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February 22, 2019 | Author: Daniel Nata | Category: N/A
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4

DIE THEMEN DES MONATS

THEMEN

AUGUST 2016

In diesem Heft: 17 SEITEN SPRACHE & SERVICE

30 DEBATTE Fahrtest � ür Senioren?

38 SPRACHFEATURE Wenn Hände reden

32 WIE DEUTSCHLAND FUNKTIONIERT Der Müll-Mikrokosmos

43 ATLAS DER ALLTAGSPRACHE 10.15 Uhr

37 MEIN ERSTES JAHR Adebayo Waidi Gbenro

44 WÖRTER LERNEN Olympische Spiele

58 ÜBER WEN DEUTSCHLAND SPRICHT Teil 4 der Serie

45 ÜBUNGEN ZU DEN THEMEN DES MONATS Mehr Sicherheit mit Wörtern und Texten

62 GESCHICHTEN AUS DER GESCHICHTE

46 GRAMMATIK Dativ: Wem oder was?

„Ich bin Natascha Kampusch“

68 WIE GEHT ES EIGENTLICH DEM ... Lotto? 74 FLIEGENDER WECHSEL Kriminelle interessieren sich � ür Bienen

STANDARDS

6 Deutschland-Bild 8 Panorama 13 Die deutschsprachige Welt in Zahlen 64 Kulturtipps 71 Kolumne: Alias Kosmos 72 Reisetipps 76 D-A-CH-Menschen

Deutsch perfekt

48 DEUTSCH IM BERUF Jeans oder Anzug? 51 SCHREIBEN / SPRECHEN / VERSTEHEN Sammelkarten: Zusammenfassung / Small-Talk über Sport / Olympische Sportarten 53 DEUTSCH IM ALLTAG Guck mal!

1 4 Deutschland,

deine Provinz Idylle, Ruhe und Natur – so stellen sich viele Menschen das Leben in Deutschlands Dörfern vor. Ist das wirklich so? Wir haben uns drei kleine Orte genauer angesehen.

54 RATEN SIE MAL! Rätsel zu den Themen des Monats 55 WORTKOMPASS EXTRA�SERVICE Übersetzungen in Englisch, Spanisch, Französisch, Italienisch, Polnisch, Russisch, Ungarisch

34 Besuch aus der Wüste Jeden Sommer wird München zu einer Oase � ür arabische Touristen. Wie passen die Bayern und die Araber zusammen?

   x    x    x    x    x    x    x    x    x    x    x    x   :    s    o    t    o    F   ;    x    x    x    x    x    x    x    x   :    o    t    o    f    l    e    t    i    T



DEUTSCHLAND BILD �

AUGUST 2016

Deutsch perfekt

Deutsch perfekt

DEUTSCHLAND BILD

AUGUST 2016



7

L > LEICHT

Elegant nach Rio Volle Konzentration. Die deutschen Was-

serspringerinnen Maria Kurjo und My Phan dürfen jetzt an nichts anderes denken. Nur an die richtige Körperspannung, das genaue Timing, die Sekunden, bis sie im Wasser sind. Das Publikum kann jetzt

sehen, wie gut das elegante Duo zur Architektur des London Aquatics Center passt. Die bekannte Architektin Zaha Hadid (1950 - 2016) hat die Wassersport-

arena mit ihren extravaganten Lampen geplant. Aber auch wenn die zwei eleganten Athletinnen wenig Muße � ür die originelle Architektur hatten: Vergessen werden sie das London Aquatics Center nie. Denn dort sind sie im Mai Europameister geworden. Zuerst waren sie Vierte. Aber dann sind sie im letzten Durchgang noch Erste geworden. „Eigentlich ist das unmöglich“, sagte die 26-jährige Kurjo. Vor zwei Jahren waren sie noch Zweite. Kurjo ist ab dem 17. August auch bei Olympia in Rio de Janeiro dabei. Am

18. August findet � ür sie das Halbfinale und das Finale statt. Bei einem Salto kann Kurjo dann den Himmel sehen – denn die Arena dort hat nämlich ein offenes Dach.

v¶ll

,

hier: komplett; ganz

die W„sserspringerin, -nen   Frau: ≈ Sie macht Akrobatik und fliegt durch die Luft ins Wasser. ,

die Kœrperspannung ≈ Halten von allen Muskeln am Körper (der M¢skel, -n ≈ elastischer Körperteil bei Mensch und Tier) ,

,

das Duo, -s hier: zwei Wasserspringerinnen: Sie machen immer zusammen Sport. ,

die Muße hier: freie Zeit � ür eine Besichtigung ohne Stress ,

der Europameister,  Beste(-r) in Europa ,

der D¢rchgang, ¿e hier: eine von mehreren Phasen bei einem Turnier ,

sa gte

,

Prät. von: sagen

der S„lto, S„lti ≈ Akrobatik: Man macht in der Luft mit dem ganzen Körper einen Kreis. ,

   s    e    g    a    m    I    y    t    t    e    G   :    o    t    o    F

8   PANORAMA

AUGUST 2016 Deutsch perfekt

   n    i    e    w    e    n    n    e    J    r    e    d    n    a    x    e    l    A   ;    s    e    g    a    m    I    y    t    t    e    G   ;  .    V  .    e    n    e    b    r    E    n    e    l    l    e    r    u    t    l    u    k    e    i    D   :    s    o    t    o    F

GRAFFITI�KULTUR

Bilder gegen Nazisymbole Wenn Ibo Omari in Berlin ein Hakenkreuz oder andere Nazisymbole sieht, nimmt er eine Spraydose. Und dann macht er aus dem rechten Symbol etwas anderes – zum Beispiel einen Moskito. Dieser Akti-

on hat er den Namen „Paint Back“ gegeben. Allein ist Omari auch nicht mehr: Viele Graffiti-Künstler aus der Hauptstadt helfen ihm. Auf Instagram (#paintback) kann man immer wieder neue Bilder sehen. Bevor Omari und seine Kollegen mit einem Graffiti anfangen, fragen sie um Erlaubnis. Die bekommen sie immer. Denn alle sind froh, wenn die Nazisymbole wieder aus Berlin verschwinden.

Bilder gegen Nazisymbole

das Hakenkreuz, -e   Swastika; hier: Symbol der Nationalsozialisten ,

r¡chte (-r/-s) hier: extrem nationalistisch ,

der K•nstler, -   Person: Sie macht ästhetische Dinge, z. B. Bilder oder Skulpturen. ,

bevor

,

in der Zeit vorher

verschw“nden hier: nicht mehr zu sehen sein ,

Vorher – nachher: Aus Nazisymbolen macht Ibo Omari zusammen mit Kollegen lustige Bilder.

10   PANORAMA

AUGUST 2016 Deutsch perfekt

L > LEICHT

Ein Schulbuch � ür zwei Länder 

 gemeinsam hier: � ür beide zusammen

WAS HEISST

,

der Außenminister, –  Minister: Er kümmert sich um die politischen Kontakte mit dem Ausland. ,

DEUTSCHLAND UND POLEN

Ein Schulbuch für zwei Länder Vorsicht, Deutsche!

Es ist eine politische Sensation: Das erste gemeinsame Schulbuch Polens und Deutschlands. Sein Name: Europa. Unsere Geschichte oder auch Europa. Nasza Historia . Es

soll jetzt in beiden Ländern im Geschichtsunterricht benutzt werden – in zwei sprachlich

verschiedenen Varianten, aber mit identischem Inhalt. Deutsche und polnische Schüler sollen „die gemeinsame Geschichte aus gleicher Perspektive kennenlernen“, sagt

Polens Außenminister Witold Waszczykowski. Die Idee hatte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier.

 gezielt ≈ so, dass man einen Plan hat ,

die }mfrage, -n   systematisches Fragen ,

wären

,

Konj. II von: sein

Wenige Praktika

der M“ndestlohn, ¿e Lohn: So viel muss  jemand mindestens bekommen. ,

die Personalvermittlung, -en Firma: Sie hilft anderen Firmen, Angestellte zu finden. ,

der Personalchef, -s Chef: Er kümmert sich um die Administration von allen Angestellten von einer Firma. ,

der Gr¢nd, ¿e hier: ≈ Erklärung: Warum ist das so? ,

TOURISMUS

Vorsicht, Deutsche! Endlich Urlaub. Aber bitte ohne Menschen aus dem eigenen Land. 14 Prozent der Deutschen suchen sich � ür ihre Reise gezielt einen Ort, an dem so wenig wie möglich andere deutsche Touristen sind. Nur sechs Prozent wollen genau da Urlaub machen, wo sie viele Leute aus der Heimat treffen. Das ist das Resultat einer Umfrage der Reisesuchmaschine Kayak. de. 18 Prozent haben bei einer Reise ins Ausland auch schon einmal versucht, so zu tun, als wären sie keine Deutschen.

kœnnte sein hier: ≈ wahrscheinlich sein ,

 g¡lten hier: ≈ schriftliche Norm sein ,

der Praktik„nt, -en Person: Sie macht ein Praktikum.

beobachten hier: sehen, dass etwas passiert ,

Was heißt Hängepartie?

,

die Gesch“chte   Historie

b > AUDIO

die Leine, -n   sehr dünnes, langes Stück aus Plastik, z. B. Nylon: Daran hängt man Wäsche. ,

Eine Partie kennt man aus dem Sport. „Lust auf eine Partie Tennis?“, kann Andre Agassi zum Beispiel seine Frau Steffi Graf fragen. Aber vielleicht wollen die beiden nach ihren langen Karrieren lieber eine ruhige Partie Karten spielen. Beide Aktivitäten sind aber keine Hängepartie. Dass etwas hängt, kann man bei nasser Wäsche beobachten : Damit sie trocken wird, lässt man sie an der Leine hängen. Aber auch einen Menschen kann man hängen lassen – wenn man

die B¢ndesregierung hier: deutsche Regierung ,

der Regierungssprecher, Person von der Regierung: Sie gibt offizielle Informationen an die Medien. ,

sich nicht um ihn kümmert und ihm nicht hilft. Das Wort „Hängepartie“ beschreibt die Konsequenz: sehr langes Warten. Ein Warten, bei dem nichts passiert

und alle passiv sind. „Die Bundesregierung will keine Hängepartie“, hat Regierungssprecher  Steffen Seibert gesagt. Was er damit meint? Den Brexit, also den Plan Großbritanniens, kein Teil der EU mehr zu sein. Die Politiker in London sollen nach Meinung der

deutschen Regierung nämlich nicht zu lange damit warten, den Brexit konkret zu machen. CROWDFUNDING

recherchieren franz. genaue Informationen suchen ,

Zwei für Deutschland

interagieren ≈ Kontakt haben; in Interaktion gehen ,

Die beiden jungen Journalistinnen Lisa Altmeier und Steffi Fetz arbeiten nach einem speziellen Prinzip: Sie sammeln über Crowdfunding Geld und recherchieren dann das, was ihre Fans interessiert.

s“ch m¡lden bei hier: eine Nachricht schicken ,

Über das Internet kann jeder mit den Reporterinnen interagieren. So sind sie schon durch Brasilien und Japan gereist. Ab August wollen sie durch Deutschland fahren. Und wenn jemand eine Idee oder eine Frage hat, kann er sich bei ihnen melden. Natürlich

ist es auch interessant, zu sehen, was die beiden über Deutschland erzählen ( www.crowdspondent.de).

,

ARBEITSWELT

Weniger Praktika 8,50 Euro pro Stunde sind seit Januar 2015 in Deutschland der Mindestlohn. Eine Konsequenz daraus ist, dass Firmen weniger Praktikumsplätze anbieten. Das ist das Resultat einer Untersuchung des Ifo-Instituts und der Personalvermittlung Randstad. Rund 1000 Personalchefs haben daran teilge-

nommen. Von ihnen haben vor dem Jahr 2015 70 Prozent Praktika angeboten. Seit 2015 sind es nur noch

34 Prozent. Auch sind die Praktika kürzer geworden. Ein Grund da� ür könnte sein: Für Praktika mit einer Dauer von weniger als drei Monaten gilt der Mindestlohn nicht. In der Untersuchung haben 22 Prozent der Personalchefs gesagt, dass der Mindestlohn direkte Konsequenzen � ür das Praktikumsangebot hat. Vor dem Mindestlohn hat es in Deutschland viele unbezahlte Praktikanten gegeben.

12   PANORAMA

L > LEICHT

AUGUST 2016 Deutsch perfekt

b > AUDIO Den Text „Der Pflanzendoktor“ können Sie mit einem Premium-Abo hören:

www.deutsch-perfekt.com/service Polizei sucht Instrument

das Bes¶ndere hier: spezielles Ding: So etwas gibt es nicht oft. ,

wert (sein)  teuer sein; kosten ,

MÜNCHEN

der Bayerische R¢ndfunk  Fernseh- und Radiostation aus Bayern

Polizei sucht Instrument Sie ist etwas ganz Besonde-

die Gei ge, -n   Musikinstrument in der Form eines kleinen Cellos

res: 248 Jahre alt und mehr als 118 000 Euro wert. Sie gehört

der Wert, -e

,

einem Musiker vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Seit April hat er mithilfe der Polizei danach gesucht – nach seiner Landolfi-Geige. Eine Frau aus der

,

,

hier: Preis

entscheiden hier: sagen, ob es eine Sanktion gibt ,

Der Pflanzendoktor 

w„rnen vor  sagen, dass man gut aufpassen soll oder dass etwas ge� ährlich ist ,

der ]rnteausfall, ¿e hier: Verlieren von Ernte (die ]rnte, -n hier: Obst oder Gemüse: Man hat es gesammelt.) ,

,

häufig

,

oft

der G„rtenfreund, -e Person: Sie liebt Gärten. ,

 jetzt entscheidet die Justiz, ob sie ihm das glaubt.

die Wærme

,

,

von: warm

dazulernen   mehr Erfahrung bekommen ,

Weniger Einkaufslust Die Deutschen kaufen weniger oft als früher Essen ein. 228-mal gehen sie pro Jahr in einen Lebensmittelladen. Vor vier Jahren waren es nach Auskunft des Instituts GfK

noch 241-mal. Besonders viele Kunden verloren haben Fachgeschäfte wie zum Beispiel

Bäckereien, Fleischereien und auch Märkte.

die F¶rschungsarbeit, -en  systematische Untersuchung � ür mehr Wissen ,

der Kohlenstoff    chemisches Element: C ,

der Boden, ¿  Ort: Darauf geht und steht man. ,

vor {rt Brasilien

,

 in

m hier:

,

Pflanze – und weiß dann sofort, dass Licht und Wärme fehlen. „Und mit jedem Foto lernt die Software dazu“, erklärt Munzel. 15 000 Bilder haben Gartenfreunde in Deutschland letztes Jahr geschickt. Es war ein erster Test. Auf die Idee � ür die App ist das Team

bei Forschungsarbeiten über Kohlenstoff in brasilianischen Böden gekommen.

relativ   ziemlich ,

der Schädling, -e Parasit; kleines Tier: Es macht z. B. Pflanzen oder Lebensmittel kaputt. ,

der M„rkt�ührer, -   Firma: Sie steht in einem speziellen wirtschaftlichen Sektor an erster Position. ,

die Fleischerei, -en  Geschäft: Dort werden Fleisch und Wurst verkauft.

Die häufigste Krankheit einer geht. TomatenpflanWarum braucht die Welt das? ze in deutschen Die App hilft, Pflanzen wieder gesund zu machen – und Gärten ist eiwarnt vor Krankheiten in der gentlich keine. Region. So gibt es weniger Sie ist ein FehErnteausfälle. ler der GartenDer schönste Moment? freunde. „Wir Die erste Version der App haben im letzten Jahr mehr als haben mehrere 20 000 User benutzt. Und: Das Fotos bekomTeam hat finanzielle Hilfe von men, auf denen der Regierung bekommen. die Tomatenpflanze unter einer Treppe zu sehen war“ erzählt Pierre Munzel von der Firma Peat. „Aber da kommt natürlich viel zu wenig Sonne hin.“ Die Plantix-App der Firma erkennt das. Sie analysiert das Bild der Eine intelligente

App analysiert, wie es Pflanzen

erk¡nnen hier: ≈ verstehen; sehen

WIRTSCHAFT

Der Pflanzendoktor Die Idee

Familie des Musikers hatte die Geige in der S-Bahn vergessen. Kamerabilder zeigen, dass ein Mann das Instrument kurz danach mitgenommen hat. Um das teure Instrument zu finden, hat die Polizei Bilder von ihm publiziert. Jetzt hat der Mann es zurückgegeben. Der Münchener sagt, dass er den großen finanziellen Wert der Geige nicht gekannt hat. Vielleicht gibt es � ür ihn trotzdem Konsequenzen. Denn

START�UP DES MONATS

„Den Leuten vor Ort war der Kohlenstoff aber relativ egal. Sie haben immer gefragt: Was hat meine Pflanze? Wieso sieht sie so kaputt aus? Wie kann ich ihr helfen?“,

erzählt der 32-Jährige. Zurück in Deutschland hat das Team dann sein Start-up gegründet.

Die App Plantix analysiert, wie es Pflanzen geht.

