Archiv Fuer Kriminologie Band 225 01 02 2010

October 5, 2017 | Author: Andie Müller | Category: Autopsy, Forensics, Medicine, Health Sciences, Wellness
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Forensic Medicine in Europe

NEUERSCHEINUNG

First comprehensive monograph on Forensic or Legal Medicine in Europe

ARCHIV FÜR KRIMINOLOGIE Band 225 Heft 1 und 2 Jan./Feb. 2010

unter bes. Berücksichtigung der gerichtlichen Physik, Chemie und Medizin Burkhard Madea Pekka Saukko (eds)

This book is an important contribution to arrive at a better understanding of the historical differences between the systems of legal medicine in the European countries, but also to pave the way for future harmonization of the technical, medical and legal standards. The clearly structured texts are complemented by numerous illustrations, tables and references. Extract from a Book review by Stefan Pollak in Forensic Science International 187 (2009) Forensic Medicine in Europe Burkhard Madea/Pekka Saukko (Eds.) ISBN 978-3-7950-0334-0, 462 p., € 50,–

Archiv für Kriminologie, 225. Band, 1. und 2. Heft, 2010.

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he editors Prof. Dr. Burkhard Madea (Bonn) and Prof. Dr. Dr. h. c. Pekka Saukko (Turku/Finland), emphasize in their preface that, as Europe is growing together, it is also necessary to harmonize the medicolegal systems. The new publication contains articles on the situation of legal medicine in those countries being member states of the EU in 2006.

Monatsschrift begründet von Prof. Dr. jur. Hans Gross fortgeführt von Geh.Rat Dr. jur. Robert Heindl, Präsident Franz Meinert und Prof. Dr. jur. Friedrich Geerds

unter Mitwirkung von Prof. Dr. rer. nat. Harald Schütz, Universität Gießen

herausgegeben von Prof. Dr. med.

Stefan Pollak, Universität Freiburg i. Br.

Elke Doberentz, Burkhard Madea, Ulrike Böhm, Rüdiger Lessig: Zur Reliabilität von Leichenschaudiagnosen bei nichtnatürlichen Todesfällen vor und nach der Wiedervereinigung Deutschlands (Mit 9 Abbildungen und 1 Tabelle) Seite 1 Stefanie Jänisch, Hildrun Meyer, Tanja Germerott, Yvonne Schulz, Urs-Vito Albrecht, Anke Schmidt, Anette Solveig Debertin: Analyse der Untersuchungsergebnisse bei sexuellem Kindesmissbrauch (Mit 2 Abbildungen und 3 Tabellen) Seite 18 Julia Herrmann, Axel Gehl, Klaus Püschel, Sven Anders: Versuchte und vollendete Tötungsdelikte in Hamburg – eine vergleichende Untersuchung von zwei Sechsjahres-Zeiträumen (Mit 5 Abbildungen und 2 Tabellen) Seite 28 Lothar Schwarz, Mona-Lena Hermanowski: Luftfeuchtigkeit als notwendige Bedingung für die daktyloskopische Spurensicherung mit Ninhydrin: ein praxisorientierter und kostengünstiger Lösungsansatz mit Kaliumcitrat (Mit 2 Abbildungen und 1 Tabelle) Seite 39 Burkhard Madea, Peter Schmidt, Johanna Preuß, Dietmar Elenz: Ungewöhnliche Beweisfragen in einem Fall von offensiver Leichenzerstückelung (Mit 12 Abbildungen) Seite 46 Zeitschriften-Rundschau Seite 61 Buchbesprechungen Seite 63 Rotermann, Ina / Köhler, Denis / Hinrichs, Günter: Legalbewährung jugendlicher und heranwachsender Sexual- und Gewaltstraftäter Seite 63 Meyer-Goßner, Lutz: Strafprozessordnung Seite 63 Karst, Sandra: Die Entkriminalisierung des § 173 StGB Seite 64 Joeck s, Wolfgang / Mieb ach , Klaus (Hrsg.): Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 6/2: Nebenstrafrecht III, Völkerstrafgesetzbuch Seite 65

Weinrich, Christoph: Statusmindernde Nebenfolgen als Ehrenstrafen im Sanktionensystem des StGB Seite 65 Erbs, Georg / Ko hlhaas, Max: Strafrechtliche Nebengesetze mit Straf- und Bußgeldvorschriften des Wirtschafts- und Verwaltungsrechts Seite 66 Mö ld ers, Simone: Bestechung und Bestechlichkeit im internationalen geschäftlichen Verkehr Seite 66 B rü ck n er, Michael / Przyklenk, Andrea: Kursbuch Datenschutz Seite 67 Münchhalffen, Gaby / Gatzweiler, Norbert: Das Recht der Untersuchungshaft Seite 68 Messer, Sebastian: Die polizeiliche Registrierung von Widerstandshandlungen Seite 68 B ro d ag , Wolf-Dietrich: Strafverfahrensrecht Seite 69 Ach en b ach , Matthias: Strafrechtlicher Schutz des Wettbewerbs? Seite 70 Scheinfeld, Jörg: Der Kannibalen-Fall Seite 71 Bibliographische Ergänzungen der besprochenen Bücher Seite 72 Hinweise für Autoren Manuskripte und Rezensionsexemplare sind zu richten an Herrn Prof. Dr. Stefan Pollak, c/o Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Institut für Rechtsmedizin, Albertstraße 9, D-79104 Freiburg. Briefe und Korrespondenz je nach Lage an den Vorgenannten oder den Verlag. 1. Es werden nur bisher nicht veröffentlichte Originalarbeiten aus dem Gesamtgebiet der Kriminologie und Kriminalistik bzw. diesen verbundenen Wissenschaftsdisziplinen angenommen, die den üblichen fachwissenschaftlichen Anforderungen entsprechen. Der Verfasser verpflichtet sich, die Arbeit auch später nicht ohne Genehmigung von Verlag und Herausgeber in gleicher oder abgeänderter Form zu publizieren. 2. Das Manuskript, das insgesamt zehn bis maximal 15 Seiten nicht überschreiten sollte, ist in sauberer Maschinenschrift (mindestens 11/2 Zeilen Abstand mit Rand links) vorzulegen. Abbildungen, Tabellen und dergleichen müssen klischierfähige Form haben, die Schriftgröße muss eine für den Satz notwendige Verkleinerung zulassen. – Manuskripten in englischer Sprache (maximal zehn Seiten) ist eine Rohübersetzung in das Deutsche beizufügen. 3. Jedes Manuskript soll eine kurze Zusammenfassung des wesentlichen Inhalts in deutscher und englischer Sprache enthalten. 4. Es muss Literaturanschluss hergestellt sein; die entweder dem Text (dort erwähnten) nachfolgenden oder in Fußnoten eingearbeiteten Literaturangaben müssen den Anforderungen der betreffenden Disziplin genügen. 5. Zur Erleichterung der redaktionellen Arbeit wird gebeten, für jeden Beitrag bis zu fünf Schlüsselworte vorzuschlagen. 6. Die Korrekturen sind mit den bekannten Korrekturzeichen durchzuführen; sie sind schnell zu erledigen und haben sich wegen moderner Setztechnik und kurzer Publikationsfrist auf Setzfehler zu beschränken. 7. Die Autoren erhalten für jeden Beitrag zusammen 20 Exemplare des betreffenden Doppelheftes unentgeltlich. Weitere Exemplare oder Sonderdrucke können gegen angemessenen Preis vom Verlag bezogen werden. Schriftleiter: Prof. Dr. Stefan Pollak Alle Rechte vorbehalten. Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Werden von einzelnen Beiträgen oder Teilen von ihnen einzelne Vervielfältigungsstücke im Rahmen des § 54 (2) UrhG hergestellt und dienen diese gewerblichen Zwecken, ist die dafür nach Maßgabe des Gesamtvertrages zwischen der VG Wort, Abt. Wissenschaft, Goethestraße 49, 80336 München, dem Bundesverband der Deutschen Industrie e.V., 50674 Köln/Rhein, Habsburgerring 2–12,und dem Gesamtverband der Versicherungswirtschaft e.V. zu zahlende Vergütung an die Verwertungsgesellschaft zu entrichten. Die Vervielfältigungen sind mit einem Vermerk über die Quelle und den Vervielfältiger zu versehen. Erfolgt die Entrichtung der Gebühren durch Wertmarken der Inkassostelle, so ist für jedes vervielfältigte Blatt eine Marke im Werte von € 0,20 (bzw. € 0,08) zu verwenden. Die Weitergabe von Vervielfältigungen, gleichgültig zu welchem Zweck sie hergestellt werden, ist verboten und als Urheberrechtsverletzung strafbar. Mit der Überlassung des Manuskripts überträgt der Verfasser dem Verlag das Recht dieser Genehmigung – © 2010 by Verlag für polizeiliches Fachschrifttum Georg Schmidt-Römhild, Lübeck. Printed in Germany.

ISSN 0003 – 9225 Druck: Schmidt-Römhild, Lübeck

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Archiv für Kriminologie 225: 1-17 (2010)

Aus dem Institut für Rechtsmedizin der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn1 (Direktor: Prof. Dr. med. B. Madea), dem Institut für Rechtsmedizin der Universität Leipzig2 (Direktor: Prof. Dr. med. J. Dreßler) und dem Sachverständigenbüro für Rechtsmedizin in Leipzig3

Zur Reliabilität von Leichenschaudiagnosen bei nichtnatürlichen Todesfällen vor und nach der Wiedervereinigung Deutschlands Von

Dr. med. Elke Doberentz1, Prof. Dr. med. Burkhard Madea1, Dr. med. Ulrike Böhm3 und Prof. Dr. med. Rüdiger Lessig2 (Mit 9 Abbildungen und 1 Tabelle)

1. Einleitung In Deutschland werden seit Jahren – neben der anhaltend niedrigen Rate von klinisch-pathologischen und rechtsmedizinischen Sektionen – die schlechte Qualität der Leichenschau und ein hoher Anteil von fehlerhaften Todesbescheinigungen beklagt. Zahlreiche Publikationen (z. B. 14, 22) zeigten auf, dass oft keine Übereinstimmung der Todesursache laut Todesbescheinigung mit dem Obduktionsergebnis besteht. Bei der Obduktion von vermeintlich natürlich Verstorbenen werden nicht selten Anzeichen einer äußeren Gewalteinwirkung oder eines Fremdverschuldens festgestellt. So sollen in Deutschland ca. 11.000–22.000 nichtnatürliche Todesfälle pro Jahr bei der Leichenschau unentdeckt bleiben, darunter ca. 1.200 bis 2.400 unerkannte Tötungsdelikte (3). Im Gegensatz zum Sektionswesen in der BRD wurde in der ehemaligen DDR fast jeder Leichnam, bei dem eine nichtnatürliche oder unklare Todesart bescheinigt wurde, obduziert. Die Aufklärung von Todesfällen durch Obduktionen war gesellschaftlich weitestgehend akzeptiert. Nach der Wiedervereinigung und der Anpassung der Gesetzgebung der ehemaligen DDR an jene der BRD setzte ein drastischer Rückgang der Obduktionszahlen ein. Verwaltungssektionen, ein wesentliches Mittel zur Klärung nichtnatürlicher Todesfälle und zur Qualitätssicherung in der Medizin, wurden in den neuen Bundesländern all-

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mählich ganz abgeschafft. Die relativ hohe Obduktionsfrequenz von 20–30 % (8, 33) in der ehemaligen DDR sank nach der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten auf etwa 5 % aller Todesfälle (5). Heute werden Verstorbene, bei denen eine nichtnatürliche oder ungeklärte Todesart bescheinigt wird und die nicht auf juristisches Interesse stoßen, ohne Obduktion bestattet. Eine Kontrollfunktion fehlt. Nur wenn eine Einäscherung stattfinden soll, wird eine zweite Leichenschau (mit Ausnahme von Bayern) durchgeführt. Auf Grundlage der Obduktionsunterlagen von nichtnatürlichen Todesfällen aus dem Institut für Rechtsmedizin in Leipzig wurde geprüft, ob es nach der Wiedervereinigung zu einer Veränderung des Übereinstimmungsgrades der bei Leichenschau und Obduktion festgestellten Todesursachen gekommen ist. Anhand der erhobenen Ergebnisse sollen Schwachstellen aufgezeigt und Optimierungspotentiale abgeleitet werden. 2. Material und Methodik 2.1 Datenbasis Grundlage der Untersuchung bilden die Protokolle aller Obduktionen von nichtnatürlichen Todesfällen der Jahre 1985–1994 und 2000–2004 aus dem Einzugsgebiet des Institutes für Rechtsmedizin in Leipzig. Die Unterlagen von 8.593 nichtnatürlichen Sterbefällen, die in diesem Zeitraum zur Sektion gelangten, wurden hinsichtlich verschiedener Parameter retrospektiv ausgewertet. Es wurden hierbei nur Todesfälle mit einer nichtnatürlichen Todesart berücksichtigt, da der Tod in diesen Fällen definitionsgemäß auf einem von außen einwirkenden Ereignis beruht und demzufolge von besonderer kriminalistischer Bedeutung ist. Der Untersuchungszeitraum von insgesamt 15 Jahren wurde in drei 5-Jahres-Perioden unterteilt: Zeitabschnitt I:

1985 bis 1989 Rechtslage der DDR (mit der entsprechenden Leichenschau- und Sektionsverordnung)

Zeitabschnitt II: 1990 bis 1994 Umstellung und Anpassung an die Systematik der Bundesrepublik Zeitabschnitt III: 2000 bis 2004 Angleichung an das Sektionswesen der BRD abgeschlossen

2.2 Auswertungskriterien 2.2.1 Todesart Entsprechend den Angaben auf den Todesbescheinigungen erfolgte eine Einteilung in die Rubriken natürlicher Tod, nichtnatürlicher Tod bzw. ungeklärte Todesart.

2.2.2 Todesumstände Den Unterlagen wurden die Umstände des Todes entnommen und zugeordnet zu: Tötungsdelikt, Unfall, Suizid und iatrogener Todesfall (sog. „Behandlungsfehler“). Waren im Sektionsprotokoll keine eindeutigen Informationen bezüglich der Todesumstände angegeben, wurde die Todesart als „unklar“ bezeichnet.

2.2.3 Todesmechanismus Entsprechend der üblichen Vorgehensweise in der Praxis wurden die Todesmechanismen in die folgenden Kategorien unterteilt: Tod durch scharfe Gewalt, stumpfe Gewalt, Er-

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sticken/Ertrinken/Gewalt gegen den Hals, Vergiftung, Verkehrsunfall, Hitze/Kälte/ Strahlung, Verstoß gegen die medizinischen Standards („Behandlungsfehler“) und Todesmechanismus „unklar“.

2.2.4 Todesursache laut Todesbescheinigung Bei der Auswertung wurden die Angaben zur Todesursache auf der Todesbescheinigung inhaltlich erfasst, ohne dabei formale Fehler (z. B. falsche Reihenfolge der Eintragungen „Todesursache und direkt zum Tode führende Erkrankungen“) zu berücksichtigen. Es sollte lediglich beurteilt werden, ob der Leichenschauarzt die Todesursache im Wesentlichen richtig erkannt hat.

2.2.5 Todesursache laut Obduktionsergebnis Die Todesursache entsprechend den Feststellungen bei der Obduktion wurde dem Sektionsprotokoll entnommen.

2.2.6 Übereinstimmung der Todesursache nach Todesbescheinigung und Obduktionsergebnis Die Leichenschau- und Obduktionsdiagnosen wurden auf völlige, teilweise und fehlende Übereinstimmung geprüft.

