Negativität und perversen Verkehrung. – Noch abschreckender ist das Bild der sechsten Schale, die über den großen Euphrat-Strom ausgegossen wird, der austrocknet, sodass den Königen aus den Ländern vom Sonnenaufgang ein Weg bereitet wurde. (Off. 16,12) In diesem Bilde der 6. Zornesschale steigt unwillkürlich das Bild der drei weisen Magier aus dem Morgenland vor uns auf, die zum neugeborenen Jesuskinde kommen, um ihm ihre Gaben darzubringen – drei unreine Geister kommen hervor aus dem Rachen des Drachens, aus dem Maul des Tieres und aus dem Mund des falschen Propheten in den Gestalten von Fröschen. Der Frosch ist wie die Kröte in den Märchenbildern (wie auch bei Hieronymos Bosch) das Symbol für die sexuellen Kräfte. Durch die Könige aus dem Osten wird gleichsam eine Magie entfesselt, die unreine astrale Kräfte aus dem Drachen, aus dem Tiere und falschen Propheten herauf beschwören, welche die Menschheit bedrohen. Dass hier der Euphratstrom genannt wird, über dessen ausgetrockneter Furt – der Euphrat wurde als einer der Paradiesesströme betrachtet, dessen Wasser aus den ätherischen Quellen des übersinnlichen Reiches kam – die unreinen Geister das Abendland bedrohen, lässt das Bild einer karmischen Vergeltung erstehen, die sich jetzt gegenüber der Menschheit des Abendlandes erfüllt. Und sehen wir nicht heute schon die ersten Zeichen dieser karmischen Vergeltung? – Wie die östlichen Seelen die Haltung des Westens empfinden, hat Rudolf Steiner in seinen Abschiedsworten bei der Weihnachtstagung am 1. Januar 1924 in folgendes Bild eingekleidet:

Nimmt man eine Menschenwesenheit, die nun nicht aus westlicher Zivilisation, sondern aus östlicher Zivilisation entsprungen ist, mit auf jene Wanderung (in die astralisch-geistige Welt)... dann kann man von ihr die Geist-Worte wie einen 395

furchtbaren Vorwurf gegenüber der gesamten westlichen Zivilisation erheben hören: Seht ihr, wenn das so fortgeht, wird schon, wenn die Menschen, die heute leben, neuerdings in einer Inkarnation auf Erden erscheinen, die Erde barbarisiert sein. Die Menschen werden ohne Ideen, nur noch in Instinkten leben, so weit habt ihr es gebracht, weil ihr abgefallen seid von der alten Spiritualität des Morgenlandes. [95, S. 275] Was alles kann in der Seele aufsteigen, das zuletzt der Apokalyptiker in der sechsten Zornesschale schildert! Was heute auf vielen Wegen vom Orient ins Abendland an Rauschgiften eingeschmuggelt wird, was die Jugend als Blüte der Zukunft verseucht und unterminiert, was zahlreiche sehnsüchtige Seelen nach dem Orient zieht, weil sie im östlichen Licht die Erlösung im Nirwana erhoffen – das alles schlängelt sich immer einschmeichelnder und schlangengleich heran, mit betäubenden magischen Kräften, um die Geister zum großen Vergeltungs- und Entscheidungskampf aufzurufen, der sich heute schon vorbereitet und wohl noch vor Ablauf unseres Jahrhundert fällig wird. Der Ost-WestKonflikt im japanisch-amerikanischen Krieg in der Mitte dieses Jahrhunderts war nur ein Vorspiel für die gewaltigen Auseinandersetzungen, die im Schoße der Zukunft noch ruhen. Das Bild der sechsten Zornesschale ist ein geistiges Urbild, das nicht genauer entworfen werden könnte: Und der sechste Engel goss seine Schale aus auf den großen Euphratstrom, und das Wasser vertrocknete, sodass den Königen vom Aufgange der Sonne ein Weg bereitet wurde. Und ich sah, wie aus dem Rachen des Drachens und aus dem Maul des Tieres und aus dem Mund des falschen Propheten drei unreine Geister in der Gestalt von Fröschen hervorkamen. Das sind dämonische Geistwesen, die magische Wirkungen hervorrufen. Sie verführen die Könige in der ganzen Welt, um sie zu dem Krieg zu versammeln, der entfesselt sein wird, wenn der große Tag des Weltenherren anbricht. „Siehe, ich komme wie ein Dieb. Selig, der da wacht und seine Kleider bewahrt, dass er nicht nackt einhergehen muss und man seine Schande sieht. Er hat seine Scharen versammelt an der Stätte, die auf Hebräisch Harmagedon heißt.“ (Off. 16, 1216) Der Name bedeutet soviel wie „Berg der Schwelle“. Die Schwelle hat sich jetzt geöffnet. Immer wenn der Gralstempel sich auftut, öffnet sich die Tiefe des Abgrundes, aus dem das Bild des „Gegengral“ erscheint. Auch dies ist ein Weltgesetz. Immer bevölkert sich die Szene der Wahlstatt mit dämonischen Heeren. Der ausgetrocknete Euphratstrom hat den Weg bereitet für die Magie des Ostens, welche jetzt alles überflutet. Und mitten in diesen heraufziehenden Dämonenschwarm ertönt das Wort der Christusnähe: „Siehe, ich komme wie ein Dieb. Selig, der da wacht und seine Kleider bewahrt.“ – Die Kleider sind die ätherischen, astralen und Ich-Hüllen, die der Mensch selbst anlegen muss, damit er nicht nackt vor Christus erscheint. Unsere Gebete, Meditationen, Kulte und Opfer bilden die Hüllen, die uns mit dem Christus verbinden. Ganz plötzlich und abrupt schließt das große Drama der geistigen Entscheidung mit der siebten Schale: Und der siebte Engel goss aus seine Schale in die Luft. Da ertönte eine mächtige Stimme aus dem Tempel vom Throne: „Es ist vollbracht!“ Und es zuckten die Blitze, es ertönten die Stimmen, Donner rollten und ein großes Erdbeben erdröhnte, wie es noch keines gegeben hatte, solange Menschen auf der Erde leben, ein so gewaltiges Erdbeben war es. Und die große Stadt fiel in drei Teile auseinander, und die Städte aller Völker sanken in Trümmer. 396

Und Babylon, die große Stadt, tauchte auf vor dem Gottesgedanken. Ihr sollte der Kelch mit dem Wein des göttlichen Zornes gereicht werden. Und alle Inseln bewegten sich und alle Berge stürzten ein. Und große Hagelkörner, die zentnerschwer zu sein schienen, fielen vom Himmel auf die Menschen nieder. Und Menschen stießen Verwünschungen aus gegen die göttliche Welt wegen der Qualen, die ihn der Hagel bereitete. Übergroß waren diese Qualen. (Off. 16, 1721) Mit einem kosmischen Karfreitag endet die siebte Zornesschale. Es ist vollbracht! Also auch beim letzten Akt dieses kosmischen Gerichtes, der dem Bilde eines Wellenunterganges gleicht: das Wort des Christus nach vollendeter Weihetat. Es ist vollbracht! – liegt in diesem Worte nicht mehr als ein Weltenuntergang? Als ein bloßes „Ende“? Wird nicht das Siegel dem Endgeschehen aufgedrückt, das Siegel einer göttlichen Weihetat und Vollendung? Wir denken noch einmal an die göttlichen „Drüsen“, die zur Erreichung des Menschheitsund Wellenziels notwendig sind, da die Weltentwicklung nicht nur durch die positiven Evolutionskräfte in aufstrebender Richtung ihr Ziel erreichen kann, sondern dass zu diesem Ziel auch die hemmenden und retardierenden Kräfte nötig sind, die von den Widersachermächten hineingeschoben werden wie Riegel und Berge des Widerstandes, auf welchen das Weib als Repräsentantin der „Hure Babylon“ in scharlachrotem Gewand thront, mit sieben Häuptern und zehn Hörnern gekrönt. Wir können aus dem Geheimnis der sieben Häupter, welche die Berge der Hindernisse sind, die sich der fortlaufenden Entwicklung in den Weg stellen, und die zugleich sieben Könige sind, den tieferen Sinn des Mysteriums des Bösen enträtseln, das hier zu Fall kommt, aber doch als Ferment der Menschheitsevolution einverleibt bleibt. Es ist das okkulte Geheimnis der acht, das die Menschen in die „Verdammnis“ führt. „Hier ist der Sinn, zu dem Weisheit gehört! Die sieben Häupter sind sieben Berge. Auf ihnen sitzt das Weib. Sie sind zugleich sieben Könige, fünf von ihnen sind gefallen, einer ist da und einer ist noch nicht da. Wenn er kommt, wird er eine kurze Zeit bleiben. Und das Tier, das dagewesen ist und nicht da ist, ist selber der achte König und gehört doch auch zu den sieben, und fährt in die Verdammnis. Die zehn Hörner, die du siehst, sind zehn Könige, die ihre Herrschaft noch nicht angetreten haben, aber sie werden nach dem Tiere eine Stunde lang als Könige ihre Macht ergreifen. Diese alle sind von einer Gesinnung beseelt. Sie werden ihre Kraft und Vollmacht in den Dienst des Tieres stellen. Und so werden sie gegen das Lamm in den Kampf ziehen, aber das Lamm wird siegreich über sie sein, denn es ist der Herr aller Herren und der König aller Könige. Auf seiner Seite stehen alle Berufenen und Erwählten, alle, die den Glauben haben.“ Und er sprach zu mir: „Die Wasserströme, die du siehst, auf denen die große Hure sitzt, sind die Rassen und Scharen der Völker und Sprachen. Und die zehn Hörner, die du siehst und das Tier, sie werden einmal gegen die Hure in Hass entbrennen und bewirken, dass sie einsam und nackt dasteht. Sie werden ihr Fleisch verzehren und sie mit Feuer verbrennen.“ (Off. 17, 916) Das Motiv des Tieres, das tödlich verwundet ist und doch lebt und so wieder zu Kräften gekommen ist (13,3), ist uns schon beim luziferischen Tier entgegengetreten. Das luziferische Prinzip ist durch Christus tödlich getroffen worden, wenn es sich auch zu zeitlich neuem Schein im Menschen emporrafft, so ist sein Lebensnerv doch tödlich verwundet. Neben Christus kann es sich nicht mehr in selbständiger Existenz behaupten. – Anders die ahrimanische Macht, die nach außen in dem Bild des Drachentieres erscheint. Hier berühren wir ein Mysterium des Bösen in seiner abgründigen Tiefe, wie es aus der Versuchung des Christus durch die ahrimanische Macht hervorgeht. Ahriman konnte nicht 397

gänzlich überwunden und aus dem Felde geschlagen werden von Christus Jesus bei der Versuchungsszene. da die weitere Menschheitsentwicklung, auch des Christentums, ihn braucht. Nachdem die beiden ersten Versuchungen durch Luzifer – „Alle Reiche, die du um dich siehst (es sind die Reiche der geistigen Welt), die können dein sein, wenn du mich als Herrn dieser Welt anerkennst!“ (Mt. 4,9) – wie auch die durch die beiden Widersachermächte, die ihn verleiten wollten, seine Furchtlosigkeit und seinen Mut zu zeigen, indem er sich von der Tempelzinne herabstürzte, abgeschlagen werden konnten, nahte sich Ahriman bei der dritten Versuchung allein.

Und jetzt war es auch das, was Ahriman als eine Art Versuchung vor dem Christus Jesus sagte, etwas, was sich wiedergeben lässt mit den Worten der Bibel: „Mache, dass diese Steine zu Brot werden, um Deine Macht zu zeigen! Aber jetzt war es, dass der Christus Jesus nicht vollständig Antwort geben konnte auf das, was Ahriman forderte. Den ersten und den zweiten Angriff konnte er abschlagen, den Angriff des Luzifer allein und Ahriman zusammen. die sich gegenseitig paralysierten. Dass so der Angriff nicht ganz abgeschlagen werden konnte, das behielt eine Bedeutung für die Wirksamkeit des ganzen Christentum-lmpulses auf der Erde. – Ahriman ist zunächst durch die Wirksamkeit der höheren Hierarchien für den Rest der Erdenentwicklung bis zum Vulkan hin nicht vollständig aus dem Feld zu schlagen. Es wird immer möglich sein, durch rein geistige Anstrengung die innere Versuchung des Luzifer zu besiegen: die von ihm aufsteigenden Wünsche, Begierden, Leidenschaften, was aufsteigt an Stolz, an Hochmut, an Übermut. Luzifer lässt sich, wenn er allein den Menschen angreift, durch Geistiges besiegen. Auch wenn Luzifer und Ahriman, beide zusammen, von innen heraus den Menschen angreifen, so lässt sich durch geistige Mittel der Sieg erringen. Wenn aber Ahriman allein ist, versenkt er seine Wirksamkeit in das materielle Geschehen der Erdenevolution. Da ist er nicht ganz aus dem Felde zu schlagen. Ahriman, Mephisto, Mammon – es decken sich ja diese Begriffe -, sie stecken im Gelde, in alldem, was mit dem äußeren natürlichen Egoismus zusammenhängt. Indem immer notwendig ist, dass sich dem Menschenleben etwas von dem beimischt, was äußerlich materialistisch ist, muss der Mensch mit Ahriman rechnen. Sollte der Christus den Menschen auf Erden so recht helfen, so musste er Ahriman wirksam sein lassen. Ahriman, das Materielle, muss mitwirken bis zum Schluss der Erdenevolution. Durch den Christus musste die Wirksamkeit des Ahriman unbesiegt bleiben. Ahriman wurde nicht vollständig besiegt. Der Christus muss sich herbeilassen, bis zum Ende der Erdenentwicklung mit Ahriman zu kämpfen. Ahriman musste dableiben. Die Kämpfe in der materiellen Außenwelt müssen ausgekämpft werden bis zum Schlusse der Erdenentwicklung. Daher musste der Christus den Ahriman zwar in Schach halten, aber neben sich bestehen lassen. Daher konnte es geschehen, dass Ahriman auch neben dem Christus auf Erden wirksam blieb während der drei Jahre, die Christus im Leibe des Jesus von Nazareth wirkte, und dass er dann in die Seele des Judas hineinfuhr und tätig war in dieser Seele zum Verrat des Christus. Was durch Judas geschah, hängt zusammen mit dem, was die nicht ganz gelöste Frage der Versuchung ist nach dem Ereignis am Jordan. [78, S. 40] Wirkt Luzifer durch innere Zwangsgewalten in unseren Leidenschaften, Trieben, Emotionen, so Ahriman durch äußere Zwangssituationen, durch die der Mensch sich überwältigt sieht. Der Mensch muss Ahriman dienen, um seine Existenz durch sein tägliches Brot zu verdienen. So wie der Hammer den Ambos braucht, um das Eisen schmieden zu können, so ist die materielle Außenwelt, auch in ihrer Vergeistigung, als 398

formende Kraft für die Menschheitsentwicklung nötig, um die weiteren Stufen seiner IchEntwicklung zu erreichen. Aber dies zeigt uns das Mysterium des Bösen auch in der weiteren Entwicklung der Menschheit. Wie wir sehen, durchläuft die Entwicklung immer sieben Stufen bis zur Erreichung eines bestimmten Zieles. Was dieses Ziel nicht erreicht, was ausgeschieden werden muss und den der fortschreitenden Evolution sich widersetzenden Mächten verfällt, wird als „die achte Sphäre“ bezeichnet. Es ist sozusagen die achte Sphäre, die herausfällt aus den normal fortschreitenden sieben Entwicklungssphären. Darauf wird mit dem achten König gewiesen: „Fünf sind gefallen und einer ist und der andere ist noch nicht gekommen, und wenn er kommt, muss er eine kleine Zeit bleiben. Und das Tier, das gewesen ist und nicht ist, das ist der achte von den sieben und fährt in die Verdammnis.“ (Off. 17,11) Es ist zunächst die luziferische Macht, die schon einmal in diesem Bilde des Tieres mit sieben Häuptern und zehn Hörnern auf dem Meere aufgetaucht ist (13,1). Die Hörner mit den Kronen drücken die verhärteten Prinzipien des Menschen aus, die dem Tiere verfallen sind. Es erscheint immer wieder aufs neue zu gewissen Zeiten, durchwühlt die Menschen und versucht sie durch Hochmut, Überheblichkeit, Stolz und Eitelkeit dem Drachen der ahrimanischen Macht zuzuführen, was ihr auch immer wieder – besonders in unserer Zeit – mit Erfolg gelingt. Alle luziferischen Verlockungen eines glänzenden schillernden Lebens, alle Reklamen, die ihre Lockrufe erklingen lassen nach einer ewigen Jugend, Schönheit, Gesundheit, alles was die Illustrierten täglich in verlockenden Bildern uns anpreisen, ist der luziferische Sirenenklang, der die Menschen an Ahriman bindet. Denn zu diesem glänzenden Leben in Schönheit und Glanz gehört Geld, gehört Ansehen und eine gut fundierte Position im bürgerlichen Leben, hundert Dinge, die nur der Mammon uns gewährt. Ohne einen Bund mit Ahriman einzugehen, bleiben diese luziferischen Wünsche und Verlockungen uns versagt. Die 8. Periode ist die, welche die Zornesschalen. zum Ausgießen bringt – denn die Erdenentwicklung erfüllt sich in den sieben vorangehenden Perioden und endet mit der 7. Periode der Posaunen. Daher vollzieht sich in der 8. Periode der Zornesschalen die große Scheidung – in den Sturz, das heißt die Loslösung von der fortschreitenden Evolution, und in die Vergeistigung und Verklärung in das himmlische Jerusalem. Wie in diesen letzten Erdenentscheidungen, wo die Mächte des Tieres ausgestoßen werden (die in veränderter Gestalt dann in der künftigen Jupiterentwicklung noch mit der Erdenentwicklung verbunden bleiben), doch Gottes Wille als die Weisheit der Menschheitsführung wirkt geht aus dem Wort des 17. Kapitels hervor, das die retardierenden Mächte beschreibt, die in jeder der sieben Erdenperioden eine Zeitlang zur Herrschaft kommen. „Denn der Vatergott hat ihren Herzen einen Willen eingepflanzt, nach dem sie zuletzt doch in seinem Sinne handeln müssen. So dienen sie diesem einen Sinne auch, indem sie ihr Reich in den Dienst des Tieres stellen, bis die Ziele des Gotteswortes erfüllt sind. “ (Off. 17,17) Die verführten Bewohner der großen Stadt werden sich zuletzt selbst von ihr abwenden, da das Gift der Verführung, durch das sie dem luziferisch-ahrimanischen Bannkreis verfallen sind, in seinen zerstörerischen ätzenden Wirkungen sich in den Seelen geltend macht und dadurch den Zorn und den Hass anstachelt gegen das Weib, das auf den sieben Bergen der Hindernisse sitzt und mit ihrem Scharlachmantel die Menschen verführt hat. Das ist das Los und Schicksal der luziferisch Verführten, denn das Karma Luzifers – ist Ahriman. Der Befriedigung der Genüsse, dem Rausch und der Wollust folgt die einsame Kälte, die 399

Ernüchterung, die kahle Nacktheit, in die uns der Gegenschlag der ahrimanischen Macht versetzt. Geiz, Machtstreben, Lüge und unwahre äußere Dekoration, die die innere Hohlheit zu kaschieren trachtet, ist in ihrem Gefolge. Ein anschauliches Vorbild gibt uns das Cäsarische Rom in seiner äußeren Pracht und inneren Lüge und Hohlheit, obwohl das Niveau des dekadenten Roms nicht verglichen werden kann mit dem der Gegenwart und der zukünftigen Entwicklung. Denn in Rom ist das Bild des Menschen, wenn auch in seinen bacchantischen Entgleisungen, immer noch vorhanden, während es von der modernen Intellektualität und seelenlosen Technik völlig unterhöhlt und vernichtet zu werden droht. Ahriman, der Herr der geistlosen Intellektualität – „der mit Geistverleugnung geistig wirkt“ – hat sich gerade durch die moderne Intellektualität der menschlichen Seele immer mehr bemächtigen können und sie in seinen Bannkreis gezogen. Wir haben es heute immer weniger noch mit „Menschen“ zu tun: sie gleichen vielfach ahrimanischen Attrappen, die automatenhaft wie Marionetten von seinen blendenden „Losungen“ geführt und an seinen Drähten gezogen werden. Dadurch aber drohen die in seinem Bann stehenden Menschen der dritten Macht des Bösen, der asurischen Macht, als Folgen des Sorat-Prinzips zu verfallen, worin sich in erhöhter Potenz luziferische Rauschsucht mit ahrimanischer Geistverleugnung und Gottlosigkeit verbindet! – Wenn die siebte Zornesschale mit dem Kreuzeswort des Christus endet: Es ist vollbracht! so wird damit ausgesprochen, dass das Menschheitsdrama sein gottgewolltes Weiheziel erreicht hat im Sinne der alten Mysterien, worin das Weiheziel telos „die Vollendung“ hieß und die Eingeweihten, die das Ziel erreicht hatten telestes genannt wurden (vgl. S. 169), was mit teleutan „sterben“ zusammenhängt. Plutarch sagt von diesem Zusammenhang:

So entspricht das Wort dem Worte wie der innere Sinn dem Vorgang des Eingeweihtwerdens. [?] Die letzte Stufe ist erreicht, ein Weltenkarfreitag ist angebrochen. Aber wird auf diesen Karfreitag eine Weltenauferstehung folgen? Zunächst scheint die Frage verneint zu werden. Finsternis, Untergang, ein gewaltiges Erdbeben, das alles vernichtet und in den Weltenabgrund hinabstürzt, bilden das Ende der siebten Posaune. Es ist das große Finale als Schlussakkord des Unterganges der drei letzten Zornesschalen, welche die Gegenbilder der drei höheren geistigen Prinzipien darstellen, des „Geistselbstes“, des „Lebensgeistes“ und des „Geistesmenschen“. Das Urbild des Geistselbstes ist, wie wir schon erwähnten, die im 5. Zeichen geweihte „Lebensgemeinschaft“ im Bilde des über dem mächtigen Meere den Jüngern erscheinenden Christus. Das Urbild des 6. Zeichens ist die Blindenheilung, was im Sakrament der Priesterweihe sich erfüllt. Und das Urbild des 7. Zeichens ist die Erweckung des Lazarus, das im Sterbesakrament gespendet wird. Es ist im Grunde – eine Auferstehung als Geisterweckung! – In den drei letzten Zornesschalen erleben wir die totale Verfinsterung des Geistesmenschen. Statt der entstehenden Kräfte einer neuen Gemeinschaft. die durch die Kräfte von oben, den Heiligen Geist, gespendet wird, taucht der Thron im Reiche des Tieres auf mit den Menschen, die in die äußerste Verbitterung des Egoismus gesunken sind und nur Verwünschungen und Gotteslästerungen gegen die göttliche Macht ausstoßen können. 400

Es sind die Opfer aller derjenigen Menschen, die das Ziel der Erdenentwicklung versäumt und von sich gestoßen haben. Ohne die Aufnahme des Christusimpulses muss der Mensch sich in sich selbst abschließen und in der Kälte und Verbitterung seiner Egoität verhärten. Das 6. Zeichen, das wie die drei letzten Sakramente der höheren Ordnung des Esoterischen angehört, ist die Priesterweihe, die in der Blindenheilung des 5. Kapitels des Johannesevangeliums das geistige Auge aufschließen soll, sodass es geistig sehend wird. Nur aus dem Munde des geheilten Blindgeborenen ertönt das Wort Ich bin, das sonst nur aus dem Munde des Christus erklingt. Auf die Frage, ob er es ist, dem der Christus die Augen geöffnet habe, antwortet er: Ich bin's (auf Griechisch: ego eimi, das wörtlich bedeutet: „ich bin“). Und das 9. Kapitel endet mit den Worten: „Ich bin zum Gericht in die Welt gekommen, auf dass, die da blind sind, sehen werden und, die da sehen, erblinden.“ – Als das einige der Pharisäer hörten, die bei ihm waren, sprachen sie: „Sind wir denn auch blind?“ – Jesus sprach zu ihnen: „Wäret ihr blind, so hättet ihr keine Sünde. Nun ihr aber sprecht: ‚Wir sind sehend’, so bleibt ihr schuldbeladen.“ (Joh. 9, 3941) Die 6. Zornesschale, die an diejenigen Menschen sich wendet, die in diesem Sinne schuldbeladen geblieben sind, weil sie sich vor dem hereinfallenden Licht der göttlichen Erkenntnis verschlossen haben und so das – auch in ihnen – schlummernde Reich des höheren Lebens, des Lebensgeistes, verkümmern ließen und verschütteten, trägt auch in ihrer Pervertierung einen priesterlichen Charakter. Sind es doch die Könige, die Magier aus dem Morgenland, die herannahen. Doch ihre Seelen sind leer. Anstelle der Gaben, welche die drei Weisen aus dem Morgenlandes dem neu in die Menschheit einziehenden Christuskinde bringen, sind es Frösche als Ausdruck unreiner dämonischer Geister, die ihnen entströmen, welche zerstörende Mächte und zuletzt den Entscheidungskampf am „Schwellenberge“ (Harmagedon) entfesseln, da ihr Priestertum sich in die „schwarze Magie“ verkehrt hat, womit sie den Mächten der Unterwelt und des Bösen dienen. Die 7. Zornesschale besiegelt den Untergang des Geistesmenschen mit dem sakralen Weihe-Wort: Es ist vollbracht! Vor dem Gedanken der Gottheit taucht der Kelch mit dem Willen des göttlichen Zornes auf, welcher der Menschheit gereicht wird, die sich dem Zeichen des Tieres verschrieben hat. Finden diese Seelen keine Auferstehung, keine Rettung mehr? Folgt dem allgemeinen Tod dieses Karfreitags keine auferstehende Morgenröte eines neuen Weltentages?

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Bild 14: Albrecht Dürer, Das neue Jerusalem, 1498

Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde... und die heilige Stadt, das neue Jerusalem. (Off. 21,1)

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22. Das himmlische Jerusalem Lassen wir unseren Blick noch einmal zum Anfang dieser Betrachtung zurückgehen. Wir gingen aus von der Tempelarchitektur und sagten: (Kapitel 1) Unsere Väter hatten es zweifellos besser. Vor ihrem Blick enthüllte sich die Welt noch als ein Ganzes, aus dessen Komposition sich der Sinn der Welt ergab. Höhe, Tiefe und Weite bildeten den von Gott gegebenen Hintergrund und die Komposition, in welche der Mensch sich hineingestellt sah. Der Blick, der in die Ferne schweifte und das Rund der Höhen, Berge und Wälder umfasste und der sich in den schwindelnden Tiefen der Schluchten verlor, er fing sich beim Aufblick zum Himmelsgewölbe, dessen Dom die Einheit der Welt in seiner Seele spiegelte und neu erschuf. Man betrachte Landschaftsgemälde aus dem 19. Jahrhundert! Wie abgewogen, ausgeglichen, harmonisch in ihren einzelnen Teilen wirkt noch alles. Das Auge des Malers sah noch mit der Seele. Und deshalb erlebte er die Welt als eine Einheit, deren sinnvolle Komposition ihm mit jedem Blick entgegensprang.