Dieses Jahr soll die intelligente App auch in Brasilien und Mali starten. „Ab August schicken wir Teams in die

Länder. Sie suchen zusammen mit den Menschen vor Ort Bildmaterial“, erklärt Munzel. Die App soll später nicht nur helfen, Krankheiten zu erkennen. Sie soll auch vor Krank-

heiten warnen. „Die User schicken anonym mit jedem Bild GPS-Daten“, erklärt Munzel. „Wenn es dann plötzlich in einer Region einen Schädling

öfter gibt, kann die App andere warnen.“ Nicht immer muss man gegen Schädlinge sofort Pestizide nehmen. Munzel und seine Kollegen mögen toxische

Mittel nicht. Deshalb zeigt die App ökologische Alternativen, die gegen Schädlinge helfen. Kostenlos ist Plantix � ür die User auch. Finanzieren sollen

die Idee andere Firmen, die die App � ür ihre eigenen Angebote nutzen. „In den nächsten � ünf Jahren möchten wir mit

der App in mindestens 15 Ländern sein – und Markt� ührer dieser Technik“, sagt Munzel. Ein sehr ambitionierter Plan. Aber: Es ist wahrscheinlich, dass er funktioniert.

   x    i    t    n    a    l    p   ;    a    p    d    /    e    c    n    a    i    l    l    a    e    r    u    t    c    i    p   :    s    o    t    o    F

Wie ist es hier? Die 14 deutschen Städte mit mehr als 500 000 Einwohnern kennt fast jeder. Und die 8218 Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern? Wir wollten wissen: Wie ist das Leben eigentlich dort? Unsere Reporter haben drei Dörfer besucht – und viel darüber erfahren. Von Jörg Walser, Anna Schughart, Veronika Widmann und Eva Pfeiff er

   x    n    i    M    n    a    h    p    e    t    S   :    o    t    o    F

Deutsch perfekt

AUGUST 2016

DEUTSCHLAND, DEINE PROVINZ

Die Texte zum Thema 16 Essay: Die deutsche Provinz 19 Thier: Das boomende Dorf  20 Wies: Das einsame Dorf  25 Rettenbach: Das autarke Dorf  26 Juli Zeh: Die Schrifstellerin über ihr Leben auf dem Dorf 

15

16

DEUTSCHLAND, DEINE PROVINZ

AUGUST 2016

rovinz! Dieses Wort ist wirklich seltsam – ist es doch so klar und gleich-

„Provinz“ ist nur noch eine Bezeichnung

zeitig so gar nicht klar. Für manchen Berliner ist ganz Restdeutschland Provinz. Ist er sehr großzügig, macht er vielleicht

von Interpretationen und Klischees. Mit „Provinz“  kann man wirklich alles asso-

P

� ür eine abstrakte Region; auch aus die-

sem Grund ist sie besonders oft ein Ziel

ziieren. Mehr als das: Wer heute „Provinz“ noch bei Hamburg, München und Köln sagt, kann das kaum noch neutral saeine Ausnahme; schließlich wohnen in gen. „Provinz“, das meint oft „klein“ und  jeder dieser Städte mindestens eine Mil- „unwichtig“. Da ist das böse Wort vom lion Menschen. Provinzkaff nicht weit – ein Wort, das Für manchen Münchener ist schon fast nur Einwohner von Großstädten Augsburg Provinz, keine 50 Kilometer benutzen. Menschen in Metropolen von der bayerischen Millionenmetropo- sind es auch, die von „denen da in der le entfernt, fast 300 000 Einwohner, aber Provinz“ sprechen und sich dabei so nicht per S-Bahn zu erreichen. viel mehr wert � ühlen. Und so wird das Und � ür die Augsburger? Vielleicht P-Wort ganz schnell zu einem polemiHeidenheim an der Brenz (47 000 Ein- schen Begriff. wohner, wenig darum herum)? Oder Dann ist da noch dieser Aspekt: Wer Pfullendorf (13 000 Einwohner, noch weit weg von den Städten lebt, lebt „auf weniger darum herum)? dem Land“. Wörtlich geEs könnte immer so weinommen, ist auch das eine Wer heute tergehen: Provinz, das sind ziemlich luftige Sache. „Provinz“ die anderen. Die armen Sicher ist: Die meisten sagt, kann das Menschen in diesen Orten, Deutschen leben irgendkaum noch wo die aktuelle Mode, die wie in der Provinz – und neutral sagen. neueste Musik und einfach doch ist der Unterschied alles, was Trend ist, immer zwischen Hauptstadt und erst mit Jahren Verspätung ankommt. Provinz in diesem Land viel kleiner als Wo abends nichts mehr los ist – ganz be-

anderswo. Denn so wichtig wie Paris � ür

stimmt gar nichts mehr los ist! Und das alles, obwohl „Provinz“ etymologisch ein ganz neutraler Begriff ist. Ein Verwaltungsbezirk, nicht mehr und nicht weniger als das, war eine Provinz schon vor 2000 Jahren bei den alten Rö-

Frankreich, Rom � ür Italien und Peking

mern. Raetia zum Beispiel, ein Gebiet so

groß wie Österreich mit Augusta Vindelicorum als Hauptstadt (im modernen Deutschland besser bekannt unter diesem Namen: Augsburg). Bis heute ist eine Provinz, genau genommen, nichts anderes als eine Region. Aber da hört es mit der Genauigkeit auch schon wieder auf. Eine Region, das kann alles sein. Eine Stadt und die Orte darum herum (Region Unna), genauso gut aber ein großer Teil eines Bundeslandes (Oberbayern). Auch die moderne

Verwaltungssprache hilft nicht weiter. Denn Deutschland hat zwar 16 Bundesländer, 19 Regierungsbezirke und 295 Landkreise – aber null Provinzen.

 großzügig ,

Deutsch perfekt

der Landkreis, -e   meh,

hier: ≈ tolerant

eine Ausnahme m„chen

,

rere Kommunen mit gemeinsamerAdministration

hier: nicht als Provinz sehen

die Bezeichnung, -en

(die Ausnahme, -n

,

,

 Regel)

schließlich hier: ≈ denn keine 50 Kilometer ,

,

hier: weniger als 50

Kilometer

Man könnte … weitermachen ,

,

hier: wirklich

neutral hier: objektiv; nicht positiv und nicht negativ ,

der Begr“ff, -e   Wort der Verw„ltungsbezirk, -e ,

 Region mit eigener Administration ,

der Römer, ,

hier: Einwohner des

historischen Roms

das Gebiet, -e   Region  genau gen¶mmen ,

,

m d langweiliger, isolierter, kleiner Ort ,

wœrtlich gen¶mmen in der Original-Bedeutung des Wortes ,

]s kœnnte … weitergehen einfach

  Name

das Prov“nzkaff, -s/¿er



l¢ftig hier: ungenau „nderswo  an anderen ,

,

Orten; hier: in anderen Ländern

dezentral ,

weit weg vom Zentrum

der Kiez, -e norddt., berlin.

  Stadtteil

,

die Peinlichkeit, -en Sache, die einem vor anderen unangenehm ist ,

stehen f ür ,

hier: ≈ bedeuten

die Gemeinde, -n   Kommune

,

≈ eigentlich

das B¢ndesland, ¿er  Teil einer � öderalistischen Republik ,

weiterhelfen helfen, ein Problem zu lösen ,

� ür China ist, ist Berlin � ür die Deutschen

nun wirklich nicht. Es gibt nicht die eine

Hauptstadt, die alles dominiert und den Rest des Landes zur Provinz macht. Es gibt viele Zentren. Damit liegen wenige Orte wirklich dezentral. Übrigens: Manche Leute finden auch Berlin ziemlich provinziell, weil vielen Berlinern der eigene Kiez, Wilmersdorf oder Reinickendorf, so viel wichtiger ist als der Rest der Stadt. Und weil eine Weltstadt sich eigentlich keine Peinlich-

keiten erlauben kann wie zum Beispiel einen Flughafen, der nie fertig wird. Aber

das ist eine andere Geschichte. Sicher ist: Wenn Provinz � ür „klein“ stehen soll, dann ist Deutschland, geografisch gesehen, ziemlich provinziell. Neun von zehn Gemeinden zwischen Alpen und Nordsee haben weniger als 10 000 Einwohner. Irgendwie ist fast überall Provinz in Deutschland.

   x    n    i    M    n    a    h    p    e    t    S   :    o    t    o    F

Die Bushaltestelle: Treffpunkt vor der Schule und abends vor dem Ausgehen. Hier beginnt manche Romanze.

Deutsch perfekt

DEUTSCHLAND, DEINE PROVINZ

AUGUST 2016

19

b > AUDIO THIER

Das boomende Dorf ................................................................................................................................... ...................................................................................................................................

Plötzlich wird die Straße einspurig. Der Bus muss halten, um ein Auto vorbeizulassen. Dann � ährt er durch den Wald – und endlich: hinein nach Thier. 43 Minuten dauert die Fahrt vom nächsten Bahnhof hierher ins Bergische Land im Osten von Köln. Eine Kirche, einen Fried-

leer stehend hier: so, dass niemand darin wohnt oder etwas anderes damit gemacht wird

Deutschland kämpfen mit dem Problem,

bes¶ndere (-r/-s)

Spur

(die Spur, -en

,

hier:

Teil einer Straße, auf der alle Autos in eine Richtung fahren)

,

,

hier:

(-r/-s)

die Gemeinschaft Zusammensein; Zusammenleben ,

das M“teinander

 jeder Ecke im Dorf gibt es irgendetwas Positives zu erzählen. Obwohl gar nicht alles positiv ist. In ein kleines Dorf wie Thier mit seinen 637 Einwohnern wird von außen nämlich kaum investiert. Die Kommunen haben kein Geld, � ür Firmen

lohnt es sich nicht. Wer Lebensqualität will, muss selbst etwas da� ür tun.

der G¶ttesdienst, -e religiöse Feier, speziell in einer christlichen Kirche ,

Zusammenleben; Arbeiten im Team

seinem Ort kann er nicht anders. Denn zu

Thierer reagieren auf Dinge wie diese. Sie

≈ Suche nach den Besten

„Das Besondere an Thier ist die Gemeinschaft, das Miteinander“, sagt

und damit so etwas wie ein inoffizieller Bürgermeister. Bosbach ist ein ruhiger, pragmatischer Mensch. Eigentlich mag er es nicht, sich und seine Leute selbst zu loben. Aber bei

die [ndacht, -en

der W¡ttbewerb, -e

≈ spezielle (-r/-s); typische

,

hier:

der Vorsitzende, -n   Per,

der Pf„rrer, -   Mann, ,

,

≈ religiöse Meditation

son, die einen Verein leitet

schließen

“noffiziell  nicht offiziell die ]cke, -n hier: Platz;

der D¶rfbewohner, -

,

,

Straße; Stadtteil

s“ch lohnen

,

hier:

,

hier:

aufhören, einen Service anzubieten Person, die in einem Dorf lebt ,

finanziell interessant sein, dass man etwas macht

k¶mmen auf …

der K¢nstrasenplatz, ¿e

¢ngeteert

,

≈ Rasen aus Plastik, auf

dem Ballspiele stattfinden (der Rasen  grüner Platz mit sehr gepflegtem Gras) ,

 gehören zu

,

sein von

≈ ein Teil

das Pfl„ster  Straße aus

,

hier:

einfallen, was … ist ,

Asphalt

≈ ohne

total hier: m sehr m„tschig  mit viel ,

,

nasser, schmutziger Erde

der Dr¡ck ,

,

speziellen Steinen

� ürth, zu der Thier gehört, wollte nur zwei

der in einer Kirche religiöse Aufgaben hat

,

dem die Toten liegen ,

Da ist zum Beispiel der neue Kunstrasenplatz des Sportvereins, Kosten: 300 000 Euro. Die Kleinstadt WipperDrittel davon bezahlen. Also bezahlten die Thierer die fehlenden 100 000 Euro selbst. Auch das Pflaster rund um den Rasen legten sie selbst. Oder die Sache mit dem katholischen Gottesdienst: Seit ein paar Jahren hat Thier keinen eigenen Pfarrer mehr. Deshalb gibt es in der Dorfkirche nur wenige offizielle Gottesdienste. Kein Problem: Eine Gruppe von Frauen aus dem Dorf organisiert selbst  jede Woche eine Andacht. Zwar hat auch Thier ein paar der typischen Probleme, wie viele Dörfer sie kennen. 2008 schloss die Grundschule im Ort, 2012 die letzte Bäckerei. Aber die

der Friedhof, ¿e  Ort, an

Was macht dieses Dorf besser als andere?

Andreas Bosbach. „Man bekommt immer Hilfe, wenn man fragt.“ Der 48-Jährige ist seit März Vorsitzender des Bürgervereins

Kleiner Ort ganz groß: Wegen seiner hohen Lebensqualität ist Thier im Bergischen Land ein „Golddorf“.

 mit nur einer

,

hof, einen Briefkasten und einen kleinen Laden. Das gibt es hier. Also ein Dorf wie  jedes andere? Nicht ganz. Thier nennt sich „Golddorf“. Bei dem letzten nationalen Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ hat es nämlich eine Goldmedaille gewonnen. Dazu muss die Lebensqualität in einem Dorf besonders hoch sein. Und dieser Triumph ist nicht der einzige: Insgesamt 22-mal gewann Thier bei ähnlichen Wettbewerben Gold, Silber oder Bronze. Viele Dörfer in dass zu viele Leute wegziehen. Anders dieses: Dort sieht man nicht ein leer stehendes Haus. Im Gegenteil: Immer wieder kommen junge Familien in den Ort.

   h    c    a    b    s    o    B    s    a    e    r    d    n    A   ;    x    n    i    M    n    a    h    p    e    t    S   :    s    o    t    o    F

einspurig

m ≈ Schmutz

raussuchen ,

m hier: heraus-

holen

überlegen sich etwas Neues. Zum Beispiel den selbst organisierten Dorfladen, bei dem viele Dorfbewohner mitmachen.

Bosbachs Lieblingsprojekt ist aber nicht der Laden. Wer nicht weiß, was es ist, kommt kaum darauf. Plötzlich bleibt er auf einer Straße stehen. Sie sieht aus wie jede andere. „Früher war hier nur ein ungeteerter Weg. Jeden Winter wurde er total matschig, aber der Stadt war das egal“, sagt er. Also lösten die Thierer auch dieses Problem selbst. In der Nachbarstadt wurde gerade eine

Straße neu gebaut. Ob sie das alte Pflaster haben könnten? Das bekamen sie, und dazu sehr viel Dreck. „Wir haben � ünf

Wochenenden lang die Steine aus dem Dreck rausgesucht“, erzählt Bosbach.

20

DEUTSCHLAND, DEINE PROVINZ

Die Firmen aus dem Dorf halfen mit Ma-

schinen, Lkw und Expertise, die Bürger mit ihren Händen. Kurze Zeit später war die Straße fertig. Selbst machen – das ist in Thier Dorfphilosophie. Nicht weit entfernt von dieser Straße liegt das wahrscheinlich schönste Gebäu-

de im Ort. Es steht direkt in der Dorfmitte, gegenüber der Kirche. Das Gebäude ist ein alter Bauernhof mit grauem Dach, weißen Fenstern und grünen Fensterläden. Schweine und Hühner leben dort aber schon seit langer Zeit nicht mehr. Stattdessen ist der Hof seit 2003 das Zuhause von 22 jungen Erwachsenen mit Behinderung. Natürlich waren es wieder einmal die Thierer selbst, die das organisierten. Menschen wie Inge Röckerath. Der Sohn der 65-Jährigen hat das Downsyndrom. Röckerath wollte, dass er als Erwachsener selbstständig leben, aber

trotzdem auf dem Land bleiben kann. Also gründete sie mit anderen Eltern von

behinderten Kindern den Verein „Noh

WIES

Das einsame Dorf ................................................................................................................................... ...................................................................................................................................

 Der Dor�aden ist �ür das soziale Leben von elementarer Wichtigkeit.

Deutsch perfekt

AUGUST 2016

Bieneen“. Er betreibt die Institution. „Die Bewohner wurden sofort in den Alltag integriert“, sagt Röckerath. „Sie kaufen im Laden ein, sind im Sportverein und gehen auf die Dorffeste. Eigentlich werden sie vom ganzen Dorf mitbetreut.“ Mehr als 50 Arbeitsplätze sind durch „Noh Bieneen“ entstanden. Und die frühere Dorfschule stand nicht lange leer: Sie gehört inzwischen auch dazu. Mal ehrlich, bei dem vielen Miteinander, geht man sich da nicht manchmal auf die Nerven? Bosbach lacht bei dieser Frage. Natürlich gibt es mal Streit. Natür-

lich ist er manchmal ärgerlich, wenn er zum � ünften Mal um etwas bitten muss. Aber nach einem gemeinsamen Bier auf dem Schützenfest ist der Ärger meistens wieder vorbei. Gemeinsam feiern: Auch das ist wichtig � ürs Zusammenleben. Der

Dorfkalender ist voll mit Festterminen. Und an den beiden Bänken auf der Dorfwiese hängen zwei Flaschenöffner. Fürs Feierabendbier.