2.2.7 Fachrichtung des die Todesbescheinigung ausstellenden Arztes Sofern möglich, wurde die Fachgebietsbezeichnung des die Leichenschau haltenden Arztes dem Arztstempel entnommen. War nur ein Krankenhausstempel vorhanden, wurde angenommen, dass der Leichenbeschauer über die fachspezifische Ausbildung der Station bzw. Klinik verfügt, auf bzw. in welcher der Patient verstarb. In 2.363 Fällen (27,5 %) konnte keine Facharztrichtung festgestellt werden, weil die entsprechende Information fehlte.

2.2.8 Sterbeort bzw. Ort der Todesfeststellung Auf den einheitlichen Todesbescheinigungen der ehemaligen DDR gab es die Möglichkeit, zwischen der Angabe von vier Sterbeorten – zu Hause, im Krankenhaus, im Heim, sonstiger Ort – zu wählen. Die Erfassung des Sterbeortes erfolgte demnach vereinheitlicht nach vier Orten: häusliches Milieu, außer Haus, Krankenhaus oder Heim. Auf den in vielen Variationen existierenden Todesbescheinigungen der BRD, die nach der Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern übernommen wurden, gab es nicht immer die Möglichkeit, den Sterbeort einzutragen. Die fehlende Information wurde den Sektionsunterlagen entnommen.

3. Ergebnisse 3.1 Obduktionszahlen Im Untersuchungszeitraum wurden in Leipzig insgesamt 18.122 rechtsmedizinische Obduktionen durchgeführt. Von diesen Todesfällen wurden nach der Sektion 9.529 Fälle (52,6 %) einer natürlichen und 8.593 Fälle (47,4 %) einer nichtnatürlichen Todesart zugeordnet. Nach der Wiedervereinigung kam es ab 1990 zu einem drastischen Rückgang der rechtsmedizinischen Obduktionen und der obduzierten nichtnatürlichen Todesfälle (Abb. 1). Im Mittel wurden im Zeitraum 1985–1989 13,7 % aller Todesfälle im Einzugsgebiet des Institutes seziert, während in den Jahren 2000–2004 nur noch 3 von 100 Leichen (3,1 %) einer Obduktion zugeführt wurden.

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Abb. 1: Gesamtzahl der Sektionen und der obduzierten nichtnatürlichen Todesfälle im Regierungsbezirk Leipzig in den Jahren 1985–1994 und 2000–2004

3.2 Todesarten Tab. 1 veranschaulicht die prozentuale Verteilung der auf den Todesbescheinigungen angegebenen Todesarten für die durch eine Sektion nachträglich als „nichtnatürlich“ eingestuften Todesfälle der drei Untersuchungszeiträume. Besonders auffallend war, dass 1985–1989 bei 5,1 % der sezierten Verstorbenen laut Todesbescheinigung primär bei der Leichenschau ein natürlicher Tod bescheinigt worden war. Im Zeitraum 2000–2004 waren nur noch Verstorbene mit dem Eintrag „nichtnatürlicher“ oder „unklarer“ Tod seziert worden. Tab. 1: Prozentuale Verteilung der Todesarten auf den Todesbescheinigungen der obduzierten nichtnatürlichen Todesfälle im Regierungsbezirk Leipzig in den Jahren 1985–1994 und 2000–2004 Todesart lt. natürlich nicht natürlich unklar kein Totenschein Totenschein/Zeitraum % % % bzw. keine Angabe % 1985–1989

5,1

70,8

4,5

19,6

1990–1994

3,0

70,2

16,4

10,4

2000–2004

0,0

72,5

15,2

12,3

3.3 Verteilung der Sterbefälle in Abhängigkeit vom Sterbeort Im Zeitraum 1985–1989 wurden die meisten Bescheinigungen mit durchschnittlich 41,0 % im häuslichen Milieu ausgestellt (Abb. 2). Die im Krankenhaus ausgefüllten Todesbescheinigungen hatten einen Anteil von 32,2 %, gefolgt von 24,6 % der außer Haus und 2,1 % der in Heimen Verstorbenen. In der Zeit 2000–2004 hatte sich das Bild gewandelt. Jetzt wurde auf den Todesbescheinigungen am häufigsten „außer Haus“ mit 44,1 % (486,4 Fälle) angegeben. 31,3 % der Totenscheine (345,2 Fälle) wurden in Krankenhäusern, 24,2 % (266,9 Fälle) im häuslichen Milieu und nur 0,3 % (3,3 Fälle) in Heimen ausgestellt.

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prozentuale Anteile der Sterbeorte

Zur Reliabilität von Leichenschaudiagnosen

Abb. 2: Verteilung der Sterbeorte, bezogen auf die obduzierten nichtnatürlichen Todesfälle im Regierungsbezirk Leipzig in den Jahren 1985–1994 und 2000–2004

3.4 Übereinstimmung der klinischen und autoptischen Todesursachen

prozentuale Anteile der Übereinstimmungen

Bei der Auswertung der Übereinstimmung der klinischen und autoptischen Todesursachen von 8.593 nichtnatürlichen Sektionsfällen konnte in 72,0 % (6.189 Fälle) eine Übereinstimmung, in 15,4 % (1.327 Fälle) keine Übereinstimmung und in 9,2 % (794 Fälle) eine nur teilweise Übereinstimmung der Todesursachen ermittelt werden (Abb. 3). In 283 Fällen (3,3 %) konnte keine Aussage über den Übereinstimmungsgrad getroffen werden, da die Todesbescheinigungen nicht ausgefüllt bzw. nicht lesbar waren.

Abb. 3: Rate der Übereinstimmung von Leichenschau- und Obduktionsdiagnosen im Regierungsbezirk Leipzig in den Jahren 1985–1994 und 2000–2004

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DOBERENTZ, MADEA, BÖHM, LESSIG Die Übereinstimmungen (insgesamt) in den Fünfjahresphasen:

1985–1989: 75,7 % völlige / 8,7 % teilweise / 13,8 % keine Übereinstimmung 1990–1994: 67,0 % völlige / 9,5 % teilweise / 17,8 % keine Übereinstimmung 2000–2004: 65,5 % völlige / 11,2 % teilweise / 18,0 % keine Übereinstimmung Die meisten übereinstimmenden Todesursachen fanden sich bei den Suizidfällen, hier zeigten sich durchweg hohe Übereinstimmungen von über 80 %: 1985–1989: 88,3 % völlige / 3,7 % teilweise / 6,5 % keine Übereinstimmung 1990–1994: 82,5 % völlige / 3,2 % teilweise / 9,8 % keine Übereinstimmung 2000–2004: 80,4 % völlige / 5,7 % teilweise / 9,3 % keine Übereinstimmung Bei den iatrogenen Todesfällen kam es zu einer Abnahme der völligen Übereinstimmungen: 1985–1989: 72,2 % völlige / 12,8 % teilweise / 15,5 % keine Übereinstimmung 1990–1994: 62,1 % völlige / 24,5 % teilweise / 15,2 % keine Übereinstimmung 2000–2004: 63,0 % völlige / 10,9 % teilweise / 21,7 % keine Übereinstimmung Die Übereinstimmungsrate bei den Unfallopfern blieb über die drei untersuchten Zeiträume mit ca. 65 % gleich: 1985–1989: 65,4 % völlige / 13,7 % teilweise / 19,0 % keine Übereinstimmung 1990–1994: 63,0 % völlige / 12,3 % teilweise / 19,5 % keine Übereinstimmung 2000–2004: 64,7 % völlige / 13,3 % teilweise / 16,9 % keine Übereinstimmung Auch bei den Tötungsdelikten ließ sich eine Abnahme der Übereinstimmungsrate feststellen: 1985–1989: 64,4 % völlige / 7,3 % teilweise / 21,1 % keine Übereinstimmung 1990–1994: 62,8 % völlige / 2,6 % teilweise / 15,2 % keine Übereinstimmung 2000–2004: 48,8 % völlige / 9,4 % teilweise / 29,9 % keine Übereinstimmung Bei den insgesamt 276 Tötungsdelikten waren 262 Obduktionen gerichtlich angeordnet worden. Bemerkenswert ist dabei, dass neun Tötungsdelikte (3,3 %) durch Verwaltungssektionen und ein Tötungsdelikt (0,4 %) durch eine klinische Sektion entdeckt worden sind. Unter den Opfern befanden sich 5 Kinder. In vier Todesfällen konnte nicht festgestellt werden, welche Behörde die Sektion angeordnet hatte.

3.5 Übereinstimmung der klinischen und autoptischen Todesursachen in Abhängigkeit von der Facharztrichtung Die Abb. 4 veranschaulicht, dass hohe Übereinstimmungsraten der Todesursachen bei den Rechtsmedizinern mit 82,1 %, den Anästhesisten mit 74,7 %, den Allgemeinmedizinern mit 73,4 % und den Chirurgen mit 70,3% erzielt wurden. Die Betrachtung der Fälle, bei denen sich keine Übereinstimmung der Todesursachen finden ließ (Abb. 5), zeigte, dass in der Gruppe der Orthopäden die meisten fehlerhaften Todesbescheinigungen zu finden waren (27,5 %). Aber auch Notärzte (24,0 %, in der Grafik nicht aufgeführt), Allgemeinmediziner (23,7 %) und Internisten (20,6 %) wiesen schlechte Ergebnisse auf. Die geringste Zahl an fehlerhaft angegebenen Todesursachen hatte die Gruppe der Anästhesisten zu verzeichnen. Hier hatte sich in nur 8,6 % der Fälle eine nicht übereinstimmende Todesursache ergeben.

3.6 Analyse der Todesbescheinigungen mit fehlender Übereinstimmung der klinischen und autoptischen Todesursachen Bei 1.327 Todesbescheinigungen, also insgesamt 15,4 % der im Berichtszeitraum im Leipziger Institut untersuchten nichtnatürlichen Todesfälle, konnte keine Übereinstimmung der vom Leichenbeschauer angegebenen mit der bei der Obduktion festgestellten Todesursache ermittelt werden.

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prozentuale Anteile der Übereinstimmungen

Zur Reliabilität von Leichenschaudiagnosen

Quote der fehlenden Übereinstimmung

Abb. 4: Übereinstimmungsraten der klinischen und autoptischen Todesursachen in Abhängigkeit von der Facharztrichtung der Leichenschauärzte im Regierungsbezirk Leipzig in den Jahren 1985–1994 und 2000–2004

Abb. 5: Quote der fehlenden Übereinstimmungen von klinischer und autoptischer Todesursache in Abhängigkeit von der Facharztrichtung der die Leichenschau haltenden Ärzte im Regierungsbezirk Leipzig in den Jahren 1985–1994 und 2000–2004

3.6.1 Fehlende Übereinstimmung der klinischen und autoptischen Todesursachen in Abhängigkeit vom Mechanismus des nichtnatürlichen Todes Die Rate fehlender Übereinstimmung variierte bei den einzelnen Todesursachen-Kategorien; die nachstehenden Zahlen beziehen sich auf den gesamten Untersuchungszeitraum: Hitze, Kälte, Strahlung: stumpfe Gewalt: iatrogener Einfluss: Vergiftung:

34,2 % (113 Fälle) 23,0 % (452 Fälle) 16,7 % (35 Fälle) 16,1 % (250 Fälle)

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DOBERENTZ, MADEA, BÖHM, LESSIG

Verkehrsunfall: scharfe Gewalt: Ersticken: Strom: Schussverletzung: unklar:

11,6 % (243 Fälle) 9,9 % (15 Fälle) 9,1 % (192 Fälle) 8,9 % (4 Fälle) 8,6 % (8 Fälle) 37,5 % (15 Fälle)

Eine fehlende Übereinstimmung bedeutet hierbei nicht zwangsläufig, dass z. B. ein Tod durch stumpfe Gewalt nicht als solcher erkannt wurde, sondern dass beispielsweise als Todesursache durch den Leichenbeschauer ein „Schädel-Hirn-Trauma“ festgestellt wurde, die Sektion aber ein „stumpfes Bauchtrauma“ ergab. Im Folgenden sind die Ergebnisse der Jahre 1985–1989 und 2000–2004 gesondert aufgeschlüsselt: 1985–1989: Hitze, Kälte, Strahlung: stumpfe Gewalt: iatrogener Einfluss: Schussverletzung: Vergiftung: Verkehrsunfall: Strom: scharfe Gewalt: Ersticken: unklar:

35,2 % (45 Fälle) 22,8 % (289 Fälle) 15,5 % (15 Fälle) 13,0 % (3 Fälle) 12,2 % (129 Fälle) 11,6 % (102 Fälle) 9,5 % (2 Fälle) 8,2 % (5 Fälle) 6,8 % (105 Fälle) 44,4 % (8 Fälle)

2000–2004: Vergiftung: stumpfe Gewalt: Hitze, Kälte, Strahlung: iatrogener Einfluss: Ersticken: Strom: scharfe Gewalt: Verkehrsunfall: Schussverletzung: unklar:

33,1 % (51 Fälle) 25,4 % (47 Fälle) 24,7 % (20 Fälle) 21,7 % (10 Fälle) 20,3 % (31 Fälle) 12,5 % (1 Fall) 10,3 % (4 Fälle) 8,0 % (32 Fälle) 3,3 % (1 Fall) 40,0 % (2 Fälle)

3.6.2 Fehlende Übereinstimmung der klinischen und autoptischen Todesursachen in Abhängigkeit vom Sterbeort Eine Untersuchung der Fälle mit fehlender Übereinstimmung der Todesursachen zeigte, dass die meisten dieser Sterbefälle (37,7 %, 500 Fälle) aus dem häuslichen Milieu stammten. 425 Todesfälle (32,0 %) wurden außer Haus, 365 (27,5 %) in Krankenanstalten festgestellt. Mit einem nur geringen Anteil von 2,9 % (38 Fälle) wurden in Heimen die wenigsten falschen Todesbescheinigungen ausgestellt. Die Untersuchung der drei Fünfjahresphasen zeigte: 1985–1989: häusliches Milieu > Krankenhaus > außer Haus > Heim 1990–1994: häusliches Milieu > außer Haus > Krankenhaus > Heim 2000–2004: häusliches Milieu > außer Haus > Krankenhaus > Heim Im Vergleich dazu zeigte die Verteilung der Sterbeorte im gesamten Untersuchungsgut Folgendes: 1985–1989: häusliches Milieu > Krankenhaus > außer Haus > Heim 1990–1994: Krankenhaus > außer Haus > häusliches Milieu > Heim 2000–2004: außer Haus > Krankenhaus > häusliches Milieu > Heim In den Jahren 1985–1989 betrug die Übereinstimmung der im häuslichen Milieu festgestellten Todesursachen mit dem Obduktionsergebnis noch 83,7 %. In den Jahren 1990–1994

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Zur Reliabilität von Leichenschaudiagnosen

Quote der Übereinstimmung

zeigte sich ein deutlicher Rückgang des Übereinstimmungsgrades. Zwischen 2000–2004 stimmte durchschnittlich nur noch etwa die Hälfte (51,3 %) der angegebenen Todesursachen von Leichenbeschauer und Obduzent überein (Abb. 6).

völlige Übereinstimmungen im „häuslichen Milieu“

Abb. 6: Übereinstimmung von klinischer und autoptischer Todesursache in Abhängigkeit von der Facharztrichtung der Leichenschauärzte im Regierungsbezirk Leipzig in den Jahren 1985–1994 und 2000–2004

Anzahl Sektionen „Ersticken“ (häusl. Milieu)

Übereinstimmung der diagnostizierten Todesursachen Sterbeort „häusliches Milieu“ / Kategorie „Ersticken“

Aufgrund der deutlichen Zunahme nicht korrekt erkannter Todesursachen im häuslichen Milieu wurde dieser Umstand im Folgenden näher untersucht. Ein auffallendes Ergebnis erbrachte hierbei die Todesursachenkategorie „Ersticken“. Im Laufe der untersuchten Jahre kam es zu einer deutlichen Abnahme der im Leipziger Institut untersuchten Todesfälle durch Ersticken (Abb. 7).