Diese Welt mit ihrem Oben – dem Himmel und seinen Gucklöchern, welche die obere Welt in Sonne, Mond und Sternen sich geschaffen hat – mit ihrem Umkreis, der berufen ist, das seelische Gleichgewicht zu halten, und dem Abgrund des Tartaros, in dem die Dämonen der Tiefe lauerten, diese Welt ist lang schon zum „Mythos“ geworden und vor dem seelenlosen Blick unserer Zeit verworfen worden. Die Brille des Intellektuellen kann die Welt nur mehr „atomistisch“ sehen, das heißt in wesenlos kleinste Teile zerteilt. Dadurch ist dem modernen Menschen der Blick für das Wesen, die Komposition und den sich in allem offenbarenden Geist verloren gegangen. – Ja, sinnlos muss den Menschen das Leben und die Welt als ein kosmisches Ganzes immer mehr erscheinen, das durch diese atomistische Brille“ betrachtet und bewertet wird. Das hat sich in der modernen Bibelforschung zur Genüge gezeigt! Der Theologe Bultmann sieht in Himmel und Hölle. Ober- und Unterwelt nur phantastische Ausgeburten einer mythologischen Vorstellungswelt, die der moderne Intellekt streichen muss, um zur objektiven Welt der Tatsachen zu kommen. Mit dem gleichen Rechte müsste man den ganzen Tempel abtragen, der den architektonischen Grundriss der Bibel enthält. Beginnt man erst damit, einen Stein abzutragen, so stürzt der ganze Tempel zusammen! – Goethe gingen in Italien vor den Ruinen der griechischrömischen Kunstwerke die Einsichten in die geisterfüllte und formvollendete Gesetzmäßigkeit der Kunstwerke der Alten auf: Hier ist Notwendigkeit, hier ist Gott, rief er aus. – Wer ohne diesen künstlerischen Blick ein Kunstwerk betrachtet und verstehen will, zu welchen in erster Linie die Bibel gehört, der mag ein hervorragender Wissenschaftler und Theologe sein, vor den Gesetzmäßigkeiten der großen Kompositionen der okkulten Kunstwerke benimmt er sich wie ein Blinder! Das erste „Guckloch“, um in die verborgene Werkstätte des Gottes hineinzublicken, ist die Imagination, sei es im künstlerischen Bilde, sei es in Symbolen. Der aber versteht nicht die Offenbarungsseite der Welt, die uns der geistige Schöpfer dieser Welt erschlossen hat, welcher in den Imaginationen nicht ein natürliches Entgegenkommen der schöpferischen Weltenmächte erblickt, sondern eine Art künstlich ersonnenes Machwerk, um die Weltenweisheit einzufangen und zu erlisten. O nein, die Weltenweisheit ergibt sich dem unvoreingenommenen unschuldigen Blick eines Kindes eher als dem klugen Verstand eines Philosophen! Was hiermit gemeint ist, geht aus einem Wort Peter Roseggers hervor. Er sagt, dass er sich den Himmel nur als das Innere einer Kirche vorstellen könnte... Wenn wir uns in unserer Erinnerung in den Lichterglanz versenken, der in der Kirche rings um den Altar erglänzt, die frommen und erhabenen Gesänge hören, die zum Himmel schallen – sind wir dann 403

nicht der göttlichen Welt nahe, ja, sind wir dann nicht im Kreis der Engel aufgenommen, viel inniger und näher dem Herzen Gottes verbunden als bei noch so frommen und gelehrten Gedankenspekulationen? Jedenfalls wird es bei einem einfachen Bauern oder Handwerker so sein. Und darauf kommt es doch an – dass ein Glanz vom Himmelslicht auch in die einfachste Seele hineinfalle und sie mit himmlischem Glanz erfülle! Nicht darauf kommt es an, wie wir uns den Himmel vorstellen, sondern dass wir uns überhaupt Bilder machen, in denen der himmlische Glanz hineinzuleuchten vermag, sodass der himmlische Chorgesang auch im Herzen des einfachsten Erdenmenschen zu erklingen vermag! Ist nicht unser ganzes religiöses Streben. Beten. Opfern und Handeln einem Bildervorhang zu vergleichen, den die Seele um sich zieht, wenn in diesem Spiegel sich die Ewigkeit spiegeln und einfangen kann? So erschließt uns die Symbolik das Erkenntnisauge für tiefe geistige Weltvorgänge. Das Symbol in seiner Bildhaftigkeit steht näher der geistigen Wirklichkeit als der Begriff. Es bildet die Mitte zwischen dem künstlerischen Bilde und dem abstrakten Begriff. Das künstlerische Bild spricht unmittelbar zu uns. Das Symbol in seiner Zeichensprache muss erst entsiegelt werden. Es muss gelesen werden genau so wie die „Geheimschrift“ unseres Lebens. Denn auch die göttlichen Baumeister, die am Weltenbau wie an der Führung unseres Lebens beteiligt sind, bedienen sich dieser Sprache. Daher tritt uns die geistige Welt zuerst in der Sprache der Symbole. in imaginativen Bildern. entgegen. Das „Lesen der okkulten Schrift“ als Stufe auf dem rosenkreuzerischen Schulungswege führt den Geistesschüler in diese höhere Wirklichkeit ein. Der Mensch findet leichter das Tor zur Ewigkeit des Geistes und zu sich selbst, wenn er an der Bildsprache der Symbole sich dazu erzieht, die Welt und sein Leben sub specie aeternitatis270 zu schauen. – Das ist der Grund, weshalb gewisse Kultstätten im geschichtlichen Entwicklungsgange der Menschheit eine solche Rolle spielen, die sie über ihre Historizität hinaushebt und gleichsam zu Meilensteinen auf dem Wege zur Ewigkeit macht. Solche Symbole, wie die aus dem Salomonischen Tempelbau sind solche Meilensteine des Menschheitsweges, die erst in der Zukunft sich erfüllen. Deshalb sind sie in ihrer Bildhaftigkeit als Meilensteine vor der Menschheit aufgerichtet. Deshalb müssen sie in ihrer Urbildlichkeit gelesen werden. Die historische Einmaligkeit spielt dabei weniger eine Rolle, als was sich in ihren Schriftzügen offenbart. Derartige Stätten sind von der geistigen Menschheitsführung zur inneren und äußeren Orientierung an verschiedenen Stellen der Erde errichtet worden. Von diesen Stätten spricht der Salomonische Tempel in Jerusalem eine prophetische Sprache. Der Tempel, den die Jünger vom Ölberg aus bewunderten (Mt. 24) und in dem Christus lehrte, ist nicht der ursprüngliche Salomonische Tempel, sondern bereits der dritte Tempelbau auf dem Zionsberg von Jerusalem. Der Tempel Salomos wurde um 950 v. Chr. von syrischphönizischen Bauarbeitern – die Bibel nennt als Architekten Hieram Abiff, den Phönizier – auf dem höchsten Punkt (744 m) des östlichen Teiles des Morijaberges, gebaut. Wir müssen uns diesen ersten Tempelbau viel schlichter und schmuckloser vorstellen, als man es von einem Tempel erwartet: Der Salomonische Tempel bestand aus einem rechteckigen Gebäude, das sich auf einer leicht erhöhten Terrasse in Ost-West-Richtung erhob. Der Tempel war in eine Vorhalle (elam) und zwei hintereinander liegende Säle (hekal und dehir) 270

d. h. „unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit“.

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aufgeteilt. Vor der Vorhalle waren zwei eherne Säulen aufgestellt... Die Säulen hatten eine Höhe von 12 Metern. Sie flankierten den Eingang, ohne irgendetwas zu tragen. Die rechte Säule hatte den Namen Jachin, die linke hieß Boas. Diese Säulen sowie das vor dem Tempel stehende, ebenfalls von Hieram gestaltete Kunstwerk des „Ehernen Meeres“ stammen nicht aus dem religiösen Kultkreis des Judentums, sondern aus dem heidnischen Kultkreis des Architekten Hieram. Dadurch verbanden sich alttestamentarisch-jüdische mit heidnischen Kreisen im Salomonischen Tempel, das Christuswort von der Vereinigung der heidnischen und jüdischen Mysterien zu erfüllen, das er zu der samaritanischen Frau in Sichar spricht: „Es kommt die Zeit und sie ist schon angebrochen, wo die wahrhaftigen Verehrer den Vater anbeten werden mit der Kraft des Geistes und in der Erkenntnis der Wahrheit. Der göttliche Weltengrund sucht Menschen, die ihn also verehren. Gott ist Geist und die ihn verehren, müssen es im Geist und in der Wahrheit tun.“ (Joh. 4, 2324) Gerade das machte die okkulte Bedeutung des Salomonischen Tempels aus, dass durch seine umfassende, dem heidnischen wie dem jüdischen Mysterienkreis geöffneten okkulten Grundlagen die geistigen Weltwesen sich in seinen Symbolen spiegeln und offenbaren konnten. Aus der Skizze eines Rekonstruktionsversuches von Kurt Möhlenbrink, auf den wir uns hier beziehen, ist der burgartige schmucklose Charakter sichtbar. Er war von glanzvollen Palästen umgeben, die wesentlich imposanter waren, mit dem Wohnhaus Salomos und dem angebauten Serail für die ägyptische Gemahlin und die anderen Frauen, dem Thron – und der Gerichtshalle und anderen Gebäuden. Da der Tempel etwas über 20 Meter lang war, 7 Meter breit und etwas über 8 Meter hoch, so entsprach er einem einstöckigen Bauernhaus, das schmal und langgestreckt daliegt, oder einer Kirche, die wenn man sich die Gliederungen und Angrenzungen des Innenraumes wegdenkt, wenig mehr als 100 Menschen fassen würde. Er war dreigeteilt:

Der im Osten gelegene Eingang führte zu-nächst in eine Vorhalle..., dann schloss sich der Langraum an, der sich auf zwei Quadraten in der Breite des ganzen Tempels erhob und den Räucheraltar sowie zu beiden Seiten den siebenarmigen Leuchter und den Tisch mit den Schaubroten enthielt. Der dritte innerste Raum, ganz im Westen, das Allerheiligste (debir), war durch eine Holzwand, in der sich eine fünfeckige Pforte befand und die von dem vierfarbigen Vorhang bedeckt war, verhüllt. Vor diesem Vorhang zu stehen und dahinter die Bundeslade mit den Cherubimgestalten als den Thron des unsichtbaren Gottes zu ahnen, war der nur wenigen Menschen vorbehaltene Höhepunkt des kultischen Lebens in Israel. Von Philo an bis hin zu Thomas von Aquin und Martin Luther finden wir stets als gesicherte Erkenntnis ausgesprochen, dass der Tempel in seiner Dreigliederung den vollkommenen Menschen, den Menschen Gottes“, nach Leib, Seele und Geist abbilde. Der in Gedanken vollzogene Gang durch die drei Teile des heiligen Baues führte, das Geheimnis des dreigliedrigen Menschenwesens aufhellend, von der Körperwelt durch die Seelenwelt bis an die Schwelle der Geisteswelt. [86] Da die Gottheit im Dunkeln wohnt, blieb der Innenraum des Allerheiligsten finster ohne Fenster, in das nur einmal im Jahre der Hohepriester eintrat und den unaussprechlichen Namen anrief, während das Volk draußen vor dem Tempel die Nähe des Gottes schaudernd erlebte.

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'Licht fiel nur hinein, wenn die Türen offen standen: JHWH wohnte im Dunkeln! Im Allerheiligsten befand sich die Lade, zu ihren Seiten standen zwei goldüberzogene Keruben aus Ölbaumholz von fünf Meter Höhe mit einer Flügelspanne von fünf Metern. Die Keruben symbolisierten im Allerheiligsten die Wächter. Es waren Mischwesen, das heißt geflügelte, aber ein Menschengesicht tragende Tiergestalten. [86?] Der zweite Tempel wurde um 515 v. Chr. nach der Zerstörung des Salomonischen Tempels durch Nebukadnezar (586 v. Chr.) gebaut. Diesen entweihte Antiochus (167 v. Chr.), indem er dort den Kult des „Zeus Olympos“ einführen ließ. Drei Jahre später konnten die Makkabäer den Tempel wieder einweihen. Sie stellten aus diesem Anlass einen Altar aus unbehauenen Steinen auf. Herodes, der Sohn des ldumäers Antipater (344 v. Chr.), hat dann durch große Ausbauten den Tempel erst zu seinem späteren Glanz gebracht, mit dem er um die Zeitenwende vom Zionsberg herabstrahlte.

Obwohl die Hauptarbeiten nach zehn Jahren abgeschlossen waren, zog sich die endgültige Fertigstellung des Heiligtums noch bis zum Jahre 64 n. Chr. hin. Die Hoffläche des früheren Tempels wurde beinahe verdoppelt. Die gesamte Fläche des geweihten Bezirks hatte einen Umfang von etwa 1380 m. Sie besaß die Form eines Trapezes, und man gelangte durch acht Tore in den Tempel... Der Eingang zum inneren Bezirk (dem Priestervorhof) war Fremden verwehrt. Die trennenden Schranken trugen folgende Inschrift: „Verbot für jeden Fremden, die Abschrankung zu überschreiten und in den Bezirk des Heiligtums einzudringen. Wer immer ergriffen wird, der soll selbst für den daraus folgenden Tod verantwortlich sein.“ [86] Das Allerheiligste war durch magische Kräfte geschützt. Der Unberufene verwirkte sein Leben, wie es in tibetischen Tempeln noch später der Fall war. Dieser Tempel wurde dann das Opfer von Titus (70 n. Chr.). dessen Soldaten ihn durch Fackeln verbrannten. Titus konnte mit Mühe noch den goldenen Tisch der Schaubrote und den siebenarmigen Leuchter retten, die in seinem Triumphbogen in Rom abgebildet sind. Wenden wir uns nun wesentlichen Symbolen zu. Es gehört zum Schicksalsauftrag des „auserwählten Volkes“. dass es in seiner Mission lag, dem Messias den Leib zu bereiten, der die Zeichen des Todes wie jedes vom Weibe geborene Geschöpf an sich trug und der durch die Führer des Volkes auch zum Tode geführt wurde. Der Tempel Salomons war ein Abbild des physischen Leibes. Alle Symbole in diesem Tempel weisen auf die Geheimnisse des physischen Leibes hin. Lastend und schwer wie die schwarze Kaaba der Mohammedaner zu Mekka lag das Tempelmassiv da und erinnerte an die saturnischen Tiefen der Erdenschöpfung. In den zwölf Schaubroten auf dem goldenen Tisch leuchtete das Licht der Fixsternwelt in das irdische Dunkel; die sieben Lichter des Leuchters symbolisierten die sieben Planeten, während die vier Farben auf dem Vorhang zum Allerheiligsten die vier Elemente darstellten: Myssus = die Erde, Purpur = das vom Blut der Fische gefärbte Meer, Hyazinth = die Luft, und Scharlach = das Feuer:

Der Tempel entspricht der ganzen Welt und der eine kleine Welt darstellenden Schöpfung des Menschen. [Tanhuma] Bei der Lichtzeremonie sollte das Wiederentzünden des kosmischen Lichtes vom Urbeginn der Schöpfung symbolisch dargestellt werden. Man erlebte noch die geistige Wirkung des Kultes bis in die Naturelemente hinein: 406

Nach Meinung der jüdischen Legende hätte die Existenz des Tempels eine segensreiche Wirkung auf die Naturkräfte gehabt. Nachdem Salomo den Tempel gebaut hatte, hörten flutartige Regengüsse auf, und die ganze Welt wurde erst fest gegründet. Die Riten des Tempels sicherten das Gedeihen des Korns, das Wachsen der Früchte, den Segen des Regens, und solange die Opfer im Tempel dargebracht wurden, hatte Israel eine fruchtbare Vegetation. Bereits im Alten Testament wird der Zusammenhang zwischen dem Tempel und dem Wachstum in der Natur angedeutet. Das Urbild des irdischen Tempels befand sich, nach Auffassung der jüdischen Tradition, im Himmel: Gott zeigte Mose den himmlischen Tempel und sagte zu ihm: „Mache eine Abbild davon auf der Erde!“ [86] Alles im Tempel von Jerusalem deutet auf die saturnischen Geheimnisse der I.eibesschöpfung, wie sie in der Genesis beschrieben wird. Daher nennt Christus den physischen Leib, den er nach drei Tagen wieder aufrichten wird, eine Tempel (Joh. 2), indem er auf das Abbild des Tempels von Jerusalem weist: „Brecht diesen Tempel ab, und nach drei Tagen werde ich ihn neu errichten!“ – Die Kraft aber zu dieser Wiederaufrichtung des Leibestempels erfloss nicht aus dem ganz unter der Last des Sündenfalls und unter dem Zorn Gottes stehenden jüdischen Tempel. Daher wurde er zerstört und verbrannt, nachdem er seine Aufgabe verrichtet hatte, 37 Jahre nach dem Mysterium von Golgatha. Denn nun war der neue Tempel erbaut. Der Vorhang im Allerheiligsten zerriss: das GottesIch war in die Menschheit getreten und nicht mehr verhüllt im Allerheiligsten. Und wie zum Zeichen, dass diese Kraft nicht aus dem jüdischen Volk kam, sondern in innigem Zusammenhang mit den Sonnenmysterien der heidnischen Völker stand, erbaute Hieram der Phönizier, der wie Thubalkain271 als „ein Meister im Erz, voller Weisheit, Verstand und Kunst“ geschildert wird (1. Könige 7,16). zwei Symbole, die vor dem Tempel standen: die beiden Säulen Jachin und Boas und das „Eherne Meer“.

Jachin und Boas Die beiden Säulen von einer Höhe von 12 Metern, die zu beiden Seiten des Tempeleingangs standen, waren nicht wie das Innere des Tempels den Blicken des Volkes entzogen und müssen einen ehrfurchtgebietenden Eindruck wie zwei Schwellenwächter gemacht haben. Die eine Säule war licht und leuchtete wie Gold, die andere war dunkel, und ihr Anblick löste Schauer des Todes a, worauf die Bibel hinweist (1. Könige 7,15 ff.; 2. Chronik 3,15 ff.; 4,2; Jeremia 52,17 ff.). Und er machte vor dem Hause zwei Säulen, 35 Ellen lang und der Knauf obendrauf 5 Ellen und machte Ketten zum Gitterwerk und tat sie an die Säulen und machte 100 Granatäpfel und tat sie an die Ketten und richtete die Säulen vor dem Tempel auf, eine zur Rechten und die andere zur Linken, und hieß die zur Rechten Jachin und die zur Linken Boas. (2. Chronik 3,15). Und es stand also oben auf den Säulen wie Lilien. Also ward vollbracht das Werk der Säulen. (1. Könige 7,22) Die Lilienverzierung auf den Knäufen deutet auf die reine Mondesschale, die als Gefäß für den Geist Jahwes bereitet werden sollte. Was aber war der tiefere Sinn dieser beiden Säulen? Es ist bezeichnend für den rein wissenschaftlich-intellektuellen Geist der modernen Forschung, wenn in dem Sammelwerk über die „Symbolik der Religionen“, herausgegeben 271

Nachfahre des Kain, Meister in der Metallbearbeitung.

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von Ferdinand Herrmann, das von vielen Fachleuten bearbeitet ist, im 3. Band über die „Kultsymbolik des Alten Testaments“ zu lesen ist, dass die Bedeutung dieser beiden Säulen „ungeklärt“ sei, obwohl sie in allen Freimaurerlogen noch heute eine zentrale Rolle spielen. Jachin, die lichte Säule, war der Ausdruck des Tages sowie des Lebens; Boas, die dunkle Säule, deutet auf die Nacht wie auf den Tod. Die Ursymbole des menschlichen Lebens sprechen aus der Dualität und Polarität dieser beiden Säulen, durch die der Mensch den Tempel in Jerusalem betrat. Sie sollten als Wächter und Bewahrer uralt heiliger Weisheit den Menschen mahnen, dass sein Leben von zwei Urkräften beherrscht wird, dem lichten, dem Tage zugewandten Element, und dem dunklen, in dessen undurchdringlichem Schleier Jahwe wohnt, das ihn im Tode zurückruft in das große Geheimnis. Wir finden diese beiden Säulen als Hinweis auf die Dualität der Welt sowohl in den verschiedenen antiken Mysterien als auch in den alt-irischen von Hybernia. Die Schüler wurden an sie herangeführt, um durch Betasten mit den Händen bestimmte Erlebnisse in ihrer Seele wachzurufen. Während die eine Säule aus einem elastischen Material gebaut war, sodass die Eindrücke, die in ihr hervorgerufen wurden, sich wieder ausglichen, war die andere Säule aus einem weichen, plastischen Stoff, sodass die hervorgerufenen Eindrücke in ihr blieben.

Es war die zweite Statue so, dass man den Eindruck bekam: sie steht ganz unter dem Einfluss von Mondenkräften, die den Organismus durchziehen und die aus dem Organismus das Haupt hervorwachsen lassen. Die Schüler bekamen einen außerordentlich mächtigen Eindruck von dem, was sie da erlebten. Diese Statue wurde immer wiederum ausgebessert. Und sie wurden oftmals, eine Gruppe von Schülern, in nicht zu großen Zeiträumen vor diese Statue geführt. – Wenn sie vor diese Statue geführt wurden, herrschte ringsherum zunächst bei den ersten Malen eine lautlose Stille. Sie wurden geführt bis vor diese Statue von den schon Initiierten, wurden dann verlassen, das Tor wurde hinter dem Tempel zugemacht. Sie wurden ihrer Einsamkeit überlassen. [86?] Die ganze Empfindungsskala der Weltengegensätzlichkeit wurde so in den Schülern der Hybernischen Mysterien angeregt und aufgewühlt:

Das alles waren Empfindungen, die zum Teil in dem Schüler das Bewusstsein hervorriefen, er sei über manche Täuschungen und Enttäuschungen der physischen Welt hinausgelangt. Es waren aber auch Empfindungen, die bisweilen wiederum wie innerlich wirkende Feuerflammen waren. Sodass man sich wie verzehrt von innerem Feuer, wie innerlich vernichtet fühlte. Und die Seele schwankte von der einen Empfindung zur anderen herüber und wiederum zurück. [86?] Das war ja der tiefere Sinn dieser Prüfungen: die volle Wucht der Weltendualität auf den Schüler wirken zu lassen, jener Dualität, die nicht von außen überwunden werden kann, die nur vom Menschen selbst zur Harmonie und Lösung gebracht zu werden vermag. So erklang dem Schüler zuletzt aus der einen Säule, über der die Sonne erschien, das Wort:

„Ich bin die Erkenntnis, Aber was ich bin, ist kein Sein!“ [87] Und dadurch bekam der Schüler das „schreckausstrahlende Gefühl“. In unseren Ideen ist kein Sein – sie sind nur Schein! Und dann sprach die andere Bildsäule zu seinem Geistgehör:

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„Ich bin die Phantasie. Aber was ich bin, hat keine Wahrheit!“ [87] Dieser erste Akt der hybernischen Einweihung endete damit, dass dem Schüler am Ausgang des Tempels von zwei Priestern ein Bild gezeigt wurde. Es war das Bild des Jachos, der prophetische Hinweis auf Christus. Und der Priester, der dies Bild ihm vorhielt, sagte zu ihm: „Nimm das Wort und die Kraft dieses Wesens in dein Herz auf.“ Und der andere Priester sprach: „Und von ihm empfange, was dir die beiden Gestalten geben wollten: Wissenschaft und Kunst!“ Das alttestamentarische Volk hatte keine Eingeweihten und keine Mysterien. Es ging den Abelweg der priesterlichen Tradition, des Gesetzes und des Gehorsams. Was den „heidnischen“ Völkern als Weisung und Wegzehrung durch die Mysterien erfloss, das wurde Israel durch seine Propheten gegeben. Durch sie sprach die Gottesstimme und führte das Volk. Jahwe sprach aus dem Dunkel der Nacht, wo er seine Stätte aufgeschlagen hatte in der saturnischen Finsternis. Und so ging Israel seinen vorgezeichneten Weg durch alle Klippen, Übertretungen und Gefahren wie ein Kind, das von seinen Eltern geführt wird. Mächtige Blitze leuchteten in das Dunkel hinein durch die mahnende Donnerstimme seiner Propheten. Die Bundeslade barg das große Geheimnis der göttlichen Verheißung und Oberlieferung seit der Moses-Zeit. Wie eine Wolke schwebte diese Verheißung über dem Tempel, der der Wohnsitz Jahwes war. In den „Brandopfern“ am Altar, auf dem das Fleisch der geschlachteten Tiere verbrannt wurde, erlebte das Volk das „Sühneopfer“, das den Zorn Jahwes beschwichtigen und versöhnen sollte – ein prophetischer Hinweis auf das große „Sühneopfer“ des Sohnes, der als der Kommende mit Inbrunst und apokalyptischer Spannung erwartet wurde. Doch eine unübersteigbare Kluft trennte das Volk von seinem Gott, das zu Moses sprach: „Sprich du mit Gott, damit wir nicht sterben. Denn wer Gott sieht, der stirbt!“ (2. Mose 20,19) Man kann sich keinen größeren Gegensatz denken als denjenigen, der zwischen dem Jahwe-Volk und der heiteren Welt der Hellenen bestand, die ihren Gott mit dem Ruf begrüßten: „Du bist!“, in welchem die Hoffnung erklang, dereinst selbst zum Göttlichen erhoben zu werden. Die Vergottung des Menschen lebt als das hehre Ziel in der griechischen Mysterienwelt. Der griechische Weise warf die Frage gar nicht auf, ob es ein Ewiges im Menschen gebe... Denn von vornherein war es für ihn klar, dass der Mensch als Mittelgeschöpf zwischen Irdischem und Göttlichem lebt... Das Göttliche lebt in dem Menschen; es lebt eben da nur auf menschliche Weise. Es ist die Kraft, die den Menschen treibt, sich selbst immer göttlicher und göttlicher zu machen. Nur wer so denkt, kann reden wie Empedokles:

Wenn du den Leib verlassend zum freien Äther dich schwingst, wirst ein unsterblicher Gott du sein, dem Tode entronnen! 272 Von dieser Welt strahlt ein helles Licht in das Johannesevangelium, das ganz auf griechischem Mysteriengeist beruht. Aus diesem Geist spricht der Christus im Johannesevangelium: 272

Zitiert nach GA 8.

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Steht nicht geschrieben: „Ihr seid Götter!“? (Joh. 10,34) Und eben aus diesem Geist, der über den griechischen und vorderasiatischen Mysterien schwebte, die in ihren Adonis- und Tammuz-Kulten alljährlich die Auferstehung des Gottes feierten, baute der phönizische Eingeweihte Hieram vor dem Tempel die beiden Säulen Jachin und Boas und das gewaltige, auf zwölf Stiergestalten ruhende „Eherne Meer“ südlich vom Heiligtum, zwischen dem königlichen Plast und dem Tempel. Diese Symbole stammen aus der heidnischen Mysterien weit, sie sind nicht den Blicken des Volkes entzogen:

Sie sollen sich wie mächtige Siegel auch in die Seelen derer prägen, die nur ein dunkles, empfindungsmäßiges Ahnen damit verbinden können. Bilder, die auf Fernzukünftiges deuten, sollen an der Seele des Volkes so bilden, dass auch durch dem zur Erde herniedersteigenden Gotteswesen der Weg bereitet wird. [86?] Beide Symbole wiesen auf den Kommenden hin, doch in anderer Weise als die Propheten des Alten Testamentes, durch deren Worte die mahnende Gewitterstimme des Gerichtes klang. Salomo erschaute und entwarf den Plan für den Tempel als Abbild des menschlichen Leibestempels, den Israel durch die Generationen für den Messias zu bauen berufen war. Hieram, der Baumeister und Eingeweihte, schuf die Symbole im Außenbezirk, welche auf das Geheimnis der Auferstehung und Versöhnung der Weltengegensätze durch den Sonnengott deuteten. Was bisher durch die Jahrtausende als zwei Weltenströmungen getrennt voneinander ging, sollte durch die dritte Kraft zu einer höheren Harmonie gebracht werden: Die „Sonnenströmung“, welche den göttlichen Geist in der Natur und im Kosmos anbetete, die „Mondenströmung“, die ihn wie das Jahwevolk im Inneren als die göttliche Wahrheit verehrte. Kain und Abel sollten sich durch Christus versöhnen. Auf diese Versöhnung der Weltengegensätze, wie sie auch im Menschen bestehen, deutet das Johannesevangelium, wenn der Christus zu der Frau aus Samaria sagt: „Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn in der Kraft des Geistes (Heidentum) und in der inneren Wahrheit (Judentum) anbeten!“ (Joh. 4, 24) Was Hieram, der große Baumeister, 900 Jahre v. Chr. als den großen Versöhnungs- und Auferstehungsimpuls vorbereitete, das fand seine Erfüllung im Mysterium von Golgatha an der Zeitenwende. Und dieser Auferstehungsimpuls leuchtet zuerst in der Erweckung des „Lazarus“ auf, hinter der sich der Schreiber des Johannesevangeliums verbirgt – der wiedererstandene Hieram, der seine Tat fortsetzt: den Tempel des neuen Leibes mitbauen zu helfen!