Eigentlich hatte Dieter Miss sein Arbeits-

leben als Kaufmann schon beendet. Sein Schuhgeschäft würde die Tochter übernehmen, er selbst wollte sich auf andere Dinge konzentrieren. Aber daraus wurde

erst mal nichts. Jemand aus dem Dorf erzählte nämlich

dem Bürgermeister: Da ist einer, der hat Erfahrung mit Einzelhandel. Und schon war Miss mitten im Projekt „Dorfladen“. In den Monaten danach kostete es ihn 1250 Stunden praktische Arbeit und außerdem sehr viel Überzeugungsarbeit. Denn nicht allen in Wies und seinen Nachbardörfern gefiel die Idee. Wies: Wer es besuchen möchte, � ährt auf engen Straßen an wilden Bächen, dunklen Bäumen und grünen Wiesen vorbei. Der Schwarzwald ist hier am schönsten. Aber diese Schönheit gibt es nur zusammen mit der Einsamkeit. In Deutschland leben durchschnittlich 229 Menschen auf einem Quadratkilometer. Im Kleinen Wiesental, zu dem auch Wies gehört, sind es 37. Acht Dörfer sind zusammen die Gemeinde mit dem gleichen Namen. Sie liegen, getrennt durch

der F¡nsterladen, ¿  Konstruktion, meistens aus Holz, außen an beiden Seiten des Fensters ,

stattd¡ssen

hier: ≈ im

,

Gegenteil dazu

das Zuhause   Haus; ,

Wohnung

auf dem L„nd ,

 in der Stadt



 gr•nden   starten betreiben   Adminis,

,

tration und wirtschaftliche Aktivitäten erledigen

m“tbetreuen  sich auch ,

kümmern um

entstehen d¢rch

,

hier:

da sein wegen

s“ch auf die N¡rven  gehen m stören; ,

ärgerlich machen

das Sch•tzenfest, -e Fest mit Turnier im Sportschießen ,

die D¶rfwiese, -n großer Platz mit Gras und Blumen, meistens in der Dorfmitte ,

der Kaufmann, Kaufleute  Person, die im ,

Einkauf/Verkauf arbeitet

w•rde … übernehmen hier: es war schon ,

entschieden, dass … als Chefin weitermacht mit

Daraus w¢rde ¡rst mal n“chts.  Dieser Plan wur,

de erst mal nicht realisiert.

der Einzelhandel

,

hier:

Verkauf von Waren in einem Laden

die Überzeu gungsarbeit hier: viele ,

Gespräche, mit denen man erreicht, dass andere mitmachen

der B„ch, ¿e   kleiner ,

Fluss

die Wiese, -n   großer ,

Platz in der Natur, wo Gras wächst

 gehören zu sein von

,

≈ ein Teil

die Gemeinde, -n   Kom,

mune

   t    r    a    h    g    u    h    c    S    a    n    n    A   ;    x    n    i    M    n    a    h    p    e    t    S   :    s    o    t    o    F

Deutsch perfekt

AUGUST 2016

DEUTSCHLAND, DEINE PROVINZ

Die Distanz zwischen den Dörfern kann ziemlich groß sein. Deshalb ist Mobilität ein wichtiges Thema.

21

Egal, ob � ür Sport, Musik oder Tradition – Vereine bringen auf dem Dorf Jung und Alt zusammen.

Deutsch perfekt

DEUTSCHLAND, DEINE PROVINZ

AUGUST 2016

 Viele Menschen gibt es nicht im SchwarzwaldDorf Wies.

23

die Gen¶ssenschaft, -en  Verein, mit dem Ziel, das einzelne Mitglied wirtschaftlich zu unterstützen ,

„breißen

,

machen

hier: kaputt

der Fœrster, -   Person, ,

die sich beruflich um einen Wald und die Tiere dort kümmert

steil  so, dass es stark ,

nach oben geht oder nach unten � ällt

sogar   auch das Hühnerfutter   Essen ,

,

� ür Hühner

„nnageln  mit einem ,

die Berge des Schwarzwalds, in verschiedenen Tälern. Tälern, von denen die Men-

schen sagen: Sie sind so steil, dass man sogar das Hühnerfutter annageln muss. In dieser Umgebung ist ein Dorfladen so viel mehr als ein Laden im Dorf. Er ist Treffpunkt, Café, Kneipe, Nachrichtenzentrale – � ür das soziale Leben von elementarer Wichtigkeit. Aber 2008 schloss der letzte Dorfladen im Kleinen Wiesental, in Wies sogar schon 2007. „Die Leute haben gesagt: Seit es den Dorfladen nicht

mehr gibt, weiß man nicht mal mehr, ob der Nachbar noch lebt“, sagt Miss. Denn obwohl hier jeder jeden kennt, weiß man

von den Nachbarn nicht viel Aktuelles, wenn man nicht vor die Tür geht. „Pessimismus in unserem Tal hat eine mehr als 200 Jahre alte Historie“, sagt Miss. Als Schüler verliebte er sich in das Tal, als Erwachsener zog er mit seiner Familie her. Durch die nicht ganz freiwillige Zusammenlegung der Dörfer zur Gemeinde Kleines Wiesental 2009 wurde dieser Pessimismus bei vielen stärker.    n    e    n    e    o    h    c    S    l    e    i    n    a    D    /    s    e    g    a    m    i    s    u    i    t    i    r    u    a    m   ;    x    n    i    M    n    a    h    p    e    t    S   :    s    o    t    o    F

Sie fanden die Idee, in dem ganzen Trubel auch noch einen Dorfladen aufzumachen,

größenwahnsinnig. Aber es gab auch Argumente da� ür: „Ich habe immer gesagt: Wenn wir mal so weit sind, dass wir gar nichts mehr wagen, dann können wir bald

alle hier wegziehen“, sagt der 57-Jährige. Ganz unrecht hatten die Kritiker aber nicht: Das Projekt war ambitioniert. In der Vergangenheit hatte sich gezeigt, dass niemand von dem Dorfladen leben konnte. Deshalb entschieden sich die Einwohner � ür eine Genossenschaft,

und hofften auf freiwillige Helfer. Da es keinen passenden Ladenraum gab, musste ein Gebäude abgerissen und ein neues

gebaut werden. So war schon – bevor das erste Geld in der Kasse lag – Teamarbeit gefragt. Der Bauer, der Förster, der Handwerker, alle mussten mithelfen. Miss zeigt einen Film von den Bauar-

zus„mmenfalten

der Tr¡ffpunkt, -e   Ort,

machen

,

an dem man sich trifft

die Nachrichtenzentrale, -n hier: Ort, an dem man ,

sich Neuigkeiten mitteilt

schließen

,

aufhören, einen Service anzubieten

um zu erklären, was gerade passiert oder wen man sieht. Er könnte das noch viel öfter tun, denn zu allem gibt es eine Ge-

nen, zu lieben

die Zus„mmenlegung

schichte. Da ist der starke Mann, der beim

eine Gemeinde machen

Abreißen des alten Gebäudes mit seiner Körperkraft Regenrinnen zusammenfaltet. Die Großmutter mit ihrem selbst gebackenen Kuchen. Und der kleine Junge, der unbedingt mithelfen wollte. Er war dann der Erste, der im fertigen Laden

der Trubel

,

von: zusammenlegen = hier: aus mehreren Dörfern ,

≈ sehr unruhige Situation ,

 größenwahnsinnig   so, ,

dass man glaubt, alles zu können und alle Möglichkeiten zu haben

so weit sein

,

Phase erreichen

,

≈ klein

¢nbedingt  auf jeden Fall der Meilenstein, -e ,

,

hier: erreichtes Ziel

erœffnen  zum ersten ,

hier:

s“ch verlieben “n   begin-

Menschen in Wies und den Nachbardörfern weniger skeptisch. Und am 7. Mai 2009 eröffnete der Laden wirklich. Sieben Jahre später. An diesem Don-

langes Ding aus dünnem Metall in der Form von einem Halbkreis, das außen an einem Dach ist: Dort sammelt sich Regenwasser und geht nach unten in die Erde. ,

Nagel stabil machen an …

beiten. Immer wieder drückt er auf Pause,

stand. Mit jedem Meilenstein wurden die

die Re genrinne, -n

hier: eine

wa gen  ohne Angst ,

etwas Neues versuchen

Mal öffnen

rauschen  Laute machen, ,

wie wenn sich Wasser schnell bewegt

der/die Zucchini,  mediterrane, grüne Gemüsepflanze ,

w¶rtlos zunicken   den ,

Kopf kurz nach oben und unten bewegen, ohne etwas zu sagen

die Kassiererin, -nen ,

Frau, bei der man bezahlt

schwætzen süddt.  sich unterhalten

,

s“ch b“lden

hier: sich formen; ≈ eine Gruppe machen ,

nerstagabend ist im Laden wenig los. Ger-

trud Gempp � üllt die Brotbestellung aus. Die 58-Jährige weiß genau, wer welches Müsli und wer welches Brot will. Auf der Terrasse sitzen zwei Männer und trinken

ihr Feierabendbier, unter ihnen rauscht der Bach. Eine Frau kommt herein, sie kauft Zucchini, Joghurt und Wurst. Wortlos der Kassiererin zunicken, das geht hier nicht. Es wird gelacht und geschwätzt. Wer in den Laden kommt, wird mit Namen begrüßt. Immer wieder bilden sich kleine Gruppen, die über Neuigkeiten sprechen. Der Dorfladen ist

auch eine gute Möglichkeit, um sich zu integrieren: Ben Meech kommt aus England und wohnt jetzt mit seiner Familie im Kleinen Wiesental. „Im Laden mitzuhelfen, ist der schnellste und beste Weg, um die Leute kennenzulernen. Sie mich und ich sie“, sagt der 42-Jährige. Dieter Miss steht stolz im Laden. „Das alles war nur möglich, weil die Leute solidarisch waren“, sagt er. Weil sie auch wirk-

lich immer wieder dort einkaufen. Auch die, die am Anfang nicht an das Projekt glaubten.

Natur und Idylle sind schön und gut. Aber den Kontakt zum Rest der Welt will man auch nicht verlieren.

Deutsch perfekt

DEUTSCHLAND, DEINE PROVINZ

AUGUST 2016

25

die Gemeinde, -n   Kom,

mune

bes¶ndere (-r/-s)



,

spezielle (-r/-s); anders als der Durchschnitt

die [nlage, -n

hier: große technische Konstruktion ,

produzieren   machen; ,

herstellen

hinzukommen

,

hier:

außerdem hergestellt werden

die Biomasse

hier: z. B. Biogas, Teile von Pflanzen ,

den Strombedarf d¡cken ≈ machen, ,

RETTENBACH AM AUERBERG

Das autarke Dorf ................................................................................................................................... ...................................................................................................................................

– ein Vorbild“, erzählt Friedl. Wilhelm Fischer, damals Bürgermeister, machte den

Anfang: Er baute auf dem Dach seines Hauses eine Fotovoltaik-Anlage. Friedl war der Zweite. Dann gab es einen Do-

 In Rettenbach sind auf fast 80 Prozent der Dächer Fotovoltaik-Konstruktionen.

tes tun, können wir gemeinsam die Welt besser machen.“ Es ist ein schöner Satz, den der Bürgermeister Reiner Friedl da sagt. Auch, weil er ihn wirklich so meint. Denn genau das ist passiert in Rettenbach am Auerberg (Bayern). Die kleine Gemeinde mit nur 838 Einwohnern ist ein besonderer Ort: Rettenbach ist fast energieautark. Auf fast 80 Prozent der Häuserdächer sind Fotovoltaik-Anlagen. 3594 Megawattstunden Strom pro Jahr werden damit produziert. Hinzu kommen 1257 Megawattstunden aus Biomas-

   p    d    d   ;    k    c    ä    B    n    a    i    t    s    i    r    h    C    /    s    e    g    a    m    i    s    u    i    t    i    r    u    a    m   ;    x    n    i    M    n    a    h    p    e    t    S   :    s    o    t    o    F

se. Und so deckt das idyllische Dorf rund 86 Prozent des eigenen Strombedarfs. Das gibt es nicht oft in Deutschland. Die Geschichte hinter den Zahlen ist eine vom Verlieren und Wiederaufstehen. 1978 wurde Rettenbach gegen den Willen seiner Bürger Teil der Gemeinde Stötten. Erst Ende 1993 wurde es wieder selbstständig. Die Menschen mussten nun ein eigenes Dorf aufbauen. Es gab nicht einmal einen Raum, wo sie sich treffen konnten. Die Rettenbacher sahen das

als Chance. „Wir haben uns gesagt, dass wir anders werden müssen als andere

(der Strombedarf  ,

Strom, der nötig ist)

 ge gen den W“llen seiner B•rger  ohne dass seine ,

Bürger das wollten

minoeffekt: Immer mehr Einwohner bau-

aufbauen

hier: eine neue Infrastruktur, Administration … machen

ten Anlagen auf ihren Dächern. Es wurden so viele, dass Rettenbach bis heute in der Solarbundesliga viermal die Nummer

,

das Vorbild, -er

eins war. Während dieser Zeit kamen au„Wenn viele Menschen etwas kleines Gu-

dass genug Strom � ür den Strombedarf da ist

,

hier:

ideales Beispiel

ßerdem immer mehr Firmen ins Dorf. Es wurde � ür die Wirtschaft interessant. Die

die Solarbundesliga   Lis,

te, die die Reihenfolge der Kommunen zeigt, die besonders viel Solarenergie benutzen

Gemeinde wächst bis heute. Und es gibt noch etwas Besonderes in Rettenbach: eine eigene Währung. Ein

die Währung, -en

bisschen Humor steckt natürlich auch in

,

der Idee. Aber sie funktioniert. Mit den

≈ Geld eines Landes

st¡cken hier: sein der Taler, -  früher Geld,

Weichbergtalern können die Einwohner

,

zum Beispiel im Gemeindeladen bezahlen. Ein Weichbergtaler sind � ünf Euro. „Der Weichbergtaler symbolisiert, dass das Geld im Ort bleibt“, erklärt Friedl.

stück in Deutschland

sch¢ldenfrei   ohne ,

Schulden

(die Sch¢lden Pl. Geld, das man von einer Person oder einer Bank geliehen hat)

Die finanzielle Lage ist auf jeden Fall gut:

,

Rettenbach ist schuldenfrei.  Im Zentrum fast jeder Dorf-Infrastruktur steht eine Kirche, so auch in Rettenbach.

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Fast zu�ällig ist die Bestsellerautorin Juli Zeh vor neun Jahren in eine sehr einsame Region in Brandenburg gezogen – heute ist sie dort sehr glücklich.

die Belletr“stik haltungsliteratur

,

≈ Unter-

teilweise hier: immer nur � ür ein paar Wochen oder Monate ,

„Exzentriker leben heute auf dem Land“ eher

,

hier: ≈ mehr

eine These aufstellen behaupten Da tobt ja das Leben. Da ist viel los.

,



,

m

Die Schriftstellerin Juli Zeh im Interview: Macht das Leben in der Provinz Menschen kreativer? Warum träumen so viele Deutsche davon, auf dem Dorf zu leben? Und wie ist es dort wirklich?

Deutsch perfekt

AUGUST 2016

S > SCHWER

 PLUS

Sieben von den zehn erfolgreichsten Schriftstellern auf der aktuellen Spie gel-Bestsellerliste Belletristik leben wenigstens teilweise in der Provinz. Eine von diesen sieben sind Sie. Ist die Provinz inspirierender als die Großstadt? Das glaube ich nicht. Ich würde eher die These aufstellen, dass Schriftsteller, anders als Angestellte, einfach die Möglichkeit haben, aufs Land zu ziehen und das deshalb auch machen. Diesen Wunsch haben ja sehr viele Menschen. Aber das ist schwierig � ür Leute, die morgens um 9 Uhr im Büro sein müssen. Kleine Gegenthese: Kinder werden kreativ, wenn sie sich langweilen. Nun ist auf dem Land ja viel weniger los als in der Stadt. Sind Sie kreativer, seit Sie in Ihrem Dorf leben? Nein, das kann ich so nicht sagen. Ich

schreibe eher weniger als früher. Ich finde es lustig, dass Sie überhaupt diese Frage

stellen, die Provinz als inspirierend zu betrachten. Ich bin vor zehn Jahren immer ganz selbstverständlich gefragt worden:

   r    e    l    l    ü    M    s    a    m    o    h    T   :    o    t    o    F

INTERVIEW

Zwei Faktoren haben uns alle Ängste wieder genommen. Wir erfuhren, dass in dem Dorf und in der Region viele homosexuelle Paare leben, ohne irgendwelche Akzeptanzprobleme. Da haben wir gedacht: Super! Wenn die Menschen gegenüber Homosexuellen so tolerant sind, dann können wir als Künstler auch nicht anecken. Das andere war: Unsere Nachbarn erzählten uns sehr bald, dass sie am Anfang Angst vor uns hatten. Weil sie dachten, dass wir mit diesem L auf dem Auto-

nummernschild – L wie Leipzig – Sachsen sein könnten. Und wenn es eines gibt, worauf die Brandenburger keine Lust haben, dann sind das Sachsen! Es gibt auch Dörfer, in denen Fremde nicht sehr willkommen sind. War das vielleicht einfach ein bisschen Glück? Das fragen wir uns auch. Aber wir hören auch viel von Menschen aus anderen Dörfern. Ich habe von diesen typischen Schwierigkeiten, die das Vorurteil nahelegt – alles voller Nazis und fremden-

feindlich –, aus den Erzählungen oder den

Ich würde ja in großen Städten leben und das sei bestimmt auch deswegen, weil die

eigenen Erlebnissen nichts mitbekommen. Das heißt nicht, dass es das nicht

Großstadt � ür den Autor inspirierend ist. Da tobt ja das Leben, darüber kann man schreiben. Ich habe damals schon gesagt, dass es � ür meine Arbeit nicht so einen großen Unterschied macht, wo ich bin. Sie sind 2007 von Leipzig in ein kleines Dorf in Brandenburg gezogen. Hat Ihnen die Stadt nicht mehr gefallen? Tatsächlich hat mir Leipzig damals nicht mehr gefallen. Trotzdem wollte ich nicht aufs Land. Mein Mann und ich wollten nach Berlin ziehen, wie das damals viele taten. Bei der Wohnungssuche sind wir

gibt. Aber das ist als Phänomen wohl doch viel punktueller, als man glaubt. Mit Ihrem neuen Buch Unterleuten haben Sie einen komplexen Gesellschaftsroman geschrieben. Wie komplex ist so eine Dorfgemeinschaft denn wirklich? Als Gemeinschaft finde ich sie nicht so unglaublich komplex. Weil dort einfach