Abb. 7: Quote der Übereinstimmung von klinischer und autoptischer Todesursache für den Sterbeort „häusliches Milieu“ und die Sterbekategorie „Ersticken“ im Regierungsbezirk Leipzig in den Jahren 1985–1994 und 2000–2004

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Zwischen 1985–1989 wurden jährlich im Durchschnitt 198,6 Erstickungsfälle obduziert. 2000–2004 waren es im Mittel nur noch elf Fälle pro Jahr. Hier ist zu erwähnen, dass in der ehemaligen DDR fast ausnahmslos alle durch Erhängen verübten Suizide obduziert worden sind. Nach der Wiedervereinigung war nicht nur ein Rückgang der obduzierten Todesfälle, sondern auch eine Abnahme der Übereinstimmungen zwischen klinischen und autoptischen Todesursachen zu verzeichnen. 2004, im letzten Jahr des Untersuchungszeitraumes, wurde der absolute Tiefpunkt mit nur 43,8 % völligen Übereinstimmungen erreicht. Das bedeutet, dass nicht einmal die Hälfte aller Todesbescheinigungen in der Kategorie „Ersticken“ die richtige Todesursache aufwies. Eine Prüfung der Fünfjahresphasen ergab für die Kategorie „Erstickung“: 1985–1989: 1990–1994: 2000–2004:

93,0 % völlige / 0,8 % teilweise / 4,6 % keine Übereinstimmung 65,2 % völlige / 2,9 % teilweise / 19,9 % keine Übereinstimmung 66,9 % völlige / 3,8 % teilweise / 22,0 % keine Übereinstimmung

Eine Abnahme der Übereinstimmungen war auch in der Todesursachenkategorie „stumpfe Gewalt“ zu verzeichnen. Hier ergaben sich nur 39,5 % völlige Übereinstimmungen bei insgesamt 306 untersuchten Fällen im häuslichen Milieu (Abb. 8).

Anzahl Sektionen „stumpfe Gewalt“ (häusl. Milieu)

44,5 % völlige / 15,1 % teilweise / 38,3 % keine Übereinstimmung 39,1 % völlige / 1,8 % teilweise / 50,1 % keine Übereinstimmung 23,0 % völlige / 7,2 % teilweise / 67,9 % keine Übereinstimmung

Übereinstimmung der diagnostizierten Todesursachen Sterbeort „häusliches Milieu“ / Kategorie „stumpfe Gewalt“

1985–1989: 1990–1994: 2000–2004:

Abb. 8: Quote der Übereinstimmung von klinischer und autoptischer Todesursache für den Sterbeort „häusliches Milieu“ und die Traumakategorie „stumpfe Gewalt“ im Regierungsbezirk Leipzig in den Jahren 1985–1994 und 2000–2004

Ein auffallendes Ergebnis brachte auch die Untersuchung der Todesursachenkategorie „Vergiftung“. Auch hier gab es eine starke Abnahme der Fallzahlen. Im Mittel wurden in den Jahren 1985–1989 165,8 Todesfälle aus dem häuslichen Milieu seziert, von 2000–2004 nur noch 19,2 Todesfälle (Abb. 9). Nicht nur die Fallzahlen, sondern auch die Quote der völligen Übereinstimmungen zwischen Leichenschau- und Obduktionsergebnissen nahm ab: 1985–1989: 84,2 % völlige / 3,0 % teilweise / 10,3 % keine Übereinstimmung 1990–1994: 63,2 % völlige / 2,1 % teilweise / 26,6 % keine Übereinstimmung 2000–2004: 46,3 % völlige / 6,1 % teilweise / 43,2 % keine Übereinstimmung

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Anzahl Sektionen „Vergiftung“ (häusl. Milieu)

Übereinstimmung der diagnostizierten Todesursachen Sterbeort „häusliches Milieu“ / Kategorie „Vergiftung“

Zur Reliabilität von Leichenschaudiagnosen

Abb. 9: Quote der Übereinstimmung von klinischer und autoptischer Todesursache für den Sterbeort „häusliches Milieu“ und die Kategorie „Vergiftung“ im Regierungsbezirk Leipzig in den Jahren 1985–1994 und 2000–2004

3.7 Formale Fehler beim Ausfüllen der Todesbescheinigungen • • • • •

fehlende Eintragung der Todesursache, Todesursache wurden an falscher Stelle eingetragen, fehlende Eintragung des Grundleidens, fehlendes Einhalten der richtigen Reihenfolge der Kausalkette, fehlende Signatur des Arztes.

4. Diskussion Ursache für den Rückgang der Obduktionszahlen war die Anpassung der Gesetzgebung der ehemaligen DDR an bundesdeutsches Recht nach der Wiedervereinigung im Jahre 1990. Es kam zur Verteilung der Kompetenzen auf die einzelnen Bundesländer. Mit der Verordnung im § 15 Abs. 1 des „Sächsischen Bestattungsrechts“ vom 08.07.1994 (24) verloren das Leichenschaugesetz der DDR und die sog. Verwaltungssektionen (nicht nur) in Sachsen ihre rechtliche Grundlage. Während die Sektionsfrequenz für rechtsmedizinische Obduktionen im Raum Leipzig in den Jahren 1985–1989 durchschnittlich noch 13,7 % betrug, konnte für die Jahre 2000–2004 nur noch ein Wert von 3,1 % ermittelt werden. Wurden beispielsweise 1989 insgesamt 2.054 Leichenöffnungen vorgenommen, waren es im Jahr 1991 noch 878. Im Jahr 2004 fanden nur noch 375 Obduktionen statt. Während in den Jahren 1985–1989 noch Todesfälle, die man bei der Leichenschau als „natürlicher Tod“ qualifizierte (5,1 %), obduziert wurden, fand sich im Obduktionsgut der Jahre 2000–2004 kein Todesfall mehr, der primär als natürliche Todesart eingestuft worden war. Man kann daher folgern, dass die Todesfälle, bei denen anlässlich der Leichen-

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schau fälschlicherweise eine „natürliche“ Todesart bescheinigt wurde, dann einen Teil der Dunkelziffer der unerkannten nichtnatürlichen Todesfälle ausmachten.

Die ärztliche Leichenschau spielt bekanntlich eine wesentliche Rolle bei der Erkennung von nichtnatürlichen Todesfällen. Die Todesursachenstatistik weist jährlich ca. 35.000 nichtnatürliche Todesfälle für das gesamte Bundesgebiet aus, aber der tatsächliche Anteil wird zu 30–50 % unterschätzt (5, 17). Untersuchungen zur Häufigkeit nichtnatürlicher Todesfälle ergaben einen Anteil von 1,9 % bis 8–9 % (7, 22). Die rechtliche Bedeutung einer fachgerechten Leichenschau liegt somit in der Klassifikation der Todesart, denn hier erfolgt die Weichenstellung für eventuelle weitere Ermittlungen. Unsere Ergebnisse haben gezeigt, dass von 8.593 sezierten nichtnatürlichen Todesfällen in nur 72,0 % eine Übereinstimmung der Todesursachen von Leichenschau und Obduktion vorgelegen hat. Der Anteil an fehlenden Übereinstimmungen nahm von 13,8 % (1985–1989) auf 18,0 % (2000–2004) zu. In der so genannten „Görlitzer Studie“ (21) wurden in einem begrenzten territorialen Gebiet in den Jahren 1986 und 1987 98 % aller Verstorbenen seziert. Diese Studie ergab, dass ca. 38 % der Leichenschaudiagnosen nicht mit der autoptischen Todesursache übereinstimmten. Hinsichtlich der variierenden Übereinstimmungsraten ist natürlich auch das zugrunde liegende Studienkollektiv zu berücksichtigen: In der eigenen Untersuchung handelte es sich um nichtnatürliche Todesfälle, in der Görlitzer Studie vorwiegend um natürliche Todesfälle. M a d e a (2006) kam auf der Basis verschiedener Statistiken zu einer Fehlerquote von 33 bis 100 % und eine Untersuchung von D r e s c h e r (1988) ergab eine vollständige Übereinstimmung der Todesursachen in nur 35,9 % (in 62,8 % der Fälle bestand keine bzw. nur eine teilweise Übereinstimmung). Orientiert man sich an der Görlitzer Studie, wären bei 843.593 Verstorbenen im Jahr 2008 (27) in ca. 320.565 Fällen falsche Todesursachen bei der Leichenschau bescheinigt worden. Die vielfach kritisierte, auf den Leichenschaudiagnosen beruhende Todesursachenstatistik, die das Fundament der staatlichen Gesundheitspolitik bildet, entbehrt somit einer tragfähigen Grundlage (31).

Es hat sich gezeigt, dass die meisten Probleme bei der Bestimmung der Todesursache in der Kategorie „Hitze/Kälte/Strahlung“ aufgetreten sind. In dieser Gruppe war 1/3 der bei der Leichenschau diagnostizierten Todesursachen falsch. Dazu gehörten zahlreiche Todesfälle durch Unterkühlung. Die Diagnose „Tod durch Unterkühlung“ erschließt sich oftmals erst bei der Obduktion. Weiterhin konnte bei unserer Untersuchung ermittelt werden, dass in allen drei Zeiträumen die meisten falschen Todesursachen im häuslichen Umfeld der Verstorbenen bescheinigt worden sind. Außerdem nahm die Anzahl der Übereinstimmungen über die Jahre deutlich ab, wobei die Fallzahl der Obduktionen von zu Hause Verstorbenen ebenfalls rückläufig war. Während in den Jahren 1985–1989 noch 83,7 % der Todesursachen übereinstimmten, waren es in den Jahren 2000–2004 nur noch 51,3 %. Besonders bei den Todesfällen durch Ersticken,

Zur Reliabilität von Leichenschaudiagnosen

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stumpfe Gewalt und Vergiftung kam es zu einer gravierenden Abnahme der Übereinstimmungsrate. Bedenklich ist hierbei, dass die meisten Tötungsdelikte im häuslichen Milieu verübt werden (16) und es sich dabei häufig um Beziehungstaten im Familienkreis handelt. Somit ist das Risiko, dass bei Tötungen im häuslichen Bereich ein natürlicher Tod inszeniert wird, hoch (13). Die Problematik wird aber auch durch die bekannt gewordenen Serientötungen von alten bzw. kranken Menschen in Krankenhäusern, Pflege- und Altersheimen verdeutlicht (1, 9), da z. B. eine Tötung durch Ersticken mit weicher Bedeckung oder z. B. auch eine Vergiftung äußerst spurenarm verlaufen kann.

Eine Untersuchung am Rechtsmedizinischen Institut in Halle hat ergeben, dass zwischen 1981 und 1990 immerhin 19 Tötungsdelikte durch Verwaltungssektionen aufgedeckt worden sind. Dies entspricht 8,7 % der in dieser Zeit dort obduzierten Tötungsdelikte (23). Die eigenen Ergebnisse haben gezeigt, dass in den Jahren 1985–1992 in Leipzig neun Tötungsdelikte durch Verwaltungssektionen und ein Tötungsdelikt im Rahmen einer wissenschaftlichen/klinischen Sektion entdeckt wurden (3,6 % aller Tötungsdelikte im Untersuchungszeitraum). Es ist also zu vermuten, dass heute ein mindestens ähnlich hoher Prozentsatz an Tötungsdelikten einer Obduktion und damit einer Entdeckung entgeht. Dies ist im Zusammenhang mit der Zunahme der Ausstellung von fehlerhaften Todesbescheinigungen äußerst bedenklich. Seit Jahrzehnten wird die Qualität der ärztlichen Leichenschau kritisiert. Aufgrund mangelhafter Sorgfalt bei der Durchführung, fehlender Routine, Selbstüberschätzung, mangelnder Erfahrung sowie falsch verstandener Rücksichtnahme auf Angehörige werden viele Ärzte der hohen Verantwortung, die sie tragen, nicht gerecht (2, 3, 4, 5, 12, 15, 17, 19, 23, 28, 30). Auch unsere Untersuchung hat gezeigt, dass viele Todesbescheinigungen formale Fehler aufwiesen, ein Umstand, von dem auch andere Autoren berichten (25, 32). Falsche Angaben haben in entsprechend gelagerten Fällen unmittelbare Bedeutung für rechtliche Aufmerksamkeit und Entscheidungen (18). Vom Unterlassen einer vollständigen Entkleidung des Leichnams berichten verschiedene Autoren (6, 19, 29, 30). Dies stellt eine maßgebliche Ursache für Fehler bei der Leichenschau dar (19). Ein Beispiel dafür fand sich bei den eigenen Untersuchungen: Der Hausarzt eines 83-jährigen Mannes bescheinigte seinem Patienten einen natürlichen Tod. Die Angehörigen hatten ihn ordentlich eingekleidet und den Unterkiefer hochgebunden. Da der Arzt den Verstorbenen nicht ordnungsgemäß auszog, übersah er den (suizidalen) Kopfschuss.

Eine Durchsetzung der Forderung nach speziellen Leichenschauärzten (6, 26), wie sie in anderen Ländern üblich sind, oder die Einführung eines Coroner-Systems wäre mit einem hohen finanziellen und personellen Aufwand verbunden und erscheint auch aus legislativen Gründen kurzfristig nicht realisierbar. Weder großen zeitlichen noch finanziellen Aufwand würde es jedoch erfordern, bereits vorhandenes Potential zu nutzen und zu verbessern, z. B. durch kontinuierliche Fortbildung der Ärzte und eine höhere Sektionsquote bei medizi-

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nisch unklarer Todesursache. Dass derzeit jeder Arzt verpflichtet ist, eine Leichenschau durchzuführen, ohne dass er dafür eine besondere Qualifikation nachzuweisen hat oder die Qualität der Leichenschau kontrolliert wird, stellt nach V e n n e m a n n et al. (2001) eine der Ursachen für die unzureichende Erfassung von nichtnatürlichen Sterbefällen dar. Die Ergebnisse unserer Untersuchung zeigen auf, dass die Anästhesisten (74,7 %), Allgemeinmediziner (73,4 %) und Chirurgen (70,3 %) hohe Übereinstimmungsraten bei der Feststellung der Todesursache aufwiesen. Dies betrifft in der vorliegenden Untersuchung allerdings ausschließlich die nichtnatürlichen Todesfälle. Es ist davon auszugehen, dass Ärztegruppen, die einen routinierten Umgang mit vielfältigen Erkrankungen und lebensrettenden Maßnahmen haben, sowie solche Ärzte, die aufgrund ihres Tätigkeitsfeldes häufig mit Todesfällen konfrontiert sind, routinierter und sicherer die Todesursache erkennen können. Die Frage, ob die Leichenschau nur von Ärzten einer bestimmten Fachrichtung (Pathologen, Rechtsmediziner, Anästhesisten, Unfallchirurgen) durchgeführt werden sollte, ist nicht neu (11).