Für die Menschwerdung und die Auferstehung Christi fügt der eingeweihte phönizische Baumeister Hieram aus Erz gegossene messianisch-prophetische Symbole zu dem ernst-strengen salomonischen Tempel hinzu. Lichter des göttlichen Heils, Osterlichter leuchten auf dem Felsengipfel des richtenden Gottes zu Morija auf, den Tempel umspielend, in welchem die Gottheit ihre „Wohnung im Dunkel“ hat. Der Zusammenhang zwischen dem Baumeister Hieram und den weit über die Salomozeit hinweisenden Mysterien der Auferstehung ist immer wieder empfunden worden. So hat nach Josephus der griechische Dichter Mennander in einer Darstellung der phönizischen Geschichte das Auferstehungsfest des lyrischen Gottes Melkart auf Hieram zurückgeführt und die Aufrichtung des Tempels als Sinnbild für die Auferstehung Gottes bezeichnet. Und noch Friedrich Schlegel, der Romantiker, deutet in seinen späteren christlichen Fragmenten. offenbar im Anschluss an die christlich-freimaurerische Tradition, das Wort Hieram, indem er zeigt, dass es aus 410

den Anfangsbuchstaben derjenigen lateinischen Wörter zusammengesetzt ist, die auf Deutsch lauten: Dieser ist Jesus, der von den Toten aufersteht: „Der erschlagene Meister Hieram (hic Jesus est resurgens a mortuis) ist aller Wahrscheinlichkeit nach der in den alten Mysterien bekannte und verehrte sterbende Todesgott des neuen Lebens – Dionysos oder Osiris. Es ist Christus als Idee vor und außer dem Christentum. [86?] Auf die Symbolik des „Ehernen Meeres“ werden wir noch eingehen. In welcher Art die uralten Symbole der Menschheit entsiegelt und zur geistigen Auferstehung geführt werden können, hat Rudolf Steiner in den „Vier Sprüchen der Säulenweisheit“ in den „Bildern okkulter Siegel und Säulen“ dargestellt. Die ersten beiden Sprüche beziehen sich auf die in unserem Denken frei hinstrahlende Sonnenkraft (Jachin), die den Gedanken zum Bilde verwandelt, das uns die Pforte erschließt zum Erleben der „schaffenden Weisheit“ der Welt:

J Im reinen Gedanken findest du Das Selbst, das sich halten kann. Wandelst zum Bilde du den Gedanken, Erlebst du die schaffende Weisheit. [88, S. 242] Taucht der Mensch im Sinne des mystischen Mondenweges in die Tiefen seiner Seele, bis ihm aus seiner inneren Welt der Gefühle das geistige Licht aufleuchtet, so beschreitet er einen anderen Weg, der ihn bis in sein Stoffwechselsystem hinein zur Kommunion mit dem göttlichen Weitenwillen führt – im Sinne der dunklen Säule der Nacht und des Todes (Boas):

B Verdichtest du das Gefühl zum Licht, Offenbarst du die formende Kraft. Verdinglichst du den Willen zum Wesen, So schaffest du im Weltensein. [ebd.] Dies ist ein klassisches Beispiel, wie die Symbole uns ihre geistigen Kräfte auch heute noch geben können, wenn wir sie geistig durchleuchten und sie in unser Denken als meditative Kraft- und Richtungsworte aufnehmen. Dann werden sie zu Toren für das übersinnliche Erleben. Doch nicht nur der Tempel von Jerusalem ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Menschheitswege, es ist Jerusalem selbst, das der Akasha-Chronik als Äther-Geographie der Erde tief eingezeichnet ist – ebenso eingravierend wie die Geschichte jenes Volkes, was als das „auserwählte“ dort sein Schicksal erlebte. Schon Goethe erkennt das Urbildliche dieses Volkes, dessen Schicksal in zusammengedrängter Form das Schicksal der ganzen Menschheit durchmacht (siehe IV. Buch aus „Dichtung und Wahrheit“). Und Peter Bamm fasst denselben menschheitlichen Charakterzug der israelitischen Geschichte ins Auge, wenn von diesem Volk hervorhebt, dass es, seinem Namen getreu, ein echter Gottesstreiter geblieben ist, dem die Menschheit dankbar sein kann für seine Treue zu Gott:

Obwohl die Kinder Israels das Auserwählte Volk waren, haben sie in ihrer Geschichte nur wenige glückliche Zeiten gehabt – die goldenen Tage König Davids und König Salomos. Dass sie unter den Schicksalsschlägen, die sie Jahr-hunderte hindurch getroffen haben, den Glauben an Gott bewahrt haben, ist ein Verdienst, für das die ganze Menschheit ihnen für alle Zeiten zu Dank verpflichtet ist. Es sind die Propheten gewesen, diese in der ganzen Weltgeschichte einmaligen Erscheinungen, 411

deren Wirken auf Erden diese einmalige Leistung des jüdischen Volkes möglich gemacht hat. Zur Zeit der Geburt Christi gab es jüdische Kolonien nicht nur in der ganzen antiken Welt, wie uns der Geschichtsschreiber Strabo ausdrücklich bestätigt, sondern bis weit nach Asien hinein. Die jüdische Diaspora hat schon im 8. vorchristlichen Jahrhundert begonnen, zu der Zeit also, als die griechische Stadt Milet an der Küste Anatoliens gerade in ihre erste große Blüte eintrat. [7] Die Geschichte Israels mit Jerusalem ist gleich einer symbolischen Figur der Äther-Chronik unserer Erde tief eingraviert. Diese Figur spricht für sich selber. Die Zerstörung des Tempels von Jerusalem 30 Jahre nach dem Mysterium von Golgatha, die Schändung durch den Raub der heiligen Tempelgefäße durch die Römer: Erfüllt sich nicht darin das Christuswort: „Brechet diesen Tempel ab und in 3 Tagen werde ich ihn neu errichten!“? Der Tempel Salomos, der in seinen Symbolen und kultischen Einrichtungen das große Symbol für den durch Jahwe geschaffenen und erhaltenen menschlichen Leib war, musste verschwinden, abgebrochen und ausgelöscht werden nach der Errichtung des Neuen Tempels durch das Mysterium von Golgatha! Daher zerreißt der Vorhang im Allerheiligsten, als Christus stirbt. Jetzt offenbart sich das streng gehütete Gottesmysterium – der Heilige Name – der einmal nur im Jahre vom Hohenpriester im geschlossenen Sanctuarium als das unaussprechliche Gotteswort ehje asher ehje273 ausgesprochen wurde, während die Volksmenge vor dem Tempel in tiefer Ehrfurcht niederkniete... Der Gottesname, der nur vom Hohenpriester im Dunkel des Tempelinnern ausgesprochen werden durfte, er ist durch das Mysterium von Golgatha offenbar geworden. Er ist in die Menschheit eingeflossen als das ewige Ich-Bin, das die Grundachse der ganzen Menschheit bildet. Seit dieser Tat hat der Tempel Jahwes seine Aufgabe erfüllt. Er sollte ein Abbild des von den Elohim geschaffenen Menschenleibes sein. Ein Abbild als vorbereitendes Gefäß für den göttlichen Geist. Seitdem das Gottes-Ich durch das Mysterium von Golgatha nicht nur im kultischen Symbol, sondern in der okkulten Opfertat realiter eingezogen ist in die Erden-Menschheits-Seele, ist der Gottes-Geist in jeder Transsubstantiation anwesend – wodurch der Christus in die Menschheit einzieht und seine Schöpfung neu heiligt, wiederherstellt und mit dem Gottesgeist verbindet. Diese weltweite geistige Kommunion, die schon in dem Wort des Johannesevangeliums ausgesprochen wird: „Wer mein Brot isst, der setzt den Fuß auf mich“ (Joh. 13,19)274 – denn wir setzen alle den Fuß auf die Erde, deren Geist der Christus geworden ist – braucht zu ihrem kultischen Vollzug keinen Tempel mehr. Die Erde und der Kosmos bis zu den Sternenwelten wird der Tempel für diesen Opferdienst. Dies Geheimnis haben nur wenige bisher verstanden. Es ist das Mysterium der esoterischen Kommunion, wie es Novalis ausgesprochen und besungen hat in seinen Hymnen: Wenige wissen Das Geheimnis der Liebe, Fühlen Unersättlichkeit Und ewigen Durst. Des Abendmahls Göttliche Bedeutung Ist den irdischen Sinnen Rätsel;

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Siehe Seite 249. Luther übersetzt: tritt mich mit Füßen.

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Aber wer jemals Von heißen, geliebten Lippen Atem des Lebens sog, Wem heilige Glut In zitternden Wellen das Herz schmolz, Wem das Auge aufging, Dass er des Himmels Unergründliche Tiefe maß, Wird essen von seinem Leibe Und trinken von seinem Blute Ewiglich. Wer hat des irdischen Leibes Hohen Sinn erraten? Wer kann sagen, Dass er das Blut versteht? Einst ist alles Leib, EIN Leib, In himmlischem Blute Schwimmt das selige Paar. – O, dass das Weltmeer Schon errötete, Und in duftiges Fleisch Aufquölle der Fels! Nie endet das süße Mahl. Nie sättigt die Liebe sich. Nicht innig, nicht eigen genug Kann sie haben den Geliebten. Von immer zärteren Lippen Verwandelt, wird das Genossene Inniglicher und näher. Heißere Wollust Durchbebt die Seele. Durstiger und hungriger Wird das Herz: Und so währet der Liebe Genuss Von Ewigkeit zu Ewigkeit. Hätten die Nüchternen Einmal gekostet, Alles verließen sie, Und setzten sich zu uns An den Tisch der Sehnsucht, Der nie leer wird.

Sie erkennten der Liebe Unendliche Fülle, Und priesen die Nahrung Von Leib und Blut. [Novalis, Hymnen] Was gewöhnlich getrennt verläuft, die Runen und Spuren des Geistes – und die der natürlichen Geschichte, das vereinigt sich in seltenen Höhepunkten der Menschheitsentwicklung zu einer mythologischen Dichtung, wo die natürliche Geschichte Mythologie wird und die Mythologie sich bis in die natürliche Landschaft und Geschichte eines Volkes verdinglicht. In Griechenland sind mir mehrere Landschaften begegnet, in 413

denen sich das Siegel des Mythos tief eingezeichnet hat, sodass, wie in Delphi oder in der archaischen Landschaft von Mykene, die äußere Landschaft zur Mythe geworden ist. Und liegt hierin nicht das geheime Ziel der in der Menschheitsgeschichte wirkenden Götter? Je mehr sie der Stunde entgegeneilt, da die Stunde zur Erfüllung des Wortes reif wird, will der Mythos „Fleisch“ werden. Von diesem Blickpunkt ist das ganze Evangelium eine Fleischwerdung, eine fleischgewordene Erfüllung des Mythos! Ist der Weg bis zur „Fleischwerdung des Wortes“ ein Weg zur Fleischwerdung des Mythos, so beschreitet der Weg seit Christus das entgegengesetzte Ziel. Seine verborgene Richtung ist die Umkehrung des Johannes-Prologes. Statt der Fleischwerdung des geistigen Wortes ist es die Geistwerdung des Fleisches – so wie es Novalis besingt. Denn diese Melodie ist durch die Fleischwerdung des Logos der Erde – und damit der Menschheitsentwicklung auf ihrem Wege zur Geistwerdung des Fleisches eingezeichnet worden. So lautet das der Fleischwerdung des Wortes entgegengesetzte Motiv:

Und das Wort, das Fleisch geworden, es soll Geist werden und auferstehen in unserem Denken, Fühlen und Wollen! [?] Die Richtung der Menschheitsgeschichte dreht sich in diesem Punkt um – sie wird apokalyptisch, sie kommt aus ihrer geistigen Zielsetzung uns entgegen, vom ursätzlichen kausalen Gesetz von Ursache und Wirkung nehmen alle historischen Begebenheiten, je spirituellere Motive sie in sich tragen, eine apokalyptische Richtung, die aus der geistigen Welt die Zielsetzung der Zukunft schon in sich tragen. Diese Umkehrung der historischen Zielsetzung meint der Christus mit seinen prophetischen Worten auf dem Ölberge in der „Kleinen Apokalypse“, wo er von dem Kommen des „Menschensohnes“ spricht. Die Parusie ist seither immer schon angebrochen: sie schwebt über uns, und es bedarf nur des geistigen Durchbruchs, um sie wahrzunehmen! So wird alle Geschichte, „nachdem die Zeit erfüllet ward“, eine Erfüllung der GeistesGottesziele in der sinnlichen Fleischesentbindung. Das ist die Vergeistigung, die Entbindung und Erlösung aus den Banden des Fleisches. Es ergibt sich von diesem Blickpunkt, den die Weltenführung seit der Erfüllung des Logos angenommen hat, nach innerer geistiger Notwendigkeit von selbst, dass, wer dieser notwendigen Richtung der apokalyptischen Weltentwicklung widerstrebt, dann von den objektiven Mächten der Weltgesetzmäßigkeit zerrieben oder ausgelöscht wird. Hier spricht nicht nur ein göttlicher Wille, hier offenbart sich eine höhere Weltnotwendigkeit, die in den Dingen liegt. Damit beginnt sich der in den Dingen verankerte und in sie eingezeichnete Mythos als das ihnen eingravierte Weltgesetz zu offenbaren und geistig zu erfüllen. Darin zeigt sich ja gerade der Charakter der Apokalypse in ihrem enthüllenden Wesenszug. Es ist wie in dem Märchen vom „gläsernen Berg“ Die Welt beginnt sich in diesen tieferen Gesetzmäßigkeiten zu enthüllen. Und von hier aus wird es verständlich, dass die Initiationswissenschaft der sogenannten „Anthroposophie“ erst jetzt in dieser Weltenstunde aufgetreten ist. Denn jetzt erst ist der Mensch reif geworden, um die okkulten Hintergründe der Welt- und Menschheitsentwicklung zu durchschauen und zu verstehen. Die Welt liegt in der apokalyptischen Schau durchleuchtet und verklärt vom Geiste vor unseren geistigen Sinnen da. Das ist die Gnade der großen „Lichtesherrlichkeit“ in der Verklärung des

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Geistes, wie es im Johannesevangelium in den Abschiedsreden (Joh. 1317) beschrieben wird. Und wir können, wenn wir mit diesem Blick vom Ölberg aus Jerusalem überschauen, den Stein gewordenen Mythos als Markstein und Rune der Menschheitsgeschichte geistig durchschauen und erlösen, und damit die vorgezeichneten Stufen für die Menschheitszukunft erkennen! – Das große Rätsel, das Jerusalem der Archäologie als Menschheits- und Kulturgeschichte auferlegt hat, die Polarität, wie sie sich in der Landschaft Palästinas im Gegensatz von Galiläa und der Wüste Judäa ausspricht, versucht Emil Bock zu lüften, indem er die Entstehung Jerusalems vom mythisch-religiösen Gesichtspunkt, also von einer geistigüberirdischen Ebene, erklärt:

Wie oft hat man versucht, sich die Entstehung der Stadt nach ökonomischen oder strategischen Gesichtspunkten vorzustellen. Aus solchen Überlegungen heraus ist eigentlich das ganze Chaos topographischer Theorien und Diskussionen entstanden, das die Palästina-Literatur darbietet. Man sollte aufhören, solche heute allerdings ausschlaggebenden Zeiten zurückzuprojizieren. Jerusalem zumal reicht als eine der allerältesten Städte der Menschheit weit in die mythische Vorzeit zurück. Hätte es aus strategisch-wirtschaftlichen Gründen gebaut werden sollen, so wäre es in der Gestalt, in der wir es uns nach der heutigen Bodenbeschaffenheit vorstellen, nie entstanden. Man könnte überhaupt eine Stadt, von außen gesehen, kaum „unzweckmäßiger“ anlegen, als Jerusalem angelegt worden zu sein scheint. Nicht einmal strategisch ist die Lage so geschützt, wie man immer zu betonen pflegt, da sie ja nach Norden zu geographisch offen ist. Und ist die Stadt nicht viele, viele Male von dieser Seite her tatsächlich erobert und zerstört worden? Die Gründe für die Entstehung Jerusalems liegen im mythisch-religiösen Bereich, in der spirituellen Besonderheit des Ortes. Und an die ursprüngliche geistige Wesenheit kommen wir, wenn auch nur wie von ferne, heran, wenn wir die grundlegende kosmische Polarität erkennen, von der die Zweihügelstadt beherrscht ist. Die größere Polarität von Galiläa und Judäa findet eine konzentrierte, auf kleinen Raum zusammengedrängte Wiederholung in den beiden Höhen von Jerusalem, dem sonnenhafteren Zionsberg und dem mondhafteren Felsen des Tempelhügels. Damit fällt auf einmal ein Licht auf den hebräischen Namen der heiligen Stadt – „Jeruschalajim“ ist ... nicht eine Einzahl- und nicht eine Mehrzahl-, sondern eine Zweizahlform275. Bis in den Namen hinein ist zu erkennen: Jerusalem ist ein Zwillingsgebilde, eine Stadt der Zweiheit und des sich begegnenden kosmischen Gegensatzes. [86] Welche Bedeutung kommen solchen charakteristischen symbolischen „Zeichen“ zu, die sich bis in die Landschaft abzeichnen? Haben die Götter selbst diese antlitzhaften symbolischen Zeichen eingegraben, um die Aufgabe zu markieren, die mit solchen Marksteinen der Menschheitsgeschichte verbunden sind?

Wie das Wegzeichen eines Vorhangs vor der Zweiheit, die das Geheimnis von Jerusalem in sich birgt, ist nun eine Entdeckung, von der man eigentlich nicht 275

Die Zweizahl wird im Prinzip verwendet, wenn nicht von einem einzelnen Ding noch von beliebig vielen Dingen, sondern von genau zweien die Rede ist. Im Hebräischen wird seit den ältesten Überlieferungen die Zweizahl nur für Zeitangaben (z. B. jomajim „zwei Tage“) und paarige Körperteile (z. B. raglajim „Hände“) verwendet.

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versteht, warum sie, da sie doch hier und da in der Palästina-Literatur aufblitzt, nicht längst in ihrer bahnbrechenden Bedeutung erkannt und angewendet worden ist. Das landschaftliche Antlitz von Jerusalem ist bis in die Zeit Davids und Salomos hinein ein grundlegend anderes gewesen, als wir es heute vor uns haben und wie es bei allen topographischen Untersuchungen doch mehr oder weniger vorausgesetzt wird. Zwischen den beiden Hügelzügen der Stadt klaffte dereinst eine tief eingeschnittene Felsenschlucht, die von Norden nach Süden gehend das zwischen Hinnom und Kidron eingeklemmte aufragende Gebiet in zwei Teile auseinanderriss. Salomo ließ... diese felsspaltartige Schlucht ausfüllen. Er verschloss, wie die Bibel sich ausdrückt, den Riss in der Stadt Davids (1. Könige 11,27). [86?] Verlieren wir uns nicht in Einzelheiten dieser geologisch-topographischen Begebenheiten, wie sie den Grundriss des Planes von Jerusalem bedingen, aber versuchen wir sie zu lesen! Die beiden Hügel der Stadt, der Berg Zion und der Berg Morija, stehen sich gegenüber in ihren Polaritäten wie Sonne und Mond, wie Himmel und Hölle, und sind auch so empfunden worden.

Es ist verständlich, dass der Tempelberg mit seinem breiten Felsplateau zumeist das ausschließliche Interesse derer auf sich gezogen hat, die sich ein Bild des alten Jerusalem machen wollten. Obwohl er der niedrigere der beiden Hügel ist, ist er der Wohnplatz einer gebieterischen Größe, die jeden in ihren Bann ziehen muss. Das ist sicherlich durch alle Epochen hindurch der Fall gewesen, mindestens seit Salomo dort den Tempel erbaute... Aber der traditionelle Zionsberg beherbergt nicht weniger ein Wunder als der Tempelfelsen. Man kann diesem Wunder heute noch begegnen. Verlässt man den Bereich der eigentlichen Altstadt, die in ihren engen und steilen Gassen überquillt von dem bunten, lärmenden Leben des Orients, und wendet man sich dem südwestlichen Teil der Stadt zu, so taucht man in einen Bezirk der Stille und des Schweigens ein. Der Sinn des Namens „Salem“, den die Stadt zur Melchisedek-Zeit trug und der auch noch in dem Namen Jerusalem, der „Stadt des Friedens“276, enthalten ist, ist heute noch im deutlichen Nachklang anzutreffen auf diesem Westhügel der Stadt. Der traditionelle Zionsberg ist eine „Wohnung des Friedens“, der Segenshauch einer höheren Sphäre ragt dort in das Irdische hinein. Eine tieffromme Sehnsucht und liebende Innigkeit klingt überall da aus den Psalmen hervor, wo Zion, der Berg, auf dem die Gnade und Güte Gottes wohnt, genannt wird. Den Blick auf Zion als das Ziel gerichtet, sagt der Pilger: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von denen mir Hilfe kommt. (Psalm 121,1) (Der Name Zion: zijun = das aufgerichtete Steinmal, von zawa = aufrichten, deutet auf einen alten heiligen Menhir, eine steinerne Sonnensäule, eine Stätte, wo dir heiligen Aufrichtekräfte der geistigen Sonne verehrt worden waren. Unter David trat die Bundeslade die Erbschaft des heiligen Steines von Zion an.) Es hängt nun mit der auch in der ganzen Geschichte des ursprünglichen 12-StämmeVolkes Israel zusammen, die ja nach der an Abraham gegebenen Prophezeiung wie die Sterne im Zodiak angeordnet sein sollen, und von denen nur der Stamm Juda 276

Andere mögliche Übersetzungen: jiru „Gründung“ / uru „Palast, Stadt“; Schalim ist die kanaanitische Gottheit der Abenddämmerung. (Vgl. Max Küchler: „Jerusalem.“ In: Manfred Görg, Bernhard Lang (Hrsg.): „Neues Bibellexikon. Band II“, Benziger, Zürich 1991, S. 294295.) – „Friede“ heißt im heutigen Hebräisch schalom, im Arabischem salam. Auf die Deutung der Endung ajim wurde auf Seite Error: Reference source not found eingegangen.

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übrig blieb, der den Namen diesem Volke geben sollte. Etwas Ähnliches trat ein mit den beiden Mysterienstätten von Zion und dem Felsaltar auf Morija, deren Gegensätzlichkeit die geistige Grundlage Jerusalems bildete. Nachdem durch den Tempelbau Salomos der mondenhafte Pol in der Jerusalem-Zweiheit so ausschließlich in den Vordergrund gerückt worden war und Zion, der stillere, verborgenere Pol der Sonne, in Vergessenheit geriet, wurden alle die mythologischen Charakterisierungen, die ursprünglich an dem Stadtganzen hafteten, auf den Tempelberg bezogen. Auf einmal galt der heilige Felsaltar auf Morija als die Mitte der Welt. Es kann aber nicht der eine von zwei polarisch verschiedenen Punkten zur Mitte erklärt werden, ohne dass eine Einseitigkeit entsteht. In der nachsalomonischen Zeit ist allerdings in dem eigentlichen Judentum, das damals entstand, eine welthistorische Einseitigkeit auf den Plan getreten. [86?] Aber – und dies ist für unsere Betrachtung das Wichtigste: Die mythische Spur, die als Rune Jerusalem in die Erde eingegraben ist, sie kommt erst nach der Zeitenwende zu ihrer Realität, zu ihrer geistigen Verwirklichung. Und als solche hat sie der Apokalyptiker in seiner apokalyptischen Schau dargestellt. – Denn die wahre Mitte, die zwischen Zion und Morija liegt, kam erst dann zur Offenbarung, als der Vorhang im Tempel riss, der sich nicht nur vor das Geheimnis Jerusalems, sondern vor das zentrale Weltgeheimnis gelegt hatte.

Das Kreuz von Golgatha stand über dem alten unkenntlich gewordenen Mittelriss der Stadt. Und es ist eine historisch bezeugte Tatsache, dass die Erdbeben, die zwischen dem bedeutungsvollen Karfreitag und dem Ostermorgen stattfanden, den alten kosmisch-mythischen Felsspalt, über dem auch das Grab des Joseph von Arimathia lag, wieder aufgerissen haben. Wir haben aus der Mitte des 6. Jahrhunderts unter dem Namen des Antonius Placentius einen Pilgerbericht mit exakten Schilderungen der Heiligen Stadt. Da finden wir die erstaunliche Beschreibung einer Felsspalte am Heiligen Grabe, unter der man in der Tiefe die Wasser der alten Teraphonschlucht rauschen hören konnte. „Unmittelbar bei dem Altar ist ein Spalt. Du legst da das Ohr an und hörst Wasserströme und wirfst einen Apfel oder was sonst schwimmen kann, hinein und gehst zur Quelle Siloah und findest ihn dort wieder.“ [86?] Zusammenfassend können wir den tieferen Sinn der kosmischen Rune, den die Weltenmächte in der Äthergeographie Jerusalems eingezeichnet haben, wohl dahingehend deuten, dass sie sich erst durch das Mysterium von Golgatha erfüllt hat.

Wenn die christliche Oberlieferung alle die Attribute auf Golgatha bezieht, die zusammen den kosmischen Mythos von Jerusalem ausmachen: Dort sei die Mitte der Erde, der Verschluss der Urtiefe mit ihrer Flut, der Eingang des Himmels und die Pforte der Hölle, so sind diese legendären Überlieferungen nicht, wie die Gelehrten meinen, erst nachträglich vom Tempelfelsen auf Golgatha übertragen worden. In Wirklichkeit ist auf Golgatha die wahre Mitte Jerusalems und der Welt, die man im Judentum irrtümlich auf dem Tempelberge suchte, wieder offenbar geworden. Im Leben Jesu und in den Christusgeschehnissen ist ebenso wie die Polarität von Galiläa und Judäa auch die von Zion und Morija ins Gleichgewicht gebracht und versöhnt worden. Die Urbildlichkeit Jerusalems als der Quintessenz des heiligen Landes hat ihre Erlösung und Erfüllung gefunden. [86?]