27

Ganz klar ja. Es gibt auf dem Dorf nicht die Möglichkeit zur Harmoniesucht. Wenn Menschen sich gegenseitig auf die Nerven gehen, muss man sich in irgendeiner Weise damit auseinandersetzen und Lösungen finden. Das � ührt einfach dazu, dass Menschen auch in Bezug auf die eigene Belastbarkeitsgrenze viel entspannter werden. Mein Eindruck ist, dass wir extrem empfindlich geworden sind: Jeder Mensch hat das Ge � ühl, die Welt muss eigentlich nach seinen Bedürfnissen gestrickt sein – die Welt als

die Belletr“stik haltungsliteratur

,

≈ Unter-

teilweise hier: immer nur � ür ein paar Wochen oder Monate ,

eher

,

hier: ≈ mehr

eine These aufstellen ≈ behaupten ,

Da tobt ja das Leben. m Da ist viel los. ,

stoßen auf  finden

zu� ällig

,

unglaublich besonders verl¡rnen verlieren austragen

,

hier: m

≈ Können

,

hier: zu Ende oder zur Entscheidung bringen ,

die Harmoniesucht  krankhafter Wunsch, das alles immer harmonisch sein soll ,

s“ch ge genseitig auf die N¡rven gehen m einer den anderen stören oder ärgern ,

durchd„cht  sehr gut überlegt ,

entspr¡chen passen zu

,

hier:

s“ch ausein„ndersetzen m“t  sich beschäftigen mit ,

s“ch vornehmen   planen ,

massiv

,

hier: sehr groß

der Reiz, -e hier: ≈ Grund � ür Interesse

“n Bezu g auf    sich beziehend auf  ,

man nicht sehr leicht ändern. Gerade das macht es aber so spannend. Das Groß-

der W¡ssi, -s m Bewohner der früheren BundesrepublikDeutschland

die Bel„stbarkeitsgrenze Grenze, wie viele Konflikte und Probleme jemand aushält (aushalten hier: Unangenehmes akzeptieren, wie es ist)

auf dieses Haus in Brandenburg gestoßen

stadtleben kann oft einfacher sein: Wenn einem etwas nicht ge� ällt, zieht man eben

der F„ktor, Faktoren   Komponente

entsp„nnt hier: ohne Sorgen; unkompliziert

– und haben es einfach gekauft. Das war eine sehr wenig durchdachte Entscheidung. Die entsprach überhaupt nicht dem, was wir uns vorgenommen hatten � ürs Leben. Wie wurden Sie aufgenommen? Supergut. Wir haben wirklich massive Sorgen gehabt, dass wir aus ganz verschiedenen Gründen dort � ür die Menschen einen negativen Reiz darstellen könnten. Wir waren nicht nur Städter, sondern Wessis und auch noch Künstler.

einfach weg. Die meisten Menschen in den deutschen Städten sind Mieter. Die können ziemlich leicht die Wohnung wechseln. Das ist im Dorf gar nicht so. Die Menschen, die dort wohnen, gehen im Normalfall so schnell nicht weg. Sie sind gezwungen, Konflikte tatsächlich zu leben. Das ist etwas, was wir als Ge sellschaft in der letzten Zeit ein bisschen verlernt haben. Können Menschen auf dem Land Konflikte besser austragen?

„necken hier: m einen negativen Eindruck machen

empf“ndlich hier: so, dass man sich schnell beleidigt � ühlt

alle an einem Ort leben, ohne dass sie sich als Nachbarn ausgesucht haben. Das kann

,

darstellen

hier: sein

,

,

,

,

nahelegen ten lassen v¶ller

,

,

hier: vermu-

hier: voll von

m“tbekommen erfahren

,

hier:

,

,

,

,

nach … gestr“ckt sein m genauso machen, wie es zu … passt ,

das Bed•rfnis, -se ≈ Wunsch ,

punktu¡ll hier: so, dass es nur manchmal an manchen Orten passiert ,

Unterleuten eigentlich: unter Leuten = in der Gesellschaft von Leuten ,

28  

INTERVIEW

AUGUST 2016

Wunschkonzert. Das macht einen zum ge� ährlichen Konfliktpartner. Menschen auf dem Land habe ich viel weniger egozentrisch erlebt, gemeinschaftsorientierter und auch viel toleranter. Deshalb ziehen besonders viele Exzentriker aufs Land – so exotische Menschen, von denen man immer eher glaubte, die trifft

Sie da nicht mal ein bisschen Angst, mit Ihrem Roman zu spät zu kommen? Schon. Aber nicht so sehr aus Angst vor diesen Magazinen, sondern weil in den letzten zehn Jahren auch viele andere Dorfromane erschienen sind. Davor hat-

man mitten in Berlin, Londons oder New

Diese Frage wird die Germanistik einmal

York. Meine Erfahrung ist: Die leben in der tiefsten Provinz, weil die Städte eine

ren Kern von fester Identität und glauben an bestimmte Prinzipien. Anders die

beantworten. Meine Vermutung ist, dass die Literatur da etwas nachzeichnet, was wir alle spüren: diese Sehnsucht, diesen neuen Eskapismus, diesen Wunsch danach, eine komplexe Welt zu verlassen. Können Sie sich umgekehrt vorstellen, Ihre Dorfwelt einmal zu verlassen und wieder in die Stadt zu ziehen? Momentan tatsächlich nicht, weil ich wirklich sehr froh bin, wo ich lebe. Aber die Gegend, in der wir leben, ist eine ver-

Städter, die mehr � ürs 21. Jahrhundert ste-

gessene Region. Es gibt keine Ärzte, keine

hen: Sie spüren alle ein Loch in ihrer Mit-

Einkaufsmöglichkeiten. Es gibt wirklich gar nichts. Das ist � ür alte Leute eine Tortur. Deshalb könnte ich mir schon vorstellen, dass wir in der weiter entfernten Zukunft einmal sagen: Wir gehen jetzt wieder in eine Stadt. Interview: Jörg Walser

ziemlich gleichgeschaltete Angelegenheit geworden sind. Was ist der größte Unterschied zwischen Dorf und Stadt? So wie ich das im Buch baue, leben die

Dorfbewohner mit ihrer Mentalität noch im 20. Jahrhundert. Sie haben einen inne-

te. Die haben einen Identitätskonflikt. Sie drehen sich stark um sich selbst, um Fragen wie: Wer bin ich? Wie will ich leben?

Muss ich mich ändern? Was will ich überhaupt? Sie kämpfen mit Fantasien, die sie von sich selbst haben – und mit der Frage,

te ich zwischendurch schon große Angst. Woher kommt dieser Literaturtrend?

 gemeinschaftsorientiert  interessiert und bereit, in der Gemeinschaft zu helfen

der/die Zu gezogene, -n Person, die nicht in der Gegend aufgewachsen ist, in der sie wohnt

die tiefste Prov“nz m Orte, die sehr weit entfernt von einer Stadt sind

die S¡lbsterneuerung von: sich selbst erneuern = hier: versuchen, ein neues Leben zu beginnen und dadurch ein anderer Mensch zu werden

,

,

 gleichgeschaltet hier: d so, dass alle auf gleiche Art leben ,

die [ngelegenheit, -en   Sache ,

der K¡rn, -e Charakter

,

hier:

stehen �ür hier: ≈ Symbol sein für ,

„m ehesten m hier: sehr wahrscheinlich ,

das L„ndlust-Magaz in, -e  Zeitschrift, die das idyllische, romantische Leben auf dem Land zum Thema hat ,

die Auflage, -n hier: Menge der gedruckten Zeitschriften ,

die Oberfläche, -n hier: alles, was man von außen sieht ,

ob sie erfolgreiche Menschen sind oder nicht. Das sind so typische innere Bewegungen, mit denen wir alle kämpfen. Wie idyllisch ist das Landleben denn wirklich?

,

scheitern  keinen Erfolg haben ,

zwischend¢rch immer wieder

,

hier:

die German“stik ≈ systematisches Studieren der deutschen Sprache und Literatur ,

nachzeichnen hier: im Detail beschreiben ,

die Sehnsucht   starker Wunsch ,

¢mgekehrt  genau das Gegenteil ,

momentan   zurzeit ,

eine Tortur sein �ür m extrem anstrengend sein � ür ,

,

 Jura  Wissenschaft, die sich mit Recht und Gesetz beschäftigt ,

assoziieren, kommt ja am ehesten von Landlust-Magazinen. Das sind Publikationen mit extrem großen Auflagen, viel höher als die Auflagen von Magazinen wie Stern oder Spiegel. Die sehen im Provinzleben vor allem so eine ästhetische Oberfläche. Da geht es um schöne alte Bauernhäuser, alles so ein bisschen Vin-

rum Zugezogene mit ihrem Traum von der Selbsterneuerung in der ländlichen Idylle grandios scheitern. Was sie erwarten, das finden sie nicht. Sie haben zehn Jahre an Unterleuten  gearbeitet. Genau in dieser Dekade ist das Landleben zu diesem großen gesellschaftlichen Thema geworden. Hatten

,

der Dir¡ktor beim Deutschen B¢ndestag   Chef der Verwaltung des deutschen Parlaments

Die Idylle, die viele Städter mit dem Land

tage, aber gleichzeitig sehr kreativ. Das hat mit dem Leben im realen Dorf absolut gar nichts zu tun. Das ist auch ein Grund, wa-

Deutsch perfekt

der Adler, -   großer Vogel mit sehr guten Augen, der kleine Tiere frisst ,

der ]ngel, -  in vielen Religionen eine fiktive Person, die den Menschen Nachrichten von Gott bringt ,

Juli Zeh Die Tochter eines Direktors beim Deutschen Bundestag wurde 1974 in Bonn geboren. 1998 machte sie das beste Jura-Examen in ganz Sachsen. Parallel zu ihrer Beschäftigung mit diesem Fach studierte sie am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig, einer von ganz wenigen universitären Institutionen in Deutschland, an denen literarisches Schreiben

studiert werden kann. Als Schriftstellerin wurde Juli Zeh mit Romanen wie Adler und Engel (2001) und Spieltrieb (2004) berühmt. Bekannt ist sie auch, weil sie regelmäßig öffentlich ihre Meinung zu politischen Themen sagt. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in einem kleinen Dorf in Brandenburg. In so einem Dorf spielt auch ihr aktueller, 640 Seiten dicker GesellschaftsromanUnterleuten, der zum Bestseller wurde.

der Spieltrieb   natürliche Lust und Freude am Spielen ,

Unterleuten   eigentlich: unter Leuten = in der Gesellschaft von Leuten ,

   r    e    l    l    ü    M    s    a    m    o    h    T   :    o    t    o    F

30  DEBATE

AUGUST 2016 Deutsch perfekt

Sollten auch diese Damen in Tests zeigen, dass sie noch sicher Auto fahren können?

   C    A    D    A   ;    n    i    e    r    e    v    s    t    l    a    w    n    A    r    e    h    c    s    t    u    e    D   ;    s    e    g    a    m    I    y    t    t    e    G   :    s    o    t    o    F

S > SCHWER

Fahrtest für Senioren? Im Alter ist die Gefahr groß, an einen Unfall beteiligt zu sein. Daran schuld zu sein, auch. Gleichzeitig gibt es immer mehr ältere Menschen im Land. Was also tun? Hilft vielleicht ein Gesundheitscheck speziell für Senioren, um das Autofahren sicherer zu machen?

beteiligt sein „n hier: Unfallverursacher oder Unfallopfer sein ,

Deutsch perfekt AUGUST 2016

Ja

DEBATTE

 

„Für Lkw-Fahrer sind Gesundheitstests ab dem 50. Lebensjahr schon jetzt Pflicht.“

Jeder kennt ältere Personen, die noch

Auto fahren, obwohl sie es wegen ihres Alters nicht mehr sollten. Und alle wissen, wie schwer es ist, zum Beispiel dem dementen Vater das Autofahren zu verbieten. Leider siegt bei einer Krankheit die Vernunf nicht. Meistens wird das Argument genannt, die Erfahrung der älteren Autofahrer mache das wieder wett. Aber nach Auswertungen des Statistischen Bundesamtes sind über ��-Jährige bei drei Vierteln ihrer Un� älle die Verursacher. �� Prozent der Geisterfahrer sind über �� Jahre alt. Es darf nicht übersehen werden, dass ältere Verkehrsteilnehmer krankheitsbedingte Ausfallerscheinungen haben können und auch grundsätzlich in ihrer Reaktionsgeschwindigkeit und ihrem Blickfeld eingeschränkt sind. Dies ist leider biologisch determiniert. Zwar ist die Unfallbeteiligung von Senioren im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil unterdurchschnittlich. Das liegt aber an der geringeren jährlichen Fahrleistung. Jüngere fahren einfach viel mehr als Senioren. Für Lkw-Fahrer sind Gesundheitstests ab dem ��. Lebensjahr schon  jetzt P�icht. Es geht nicht darum, mit P�ichttests allen über ��-Jährigen die Fahrerlaubnis wegzunehmen. Es geht um die Verkehrssicherheit � ür alle. Eine wachsende Gruppe von Senioren ist offensichtlich alters- oder gesundheitsbedingt nicht fahrtüchtig. Wir meinen, dass dieser Gruppe, wie in den meisten anderen europäischen Staaten auch, durch Prüfung einer objektiven Stelle das Fahren von Kraftfahrzeugen verboten werden muss. Ab welchem Lebens jahr die Prüfung bei Senioren P�icht werden soll, ist diskutabel. Ab dem ��. Lebensjahr aber sollten regelmäßige Tests zur Vorschrif werden.  �Ö�� ������ ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins.

w¡ttmachen  eine negative Sache kompensieren ,

die Auswertung, -en hier: Analyse von Unfallzahlen ,

der Geisterfahrer, Autofahrer, der auf der Autobahn in die falsche Richtung � ährt ,

übersehen hier: nicht berücksichtigen ,

kr„nkheitsbedingt abhängig von einer Krankheit ,

die Ausfallserscheinung, -en  plötzlich entstehendes, körperliches Problem ,

das Bl“ckfeld, -er Bereich, den man sehen kann, ohne sich von der Stelle zu bewegen ,

einschränken

  reduzie-

,

ren; limitieren der Bevœlkerungsanteil bestimmter Teil einer Bevölkerung

,

die Fahrleistung hier: Menge der gefahrenen Kilometer ,

¶ffensichtlich  wie man deutlich erkennt ,

f ahrtüchtig  so, dass man sicher fahren kann ,

das Kr„ftfahrzeug, -e

Ein Elefant bei einer z. B. Auto, Lkw, Bus, Zirkusvorstellung – ist Motorrad das bald Geschichte? ,

diskutabel hier: so, dass man noch darüber diskutieren muss ,

der Vorsitzende, -n  Person, die einen Verein leitet ,

Nein

31

„Senioren sind am Steuer sehr sicher unterwegs.“

Immer, wenn ein schwerer Verkehrs-

unfall passiert, den ein älterer Mensch verursacht hat, werden verp�ichtende Gesundheits- oder Fahreignungstests � ür Senioren gefordert. Ein Blick auf die Unfallstatistiken in Deutschland zeigt, dass eine pauschale und verallgemeinernde Beurteilung älterer Autofahrer dem ganzen Thema nicht gerecht wird. Senioren sind am Steuer sehr sicher unterwegs: Sie sind im Vergleich zu ihrem Anteil in der Bevölkerung wesentlich seltener Unfallverursacher. Ältere Autofahrer haben eine lebenslange Fahrpraxis. Außerdem sind sie im Umgang mit dem Fahrzeug sehr verantwortungsvoll. Altersbedingte Leistungseinbußen, wie schlechter werdende Sehkraf oder Reaktionsfähigkeit, können meistens durch Erfahrung, Besonnenheit und Ruhe kompensiert werden. Daher gibt es keine überzeugende Begründung � ür Forderungen nach einem verp�ichtenden Fahreignungstest ab einem bestimmten Lebensalter oder sogar einem zeitlich befristeten Führerschein. Entscheidend � ür eine unfallfreie Teilnahme am Straßenverkehr ist nicht das Lebensalter oder ein Testergebnis, sondern neben dem aktuellen Gesundheitszustand des Fahrers auch die Fähigkeit, Risiken im Straßenverkehr richtig zu beurteilen. Der ADAC lehnt daher die immer wieder erhobenen Forderungen ab, das Fahren ab einem bestimmten Alter nur mit einem „Leistungszerti�kat“ zu erlauben. Jedes Testergebnis ist immer nur eine Momentaufnahme und kann deshalb auch zu falschen Beurteilungen � ühren. Der ADAC appelliert an die Eigenverantwortung  jedes Autofahrers – auch, aber nicht nur der älteren.

����� ������ ist Vizepräsident �ür Verkehr des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs.