5. Fazit Unsere retrospektiven Untersuchungen zur Zuverlässigkeit von Leichenschaudiagnosen bei nichtnatürlichen Todesfällen ergaben: • Die Anzahl der Obduktionen nahm auch bei nichtnatürlichen Todesfällen nach der Wiedervereinigung deutlich ab. • Es wurden nach der „Wende“ keine primär als natürlich klassifizierten Todesfälle mehr obduziert; gerade in dieser Gruppe findet sich bekanntlich das größte Dunkelfeld unerkannter nichtnatürlicher Todesfälle. • Die Rate der Übereinstimmungen zwischen den bei der Leichenschau und der anschließenden Obduktion festgestellten Todesursachen hat seit der Wiedervereinigung abgenommen. • Unter den Rechtsvoraussetzungen der DDR wurden 9 Tötungsdelikte durch Verwaltungssektionen und 1 Tötungsdelikt durch eine klinische Sektion aufgedeckt. Nach Anpassung der Rechtslage in den neuen Bundesländern sind derartige Zufallsentdeckungen deutlich erschwert. • Bei nichtnatürlichen Todesfällen stimmte die Leichenschau-Diagnose der Anästhesisten gut mit der autoptisch festgestellten Todesursache überein, bei Orthopäden war dies weniger häufig der Fall. • Fehlende Übereinstimmungen zeigten sich vor allem im häuslichen Milieu. Bedenklich ist hierbei, dass gerade bei Verstorbenen aus diesem Bereich die Sektionsquote abgenommen hat. • Auch bei nichtnatürlichen Todesfällen variiert die Übereinstimmung von Leichenschau- und Obduktionsdiagnosen in Abhängigkeit von den Todesursachen. Bei Vergiftungen, thermischer Einwirkung und selbst bei stumpfer Gewalt zeigt sich in mehr als 20 % der Fälle keine Übereinstimmung.

Zur Reliabilität von Leichenschaudiagnosen

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Unsere retrospektive Analyse weist eindrücklich darauf hin, dass bei unklarem Leichenschauergebnis nur eine Obduktion eine objektive Grundlage für die Feststellung der Todesursache, für die Qualifikation der Todesart und für darauf basierende juristische Entscheidungen liefert. Zusammenfassung In Deutschland werden die mangelhafte Qualität der Leichenschau und die niedrige Sektionsfrequenz mit einer Gesamtsektionsrate von nur ca. 5 % häufig kritisiert. Anhand der Untersuchung von 8.593 Sektionsunterlagen von nichtnatürlichen Todesfällen (1985 bis 1989 – Praxis der ehemaligen DDR, 1990 bis 1994 – Zeit der politischen Wende und 2000 bis 2004 – Praxis der BRD) aus dem Institut für Rechtsmedizin Leipzig konnten Phasen unterschiedlicher Sektionstätigkeit miteinander verglichen werden. Neben einem drastischen Rückgang der Sektionszahlen durch das Ausbleiben der sog. Verwaltungssektionen fand sich in 72 % eine völlige, in 9,2 % eine teilweise und in 15,4 % keine Übereinstimmung von klinischer und autoptischer Todesursache. Die fehlenden Übereinstimmungen nahmen von 13,8 % (1985–1989) auf 18,0 % (2000–2004) zu. Besonders alarmierend war die geringe Übereinstimmung der Todesursachen bei Sterbefällen im häuslichen Umfeld. Es ließen sich Qualitätsunterschiede bei der Bestimmung der Todesursache zwischen verschiedenen Facharztgruppen feststellen. Schlüsselwörter: Leichenschau – Sektionsrate – Todesart – Todesursachen Reliability of the diagnoses of external post-mortem examinations in non-natural deaths before and after the German reunification Summary In Germany, the unsatisfactory quality of external post-mortem examinations and the low autopsy rate of only 5 % of all deaths are often criticized. Based on the autopsy protocols of 8,593 cases of non-natural death of the Leipzig Institute of Legal Medicine (1985 to 1989 – practice in the former German Democratic Republic; 1990 to 1994 – time around the fall of the Berlin wall, and 2000 to 2004 – practice in the Federal Republic of Germany) the diagnosis indicated in the death certificate was compared with that of the autopsy report. Beside a drastic decrease in the number of autopsies performed, it was found that in 72 % of the cases the clinical and the autoptical cause of death corresponded completely, whereas in 9.2 % there was only partial and in 15.4 % no correspondence at all. The lack of correspondence increased from 13.8 % (1985–1989) to 18.0 % (2000–2004). The low rate of correspondence in the causes of domestic deaths was particularly alarming. There were obvious differences in quality among different groups of specialists in determining the cause of death. Keywords: External post-mortem examination – Autopsy rate – Manner of death – Cause of death Literatur [1] B e i n e , K. H.: Sehen, Hören, Schweigen: Patiententötungen und aktive Sterbehilfe. Lambertus Verlag (Freiburg), 1998 [2] B e r n d t , J., Z s c h o c h , H.: Vermeidbare Fehler bei der Ausfüllung der Totenscheine. Z. Ärztl. Fortbild. 66: 424-427 (1972) [3] B r i n k m a n n , B., B a n a s c h a k , S., B r a t z k e , H. et al.: Fehlleistungen bei der Leichenschau in der Bundesrepublik Deutschland. Ergebnisse einer multizentrischen Studie. Arch. Kriminol. 199: 1-12, 65-75 (1997)

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Zur Reliabilität von Leichenschaudiagnosen

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Archiv für Kriminologie 225: 18-27 (2010)

Aus dem Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover1 (Direktor: Prof. Dr. med. H. D. Tröger), dem Institut für Rechtsmedizin der Universität Bern2 (Direktor: Prof. Dr. med. M. J. Thali) und dem Institut für Pathologie des Nordstadtkrankenhauses Hannover3 (Direktor: Prof. Dr. med. H. Ostertag)

Analyse der Untersuchungsergebnisse bei sexuellem Kindesmissbrauch Von

Dr. med. Stefanie Jänisch , Hildrun Meyer1, Dr. med. Tanja Germerott2, Dr. med. Yvonne Schulz1, Dr. med. Urs-Vito Albrecht1, Anke Schmidt3 und Priv.-Doz. Dr. med. Anette Solveig Debertin1 1

(Mit 2 Abbildungen und 3 Tabellen)

1. Einleitung Nach aktuellen Studien liegt die Häufigkeit von sexuellem Kindesmissbrauch im Prozentbereich; laut Literatur soll sogar jedes 10. Kind betroffen sein [8, 9]. Die Begutachtung von Kindern und Jugendlichen nach sexuellem Missbrauch erfordert eine qualifizierte Untersuchung, die an einigen rechtsmedizinischen Instituten zunehmende Bedeutung hat. Die Aufgaben der Rechtsmedizin umfassen eine gerichtsverwertbare Dokumentation der erhobenen Befunde, eine forensisch verwertbare Spurensicherung sowie die abschließende Interpretation der Verletzungen unter Einbeziehung der beschriebenen Vorgeschichte. Dabei beweist die körperliche Untersuchung nur selten einen stattgefundenen sexuellen Missbrauch und das Fehlen von diagnostischen Befunden schließt einen Missbrauch keinesfalls aus. Entgegen der Auffassung einiger Untersucher, die eine Inspektion der Anogenitalregion als mögliche Retraumatisierung und wegen häufig fehlender Befunde als unnötig ansehen, wird einer einfühlsamen und qualifizierten Untersuchung sogar ein primär therapeutischer Effekt zugeschrieben. So akzeptieren die meisten Kinder die klinisch-forensische Untersuchung auch ohne Probleme, wenn sie von einem erfahrenen Untersucher durchgeführt wird [14, 16, 22]. Gründe für die Abwesenhheit diagnostischer Befunde können einerseits in der Art und der Intensität des Missbrauches (ohne gewaltsamen

Untersuchungsergebnisse bei sexuellem Kindesmissbrauch

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Körperkontakt) liegen [6, 14, 18]. Darüber hinaus vertrauen sich viele Opfer nicht unmittelbar nach dem Vorfall jemandem an, sondern mit zeitlicher Verzögerung [18]. Oft wird somit erst spät eine Anzeige bei der Polizei erstattet, so dass die klinisch-forensischen Untersuchungen mitunter erst Monate, gegebenenfalls sogar Jahre nach dem Missbrauch durchgeführt werden. Verletzungen können dann bereits verheilt oder durch hormonellen Wandel und Weiterentwicklung verschleiert sein. Meistens ist der Beschuldigte den Kindern bekannt [11]. Ziel dieser Studie war es, die von den Kindern berichtete Vorgeschichte, die Täter-Opfer-Beziehung, den Vorstellungszeitpunkt, den Auftraggeber der klinisch-forensischen Untersuchung sowie die erhobenen Befunde, die bei der Untersuchung von Kindern und Jugendlichen mit dem Verdacht auf sexuellen Missbrauch gefunden werden konnten, auszuwerten und im Hinblick auf Optimierungsmöglichkeiten zu analysieren. 2. Material und Methoden Die in den Jahren 2005 bis 2007 vom Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover durchgeführten klinisch-forensischen Untersuchungen bei Verdacht auf sexuellen Kindesmissbrauch wurden retrospektiv analysiert. Die Befunderhebung umfasste eine Ganzkörperuntersuchung unter Einbeziehung der Anogenitalregion in der so genannten „Froschposition“ des Kindes, d. h. mit in den Knien angewinkelten Beinen. Zur diagnostischen Absicherung wurden Mädchen in der hormonellen Ruhephase ergänzend auch in der Knie-Ellenbogenlage untersucht. Bei Jugendlichen wurde die Anogenitalregion auf einem gynäkologischen Stuhl inspiziert. Jungen wurden in Seitenlage untersucht. Die Interpretation erfolgte in Anlehnung an das modifizierte Adams-Klassifikationsschema [13]. Bei entsprechender Vorgeschichte und Auftragserteilung wurden Abstrichtupfer entnommen und auf Objektträgern ausgestrichen. Nach Anfärbung mit der Methode von STIASNY konnten die Proben mikroskopisch auf Spermien untersucht werden. Ausgewertet wurden die Befunde bei Kindern (bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres) sowie bei Jugendlichen (bis zum 18. Lebensjahr), sofern sich der Vorfall vor Vollendung des 14. Lebensjahres ereignet hat.

3. Ergebnisse 3.1 Zusammensetzung des Untersuchungsgutes In den Jahren 2005 bis 2007 wurden insgesamt 91 Kinder (74 Mädchen, 17 Jungen) mit einem mittleren Alter von 8,7 Jahren (Bereich von einem Jahr bis 18 Jahren) im Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover mit Verdacht auf einen sexuellen Missbrauch untersucht.

3.2 Initiator der Vorstellung In 19 Fällen (20,9 %) entstand der Verdacht auf einen sexuellen Missbrauch, da sich die betroffenen Kinder entweder Familienmitgliedern oder Bekannten anvertraut hatten. Bei 24 Kindern (26,4 %) bemerkten Familienmitglieder ein auffälliges Verhalten oder Verletzungen. In 10 Fällen (11 %) ging die Initiative von einer Institution (Jugendamt, Kindergarten, Schule, Polizei) aus. Letztlich fanden 80 (87,9 %) der klinisch-forensischen Untersuchungen im Auftrag der Polizei statt (Abb. 1).

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JÄNISCH ET AL.

Abb. 1: Auftraggeber

3.3 Vorgeschichte Von 18 Mädchen wurde eine vaginale penile Penetration und von zweien eine versuchte Penetration berichtet. In sechs Fällen war aufgrund der Vorgeschichte unklar, ob es zu einem Eindringen gekommen war. Von 10 Kindern wurde zusätzlich ein (teils fraglicher) ungeschützter Samenerguss angegeben. 14 Geschädigte beschrieben eine anale Penetration durch den Penis oder einen Gegenstand. In sieben Fällen bestand der Verdacht auf ein peniles oder mittels Gegenstand verübtes anales Eindringen. Dabei wurde von zwei Kindern ein teils fraglicher Samenerguss berichtet. Bei drei Kindern habe es sich um ein orales Einführen des Penis gehandelt, wobei in allen drei Fällen unklar war, ob ein Samenerguss stattgefunden hatte. Eine digitale vaginale Manipulation wurde in 14 Fällen beschrieben und in dreien vermutet. Sieben Kinder gaben eine digitale Berührung bzw. ein Eindringen im Bereich des Anus an und bei einem wurde eine derartige Vorgehensweise vermutet. In sieben Fällen wurde ein sexueller Missbrauch in Form von Küssen oder Berührungen berichtet. Bei 27 Kindern war die Art des sexuellen Missbrauchs zum Untersuchungszeitpunkt unklar (Tab. 1). In 30 Fällen handelte es sich um Wiederholungsdelikte.

Missbrauchsformen

Fälle

Penil-vaginal

26

Digital-vaginal

17

Penil-anal

19

Digital-anal

8

Gegenstand-anal

2

Fellatio

3

Berührung / Küsse Unbekannt Summe

7 27 109

Tab. 1: Missbrauchsformen (Mehrfachnennung möglich)

Untersuchungsergebnisse bei sexuellem Kindesmissbrauch

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3.4 Täter-Opfer-Beziehung Bei 42 Geschädigten (46,1 %) kam der Tatverdächtige aus dem familiären Umkreis des Opfers und bei 25 Kindern (27,5 %) handelte es sich um einen näheren Bekannten. Nur in vier Fällen (4,4 %) wurde ein Fremder der Tat beschuldigt (Abb. 2).

Abb. 2: Täter-Opfer-Beziehung

3.5 Zeitspanne bis zur Vorstellung 28 Geschädigte (30,8 %) kamen innerhalb von 24 Stunden zur Untersuchung. Insgesamt konnten 37 (40,7 %) der klinisch-forensischen Untersuchungen innerhalb von 72 Stunden nach dem Vorfall durchgeführt werden. Sieben Opfer (7,7 %) wurden erst nach mehr als einem Jahr zur Begutachtung vorstellig.

3.6 Untersuchungsergebnisse Extragenitale Verletzungen waren bei 11 Geschädigten (12,1 %) vorhanden. Am häufigsten fanden sich Hämatome, oberflächliche Hautläsionen und Erytheme an den Oberschenkeln der Geschädigten. Sechs Opfer, bei denen körperliche Verletzungsbefunde erhoben werden konnten, sind innerhalb von 24 Stunden nach dem Missbrauch untersucht worden. Ab einer Zeitspanne von vier Tagen nach dem Vorfall konnte in keinem einzigen Fall ein extragenitaler Verletzungsbefund erhoben werden. Bei 89 (97,8 %) der 91 begutachteten Kinder wurde die Anogenitalregion während der klinisch-forensischen Untersuchung inspiziert. In zwei Fällen wurde die Genitaluntersuchung von den Kindern abgelehnt. Bei 24 Opfern (27 %) fanden sich anogenitale Läsionen, wobei für einen sexuellen Missbrauch diagnostische Verletzungen bei acht Geschädigten (9 %) vorlagen (Tab. 2 u. 3). Dabei konnten frische Einrisse und Deflorationsverletzungen nur bei solchen Kindern festgestellt werden, die innerhalb von 24 Stunden körperlich untersucht worden sind.

3.7 Spurenasservierung und forensischer Beweis Der Auftrag zur Überprüfung auf das Vorhandensein von Spermien wurde bei 17 vaginalen, vier analen und zwei oralen Abstrichen sowie einem Hautabstrich vom Oberschenkel erteilt. Bei drei Mädchen (17,6 %) konnten vaginal Spermien nachgewiesen werden, wobei die Geschädigten 41/2, 16 bzw. 21 Stunden nach dem Vorfall untersucht worden sind. Bei einem 13-jährigen Mädchen zeigten sich zusätzlich diagnostische Lokalbefunde. Die beiden anderen (11 und 13 Jahre alten) Mädchen wiesen lediglich Schleimhautrötungen, teilweise mit oberflächlichen Schleimhautläsionen, aber ohne begleitende Hymenalverletzungen auf.