Das himmlische Jerusalem als Bild des zukünftigen Jupiterzustandes Alle alten Dokumente bedienen sich des Symbols oder der bildhaft-imaginativen Darstellung zur Wiedergabe übersinnlicher Inhalte. Und mit Recht, da das Symbol wie das 417

Bild dem Obersinnlichen näher steht als der Begriff. Auch wenn die bildhafte Darstellung nicht frei ist von anthropomorphen Zügen, die das objektive Geistige vermenschlichen, so fallen diese zu menschlichen Züge nach einem Wort Rudolf Steiners schon von selbst hinweg und geben Raum für das Wesenhafte des übersinnlichen Bildes. Man kann sich davon ja einen Eindruck verschaffen anhand der mittelalterlichen Bilder, welche die Engelgestalten der höheren Hierarchien in der Malerei wiedergegeben haben. Was wäre die mittelalterliche Religiosität ohne die Kunst, welche die religiöse Phantasie belebt, vertieft und ihr die Schwingen zum geistigen Schauen gelöst hat. Erst der hereinbrechende Intellektualismus, der in den „Bilderstürmern“ sich in seiner negativen Auswirkung bemerkbar machte, hat die imaginativen Kräfte getötet und den Menschen der Abstraktion und dem trostlosen Intellekt preisgegeben! Gewiss ist nicht zu leugnen, dass das imaginative Bild oftmals zu persönliche Phantasiegestalt trägt – zu subjektiv, um das objektiv Geistige fassen zu können. Dennoch kann eine solche subjektive Darstellung der geistigen Welt immer noch mehr der Seele eine Geistigkeit vermitteln als der dürre abstrakte Intellekt. Es ist nicht zu leugnen, dass die katholische Kirche ihren Gläubigen in dieser Beziehung, schon durch ihre Heiligenverehrung, mehr zu bieten hat als der bildlose protestantische Himmel. – Peter Rosegger weiß in seiner gemüthaften Art die Frage: „Wie wird es im Himmel sein?“ recht poetisch und nicht ohne Humor zu beantworten:

Wie wird's im Himmel sein? Eine Frage, die dem Verfasser dieses Buches einmal allen Ernstes zugegangen ist. Vor fünfzig Jahren darum befragt, würde ich haben Antwort geben können. Jetzt weiß ich's nicht mehr so genau. Aber ich will einmal gucken. Der Himmel ist eine große, große Kirche. Vorne am Hochaltar sitzt die Heilige Dreifaltigkeit, umgeben von allen Heiligen Gottes. Im Kirchenschiff fliegen nackte Kindlein mit goldenen Flügeln umher. In den Bänken sitzen in weißen Kleidern die Seligen, die sich nach dem Tode wieder gefunden haben. Sie halten Lichter in den Händen und lauschen einer Musik, die über alle Beschreibungen schön ist. – In diesem Sinn hätte ich als Kind die Frage mit größter Sicherheit beantwortet. Später wurde dann durch die Naturwissenschaft und die Astronomie der Himmel immer weiter und weiter hinausgeschoben, da verstummte die übermütige Frage „Wie ist der Himmel?“, sondern man fragte mit Bangen „Wo ist der Himmel?“ Man fragte die Priester, die Weltweisen, die Künstler und Poeten – nur den einen fragten sie nicht, den sie vor allem hätten fragen müssen. Gerade ihn nicht, der uns den Himmel gezeigt hat, Jesus, der Christ. Er hat nicht gegen den Himmel gezeigt, als er uns den Himmel wies. ER hat gesagt: In meines Vaters Wohnungen..., so viele, als es gottfrohe Menschen gibt, so viele, als es Wünsche, Mittel und Wege gibt, die vom guten Willen geleitet zu Gott streben. So viele gibt es der Wohnungen im Hause des himmlischen Vaters. Jesus, der Christ, hat uns die Ewigkeit des Himmels verheißen, aber uns mit dem Himmel nicht auf den Tod vertröstet, als ob zuerst das Sterben kommen müsse, als ob der Himmel nicht vorher anfangen könne. Aus diesen gemütstiefen und glaubensfrohen Worten des Bauernpoeten, der sich noch den Himmel durch unsere Zeit gerettet hat, kommt uns der Himmel in echter Frömmigkeit entgegen, der Himmel, wo er am sichersten zu finden ist: im menschlichen Herzen. Aber damit wird der Riss offenbar, der durch unsere ganze Weltanschauung geht, der Riss, der auch den Himmel teilt in eine rein physikalische naturwissenschaftliche Welt – und in einen religiösen Himmel, der aber nur in meinem Herzen, im Herzen der Frommen lebt 418

und der im Grunde genommen nichts zu tun hat mit der objektiven Weltentwicklung. Dieser Riss wurde vollständig durch die kopernikanische Weltanschauung. Sie hat den geistigen Himmel, wie er in dem Ptolemäischen Sternensystem noch mit den Hierarchien verbunden lebte, gestrichen und eliminiert, sodass dieser Himmel mit den göttlichen Hierarchien zum letzten dünnen Glauben an den Herrgott sich ins menschliche Herz zurückgezogen hat. Alles andere wurde der „Welt“. der Naturwissenschaft überlassen! Kein Wunder, dass unser Himmel heute, auch äußerlich, erobert wurde von den „Astronauten“, den Mondfahrern. Sie fanden in der Tat keine Engel und geistigen Wesen auf dem Monde – sondern nur die unter-sinnlichen Gesetzmäßigkeiten der Erde, da der Mond für eine spirituelle Weltanschauung ja der „Ascheimer“ der Erde ist! – Wie aber kann man bei dieser zerrissenen Weltanschauung noch ein Verständnis für den Himmel der Apokalypse haben? Der letzte Vorhang öffnet sich im letzten Kapitel der Offenbarung Johannes: der neue Himmel und die neue Erde, das Neue Jerusalem wird offenbar! Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde ist vergangen und das Meer ist nicht mehr. Und die Heilige Stadt Jerusalem, das Neue, sah ich herniedersteigen aus dem Himmel, her von Gott, wie eine Braut bereitet, für ihren Mann geschmückt. Und ich hörte eine mächtige Stimme vom Throne her, die sprach: „Siehe, die Tempelhütte Gottes bei den Menschen. Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein. Die Gottheit selbst wird bei ihnen sein und alle Tränen aus ihren Augen wischen. Es wird keinen Tod mehr geben und keine Trauer und keinen Klageruf mehr und keine schwere Last, denn die Alte Welt ist vergangen.“ Und der Thronende sprach: „Siehe, ich mache alles neu!“ Und er sprach: „Schreibe! Dies sind Worte des Glaubens und der Erkenntnis.“ Und er sprach zu mir: „Es ist vollbracht. Ich bin das Alpha und das Omega, der Urbeginn und das Welten ziel. Dem Dürstenden will ich aus der Quelle das Wasser des Lebens spenden, ohne eine Bedingung zu stellen. Wer die Prüfung besteht, soll alles, was du siehst, besitzen. Und ich werde sein Gott und er wird mein Sohn sein. Den furchtsamen Seelen jedoch, denen, die keinen Glauben haben, die das Menschenbild entstellen (den Gräuelvollen und Mördern und Ehebrechern und Zauberern und schwarzen Magiern und die den dämonischen Mächten dienen), unter ihnen tun sich die feurigen Sümpfe des Abgrundes auf, aus denen Schwefelflammen lodern, Das ist der zweite Tod, der Seelentod.“ (Off. Joh. 21, 1-8) Nur mit der geisteswissenschaftlichen Erkenntnis können die Bewusstseinsstufen dieses neuen Himmels und der neuen Erde durchschaut und erkannt werden. Deshalb wollen wir hiermit beginnen. Denn das Letzte alles Seins ist das Bewusstsein der Wesen. Es ist die hierarchische Leiter, welche Jakob erschaute; die sich über ihm im Traum bis zu Gott erhob. Deshalb wollen wir diesen neuen Himmel zu bestimmen versuchen von der Bewusstseinsstufe, die der Mensch jetzt erstiegen hat. Diese Bewusstseinsstufe geht aus der folgenden Stelle bei der Grundsteinlegung des himmlischen Jerusalem als der neuen Schöpfung deutlich hervor. Und ich, Johannes, bin es, der dies hörte und schaute. Und als ich es gehört und geschaut, fiel ich, um zu huldigen, nieder zu den Füßen des Engels, der mir dies gezeigt. Und er sagte zu mir: „Nie und nimmer! Ein Knecht bin ich mit dir und deinen Brüdern, den Propheten, und mit denen, die die Worte dieses Buches wahren. Gott bete an!“ (Off. 22,9)

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Was heißt das? Dass der Mensch jetzt, wenn er das Ziel der Erdenentwicklung erreicht hat, zur Stufe des Engels aufgestiegen ist, das heißt die Bewusstseinsstufe des Engels erreicht hat. Das geht auch aus dem vorhergehenden Kapitel hervor, wo die Maße der Mauer und der Grundriss des himmlischen Jerusalems gemessen und bestimmt werden. Und er maß ihre Mauer zu 144 Ellen, das das Maß des Menschen und des Engels ist. Es ist das Maß der Stadt, das einem glückseligen Kristallwürfel entspricht. (Off. 21,17) Und der mit mir sprach, hielt ein goldenes Messrohr, um die Stadt zu messen und ihre Tore und ihre Mauer. Und die Stadt liegt viereckig (im Geviert) und ihre Länge ist gleich wie ihre Breite. Und er maß die Stadt mit dem Rohre auf 12000 Stadien, die Länge und die Breite und ihre Höhe sind gleich. (Off. 21,15) Darauf folgt die Nennung der 12 Edelsteine, mit denen die Mauern der Stadt ausgeschmückt sind, die 12 Tore der Stadt sind von 12 Engeln bewacht. Sie bestehen aus 12 Perlen: Und die 12 Tore waren 12 Perlen, und ein jegliches Tor war von einer Perle. Und die Straßen der Stadt waren lauteres Gold gleich durchsichtigem Glas. (Off. 21,2) Die Stadt als solche wird uns als Imagination der Braut des Lammes genannt: Und es kam zu mir einer von den sieben Engeln, welche die sieben Schalen voll der letzten sieben Plagen hatten, und redete mit mir und sprach: „Komm, ich will dir das Weib zeigen, die Braut des Lammes!“ Und er führte mich im Geiste auf einen großen und hohen Berg und zeigte mir die große Stadt, das Heilige Jerusalem, herniederfahren aus dem Himmel von Gott. Sie hatte die Herrlichkeit Gottes, und ihr Licht war gleich dem alleredelsten Stein, einem hellen Jaspis. Und die Stadt hatte eine große und hohe Mauer und hatte zwölf Tore und auf den Toren zwölf Engel und Namen darauf geschrieben der zwölf Geschlechter der Kinder Israels. (Off. 21,9) Doch die Grundsteine der Stadt tragen nicht die Namen der zwölf Stämme Israels, sondern die Namen der zwölf Apostel des Lammes. 'Und die Stadt hatte zwölf Grundsteine, und auf ihnen standen die Namen der zwölf Apostel des Lammes. (Off. 21,14) Was an der Imagination des Ewigen Jerusalem zunächst auffällt, ist, dass es von oben, also aus der geistigen Welt herabfährt, nicht, wie meist angenommen wird und in Kirchenliedern besungen, die Seelen auf den Gipfel nach oben führt. Die Richtung hat sich hier scheinbar geändert. Das himmlische oder ewige Jerusalem führt den Menschen nicht auf den Gipfel hinauf, es kommt von oben herniedergefahren zu den Menschen. Darin erfüllt sich auch der Sinn der „Hütte Gottes“, die zu den Menschen gekommen ist. Die göttliche Welt kommt zu den Menschen und füllt somit die Kluft zwischen Gott und Menschen aus, die seit dem Fall in die Tiefen zwischen der geistig-göttlichen Welt und der physisch-materiellen Welt bestanden hat. Diese Kluft wird durch das Hereinbrechen der göttlich-geistigen Weltensphären in die Menschenwelt ausgefüllt und überwunden. Die Worte desjenigen, der auf dem Throne sitzt, bekräftigen dies, Und ich hörte eine große Stimme, die von dem Thron erklang, die sprach: „Siehe, die Tempelhütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst wird ihr Gott sein. Und Gott wird trocknen jede Träne aus ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Trauer, noch Wehruf, noch Mühe wird fürderhin sein, dein das Erste ist dahin.“ Und es sprach, der auf dem Throne sitzt: „Siehe, ich mache alles neu!“ Und Er spricht: „Schreibe: Diese Worte sind treu und wahrhaft.“ Und Er sprach zu mir: „Es ist vollbracht. Ich bin das Alpha und das Omega, der Urbeginn und das Ende. Dem da dürstet, gebe Ich aus der Quelle lebendigen Wassers ohne Entgelt. Wer überwindet und 420

siegt, wird dies alles erben, und Ich will sein Gott sein, und er wird Mein Sohn sein. Den Feigen aber und Zauberern und Schwarzmagiern... wird ihr Anteil im Pfuhle sein, und das ist der zweite Tod.“ (Off. 21,3) Diese Bilder, wie sie am Anfang und am Ende auftauchen und die ganze Bibel umrahmen mit dem Bilde des Paradieses und der Ewigen Stadt, wollen in ihrer urbildhaften Schrift archaisch-groß gelesen und kosmisch aufgenommen werden. Es ist kein Zufall, dass am Anfang dieses heiligen Buches der Bibel (biblia heißt ja „das Buch“ und ist immer mehr zu dem Buch schlechthin geworden) sowie am Ende fast das gleiche Bild beschrieben wird. Nur dass am Anfang der Menschheitsentwicklung der Garten in Eden mit den beiden Bäumen, dem Baum der Erkenntnis und des Lebens, steht, und am Ende das himmlische Jerusalem als Stadt beschrieben wird, welche die harmonischen Maße des Menschen, den achteckigen, gleichseitigen Kubus versinnbildlicht. Solche Bilder sind nicht willkürlich hingestellt. Sie wollen in ihrer symbolischen Bedeutung ernst genommen und erfasst werden. In der Tat kann man in der Bildsprache sagen: Die Menschheitsentwicklung nimmt ihren Ausgang von dem Menschen, der zunächst allein, dann nach der Geschlechtertrennung das Paradies bewohnt. Und ihr Ziel erfüllt sich im Bilde der Stadt, die von oben mit der Tempelhütte Gottes herniedergefahren ist. Es scheint darin ein schwer zu erfassender Widerspruch zu liegen. Wir können ihn mit dem Worte vor uns hinstellen: Im Anfang war Gott. Und der Mensch lebt durch die göttliche Substanz. Im Grunde ist noch keine Welt vorhanden außer der göttlichen Wesenheit. Die Welt ersteht erst und erfüllt sich mit Inhalt durch die schrittweise Verdichtung der Licht-, Wärme- und Lebenselemente. Die anfänglich leere Welt bekommt Inhalt, Gestalt, Form und Fülle. Und dieser konkrete Welt-Inhalt, er wird ja vom Menschen mit geschaffen, durch alle die menschlichen Beziehungen der sozialen Bande, die durch den Menschen angeknüpft. gesponnen und verwirklicht werden. Und dies alles steht am Ende der Schöpfung im Bild der Stadt, eines sozialen Organismus vor uns da. Aus der leeren Welt, in der zunächst nur die Anlagen als Potenzen vorhanden sind, ist eine Welt geworden mit vom Menschen gesättigtem Inhalt menschlicher Beziehungen. Der Widerspruch scheint nun darin zu liegen, dass die Stadt als Ziel der Menschheitsentwicklung von oben, aus der geistigen Welt herniederkommt, nicht von unten aus der Tiefe, wo sie sich doch gebildet hat. Denn sie empfängt die Siegel der Gottesstadt, die Siegel, die schon im Paradies standen, den Baum der Erkenntnis und den des Lebens. Allerdings wird der Baum der Erkenntnis, von dem ja durch die luziferische Erkenntnisgesinnung die menschliche Entwicklung ausgegangen ist, jetzt nicht mehr genannt, sondern nur der Baum des Lebens, mit dem er eines geworden ist, wie es die außerbiblischen jüdischen Legenden berichten (Schatzhöhle). Nach ihnen darf Seth, der Sohn Adams, noch einmal das Paradies besuchen und sieht dort die beiden Bäume umschlungen und vereinigt aus dem Grabe Adams wachsen. Hierin spricht sich das Ziel der Menschheitsentwicklung aus. Die einseitige luziferische Erkenntnisgesinnung, die alles nur „wie ein Dieb an sich reißt“ und ausnutzen will, soll durch das Christusopfer vertieft, geläutert und zum Dienst der ganzen Menschheit ins Ganze gestellt werden. Dadurch erblühen aus der Erkenntnis nicht nur die Todesfrüchte der einseitigen Egoität, sondern die heilenden Lebensfrüchte. Der Lebensbaum vermählt seine Früchte mit dem Erkenntnisbaum, und von ihm empfängt die Menschheit mit dem Wasser des Lebens zu-gleich die zwölffache Frucht der heilenden Lebenskräfte. 421

Und er wies mir einen Strom mit dem Wasser des Lebens, klar wie ein Kristall, der von dem Thron Gottes und dem Lamme kam. Mitten auf den Straßen der Stadt und hüben und drüben am Strome stand der Baum des Lebens, zwölffache Früchte tragend, sodass er jeden Monat seine Früchte spendete. Und die Blätter des Baumes dienten den Völkern als heilende Arznei. Jeder Fluch verliert durch sie seine Kraft. Und der Thron Gottes und des Lammes wird in der Stadt stehen, und seine Getreuen werden heiligen Dienst vor ihm verrichten. Sie werden sein Antlitz schauen, und sein Name wird auf ihren Stirnen leuchten. Keine Nacht wird mehr sein, sie bedürfen keines Lichtes und keines Leuchters mehr, auch nicht des Lichtes der Sonne, denn der Herr. Gott selbst, wird über ihnen leuchten. Und sie werden Könige sein und regieren durch alle Äonen. (Off. 22, 16) Der Widerspruch, der zwischen der natürlichen Wachstumskraft der von unten wirkenden Menschheitsgeschichte und der von oben sich gnadenvoll herabsinkenden Geisteskraft der himmlischen Stadt sich ergibt, die als Frucht der Menschheitsevolution von oben aus der göttlichen Welt herabsteigt, kann an diesen letzten Bildern vom Baum des Lebens sowie dem Tempeldienst in der Ewigen Stadt am besten abgelesen und erklärt werden. Sind doch alle Bilder der letzten Kapitel (Off. 1922) Früchte, die am Baum des Lebens sich vollziehen. Und dabei erklingt das Wort der geistigen Welt-Erfüllung, dem die Kraft des Christusopfers innewohnt: „Es ist vollbracht!“ (Joh. 19,30) Und ich hörte die Stimme einer großen Schar und wie von großem Wasserrauschen und starkem Donner, die sprach: „Hallelujah! Der allmächtige Gott hat das Reich eingenommen. Lasset uns freuen und fröhlich sein und ihm die Ehre geben. Denn die Hochzeit des Lammes ist gekommen, und sein Weib hat sich bereitet.“ Und er sprach zu mir: „Schreibe: Selig sind, die zum Abendmahl des Lammes berufen sind!“ (Off. 19,6) Und jetzt erst, nach der Hochzeit des Lammes, der großen esoterischen Kommunion, die nicht allein vom mystischen Aspekt, die nur vom kosmischen Aspekt als „chymische“, das heißt alchimistisch-kosmische Hochzeit verstanden werden kann, erscheint der weiße Reiter in der Kraft des Heiligen Geistes und in der lchkraft des Christus, aus dessen Munde das scharfe Schwert als dem Vollstrecker der Worteskraft hervorgeht. Fassen wir diese Bilder in ihrer Größe zusammen, so ergibt sich aus ihnen, dass nach der Hochzeit des Lammes die letzten Kapitel der Offenbarung in einer höheren, kosmischen Sphäre spielen – zu der Johannes hier erhoben wird wie die Menschen, die ihm folgen können. Es ist die Sphäre des Buddhi-Planes, der sogenannten „Vorsehung“, in welche die Menschheit, die sich zu den Folgen dieser christlichen Einweihung erheben kann, aufgestiegen ist. Von diesem Licht lebt fortan die erleuchtete Menschheit. Die niederste Stufe dieses Lichtes ist die Erhebung zur Sophia, deren Licht die zu der Geiststufe (der Engelsphäre) aufgestiegene Menschheit erleuchtet. Und eben deswegen kommt die Ewige Stadt, die – wie wir sahen – zugleich die Braut ist, von oben aus der göttlichen Welt der Urbilder! Deshalb steigt das höchste Ziel, die Vollendung, vom Himmel hernieder, das die Erfüllung bringt, obgleich es die durchchristeten Früchte der Menschheitsentwicklung zeitigt. Machen wir diesen scheinbaren Widerspruch uns an einem persönlichen Vorgang deutlich! Man kann ihn, wenn auch in kleinerem Maß, beim Schulungsware erleben. Es ist begreiflich, dass als das Leitmotiv beim Erstreben des Zieles das Bild eines Berggipfels auftaucht, zu dem der Wanderer auf dem esoterischen Wege emporzuklimmen bestrebt ist, um die Vollendung als Erfüllung seines Weges zu erreichen. Der wirkliche Vorgang auf dem esoterischen Wege anspricht aber nicht diesem Bilde. Wenn wir die Erfüllung 422

erreichen wollen, so erklimmen wir in Wirklichkeit nicht die Gipfelhöhe – sondern der Gipfel senkt sich zu uns herab! Das entspricht der okkulten Wahrheit. Die geistig-göttliche Erfüllung kommt zu uns und senkt sich als Innenwohnung des Göttlichen in uns hinein! So wird ja dies Ziel der geistigen Kommunion auch an vielen Stellen des Evangeliums beschrieben. Die christliche Einweihung entspricht nicht der Ekstase, sondern der Einwohnung des göttlichen Weltengrundes in der dazu vorbereiteten Seele. Und dieser Richtung entspricht auch die kosmische Einwohnung, die Erfüllung und Vollendung der Menschheitskommunion. Auch dies ist eine Einwohnung des göttlichen Weltengrundes in der menschlichen Seele. Dabei durchdringen sich die beiden Sphären des Menschlichen mit dem über-menschlich Göttlichen. Das esoterische Urbild dieser Durchdringung wird in dem letzten hohepriesterlichen Gebet des Johannesevangeliums (Joh. 17) beschrieben. Der kosmischen vor-weltlichen Durchdringung des „Logos“, als zweite Stufe der Trinität, folgt unmittelbar die Durchdringung der Jünger des Christus mit dem väterlichen Weltengrund. Auch der Vater nimmt in ihnen „Wohnung“, so wie es bereits bei der großen Kommunion im 15. Kapitel heißt: „Mein Ich ist der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in meinem Ich den Gottesgrund findet und mich in seinem Ich wohnen lässt, wird reiche Früchte tragen... Findet ihr den Gottesgrund in mir und lasst meine Worte in euch leben, so wird euch zuteil, was euer Wille erbittet, Dadurch offenbart sich der Gottesgrund, wenn ihr reiche Früchte traget und immer mehr zu meinen Jüngern werdet! – So ihr meine Geistesziele aufnehmt und innehaltet, so bleibet ihr in meiner Liebe, wie ich die Ziele meines Vaters aufgenommen habe und in seiner Liebe lebe.“ (Joh. 15,5) Dieselbe Gleichung erscheint im letzten hohepriesterlichen Gebet, wo die Durchdringung des Sohnes mit dem Vater in der kosmischen Sphäre, „ehe denn die Welt begründet war“, gleichgesetzt wird mit der Durchdringung der Jünger mit dem väterlichen Weltengrund. Dabei vollzieht sich, wenn auch zunächst nur in der Form des Gebetes. die gleiche esoterische Kommunion, die sich im Übersinnlichen vor der Erschaffung zwischen dem Sohn Vater vollzogen hat, worin die ewige Liebe des Vaters zum Sohn und des Sohnes zum Vater urständet. „Ich habe Dein Wesen auf Erden zur Offenbarung gebracht und das Werk vollendet, das Du mir zu tun auferlegt hast. Nun lasse Du mein Wesen, o Vater. bei Dir selbst offenbar werden in der Lichtesherrlichkeit, die mich bei Dir umgab, bevor die Welt noch gegründet war.“ (Joh. 17,4) Und gleich anschließend an diesen kosmischen Rückblick, an die Verbindung mit dem göttlichen Vatergrund, folgt die Bitte für die Jünger, die in ihrem Ich sich mit dem Christus verbunden haben. „Ich habe Deinen Namen den Menschen offenbart, die Du mir aus der Welt gegeben hast. Dein waren sie und Du gabst sie mir, und sie haben Dein Wort bewahrt in ihrem Innersten. Sie wissen nun, dass alles, was Du mir gegeben hast, aus Dir ist. Denn die Worteskraft, die Du mir gegeben hast, habe ich ihnen übertragen. Sie haben sich damit erfüllt und wahrhaftig erkannt, dass ich von Dir ausgegangen bin, und glauben, dass Du mich gesandt hast. Für sie bitte ich, doch nicht für die Welt, sondern für die, welche Du mir gegeben hast, denn sie gehören Dir. Alles, was mein ist, ist Dein und alles, was Dein ist, ist mein. Und die Offenbarung meines Ich leuchtet in ihrem Ich...“ (Joh. 17, 610) „Und ich habe ihnen gegeben die Herrlichkeit Deiner Lichtesoffenbarung, die Du mir gegeben hast, damit sie eine Einheit in ihr werden können, gleichwie wir eine Einheit 423

sind: Mein Ich ist in ihnen und Du bist in mir, und so werden sie zu einer vollkommenen Einheit geweiht, damit die Welt erkenne, dass Du mich gesandt hast, und dass Du sie liebst, wie Du mich geliebt hast. – Vater, ich will, dass wo mein Ich ist, auch die bei mir seien, die Du mir gegeben hast, dass sie meine Lichtesherrlichkeit schauen, die Du im Urbeginn vor mir erstrahlen ließest, denn Du hast mich geliebt, ehe denn die Welt gegründet war.“ (Joh. 17, 22-24) Zum zweiten Mal gedenkt der Christus am Ende des Gebetes der kosmischen Durchdringung mit dem Vater, der ihn geliebt hat, ehe denn die Welt noch gegründet war. – Aber es ist im Grunde genommen nicht ein Rückblick in die Vergangenheit, – es ist eine Vorschau in die Zukunft, wo in der Geistesforschung diese Einheit in der christdurchdrungenen Gemeinschaft sich erfüllen soll! „Ich habe ihnen Dein Wesen offenbart und will es offenbaren, auf dass die Liebe, mit der Du mich liebst, in ihnen sich bewahre und so mein Ich in ihrem Ich sich offenbare.“ (Joh. 17,26) Mit diesen Worten endet das Hohepriesterliche Gebet, indem der Sohn die väterliche Weltregierung übernimmt. Auch dies Gebet ist wie die ganze Apokalypse in drei Stufen gegliedert als Ausdruck der Welt- und Menschheitsentwicklung. Im ersten Teil ist es das Zwiegespräch zwischen dem Vater und dem Sohn. Im zweiten Teil ist es die Bitte des Christus für die Jünger. Im dritten Teil ist es die Bitte um die geistige Einheit der Gemeinschaft der Jünger – die Vollendung des Christuswerkes im Heiligen Geiste. Und so wie man dies herrliche, die ganze Menschheitsentwicklung umfassende Menschheitsgebet nicht „erklären“ kann, ebenso wenig ist es bei den letzten Kapiteln der Apokalypse der Fall. Denn sie spielen in derselben hohen geistigen Sphäre wie dies Christusgebet. Man würde diese monumentalen Worte herausreißen aus ihrer übersinnlich göttlichen Sphäre der Intuition, wenn man sie dem Verstande näherbringen wollte. Das gleiche muss im Grunde mit der Erklärung von einzelnen Vorgängen des Ewigen Jerusalem geschehen. Denn auch diese Vorgänge spielen in der intuitiven Sphäre. Man kann nur versuchen, im Nacherleben der göttlich-geistigen Sphäre abzutasten, auf welche übersinnlichen Geschehnisse sie den Seelenblick hinlenken wollen. Man würde sonst diese kosmischen Ereignisse durch eine verstandesmäßige Exegese in ein triviales Niveau herabziehen, wollte man sie mit äußerlichen Geschehnissen vergleichen und zu deuten versuchen. Dies geschieht, wenn man die Kämpfe, die unmittelbar nach der großen kosmischen Kommunion (19, 79) ausbrechen und sich zwischen dem Heer der Christusstreiter, die dem weißen Reiter folgen, und dem Heer des Tieres entzünden, in einer der irdischen Sphäre nahestehenden Art vergleichen und deuten wollte. Bedenkt man, dass die letzten Kapitel der Apokalypse sich ja im rein übersinnlichen abspielen, und zwar beim Übergang von der Erden- in die Jupitersphäre, so liegt die Erde bereits lange schon hinter uns, und die Menschheit bewegt sich bereits in der intuitiven Sphäre des Devachan. Es könnte daher befremden, dass in dieser übersinnlichen Sphäre überhaupt solche Kämpfe stattfinden und beschrieben werden, wie es nach der großen Christuskommunion geschieht. „Und ich sah das Tier und die Könige auf Erden und ihre Heere versammelt. Streit zu halten mit dem, der auf dem Pferde saß und mit seinem Heer. Und das Tier ward ergriffen und mit ihm der falsche Prophet, der die Zeichen vor ihm tat, durch welche er verführte, die das Malzeichen des Tieres angenommen hatten und die das Bild des Tieres anbeteten. Sie wurden in den feurigen Pfuhl geworfen, in den Feuersumpf. (Off. 19,19)