„m Steuer   beim Autofahren (das Steuer hier: ≈ Rad, mit dem man z. B. bei einem Auto die Richtung ändert) ,

,

der Fahreignungstest, -s Test, der zeigen soll, ob man sicher fahren kann ,

pauschal  so, dass etwas ohne Unterschiede � ür alle gilt ,

verallgemeinern  behaupten, dass alle … sind ,

die Beurteilung, -en hier: ≈ Aussage; Urteil ,

 ger¡cht werden hier: eine passende Lösung sein � ür ,

der }mgang hier: Art, etwas zu benutzen ,

die Leistungseinbuße, -n ≈ Schlechterwerden einer Leistung ,

die Reaktions�ähigkeit ≈ Können, schnell zu reagieren ,

die Bes¶nnenheit von: besonnen = genau überlegt ,

ADAC kurz � ür: Allgemeiner Deutscher Automobil-Club ,

erheben   verlangen ,

die Mom¡ntaufnahme, -n hier: Zeigen einer Leistung in einem speziellen Moment ,

der Vizepräsident, -en ≈ zweiter Präsident ,

32

AUGUST 2016 Deutsch perfekt

WIE DEUTSCHLAND FUNKTIONIERT

Der Müll-

ertstoffhof, ¿e Karton, Elektroschrott, Holzstücke, der W ≈ spezieller Müllplatz: Dorthin bringt man Sperrmüll, Gartenab� älle und Styropor Wertstoffe. sind typische Kandidaten � ür den Wert- (der Wertstoff, -e  Material: Man kann stoffhof. Dort geben Menschen den es ein zweites Mal benutzen und etwas Neues daraus herstellen.) alten Computer ab, die kaputte Waschmaschine oder die Reste des billigen der Stau, -s zu viele Autos auf der Straße: Sie können nicht weiterfahren. Kleiderschranks – manchmal aber auch ganz andere Dinge: „Besucher haben bei mittendr“n  im Zentrum von uns schon große Mengen Zyankali oder die M•lltrennung  Sammeln von Müll: Der Müll wird in Materialgruppen Teile von Flugzeugen abgegeben“, erzählt geordnet und in verschiedenen Containern Richard Matzke vom Abfallwirtschafts- gesammelt. betrieb München (AWM). „Einmal war in das Thema, Themen hier: Frage; einem Container ein Objekt, das aussah Problem wie eine Handgranate. Zum Glück war es das L¡xikon, -ka/-ken   Enzyklopädie dann aber ein Feuerzeug“, sagt er. Ein Besuch auf dem Wertstoffhof ist informieren  Informationen geben auch ohne Handgranate eine emotionale der Karton Packung aus dickem, hartem Sache. Aufräumen und alte Dinge weg- Paiper werfen, das ordnet Wohnung, Keller und der El¡ktroschrott  alte und kaputte Kopf. Man � ühlt sich danach besser. Man- Elektrogeräte che Menschen sind explizite Wertstoff- der Sp¡rrmüll sehr große und schwere Man kann sie nicht zum normalen hof-Fans. Der Besuch auf dem Hof ist � ür Dinge: Müll tun, z. B. Möbel sie ein wichtiger Teil des Wochenendes. das Styropor ≈ weißes, leichtes Plastik Das zeigen auch die Zahlen. Beispiel Gelsenkirchen: Die Stadt registriert in ihren der Kandidat, -en hier: m Material: Es ist erlaubt, es auf den Wertstoffhof zu Wertstoffhöfen pro Jahr mehr als 200 000 bringen. Müll-Anlieferungen – bei nicht ganz der R¡st, -e hier: Stück vom Ganzen 260 000 Einwohnern. München zählt das Zyankali  stark giftige Substanz; auf seinen zwölf Wertstoffhöfen genau- KCN so viele Anlieferungen wie Einwohner: der [bfallwirtschaftsbetrieb, -e   Firma: nämlich 1,5 Millionen. Das sind 80 000 Sie kümmert sich um den Abfall in einer Kommune. Tonnen Wertstoffe pro Jahr. Besonders viel los ist auf den Höfen im die [nlieferung, -en von: anliefern = Frühling und im Herbst. Dann geben Be- bringen sucher große Mengen Gartenab � älle ab.  genauso viele die gleiche Zahl von „Gartenfans sind Stammgäste auf den der St„mmgast, ¿e Person: Sie kommt Wertstoffhöfen“, sagt Matzke. Aber Vor- regelmäßig. sicht: Es gibt Regeln! Die Besucher dürfen (re gelmäßig immer wieder, z. B. einmal pro Woche) nicht zu viel Müll abgeben. In München die Re gel, -n ≈ Norm: Sie sagt, was sind zwei Kubikmeter das erlaubte Ma- verboten und was erlaubt ist. ximum am Tag. Für größere Anlieferunerœffnet Part. II von:  eröffnen = zum gen muss man zu einem speziellen Wert- ersten Mal öffnen stoffhof fahren und bezahlen. Außerdem h„tten … verkauft Plusquamperfekt dürfen nur Einwohner der bayerischen von: verkaufen Metropole die Münchener Wertstoffhöfe benutzen. Denn in Deutschland organisiert jede Kommune die Höfe selbst. Die Münchener Höfe sind alle zwischen 1990 und 1997 eröffnet worden. Vor zwei Jahren waren sie das Setting � ür einen großen Wertstoffhof-Korruptionsskandal. Angestellte hatten Müll verkauft. Das ist illegal. „Hausmüll ist ,

,

Mikrokosmos

,

An einem typischen Samstag treffen sich sehr viele Menschen an diesem speziellen Ort: auf dem Wertstoffhof. Was sie dort tun? Müll abgeben – und Spaß haben.

,

,

,

,

,

,

,

,

,

,

,

,

,

,

,

,

M

anchmal gibt es Stau vor dem Eingang. Chaos bei der Suche nach dem besten Parkplatz. Aggressive Diskussionen mit den Angestellten. Denn das Thema ist etwas sehr Elementares: Müll. Aber kein normaler Müll, sondern Wertstoffmüll zum Recyceln. Wenn man den in Deutschland korrekt abgeben will, � ährt man zum Wertstoffhof. Schon sind wir mittendrin im System der deutschen Mülltrennung. Müll und Müll können nämlich ganz verschiedene Dinge sein. Und die Deutschen haben die Trennung dieser Dinge sehr detailliert organisiert. Das ist nicht nur � ür Ausländer ein komplexes Thema. Auf den Websites vieler Kommunen gibt es deshalb zum Beispiel Abfall-Lexika. Sie informieren von A bis Z über verschiedene Müllkategorien und das korrekte Wegwerfen.

,

,

,

,

Deutsch perfekt AUGUST 2016

WIE DEUTSCHLAND FUNKTIONIERT

Elektroschrott

   o    t    o    h    P    Z    S    /    e    c    n    a    i    l    l    a    e    r    u    t    c    i    p   ;    o    t    o    h    P    g    n    u    t    i    e    Z    e    h    c    s    t    u    e    d    d    e    u    S    /    s    a    a    H    t    r    e    b    o    R   ;    k    c    a    T    n    e    h    c    o    J    /    s    e    g    a    m    i    s    u    i    t    i    r    u    a    m   ;    k    c    o    t    s    r    e    t    t    u    h    S   ;    k    c    o    t    S    i   :    s    o    t    o    F

Eigentum der Kommune“, erklärt Helga Seitz vom AWM. Als Konsequenz waren vier Höfe � ür mehrere Wochen geschlossen – und das im Frühling. Für viele Münchener war das keine einfache Zeit. Legal Müll mitnehmen darf man auf manchen Wertstoffhöfen in der Fundgrube. Dort können Besucher gut erhaltene Dinge abgeben und andere mitnehmen. In vielen Städten gibt es außerdem Gebrauchtwarenkaufhäuser. Dort kann man Möbel und andere Dinge von den Wertstoffhöfen zu günstigen Preisen kaufen. Aber auch in Deutschland gibt es � ür manchen Müll unkonventionelle Lösungen: Einige Menschen stellen alte Möbel, Bücher und Elektrogeräte einfach an die Straße und legen einen Zettel daneben: „Zu verschenken!“ Oft sind die Sachen schon nach kurzer Eva Pfeiffer Zeit nicht mehr da.

Sperrmüll

das Ei gentum  Sache: Sie gehört  jemandem. ,

die F¢ndgrube, -n  Ort: Dort findet man wichtige oder interessante Dinge. ,

 gut erh„lten hier: original und ohne kaputte Stellen ,

das Gebrauchtwarenkaufhaus, ¿er Geschäft: Dort kann man gebrauchte Produkte kaufen. (gebraucht  nicht mehr neu; schon benutzt) ,

,

einige

  manche

,

einfach

,

hier: nur

Zu versch¡nken! hier: ≈ Das kann man mitnehmen, ohne da� ür etwas zahlen zu müssen! ,

Karton

33

34

MÜNCHEN UND DIE ARABER

AUGUST 2016

Deutsch perfekt

M > MITTEL

Besuch aus der Wüste Jeden Sommer wird München zu einer Oase für arabische Touristen aus den Golfstaaten. Passen die Bayern und die Araber zusammen? Von Dunja Ramadan einfliegen

 mit dem Flugzeug liefern lassen ,

 gemeinsam haben hier: bei … gleich sein ,

aufstellen

hier: an einen speziellen Platz stellen ,

der Pl„tz, ¿e hier: Position ,

W

as haben ein Beduinenzelt vor einem Fünfsternehotel, ein 7erBMW in einer Flugzeugnase und  japanisches Essen, eingeflogen aus Asien, gemeinsam? Es sind alles reale Extrawünsche reicher arabischer Golf-Touristen. Münchener Hotels stellen vor ihren Gebäuden Beduinenzelte auf, sie organisieren den Transport von Sportwagen über den Luftweg oder bestellen Lebensmittel aus Japan, um ihren Gästen authentischen Geschmack zu garantieren. Für die ist dieser Luxus normal. Das wahrscheinlich teuerste Hotel der Welt, Burj Arab, liegt ja auch am Golf, in Dubai. Sehr viele Touristen aus den Golfstaaten besuchen die bayerische Metropole jedes Jahr. Besonders populär sind die Monate August und September. In

sowie die Nähe zur Alpenregion“, sagt Ohlmann. Im Jahr 2015 wurden 683 123 arabische Gäste registriert. Das sind 14-mal so viele wie im Jahr 1994. Im Durchschnitt bleiben die Araber zwölf Tage. „München hat beides, Hightech und Lederhose“, sagt Frank-Ulrich John vom Bayerischen Hotel- und Gaststättenverband Bayern. Das macht die Stadt � ür

die Araber interessant, meint er. Sie schätzen die Kombination von Tradition und Moderne. Bayern steht � ür Innovation, Internationalität, Automobilindustrie – aber auch � ür bayerische Gemütlichkeit, Natur und Berge. Auch die Araber sind traditionsbewusst: Familie, Religion, Kultur – das ist ihnen wichtig. Gleichzeitig fahren sie mit den neuesten Autos, telefonieren mit den modernsten Handys und tragen die aktuellste Mode.

Dubai, Katar oder Saudi-Arabien ist es jetzt über 40 Grad warm. In München sind es meistens angenehme zehn Grad weniger. In Deutschland ist die Stadt das populärste Reiseziel � ür Touristen aus der Region, direkt vor Frankfurt und Berlin. In Europa steht

del und die Gastronomie, weil viele Touristen mit ihren Familien reisen. Wie eine Untersuchung der BBE-Handelsberatung zeigt, kommen mehr als 80 Prozent der arabischen Touristen nach München,

München auf Platz zwei, nach London und vor Paris.

um Urlaub zu machen. 17 Prozent reisen nach Mün-

„Die Zahl der Wiederholungstäter steigt“, sagt Bernd Ohlmann vom Handelsverband Bayern. Die Mehrheit der arabischen Touristen war schon mindestens neunmal in der Stadt. „Die Araber schätzen

chen, um sich medizinisch behandeln zu lassen. Fragt man Münchener, wie sie den Besuch der arabischen Gäste finden, kommen unterschiedliche Reaktionen. Eine junge Frau sagt: „Sie beleben das Geschäft. Ich arbeite im Einzelhandel, und wir

vor allem die Sicherheit und Sauberkeit in München

Davon profitiert Bayern, aber auch der Einzelhan-

der Wiederholungstäter, Person, die zum zweiten Mal eine kriminelle Sache macht; gemeint ist hier: Gast, der schon ein paar Mal da war ,

der H„ndelsverband, ¿e   Organisation � ür die Interessen von Händlern (der Hændler, -   Verkäufer; Ladenbesitzer) ,

,

schætzen hier: sehr gern mögen ,

sowie

,

und

stehen f ür  ein Symbol sein � ür ,

traditionsbewusst so, dass man sehr auf Tradition achtet ,

profit ieren v¶n  Vorteile haben ,

der Einzelhandel  alle Geschäfte, in denen man Waren kaufen kann ,

s“ch beh„ndeln l„ssen  eine ärztliche Therapie machen lassen ,

das Geschæft beleben ≈ machen, dass man mehr Geld verdient ,

   p    d    d   :    o    t    o    F

Deutsch perfekt

MÜNCHEN UND DIE ARABER

AUGUST 2016

35

freuen uns über den guten Umsatz.“ Ein Mann sagt: „Die starken Par� ümwolken

der arabischen Touristen finde ich gewöhnungsbedürftig, aber wir Münchener kennen das inzwischen.“ Wie die BBE-Untersuchung zeigt, kleiden sich sieben von zehn arabischen Touristen nach westlichen Maßstäben modern, vor vier Jahren waren es rund zehn Prozent weniger. Viele Frauen lüften schon am Flughafen den Gesichtsschleier. Fragt man arabische Touristen, erzählen ein paar von Vorurteilen, die ihnen begegnet sind. Eine Studentin aus Dubai möchte zwar ihren Namen nicht nennen, aber sagen will sie schon etwas: „Viele denken, wir sind ungebildet und unterdrückt. Aber wenn sie mit uns ins Gespräch kommen, merke ich, wie sie ihre Meinung ändern.“ Ein Mann aus Katar sagt: „Wir schätzen die Gastfreundlichkeit der Münchener. Viele Verkäufer sprechen ein paar Worte Arabisch. Das zeigt uns, dass wir auch willkommen sind.“ Taschen von Dior, Louis Vuitton und Hermès – nicht selten sieht man jetzt wieder Frauen in langen, schwarzen Gewändern damit durch München laufen. Shopping ist noch vor Sightseeing die Lieblingsaktivität der arabischen der }msatz, ¿e Summe aller Verkäufe in einer speziellen Zeit ,

die Parf ümwolke, -n ≈ große Menge Par� üm ,

 gewöhnungsbedürftig so, dass man sich an etwas gewöhnen muss (s“ch gewöhnen „n hier: etwas so oft riechen, bis man es normal findet) ,

,

der Maßstab, ¿e hier: Kriterium; Norm ,

l•ften hier: (kurz) wegnehmen ,

das Vorurteil, -e hier: negative Meinung, die man über  jemanden hat, den man nicht gut kennt ,

bege gnen hier: hören; gesagt bekommen ,

¢ngebildet  ohne gute Ausbildung; ohne Kenntnisse ,

unterdr•ckt hier: so von Männern dominiert, dass Frauen nicht frei sprechen und reagieren können ,

“ns Gespräch k¶mmen  ein Gespräch beginnen ,

der Ges“chtsschleier,  dünnes Stück Stoff, das eine Frau vor dem Gesicht trägt (s. Foto) ,

die G„stfreundlichkeit  Mentalität, dass man Gäste besonders freundlich emp� ängt ,

das Gew„nd, ¿er ≈ langes, weites Kleidungsstück ,

36

MÜNCHEN UND DIE ARABER

Gäste, sagen Experten. Da� ür fahren sie auch längere Strecken zu Outlets nach Österreich und Ingolstadt. Pro Tag gibt ein arabischer Tourist durchschnittlich 367 Euro � ürs Einkaufen aus. Besonders populär ist Kleidung, außerdem werden gern Drogerieartikel wie Par� üm sowie Schuhe, Lederartikel, Uhren, Schmuck und Spielzeug gekauft. Da in den letzten Jahren immer mehr Bürger aus der Mittelschicht vom Golf nach München reisen, hat sich das Kaufinteresse geändert. Auch wenn das Klischee die Araber als Kunden der Luxusboutiquen in der noblen Maximilianstraße sieht – 97 Prozent kaufen nicht dort, sondern in der Fußgängerzone in internationalen Modegeschäften ein. Das Café und Restaurant Italian 5 ist einer der Orte, wo sich arabische Touristen nach ihren Shoppingtouren erholen. Es liegt etwas versteckt mitten in der Fußgängerzone. „In den Sommermonaten sind 99 Prozent der Gäste arabische Touristen“, sagt die Chefin, Rediana Sternbacher. Auf der Speisekarte finden sich Nudeln, indische Currys und Steinofenpizzen. Ein typisches Element der deutschen Küche fehlt: Schweinefleisch. „Das hat sich in den letzten Jahren so entwickelt“, sagt Sternbacher. Immer weniger Gäste bestellten Schweinefleisch, also

wurde die Speisekarte geändert. Besonders populär sind indische Gerichte. Deshalb experimentieren im Italian 5 zwei indische Köche mit orientalischen Gewürzen. Einmal hat Sternbacher

Zum Arzt nach München

Neben vielen Läden haben auch die Münchener Kliniken und Ärzte Vorteile von dem Tourismus aus den Golfstaaten. Tausende Menschen aus der Region reisen aus medizinischen Gründen nach Bayern. „Wir kommen  jedes Jahr hierher. Meine Tochter hat orthopädische Probleme, und wir versuchen, ihr den Aufenthalt so schön wie möglich zu gestalten“, erzählt eine Mutter aus Saudi-Arabien, die ihre Tochter im Rollstuhl schiebt. „In München können wir das Notwendige

AUGUST 2016

einen arabischen Kellner eingestellt, um mit den Gästen leichter ins Gespräch zu kommen. Ein Fiasko: Gäste beschwerten sich. Der Grund? Sie � ühlten sich beobachtet. Jetzt aber ist der arabische Kellner weg, und die Kunden vom Golf sind wieder da. Und wie, sagt Rediana Sternbacher: „Ich kenne kein Volk, das so lange sitzen und quatschen kann wie die Araber.“ So gut wie kaum ein anderer in München kennt Hosam Osman aus Ägypten die Wünsche der arabischen Gäste. Im Luxushotel Mandarin Oriental ist er � ür sie der erste Ansprechpartner. „Araber sind Gewohnheitsmenschen, sie wollen München genießen, aber am Abend nach Hause kommen“, sagt er. Osman hat darauf geachtet: In jedem der 73 Zimmer liegt ein Gebetsteppich. Ein grüner Pfeil an der Decke zeigt die Richtung nach Mekka. Außerdem gibt es rund 100 arabische Sender, 35 arabische Zeitungen und orientalische Desserts auf den Zimmern. In jeder Abteilung arbeiten Arabisch sprechende Angestellte, um den