22

JÄNISCH ET AL. Tab. 2: Genitalbefund Genitalbefund Unauffällig

Anzahl 68

Erythem

8

Oberflächliche Schleimhautläsion

3

Kerbe unvollständig bzw. außerhalb posteriorer Hälfte

3

Diagnostisch bei sexuellem Missbrauch Hymenales Hämatom

1

Einriss hintere Kommissur

1

Hämatom große Schamlippe und Einriss von hinterer Kommissur zur Schamlippe

1

Geheilte Durchtrennung des Hymens in posteriorer Hälfte

1

Fehlender Hymenalsaum in posteriorer Hälfte

1

Defloration / kompletter Einriss in posteriorer Hälfte Summe

2 89

Tab. 3: Afterbefund Afterbefund

Anzahl

Unauffällig

83

Oberflächliche Schleimhautläsion

2

Riss

1

Erythem

1

Narbe in Mittellinie

1

Diagnostisch bei sexuellem Missbrauch Narbe außerhalb Mittellinie Summe

1 89

Die vier analen Abstriche wurden innerhalb von sechs Stunden (n = 2) und je einmal innerhalb von 24 bzw. 36 Stunden nach der Tat entnommen. Die oralen Abstriche konnten 6 bzw. 12 Stunden nach dem Vorfall angefertigt werden. Der Abstrich von der Haut wurde 2,5 Stunden nach dem Missbrauch abgenommen. Bei keinem dieser Abstriche gelang der Nachweis von Spermien. Insgesamt konnten bei 10 Kindern (11,2 %) diagnostische Befunde (Anogenitalverletzungen und/oder Spermanachweis) erhoben werden.

4. Diskussion Bei der Interpretation anogenitaler Befunde müssen zahlreiche differentialdiagnostische Aspekte berücksichtigt werden. Die Erwartungshaltung bzw. die Forderung nach beweisenden Befunden bei sexuellem Missbrauch ist hoch, obwohl die aktuelle Literatur verstärkt auf die Möglichkeit von „Normalbefunden“ selbst nach vaginaler Penetration und sogar bei bestehender Schwangerschaft hinweist [1, 3, 12, 15, 19].

Untersuchungsergebnisse bei sexuellem Kindesmissbrauch

23

In der vorliegenden Studie fanden sich in 27 % der Fälle anogenitale Läsionen, wobei sich für einen sexuellen Missbrauch charakteristische Verletzungen in 9 % zeigten. Als diagnostische Befunde bei sexuellem Missbrauch wurden in Anlehnung an das modifizierte Adams-Klassifikationsschema gewertet: eine akute Lazeration oder Einblutungen der Labien, des Penis und des Skrotums, ein akuter Einriss der „Posterior Fourchette“, eine akute Lazeration, Einblutungen oder Petechien des Hymens, Hymenaldurchtrennungen im Sinne von vollständigen Kerben oder Konkavitäten in der posterioren Hälfte (ohne dort verbleibendes Hymenalgewebe), ein in Knie-Ellenbogen-Lage bestätigtes Fehlen des posterioren Hymens sowie perianale Einrisse bis zum externen Analsphinkter, perianale Narben und Narben der „Posterior Fourchette“ oder der Fossa navicularis [13, 14]. Bei den von uns untersuchten Kindern zeigte sich in zwei Fällen eine Deflorationsverletzung des Hymens, jeweils einmal ein fehlender Hymenalsaum in der posterioren Hälfte, eine geheilte Durchtrennung des Hymens in der posterioren Hälfte, ein Hämatom der großen Schamlippe und ein Einriss von der hinteren Kommissur zur Schamlippe, ein Einriss der hinteren Kommissur, ein hymenales Hämatom und eine perianale Narbe außerhalb der Mittellinie (Tab. 2 u. 3). In der aktuellen Literatur findet sich eine deutlich rückläufige Tendenz der sicher missbrauchsbeweisenden Läsionen mit einer Häufigkeit von nur 4 % bei H e g e r et al. und einem diagnostischen Befund unter 34 Untersuchungen bei L a u r i t s e n et al. [1, 3, 6, 12, 16]. Auch K e l l o g g et al. konnten bei 36 schwangeren adoleszenten Mädchen nur bei zwei Fällen ein penetrierendes Trauma erheben [15]. Dabei ist zu berücksichtigen, dass mit Einsetzen der Pubertät eine Hormonbeeinflussung des Hymens beginnt, welche für eine vermehrte Dehnungsfähigkeit und geringere Verletzungsanfälligkeit verantwortlich ist [4, 8, 20]. Auch in der vorliegenden Auswertung konnten bei zwei der drei Mädchen mit vaginalem Spermanachweis keine anogenitalen Verletzungen gefunden werden, wobei sich beide Mädchen zum Zeitpunkt der Untersuchung in der Pubertät befanden und somit ein entsprechend dehnungsfähiger bzw. wenig verletzungsanfälliger Hymenalsaum postuliert werden kann. Der Nachweis von Spermien, einer Schwangerschaft, einer HIV-Infektion, einer Gonorrhoe oder Syphilis (bei Ausschluss einer perinatalen Übertragung) ist ebenfalls diagnostisch für einen sexuellen Missbrauch. Vorliegend konnten bei drei Mädchen (17,6 %) vaginal Spermien nachgewiesen werden, wobei die Geschädigten 41/2, 16 bzw. 21 Stunden nach dem Vorfall untersucht worden sind. Die bei Erwachsenen geltende 72-Stunden-Grenze der Nachweisbarkeit von Spermien scheint bei Kindern nicht uneingeschränkt gültig zu sein. C h r i s t i a n et al. haben bei Untersuchungen von präpubertalen Opfern sexueller Gewalt in keinem einzigen Fall neun Stunden nach dem Vorfall noch Spermien nachweisen können [6]. Im Unterschied dazu waren in unserer

24

JÄNISCH ET AL.

Studie Spermien bis zu 21 Stunden feststellbar, so dass eine Abstrichentnahme zur Untersuchung auf Spermien bis zu 24 Stunden und ggf. noch darüber hinaus zu postulieren ist. Extragenitale Verletzungen waren in dieser Studie bei 12,1 % der Geschädigten vorhanden, wobei 54,5 % der Opfer, bei denen körperliche Befunde erhoben werden konnten, innerhalb von 24 Stunden nach dem Missbrauch untersucht worden sind. Insgesamt wurden 30,8 % der Kinder und Jugendlichen innerhalb von 24 Stunden und 40,7 % innerhalb von 72 Stunden begutachtet. Frische Einrisse und Deflorationsverletzungen konnten nur bei Kindern festgestellt werden, die innerhalb von 24 Stunden vorstellig geworden sind. Auch C h r i s t i a n et al. konnten über 90 % der Kinder, bei denen diagnostische Befunde erhoben werden konnten, innerhalb von 24 Stunden untersuchen [6]. Bei W h i t e u. M c L e a n wurden in beinahe 50 % der begutachteten Adoleszenten keine extragenitalen Läsionen gefunden [23]. In anderen Studien zeigte sich, dass nur 10 % beziehungsweise 26,4 % der Kinder innerhalb von 72 Stunden untersucht werden konnten [1, 11]. Insgesamt wird in der Literatur eine rasche klinisch-forensische Begutachtung, möglichst innerhalb von 72 Stunden, empfohlen [2, 6, 16]. In der gegenständlichen Studie waren die Beschuldigten, übereinstimmend mit der aktuellen Literatur, in 73,6 % den Opfern näher bekannt bzw. mit den Kindern verwandt (Abb. 2) [8, 11, 16, 23]. In 33 % der Fälle handelte es sich um Wiederholungsdelikte. Auch bei L a u r i t s e n et al. wurden 40 % der Kinder mehr als 11/2 Jahre missbraucht [16]. Da sexuell missbrauchte Kinder somit selten akut vorgestellt werden, muss immer berücksichtigt werden, dass evtl. vorhanden gewesene anogenitale Verletzungen bereits abgeheilt sein können. So ist bekannt, dass oberflächliche Schleimhautverletzungen und sogar tiefreichende Hymenaleinrisse mitunter komplett und folgenlos verheilen [5, 14, 18]. Anamnestisch wurde von 26 Kindern unseres Untersuchungsgutes ein penil-vaginaler Kontakt angegeben, 17-mal ein digital-vaginaler, 19-mal ein penil-analer, achtmal ein digital-analer und zweimal ein Objekt-analer. Dreimal wurde eine Fellatio und zweimal eine Berührung bzw. ein Küssen beschrieben. In 27 Fällen war die Art des sexuellen Missbrauchs zum Untersuchungszeitpunkt unklar (Tab. 1). Auch in der Literatur wurden vermehrt digital-genitale Kontakte beschrieben, wobei zu berücksichtigen ist, dass bei diesen Formen des Missbrauchs Verletzungen nicht zwingend zu erwarten sind [6, 17]. Auch andere Formen von sexuellem Missbrauch wie Berührungen, oraler Missbrauch, Masturbation oder das Anfertigen pornographischer Aufnahmen erfolgen ohne gewaltsamen körperlichen Kontakt und hinterlassen daher keine Verletzungen [14]. 87,9 % der klinisch-forensischen Untersuchungen fanden im Auftrag der Polizei statt (Abb. 1). Da die Beschuldigten den Kindern meis-

Untersuchungsergebnisse bei sexuellem Kindesmissbrauch

25

tens bekannt sind, wird oft erst spät eine Anzeige bei der Polizei erstattet, so dass die klinisch-forensische Untersuchung manchmal erst Monate oder Jahre nach dem Missbrauch durchgeführt werden kann und Verletzungen bereits verheilt sein können. Wichtig ist jedoch eine rasche Vorstellung und frühzeitige klinisch-forensische Begutachtung, da die Mehrzahl der diagnostischen Befunde bei jenen Kindern erhoben worden sind, die innerhalb von 24 Stunden untersucht werden konnten. Eine Möglichkeit zur Verkürzung des Zeitraumes bis zur Vorstellung könnte darin bestehen, den Kindern und ihren Angehörigen eine forensische Untersuchung ohne vorherige Einschaltung der Polizei anzubieten. Eine solche niederschwellige Begutachtung findet bereits in rechtsmedizinischen Opferambulanzen oder auch in Form von Konsiliaruntersuchungen für andere Fachdisziplinen statt. Der Bedarf an forensisch tätigen ambulanten Ärzten wächst, ist jedoch an eine regionale Infrastruktur gebunden. Zusammengefasst erfordert die rechtsmedizinische Begutachtung nach sexuellem Missbrauch zwingend eine qualifizierte Untersuchung. Eine abschließende Bewertung darf nur in Kombination der Befunde, der Angaben des Kindes und der Ermittlungsergebnisse der Polizei erfolgen. Das Fehlen von forensisch aussagekräftigen Befunden kann die Diagnose eines sexuellen Missbrauches weder bestätigen noch widerlegen. Dabei müssen Fehlinterpretationen vermieden und Differentialdiagnosen wie akzidentelle Traumata oder krankheitsbedingte Befunde ausgeschlossen werden [7, 10, 21]. Da zeitliche Verzögerungen bei der Vorstellung zur Untersuchung häufig vorkommen, sind gründliche Kenntnisse des Heilungsverlaufes und der hormonellen Entwicklung für die Gutachtenerstellung und Befundinterpretation von großer Bedeutung. Grundsätzlich sollte eine möglichst frühzeitige Vorstellung des Kindes angestrebt werden. Zusammenfassung Die klinisch-forensische Untersuchung von Kindern bei Verdacht auf einen sexuellen Missbrauch gehört zunehmend zum Tätigkeitsbereich rechtsmedizinischer Institute. Die in den Jahren 2005 bis 2007 im Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover erhobenen Befunde wurden retrospektiv ausgewertet. Insgesamt wurden 91 Kinder (74 Mädchen, 17 Jungen) mit einem durchschnittlichen Alter von 8,7 Jahren begutachtet. 87,9 % der klinisch-forensischen Untersuchungen fanden im Auftrag der Polizei statt. In 73,6 % war der Beschuldigte dem Opfer näher bekannt bzw. mit dem Kind verwandt. 40,7 % der Kinder kamen innerhalb von 72 Stunden nach dem Vorfall zur Begutachtung. Extragenitale Verletzungen waren bei 12,1 % der Geschädigten vorhanden und in 27 % der Fälle bestand ein auffälliger anogenitaler Befund, wobei für einen sexuellen Missbrauch charakteristische Anogenitalverletzungen in 9 % vorlagen. Bei 18 Untersuchungen (20,2 %) wurden Abstriche entnommen und anschließend auf das Vorhandensein von Spermien überprüft. In drei von 17 Vaginalabstrichen ließ sich bis zu 21 Stunden nach dem Vorfall Sperma nachweisen. In keinem der vier Anal- und zwei Oralabstriche gelang ein Spermanachweis, ebenso nicht in einem Abstrich von der Haut des Oberschenkels. Zusammengefasst zeigt die Auswertung, dass insbesondere eine frühzeitige forensischklinische Untersuchung vorhandene Befunde sichern kann, die im Ermittlungs- und Gerichtsverfahren von weitreichender Bedeutung sind. Häufig kann der Verdacht auf einen

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JÄNISCH ET AL.

sexuellen Kindesmissbrauch durch medizinische Befunde allein nicht bewiesen werden. Der fehlende Nachweis anogenitaler Verletzungen schließt einen sexuellen Missbrauch naturgemäß nicht aus. Schlüsselwörter: Sexueller Kindesmissbrauch – Klinisch-forensische Untersuchung – Anogenitalbefunde Analysis of clinical forensic examination reports on sexually abused children Summary Clinical forensic examinations of children suspected of having been sexually abused are increasingly part of the routine of medicolegal institutes. The findings collected from 2005 until 2007 at the Institute of Legal Medicine of the Hanover Medical School were analysed retrospectively. Altogether, 91 children (74 females, 17 males, mean age 8.7 years) were examined. In 87.9 % of the cases, the examination had been ordered by the police. In 73.6 %, the victim knew the suspected perpetrator well or he was a family member. 40.7 % of the children were seen within 72 hours after the alleged abuse. 12.1 % of the children had extragenital lesions. In 27 % of the victims, marked anogenital injuries were found, which were characteristic of sexual abuse in 9 %. In 18 cases (20.2 %), swabs were taken for spermatozoa detection. 3 of 17 vaginal smears showed positive test results for sperm up to 21 hours after the incident. No spermatozoa could be detected in 4 anal and 2 oral swabs as well as in one swab taken from the skin of the victim’s thigh. In summary, the evaluation shows that early clinical forensic examination of children suspected of having been sexually abused is crucial to document evidence that is highly significant for the investigation and court proceedings. Often suspected sexual child abuse cannot be proved by medical findings alone. Of course, the absence of anogenital injuries does nor rule out sexual abuse. Keywords: Sexual child abuse – Clinical forensic examination – Anogenital findings Literatur 1. A d a m s , J. A., H a r p e r , K., K n u d s o n , S., R e v i l l a , J.: Examination findings in legally confirmed child sexual abuse: it`s normal to be normal. Pediatrics 94: 310-317 (1994) 2. B a n a s c h a k , S., B r i n k m a n n , B.: The role of clinical forensic medicine in cases of sexual child abuse. Forensic Sci. Int. 99: 85-91 (1999) 3. B e r e n s o n , A. B., C h a c k o , M. R., W i e m a n n , C. M., M i s h a w , C. O., F r i e d r i c h , W. N., G r a d y , J. J.: A case-control study of anatomic changes resulting from sexual abuse. Am. J. Obstet. Gynecol. 182: 820-824 (2000) 4. B e r e n s o n , A. B., H e g e r , A. H., H a y e s , J. M., B a i l e y , R. K., E m a n s , S. J.: Appearance of the hymen in prepubertal girls. Pediatrics 89: 387-394 (1992) 5. B r u n i , M.: Anal findings in sexual abuse of children.: J. Forensic Sci. 48: 1343-1346 (2003) 6. C h r i s t i a n , C. W., L a v e l l e , J. M., D e J o n g , A. R., L o i s e l l e , J., B r e n n e r , L., J o f f e , M.: Forensic evidence findings in prepubertal victims of sexual assault. Pediatrics 106: 100-104 (2000) 7. D e b e r t i n , A. S., W i l k e , N., L a r s c h , K. P., B r e i t m e i e r , D., F i e g u t h , A.: Differenzialdiagnostische Aspekte nach sexuellem Kindesmissbrauch. Rechtsmedizin 17: 163-168 (2007) 8. E l d e r , D. E.: Interpretation of anogenital findings in the living children: Implications for the paediatric forensic autopsy. J. Forensic Leg. Med. 14: 482-488 (2007) 9. F e r g u s s o n , D. M., L y n s k e y , M. T., H o r w o o d , L. J.: Childhood sexual abuse and psychiatric disorder in young adulthood: I. Prevalence of sexual abuse and factors associated with sexual abuse. J. Am. Acad. Child Adolesc. Psychiatry 35: 1355-1364 (1996)