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Die ganze Apokalypse ist ein Schulungs- und Erziehungsbuch, welches unsere Auffassung von der geistigen Welt korrigieren will. Gerade darin besteht ihr erzieherischer Wert. Die Schwelle geht nicht nur in moralisch-geistiger Beziehung durch das Reich des Sinnlichen und Übersinnlichen, sodass das Böse keinen Zugang ins Übersinnliche erhalten könnte und sich auf das Sinnliche beschränken müsste. Nein, wenn auch die Mächte des Bösen ihre starke Kraft und Wirksamkeit einbüßen, je höher der Mensch eindringt in die übersinnliche Sonnensphäre und darüber hinaus, so ist Ahriman doch auch noch in der Sonnensphäre wirksam und kann den Menschen dort entgegentreten. Darauf beziehen sich diese letzten Bilder. Es sind Kämpfe, die bis in die Sonnensphäre des Devachan hineinreichen. Denn das ist das Bedeutende der Christusmacht, dass ihre lenkende und entscheidende Wirksamkeit bis in die Devachansphäre hinaufreicht. Damit ist aber zugleich die Umwandlungsmacht der Christussphäre verknüpft. Ein Bild von dieser auch heute noch wirksamen Christusmacht können uns die Mitteilungen eines im Ersten Weltkrieg gefallenen jungen Künstlers vermitteln. Er beschreibt die große kultische Christusfeier in der geistigen Welt am Ende des letzten Krieges, an welcher alle Opfer dieses Krieges teilnehmen dürfen:

27. November 1944. Es ist ein Großes, das ich dir erzählen und verkünden muss, denn hier in unseren Welten hat sich Allergrößtes ereignet. – Heute war eine ganz heilige, erschütternde Feier. Die Krieger aller Nationen erlebten eine Weihe. In unabsehbaren Reihen kamen sie, ein Zug, der keinen Anfang und kein Ende nahm, – es war gewaltig. Sie hatten alle die Augen geschlossen wie Blinde und ihr Sinn war ganz nach innen gekehrt. Ich sah sie vorüberziehen – lautlos, und doch hörte ich die Seelenmelodie einer jeden Seele, die in unendlich innigen und ergreifenden Tönen zu vernehmen war. Sie alle wussten, dass sie einem bedeutenden Augenblick entgegengingen, und daher waren sie alle mehr oder weniger auf die Melodie der „Erwartung“ gestimmt. Es fehlen mir die Worte, um das richtig auszudrücken, was wir erlebten. Es war so ergreifend, dass ein Mensch im physischen Kleide ganz aus dem dichten Kleide herausgeschleudert worden wäre durch die Wucht des Erlebnisses. Wir aber können, dank unserer feineren Organisation, solche Erschütterungen ertragen. – Die Tausende schritten lautlos einem Ziele zu, das sie nur fühlten, aber auch mit ihrem geistigen Auge nicht sehen konnte, – es war wie ein Magnet, der sie anzog, alle dem einen Punkte zuzustreben. Dann war Stille – die Tausende waren am Ziel! Ganz allmählich sah ich, wie sich von oben ihr geistiger Körper durchlichtete. Sie wurden wie Lichter, an deren oberen Teil ein Leuchten sich auszubreiten begann. Es wurde immer lichter und lichter, bis eine Flamme auf jedem ihrer Häupter sichtbar wurde. Manche leuchteten blendend hell, andere weniger, aber alle hatten ein Licht, das ihrem Haupte entflammte. Es wurde so hell, dass diese Lichtkraft eine Auslösung finden musste. – Wir alle, die wir diesem Ereignis beiwohnen durften, warteten mit größter Spannung, was nun geschehen würde. Da fühlten wir, wie sich ein urgewaltiges Schöpferwort zu formen begann – es wuchs und wuchs, es durchdrang uns, jedes Atom von uns, bis wir selbst uns in diesem Schöpferwort als aus ihm neu erstanden fühlten. – Es war, als würde jeder von uns nochmals geschaffen, so gewaltig ergriff uns die Macht dieses immer stärker anschwellenden Wortes. 425

Alle sanken auf die Knie und jede Seele dieser Tausenden fing an zu klingen. – Es war Licht, Wort und Melodie. – Es gibt keine Möglichkeit, um das nur annähernd auszudrücken, was wir erlebten, als sich „das Wort“, das zuerst als Schöpferkraft jeden Teil unseres Seins durchdrang, nun vernehmbar machte und wir seinen Inhalt wahrnahmen, erfassen konnten. Die Flammen leuchteten über den knieenden, zur Erde gebeugten Kriegern, und das Schöpferwort brauste wie ein lebenspendender Orkan durch die Reihen. Es war das Erleben des gewaltigen Geschehens, das ich bis jetzt fühlen und erschauen durfte. Wie soll ich das, was nun geschah, schildern? Unser Christus schenkte sich jedem in einer Kommunion. – Da wurden sie alle sehend. Ihre geistigen Augen öffneten sich und erschauten den Christus! Und sie erkannten Ihn, der sich ihnen geschenkt hatte. Das entfesselte eine spontane Welle der Liebe, der tiefsten Ehrfurcht, der unsagbaren Dankbarkeit, und diese Welle rollte wie die Brandung einer Weitenspringflut hinab auf eure Erde und durchbrach die dunkle Schicht, in die die Erde jetzt eingepanzert ist. – es entstanden große Risse, und das Licht flutete hindurch: zu euch! Ihr hättet erblinden müssen, wenn nicht die Dichtigkeit eurer Körper einen Schutzwall dagegen bilden würde. – Die dunkle Schicht ist gebrochen. Ein großes Halleluja erklang aus allen Kehlen, und dieser Lobgesang drang auch hinunter auf eure Erde. Diese Millionen Krieger haben nun Christus erlebt, sie durften ihn bewusst in sich aufnehmen, und das ist ein so gewaltiges Erlebnis, dass es durch viele ihrer Inkarnationen weiterwirken wird. Sie alle sind Christen geworden, Streiter des Lichtes, denn Christus hat sie überzeugt und – ob edel oder nicht – die alles vergebende Liebe des Christus hat sie gereinigt. – Nun haben auch wir das große Mysterium dieses Krieges erfasst. Die Kämpfer der Weltenschlachten wurden zu Kämpfern für Christus geweiht! – Jeder von euch, der das erfahren darf, muss es tief in seinem Herzen bewahren und dort Früchte tragen lassen. Dann kann die große Liebestat unseres Christus auch auf der Erde Flammen auf Menschenhäuptern und in Menschenherzen entzünden. Dann feiert ihr mit uns die große Kommunion der Kriegerheere, die ein großes Pfingsten geworden ist. [71] Fragen wir uns: wo spielt diese Szene in der geistigen Welt? – so kommen wir in dieselbe Welt, die am Ende in der Apokalypse beschrieben wird: in das sogenannte Devachan, oder die Sonnenwelt. Nur müssen wir uns bewusst sein, dass diese geistige Sonnenwelt des Devachan (sowohl in ihrer niederen wie höheren Gestalt) am Ende der Erdenentwicklung sich mit der Erde verbindet und sich somit in die Erdensphäre eingliedert: Ja, die Sonne kommt zur Erde und verbindet sich in ihrer geistigen Substanz und ihren höheren Erdenarten mit der Erdensphäre: dass auch sie einst Sonne werde !, wie Christian Morgenstern sagt. Das ist ja der Weg, den die Apokalypse beschreibt, der Weg der Läuterung und Reinigung der ätherischen Erde, damit die Sonne sich mit der Erde verbinden kann. Diese Reinigung der ätherischen Erdensphäre wird uns im Anschluss an die große Christuskommunion der gefallenen Kriegsopfer von derselben Quelle beschrieben. Denn wir sind in diese Ereignisse, die der ätherischen Christusschau

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vorausgehen, schon eingetreten. In welcher Art diese Reinigung sich vollzieht, zunächst in der Gruppe der Krieger, wird uns von derselben Quelle folgendermaßen beschrieben.

13. Dezember 1944. Die Krieger, die noch ihre Aufgaben auf der Erde zu erfüllen haben und noch nicht in das große Heer der Geisteskämpfer aufsteigen dürfen, teilen sich in zwei große Gruppen. Die eine ist die, welche das große Geschehen entweder schon jetzt miterlebt hat, – wenn sie reif und geöffnet dazu war. Die andere Schar ist die, welche den Gegenpol bildet. Sie bleiben wie Schlacken zurück. Das große Feuer konnte sie nicht auflösen, und die Gnade, die auch den Unreifen – sagen wir ruhig: Unwürdigen – zuteil wurde, erleben sie nicht. Für sie, die jetzt noch dauernd für ihr Vaterland fallen und in die geistige Welt übergehen, vollzieht sich das gewaltige Ereignis des Abendmahles der Pfingstfeier laufend weiter. Sie alle werden einbezogen und erschauen den Christus. Seitdem diese gewaltige Feier begonnen hat, wird sie immer weiter vollzogen. Was das bedeutet, kann ich euch eben auch wieder schwer begreiflich machen. Unser ganzer Himmelsraum wird durch diese nicht aufhörenden Erfüllungsströme gereinigt. Sie sind wie ein Band, aus dem auch wir verjüngt – könnte man sagen – heraussteigen. Es ist alles wie von neuem geschaffen. Das Schöpferwort braust ohne Unterbrechung weiter und durchklingt eine Schicht nach der anderen und klärt und säubert alles. Es ist dies eine unsagbar beglückende Wechselwirkung, denn das Schöpferwort, das nun ertönt, konnte erst aufklingen auf der Grundlage der Opfer- und Erkenntniskräfte dieser Tausende, die den großen Offenbarungsgang angetreten hatten. Sie aber wieder brauchten die hingebende Opferliebe unseres Christus, um schauende, erkennende Seelenaugen zu bekommen. – So ist das Ineinanderwirken des Erlösers mit den Erlösten eine Quelle, aus der ohne Unterbrechung Gnadenströme fließen. Viele Krieger auf der Erde haben eine völlig konkrete anschauende Ahnung von den Ereignissen in den Oberwelten. Manche primitiv, andere erleuchtet, aber der Strom, der das Schöpferwort trägt, wird immer größer und seine Macht immer gewaltiger, sodass in Kürze die wenigsten sich diesem Einfluss werden entziehen können. So geht die Reinigung der Sphären von Schichte zu Schichte weiter. Oben von den höchsten Ebenen rieselt es schon wie ein Sternschnuppenregen auf die Erde und in die Erde hinein. Die alte Erde öffnet sich langsam er es Kelch, in den der Sterne Tau fällt. Jedes Lebewesen trinkt durstig dumm goldenen Regen und erfüllt sich mit ihm. Auch in den Reichen der Natur hat eine ungeheure Regsamkeit eingesetzt. Sie wirken in ihrem Reich mit an der Weltenerneuerung. Denkt alle, besonders in den heiligen Nächten, an dies Geschehen. Lest die Worte, die der Seher Johannes niederschrieb: „Im Anfang war das Wort... „ Und dieses Schöpferwort senkt sich nun herab von Stufe zu Stufe in alle Menschenseelen, die eines guten Willens sind. Christus nimmt neu Besitz von der Erdenschöpfung, und dass Er es vermag – in ganz anderer Weise als damals – dazu helfen Ihm die Tausende, die Ihm ihr ganzes Sein hingaben, damit sich eine neue Welt forme. Damals nahm Christus das Leid der Menschheit auf sich, heute muss das Leid dem Christus die Wege bahnen. Und über all diesem Geschehen leuchtet wie damals der Stern von Bethlehem. Friede auf Erden! [71]

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Wie mächtig die Reinigung der Äthersphäre vorausschreitet, das geht ebenfalls aus diesen Mitteilungen hervor. Es sind entscheidungsvolle Kämpfe, die um die Menschheit auf Erden geführt werden.

21. Juni 1944. Der Kampf des Geistes über die Unterwelt, das sind die Kämpfe der Gegenwart. Der Sieg muss kommen, denn Christus selbst ist der Heerführer der Legionen, die hier für den Sieg des Lichtes kämpfen. Ihr dürft diesen gewaltigen Kampf und den Durchbruch des Lichtes noch im physischen Körper erleben. Habt kein Bangen, – es ist so licht um euch – bald wird unser Samenkorn sein neues Leben beginnen dürfen. Fürchtet euch nicht, der Herr ist nahe! Jede Erschütterung der Erde ist hier nur wie eine geschlossene Knospe, die aufspringt – jede Seele, die den Leib verlässt, ist ein neuer Stern auf unserem Himmel. Jedes Herz, das der Schmerz von dem Bande der Materie lockert, ist ein Aufleuchten im Geiste. – So sollt Ihr diese Ereignisse betrachten von einer Schau, die weit über den Hass und seine menschlichen Auswirkungen hinausführt. Diese Stätte ist gesegnet, sie wird die Keimzelle neuer Geistesschau und neuer Geistesentfaltung werden. Der Herr ist nahe, das ist die große Wende zum Geist, die mit Sturmgebraus ihren Anfang nehmen wird. Wenn unser Herr die Erde mit der Spitze seines Fußes berührt, dann wird alles schweigen. Denkt daran, damit Ihr diesen gewaltigen Augenblick „im Geiste“ miterlebt und nicht im Irdischen. – Noch ist die leuchtende Sphäre des Christus über dem Dunkel, das über der Erde lagert, aber über ein Kleines wird der Durchbruch geschehen. Michael, St. Michael bereitet den Durchbruch. Er selbst wird mit seiner Lanze, die das flammende Kreuz trägt, durchstoßen auf den Leib der Erde. Das wird Erlösung sein für die Erde, die Sein Leib ist, wenn der Speer Michaels die Verbindung mit der geistigen Welt wieder erobern wird. [71] In diesem Bild zeichnet sich in großartiger Weise der Einbruch der Michaelsmacht und ihres langsamen schrittweisen Vordringens auf Erden ab. Es sind die Geisteslichtesmächte der Sonne, welche durch Michael den Durchstoß zur Erde vollziehen, um die Finsternisse mit seinem Licht zu erfüllen, damit der Mensch sein Wesen im Ätherschein erschauen kann. Die göttliche Welt, die der Mensch im Devachan als die geistige Sonnenwelt erleben kann nach vollendeter Läuterung, sie ist es, die mit der großen göttlichen Transsubstantiation der Erde im Bild des Ewigen Jerusalems herniedersteigt und sich mit der Erde verbindet: dass auch sie einst Sonne werde! – Damit diese große Kommunion als „Hochzeit des Lammes“ sich vollziehen kann und die Erdenmenschheit die über-irdischen Kräfte des „Lebensbaumes“ aufnehmen kann, die ihr entzogen werden mussten nach der luziferischen Versuchung, deshalb mussten alle diese inneren und äußeren Vorgänge der Katharsis in den ätherischen und astralischen Sphären sich vollziehen, da genau wie es nach dem Tode der Fall ist, nur das geläuterte „Sonnengold“ Aufnahme findet in die Sonnenstadt des „Devachan“. Alle religiösen Eindrücke vom „Paradies“ und seiner Seligkeit, die den Menschen dort nach dem Tod erwartet, stammen aus dieser „Sonnensphäre“ des Devachan und stimmen in allen Religionen miteinander in den großen Zügen überein. In den bereits zitierten Mitteilungen heißt es von diesem Reich der göttlichen Wesen:

Kommt mit mir in die Höhen meines Himmels und folgt mir in Gedanken, wenn ich euch weiter von hier berichte. Das Wesen des sogenannten Devachans oder der höheren Himmelssphäre besteht hauptsächlich aus der harmonischen Ruhe, die aus 428

den gleichmäßigen Empfindungen entsteht. Das ist das erste, so herrlich wohltuende Gefühl, das man hier hat. Da ist nichts mehr, was gegeneinander fließt, keine Ströme, die nur halb sind, keine Gedanken, die sich verkörpern wollen zu allen möglichen Zwecken, wie man es oft erlebt und als große Unruhe empfindet. Unendlich wohltuend ist die plötzliche Ruhe inmitten der Millionen Strömungen, Farbenspiele, Klänge, Gedanken, die aber alle ganz harmonisch ineinander übergehen. Das ist ein Zustand der höchsten Glückseligkeit. Nie ein störender Gedanke, nie etwas Unharmonisches – einfach unbeschreiblich! Ich empfinde auch keinen Schmerz, in keiner Art. Wenn man diesen Himmel erreicht hat, ist das alles überwunden... Merkwürdig geregelt und eingeteilt spielt sich hier alles ab. Nie die geringsten Verschiebungen in den ungeheuren Gedankenfluten, die die Hauptwahrnehmungen im Devachan sind. Es sind das große Ströme von der Intensität eines lodernden Feuers, das aber in weichen abgemessenen Kurven an einem vorüberfließt. „Gottesgedanken“ sind diese Ströme. Man kann in ihnen untertauchen, doch geht dabei zu sehr die eigene Persönlichkeit verloren, der Rausch ist zu groß, und die Kraft zu gewaltig, als dass man, dort versunken, noch alles mit dem Bewusstsein erfassen könnte... Ich habe nun auch angefangen, Ruhe zu genießen. Alles, was ich gesucht habe, habe ich bereits gefunden, und nun bin ich gewappnet vor der Seligkeit stärkstem Strom! Ich fühle mich jetzt ganz ruhig, ohne den geringsten Drang, etwas arbeiten oder nur etwas erringen zu wollen. Nein, jetzt hat für mich das höchste selige Sein begonnen. – Ich lasse jetzt alles an mich herankommen, wie es will, und sollte der große Strom wieder an mir vorbeirauschen, rufe ich ihm zu: „Strom der Liebe, nimm mich mit, heute komme ich mit dir, heute will ich untertauchen in deine heißen Fluten, denn heute bin ich wieder ganz erstarkt. Heute darf ich mich dir ganz hingeben, du Strom Gottes, du gewaltiger, herrlicher Strom!“ [71, 2. Folge] Diese Impressionen können vielleicht ein Empfinden in uns anzeigen von diesen Welten, die den Menschen nach dem Tode aufnehmen, wenn er in das Kosmische sich erweitert, und die in der heiligen Stadt des „himmlischen Jerusalems“ in die Jupiterwelt einmünden. Die Seligkeit, die der Mensch erlebt, der Zugang zu dieser Sphäre findet, die dann seine Heimat wird, rührt im Grunde davon her, dass die Seele in dieser Welt ihre wahre Heimat findet, von der sie seit dem luziferischen Sündenfall getrennt worden ist. Durch Christus empfängt die Seele ihre alte kosmische Heimat wieder zurück, die höheren Lebens-, Liebes- und Lichtäther-Kräfte, die im Bild des „Lebensbaumes“ geschildert werden.

Die Seele wird erst dadurch wieder vollständig, dass sie den Christus in sich aufnimmt. Da bin ich erst ganz Seele, da bin ich erst wiederum, wozu ich durch den göttlichen Ratschluss vom Urbeginn der Erde an bestimmt war. – Bin ich denn wahrhaft eine Seele ohne den Christus? fragt man sich. Man fühlt, man wird erst durch den Christus die Seele, die man hätte werden sollen nach dem Ratschluss der führenden Götter. Das ist das wunderbare Heimatgefühl, das die Seelen haben können mit diesem Christus. Denn aus der uralten kosmischen Heimat der Seele ist der kosmische Christus herabgekommen, um der Menschenseele dasjenige wieder zu geben, was sie auf der Erde durch die luziferische Versuchung verlieren musste. Hinauf führt der Christus die Seele wieder zu ihrer uralten Heimat, die ihr von den Göttern zugeteilt worden ist. „„Das ist das Beglückende, das Beseligende des wirklichen Erlebens des Christus in der Menschenseele... Wenn sich die Menschenseele wirklich einlebt in den Christus, wenn sie den Christus als das lebendige Wesen empfindet, das ausgeflossen ist vom Tod auf Golgatha in die geistige 429

Erdenatmosphäre und das einfließen kann in die Seele, dann fühlt sie sich in der Tat durch diesen Christus innerlich belebt. Sie fühlt einen Übergang von einem Tode zum Leben! [26, S. 203] Um zu den kosmischen Bildern aufzusteigen und sie in unserer Seele wenigstens andeutungsweise nachzuerleben, haben wir diese Zitate gebracht. Vom Gesichtspunkt der Geisteswissenschaft ist es die „neue Welt“ des Jupiter, die als Frucht der Erdenentwicklung dieser als neuer Bewusstseinszustand folgt. Was wird dann als Frucht von der Erdenentwicklung sich zu diesem neuen Zustand hinüberentwickeln? – Allein dasjenige, was ewige geistige und göttliche Kräfte in sich trägt. Werte, die unvergänglich sind. Halten wir heute auf der Erde Umschau nach solchen Werten, so sind sie nicht zu finden in den technischen Entdeckungen und Erfindungen. Alles dies, was heute den technischen Umkreis unserer Zivilisation ausmacht und auf den wir als Errungenschaft unserer materiellen Kultur so stolz sind, wird nicht die Erdenentwicklung überdauern, nur dasjenige, das geistige Kräfte birgt, wie z. B. alle Kunstwerke, in denen schöpferischgeistige Urbilder und Kräfte enthalten sind. Wir kommen da zu seltsamen Gedankengebilden, wenn wir uns vorzustellen versuchen, was aus diesen künstlerischen Werken dann wird auf dem der Erdenentwicklung folgenden Jupiterdasein. Während wir alle materiellen technischen Werkzeuge und Apparate streichen können, da sie keine Fortentwicklung auf dem Jupiter haben werden, werden aus allen künstlerischen Produkten geistig-ätherische Formen entstehen. So wird der Kölner Dom zu einer wunderbaren ätherischen Pflanzenform erblühen auf dem Jupiterdasein, dessen Grundlage nicht mehr das physisch-mineralische Reich sein wird, sondern die pflanzlich-ätherische Welt. Wir bevölkern diese Welt mit unseren Produktionen, die wir auf Erden schaffen. In der Tat formt der Mensch schon heute den Keim des späteren Jupiterdaseins. Alles, was wir auf Erden sprechen, gibt dem Jupiterdasein das feste Grundgerüst, die Gestalt. Alles, was wir an Gefühlen in uns erleben, das bildet die Wärme-Umgebung des Jupiter, seine Atmosphäre. Die Wesen des Jupiter aber werden aus dem menschlichen Willen geboren. In dieser Art ist der Mensch der Gestalter des künftigen Planeten. Alles, was wir heute an Weisheit. Frömmigkeit und Willensstärke in uns tragen, das wird auf dem künftigen Planeten um uns sein als physische Umgebung. Das legt uns die große Verantwortung auf, uns bewusst zu werden, wie wir durch unser moralisches Verhalten schon jetzt Mitschaffer am Weltensein der Zukunft sind! – Dass wir noch nicht am Ende der Menschheits- und Erdenentwicklung mit dem „Himmlischen Jerusalem“ als der „neuen Erde“ angekommen sind, geht ja schon aus der Siebenzahl hervor, die alle zeitliche Entwicklung beherrscht. Das Menschengeschlecht wird sich auch auf dem Jupiter spalten in ein solches, bei dem die Seelen ihr Endziel erreicht haben, die das Jupiterziel erreicht haben werden, und in solche Seelen, die ein Mittelreich bilden werden zwischen dem Menschenreich des Jupiter und dem Tierreich des Jupiter. Das werden Seelen sein, die luziferisch, das heißt bloß geistig da sind; ihren Leib werden sie unten haben, dieser Leib wird ein deutlicher Ausdruck sein ihres ganzen Seeleninnern, sie werden ihn aber nur von außen dirigieren können. Zwei Rassen, die Guten und die Bösen werden sich auf dem Jupiter voneinander unterscheiden. –

Dem Jupiterdasein wird ja noch ein Venusdasein folgen, und ein Ausgleich wird geschaffen werden wiederum durch die weitere Evolution des Christus, aber der Mensch soll gerade auf dem Jupiter dessen angesichtig werden, was es heißt: nur in 430

seinem eigenen Ego vollkommen werden wollen und nicht die ganze Erde zu seiner Angelegenheit machen: Das soll der Mensch einmal durch den ganzen Jupiter-Zyklus hindurch erfahren, indem ihm alles dasjenige dann vor das geistige Auge treten kann, was er im Erdendasein nicht durchchristet hat. Nehmen wir das alles zusammen und gedenken wir von diesem Gesichtspunkte aus des Christus-Wortes, mit dem er hinausschickte seine Jünger in die Welt, zu verkündigen seinen Namen und in seinem Namen die Sünden zu vergeben. Warum in seinem Namen? – Weil diese Sündenvergebung mit seinem Namen zusammenhängt; weil die Sünde nur getilgt und zu lebendigem Leben umgeschaffen werden kann, wenn der Christus mit unseren Erdenresten verbunden sein kann, wenn wir ihn zuerst während unseres Erdendaseins im Sinne des Paulinischen Wortes „Nicht ich, sondern der Christus in mir“ in uns getragen haben... Denn ein so inniger Bund muss geschlossen werden zwischen der Seele und dem Christus, dass die Seele nicht oft genug das Bewusstsein von diesem Bund erneuern kann. Und weil der Christus in der geschilderten Weise mit objektiver Schuld und objektiver Sünde der Menschenseele verbunden ist, so kann die Seele ihr Verhältnis zu dem Christus im alltäglichen Leben am besten dadurch stets sich zum Bewusstsein bringen, dass sie gerade in dem Moment der Sündenvergebung sich an das Dasein des kosmischen Christus erinnert. Es werden diejenigen, die sich im echten Geiste die durchchristete Geisteswissenschaft aneignen, ganz gewiss auch ihre eigenen Beichtväter werden können... Und sie werden, indem sie sich neuerdings ihm angeloben als dem kosmischen Prinzip, ihm im Geiste die Beichte verrichten und in ihrer stillen Meditation die Sündenvergebung von ihm erlangen können. [26, S. 207 ff.] Wie aus der Gestaltung des Tempelbaues in Jerusalem durch den phönizischen Baumeister Hieram Abiff, den Salomo beruft, hervorgeht und an bestimmten Symbolen nachgewiesen werden kann, stammen nicht alle Symbole aus der Symbolik des Judentums oder des Alten Testaments. Die beiden Säulen Jachin und Boas vor dem Tempel sowie das Symbol des Ehernen Meeres stammen aus dem heidnischen Mysterienkreis und sind von Hieram dem Phönizier und „Kainssohn“ zum Tempelbau hinzugefügt. Dadurch kann sich das Wort des Christus aus dem Johannesevangelium erfüllen: Gott ist Geist und wer ihn anbeten will, muss ihn in der Kraft des Geistes und in der inneren Verehrung der Wahrheit anbeten. (Joh. 4,24) Das heißt, die beiden Wege des Kosmischen und Mystischen vereinigen sich in dieser Art. Dabei ergibt sich, dass die heidnischen Symbole, zu denen auch das Symbol des gläsernen Meeres gehört, auf den kosmischen Weg deuten, der in die Sternenwelt weist. In der okkulten Anschauung ist das „gläserne Meer“ das Symbol, das auf das Urbild des Tierkreises deutet, nicht auf den schon entstandenen Tierkreis, sondern auf das geistige Urbild, das erst im Entstehen ist. In diesem Urbild können wir vom Gesichtspunkt der Vergangenheit oder der Zukunft lesen. Man muss da wissen, dass der Tierkreis die letzte und höchste Stufe einer planetarischen Entwicklung ist. Wenn ein Planet die Fixstern stufe der Sonne erreicht hat, dann ist die große Stunde seiner Vollendung gekommen. Sie besteht in dem großen Opfer. Der Fixstern Sonne opfert sich den Wesen hin, indem aus einem Fixstern ein Tierkreis wird, der sich in seine Peripherie auflöst. Das ist die Entwicklung eines Tierkreises. 431