Gästen das Ge� ühl zu geben, sie wären wirklich zu Hause. „Einmal wollte ein arabischer Gast unbedingt ein Gericht aus Japan haben“, erzählt Osman. Deshalb ließ er die Lebensmittel frisch aus Japan einfliegen und von einem japanischen Koch in München anrichten. Untypisch ist das nicht, wie Osman erklärt: „Wir haben uns vorgenommen, unseren Gästen alles zu bieten, was sie wollen.“

mit dem Angenehmen verbinden. Ein Sommer ohne München ist � ür uns kein Sommer“, sagt sie und lacht. Sichere Statistiken gibt es zu dem Phänomen nicht. Experten von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg glauben aber, dass im letzten Jahr mehr als doppelt so viele Patienten aus den arabischen Golfstaaten � ür eine ärztliche Therapie nach München kamen wie vor � ünf Jahren. Ein wichtiger Grund � ür diesen Erfolg ist ein Netzwerk-System aus Kliniken, Ärzten, Hotels und Dienstleistern, die den Gästen eine intensive Unterstützung möglich machen.

die Str¡cke, -n Weg ,

der Drogerieartikel,  Drogerieprodukt (die Drogerie, -n  Geschäft, in dem man z. B. Sachen � ür Kosmetik und zum Putzen kaufen kann) ,

,

das Spielzeug  Ding zum Spielen ,

die M“ttelschicht soziale Klasse, der es finanziell ziemlich gut geht ,

nobel ,

hier: elegant

Deutsch perfekt

der Gewohnheitsmensch, -en Person, die in ihrem Lebensrhythmus wenig spontan ist und immer das Gleiche haben möchte ,

 genießen ≈ Freude haben an ,

der Gebetsteppich, -e  Teppich, auf dem man kniet, wenn man die Gebete spricht (das Gebet, -e Worte, mit denen man Gott um etwas bittet oder ihm � ür etwas dankt) (knien auf den Knien auf dem Boden sitzen) ,

,

,

verst¡ckt hier: nicht leicht zu finden

der Pf eil, -e hier: Signal, das die Richtung zeigt

die Steinofenpizza, -pizzen/-pizzas Pizza, die in einem Herd aus Stein gebacken wird

der S¡nder, Station, die Fernsehsendungen macht

,

,

s“ch entw“ckeln hier: ≈ langsam passieren ,

einstellen

hier: eine Arbeitsstelle geben ,

s“ch beobachtet f ühlen  das Ge� ühl haben, dass andere genau zusehen, was man macht ,

}nd wie! m hier: Und das sehr intensiv! ,

qu„tschen m reden; sich unterhalten ,

der [nsprechpartner, Person, die bei Fragen und Problemen hilft ,

 gest„lten hier: machen ,

der R¶llstuhl, ¿e Stuhl auf Reifen � ür Menschen, die nicht gehen können notwendig   nötig ,

,

das N¡tzwerk, -e hier: Gruppe von Menschen, die sich gegenseitig unterstützen ,

der Dienstleister,  Firma, die eine Dienstleistung anbietet (die Dienstleistung, -en hier: Serviceangebot) ,

,

,

,

¢nbedingt  auf jeden Fall ,

„nrichten hier: auf Tellern dekorieren ,

s“ch vornehmen hier: planen, dass man … ganz sicher machen will ,

bieten hier: etwas Spezielles anbieten ,

Deutsch perfekt  AUGUST 2016

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MEIN ERSTES JAHR 

L > LEICHT

b

 AUDIO

>

„Man macht einen Termin aus. Mehrere Tage vorher. Ziemlich verrückt!“

ADEBAYO WAIDI GBENRO

Heimat: Nigeria Alter: 37 Jahre Beruf:  Student, Buchhalter Erster Monat: Februar 2016 Hobbys: Reiten

E

ine Freundin hat mich überzeugt, nach Witten zu kommen. Ich hatte schon lange den Wunsch, PPE zu studieren. Das ist kurz � ür Philosophy, Politics, Economics. So heißt mein Masterstudiengang. Mehrere Universitäten bieten ihn an. Also habe ich mir die Universitäten und ihre Orte im Internet genau angesehen. Über einen Ort habe ich gar nichts gewusst: Witten. Er ist klein, genau wie die Universität. Aber was ich gelesen habe, hat mir sehr gefallen.

Mit meiner Freundin habe ich dann über Witten gesprochen. „Du hast recht. Es ist ein kleiner Ort“, hat sie gesagt. „Aber ich glaube, er passt sehr gut zu dir. Er ist ein bisschen anders.“ Ich habe auf sie gehört und es nicht bereut. Schon der Kontakt in der Bewerbungsphase war persönlich. Seit Anfang des Jahres studiere ich an der Privatuniversität Witten-HerdeWITTEN

cke. Ich bin der erste Stipendiat im Programm � ür

Bundesland

Studierende aus Niedriglohnländern.

NordrheinWestfalen Einwohnerzahl 98 000 Was interessant ist: erste

deutsche Privatuniversität, liegt in der früheren Industrieregion Ruhrgebiet am Fluss Ruhr, Zeche Nachtigall, Marktkirche MEIN TIPP

Der „Tatort“ ist ein wichtiger Teil des Sonntagabends in Deutschland. Auch wenn ich bei dieser Krimiserie nicht alles verstehe, sehe ich die Sendung mit meinen Mitbewohnern und Freunden an. Die „Tatorte“ spielen in verschiedenen Regionen in Deutschland. Das macht sie noch interessanter. Nur vom Münchener Tatort haben meine Freunde gesagt, dass ich ihn nicht ansehen soll. Dort sprechen sie Bayerisch.

Eine Übung zu diesem Text finden Sie auf Seite 54.

ausmachen

,

hier:

vereinbaren;verabreden überzeu gt Part. II von: überzeugen = hier: mit Argumentenerreichen, dass jemand … macht ,

der Masterstudiengang, ¿e  Ausbildung: Man macht sie an der Universität in einem speziellen Sektor. Am Ende bekommt man den Titel Master. ,

„ngesehen Part. II von: sich ansehen = hier: genau sehen auf; ≈ prüfen ,

hören auf …  den Rat von … akzeptieren (der Rat  Tipp; Hilfe; Vorschlag) ,

,

bereuen ≈ leidtun, dass man etwas gemacht hat ,

In meiner Heimat habe ich bei einer Nichtregierungsorganisation und als Buchhalter gearbeitet und einen Bachelor in Ökonomie gemacht. Die Kommunikation an den Universitäten ist in Deutschland aber ganz anders als in Nigeria. Hier gibt es viel mehr Interaktion zwischen den Studenten und dem Professor. Man kann ihn spontan etwas fragen, wenn man ihn trifft. Und weniger als eine Stunde später bekommt man eine E-Mail von ihm mit mehr Infor-

der Stipendiat, -en   Person: Sie bekommt Geld, damit sie ohne finanzielle Probleme studieren kann.

mationen. In Afrika wäre das undenkbar.

vorbereitet hier: so, dass man schon viel gelesen hat

Auch die Vorlesungen sind anders. Hier setzen sich die Studenten nicht nur in den Raum und hören dem Professor zu. Man muss vorbereitet sein, die Texte zum Thema schon vorher gelesen haben. Nur

dann kann man mit den anderen Studenten und dem Professor wirklich darüber diskutieren. Im Privatleben sind die Deutschen anders als wir.

Auch gute Freunde besucht man nicht unangekündigt. Man macht einen Termin aus. Mehrere Tage vorher. Ziemlich verrückt!

In den nächsten Monaten will ich mich wirklich auf mein Studium konzentrieren – und auf das Deutschlernen. Das sind meine großen Ziele. Nach dem Studium will ich wieder nach Afrika zurückkehren. Ich möchte mein Land voranbringen – mit dem Wissen aus Deutschland. Aufgeschrieben von Tanja Haas

Adebayo Waidi Gbenro

der Buchhalter, -   Person: Sie kümmert sich um die Dokumentation der Finanzen von einer Firma. ,

reiten  auf einem Tier (z. B. Pony) sitzen und sich von ihm tragen lassen ,

Witten

die Z¡che, -n ≈ technische Konstruktionen unter der Erde � ür den Bergbau (die Erde   braune oder schwarze Substanz: Pflanzen brauchen sie zum Leben.) (der B¡rgbau   Suchen und Herausholen von Mineralien oder Metallen aus der Erde) ,

,

,

,

wäre

,

Konj. II von: sein

und¡nkbar  so, dass man es sich nicht denken kann ,

die Vorlesung, -en  Unterrichtsform an der Universität ,

,

das Thema, Themen hier: Inhalt von einer Vorlesung ,

Mein Tipp

der Tatort, -e  Ort: Dort ist eine kriminelle Sache passiert. ,

die Kr“miserie, -n   Serie von Kriminalfilmen ,

„nsehen  als Publikum sehen ,

der M“tbewohner, Person: Sie wohnt in der gleichen Wohnung/im gleichen Haus. ,

spielen

,

hier: stattfinden

¢nangekündigt  so, dass man vorher nicht gesagt hat, dass man kommt ,

das Ziel, -e hier: Resultat: Das will man erreichen. ,

zur•ckkehren   zurückgehen ,

vor„nbringen ≈ machen, dass z. B. die Wirtschaft in Zukunft besser wird (die Zukunft   die nächste Zeit) ,

,

Sie wollen auch von Ihrem ersten Jahr in Deutschland,Österreich oder der Schweiz erzählen? Schreiben Sie einfach eine kurze E-Mail (Name, Nationalität, Ort) an [email protected].

   e    k    c    e    d    r    e    H      n    e    t    t    i    W    i    n    U   ;    y    e    s    s    o    l    B    s    n    a    H    /    s    e    g    a    m    i    s    u    i    t    i    r    u    a    m   :    s    o    t    o    F

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SPRACHFEATURE

AUGUST 2016

Deutsch perfekt

SCHWER

Das Auge hört mit Wenn Hände reden: Gesten sind ein wichtiges Mittel der Kommunikation. Nur: Sie sind in jeder Kultur ein bisschen anders. Interpretieren Sie das KörperDeutsch richtig? Von Barbara Kerbel

     l     e      d     o      M      d     n      l ,     u     a     i     n     w    r     e      d     l     a    e      B     i     s     a    p      d    u     a     n     h     a    c      W      S

 !  E  T   T  I  B  E  R U H

W

   )    2    (    p    d    d   :    s    o    t    o    F

Diese Geste lernen Kinder schon im Kindergarten: Der ausgestreckte Zeigefinger wird auf die Lippen gelegt. Das heißt: Der Mund bleibt zu – und alle in der Gruppe oder im Klassenzimmer sollen leise sein.

enn sie im Alltag mit den Fingern zählen will, muss Pamela Perniss manchmal kurz überlegen: Soll sie mit dem Daumen beginnen oder mit dem kleinen Finger? „Ich muss mich dann selbst daran erinnern, je nach Sprache die passende Geste zu verwenden“, erzählt die Linguistin. Spricht sie Deutsch, beginnt das korrekte Fingerzählen mit dem Daumen. Spricht sie Englisch, wie meistens in ihrer Wahlheimat Brighton, gilt das Gegenteil: Der kleine Finger steht � ür die Eins. In dem Film Inglourious Basterds von Quentin Tarantino bekommt ein britischer Agent durch die kulturspezifische Art, zu zählen, sogar ein großes Problem:

Solche Unterschiede und Beobachtungen faszinieren Pamela Perniss. „Gestik ist ein Teil der Sprache“, sagt die Lingu-

Als er im von Nazideutschland besetzten

kannt, die auf Gesten verzichtet. Aber es

Paris in einer Kneipe drei Gläser Whiskey bestellt, hebt er Zeige-, Mittel- und Ringfinger, während sein Daumen den kleinen Finger festhält. Ein SS-Offizier erkennt ihn durch diese Geste sofort als Nichtdeutschen. Denn ein Deutscher hätte Daumen, Zeige- und Mittelfinger gehoben, um die Zahl Drei zu symbolisieren. Sein Fehler geht � ür den Agenten und seine Partner nicht gut aus.

gibt kultur- und sprachspezifische Unterschiede, wie Gesten verwendet werden. Unterschiede, die Lerner kennen sollten, um Missverständnisse zu vermeiden. So gibt es überall Zeigegesten, mit denen man auf eine Sache oder auf sich selbst deutet. In den deutschsprachigen Ländern benutzt man da� ür den ausgestreckten Zeigefinger der rechten oder linken Hand; in anderen Kulturen deutet

istin. Sie ist bilingual aufgewachsen und hat die Wichtigkeit von Gesten � ür die Kommunikation schon als Kind direkt

erlebt. Damals zog sie mit ihren Eltern � ür einige Jahre von Deutschland in die USA. In der High School ging sie mit einem gehörlosen Mädchen in eine Klasse. Perniss lernte die amerikanische Gebärdensprache, später auch die deutsche und die bri-

tische – und machte das Thema Gestik zu ihrem Forschungsschwerpunkt. „Gestik scheint etwas Universelles zu sein“, sagt die Expertin. Bis heute ist weltweit keine Sprachgemeinschaft be-

der Daumen, erster und stärkster, kurzer Finger, den man gegen die anderen vier Finger drücken kann ,

 je nach

,

hier: passend zu

die Wahlheimat Ort, der nicht die Heimat ist, an dem man sich aber zu Hause � ühlt ,

stehen f ür hier: ≈ Symbol sein � ür ,

bes¡tzt ,

hier: von Militär in Besitz

genommen

der SS-Offizier, -e  Offizier der Schutzstaffel, einer Kampforganisation der früheren Nationalsozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (der Offizier, -e Person mit hoher Position beim Militär) ,

,

n“cht gut ausgehen schlimme Konsequenzen haben ,

faszinieren hier: interessant finden ,

bilingual so, dass man zwei Muttersprachen hat ,

ausgestreckt  lang und gerade ,

der Zei gefinger, ≈ zweiter der � ünf Finger ,

die L“ppe, -n   weicher, oberer oder unterer Teil des Mundes ,

 gehörlos so, dass man nichts hören kann ,

die Gebärdensprache, -n Sprache von Gehörlosen: Man spricht mit spezieller Mimik und mit den Armen und Händen. ,

der F¶rschungsschwerpunkt, -e zentrales Thema einer Forschungsarbeit ,

verz“chten auf  hier: freiwillig nicht benutzen ,

vermeiden hier: nicht entstehen lassen ,

deuten   zeigen ,

ausgestreckt  lang und gerade ,

der Zei gefinger, ≈ zweiter der � ünf Finger; Finger neben dem Daumen ,

Deutsch perfekt

der Prob„nd, -en   Testperson

man mit der ganzen, flachen Hand auf sich selbst. Aber Vorsicht: Wie in vielen anderen Ländern gilt es auch in den deutschsprachigen Ländern als unhöflich, in der Öffentlichkeit mit dem Zeigefinger auf eine Person zu zeigen, die das auch sehen kann. Wer solche Konventionen kennt, vermeidet peinliche Situationen. Deshalb rät Reinhard Krüger, Professor � ür Galloromanistik an der Universität Stuttgart, beim Lernen einer Fremdsprache auch die passende Gestik mitzulernen. „Die Körpersprache gehört dazu, wenn man sich in einer fremden Kultur verständigen will“, sagt er. Auch Krüger ist fasziniert von der Bedeutung von Gesten. Vor Kurzem hat er ein Buch über den Stinkefinger (siehe nächste Seite) geschrieben; zurzeit arbeitet er an einem Lexikon der europäischen Körpersprache. Nicht nur die Bedeutung einzelner Gesten kann sich je nach Sprach- und Kulturraum unterscheiden. Sondern auch die

sparsam

Häufigkeit, mit der Sprecher beim Reden

die fl„che H„nd Hand, bei der alle Finger lang und gerade gehalten werden ,

peinlich  unangenehm vor anderen ,

die G„lloromanistik ≈ systematisches Studieren der französischen Sprache und ihrer Literatur ,

s“ch verstændigen mit jemandem sprechen und ihn verstehen ,

der St“nkefinger, m eine beleidigende, vulgäre Geste, bei der der mittlere Finger lang gemacht wird ,

das L¡xikon, -ka/-ken  Enzyklopädie ,

der Kulturraum, ¿e ≈ Gebiet, in der es eine gleiche Kultur gibt ,

,

,

hier: wenig

das H„ndgelenk, -e ≈ bewegliche Verbindungsstelle zwischen Hand und Unterarm ,

der ]llenbogen,  bewegliche Verbindungsstelle zwischen Unterarm und Oberarm ,

die Sch¢lter, -n Körperteil zwischen Hals und Arm ,

auffallen deutlich gesehen werden ,

„ngeboren sein von Geburt an da sein ,

der W¡ttkampf, ¿e sportlicher Kampf, bei dem man feststellt, wer die/  der Beste ist ,

SPRACHFEATURE

AUGUST 2016

gestikulieren – und wie viel Platz sie dabei brauchen. Das hat die Linguistin und Kulturwissenschaftlerin Cornelia Müller 1998 mit deutschen und spanischen Probanden untersucht. Sie kam zu einem überraschenden Ergebnis: Das Klischee, dass Südeuropäer mehr gestikulieren als Nordeuropäer, bestätigte sich nicht. Die deutschen Probanden gestikulierten genauso oft wie die spanischen. Die Deutschen bewegten sich aber sparsamer: Zum Beispiel zeigten sie mehr Gesten aus dem Handgelenk heraus. Die spanischen Testpersonen benutzen dagegen beim Gestikulieren oft die Ellenbogen und Schultern – sodass ihre Gesten stärker auffielen. Eines aber scheint in allen Kulturen zu gelten: Kinder beginnen zu gestikulieren, sobald sie zu sprechen beginnen. Und die

Verwendung von bestimmten Gesten ist vermutlich sogar angeboren. Darauf hat unter anderem eine Untersuchung mit blinden und sehenden Sportlern aus dem Jahr 2008 hingewiesen: Sowohl blinde als auch sehende Athleten machten nach einem Wettkampf dieselben Sieger- und Verliererposen – Gewinner heben die Arme nach oben, Verlierer lassen die Schultern hängen.