Untersuchungsergebnisse bei sexuellem Kindesmissbrauch

27

10. G a r d n e r , J. J.: Descriptive study of genital variation in healthy, nonabused premenarchal girls. J. Pediatr. 120: 251-257 (1992) 11. G r o s s i n , C., S i b i l l e , I., L o r i n d e l a G r a n d m a i s o n , G., B a n a s r , A., B r i o n , F., D u r i g o n , M.: Analysis of 418 cases of sexual assault. Forensic Sci. Int. 131: 125-130 (2003) 12. H e g e r , A., T i s c o n , L., V e l a s q u e z , O., B e r n i e r , R.: Children referred for possible sexual abuse: medical findings in 2384 children. Child Abuse Negl. 26: 645-659 (2002) 13. H e r r m a n n , B.: Modifiziertes Adam’s Schema 2005 – ehemals „Klassifikation“ – Übersetzung und Kommentar. In: Medizinische Diagnostik bei sexuellem Kindesmissbrauch. Kinderklinik Klinikum Kassel, 7. Aufl. (2007) 14. H e r r m a n n , B., D e t t m e y e r , R., B a n a s c h a k , S., T h y e n , U.: Kindesmisshandlung. Springer Medizin Verlag (Heidelberg), S. 113-176 (2008) 15. K e l l o g g , N. D., M e n a r d , S. W., S a n t o s , A.: Genital anatomy in pregnant adolescents: ”normal“ does not mean ”nothing happened“. Pediatrics 113: e67-e69 (2004) 16. L a u r i t s e n , A. K., M e l d g a a r d , K., C h a r l e s , A. V.: Medical examination of sexually abused children: medico-legal value. J. Forensic Sci. 45: 115-117 (2000) 17. M c C a n n , J., V o r s , J., S i m o n , M.: Genital injuries resulting from sexual abuse: a longitudinal study. Pediatrics 89: 307-317 (1992) 18. M o k , J. Y. Q.: Investigation of suspected sexual abuse. In: Busuttil, A., Keeling, J. W. (Eds.): Paediatric Forensic Medicine and Pathology, Hodder Education (London), pp. 24-46 (2009) 19. M u r a m , D.: Classification of genital findings in prepubertal girls who are victims of sexual abuse. Adolesc. Pediatr. Gynecol. 2: 149 (1988) 20. P o k o r n y , S., M u r p h y , J., P r e m i n g e r , M.: Circumferential hymen elasticity. A marker of physiologic maturity. J. Reprod. Med. 43: 943-948 (1998) 21. R o t h ä m e l , T., B ü r g e r , D., D e b e r t i n , A. S., K l e e m a n n , W. J.: Vaginorectal impalement injury in a 2-year-old child – caused by sexual abuse or an accident? Forensic Sci. Int. 119: 330-333 (2001) 22. S t e w a r d , M. S., S c h m i t z , M., S t e w a r d , D. S., J o y e , N. R., R e i n h a r t , M.: Children’s anticipation of and response to colposcopic examination. Child Abuse Negl. 19: 977-1005 (1995) 23. W h i t e , C., M c L e a n , I.: Adolescent complainants of sexual assault; injury patterns in virgin and non-virgin groups. J. Clin. Forensic Med. 13: 172-180 (2006) Anschrift für die Verfasser: Dr. med. Stefanie Jänisch c/o Institut für Rechtsmedizin der MHH Carl-Neuberg-Straße 1 D-30625 Hannover

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Archiv für Kriminologie 225: 28-38 (2010)

Aus dem Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (Direktor: Prof. Dr. med. K. Püschel)

Versuchte und vollendete Tötungsdelikte in Hamburg – eine vergleichende Untersuchung von zwei Sechsjahres-Zeiträumen Von

Dr. med. Julia Herrmann, Med.-Dir. Dr. med. Axel Gehl, Prof. Dr. med. Klaus Püschel und Dr. med. Sven Anders (Mit 5 Abbildungen und 2 Tabellen)

1. Einleitung und Fragestellung Die vorliegende Studie soll einen Überblick über vollendete und versuchte Tötungsdelikte in der Freien und Hansestadt Hamburg in den Zeiträumen 1984 bis 1989 sowie 1995 bis 2000 geben. Hierbei sollen vor allem Täter- und Opfercharakteristika wie Alter und Geschlecht sowie Art der angewendeten Gewalt herausgearbeitet werden. Beide Untersuchungszeiträume sollen miteinander und mit vorhandenen Daten aus internationaler und nationaler Literatur verglichen werden. 2. Material und Methoden Für die betreffenden Zeiträume wurden polizeiliche Handakten, darin befindliche Tatort- und Spurenmappen und Sektionsprotokolle gesichtet. Die Parameter wurden auf Grundlage der in den Akten dokumentierten Daten der Polizei sowie der Aussagen von Opfern, Tätern, Zeugen und Gutachtern erhoben. Es wurden alle Fälle von versuchten und vollendeten Tötungsdelikten berücksichtigt, zu denen die Unterlagen zugänglich waren. Unter dem Begriff „Tötungsdelikt“ wurden Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen subsumiert. Die statistische Auswertung erfolgte mit Hilfe des Programms Graphpad Prism (Version 5.00). Zum Vergleich der qualitativen Merkmale beider Untersuchungszeiträume wurde der Chi-Quadrat-Test angewendet, quantitative Merkmale wurden mit Hilfe des Mann-Whitney-Wilcoxon-Tests verglichen. Das Signifikanzniveau wurde mit 95 % (P < 0,05) festgelegt.

3. Ergebnisse 3.1 Delikte Für den ersten Untersuchungszeitraum waren 348 von 475 registrierten Fällen zugänglich (73,3 %), für den zweiten Untersuchungszeitraum konnten 539 von 700 registrierten Fällen in die Untersuchung eingeschlossen werden (77 %).

Versuchte und vollendete Tötungsdelikte in Hamburg

29

Im ersten Untersuchungszeitraum (Z1) konnten 61,8 % der Tötungsdelikte den Vollendungen und 34,8 % den Versuchen zugeordnet werden. Es gab 12 Fälle mit mehreren Geschädigten (3,4 %), bei denen sowohl Opfer starben als auch überlebten. Im zweiten Untersuchungszeitraum (Z2) wurden 39,7 % der Delikte vollendet, 57,9 % blieben Versuche und in 2,4 % der Fälle gab es neben getöteten auch überlebende Opfer. Es zeigte sich ein signifikanter Anstieg des Anteils versuchter Tötungsdelikte von 34,8 % auf 57,9 % (P < 0,0001; Abb. 1).

Abb. 1: Vergleich der Deliktszahlen (n = 348 für Z1, n = 539 für Z2) vollendet: Z1 = 61,8 %, Z2 = 39,7 % (P < 0,0001) versucht: Z1 = 34,8 %, Z2 = 57,9 % (P < 0,0001) versucht und vollendet: Z1 = 3,4%, Z2 = 2,4 % (P = ns)

3.2 Geschlecht 3.2.1 Geschlecht der Opfer Im ersten Untersuchungszeitraum wurden bei 348 Fällen 402 Geschädigte erfasst, von denen 59,7 % männlichen Geschlechts waren. Im zweiten Untersuchungszeitraum waren von insgesamt 604 Opfern bei 539 Fällen 74,2 % männlich. Der Anteil männlicher Opfer wies somit einen signifikanten Anstieg auf (P < 0,0001; Abb.2).

Abb. 2: Geschlechterverteilung aller Opfer (Z1: n = 402, Z2 = 604) männlich: Z1 = 59,7 %, Z2 = 74,2 % weiblich: Z1 = 40,3 %, Z2 = 25,8 %

30

HERRMANN, GEHL, PÜSCHEL, ANDERS

Auch bei getrennter Betrachtung der versuchten und vollendeten Delikte zeigte sich ein signifikanter Anstieg der männlichen Opfer in beiden Gruppen (Versuche: 66,7 % vs. 80,1 %, P < 0,001; Vollendungen: 55,1 % vs. 65,0 %, P < 0,03).

3.2.2 Geschlecht der Täter Im ersten Untersuchungszeitraum wurden 406 Täter erfasst, von denen 81,5 % männlichen und 10,1 % weiblichen Geschlechts waren. Bei 8,4 % der Täter blieb das Geschlecht unbekannt. Im zweiten Untersuchungszeitraum waren von insgesamt 637 erfassten Tätern 88,4 % männlich und 8,0 % weiblich; bei 3,6 % konnte das Geschlecht nicht ermittelt werden. Es ergaben sich keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den untersuchten Zeiträumen (Abb. 3), auch nicht bei getrennter Betrachtung der versuchten und vollendeten Taten (Versuche: 86,7 % vs. 91,0 %, P = ns; Vollendungen: 78,2 % vs. 84,0 %, P = ns).

Abb. 3: Geschlechterverteilung aller Täter (Z1: n = 406, Z2: n = 637) männlich: Z1 = 81,5 %, Z2 = 88,4 % (P = ns) weiblich: Z1 = 10,1 %, Z2 = 8,0 % (P = ns) unbekannt: Z1 = 8,4 %, Z2 = 3,6 %

3.3 Alter 3.3.1 Alter der Opfer Betrachtet man die Altersverteilung, ist die Altersgruppe der 22- bis 40-Jährigen in beiden Untersuchungszeiträumen am stärksten vertreten (44,0 % bzw. 50,3 %). Das durchschnittliche Alter der Opfer im ersten Untersuchungszeitraum lag bei 36,6 ± 18,6 Jahren, im zweiten Untersuchungszeitraum bei 34,5 ± 16,9 Jahren (P = ns; Abb. 4). Zwar zeigt sich auch bei getrennter Betrachtung der versuchten und vollendeten Tötungsdelikte keine signifikante Änderung des Alters der Opfer in den beiden Zeiträumen, doch waren die überlebenden Opfer im Durchschnitt 7 Jahre jünger (Versuche: Durchschnittsalter in Z1 32,4 ± 14,6 Jahre, in Z2 32,4 ± 13,9 Jahre, P = ns; Vollendungen: Durchschnittsalter in Z1 39,4 ± 20,4 Jahre, in Z2 38,1 ± 20,3 Jahre, P = ns).

3.3.2 Alter der Täter Bei 41 Tätern des ersten und 54 Tätern des zweiten Untersuchungszeitraumes konnte das Alter nicht ermittelt werden. Die Täter gehörten – so wie die Opfer – überwiegend der Altersgruppe der 22- bis 40-Jährigen an (53,2 % bzw. 50,2 %). Das durchschnittliche Alter der Täter lag bei 33,8 ± 13,3 Jahren im ersten und bei 31,0 ± 12,3 Jahren im zweiten Untersuchungszeitraum (P = 0,0004; Abb. 5).

Versuchte und vollendete Tötungsdelikte in Hamburg

31

Abb. 4: Altersstruktur aller Opfer (in Jahren)

Abb. 5: Altersstruktur aller Täter (in Jahren)

Ein noch deutlicherer Abfall des Durchschnittsalters zeigte sich bei alleiniger Betrachtung der Täter von versuchten Tötungsdelikten (34,1 ± 12,9 Jahre vs. 29,4 ± 11,6 Jahre, P < 0,0001).

3.4 Nationalitäten 3.4.1 Nationalitäten der Opfer 76,9 % der Opfer im ersten Untersuchungszeitraum hatten die deutsche Nationalität, 23,1 % der Opfer gehörten einer anderen Nationalität an. Im zweiten Untersuchungszeitraum hatten 62,1 % die deutsche Nationalität und 37,9 % eine andere Nationalität (P < 0,0001). Bei 0,7 % konnte die Nationalität nicht ermittelt werden. Es zeigt sich somit ein signifikanter Abfall von Personen mit deutscher Nationalität in der Gruppe der Opfer. Tab. 1 gibt einen Überblick über die prozentuale Verteilung der Nationalitäten, denen die Opfer zum Tatzeitpunkt angehörten.

32

HERRMANN, GEHL, PÜSCHEL, ANDERS Tab. 1: Nationalitäten der Opfer Z1 (n = 402) %

Z2 (n = 604) %

P

deutsch

76,9

62,1

< 0,0001

türkisch

11,0

10,9

ns

jugoslawisch / ehemals

2,7

7,6

0,0010

polnisch

2,0

2,8

ns

afghanisch

0,7

2,6

0,0289

andere

6,7

13,3

0,0009

0

0,7



Nationalität

unbekannt

3.4.2 Nationalitäten der Täter 63,3 % der Täter im ersten Untersuchungszeitraum hatten die deutsche Nationalität, 26,8 % waren anderer Nationalität, bei 9,9 % konnte die Nationalität nicht ermittelt werden. Im zweiten Untersuchungszeitraum waren 50,4 % deutsche Staatsbürger, 39,7 % gehörten einer anderen Nationalität an (P < 0,0001). Bei 9,9 % konnte die Staatsangehörigkeit nicht ermittelt werden. Auch hier zeigt sich ein signifikanter Anstieg von Personen mit einer nicht-deutschen Nationalität. Tab. 2 zeigt die Verteilung der Nationalitäten der Täter zum Tatzeitpunkt. Tab. 2: Nationalitäten der Täter Z1 (n = 406) %

Z2 (n = 637) %

P

deutsch

63,3

50,4

< 0,0001

türkisch

12,6

12,9

ns

jugoslawisch / ehemals

2,2

9,1

< 0,0001

polnisch

1,0

1,9

ns

afghanisch

0,7

1,7

ns

iranisch

2,2

1,7

ns

andere

8,1

12,4

0,0285

unbekannt

9,9

9,9



Nationalität

3.5 Motive Die beiden häufigsten Motive waren vorangegangene interpersonelle Konflikte (43,7 % bzw. 59,7 %) und materielle Bereicherung (12,6 % bzw. 8,3 %). Zusammen machten sie im ersten Untersuchungszeitraum 56,3 % und im zweiten Untersuchungszeitraum 68 % aller Motive aus. Andere Motive waren sexueller Natur, Rache und sog. Familienehre, oder die Tötungsdelikte wurden zur Verdeckung einer Straftat begangen.