Was in dieser Art vor dem Entstehen des Saturn sich abspielte, war das große Opfer einer vergehenden planetarischen Entwicklungskette, aus der ein neuer Tierkreis entstand, der in vier Kraftpunkten die entstehende Erde umgab. Das sind die vier sogenannten „apokalyptischen Tiere“, die den vier Evangelien als Mensch (Wassermann), Adler, Löwe, Stier beigesellt sind. Dies wird sich am Ende der gegenwärtigen Evolutionskette auf dem Vulkan wiederholen, wo das große Opfer geschieht, durch das ein neuer Tierkreis für ein neues Weltensystem entstehen wird! – In dieser Art verbinden sich in der Symbolik des Salomonischen Tempels die beiden Mysterienwege, die vor Christus getrennt beschritten wurden (als Kains- und Abelweg) und durch Christus erst vermählt worden sind (siehe die „Tempellegende“). Deshalb müssen die Bilder der Apokalypse nicht nur vom mystischen Standpunkt gelesen werden, sie haben auch kosmische Bedeutung, die in die kosmische Sternenwelt weist! – Hieran zeigt sich, dass die Apokalypse im Wesentlichen nicht auf dem mystischen, sondern auf dem kosmischen Wege beruht. Das Matthäusevangelium schildert im Anschluss an die Speisung der 5000 die Szene des dem Christus über das Wasser nachfolgenden Petrus, der dann versinkt, da er das Vertrauen verliert vor dem aufkommenden Sturm. Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und sprachen: „Es ist ein Gespenst!“ und schrieen vor Furcht. Aber Jesus sprach: „Seid getrost, Ich bin, fürchtet euch nicht.“ Petrus aber sprach: „Herr, bist Du es, so heiß mich zu Dir kommen auf dem Wasser.“ Und Er sprach: „Komm her!“ Und Petrus trat aus dem Schiff und ging auf dem Wasser, dass er zu Jesu käme. Er sah aber einen starken Wind, da erschrak er und hob an zu sinken, schrie und sprach: „Herr, hilf mir!“ Jesus aber reckte alsbald die Hand aus, ergriff ihn und sprach zu ihm: „O du Kleingläubiger, warum zweifelst du?“ Und sie traten in das Schiff und der Wind legte sich alsbald. (Mt. 19, 26) Es ist dies eine Imagination für die kosmische Einweihung, wo der Mensch sich mit den Sternen in der Nacht verbindet – aber Petrus schrickt zurück, da ihm der Mut dazu fehlt! Nur das Johannesevangelium berichtet die kosmische Einweihung in seinem Mittelpunktskapitel (Joh. 11), deshalb steht es der Apokalypse auch am nächsten. Erst heute ist es uns möglich, mit Hilfe der anthroposophischen Geisterkenntnis die kosmischen Bewusstseinszustände der Apokalypse zu verstehen, wie sie vom Saturn- bis zum Vulkanzustand die Leiter der Menschheitsevolution umfassen. Und deswegen können wir in diesem Licht die höheren Bewusstseinsstufen der Apokalypse verstehen. Die Menschheit ist heute in ihrer Entwicklung aufgestiegen, um den Christus als kosmisches Wesen zu begreifen und in ihre Schau aufzunehmen. Dazu braucht sie kein äußeres Licht mehr, das innere Licht wird sie erleuchten. Das verheißt der Tempel des himmlischen Jerusalem. Und es wird keine Nacht mehr sein, und sie werden keiner Leuchte bedürfen, noch des Lichtes der Sonne. Denn Gott der Herr wird sie erleuchten, und sie werden regieren mit ihm durch alle Äonen. (Off. 22,5) Das Geisteslicht erleuchtet selbst den Tempel: in seinem Licht erfassen die zu der neuen Bewusstseinsstufe aufgestiegenen Menschen das göttliche Sein. Und er sprach zu mir: „Versiegle die zukunftsweisenden Worte dieses Buches nicht. Die Zeit drängt, es ist an der Zeit! – Wer jetzt dem Guten ferne ist, wird auch künftig dem Guten ferne sein. Wer jetzt voller Trübung ist, wird es auch künftig sein. Wer jetzt aber Anteil hat am höheren Sein, wird auch in Zukunft sein Leben aus dem höheren Sein 432

gestalten können. Und wer geistdurchdrungen ist, wird auch fernerhin Durchgeistigung erfahren. Siehe, ich komme auf einmal. Und ich werde der Herr des Schicksals sein; einem jeden werde ich den Schicksalsausgleich geben, der seinen Taten entspricht.“ (Off. 22,10) Es ist der große Ruf des Parusie, mit dem die Offenbarung des Johannes schließt, der durch die ganze Apokalypse hindurchgeht. Und der Geist und die Braut sprechen: „Komm!“ Und wer diesen Ruf hört, spreche auch: „Komm!“ Und wer da dürstet, der komme. Und wer da will, der schöpfe frei vom Wasser des Lebens! (Off. 22,17) In diesen Worten, in denen sich der Geist so kraftvoll-mächtig als gegenseitig ankündigt, bestätigt Er sich uns als der immer Gegenwärtige. Und darin offenbart sich uns in Tat und Wahrheit die Parusie: „Ich bin bei Euch alle Tage bis ans Ende der Welt!“ (Mt. 28,20) Dass wir diese ewige Kommunion erleben, erfahren und bestätigen mögen, das ist das letzte und tiefste Ziel dieses Buches der Johannes-Apokalypse, die sich in jedem Augenblick der Gegenwart, jetzt und hier erfüllen möge. Und so will jedes Wort dieses heiligen Buches uns Seine Anwesenheit bestätigen als eine immerwährende geistige Transsubstantiation. Ja, so sei es! Und so schließt die Offenbarung mit den Worten: Ich selbst mache jeden, der sie hört, die prophetischen Worte dieses Buches zu einer inneren Kraft. Wem sie nichts sagen, dem wird die geistige Welt dadurch nahe kommen, dass er durch die Prüfungen hindurchgehen muss, die dieses Buch beschreibt. Wem die Worte dieses Buches eine zu schwere Last sind, dem wird die geistige Welt seinen Anteil entziehen am Baume des Lebens und an der heiligen Stadt, wovon in diesem Buch geschrieben steht. – Wer diesen Worten Kraft verleiht, der spricht: „Ja. Ich komme bald.“ Ja, Amen, komme Jesus, unser Herr. Die Gnade Jesu Christi, unseres Herrn, sei mit euch allen. Amen. (Off. Ende)

23. Der apokalyptische Blick Mit diesem Abschnitt möchte ich diese Betrachtungen vollenden: es ist zunächst ein Rückblick auf intime Erlebnisse und zugleich eine Vorausschau, in deren Licht wir die Zukunft sehen und gestalten möchten. Da das Ganze aber sich in so intimen Seelengründen abspielt, lassen Sie es mich in Form einer Erzählung beginnen, – einer Erzählung, die keine Dichtung ist, sondern eigene Erlebnisse spiegelt, die wir in den dunkelsten und schwersten Kriegsjahren während der Japanischen Besetzungszeit in Java, dem damaligen Niederländisch-Indien, gehabt haben. Vielleicht gelingt es mir in dieser Form, den eigentlichen Kern – das Wesen des „apokalyptischen Blickes“ herauszuschälen... Ich beginne mit einer Seite aus meinem Tagebuch aus Indonesien:

Versuche ich, all die Morgengänge in der sonnenglitzernden indischen Landschaft mir vor die Seele zu stellen, so ist es, als ob sie sich zu einem Bilde verdichteten. Es ist ein einziger sonnendurchleuchteter Raum voll segnender, glanzspendender Sonnenwesen. Er wird mir Führer sein im Leben, das die Seele nach dem Tode durchwandern muss. Denn Licht ist Geist. Dass die heutige Physik diese Tatsache 433

nicht anerkennen will, ist eine der Hauptursachen, weshalb sie Goethes Licht- und Farbenlehre missdeutet. Hier, in den ersten reinsten Morgenstrahlen konnte einem die tiefe Wahrheit aufgehen, dass Licht die schenkende Fülle göttlicher Wesenheiten ist, die aus ihrem Opfer alle Kreatur mit ihrer unendlichen Liebe überschütten, erfüllen und vollenden. Vielleicht kann dieses Geheimnis nirgends so tief erlebt werden als in Indien. Wenn die Sonne am Morgen wie ein machtvoll erklingender Ruf sich hinter den blauen Bergen erhebt, wenn die azurne Himmelsbläue in rosafarbenem Schimmer sich zu erhellen beginnt und dann anschwellend in mächtigen Akkorden die grünen Sawahs (Reisfelder) stufenweise hinabflutet: dann kann man nur in Gebetsstimmung sich diesem göttlichen Weihespiel dankend vereinen. Und man fühlt: das Hehrste, zu dem die Seele sich innerlich erheben kann, wenn sie ihre höchsten Ideale erlebt, erglänzt da draußen als Licht, als schenkende Gnade, als Tor des Geistes, als offene Pforte zu den Göttern! – Dieses unaussprechliche Hohe und Reine der sich erschließenden Knospe indischer Morgenfrühe kann man noch lebendiger erfahren, wenn man Worte, die selbst aus dem Licht geboren sind, dem äußeren Licht entgegenträgt, wie sie im Johannesevangelium erklingen: Im Urbeginne war das Wort Und das Wort war bei Gott, Und ein Gott war das Wort. Dasselbe war im Urbeginn bei Gott. Alle Dinge sind durch das Wort geschaffen, Und ohne dasselbe ist nichts geschaffen Von dem Entstandenen. In ihm war das Leben, Und das Leben war das Licht der Menschen, Und das Licht scheint in die Finsternis. Doch die Finsternis hat es nicht begriffen. (Joh. 1)

Dann ist es, als ob die von jungen Sonnenperlen tauende Blüte, die zartgezeichneten Morgenberge zu jauchzen und zu jubeln begännen. Ja, das sprossende Grün der Palmen und Reisfelder beginnt zu tönen, zu sprechen. Wovon spricht es? – Vom Geheimnis der „Auferstehungs-Erde“. Das war der „Kultus“, den ich allmorgendlich feierte, so oft ich den Hügel empor unter den schimmernden Bäumen hinanschritt, dort, wo der kleine Friedhof von Tjaringin liegt. Hier oben, im Anblick des weit erstrahlenden Berg-rundes, das von allen Seiten hereinglänzt, ist mir das Geheimnis der Auferstehungs-Erde aufgegangen. So wie diese sprossenden Gräser, wie diese sich im Morgenlicht wiegenden, atmenden Blüten und Blätter, so wie diese Halme ins helle Licht sehnsuchtsvoll emporstreben: so wird einst deine innerste Seelenfrucht in herrlich ätherischen Lebensströmen zum Geisteslicht auferstehen. Aus deinen besten Gedanken, Wünschen und Sehnsüchten wird die neue Erde, die „terra lucida“, die Jupiter-Erde hervorleuchten. Man kann sie trinken, schon jetzt, von allen sprossenden Blättern und Blüten. Man kann sie einatmen als reinste Himmelsluft... Dann wird die alte Erde wie ein totes Gewand absinken, und aus ihr wird sich erheben, wie Blüte und Frucht, das Christus-Sonnen-Geheimnis der Erde, dem die Menschen sich innerlich vermählt haben werden, das sie gepflegt und zum Blühen gebracht haben, so wie der „Gärtner“ in der ersten Morgenfrühe als Pfleger der „terra lucida“ Maria Magdalena am Ostermorgen erschien. Das war mein Auferstehungserlebnis, das mich erschütterte und durchrüttelte. während rings die 434

Eingeborenendörfer dahinstarben und in Batavia einem aus jeder Straße der Leichengeruch anwehte. Und alle toten Freunde webten und lebten mit im Werdegrün der neuen Erde... Hier allerdings muss ich gestehen, dass ich dies morgendliche „Auferstehungserlebnis“ einem anderen Kultus verdanke, den ich jeden Morgen in der Frühe für mich feierte. Das „Abendmahl“, was ich für mich feierte, war das Bemühen, mich rein geistig mit dem Christus zu verbinden und so im Sinne jener meditativen Versenkung die wahre Transsubstantiation und Kommunion zu erleben – im Sinne einer esoterischen ChristusVereinigung, worauf die folgenden Worte Rudolf Steiners weisen.

Das Abendmahl war für die Menschen, die zu dem Christus hinkommen wollten, ein völliger Ersatz für den esoterischen Weg, wenn sie diesen nicht gehen konnten, sodass sie in dem Abendmahl eine wirkliche Vereinigung mit dem Christus finden konnten. Aber alle Dinge haben ihre Zeit. Freilich, so wahr es ist, dass in Bezug auf das spirituelle Leben ein ganz neues Zeitalter anbricht, so wahr ist es auch, dass der Weg zum Christus, der für viele Jahr-hunderte der richtige war, es auch für viele Jahrhunderte noch bleiben wird. Die Dinge gehen nach und nach ineinander über, aber das, was früher richtig war, wird sich nach und nach in ein anderes verwandeln, wenn die Menschen reif dafür werden. Und dazu soll die Anthroposophie wirken: im Geiste selber etwas Konkretes, etwas Reales zu erfassen. Dadurch, dass zum Beispiel durch Meditationen, Konzentrationen und alles, was wir lernen als die Erkenntnisse höherer Welten, die Menschen reif werden in ihrem Innern, nicht bloß Gedankenwelten, nicht bloß abstrakte Gefühls- und Empfindungswelten zu leben, sondern sich in ihrem Innern zu durchdringen mit dem Element des Geistes, dadurch werden sie Kommunion im Geiste erleben; dadurch werden Gedanken – als meditative Gedanken – im Menschen leben können, die eben dasselbe sein werden, nur von innen heraus, wie es das Zeichen des Abendmahles – das geweihte Brot – von außen gewesen ist. Und wie sich der unentwickelte Christ seinen Weg durch das Abendmahl zu dem Christus suchen konnte, so kann der entwickelte Christ, der durch die vorgeschrittene Wissenschaft des Geistes die Gestalt des Christus kennenlernt, sich im Geiste zu dem erheben, was ja auch in Zukunft ein exoterischer Weg für die Menschen werden soll. Das wird als die Kraft fließen, die dem Menschen eine Erweiterung des Christus-Impulses bringen soll. Aber dann werden sich auch alle Zeremonien ändern, und was früher durch die Attribute von Brot und Wein geschehen, das wird in Zukunft durch ein geistiges Abendmahl geschehen. der Gedanke jedoch des Abendmahles, der Kommunion, wird bleiben. Es muss nur einmal die Möglichkeit gegeben werden, dass gewisse Gedanken, die uns zufließen durch die Mitteilungen innerhalb der Bewegung für Geisteswissenschaft, dass gewisse innere Gedanken, innere Fühlungen ebenso weihevoll das Innere durchdringen und durchgeistigen, wie in dem besten Sinne der inneren christlichen Entwicklung das Abendmahl die Menschenseele durchgeistigt und durchchristet hat. Wenn das möglich wird – und es wird möglich –, dann sind wir wieder um eine Etappe in der Entwicklung weitergeschritten. Und dadurch wird wieder der reale Beweis geliefert werden, dass das Christentum größer ist als seine äußere Form! Denn der hat eine geringe Meinung über das Christentum, der da glaubt, dass es hinweggefegt werden würde, wenn die äußere Form des Christentums einer bestimmten Zeit hinweggefegt wird. Der nur hat die wahre Meinung von dem Christentum, der durchdrungen ist von der Überzeugung, dass alle Kirchen, die den Christus-Gedanken gepflegt haben, alle äußeren Gedanken, alle äußeren Formen zeitlich und daher vorübergehend sind, dass 435

aber der Christus-Gedanke sich in immer neuen Formen hereinleben wird in die Herzen und Seelen der Menschen in der Zukunft, so wenig diese neuen Formen sich auch heute zeigen. – So lehrt uns eigentlich erst die Geisteswissenschaft, wie auf dem exoterischen Wege das Abendmahl seine Bedeutung hatte in früheren Zeiten. [15, 9. Vortrag] Was nun die Seelen dem Christuswesen am meisten erschlossen hat und daher im Mittelalter eine so tief eingreifende Rolle gespielt hat, das war das Erleben der Passionsstufen, wie sie von vielen Christen durchlebt wurden und wie sie im Johannesevangelium geschildert sind als die Fußwaschung, Geißelung, Dornenkrönung, Kreuztragung und Kreuzigung, mystischer Tod, Auferstehung und Himmelfahrt.

Wer seit dem Mysterium von Golgatha bis in unsere Tage herein zu einer übersinnlichen Erfahrung von dem Christus-Ereignis kommen wollte, musste dasjenige auf sich wirken lassen, was Sie in den entsprechenden Vortragszyklen geschildert finden als die sieben Stufen unserer christlichen Einweihung. [15, 10. Vortrag] Worauf es nun bei diesem Weg der Passionsstufen einstmals wie auch heute ankommt, das ist ein intimes Nacherleben, ein Eindringen in das Mysterium der Wandlung oder Transsubstantiation, das zum Erleben der geistigen Aufnahme des Christus auch heute noch unerlässlich ist. Deshalb kann das Nach- und Miterleben von Christi Opfertat nur im Allerheiligsten unserer Seele vollzogen werden. Es besteht nicht in intellektuellen Gedankenerwägungen, sondern führt uns in das Herzerleben von Christi Opfertat. Gewiss: Was im Mittelalter in der Klosterstille den Menschen noch zugänglich war, nämlich das Erleben dieser Empfindungen, die dann bis zu visionären Bildern der Fußwaschung, der Geißelung bis zum mystischen Kreuzestod sich in der Seele des Meditanten verdichteten, das ist dem Menschen in dieser intimen Form einer weltabgeschlossenen Klausur nicht ohne weiteres mehr möglich. Der rosenkreuzerisch-christliche Weg will das Kreuz nicht nur von unten, vom Leibe aus, er will es von oben, vom Geiste aus erfassen. Es geht ihm nicht nur um das Angeheftetwerden an das Kreuz, es geht ihm um die Abnahme, um die Loslösung von unserem Leibes-Schicksals-Kreuz, das wir von oben, vom Geiste aus, erkennen und erfassen wollen – wie es den sieben Passionsstufen in ihrem Zugeordnetsein nach der leiblichen, seelischen und geistigen Seite entspricht. Der mittelalterliche Weg fand seinen Höhepunkt im seelischen Miterleben der vierten Stufe, der Kreuzigung des mystischen Todes. Der rosenkreuzerische Einweihungsweg dringt bis zu den drei letzten geistigen Stufen empor und kommt dadurch zum Erleben des Kreuzes von oben, vom Geiste aus.

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Abb. 33: Die sieben Stufen der christlichen Einweihung

Der Passionsweg führt durch Leib, Seele und Geist. Wir stehen gegenwärtig auf der fünften Stufe, die für uns charakteristische Stufe des Untertauchens in das Böse, die sogenannte Höllenfahrt. Dein diese Stufe muss der heutige Mensch erleben. Erst wenn der Mensch bewusst in das Mysterium des Bösen untertaucht, kann der dunkle Vorhang zerreißen. da ihn vom Geiste trennt. Das ist das wichtige Erlebnis des Geistselbstes, das durch die Höllenfahrt in uns auferstehen will und so aus seiner Gefangenschaft sich vom Seelischen zum Geistigen befreit und aufersteht. Wenn der Mensch dieses Erlebnis durchmacht, dann erwacht er zu dem kosmischen Aspekt des Geistselbstes – und das ist die „Jungfrau Sophia“. wie sie unterm Kreuz in der Gestalt der Mutter Jesu steht und vom Christus als Sophia angesprochen wird. Es ist der im gereinigten Astralleib auferstehende „Heilige Geist“. „Siehe, das ist dein Sohn.“... „Siehe, das ist deine Mutter.“ (Joh. 19,26 f.) Die neue geistige Inspirationsquelle, die dem Lieblingsjünger die Inspiration zum Johannesevangelium erschließt, sie wird uns geöffnet durch das Erlebnis der Höllenfahrt, der fünften Stufe auf dem Passionsweg, womit wir die Geistmysterien betreten. Was aber wurde durch das innere Erleben der Passionsstufen bewirkt? Etwas höchst Bedeutsames, was wir erst heute durch die Erkenntnis der Geisteswissenschaft durchschauen können. Bekanntlich sind viele Schüler auf dem christlichen Einweihungswege im Mittelalter bis zum Erleben der Stigmata – der von Blut durchtränkten Stellen der Wundmale des Christus vorgedrungen – wie Franziskus von Assisi.

Vielleicht ist es noch nicht allen von Ihnen... aufgegangen, dass durch die Intensität der Empfindungen, welche dabei durchgemacht werden sollen, wirklich hineingewirkt wird bis in die physischen Leiber. Denn durch die Stärke und die Gewalt, mit der wir diese Empfindungen durchmachen, spüren wir, wie wenn Wasser zunächst unsere Füße umspülte, wenn Wunden uns versetzt würden, spüren wirklich so etwas, wie wenn die Dornen in unser Haupt hineingestoßen würden, spüren wirklich alle Schmerzen und Leiden der Kreuzigung – und müssen das spüren, bevor wir die Erlebnisse des mystischen Todes, der Grablegung und der Auferstehung spüren können... Wenn man nicht genügend intensiv diese Empfindungen durchmacht, haben sie freilich auch die Wirkung, dass wir kräftig und liebevoll werden im rechten Sinne des Wortes: aber was uns da einverleibt wird, das kann nur bis zum Ätherleibe gehen. Wenn wir aber anfangen, es bis in unseren physischen Leib zu spüren – die Füße von Wasser umspült, den Leib wie von Wunden bedeckt –, dann haben wir 437

stärker diese Empfindungen in unsere Natur hineingetrieben und haben erreicht, dass sie vorgedrungen sind bis zum physischen Leib. Sie dringen ja auch wirklich bis zum physischen Leib vor; denn es kommen die Stigmata, die von Blut durchtränkten Stellen der Wundmale des Christus Jesus hervor, das heißt also, bis in den physischen Leib treiben wir die Empfindungen hinein und wissen, dass selbst bis in den physischen Leib die Empfindungen ihre Stärke entfalten, wissen also, dass wir uns von unserer Wesenheit mehr ergriffen fühlen als etwa bloß Astralleib und Ätherleib. Es ist also im Wesentlichen so zu charakterisieren, dass wir durch einen solchen Vorgang mystischer Empfindungen bis in unseren physischen Leib hinein wirken. Wenn wir das tun, machen wir nichts Geringeres, als dass wir uns bereit machen in unserem physischen Leibe, das Phantom nach und nach zu empfangen, das ausgeht von dem Grab auf Golgatha. Wir arbeiten deshalb in unseren physischen Leib hinein, um denselben so lebendig zu machen, dass er eine Verwandtschaft, eine Anziehungskraft fühlt zu dem Phantom, das sich auf Golgatha aus dem Grabe erhoben hat. [15, 10. Vortrag] Mit dem „Phantom“ und seiner Beziehung zum Christus berühren wir das esoterische Kernproblem des Mysteriums von Golgatha. Ist doch das sogenannte Phantom die Formgestalt des Menschen, welche als ein Geistgewebe die physischen Stoffe und Kräfte verarbeitet, sodass sie in die Form hineinkommen, die uns als der Mensch auf dem physischen Plane entgegentritt. Diese reine Formgestalt, die dem physischen Leibe zugrunde liegt und die als solche unsichtbar ist, sie wurde durch den luziferischen Sündenfall korrumpiert. Deshalb heißt es, wie es im Alten Testament ausgedrückt ist, dass auf den Sündenfall der „Tod“ folgt. (Vgl. S. 322) Der Tod war eben die Zerstörung des Phantoms des physischen Leibes. Und die Folge davon war, dass der Mensch zerfallen sehen muss seinen physischen Leib, wenn er durch die Pforte des Todes schreitet. Diesen zerfallenden physischen Leib, dem die Kraft des Phantoms mangelt, hat der Mensch überhaupt sein ganzes Erdenleben hindurch, von der Geburt bis zum Tode. Das Zerfallen ist fortwährend eigentlich vorhanden, und das Zersetztwerden – der Tod des physischen Leibes – ist nur der letzte Prozess, der Schlussstein einer fortdauernden Entwicklung, die im Grunde genommen fortwährend geschieht. Denn wenn nicht in gleicher Art, wie die Zerstörung des Phantoms vor sich geht. durch Aufbauprozesse diesem Abbauen entgegengetreten wird, kommt es schließlich zu dem, was wir Tod nennen. [15, 7. Vortrag]

Und hier zeigt sich die fundamentale Entdeckung der Heilkraft durch den Christus-Impuls, wenn wir diesen durch die geistige Kommunion bis in die Geistgestalt unseres Wesens – das Phantom – aufnehmen. Eine Erkenntnis, von der Rudolf Steiner im Jahre 1911 im Karlsruher Zyklus „Von Jesus zu Christus“ sagt, dass sie ihm erst jetzt aus seiner Forschung aufgegangen ist. Hier erweist das Pauluswort Der Tod ist der Sünde Sold (Röm. 6,23) seine tiefe Wahrheit; denn der Tod ist die unmittelbare Folge des luziferischen Sündenfalles, durch den die geistige Formgestalt des menschlichen Leibes zerstört wurde. Und niemand kann diese wieder aufbauen, nur die Christuskraft ist es, die diese Zerstörung aufheben und wieder ausgleichen kann! Dieses Band der Anziehungskraft zu dem Christus-Leib kann der Mensch durch eigene Bemühung herstellen.

Das ist es, was eigentlich Paulus sagen will: Wie der Mensch, indem er als Angehöriger der physischen Entwicklungsströmung den physischen Leib erbte, an dem sich fort und fort die Zerstörung des Phantoms, des Kräfteträgers, vollzog, so kann ererben von dem, was auferstanden ist aus dem Grabe, dasjenige, was er verloren hat; kann es erben, sich anziehen, wie er den ersten Adam angezogen hat, 438

kann mit ihm eins werden – und dadurch eine Entwicklung durchmachen, durch die er ebenso hinaufsteigt wieder, wie er vor dem Mysterium von Golgatha heruntergestiegen ist in der Entwicklung. Das heißt: Was ihm dazumal genommen worden ist durch den luziferischen Einfluss, das kann ihm wiedergegeben werden dadurch, dass es vorhanden ist als auferstandener Leib des Christus. Das heißt: Wir müssen uns das, was aus dem Grabe auferstanden ist, so in die Zahl schließend, so sich vermehrend denken, wie die Eizelle sich vermehrt, die dem physischen Leibe zugrunde liegt. So kann sich in der Tat in der Entwicklung, die auf das Ereignis von Golgatha folgt, jeder Mensch etwas erwerben, was in ihm ist und was geistig abstammt ebenso von dem, was aus dem Grabe auferstanden ist, wie – mit Paulus gesprochen – der gewöhnliche Leib, der zerfällt, von Adam abstammt. [15, 7. Vortrag] Das ist die Rettung der korrumpierten, zerfallenden menschlichen Gestalt. Diesen okkulten Zusammenhang konnte Rudolf Steiner offenbar erst nach einer gewissen Vorbereitung aussprechen:

Es musste so lange gewartet werden, bis der Zusammenschluss des Subjektiven mit dem Objektiven gefunden werden konnte, wozu eben viele Vorträge vorangehen mussten. So kann manches auch heute nur als halbe Wahrheit“ angedeutet werden. Wer Geduld hat, um mit uns zu gehen... wer gesehen hat, wie aufgestiegen werden konnte von der Beschreibung des mystischen Weges im christlichen Sinne bis zur Beschreibung der objektiven Tatsache dessen, was eigentlich der Sinn dieser christlichen Einweihung ist, der wird auch sehen, dass noch viel höhere Wahrheiten aus der Geisteswissenschaft heraus im Verlaufe der nächsten Jahre oder des nächsten Weltalters werden zutage gefördert werden. [15, 10. Vortrag] Und wir können das beglückende Empfinden haben, dass wir an dieser Arbeit teilnehmen dürfen, wenn wir in diesen Strom eintauchen. Denn darin zeigt sich die esoterische Bedeutung der Apokalypse. Sie ist nicht nur zu unserer Belehrung geschrieben, sondern sie will das geistige Auge in uns erwecken: „den apokalyptischen Blick“. Worin besteht dieser? – Es ist ein geheimnisvoller Prozess, der dadurch in unserer Seele bis in die feineren Lebensbildekräfte unseres Ätherleibes vorgeht. Denn die Bilder der Apokalypse haben die Kraft, bis in die Organisation unseres Ätherleibes hineinzuwirken, umgestaltend, aufbauend und erneuernd. Diese Einwirkung und Umwandlung vollzieht sich während des nächtlichen Schlafes. Je stärker die Empfindungen sind, die dadurch in uns angeregt werden, umso intensiver die Anziehungskraft in unserer Seele zu dem in uns einströmenden Auferstehungsleib des Christus.