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     l ,     r     e      h     l      ü     e     r      i     p      B      l     s     e     u      i     a     n     h     a     c      D     S

WINKEN die fl„che H„nd   Hand, bei der alle Finger lang und gerade gehalten werden ,

die H„ndfläche, -n  Innenseite der Hand ,

das Her„nwinken von: heranwinken = durch Winken zeigen, das seine andere Person näher kommen soll ,

der Zei gefinger, ≈ zweiter der � ünf Finger ,

die Sch¢lter, -n   Körperteil zwischen Hals und Arm ,

Eine Bewegung mit der flachen Hand kann verschiedene Bedeutungen haben. Für einen Gruß hebt man die Hand neben oder über den Kopf, die Handfläche zeigt nach vorne. Zum Heranwinken hebt man die Hand mit der Handfläche nach innen und bewegt die Finger (oder nur den Zeigefinger) auf sich zu. Wer die Hand auf Bauchhöhe mit der Handfläche nach vorne von sich wegdrückt, signalisiert: Stopp! Und wer die Hand mit der Handfläche nach innen schnell

nach hinten über die Schulter bewegt, winkt ab, meint also: „Vergiss es.“ Dieses Abwinken wird im Deutschen auch eine „wegwerfende Handbewegung“ genannt.

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SPRACHFEATURE

AUGUST 2016

Deutsch perfekt

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der Daumen, erster und stärkster, kurzer Finger, den man gegen die anderen vier Finger drücken kann ,

der Zei gefinger, ≈ zweiter der � ünf Finger; Finger neben dem Daumen ,

Angela Merkel, Bundeskanzelerin

DIE HÄNDE DER MACHT

Wer jemandem eine Faust zeigt, aus der der Mittelfinger nach oben zeigt, meint nichts Gutes. Laut dem Wörterbuch Duden bedeutet der soge-

die Faust, ¿e   geschlossene Hand ,

den Vo gel zei gen   mit dem zweiten Finger der Hand an den Kopf zeigen und so sagen: „Du bist verrückt! Das ist Quatsch!” ,

nannte Stinkefinger, dass man sehr schlecht

D I E S E R  F I N GE R  S T I N K T 

Auch in deutschsprachigen Ländern wird der Daumen dazu benutzt, um etwas oder jemanden zu bewerten. Zeigt er nach oben, wird gelobt; zeigt er nach unten, ist die Bewertung negativ. „Daumen hoch“ ist deshalb eine Redewendung, die auch schriftlich verwendet wird. der Daumen, -   erster und stärkster, kurzer Finger, den man gegen die anderen vier Finger drücken kann ,

Kaum eine Politikergeste ist so populär wie die typische Handhaltung von Bundeskanzlerin Angela Merkel: Die Hände liegen vor dem Bauch, die Daumen und Zeigefinger formen ein spezielles Viereck, die Raute. Vielen ist die Geste als sogenannte Merkel-Raute bekannt. Die Kanzlerin selbst hat eine einfache Erklärung � ür die Geste, über die Körpersprache-Experten schon sehr viel nachgedacht haben. In einem Interview sagte sie, es gehe um die Frage: „Wohin mit den Händen?“ – und die Geste sei symmetrisch.

 ,     n     n     a     m     e     s     a      N     l     e     e      i     r      d     a     o      M      M

Gut oder schlecht?

über jemanden denkt und von diesem in Ruhe gelassen werden will. Die Geste ist außerdem ein sexuelles Symbol und gilt überall in Europa und Amerika als sehr aggressiv. In Deutschland kann es juristische Konsequenzen haben, wenn man jemandem den Stinkefinger oder den Vogel zeigt. Laut Reinhard Krüger wurde der Stinkefinger in den letzten Jahren so häufig benutzt, dass er etwas von seiner negativen Wirkung verloren hat. „Zum Beispiel in bestimmten Segmenten der Rockkultur, vor allem Punk und politisch motivierter Rockmusik, ist der Finger ein gemeinsamer Gruß und keine Beleidigung“, sagt der Professor.

bewerten  sagen, ob etwas gut oder schlecht ist ,

die Redewendung, -en  idiomatischer Ausdruck ,

Ja oder Nein? Die einfachste Art, jemandem zuzustim-

men oder etwas abzulehnen, besteht darin, den Kopf zu bewegen: von oben nach unten heißt Ja, von links nach rechts heißt Nein. Das gilt in allen deutschsprachigen Ländern. zustimmen  Ja sagen ,

bestehen “n

,

hier: sein

Keine Ahnung Der Sprecher zieht die Schultern schnell

in Richtung Kopf, oft macht er dazu auch ein skeptisches Gesicht. Meistens will er damit sagen, dass er etwas nicht weiß. Dieses Schulter- oder Achselzucken kann aber auch „Ist mir egal“ bedeuten. Die

Geste wird überall im westlichen Kulturkreis verwendet. die Sch¢lter, -n   Körperteil zwischen Hals und Arm ,

   o    g    a

   m    i   ;    p    d    d   ;    )    2    (    a    p    d    /    e    c    n    a    i    l    l    a    e    r    u    t    c    i    p   :    s    o    t    o    F

Deutsch perfekt

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 D U B I S T JA  V E R R Ü C K T

Lena Meyer-Landrut, Sängerin

Ein Herz für die Welt Die Daumen berühren sich und zeigen nach unten, die anderen Finger berühren sich an den Nägeln. Es heißt, dass die US-amerikanische Sängerin Taylor Swift die erste Person war, die so mit ihren Händen ein Herz ge-

formt hat. Die Geste wurde durch das Internet vor allem bei Jugendlichen

sehr schnell populär und wird auch in den deutschsprachigen Ländern als Symbol � ür Sympathie, Liebe und ein gutes Ge� ühl benutzt. Besonders po-

pulär ist die Geste auf Musikfestivals, bei Sport- oder anderen Großveranstaltungen: Sobald sich eine Kamera auf das Publikum richtet, halten viele ihre zum Herz geformten Hände nach oben.

Es ist keine nette Bewegung, die die beiden Experten Pamela Perniss und Reinhard Krüger sofort nennen, wenn sie nach einer „typisch deutschen“ Geste gefragt werden: Wer sich mit dem Zeigefinger seitlich an die Stirn tippt, zeigt seinem Gegenüber, dass er es � ür verrückt oder dumm hält. „Die Geste hat ihren Ursprung in einer Theorie aus dem Mittelalter“, sagt Krüger. „Damals dachte man, dass im Kopf von Verrückten Vögel ihr Nest gebaut haben.“ Dieselbe Bedeutung wie der Zeigefinger an der Stirn hat es auch, wenn man die flache Hand vor der Stirn hin- und herbe-

wegt; auch diese sogenannte Scheibenwischer-Geste ist laut Pamela Perniss typisch deutsch. Zu beobachten ist sie besonders häufig unter aggressiven Autofahrern.

Kopf ab

der Daumen, -   erster und stärkster, kurzer Finger, den man gegen die anderen vier Finger drücken kann ,

41

der Zei gefinger, ≈ zweiter der � ünf Finger ,

die St“rn, -en  Teil des Gesichts zwischen Augen und Haar ,

der Ursprung, ¿e   Beginn ,

das M“ttelalter   historische Zeit von unge� ähr 500 bis 1500 nach Christus ,

das N¡st, -er   Wohnplatz, den ein Vogel � ür seine Eier baut ,

die fl„che H„nd   Hand, bei der alle Finger lang und gerade gehalten werden ,

der Scheibenwischer, ≈ Gerät, das bei Regen das Wasser auf den Autofenstern zur Seite schiebt ,

die fl„che H„nd Hand, bei der alle Finger lang und gerade gehalten werden ,

Die flache Hand bewegt sich energisch horizontal vor dem Hals: Ab und zu zeigen Fußballer auf dem Platz einem Mitspieler oder Fans diese Geste. Das � ührt meistens zu einem Skandal und zu Strafen � ür den Spieler. Denn die Geste ist sehr aggressiv und wird als Drohung verstanden.

s“ch r“chten auf  hier: aufnehmen und zeigen ,

die Drohung, -en hier: Geste, die zeigt, dass man jemandem etwas Schlimmes tun will ,

Wir telefonieren Die Geste ist weltbekannt, aber der Teufel

Die Hand liegt am Kopf neben dem Ohr, der Daumen zeigt nach oben, der kleine Finger zum Mund. „Lass uns telefonieren“, heißt das. Oder auch:

„Wir bleiben in Kontakt.“ Manche Senioren malen als Symbol � ür das Telefonieren mit dem Zeigefinger einen Kreis in die Luft. Diese Geste kommt noch aus der Zeit, in dem es nur Telefone mit einer runden Scheibe zum Wählen gab. der Daumen, -   erster und stärkster, kurzer Finger, den man gegen die anderen vier Finger drücken kann ,

der Zei gefinger, ≈ zweiter der � ünf Finger; Finger neben dem Daumen ,

die Scheibe, -n   flaches, rundes, drehbares Stück aus Plastik mit Löchern ,

 ,     n     e      d     r     o     v     r     r     e     l     e      l      l     e     a     i      H    p     r     s     u     e     t     a     e     h      i     c      D     S

SIEG UND FRIEDEN

steckt im Detail: Zeige- und Mittelfinger formen ein V, die Handfläche zeigt nach vorne. Das Victory-Zeichen wurde während des Zweiten Weltkriegs beliebt, als Symbol � ür den Sieg gegen die Nationalsozialisten und � ür den Frieden. In den deutschsprachigen Ländern ist es heute als Siegergeste populär. Hinter den Kopf von jemandem gehalten, kann man mit dem Victory-Zeichen auch sogenannte Hasenohren bilden – ein häufiger Scherz von Kindern und � ür Fotos. Der Teufel st¡ckt “m Detail. hier: ≈ Wenn man auf die Details bei der Geste achtet, wird es kompliziert.

die H„ndfläche, -n  Innenseite der Hand

der Zei gefinger, ≈ zweiter der � ünf Finger

b“lden

,

,

das Hasenohr, -en langes Ohr eines kleinen Tiers, das springen kann ,

,

hier: machen

,

der Sch¡rz, -e   Spaß ,

 =+& 3&)"#"&  -.# /(" D3)0 SCHWER

 PLUS

b

 AUDIO

>

Deutschwerden für Anfänger Den deutschen Pass haben – das ist keine schlechte Idee, findet ein Bekannter unserer Lieblingsrussin. Aber bevor es die neue Staatsangehörigkeit gibt, muss der Integrationstest bestanden werden. Und der kann ganz schön schwierig sein.

Alia Begisheva wurde in Moskau geboren. Heute lebt die 41-Jährige mit ihrem kanadischen Mann und ihren zwei Kindern in Frankfurt am Main und weiß viel besser als viele ihrer deutschen Nachbarn, dass man Papier und Glas nicht in dieselbe Mülltonne wirft.  Jeden Monat schreibt sie diese Kolumne.

   l    r    e    p    S    n    a    h    p    e    t    S   :    o    t    o    F

Eine Übung zu diesem Text finden Sie auf Seite 54.

Seit einiger Zeit schmückt Werbung mit dem Slogan „Warum soll ich deutsch werden?“ Frankfurter U-Bahn-Züge. Die Stadt will ihre Bürger ohne deutschen Pass dazu motivieren, Deutsche zu werden. Mein brasilianischer Freund Luiz, der seit � ünf Jahren in Frankfurt lebt, hat sie erhört. „Warum eigentlich nicht?“, fragte er rhetorisch zurück. Zusammen haben wir uns die Website angeschaut. „Wir stellen bewusst diese Frage, über die Sie vielleicht schon selbst nachgedacht haben“, schreiben dort Doktor Nargess Eskandari-Grünberg und Professor Doktor Daniela Birkenfeld zur Begrüßung. Man könnte zwar denken, dass das eine Aufforderung ist, Mitglied der Anonymen Alkoholiker zu werden. Die Frauen sind aber Frankfurter Politikerinnen und werben � ür die deutsche Staatsangehörigkeit. Um alle, aber wirklich alle, zu erreichen, sprechen sie von „Frankfurterinnen und Frankfurtern“, von „Bürgerinnen und Bürgern“ und sogar von „Einwohnerinnen und Einwohnern mit Migrationshintergrund“. Die Blüten, die die Political Correctness in Deutschland treibt, interessierten Luiz weniger. Aber der Einbürgerungstest interessierte ihn. Dieser ist nicht nur eine Falle � ür alle Brasilianer, sondern auch � ür die meisten Deutschen. So muss man unter anderem aus vier Möglichkeiten wählen, was am 17. Juni 1953 in der Deutschen Demokratischen Republik passierte (Streiks und ein Volksaufstand), Hessens Wappen

identifizieren (einen gestreiften Löwen mit sehr langer Zunge) und den Autor der deutschen Nationalhymne nennen (August Heinrich Hoffmann von Fallersleben). Luiz hatte schon Schwierigkeiten mit den deutschen Bundesländern. Warum gibt es neue und alte? Und dann musste er sie auch noch lernen. Ich versuchte es mit einer Eselsbrücke: Neue Bundesländer enden zweimal auf „-burg“, enthalten zweimal „Sachsen“, und dann gibt es noch Thüringen. Luiz war begeistert: „Baden-Württemberg“, rief er als ich ihm zum wiederholten Male die vier Möglichkeiten bei der Testfrage nannte. „Das endet auf ‚-berg’ und nicht auf ‚-burg’!“, sagte ich. Und dann musste ich feststellen, dass meine Eselsbrücke nicht perfekt war: Denn es gibt auch bei den alten Bundesländern eins, das „Sachsen“ enthält (Niedersachsen!). So ist das, wenn zwei Ausländer das Deutschsein üben. Für die Einbürgerung interessieren sich sogar Bürger der Europäischen Union (EU). Sehr viele in Deutschland lebende Briten haben in den letzten Monaten die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt – aus Angst vor dem Brexit, dem EU-Austritt Großbritanniens. Mit dem Brexit werden sie wahrscheinlich ihre Privilegien verlieren, etwa die Möglichkeit, in Deutschland frei arbeiten zu können. Ich hoffe, sie werden die Frage nach der Zahl der EU-Mitgliedstaaten richtig beantworten (28 – inklusive Großbritannien). Luiz hat seinen Test inzwischen gemacht und wartet auf das Ergebnis. Jetzt lernt er den Text der deutschen Nationalhymne. Er hat gehört, dass die Ausländerbehörde alle neuen Bürger zu einer offiziellen Feier einlädt und sie dabei gemeinsam die deutsche Hymne singen müssen. Den Autor kennt er ja schon.

motivieren zu …  machen, dass jemand Lust bekommt, … zu tun ,

erhören  tun, worum  jemand bittet ,

bew¢sst überlegt

hier: gut

,

w¡rben f ür … hier: zu erreichen versuchen, dass Menschen … bekommen wollen ,

m“t Migrationshinter grund ≈ mit ausländischen (Groß-)Eltern ,

Blüten treiben   Blüten (aus einem Baum) wachsen lassen; hier: eine (seltsame) Entwicklung zeigen ,

die Einbürgerung von: einbürgern = einem Ausländer, der schon lange in einem Land lebt, die Staatsangehörigkeitdieses Landes geben ,

die F„lle, -n hier: Sache, bei der man leicht einen Fehler macht ,

der V¶lksaufstand, ¿e ≈ sehr großer Bürgerprotest ,

das W„ppen, ≈ Emblem ,

 gestreift  mit langen, schmalen Linien ,

der Löwe, -n   wilde, große, gelbbraune Katze, die vor allem in Afrika lebt ,

die Z¢nge, -n  Organ im Mund � ür das Schmecken ,

die Eselsbrücke, -n m Hilfe, um sich etwas leichter zu merken, oft in Versform (der Esel, -   graues Tier, einem Pferd ähnlich) ,

,

begeistert sein  (es) toll finden ,

der Austritt von: austreten aus = hier: erklären, dass man nicht mehr Mitglied sein will ,

die Ausländerbehörde, -n Amt, wo man z. B. eine Aufenthaltserlaubnis bekommt ,

73

IM NÄCHSTEN MONAT

AUGUST 2016

Deutsch perfekt

im September Heft 9/2016 gibt es ab dem 31. August Klein Deutschland Seit 30 Jahren entscheiden Bürger in einem Ort in Rheinland-Pfalz mit ihrem Einkauf, was es später im ganzen Land zu kaufen gibt und was nicht. Denn dieses Haßloch, so glauben Experten, ist typisch deutsch. Warum das?

Mythos Wald

Wird mein Zeugnis akzeptiert?

Die meisten Deutschen lieben ihn. Kein Wunder: Ein Drittel des Landes ist Wald. Warum ist er ein Mythos? Wie prägen die Bäume die Gesellschaft? Und leben eigentlich noch Menschen im Wald?

Wer in Deutschland arbeiten will, muss nicht dort studiert oder einen Beruf gelernt haben. Für manche Berufe muss ein ausländischer Abschluss aber offiziell anerkannt werden. Sinnvoll ist das auch bei vielen Berufen, bei denen es nicht Vorschrift ist. Warum? Und wie geht das?