3.6 Art der angewendeten Gewalt Scharfe Gewalt (Stich- oder Schnittverletzungen) stellte in beiden Untersuchungszeiträumen die häufigste Traumatisierungsform dar (44,8 % bzw. 48,5 % der Opfer; P = ns). Eine stumpfe Gewalteinwirkung wurde bei 29,9 % bzw. 28,5 % der Opfer diagnostiziert (P = ns). Die dritthäufigste Gewaltform bildete mit 22,4 % bzw. 12,1 % (P < 0,0001) die komprimierende Gewalt gegen den Hals (Strangulation). 19,4 % der Opfer im ersten und 22,8 % der Opfer im zweiten Untersuchungszeitraum erlitten Schussverletzungen (P = ns). Die verschiedenen Gewaltformen kamen teilweise kombiniert vor.

Versuchte und vollendete Tötungsdelikte in Hamburg

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4. Diskussion 4.1 Verhältnis zwischen vollendeten und versuchten Taten Der Anteil der versuchten Tötungen nahm nach unseren Ergebnissen im zweiten Untersuchungszeitraum signifikant zu (34,8 % vs. 57,9 %, P < 0,0001). Gerade wegen der Limitationen unserer Datenerhebung (s.u.) erscheint ein Vergleich mit der offiziellen Polizeilichen Kriminalstatistik geboten. Dort beträgt der Anteil der versuchten Tötungsdelikte für den ersten Untersuchungszeitraum 32 % und 56,6 % für den zweiten Untersuchungszeitraum. Diese Zahlen sind den von uns erhobenen sehr ähnlich und zeigen ebenfalls einen deutlichen Anstieg des Anteils der versuchten Tötungsdelikte. In der Literatur lassen sich bisher keine eindeutigen Erklärungen für diesen Anstieg finden. Sie könnten in einer Verbesserung des Rettungssystems und der medizinischen Versorgung zu suchen sein (schnellere Hilfe sowie geringere Mortalität). Andererseits könnte die Ursache in einem zunehmenden Einsatz von Waffen bei körperlichen Auseinandersetzungen zu suchen sein, so dass es häufiger zu schweren Verletzungen kommt und diese Delikte polizeilicherseits vermehrt als Straftaten gegen das Leben gewertet werden, während früher eher eine Zuordnung zur Deliktsgruppe „Gefährliche Körperverletzung“ erfolgte. 4.2 Geschlecht von Opfern und Tätern Unsere Untersuchungen zeigen, dass Männer häufiger Opfer und Täter sind als Frauen. Dieses Ergebnis deckt sich mit früheren Studien aus dem europäischen und außereuropäischen Raum (B a t t e n et al. 1991, G a l l a g h e r et al. 1994, H a g e l s t a m u. H ä k k ä n e n 2006, S c o t t 1990). Eine mögliche Erklärung, warum gerade Männer häufiger an Tötungsdelikten beteiligt sind, gaben G a l l a g h e r et al. 1994 in ihrem Forschungsbericht für das NSW Bureau of Crime Statistics and Research: Männer sind demnach häufiger an direkter, konfrontierender Gewalt beteiligt und Konflikte resultieren häufiger als bei Frauen in körperlichen Auseinandersetzungen. 4.3 Alter von Opfern und Tätern Ein Großteil der Opfer fand sich in der Altersgruppe der 22- bis 40Jährigen (44 % bzw. 50,3 %). Zu vergleichbaren Ergebnissen kamen die jüngeren Untersuchungen von C u r c h o d F e r n a n d e z u. L a H a r p e 1996, A v i s 1996 sowie W i r t h u. S t r a u c h 2006. In den Jahren von 1961 bis 1970 dagegen waren die meisten Opfer von Tötungsdelikten Kinder unter zehn und ältere Menschen über 60 Jahren (H a r n i s c h 1973). Die damalige Altersverteilung wurde als Überlegenheit des Täters gegenüber dem Opfer interpretiert: Alte Menschen und Kinder sind weniger in der Lage, Widerstand gegen einen Angriff zu leisten. Die Veränderungen in der Altersstruktur lassen sich aus unseren Daten nicht begründen.

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Die überwiegende Zahl der Täter gehörte ebenfalls zur Altersgruppe der 22- bis 40-Jährigen (53,2 % bzw. 50,3 %). Vergleichbare Resultate ergaben die Untersuchungen von S a n n e m ü l l e r et al. 1999 und P a d o s c h et al. 2003. 4.4 Nationalität von Opfern und Tätern Sowohl bei Opfern als auch bei Tätern zeigte sich im zweiten Untersuchungszeitraum ein signifikanter Anstieg des Anteils von Personen mit einer anderen Nationalität als der deutschen. Die häufigsten nichtdeutschen Nationalitäten waren die türkische und die jugoslawische. Diese Ergebnisse decken sich mit Untersuchungen von D e c k e r 2006 und L e i s t l e r 2006. Der Anteil nicht-deutscher Personen unter Opfern und Tätern war in beiden Untersuchungszeiträumen größer als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung Hamburgs, welcher im ersten Untersuchungszeitraum bei etwa 10,2 % und im zweiten Untersuchungszeitraum bei etwa 15,2 % lag (Statistikamt Nord). Ursachen hierfür könnten in einer relativ höheren Erwerbslosigkeit liegen (Integrationsbericht NRW 2008). Die Steigerung des Ausländeranteils in der Opfer- und Tätergruppe bewegt sich in beiden Untersuchungszeiträumen in einem ähnlichen Rahmen wie der Anstieg des Anteils von Personen mit Zuwanderungshintergrund an der Gesamtbevölkerung Hamburgs im gleichen Zeitraum. Hier war eine Zunahme von 49 % zu verzeichnen (Statistikamt Nord). In unserer Untersuchung fand sich eine Zunahme um etwa 61 % bei den Opfern und um etwa 48 % bei den Tätern. Die Viktimisierung von Personen mit Zuwanderungshintergrund in Deutschland wurde bereits von L u f f 1996 thematisiert. Danach haben Opfer und Tatverdächtige gehäuft dieselbe Staatsangehörigkeit. In einer Sondererhebung des Schweizer Bundesamtes für Statistik (BFS) konnte gezeigt werden, dass Personen mit anderer Nationalität häufiger Opfer eines Tötungsdelikts wurden als Schweizer Staatsangehörige, häufig erwerbslos sind und sich somit häufiger in finanziellen Nöten befinden (Z o d e r u. M a u r e r 2006). P f e i f f e r u. W e t z e l s zeigten 2000, dass vor allem jugendliche Türken mit schlechter sozioökonomischer Lebenslage Gewalttaten begehen, dicht gefolgt von jugendlichen Tätern aus dem ehemaligen Jugoslawien. Vor allem türkische Jugendliche, die im Elternhaus selbst Opfer von Gewalt wurden oder Gewalt zwischen ihren Eltern beobachteten, würden häufiger Gewalttaten begehen. Die Raten für häusliche Gewalt und Partnergewalt liegen in türkischen und jugoslawischen Familien nach den Untersuchungen von P f e i f f e r u. W e t z e l s höher als in deutschen Familien. In den von Gewalt geprägten Beziehungen würden häufig die Väter dominieren. Daraus könne für die betreffenden Jugendlichen ein problematisches Rollenbild entstehen. Männliche jugendliche Gewalttäter würden außerdem bei Gewaltausübung seltener abgelehnt oder bestraft als Mädchen oder junge Frauen. Hieraus könne der höhere Jungen-/Männeranteil unter den Gewalttätern resultieren (P f e i f f e r u. W e t z e l s 2000).

4.5 Motive Aus unserer Studie ergibt sich, dass den eigentlichen Taten in etwa der Hälfte der Fälle interpersonelle Konflikte und Streitereien vorrausgegangen waren. Zu vergleichbaren Ergebnisse kamen in jüngeren

Versuchte und vollendete Tötungsdelikte in Hamburg

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Untersuchungen auch K l e e m a n n et al. 1994, P a d o s c h et al. 2003 und S a n f o r d et al. 2006. Da die Taten häufig von Bekannten oder Verwandten begangen werden (in unserem Material in 75,1 % bzw. 71,6 % der Fälle), ist davon auszugehen, dass gerade in lang dauernden engen zwischenmenschlichen Beziehungen ein hohes Konfliktpotential zu finden ist, welches sich bei mangelnder Konfliktbewältigung in Gewalttaten entladen kann. Ein weiteres gehäuft vorkommendes Motiv ist unseren Ergebnissen zufolge die materielle Bereicherung, wobei häufig ältere Menschen als Opfer betoffen sind (C o l l i n s u. P r e s n e l l 2006, H e i n e m a n n u. P ü s c h e l 1994). Sexuelle Motive sind in unserer Untersuchung nur mit einem kleinen Anteil zu finden. S c h r ö e r zufolge sind Tötungen, die von vornherein geplant sind und zur Befriedigung des Geschlechtstriebs dienen, eine Rarität. Häufiger finden sich hingegen Tötungen des Opfers zur Verdeckung eines vorangegangenen Sexualdelikts aus Angst vor Bestrafung oder ein im Rahmen sexueller Handlungen entstandener Streit, der zur Tötung des Opfers führt (S c h r ö e r 2004). 4.6 Art der angewendeten Gewalt Wie in früheren Untersuchungen aus dem europäischen Raum (P a d o s c h et al. 2003, S h a w et al. 2006, W i r t h u. S t r a u c h 2006) fand sich in unserem Material als häufigste Art der Traumatisierung die scharfe Gewalt. Auch stumpfe Gewalt und komprimierende Gewalt gegen den Hals kamen gehäuft vor. In Bezug auf die Gewalt gegen den Hals ließ sich ein signifikanter Abfall im Vergleich der beiden Zeiträume feststellen. Anders als im angloamerikanischen Raum ist die Verwendung von Schusswaffen zur Tötung in Deutschland seltener (B a r l o w u. B a r l o w 1988, L a t t i m o r e et al. 1997, R o s e n b e r g u. M e r c y 1986, V o s s u. H e p b u r n 1968). Die Schusswaffe wird demnach als Tatwaffe seltener als das Messer verwendet, während beispielsweise im südamerikanischen Kolumbien 90 % aller Fremdtötungen mit Schusswaffen begangen werden (C a r d o n a et al. 2005). F i s c h e r et al. begründen dies damit, dass Messer einfacher zu beschaffen sind als Schusswaffen und sich außerdem leichter verstecken und zum möglichen Tatort bringen lassen. Auch die Waffengesetzgebung scheint eine Rolle zu spielen. Für den Erwerb und Besitz von Schusswaffen ist die Gesetzgebung in Deutschland – verglichen mit einigen Bundesstaaten der USA – sehr viel restriktiver. Schusswaffen lassen eine größere Distanz zum Opfer zu; dies kann als Ursache für die gehäufte Anwendung gegen männliche Opfer angesehen werden, deren körperliche Stärke vom Angreifer gefürchtet wird (F i s c h e r et al. 1994).

In einigen Fällen wurden verschiedene Gewaltarten miteinander kombiniert. Besonders ausgeprägt zeigte sich dies in Fällen eines Angriffs gegen den Hals: Betrachtet man beide Berichtszeiträume gemeinsam, so fanden sich in 163 Fällen Zeichen einer Gewalteinwirkung gegen den Hals. Hiervon wiesen 106 Geschädigte zusätzlich Verletzungen durch scharfe und/oder stumpfe Gewalt oder Schussverletzungen auf. Auch P a d o s c h et al. 2003 und F i s c h e r et al. 1994 berichteten

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über die Kombination dieser Gewaltformen. Möglicherweise starben die betroffenen Opfer nicht sofort nach dem Angriff des Täters oder sie wehrten sich heftig, so dass ein Tatmittelwechsel erfolgte und eine andere Form der Gewalt angewendet wurde, um die Tat zu vollenden oder der Täter nahm an, sein Opfer würde den Angriff ohne weitere Gewaltanwendung überleben. 5. Schlussfolgerungen und Limitationen Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung liefern Hinweise darauf, dass sich statistisch relevante Verschiebungen einiger Tatcharakteristika im Bereich der versuchten und vollendeten Tötungsdelikte im urbanen Raum einer deutschen Großstadt (Hamburg) ereignet haben. Auf Grund der Eindimensionalität der Daten können hieraus noch keine Rückschlüsse auf mögliche Ursachen gezogen werden. Dennoch sind die Daten geeignet, Ansatzpunkte für die Präventionsarbeit aufzuzeigen, etwa auf den Gebieten der Zuwanderung oder der häuslichen Gewalt bzw. der Gewalt im sozialen Nahraum. Limitationen der Studie ergeben sich aus den zum Teil fehlenden Akten sowie der inhomogenen Dokumentation. Für den ersten Untersuchungszeitraum waren 127 Fälle (26,7 %) nicht zugänglich, im zweiten Untersuchungszeitraum fehlten 161 Fälle (23 %). Zusammenfassung In der vorliegenden Studie wurden vollendete und versuchte Tötungsdelikte in Hamburg aus den Jahren 1984 bis 1989 und 1995 bis 2000 anhand der kriminalpolizeilichen Akten miteinander verglichen (n = 887). Es zeigte sich ein signifikanter Anstieg des Anteils versuchter Tötungsdelikte von 34,8 % auf 57,9 % (P < 0,0001). Opfer und Täter waren in beiden Untersuchungszeiträumen in der Mehrzahl männlichen Geschlechts, wobei sich ein signifikanter Anstieg des Anteils männlicher Opfer zeigte (59,7 % vs. 74,2 %, P < 0,0001). Die Mehrzahl der Täter und Opfer gehörte in beiden Zeiträumen zur Gruppe der 22- bis 40Jährigen. Der Anteil von Personen mit einer nicht-deutschen Nationalität stieg sowohl bei den Opfern (23,1 % vs. 37,2 %, P < 0,0001) als auch bei den Tätern (26,8 % vs. 39,7 %, P < 0,0001) an. Die häufigsten Motive waren interpersonelle Konflikte und materielle Bereicherung, die am häufigsten angewendeten Traumatisierungen waren scharfe Gewalt, stumpfe Gewalt und Halskompression. Schlüsselwörter: Versuchte Tötungsdelikte – Vollendete Tötungsdelikte – Hamburg Attempted and completed homicide in Hamburg – A comparison of two six-year periods Summary The present study compared cases of attempted and completed homicide in Hamburg from 1984 to 1989 and from 1995 to 2000 (n = 887). Data collection was performed using the police records. Attempted homicide showed a significant increase (34.8 % vs. 57.9 %, P < 0.0001). The majority of the victims and offenders were male with the share of male victims increasing from 59.7 % to 74.2 % (P < 0.0001). The age of the victims and offenders ranged between 22 and 40 years in both periods. The share of persons with a nationality other than German increased both in the victims (23.1 % vs. 37.2 %, P < 0.0001) and in the offenders (26.8 % vs. 37.2 %, P < 0.0001). The most common motives were interpersonal conflicts and robbery. The most frequently used forms of violence were sharp force, blunt force and strangulation. Keywords: Homicide, attempted – Homicide, completed – Hamburg

Versuchte und vollendete Tötungsdelikte in Hamburg

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HERRMANN, GEHL, PÜSCHEL, ANDERS

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Archiv für Kriminologie 225: 39-45 (2010)

Aus dem Kriminaltechnischen Institut des Bundeskriminalamtes Wiesbaden (Institutsleiter: Dr. H.-G. Heuser)

Luftfeuchtigkeit als notwendige Bedingung für die daktyloskopische Spurensicherung mit Ninhydrin: ein praxisorientierter und kostengünstiger Lösungsansatz mit Kaliumcitrat Von

Dr. phil. nat. Lothar Schwarz und Mona-Lena Hermanowski (Mit 2 Abbildungen und 1 Tabelle)

1. Einleitung Ninhydrin wurde bereits 1954 von O d e n u. v o n H o f s t e n in die daktyloskopische Spurensicherung eingeführt und ist heute in Deutschland die gebräuchlichste Chemikalie zur Sichtbarmachung latenter daktyloskopischer Spuren auf saugenden Oberflächen. Die Sichtbarmachung beruht auf der bereits seit 1911 bekannten, sehr sensitiven Reaktion von Ninhydrin mit Aminen zum Farbstoff „Ruhemann’s Purpur“. Beim Einsatz zur Sicherung latenter Spuren reagiert Ninhydrin mit in der Spur enthaltenen und aus dem Schweiß stammenden Aminosäuren, so dass die latenten Abdrücke als laterale Verteilungsmuster der Aminosäuren sichtbar werden. Wie schon seit langem bekannt ist, hat die relative Luftfeuchtigkeit bei den auf saugenden Oberflächen gegebenen heterogenen Reaktionsbedingungen entscheidenden Einfluss auf den Entwicklungsprozess dieses Farbstoffs. Voraussetzung für eine Reaktion ist, dass die Reaktanten in einer reaktionsgünstigen Ausrichtung aufeinander stoßen. Die dazu notwendige Beweglichkeit der Reaktanten (dreidimensionale Bewegungen und Rotationen) ist in der Gasphase oder in Lösung (homogene Reaktionsbedingungen) hoch, auf Oberflächen (heterogene Bedingungen) hingegen stark eingeschränkt. Wassermoleküle aus der Luft erhöhen die Beweglichkeit der Reaktanten auf der saugenden Oberfläche, weshalb die Luftfeuchtigkeit einen wichtigen Faktor für die oberflächengebundene Ninhydrin-Reaktion darstellt. Während eine zu geringe Luftfeuchtigkeit die Ninhydrin-Reaktion unterdrückt, wirkt sich eine zu hohe Luftfeuchtigkeit infolge von Diffusion und Abbau des gebildeten Farbstoffs zerstörerisch auf die Spuren aus.