Es ist also im Wesentlichen so zu charakterisieren, dass wir durch einen solchen Vorgang mystischer Empfindungen bis in unseren physischen Leib hineinwirken. Wenn wir das tun, machen wir nichts Geringeres, als dass wir uns bereit machen in unserem physischen Leibe, das Phantom nach und nach zu empfangen, das ausgeht von dem Grabe auf Golgatha. Wir arbeiten deshalb in unseren physischen Leib hinein, um denselben so lebendig zu machen, dass er eine Verwandtschaft, eine Anziehungskraft fühlt zu dem Phantom, das sich auf Golgatha aus dem Grabe erhoben hat. [15, 10. Vortrag]

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Der Mensch ist durch seine Organisation gewohnt, die äußere Sinnesweit als ein Feld der Vergangenheit zu betrachten. Man kann in dieser Beziehung von der „Werk-Welt“ sprechen, in der uns das Werk der Götter als das vollendete Werk des göttlichen Schaffens der Vergangenheit entgegentritt. Nur selten kommt uns, wie bei Goethe, statt der Welt des Gewordenen die Welt des Werdens entgegen, die noch den Hauch der taufrischen Kindheit und Jugend m sich trägt, die eben aus des Schöpfers Hand hervorgegangen zu sein schaut. Dieser taufrische Hauch wird erst dann in uns angeregt, wenn wir eintauchen in den Bronn geistiger Wandlung. Dieser Bronn öffnet uns die Augen für die ätherischen Werdekräfte, die durch die starren Formen der Welt des Gewordenen hindurchzuschimmern beginnen, die sichtbar wird, wenn der Strom der Wandlung, der Transsubstantiation uns im Innern ergreift. Wir haben angedeutet, wie dies möglich ist. Ist doch die ganze Offenbarung des Johannes in ihrem Aufbau ein fortschreitendes Geschehen der Transsubstantiation. Im Hineinleben in die Bilder dieses Stroms werden wir von dieser Wandlungskraft ergriffen und wir erleben jetzt die Sinneswelt um uns in anderer Art. Wir fühlen, wie uns überall entgegenkommt, was als zukunftsträchtige Kräfte der Zukunft im Urbild sich uns aufdrängen und schenken will. Ja, „die Zukunft hat schon begonnen“! Der apokalyptische Blick erlebt sie, je durchsichtiger die gewordene Welt der Vergangenheit um uns wird, umso fordernder, schicksalsbestimmender. Aber es geht hier nicht allein um das Durchsichtigwerden der äußeren Natur, der „Werk-Welt“, es geht um das Herankommen des Christus in der Äthergestalt. womit zugleich das Amt vom Christus übernommen wird, welches das Jüngste Gericht einleitet. Dessen sollten wir uns bewusst sein, welch einschneidendes Ereignis hiermit verbunden ist. (Vgl. S. 58) Und dieses Ereignis wird ebenso grundlegende Bedeutung für die Entwicklung der Menschheit haben wie das Ereignis von Palästina... Und dadurch, dass dieses Ereignis sich vollzieht..., dadurch wird die Möglichkeit geschaffen, dass eben die Menschen den Christus sehen lernen, schauen werden. Welches ist dieses Ereignis? Dieses Ereignis ist kein anderes, als dass ein gewisses Amt im Weltall für die menschheitliche Entwicklung in dem 20. Jahrhundert übergeht – in einer höheren Weise übergeht, als das bis jetzt der Fall war – an den Christus. Und zwar lehrt uns die okkulte, die hellseherische Forschung, dass in unserem Zeitalter das Wichtige eintritt, dass der Christus der Herr des Karma für die Menschheitsentwicklung wird. Und ist der Beginn für dasjenige, was wir auch in den Evangelien finden, mit den Worten angedeutet: Er werde wiederkommen „zu scheiden“ oder die Krisis herbeizuführen für die Lebendigen und die Toten!

Nur ist im Sinne der okkulten Forschung dieses Ereignis nicht so zu verstehen, als ob es ein einmaliges Ereignis wäre, das auf dem physischen Plan sich abspielt, sondern es hängt mit der ganzen zukünftigen Entwicklung der Menschheit zusammen. Und während das Christentum und die christliche Entwicklung bisher eine Art von Vorbereitung bedeutet, tritt jetzt das Bedeutsame ein, dass der Christus der Herr des Karma wird, dass ihm obliegen wird in der Zukunft zu bestimmen, welches unser karmisches Konto ist, wie unser Soll und Haben im Leben sich zueinander verhalten. Dies, was jetzt gesagt wird, ist eine gemeinsame Erkenntnis des abendländischen Okkultismus seit vielen Jahrhunderten und wird von keinem Okkultisten, der diese Dinge weiß, geleugnet. [15, 3. Vortrag] Dieses Ereignis der aufgehenden Christusschau, womit der Christus in das Amt des „Herrn des Karma“ eintritt, was gleichbedeutend ist mit dem Beginn des „Jüngsten Gerichts“, es kündigt sich dadurch an, dass der Mensch nach Ablegung seines physischen Leibes bisher ein besonderes, spezielles Erlebnis hatte. Da erlebte der Mensch die Begegnung mit einer ganz bestimmten Wesenheit, die ihm sein karmisches Konto vorhielt. 440

Und diese Individualität war die Gestalt des Moses. Daher kommt die mittelalterliche Formel, die aus dem Rosenkreuzertum stammt: Moses halte dem Menschen in der Stunde des Todes das Sündenregister vor und weise zugleich auf das „scharfe Gesetz“, damit der Mensch erkenne, wie er von diesem abgewichen ist! – Dieses Amt geht in unserer Zeit an den Christus Jesus über, sodass der Mensch immer mehr dem Christus Jesus als seinem Richter begegnet.

Das ist das übersinnliche Ereignis. Genau ebenso wie sich auf dem physischen Plan zu Beginn unserer Zeitrechnung das Ereignis von Palästina abgespielt hat, so spielt sich die Übertragung des karmischen Richteramtes an den Christus Jesus in unserem Zeitalter in der nächsthöheren Welt ab. Und diese Tatsache ist es, die so hereinwirkt in die physische Welt, dass der Mensch ein Gefühl dafür entwickeln wird in der Art: mit alledem, was er tut, schafft er etwas, gegenüber dem er dem Christus Rechenschaft schuldig sein wird. – Und dieses Gefühl, das in einer ganz natürlichen Art im Verlaufe der Menschheitsentwicklung auftritt, wird sich umgestalten, sodass es die Seele mit einem Lichte durchtränkt, das von dem Menschen selber ausgeht und das beleuchten wird die Christus-Gestalt innerhalb der ätherischen Welt Und je mehr dieses Gefühl, das eine erhöhtere Bedeutung noch haben wird als das abstrakte Gewissen, sich ausbilden wird, desto mehr wird die Äthergestalt des Christus in den nächsten Jahrhunderten sichtbar werden. [15, 3. Vortrag] Was heißt das anderes, als dass das Licht unserer menschheitlichen Verantwortung uns den ätherischen Christus immer mehr sichtbar macht! Und damit sind wir eingetreten in die Sphäre einer moralischen Menschheitsverantwortung. die das Jüngste Gericht kennzeichnet. Dieses menschliche und menschheitliche Verantwortungsbewusstsein ist heute im Erwachen. Es regt sich unbewusst heute in vielen Kreisen! Und hiermit hängt zusammen, was der Christus als „Herr des Karma“ übernehmen wird. Da der Christus als Menschenbruder für die ganze Menschheit gestorben ist, lebt er im Geist mit der ganzen Menschheit, die er in innerer Verantwortung trägt. Daher wendet er in seinem karmischen Richteramt sich weniger an den einzelnen Menschen, sondern an die ganze Menschheit. Sein Ruf geht an die Menschheitsverantwortung. Und deshalb sucht er das Karma der einzelnen Menschen so zu regeln, dass es sich im besten Sinne in das Ganze der Menschheitsentwicklung hineinstellt. Schon im Rosenkreuzerdrama „Die Pforte der Einweihung“ wird dargestellt, dass die Einweihung von Johannes und Maria im 3. Bilde nur durch das gemeinschaftliche Karma dieser beiden Individualitäten zustande kommt. Und dieser Impuls, durch den der einzelne unlösbar mit der Gemeinschaft verbunden ist – bis in die intimste karmische Verantwortung und Verbindlichkeit – er wird unter der Führung des Christus als „Herr des Karma“ ins unermessliche wachsen. Der Mensch, der eine karmische Schuld auszutragen hat, wird so ins Ganze der Menschheit hineingestellt, dass er bei der Abtragung seiner Schuld zugleich dem Ganzen dient, sodass dies dem Fortschritt und der Weiterentwicklung der Menschheit dient. So kommt es zu einer Verflechtung des Einzelkarmas mit dem Karma der ganzen Menschheitsentwicklung. Damit ist verbunden eine Art Vorausschau unseres karmischen Ausgleiches – man möchte sagen – eine prophetische Vorausschau eines Gewissens, das sich erst in der Zukunft erfüllt.

Immer mehr und mehr Menschen werden von der jetzigen Zeit, von der Mitte dieses Jahrhunderts an durch die nächsten Jahrtausende folgendes Erlebnis haben. – Der Mensch wird dieses oder jenes getan haben. Er wird sich besinnen, wird aufschauen 441

müssen von dem, was er getan hat – und es wird etwas wie eine Art Traumbild vor dem Menschen erstehen. Das wird einen ganz merkwürdigen Eindruck auf den Menschen machen. Es wird sich sagen: „Ich kann mich nicht besinnen, dass es eine Erinnerung wäre an etwas, was ich getan habe; dennoch aber ist es so, wie wenn es mein Erlebnis wäre.“ Wie ein Traumbild wird es dastehen vor dem Menschen, ihn recht angehend, – aber er kann sich nicht erinnern, dass er es in der Vergangenheit erlebt oder getan hat. Der Anthroposoph aber wird wissen: „Was du da siehst wie eine Folge deiner Taten, das ist ein Bild, das sich in der Zukunft mit dir vollziehen wird, voraus erscheint dir der Ausgleich deiner Taten!“ Die Epoche fängt an, in welcher die Menschen in dem Augenblick, wo sie eine Tat getan haben, eine Ahnung, vielleicht sogar ein deutliches Bild, eine Empfindung haben werden. wie der karmische Ausgleich dieser Tat sein wird. [15, 10. Vortrag] Was aber geht aus all diesen Andeutungen hervor? – Dass die Kluft, die zwischen der Sinnen- und Geisteswelt wie eine undurchdringliche Wand steht, immer durchsichtiger, transparenter wird. Ja, durch das Herankommen des ätherischen Christus kommt zugleich eine geistige Sphäre an die Menschen heran, welche das Bewusstsein der Menschen, die sich dafür ein Organ erworben haben, aus der starren und kompakten Materialität befreit, erweitert und durchlichtet. Die Grenzen zwischen der Sinnes- und Geisteswelt werden soweit durchlässig werden, dass damit auch die Kluft, die der Tod aufreißt, weitgehend durch das Miterleben der übersinnlichen Vorgänge überwunden und überbrückt werden wird. Es bereiten sich heute schon in der geistigen Welt ätherische Verleiblichungen für die Zukunft vor, wo Menschen sich in einem verdichteten Ätherleib inkarnieren werden, damit den Übergang vorbereitend in die Epoche der ätherischen oder „Halb-Inkarnationen“, die sich erfüllen wird, wenn die geschlechtliche Fortpflanzung einer geistigen weichen wird, worauf das erste Siegel des Menschensohnes mit dem zweischneidigen Schwert aus seinem Munde hinweist. Denn dann wird durch die magische Kraft des Wortes die Fortpflanzung im Ätherischen sich vollziehen. All diese Verwandlungen, die bis ins Physische stattfinden, sie werden die Folgen jener Kraft sein, welche durch die ätherische Christusgestalt die Menschen zur Teilnahme an der übersinnlichen Welt emporhebt, um sie zu vergeistigen. Und was bedeutet dies? – Nun dieses, dass die Wandlungskraft der sogenannten Transsubstantiation, welche durch das Mysterium von Golgatha eingeleitet wurde, immer intensiver bis ins Physische der Menschheit eingreifen wird. Ja: das ist der apokalyptische Blick, der die starren Wände der Materie durchleuchtet und die große Erden-Menschheits-Transformation inauguriert. Dies Geschehen wurde ausgelöst, als das Blut auf Golgatha floss und die Erde die neue Kraft zur Durchgeistigung empfing. Von dieser Vergeistigung der menschlichen Leibesform kann man sich eine Anschauung machen, wenn man die Evangelienberichte von dem Erleben der Jünger liest, die dem Auferstandenen begegnen. Matthäus fügt diesen Berichten hinzu: Etliche aber zweifelten. (Mt. 28,17) Zu diesen gehört auch Thomas, der dem Bericht der Jünger entgegenhält: „Wenn ich nicht die Nägelmale in seinen Händen sehe... werde ich es nicht glauben“ Darauf antwortet der Auferstandene, als er am folgenden Sonntag den Jüngern wiedererscheint: „Reiche deinen Finger und siehe meine Hände, und reiche deine Hand und lege sie in meine Seite. Und bleibe nicht starr in deinem Herzen, sondern fühle meine Kraft in dir. Und du wirst etwas sehen, wenn du dich nicht bloß auf das Gesicht von außen verlässt, sondern dich durchdringst mit der inneren Kraft.“ (Joh. 20) Die Jünger sehen sich hierbei vor 442

eine Prüfung gestellt, da sie den Auferstandenen in einer ätherisch-geistigen Gestalt erleben und daher nicht ohne weiteres wiedererkennen. Und eben diese Situation wiederholt sich heute beim Erleben des „ätherischen Christus“.

Er war nicht für alle sichtbar, weil es eigentlich nur ein verdichteter Ätherleib war, den der Christus nach der Auferstehung trug. Aber das, was ins Grab gelegt worden war, das zerfiel zu Staub. Und nach den neuesten okkulten Forschungen stellte sich in der Tat das ein, dass ein Erdbeben stattgefunden hatte, im Matthäusevangelium ist dieses angedeutet zu finden. Es spaltete sich die Erde, der Staub des Leichnams fiel hinein und verband sich mit der ganzen Substanz der Erde. Durch das Durcheinanderrütteln infolge des Erdbebens wurden die Tücher so gerüttelt, wie man sie dort nach der Beschreibung des Johannesevangeliums beschrieben findet. Es ist das im Johannesevangelium wunderbar geschildert. [19, S. 223] So wie der Auferstandene nicht allein durch das passive, innerlich unbeteiligte Sehen von den Jüngern wahrgenommen und erkannt werden konnte, wenn sie sich nicht mit der inneren Kraft durchdrangen, so wird auch die Äthergestalt des Christus nur der inneren geistigen Kraft – dem apokalyptischen Blick sichtbar werden: Wir stehen gegenwärtig wieder an dieser Schwelle des Übergangs von dem rein physischen Wahrnehmen zum Erleben der geistigen Äthergestalt. Diese bisher mehr unterschwellig wirkende Kraft tritt immer mehr als Keimkraft der Zukunft auf und beginn zunächst das Bewusstsein einzelner Jünger zu beseelen. Wir beschließen unsere Betrachtung über diese geist-magische Wandlungskraft, die die ganze Offenbarung des Johannes durchzieht, mit dem Gebet, mit der Bitte, in die Johannes seine Schilderung ausklingen lässt: Ja, Herr Jesu, komme, komme bald, o Herr! „Ja, komme bald!“... Amen. (Off. 22,20 f.)

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Anhang I – Geisteswissenschaftliche Begriffe Die Planetenentwicklung Alle Entwicklung innerhalb der Zeit läuft in Siebenerschritten ab. Somit gibt es sieben „Verkörperungen“ jenes Planeten, auf dem der kosmische Adam sich während der „Weltentage“ (Manvantaras) entwickelt. Zwischen den einzelnen Entwicklungsabschnitten liegt eine „Weltennacht“ (Pralaya), während der der kosmische Adam „schläft“. Die Menschheit begann ihre leibliche Entwicklung auf dem Alten Saturn, wo die Grundlage des heutigen physischen Körpers gebildet wurde. Dieser Planet war allerdings noch kein physischer Himmelskörper; mit nicht-geistigen Sinnesorganen ausgestattet könnten wir ihn lediglich anhand von Wärmeschwankungen wahrnehmen. Auf der Alten Sonne wurde der Ätherleib veranlagt, auf dem Alten Mond der Astralleib. – Auf jedem Planeten konnten jedoch nicht alle Menschenanlagen mit der Entwicklung schritthalten; die übrig bleibenden „Nachzügler“ bilden ein individuelles Naturreich auf dem jeweils nächsten Planeten, sodass die heutige Erde als 4. Planet auch vier Reiche enthält. Gegenwärtig befinden wir uns in der 2. Hälfte der Erdentwicklung, die in die Mars- und Merkurperiode zerfällt. Zwischen beiden Hälften steht das Mysterium von Golgatha. Nr. I II III

Bezeichnung Alter Saturn – geistig geistige Wärme Alte Sonne – astral Luft und Licht Alter Mond – ätherisch flüssig, holzartig 1. Marsperiode

IV

V

Erde

2. Merkurperiode Neuer Jupiter – ätherisch „das Neue Jerusalem“

VI

Neue Venus – astral

VII

Vulkan – geistig

Wochentage 277 dies Saturni Saturday dies Solis Sunday dies Lunae Monday dies Martis Tuesday (Ziu) dies Mercurii Wednesday (Wotan) dies Jovis Thursday (Thor) dies Veneris Friday (Freya)

Menschheitsentwicklung Urbild des physischen Leibs Der Ur-Adam Urbild des Lebenskräfteleibes „Menschen“; „Tiere“ Urbild des Seelenleibes Tiermenschen; Pflanzentiere; Mineralpflanzen Das Ich zieht ein Mensch; Tier; Pflanze; Mineralien Imaginatives Bewusstsein Überphysisches Bewusstsein Spirituelles Allbewusstsein

Abschnitte der Erdentwicklung Die gesamte Entwicklung auf der Erde ist in 7 große Epochen unterteilt. Jede Epoche ist eine Wiederholung vorangehender bzw. eine Vorausnahme späterer Planetenzustände; in der polarischen Zeit wurde beispielsweise das, was auf dem Alten Saturn veranlagt wurde, den Erdenverhältnissen entsprechend nach der vorangehenden Weltennacht wieder „ausgewickelt“ (Evolution = Auswicklung). Lemuris und Atlantis bezeichnen nicht nur eine Epoche, sondern auch untergegangene Kontinente. Jede Epoche ist wiederum siebenteilig. Die Abschnitte der gegenwärtigen Erdepoche, der nachatlantischen Zeit, werden „Kulturperioden“ werden; damit werden diejenigen 277

Die lateinischen Wochentage sind zusammengesetzt aus dies „Tag“ und dem jeweiligen Planeten im Genitiv, also dies Saturni ist „Tag [des] Saturns“. Der Nominativ zu Jovis und Jupiter, derjenige zu Veneris ist Venus.

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Zivilisationen bezeichnet, die bestimmte Fähigkeiten entwickeln, die anschließend der gesamten Menschheit zuteil werden können. Die Kulturperioden spiegeln sich um die vierte herum. Für die atlantische Zeit sprach man von sieben „Wurzelrassen“. Die letzten beiden Erdepochen haben keine Namen. Kulturperioden der gegenwärtigen Erdepoche

Erdepoche I. Polaris II. Hyberboräa III. Lemuris IV. Atlantis V. Nachatlantische Zeit VI. - (Zeit der apokalyptischen Siegel) VII. - (Zeit der 7 Posaunen)

Entwicklungsschwerpunkt

1. Urindische Kultur 2. Urpersische Kultur 3. Ägyptisch-chaldäische Kultur

Ätherleib Astralleib Empfindungsseele

4. Griechisch-römische Kultur

Verstandesseele

5. Mitteleuropäische Kultur 6. Slawische Kultur 7. Amerikanische Kultur

Bewusstseinsseele Geistselbst Lebensgeist

Daseinsebenen und Bewusstseinsstufen Alle der folgenden sieben Bewusstseinsstufen werden die Menschen, die nicht aus der Entwicklung aussteigen, am Ende des sogenannten „Vulkan“ in harmonischer Form entwickelt haben. Die drei unter dem Menschen stehenden Naturreiche auf der Erde befinden sich noch auf Bewusstseinsstufen, die denjenigen ähneln, die der Mensch auf früheren Planetenzuständen innehatte. Nur das Bewusstsein der höheren Tiere ist für uns einigermaßen nachvollziehbar: Es ähnelt manchen unserer Träumen – gedankendurchwoben, aber nicht selbstbewusst und reflektierend. – Die Engel der dritten Hierarchie verfügen heute schon über vom Menschen noch zu entwickelnde Bewusstseinsstufen. Bewusstseinsstufe

Diese Stufe wird entwickelt auf ...

Wesenheit, die gegenwärtig die jeweilige Bewusstseinsstufe innehabt

Intuition Inspiration Imagination

Vulkan neue Venus neuer Jupiter

Zeitgeister Erzengel Engel

Tagesbewusstsein

Erde

Mensch

Bilder (Träume) Tiefschlaf Trance

Alter Mond Alte Sonne Alter Saturn

Tiere Pflanzen Mineralien

Die folgenden Daseinsebenen sind dem Eingeweihten bekannt oder ggf. auch selbst wahrnehmend und handelnd zugänglich (die höchste buddhistische Einweihung oder Erleuchtung eröffnet den Zutritt zum Nirvanaplan). Sie alle tragen dazu bei, dasjenige zu „verursachen“, was wir in der Sinnenwelt aus Wirkungen wahrnehmen. Die Gesamtwesenheit des auf der Erde inkarnierten Menschen erstreckt sich über mehrere dieser Plane: Er hat einen physischen Körper, den ätherische Kräfte beleben; er hat Anteil an den Empfindungen und Gefühlen der Seelenwelt; er hat die Fähigkeit zur selbständigen Entscheidung, zum eigenen Urteil und zum Irrtum (er ist nicht gezwungen, die Wahrheit denken zu müssen!).

445

Daseinsebene, „Plan“

Unterteilungen physisch

Physischätherischer Plan

höhere Seelenwelt

Erde – Wasser – Luft Aggregatzustände der Materie Wärme – Licht – Klang – Treibende Kraft der Leben Veränderungen Begierden, Empfindung, Wünsche Lust und Unlust (Sympathie/Antipathie) Seelenlicht, Seelenkraft, Seelenleben

unteres Devachan „Himmel“ oberes Devachan

Sphärenharmonie Urbilder von Physischem, Lebendigem, Seelischem und Geistigem Keimpunkte des Seelischen, Lebendigen und Physischen

ätherisch

Astralplan / Seelenwelt / imaginative Welt

Kamaloka

Mentalplan / geistige Welt

Erlebnisse

Buddhiplan Nirvanaplan ...

Welt der Vorsehung und der Urbilder Geistiger Wesenskern des Menschen

Die Wesensglieder des Menschen Die Wesenheit des Menschen kann in ganz verschiedener Weise unterteilt werden. Am einfachsten kann man sagen: Der Mensch besteht aus Körper, Seele und Geist (eine 3heit). Etwas verfeinert spricht man vom physischen Körper, den ätherische Kräfte formen und rhythmisierend am Leben erhalten (eine 4heit). Noch feiner gegliedert erhält man einen dreifachen Geist, eine dreifache Seele und drei „Leiber“ (eine 9heit). – Das Wort „Astralleib“ bezeichnet eigentlich die während des Erdenlebens enge Verbindung aus Empfindungsseele und Empfindungsleib, es wird aber auch stellvertretend für „Empfindungsleib“, ja sogar für „Seele“ im Allgemeinen verwendet. Auch Bewusstseinsseele und Geistselbst sind so eng verbunden, dass man aus die drei Dreiheiten zu einer 7heit zusammenfassen kann.

Leib

Physischer Leib Ätherleib, Bildekräfteleib, Lebensleib Empfindungsleib

Seele

Empfindungsseele Verstandesseele, Gemütsseele Bewusstseinsseele

IC H Geist

Geistselbst, Manas Lebensgeist, Buddhi Geistesmensch, Atman

Astralleib

geisterfüllte Bewusstseinsseele

Der „Schnittpunkt“ zwischen Seele und Geist wird „Ich“ oder „geistiger Wesenskern“ genannt. Der physische Leib ausgefüllt mit Materie, sodass er durch die Sinne (Augen, Ohren, Tastsinn...) wahrgenommen werden kann. Die übrigen Wesensglieder offenbaren sich mittelbar nur in ihren Wirkungen am physischen Leib: Den Unterschied zwischen einem schlafenden Menschen und einem Leichnam bildet er Ätherleib, der den Leib aufbaut, wachsen lässt und regeneriert. Der Astralleib befähigt den Menschen, solange er in seinem physischen Leib inkarniert ist, zu allem Subjektivem: zu Lust und Unlust, Sympathie und Antipathie, sowie überhaupt zur bewussten Wahrnehmung von Sinnesempfindungen; er bewirkt den Unterschied zwischen einem schlafenden Tier und einem Tier, das sich aus seinem Innern heraus bewegt (nicht bloß von außen durch die physischen Kräfte von Anziehung und Abstoßung). Durch den Geist kann der Mensch die 446

Gesetze erfassen, die der physischen, ätherischen und astralen Daseinsebene als „Bauplan“ zugrunde liegen; der bewusste Anteil am Geist unterscheidet den Menschen vom Tier, indem er in der Lage ist, Urteile und Entscheidungen zu fällen, die seiner Instinkt- und Triebnatur widersprechen können.