IMPRESSUM Herausgeber Rudolf Spindler Chefredakteur Jörg Walser Art Director Michael Scheufler Redaktion Barbara Duckstein (in Elternzeit), Katharina Heydenreich, Sonja Krell, Claudia May, Cornelia Osterbrauck, Eva Pfeiffer, Janina Schalkhaußer (in Elternzeit), Elternzeit), Sabine Weiser Bildredaktion Sarah Gough, Judith Rothenbusch Redaktionelle Mitarbeit Tanja Haas Autoren Andrea Bischhoff, Anne Wichmann Korrespondenten Marcel Burkhardt (Mainz), Joseph Gepp (Wien), Barbara Kerbel (Berlin), Astrid Labbert (Bremen), Swantje Zorn (Zürich) Gestaltungskonzept ErlerSkibbeTönsmann, Hamburg Gestaltung Nerina Wilter Produktionsleitung Ingrid Sturm Leitung Redaktionsmanagment Thorsten Mansch Litho Mohn Media Mohndruck GmbH, 33311 Gütersloh Druck Vogel Druck & Medienservice GmbH, 97204 Höchberg Deutsch perfekt wird besonders umweltfreundlich auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Verlag und Redaktion Spotlight Verlag GmbH Fraunhoferstraße 22, 82152 Planegg Tel. +49 (0)89/8 56 81-0, Fax +49 (0)89/8 56 81-105

Kein W¢nder!

hier: Das ist keine Überraschung. ,

prägen

hier: einen Effekt haben auf  ,

der [bschluss, ¿e

,

hier:

Zeugnis, das man nach dem Ende einer Ausbildung bekommt „nerkennen

tieren

,

 akzep-



s“nnvoll  so, dass es hilft und ein positives Resultat hat ,

die Vorschrift, -en

,

hier:

schriftliche Regel, die sagt, was gültig ist

KUNDENSERVICE Geschäftsführer Rudolf Spindler, Markus Schunk Leiter Lesermarkt Holger Hofmann Vertriebsleitung Monika Wohlgemuth Leserservice Birgit Hess Leitung Marketing B2C & PR Heidi Kral Leitung Marketing B2B & Kooperationen Susanne Mürbeth Vertrieb Handel

MZV, Ohmstraße 1,

85716 Unterschleißheim Bankverbindungen Commerzbank AG, Düsseldorf IBAN DE46300800000212865200, DE46300800000212865200, SWIFT (BIC) DRESDEFF300 Credit Suisse AG, Zürich IBAN CH1204835055483341000 CH1204835055483341000,, SWIFT (BIC) CRESCHZZ80C

Gesamt-Anzeigenleitung Axel Zettler Tel. +49 (0)89/8 56 81-130 [email protected]

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Kasernenstraße 67, 40213 Düsseldorf

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KRIMINALITÄT

AUGUST 2016

Deutsch perfekt

L >  LEICHT

Fliegender Wechsel Viele Imker in Deutschland haben ein Problem: Ihre fleißigen kleinen Tiere sind so populär, dass sich Kriminelle dafür interessieren.

D

as Wetter war schlecht an diesem Tag. Schon wieder Gewitterwolken über Hamburg. Und bei Gewitter, das wissen Imker, sind Bienen aggressiv. Keine gute Zeit, um Honig zu schleudern. Also hat Winfried Knaack, der Erste Vorsitzende des Imkereivereins Hamburg-Bramfeld, die Aktion um eine Woche verschoben. Aber auch am Wochenende nach dem Gewitter konnten die �� Teilnehmer des Imkereikurses keinen Honig schleudern. Denn der war nicht mehr da. „Jemand hatte die vollen Rahmen gegen leere ausgetauscht“, erzählt Knaack. „Das war sehr geschickt. Denn so hat man nicht sofort gesehen, was passiert ist.“ 75 Kilogramm Honig im Wert von 1115 Euro – plötzlich weg. Nur der 1,25 Meter hohe Maschendrahtzaun, der den Weg zu den Bienen blockiert hat, war etwas kaputt. Aber wer denkt da sofort an eine illegale Aktion? Knaack weiß: So geschickt macht das nur jemand, der Erfahrung mit Bienen hat. „Es muss ein Imker gewesen sein“, sagt der 63-Jährige. Das glaubt er nicht nur wegen der Sache mit dem Rahmen. „Ohne eigene Schleuder kommt man nämlich auch nicht an den Honig“, erklärt Knaack. Wenigstens sind die Bienen noch da. Bei � ünf ünf Kollegen des Imkervereins Hamburg-Altona war das anders. Von ihren Bienenkörben waren 20 plötzlich weg. „Auch das war eine geplante Aktion“, sagt Knaack. „Niemand nimmt bei einem Spaziergang spontan 20 Bienenkörbe mit.“ Warum aber stehlen Menschen Bienen und ihre Körbe? Seit ein paar Jahren liest

man in Polizeiberichten immer wieder davon. Manchmal sind 20 Völker plötzlich weg, manchmal nur eins. Winfried Knaack kennt die Antwort: „Imkern ist in Deutschland aktuell sehr populär“, sagt er. „Und es fehlen Bienenvölker. Manche Menschen organisieren die dann illegal.“ Es ist also das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Und besonders hoch ist die Nachfrage bei Hobbyimkern, die keine große Erfahrung mit Bienen haben. „Viele Leute denken, d enken, dass Bienen einfache Tiere sind, in die man wenig Arbeit investieren muss“, erklärt Knaack. „Aber es ist nicht so, dass man im Internet schnell ein bisschen über Bienen liest und dann imkern kann.“ Genau bei diesen Hobbyimkern, denen das Wissen fehlt, sterben die Völker schnell. Ein großes Problem sind Krankheiten. Denn Bienen sind wie Kinder auf einem Spielplatz. Sie treffen sich auf einer Blume, haben Körperkontakt und fliegen gern auch mal in einen fremden Bienenkorb. „Und wenn ein Volk durch Krankheit schwächer wird, bedienen sich andere Bienen gern am Honig“, erklärt Knaack. „Das ist nämlich viel weniger Arbeit, als von einer Blume zur nächsten zu fliegen.“ Krankheiten kommen so schnell von einem Bienenkorb in den nächsten. Speziell in Regionen, in denen es viele Imker gibt. „Bei mir im Garten stehen acht Völker“, sagt Knaack. „Im Umkreis von 500 Metern gibt es noch 50 andere.“ Deshalb muss man jedes Bienenvolk offiziell beim Veterinäramt anmelden. Dann kann dieses Amt nämlich andere Imker warnen, wenn es in der Region eine

flie gender W¡chsel ≈ schnelles Wechseln einer Sache oder Person mit einer anderen ,

der |mker, -  Person: Sie kümmert sich um Bienen (s. Foto). (die Biene, -n   sehr kleines Tier: Es stellt Honig her.) (der Honig, -e  gelbe oder braune, süße Substanz) ,

,

,

der M„schendrahtzaun, ¿e  Konstruktion aus langen, dünnen Metallteilen: Sie markiert z. B. die Grenze von einem Garten. ,

m¢ss … gewesen sein  war wahrscheinlich … ,

k¶mmen „n   bekommen ,

der Bienenkorb, ¿e ≈ Holzkonstruktion: Dort lebt  lebt ein Bienenvolk (s. Foto). (das Bienenvolk, ¿er ≈ Kolonie von Bienen) ,

,

stehlen  Dinge oder Geld wegnehmen ,

schleudern hier: ≈ mit einem Gerät den Honig aus den Rahmen herausholen (der Rahmen, - hier: Konstruktion aus vier Holzstücken: Zwischen den Holzteilen legen die Bienen den Honig ab, ab, s. Foto.) ,

,

der Erste Vorsitzende Person: Sie ist Chef Chef eines Vereins oder Meetings. ,

der Imkereikurs, -e   Kurs � ür ür Imker (die Imkerei, -en ≈ kleines Geschäft: Es hat Bienen und stellt Honig her.) ,

,

austauschen ge gen

hier: die vollen Rahmen wegnehmen und leere hineintun ,

 gesch“ckt  so, dass man etwas gut und schnell machen kann

der Polizeibericht, -e ≈ schriftliche Information von der Polizei über alle kriminellen Sachen von einer Region in einer speziellen Zeit ,

die Nachfrage   Kaufinteresse ,

s“ch bedienen „n hier: ≈ essen von ,

“m }mkreis v¶n Distanz von

,

≈ in der

das Veterinäramt, ¿er  offizielle Administration: ≈ Sie kümmert sich um die Gesundheit von Tieren in einer Region. ,

w„rnen  sagen, dass man aufpassen soll oder dass etwas ge� ährlich ährlich ist ,

,

“m Wert  zum Preis ,

   s    e    g    a    m    I    y    t    t    e    G   :    o    t    o    F

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KRIMINALITÄT

AUGUST 2016

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Sind seine Bienen bald nicht mehr da?

Krankheit gibt. Aber viele Hobbyimker melden ihre Völker nicht an. In der freien Natur ist das kein so großes Problem: Meistens sind Bienenvölker keine direkten Nachbarn, sondern leben in einer Distanz von zwei bis drei Kilometern. Aber was ist schon normal? Die Biene arbeitet seit vielen Tausend Jahren � ür ür die Menschen. Neben dem Rind und dem Schwein ist sie in der deutschen Landwirtschaft eines der drei wichtigsten Nutztiere. Ist das Wetter optimal, fliegen Bienen am Tag 30 Mal aus ihrem Korb – und besuchen jedes Mal 200 bis 300 Blumen. Sie bestäuben 80 Prozent der Nutzpflanzen in Deutschland. Und nur durch die Arbeit im Team wird ein 500-GrammGlas Honig � ür ür den Frühstückstisch voll. Eine Biene müsste da� ür ür nämlich dreimal um die Erde fliegen. Winfried Knaack wird die Rahmen des Imkervereins Hamburg-Bramfeld

 jetzt mit einem Stempel markieren – damit jeder sofort sehen kann, wem sie gehören. Mit Bienen funktioniert das natürlich nicht. Ein paar seiner Kollegen arbeiten deshalb mit GPS-Trackern. Diese schicken eine SMS, wenn jemand den Bienenkorb transportiert. Andere haben Kameras installiert. Aber auch die nehmen Kriminelle gern mit. „Vor 200 Jahren war das einfacher“, sagt Knaack. „Zu der Zeit waren die Bienen noch aggressiv, nicht auf Sanftmut gezüchtet wie heute.“ Wenn vor 200 Jahren also jemand an einen Bienenkorb gegangen ist, haben die Bienen das absolut nicht lustig gefunden. „Man hat sich damals mit sehr viel Kleidung schützen müssen, auch das Gesicht“, erklärt Knaack. Da hat natürlich jeder sofort gewusst: Diese Person da geht an einen Bienenkorb. Und wehe, das war nicht ihr Claudia May eigener.

die freie Natur ≈ ziemlich großes Areal: Dort stehen keine Häuser. ,

neben

,

hier: außer

die L„ndwirtschaft ≈ Agrarwirtschaft ,

das N¢tztier, -e   Tier: Es gibt dem Menschen z. B. Milch oder Honig oder hilft ihm bei der Arbeit. ,

bestäuben hier: ≈ Pollen von einer männlichen Blüte zu einer weiblichen Blüte tragen und so machen, dass es neue Blüten und Früchte gibt (der P¶llen, -   extrem kleines Stück: ≈ Die Blüte von einer Pflanze stellt es her.) (die Blüte, -n  Teil von einer Pflanze: Meistens hat er eine schöne Farbe und riecht gut.) ,

,

,

die N¢tzpflanze, -n Pflanze: Der Mensch Mensch bekommt daraus z. B. Essen ür sich oder � ür ür Nutztiere. � ür ,

m•sste müssen

Konj. II von:

,

die Erde hier: Planet: Dort leben wir. ,

die SMS, - kurz �  kurz � ür: ür: Short Message Service = kurze Nachricht: Man schreibt sie auf dem Handy. ,

installieren  mit Werkzeugen stabil machen an ,

die S„nftmut  Aggressivität ,



z•chten auf  ≈ eine Tierkategorie mit speziellen Charakteristika herstellen ,

sch•tzen hier: helfen, dass man nicht verletzt wird ,

}nd wehe … hier: Und sie wird Ärger bekommen, wenn … ,

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AUGUST 2016 Deutsch perfekt

D � A � CH � MENSCHEN

Eine Übung zu diesem Text finden Sie auf Seite 45.



EINE VON 98 MILLIONEN

M > MITTEL

„Es gibt immer noch eine Chance“ Frau Grimmenstein, mag Sie Ihr Postbote noch? (lacht) Der hat wegen mir auf jeden Fall sehr viel Arbeit! Er kommt schon lange nicht mehr mit dem Fahrrad, sondern mit einem kleinen Lkw. Denn in den letzten Monaten habe ich jeden Tag viele Kisten voll mit Briefen bekommen. Es war ein totales Chaos. Oft waren falsche Briefmarken darauf, oder meine Adresse war nicht korrekt. Angekommen sind sie trotzdem. Wahrscheinlich bin ich bei der Post inzwischen gut bekannt: Es sind insgesamt fast 70 000 Briefe! Die Briefe haben Ihnen Deutsche geschickt, die bei Ihrer Verfassungsbeschwerde gegen das Freihandelsabkommen CETA Marianne Grimmenstein

aus Lüdenscheid (Nordrhein-Westfalen) organisiert die größte Bürgerklage in der deutschen Geschichte. Das Ziel der 70-jährigen Musiklehrerin: CETA stoppen, den Vertrag zwischen der Europäischen Union und Kanada.

In Deutschland, Österreich und der Schweiz (D-A-CH) leben 98 Millionen Menschen. An dieser Stelle interviewen wir jeden Monat einen davon.

zwischen der EU und Kanada mit-

machen wollen? Genau. Diese Bürger wollen offiziell mit mir vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe klagen. Mein Mann und ich haben wirklich  jeden Brief geöffnet und jeden Namen in ein Word-Dokument geschrieben. Mit der Verfassungsbeschwerde wollen Sie CETA stoppen? Ja, und TTIP, das Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA, natürlich auch. Aber jetzt konzentriere ich mich auf CETA. Was ist Ihre Kritik an CETA? Die Politiker nehmen sich mit dem Abkommen selbst die Macht und geben sie den Konzernen. Diese bekommen ein Klagerecht gegen Staaten. Aber Staaten können nicht gegen die Wirtschaft klagen. Das ist absurd! Außerdem macht CETA die Umwelt kaputt und gibt den Bürgern nicht genug Rechte. CETA ist gegen die Demokratie. Sie haben vor zwei Jahren schon einmal versucht, CETA vor dem Bundesverfassungsgericht zu

stoppen. Warum hat das damals nicht geklappt? Es war noch zu früh. Denn es gab noch keinen Text, den das Gericht prüfen konnte. Jetzt unterstützt mich der Juraprofessor Andreas Fisahn. Außerdem konnte ich durch das Petitionsportal change.org Geld � ür die Klage sammeln. Damit bezahle ich Professor Fisahn und ein paar Kolleginnen, die mir bei der Büroarbeit helfen. Haben Sie nie ans Au fören gedacht? (lacht) Nein, nie! Mein Motto ist: Solange noch nicht alles verloren ist, gibt es immer noch eine Chance. Das ist optimistisch. Ja, natürlich! Ich kämpfe � ür eine bessere Welt. Die neoliberalistischen Strukturen machen unsere Gesellschaft kaputt. Und es ist eine Motivation � ür mich, dass mich so viele Menschen unterstützen. Wenn Sie nicht gerade � ür eine bessere Welt kämpfen, arbeiten Sie als Musiklehrerin, oder? (lacht) Ja, ich bin Querflötenlehrerin und habe ein paar Schüler. Aber die Klage gegen CETA ist ein Vollzeitjob. Dabei hilft mir mein juristisches Wissen. Ich komme aus einer Juristenfamilie. Schon mein Großvater war Jurist. Wann werden Sie Ihre Klage vor dem Bundesverfassungsgericht einreichen? Das hängt von den aktuellen Ereignissen ab. Wenn das Datum feststeht, an dem der EU-Ministerrat über CETA berät, reiche ich die Klage ein. Das wird wahrscheinlich im Herbst diesen Jahres sein. Ich glaube, dass wir Erfolg haben werden. Probleme sind da � ür da, um sie zu lösen. Und bei der ganzen Arbeit ist mir eine Sache extrem wichtig: Man darf seinen Humor nicht verlieren. Interview: Eva Pfei ff er

die B•rgerklage, -n  offizielle Beschwerde von Bürgern bei einem Gericht (die Beschwerde, -n von: sich beschweren) (das Ger“cht, -e hier: öffentliche Institution: Dort wird entschieden, ob ein Vertrag sich an den Regeln des Staates orientiert.) ,

,

,

der P¶stbote, -n m ≈ Person, die Briefe bringt ,

die Verf„ssungsbeschwerde, -n   offizielle Beschwerde, dass etwas gegen die Verfassung ist (die Verf„ssung, -en  schriftliche Form � ür die Regeln in einem Staat) ,

,

das Freihandelsabkommen, - ≈ Vertrag zwischen Staaten, der den Kauf und Verkauf von Waren leichter machen soll ,

das B¢ndesverf„ssungs gericht   spezielle Institution in Deutschland, die bei einem Streit über die Verfassungentscheidet ,

die M„cht   Möglichkeit, zu regieren; ≈ Kontrolle in einem Land ,

der Konz¡rn, -e   Gruppe von Firmen mit gemeinsamer Leitung ,

das Kla gerecht ≈ Garantie und Möglichkeit, zu klagen ,

sol„nge

,

hier: wenn

die Querflötenlehrerin, -nen  Frau, die unterrichtet, wie man mit dem Mund in ein Musikinstrument aus Metall oder Holz Luft stößt ,

der V¶llzeitjob, -s   Job, bei dem man zwischen 35 und 42 Stunden pro Woche arbeitet ,

 zu einer offiziellen Stelle bringen einreichen

,

der EU-Min“sterrat m oberstes Komitee der Europäischen Union ,

   )    2    (    a    p    d    /    e    c    n    a    i    l    l    a    e    r    u    t    c    i    p   :    s    o    t    o    F

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