Engelhierarchien Die Hierarchie der Engelwesenheiten ergibt sich aus ihren Bewusstseinsstufen. 9 Stufen wirken an der Entwicklung von Mensch und Erde mit, der Mensch soll dereinst die 10. Stufe darstellen. Jeweils drei Stufen werden zu einer „Hierarchie“ zusammengefasst; diese drei Hierarchien tragen im Christentum die Namen Vater, Sohn und Heiliger Geist. Die Namen der Engelstufen erscheinen alle in der Bibel, die beiden höchsten nur in ihrem hebräischen Ausdruck (2. Spalte). Die altgriechischen Namen (3. Spalte) kann man ins Deutsche übersetzen (4. Spalte). Die geisteswissenschaftlichen Bezeichnungen (5. Spalte) geben Auskunft über „Funktion“ oder Herkunft einer Engelstufe. – Wo es möglich ist, werden die fremdsprachigen Bezeichnungen in Einzahl (mit dem Artikel „ein“) und Mehrzahl (mit dem Artikel „die“) gegeben, die betonten Silben sind unterstrichen. Hierarchie

Bezeichnung hebräisch

Bezeichnung griechisch

Bezeichnung deutsch

(IV.)

der Adam

der Anthropos

der Neue Mensch

III. Der Heilige Geist

II. Der Sohn

die Elohim

ein Angelos „Bote“ die Angeloi ein Archangelos die Archangeloi ein Arche die Archai

ein Engel die Engel ein Erzengel die Erzengel

die Exusiai

die Gewalten

die Dynameis* (ein Kyriotes) die Kyriotetes**

die Mächte

der Thronos „Stuhl“ die Thronoi I. Der Vater

die (Ur)beginne

Geisteswissenschaftlicher Name

ein Engel die Söhne des Zwielichts od. Lebens Erzengel die Feuergeister, Söhne des Feuers ein Zeitgeist, Geist der Persönlichkeit die Urengel, Urkräfte, Zeitgeister

die Herrschaften

ein Geist der Form die Geister der Form ein Geist der Bewegung die Geister der Bewegung ein Geist der Weisheit die Geister der Weisheit

die Throne

ein Geist des Willens die Geister des Willens

der Cherub die Cherubi m der Seraph die Seraphim

ein Geist der Harmonie Geister der Harmonie ein Geist der Liebe Geister der (All-)Liebe

* sprich: dü-NA-mis. ** sprich: kü-ri-JO-te-tes

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Anhang II – Das Ende des 6. Kapitels Noch von einem anderen Gesichtspunkt aus können wir jenem zweiten Strom in unserem Schicksal beikommen, der zwar mit dem Karma zusammenhängt, doch der nicht belastendes neues Karma erzeugt, sondern wie die Sonne unser Schuldkonto aufsaugt. Wir können in dieser Beziehung von einem überpersönlichen Schicksalsstrom sprechen, der unserem persönlichen Karma einverwoben ist. Dieser Gnadenstrahl aus höheren Welten hängt zusammen mit der geistigen Mission, die ein Mensch vor seiner Geburt empfangen hat und unbewusst mit in sein Erdenleben trägt, bis er sich stufenweise entfaltet und in seinem Bewusstsein erwacht. Können wir etwas Ähnliches in unserem Karma finden? Ja, das können wir! Und indem wir dies aussprechen, fühlen wir uns erhoben zu der Kraft, die aus Geisteswelten gnadenvoll unserem Schicksal einverwoben worden ist. Es ist die Michael-Christus-Botschaft, die wir in vorgeburtlichen Reichen empfangen haben. Sonnenhaft leuchteten die Augen Rudolf Steiners, als er dies im letzten Jahre seines Wirkens verkündete: Wie die durch ihr Schicksal dazu prädestinierten Seelen in den Jahrhunderten vor diesem Erdenleben in geistigen Welten unter der Führung Michaels in einer übersinnlichen Lehrschule zusammenkamen und dort in großen kosmischen Imaginationen die Lehren Michaels aufnahmen – von den vorchristlichen Mysterien, von dem Christuswesen, von den nachchristlichen Mysterien, die Michael jetzt mit den Seinen vorbereitete. Und wie ein goldener Faden wurde dies in das Karma der Michaeliten einverwoben, der sich in unserem Schicksalsablauf sehr deutlich bemerkbar macht. Während Gabriel die geistige Führung der Menschheit ausübte (vom 16. bis 19. Jahrhundert), war Michael frei von den ihm obliegenden Erdentätigkeiten:

Das ist für einen führenden Erzengel eine ganz besondere Lage: zu sehen, dass seine Tätigkeit, die durch lange Zeiträume hindurch ausgeübt worden ist, sozusagen aufgehört hat. Und so kam es, dass Michael zu den Seinigen sagte: „Es ist notwendig, dass wir für die Zeit, in der wir nicht Impulse auf die Erde schicken können“ – für die Zeit, die mit dem Jahre 1879 etwa endete –, „uns eine besondere Aufgabe suchen innerhalb der Sonnenregion.“ Es sollte für diejenigen Seelen, die ihr Karma in die anthroposophische Bewegung hineingeführt hat, die Möglichkeit vorhanden sein, in der Sonnenregion auf dasjenige hinblicken zu können, was Michael und die Seinen in der Zeit taten, die auf Erden die Zeit der Gabriel-Herrschaft war... Das war etwas, was sozusagen herausfiel aus all den sonstigen regelmäßig fortgehenden Taten unter Göttern und Menschen. Die mit Michael verbundenen Seelen, ... sie fühlten sich wie herausgerissen aus dem althergebrachten Zusammenhange mit der geistigen Welt. Da wurde von den Menschenseelen, die prädestiniert waren, Anthroposophen zu werden, im Übersinnlichen etwas erlebt, was früher niemals in den überirdischen Regionen von Menschenseelen zwischen Tod und neuer Geburt erlebt worden ist. Früher wurde eben erlebt, dass in der Zeit zwischen Tod und neuer Geburt von den Menschenseelen im Verein mit führenden geistigen Wesenheiten das Karma für die künftige Erdenexistenz ausgearbeitet worden ist. Aber so ausgearbeitet wurde früher kein Karma, wie jetzt das Karma derjenigen, die durch die angegebenen Dinge prädestiniert waren, Anthroposophen zu werden. Niemals arbeitete man in der Sonnenregion früher zwischen Tod und neuer Geburt so, wie jetzt unter der von Erdenangelegenheiten frei gewordenen Herrschaft des Michael gearbeitet werden konnte. Da geschah dann etwas, was in den übersinnlichen Regionen damals Ereignis war, etwas, was heute im tiefsten Herzensinneren der meisten Anthroposophen, wenn auch unbewusst, schlafend, träumerisch ruht. Und der Anthroposoph kann recht tun, wenn er, an sein Herz greifend, sich sagt: „Da drinnen ist ein mir heute vielleicht unbewusstes Geheimnis, das ein Abglanz ist der Michael-Taten aus dem 16., 17., 18. Jahrhundert in den überirdischen Regionen, wo ich vor meinem jetzigen Abstieg in die Erdenregion unter Michael gearbeitet habe... [28] Wer dies in seinem tiefsten Inneren nachzuerleben vermag, der fühlt machtvoll erklingen wie die Fanfarenklänge der Neunten Symphonie von Beethoven die Posaunenklänge, die ihm das Tor zur Freiheit, zur Befreiung und zugleich zu seiner wahren Berufung öffnen. Je mehr wir mit unserem Geisteswesen in diese Region erwachen, umso mehr befreien wir uns von unserem Vergangenheitskarma, umso mehr Lichtkräfte empfangen wir von oben, die wir unseren Erdentaten, Worten und Gedanken einweben können. Hier möchte ich Ihnen eine wirksame Übung andeuten. Sie besteht darin, dass wir eine intime Rückschau auf unser Leben halten. Wir unterscheiden in unserem Lebenslauf deutlich zwei Kreise. Der eine ist bedingt durch

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unser rein persönliches Karma. Dieses hat uns hineingestellt in eine bestimmte Erdenlokalitat, in ein Volk, in eine Familie, in deren Milieu wir aufgewachsen sind, das alles gehört zu unserem persönlichen Karma. Daneben aber können wir einen anderen Strom entdecken, vielleicht zunächst nur undeutlich und nicht so deutlich geprägt wie das rein persönliche Karma. Und doch ist dieser Strom vorhanden, der uns zur anthroposophischen Bewegung geführt hat. Je mehr wir in diesen überpersönlichen Strom erwachen, desto mehr erkennen wir, wie dieser Karmastrom uns entreißt dem rein persönlich-bedingten Schicksal und uns in ein höheres Licht stellt, in ein Licht, in dem der Mensch sein Leben als „sonnengeführt“ erlebt:

Das Sonnenhafte, das der Mensch durch lange Zeiten nur aus dem Kosmos in sich aufnahm, wird im Innern der Seele leuchtend werden. Der Mensch wird von einer „innern Sonne“ sprechen lernen. Er wird sich deshalb in seinem Leben zwischen Geburt und Tod nicht weniger als Erdenwesen wissen; aber er wird das auf der Erde wandelnde eigene Wesen als sonnengeführt erkennen. Er wird als Wahrheit empfinden lernen, dass ihn im Innern eine Wesenheit in ein Licht stellt, das zwar auf das Erdendasein leuchtet, aber nicht in diesem entzündet wird. [29, S. 67] Im Licht dieses „Gnadenstrahles“ ergibt sich uns eine Perspektive, wie der Mensch, indem er als Mitarbeiter und Kämpfer Michaels sich für geistige Weltenziele einsetzt, die Schuldenlast seines persönlichen Karmas abtragen kann, je mehr er sich für die Weltenziele der Menschheitsentwicklung einsetzt.

Anhang III – Abkürzungen Die meisten Abkürzungen bezeichnen Bibelstellen des Neuen Testaments. Bibelstellen sind nach Kapitel und Vers gegliedert. „1. Kor. 2,10“ bedeutet beispielsweise: Der erste Brief des Paulus an die Korinther, Kapitel 2, Vers 10. GA Gal. Joh. 1. Joh. Kor. Lk. Mt. Mk. Off. Röm.

Offizielle Gesamtausgabe der Schriften und Vorträge Rudolf Steiners durch den Rudolf Steiner Verlag in derzeit über 360 Bänden. Brief des Paulus an die Gemeinde in Galatien Johannesevangelium Erster Brief des Johannes Korinther(brief): Zwei Briefe des Paulus an die Gemeinde zu Korinth (Korinthos) Lukasevangelium Matthäusevangelium Markusevangelium Offenbarung des Johannes („Die Apokalypse“) Römer(brief): Brief des Paulus an die Gemeinde in Rom

Anhang IV – Quellenverzeichnis [0] Übersetzung von Fred Poeppig aus seinem Buch: „Ursymbole der Menschheit, unter besonderer Berücksichtigung der Rosenkreuzersymbolik“, Verlag Die Kommenden, Freiburg i. Br. [1] Dr. Peter Morant: Das Kommen des Herrn. Thomas-Verlag, Zürich 1969. [2] Rudolf Steiner: „Das Hereinwirken geistiger Wesenheiten in den Menschen“, GA 102. [3] Emil Bock: „Apokalypse. Betrachtungen über die Offenbarung des Johannes“. [4] Rudolf Steiner: „Christliche Esoterik im Lichte neuer Geist-Erkenntnis“, GA 96. [5] Ernst Hagemann: „Vom Wesen des Lebendigen“, im Selbstverlag, 1970. [6] Jacobi a Voragine: „Legenda aurea vulgo Historia Lombardica dicta”, recens. T. Graesse, 1801, Kapitel IX. [7] Peter Bamm: „Welten des Glaubens. Aus den Frühzeiten des Christentums“. [8] Rudolf Steiner: „Die Apokalypse des Johannes“, GA 104. [9] Rudolf Steiner: „Der Christus-Impuls als Träger der Vereinigung des Geistigen mit dem Leiblichen.“ Zwei Vorträge, gehalten in Stuttgart am 13. und 14. Februar 1915. [10] Ehrenfried E. Pfeiffer: „Ein Leben für den Geist“ (Ausgabe 1999, S. 176). [11] Rudolf Steiner: „Der Mensch im Lichte von Okkultismus, Theosophie und Philosophie“, GA 137.

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[12] Rudolf Steiner: „Die Grundelemente der Esoterik“, GA 93a. [13] Rudolf Steiner: „Geistige Hierarchien und ihre Widerspiegelung in der physischen Welt“, GA 110. [14] Rudolf Steiner: „Der Mensch im Lichte von Okkultismus, Theosophie und Philosophie.“, GA 137. [15] Rudolf Steiner: „Von Jesus zu Christus“, GA 131. [16] Emil Bock: „Das Neue Testament“, Urachhaus. [17] Rudolf Steiner: „Vom Mondenaustritt bis zur Mondenrückkunft“, GA 204. [18] Rudolf Steiner: „Die Theosophie des Rosenkreuzers“, GA 99. [19] Rudolf Steiner: „Das esoterische Christentum und die geistige Führung der Menschheit“, GA 130. [20] Rudolf Steiner: „Die geistigen Wesenheiten in den Himmelskörpern und Naturreichen“, GA 136. [21] Rudolf Steiner: „Der Goetheanumgedanke inmitten der Kulturkrisis der Gegenwart“, GA 36, S. 200. [22] Rudolf Steiner: „Weltenwunder, Seelenprüfungen und Geistesoffenbarungen“, GA 129. [23] Emil Bock: „Der Kreis der Jahresfeste“, Fischerverlag. [24] Rudolf Steiner: „Die menschliche Seele in ihrem Zusammenhang mit göttlich-geistigen Individualitäten“, GA 224. [25] Rudolf Steiner: „Das Johannesevangelium im Verhältnis zu den drei anderen Evangelien, besonders zu dem Lukasevangelium“, GA 112. [26] Rudolf Steiner: „Christus und die menschliche Seele“, GA 155. [27] Rudolf Steiner: „Geisteswissenschaftliche Menschenkunde“, GA 107. [28] Rudolf Steiner: „Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhange. Band 6“, GA 240. [29] Rudolf Steiner: „Leitsätze“. [30] Dr. Alfred Totzke: „Der himmlische Maskenträger, Aphorismensammlung“. Aus der Zeitschrift „die Christengemeinschaft“, Ausgabe vom 11. Juli 1932. [31] Emil Bock: „Die drei Jahre“, Urachhaus. [32] Rudolf Steiner: „Die Pforte der Einweihung“, das erste von vier Mysteriendramen, GA 14. [33] Goethe: „Faust“. [34] Rudolf Steiner: „Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit“, GA 15. [35] Rudolf Steiner: „Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge“, 3. Band, GA 237. [36] Rudolf Steiner: „Der Christus-Impuls und die Entwickelung des Ich-Bewusstseins“, GA 116. [37] Hans Hasso von Veltheim-Ostrau: „Tagebücher aus Asien“. [38] Rudolf Steiner: „Anthroposophische Leitsätze“, GA 26. [39] Rudolf Steiner: „Philosophie, Kosmologie, Religion“, GA 25. [40] Rudolf Steiner: „Das Wesen des Musikalischen“, GA 283. [41] Rudolf Steiner: „Anthroposophische, Menschenkunde und Pädagogik“, GA 304a. [42] Śri Aurobindo: „Der Integrale Yoga“. Erhältlich im Verlag Rowohlt Klassiker. [43] Rudolf Steiner: „Erfahrungen des Übersinnlichen – Die Wege Seele zu Christus“, GA 143. [44] Paul Rießler: „Alt-jüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel“, Augsburg, 1928. [45] Rudolf Steiner: „Welt, Erde und Mensch; deren Wesen und Entwickelung sowie ihre Spiegelung in dem Zusammenhang zwischen ägyptischem Mythos und gegenwärtiger Kultur“, GA 105. [46] Rudolf Steiner: „Entsprechungen zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos. Der Mensch – eine Hieroglyphe des Weltenalls“, GA 201. [47] Rudolf Steiner: „Das Christentum als mystische Tatsache“, GA 8. [48] Rudolf Steiner: „Die Mysterien des Morgenlandes und des Christentums“, GA 144. [49] Rudolf Steiner: „Vorstufen zum Mysterium von Golgatha“, GA 152. [50] Rudolf Steiner: „Anthroposophische Lebensgaben. Bewusstseinsnotwendigkeiten für Gegenwart und Zukunft“, GA 181. [51] Rudolf Steiner: „Menschliche und menschheitliche Entwicklungswahrheiten. Das Karma des Materialismus“, GA 176. [52] Rudolf Steiner: „Wahrspruchworte“, GA 262. [53] Thomas von Aquino: „De Veritate“. Herausgegeben als deutsche Übersetzung („Von der Wahrheit“) von Edith Stein, A. Speer und F. V. Tommasi: „Des Hl. Thomas von Aquino Untersuchungen über die Wahrheit, Quaestiones disputatae de veritate“, zwei Bände. [54] Alois Winklhofer: „Traktat über den Teufel“, Verlag Josef Knecht, Frankfurt am Main. [55] Rudolf Steiner: „Der innere Aspekt des sozialen Rätsels“, GA 193.

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[56] Rudolf Steiner: „Mein Lebensgang“, GA 28. [57] Rudolf Steiner: „Das Sonnenmysterium und das Mysterium von Tod und Auferstehung“, GA 211. [58] Emil Bock: „Urgeschichte. Das Alte Testament und die Geistesgeschichte der Menschheit I“. [59] Rudolf Steiner: „Der Hüter der Schwelle“, das dritte von vier Mysteriendramen, GA 14. [60] Fred Poeppig: „Gilgamesch und Eavani“, Verlag Die Kommenden. [61] Rudolf Steiner: „Aus der Akasha-Chronik“, GA 11. [62] Friedrich von Hardenberg: „Hymne“ aus „Das lyrische Werk“, 1798-1799. [63] Friedrich von Hardenberg: „Hymne an die Nacht Nr. 5“. [64] Rudolf Steiner: „Die okkulte Bewegung im neunzehnten Jahrhundert und ihre Beziehung zur Weltkultur“, GA 254. [65] Rudolf Steiner: „Geistige Zusammenhänge in der Gestaltung des menschlichen Organismus“, GA 218. [66] Rudolf Steiner: „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“, GA 10. [67] Nachrichtenblatt „Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht. Nachrichten für deren Mitglieder“ vom 13. Januar 1924. [68] Rudolf Steiner: „Mysterienstätten des Mittelalters“, GA 233a. [69] Christian Morgenstern: „Wir fanden einen Pfad“. [70] Rudolf Steiner: „Die Geheimwissenschaft im Umriss“, GA 13. [71] F. H. Hillringhaus (Hrsg.): „Brücke über den Strom“, Novalis-Verlag. [72] Dante Alighieri: „Divina Commedia“ („Die göttliche Komödie“). [73] Augustinus: „Vom Gottesstaat“ (De civitate Dei) [74] Rudolf Steiner: „Die Tempellegende und die Goldene Legende“, GA 93. [75] Rudolf Steiner: „Der Tod als Lebenswandlung“, GA 182. [76] Rudolf Steiner: „Das Prinzip der spirituellen Ökonomie im Zusammenhang mit Wiederverkörperungsfragen“, GA 109. [77] Rudolf Steiner: „Theosophie. Einführung in übersinnliche Weltanschauung und Menschenbestimmung“, GA 9. [78] Rudolf Steiner: „Aus der Akasha-Forschung. Das Fünfte Evangelium“, GA 148. [79] Alfred Schütze: „Das Rätsel des Bösen“. [80] Franz Werfel: Vortrag “Realismus und Innerlichkeit“, erschienen im P. Zsolnay-Verlag, 1931. [81] Emil Bock: „Cäsaren und Apostel“. [82] Rudolf Steiner: „Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge.“ 6. Band, GA 238. [83] Joachim Bodamer: „Der Mensch ohne Ich“, Herder-Verlag. [84] Karl Unger: „Esoterisches“. [85] Rudolf Steiner: „Erdensterben und Weltenleben. Anthroposophische Lebensgaben. BewusstseinsNotwendigkeiten für Gegenwart und Zukunft“, GA 181. [86] Emil Bock: „Könige und Propheten / Das Alte Testament und die Geistesgeschichte der Menschheit III“. [87] Rudolf Steiner: „Wahrspruchworte“, GA 40. [88] Rudolf Steiner: „Mantrische Sprüche. Seelenübungen Band II, 1903 – 1925“, GA 268. [89] Rudolf Steiner: „Okkulte Untersuchungen über das Leben zwischen Tod und neuer Geburt“, GA 140. [90] Wahrscheinlich ist gemeint: Johannes Werner Klein: „Ihr seid Götter. Die Philosophie des JohannesEvangeliums“. [91] Rudolf Steiner: „Wesen und Bedeutung Mitteleuropas und die europäischen Volksgeister“, GA 159. [92] Rudolf Steiner: „Sprüche, Dichtungen, Mantren. Ergänzungsband“, GA 40a. [93] Wolfram von Eschenbach: „Parzival“. [94] Friedrich Rittelmeyer: „Briefe über das Johannes-Evangelium“, Urachhaus. [95] Rudolf Steiner: „Die Weihnachtstagung zur Begründung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft 1923/24“, GA 260.

 Die Übersetzungen von Bibelstellen sind in seltenen Fällen aus [16] entnommen, basieren ansonsten aber zumeist auf Luther (1912), hier und da mit Änderungen des Autors.  Bibelzitate in den Fußnoten sind in der Regel dem lutherischen Original (1545) entnommen, mit Anpassung an die heutige Rechtschreibung.

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Inhaltsverzeichnis Vorwort des Herausgebers................................................................................................................................1 Zur Einführung – das Buch mit den sieben Siegeln......................................................................................3 1. Die Tempelarchitektur – die sieben Sendschreiben des Johannes.........................................................18 2. Die beiden Ursymbole der Menschheitsevolution: Das „Viergetier“ und der „Menschensohn“.....44 3. Die Ätherisierung der Erde; die Entsiegelung des Lebensbuches.........................................................57 4. Das Wundergewebe der göttlichen Hierarchien......................................................................................62 Die Trinität....................................................................................................................................................................70

5. Die Apokalypse als Schulungsbuch...........................................................................................................76 Das Gesetz der Involution...........................................................................................................................................78

6. Der Charakter des Johanneïschen Schulungsweges – Unsere karmischen Schulden.........................87 7. Die Posaunenklänge – das Herzstück der Apokalypse...........................................................................98 8. Das Sonnenmysterium...............................................................................................................................138 9. Das Sonnenmysterium im menschlichen Lebenslauf............................................................................147 10. Die Pforte der Einweihung – Der starke Engel mit dem Sonnenantlitz............................................150 11. Die neue Isis-Sophia.................................................................................................................................163 Parusie......................................................................................................................................................................... 165

12. Das Mysterium des Bösen – Die beiden Tiere aus dem Abgrund.....................................................183 13. Die drei Abstürze......................................................................................................................................197 Der Sturz des Tiere und des falschen Propheten....................................................................................................213 Der dritte Absturz des Satans...................................................................................................................................219

14. Das Ende des 1000jährigen Reiches........................................................................................................223 Der dreifache Aspekt des tausendjährigen Reiches...............................................................................................233

15. Der Zorn Gottes.........................................................................................................................................243 Das Gesetz der Involution als Grundlage des „Jüngsten Gerichtes“...................................................................247 Die Ernte der Erde...................................................................................................................................................... 247 Der Abgrund...............................................................................................................................................................247

16. Der weiße Reiter........................................................................................................................................247 Der geistige Inkarnationsweg des fünften Evangeliums.......................................................................................247

17. Das Kommen des Sorat und das Wirken des Antichrist.....................................................................247 18. Das Jüngste Gericht im Lichte der wiederholten Erdenleben............................................................247 19. Die Heiligung des Denkens.....................................................................................................................247 Das 5. Sendschreiben.................................................................................................................................................247

20. Die Heiligung des Fühlens – Der Sinn unserer Schicksalsprüfungen..............................................247 21. Die Heiligung des Wollens......................................................................................................................247 22. Das himmlische Jerusalem......................................................................................................................247 Jachin und Boas.......................................................................................................................................................... 247 Das himmlische Jerusalem als Bild des zukünftigen Jupiterzustandes...............................................................247

23. Der apokalyptische Blick.........................................................................................................................247 Anhang I – Geisteswissenschaftliche Begriffe............................................................................................247 Anhang II – Das Ende des 6. Kapitels..........................................................................................................247 Anhang III – Abkürzungen...........................................................................................................................247 Anhang IV – Quellenverzeichnis..................................................................................................................247

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Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Der Alte Tierkreis und der neue Kosmos................................................................................................15 Abb. 2: Erdperioden und Kulturepochen.............................................................................................................42 Abb. 3: Inkarnations- und Exkarnationsprozess .................................................................................................59 Abb. 4: Die Engelhierarchien..............................................................................................................................63 Abb. 5: Bewusstseinsstufen der kosmischen Wesenheiten..................................................................................64 Abb. 6: Bewusstseinszustände der drei höheren Hierarchien..............................................................................70 Abb. 7: Das Ich, die Sinneswelt und die Hierarchien..........................................................................................71 Abb. 8: Die vier Stufen des christlichen Kultus und der Meditation...................................................................77 Abb. 9: Die 10 Plagen und die Wesensglieder des Menschen...........................................................................121 Abb. 10: Übersicht über die 7 Posaunenklänge.................................................................................................130 Abb. 11: Die „Dreifache Sonne“.......................................................................................................................145 Abb. 12: Die Jahrsiebte im Lebenslauf..............................................................................................................147 Abb. 13: Die beiden apokalyptischen Wege......................................................................................................158 Abb. 14: Erdentwicklungs-Perioden..................................................................................................................160 Abb. 15: Die beiden apokalyptischen Wege II..................................................................................................165 Abb. 16: Menschheit, Trinität und Isis-Sophia..................................................................................................183 Abb. 17: Die Trinität und das Ich......................................................................................................................184 Abb. 18: Die Abstürze und Erhöhungen............................................................................................................198 Abb. 19: Ahrimanischer und luziferischer Pol..................................................................................................236 Abb. 20: Die Erdenverkörperungen durch Evolution und Involution...............................................................247 Abb. 21: Die Wege der Involution und des Abgrunds.......................................................................................247 Abb. 22: Die apokalyptischen Stufen................................................................................................................247 Abb. 23: Umkehrung von Ursache und Wirkung..............................................................................................247 Abb. 24: Epochen der Erdentwicklung..............................................................................................................247 Abb. 25: Übersicht über die Weltenentwicklung...............................................................................................247 Abb. 26: Erdperioden.........................................................................................................................................247 Abb. 27: Kulturperioden und geistige Führung.................................................................................................247 Abb. 28: Character Bestiae – das Auslöschen des Menschentums....................................................................247 Abb. 29: Siegelstufen und Ich-Bin-Worte.........................................................................................................247 Abb. 30: Passionsstufen und Posaunenklänge...................................................................................................247 Abb. 31: Das Vaterunser und die Widersachermächte.......................................................................................247 Abb. 32: Die Zeichen des Johannesevangeliums und die christlichen Sakramente..........................................247 Abb. 33: Die sieben Stufen der christlichen Einweihung..................................................................................247

Bilder-Verzeichnis Bild Bild Bild Bild Bild Bild Bild Bild Bild Bild Bild Bild Bild Bild

1: Albrecht Dürer, Christus als Weltenrichter, 1498.....................................................................................2 2: Albrecht Dürer, Das Buch mit den sieben Siegeln, 1498.......................................................................43 3: Albrecht Dürer, Die vier Reiter, 1498.....................................................................................................75 4: Albrecht Dürer, Gesicht vom Weltuntergang, 1498................................................................................97 5: Albrecht Dürer, Dies irae, 1498............................................................................................................137 6: Albrecht Dürer, Die Engel mit den Posaunen, 1498.............................................................................149 7: Albrecht Dürer, Vollzug des Strafurteils an den Mächtigen der Erde, 1498.........................................182 8: Abrecht Dürer, Der Riesenengel mit dem Säulenfuß über Land und Meer, 1498................................222 9: Albrecht Dürer, Das Tier des Abgrunds, 1498......................................................................................243 10: Albrecht Dürer, Michael und seine Engel streiten wider den Drachen, 1498....................................247 11: Albrecht Dürer, Der Antichrist und sein Prophet, 1498......................................................................247 12: Albrecht Dürer, Der Jubel im Himmel, 1498......................................................................................247 13: Albrecht Dürer, Das große Babylon, 1498.........................................................................................247 14: Albrecht Dürer, Das neue Jerusalem, 1498.........................................................................................247

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