Trotz dieser allgemein zugänglichen Erkenntnis werden zum Teil noch immer mit Ninhydrin behandelte Spurenträger keinen kontrol-

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SCHWARZ, HERMANOWSKI

lierten und konditionierten Bedingungen zur Entwicklung ausgesetzt, sondern bei dem jeweils herrschenden Raumklima eine Zeit lang ruhen gelassen. Herrscht hierbei ein trockenes Raumklima wie im Winter oder bei lang anhaltenden Trockenperioden, ist die Farbstoffbildung entsprechend schlecht. Erst wenn sich die relative Luftfeuchtigkeit erhöht (z.B. an Regentagen), entwickeln sich die Spuren. Auch der Einsatz von trockener Wärme, z.B. in Öfen oder Trockenschränken, hilft wenig, da die Wärmeanwendung allein nicht zur Vervollständigung der gewünschten Umsetzung führt. Hingegen wird die Gefahr unerwünschter Hintergrundverfärbungen durch Nebenreaktionen erhöht (A l m o g ).

Eine kostengünstige und einfache Alternative zu einem konventionellen, energiebetriebenen und teuren Klimaschrank ist der Einsatz von gesättigten Salzlösungen in geschlossenen Kammern. Hier stellt sich nach einer gewissen Zeit eine bestimmte relative Luftfeuchtigkeit (r. Lf.) ein, die nur vom verwendeten Salz und von der herrschenden Temperatur abhängig ist. Zur Ninhydrin-Entwicklung beschrieb M i l e s bereits 1987 die Nutzung einer geschlossenen Kammer mit einer gesättigten Natriumchlorid-Lösung (NaCl, 76 % r. Lf.). Systematische Studien zeigten, dass eine schnelle und intensive Farbstoffbildung mit gleichzeitig geringer Hintergrundverfärbung bei einer relativen Luftfeuchtigkeit zwischen 60 % und 70 % und moderaten Temperaturen von 20 °C bis 35 °C erfolgt (N i c k e l , R a m m i n g e r et al.). Ziel ist es daher, ein Salz zu finden, dessen gesättigte Lösung eine relative Luftfeuchtigkeit zwischen 60 % und 70 % liefert sowie dem Arbeits- und Umweltschutz entspricht. Anschließend soll der zeitliche Verlauf der Farbstoffentwicklung bei verschiedenen klimatischen Bedingungen an mit Ninhydrin behandelten Testspurenträgern (analytische Standards) beobachtet und dokumentiert werden. 2. Material und Methode 2.1 Temperaturabhängige Bestimmung der relativen Luftfeuchtigkeit über einer gesättigten Kaliumcitrat-Lösung In einen Klimaschrank wird eine luftdicht verschließbare Plexiglasbox (21,5 cm x 17,0 cm x 11,5 cm) mit einer gesättigten tri-Kaliumcitrat-Lösung in einer Petrischale (10 cm Durchmesser) und einem digitalen Thermohydrographen (Datenlogger Opus 10 THI/USB der Firma Lufft/Fellbach) gestellt. Der Klimaschrank wird dann für mehrere Tage bei 15 °C betrieben, so dass sich in der Plexiglasbox ein Gleichgewicht zwischen Gasphase und triKaliumcitrat-Lösung einstellen kann. Temperatur und relative Luftfeuchtigkeit in der Plexiglasbox werden in dieser Zeit aufgezeichnet. Dieser Vorgang wird mehrfach für 15, 20, 25, 30 und 35 °C wiederholt. Aus den Aufzeichnungen des Thermohydrographen wird die relative Luftfeuchtigkeit in der Gleichgewichtsphase zu der jeweiligen Temperatur abgelesen. Laut Herstellerangabe hat der verwendete Thermohydrograph einen Temperaturfehler von 0,3 °C und einen Fehler in der r. Lf. von 2,0 %. Die Genauigkeit des Thermohydrographen wird zusätzlich in der Versuchsanordnung an gesättigten Salzlösungen von Natriumchlorid und Natriumbromid bei 20 °C überprüft. Die Abweichung von den Werten aus der Literatur beträgt hierbei ± 2 %.

Daktyloskopische Spurensicherung mit Ninhydrin

41

2.2 Herstellung der gesättigten Kaliumcitrat-Lösung Zur Herstellung der gesättigten Kaliumcitrat-Lösung werden bei Raumtemperatur triKaliumcitrat-Monohydrat, > 99 %, Firma Roth (CAS-Nr.: 6100-05-6; Löslichkeit bei 25 °C: 1670 g/l; Verhältnis Kaliumcitrat zu Wasser ca. 2 : 1) und entionisiertes Wasser in einem Gefäß zusammengegeben und innerhalb der nächsten 30 Minuten immer wieder kräftig umgerührt. Danach ist der Boden des Gefäßes noch immer mit kristallinem Kaliumcitrat bedeckt.

2.3 Testspurenträger Die Testspurenträger bestehen aus Papier (HP Color Laser Papier, 120 g/m2) und besitzen Felder mit aufgedruckten Aminosäuremischungen in unterschiedlicher Flächenbelegung, wodurch Fingerabdrücke unterschiedlicher Stärke sehr gut simuliert werden können. Die Abstufung der Flächenbelegung erfolgt in vier untereinander angeordneten Zeilen. Jede Zeile besteht aus einem Feld mit Fingerabdrucksstruktur und einem Vollfeld. Die Abstufung erfolgt von oben nach unten: 1. Zeile 1/1 (60 ng/mm2), 2. Zeile 1/10 (6 ng/mm2), 3. Zeile 1/50 (1,1 ng/mm2), 4. Zeile 1/100 (0,5 ng/mm2). Die Aminosäurenmischung hat folgende Zusammensetzung: Serin (34 %), Glycin (20 %), Lysin (14 %), Alanin (10 %), Asparaginsäure (5%), Histidin (5%), Threonin (5%), Valin (3%) und Leucin (3%). Die Herstellung dieser Testspurenträger erfolgt mit einem modifizierten Bubblejet-Drucker (HP DeskJet 550C), wie bei S c h w a r z beschrieben.

2.4 Ninhydrinbehandlung Zur Behandlung werden Testspurenträger bei trockenem Raumklima (22 °C, 20 % r. Lf.) durch eine Ninhydrin-Lösung auf Petroletherbasis gezogen. Anschließend werden die Testspurenträger nach kurzem Abtropfen den jeweiligen Klimabedingungen zur Entwicklung ausgesetzt. Zur Herstellung der Ninhydrin-Lösung werden 15 g Ninhydrin, p.a. (CAS-Nr.: 485-47-2) in 100 ml Ethanol (abs.) gelöst und mit Petrolether 40–60 auf 2,5 l aufgefüllt.

2.5 Entwicklung der mit Ninhydin behandelten Testspurenträger Vier der zu entwickelnden Testspurenträger werden jeweils in eine luftdicht verschließbare Plexiglasbox (21,5 cm x 17,0 cm x 11,5 cm) mit einer Petrischale (10 cm Durchmesser) und einem Thermohygrometer gelegt. Die Petrischalen sind jeweils unterschiedlich gefüllt (Calciumchlorid-Granulat, Wasser, gesättigte Natriumchlorid-Lösung, gesättigte tri-Kaliumcitrat-Lösung). Ein Testspurenträger wird der Raumluft ausgesetzt und ein weiterer Testspurenträger in einen Trockenschrank (100 °C) gelegt.

2.6 Dokumentation der Entwicklung Zum Dokumentieren werden die Spurenträger nach bestimmten Zeiten (1, 2, 4, 8, 12, 24, 48, 72 und 144 Stunden) kurzzeitig aus den jeweiligen Klimabedingungen entnommen und bei einem Raumklima von 22–23 °C und 20–25 % r. Lf. eingescannt (Epson Expression 10000 XL Scanner, Bearbeitung mit Photoshop).

3. Ergebnisse und Diskussion In der Literatur (R ö m p p ) ist für 20 °C Natriumnitrit (NaNO2) mit 66 % r. Lf. als geeignetes Salz zu finden. Allerdings hat Natriumnitrit in der Praxis zwei entscheidende Nachteile: Es wird bei oraler Aufnahme mit einer letalen Dosis (LD50, Ratte) von 85 mg/kg als giftig eingestuft und die „eintrocknende“ Natriumnitrit-Lösung neigt dazu, Salzkristalle oberhalb des Flüssigkeitsspiegels auszubilden, die über den Gefäßrand „hinauswachsen“, so dass sich diese Kristalle leicht in der „Umgebung“ verteilen können, wodurch das Gefährdungspotential für den Sachbearbeiter erheblich ansteigt.

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SCHWARZ, HERMANOWSKI

Auf der Suche nach einer sicheren Alternative zu Natriumnitrit machten wir Versuche mit gesättigten Lösungen verschiedener Salze. Hierbei zeigte sich Kaliumcitrat (tri-Kaliumcitrat-Monohydrat) als geeignet. Die gesättigte Kaliumcitrat-Lösung liefert in der Gleichgewichtsphase über einen Temperaturbereich von 15–35 °C eine gleich bleibende relative Luftfeuchtigkeit um 64 % (siehe Tab. 1) und ist somit ideal für die Entwicklung von mit Ninhydrin behandelten Spuren geeignet. Tab. 1: Gemessene Temperaturen und zugehörige relative Luftfeuchtigkeiten in einer geschlossenen Box über der gesättigten Salzlösung in der Gleichgewichtsphase Temperatur in der Box

15 °C

20 °C

25 °C

30 °C

35 °C

Relative Luftfeuchtigkeit über

64 %

64 %

63 %

64 %

63 %

gesättigter K3Cit-Lösung

64 %

65 %

63 %

63 %

63 %

in der Gleicgewichtsphase



64 %

64 %

63 %

64 %

Kaliumcitrat (K3Cit) ist unter anderem ohne Höchstmengenbeschränkung für viele Lebensmittel als Zusatz unter der Bezeichnung E332 zugelassen. Die zugrunde liegende Zitronensäure wird aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen und ist biologisch abbaubar. Damit ist es als ungefährliches und umweltfreundliches Mittel einzustufen. Der Preis für ein Kilogramm Kaliumcitrat liegt im Bereich von 20 €. Obwohl Kaliumcitrat eine natürliche, organische Substanz ist und ein Befall der Lösung durch Bakterien oder Schimmel zu erwarten wäre, ist dies bei den verwendeten gesättigten Kaliumcitrat-Lösungen nie vorgekommen.

Um den Einfluss der Luftfeuchtigkeit auf die Ninhydrin-Entwicklung zu verdeutlichen, setzten wir mit Ninhydrin behandelte, identische Testspurentäger unterschiedlichen klimatischen Bedingungen aus und registrierten die zeitliche Entwicklung der Farbstoffbildung mittels Scanner (Abb. 1a, b). Als Klimabedingungen verwendeten wir: < 5 % r. Lf, 22–23 °C (in einer Kammer über Calciumchlorid-Granulat als Trocknungsmittel), 20–30 % r. Lf, 22–23 °C (in winterlicher Laboratoriumsluft), < 5 % r. Lf, 100 °C (in einem Trockenschrank), 64 % r. Lf, 22–23 °C (in einer Kammer über gesättigter KaliumcitratLösung), 76 % r. Lf, 22–23 °C (in einer Kammer über gesättigter Natriumchlorid-Lösung), > 95 % r. Lf, 22–23 °C (in einer Kammer über Wasser). Auf Abb. 1a ist deutlich zu erkennen, dass unter trockenen Bedingungen (< 5 % r. Lf.) sowohl bei Raumtemperatur als auch in der Hitze bei 100 °C keine Farbstoffbildung erfolgt. Auch bei der trockenen, winterlichen Laborluft (22–23 °C und 20–30 % r. Lf.) erfolgt nur eine minimale Farbstoffbildung. Nach ca. 24 Stunden sind nur die starken Spuren (Felder der ersten Zeile) schemenhaft zu erkennen. Auf Abb. 1b ist

Daktyloskopische Spurensicherung mit Ninhydrin

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Abb. 1a: Zeitliche Entwicklung der mit Ninhydrin behandelten Testspurenträger. Oberste Zeile über CaCl2-Granulat (22–23 °C und < 5% r. Lf.), mittlere Zeile bei winterlichem Raumklima (22–23 °C und 20–30 % r. Lf.), unterste Zeile im Ofen (100 °C und < 5 % r. Lf.)

hingegen deutlich die Bildung von Farbstoff wahrzunehmen. Über Wasser sind die ersten Spuren bereits innerhalb der ersten Stunde sichtbar (Felder der ersten und zweiten Zeile). Diese Farbstoffbildung wird mit der Zeit immer ausgeprägter, es entwickeln sich schemenhaft auch die schwachen Spuren (Felder der vierten Zeile). Aber nach 12 Stunden nimmt die Farbintensität wieder stark ab und die Spuren werden unscharf, d.h. mit zunehmender Zeit überwiegen Farbstoffabbau und Diffusion. Über der Natriumchlorid-Lösung ist die Entwicklung bereits nach einer Stunde schemenhaft zu erkennen und wird in der nachfolgenden Zeit immer stärker. Ab dem zweiten Tag setzt eine immer stärker werdende Hintergrundverfärbung ein. Diese reduziert den Kontrast der Spuren, so dass die schwächeren Spuren (Felder der dritten und vierten Zeile) mit der Zeit immer undeutlicher werden.

Über der Kaliumcitrat-(K3Cit)-Lösung erfolgt die Entwicklung langsamer und die Hintergrundverfärbung ist deutlich geringer als über der Natriumchlorid-Lösung. Nach drei Tagen sind ohne Hintergrundverfärbung auch die schwachen Spuren zu erkennen (Felder der dritten Zeile gut, Felder der vierten Zeile schemenhaft). Die Spuren sind über der Kaliumcitrat-(K3Cit)-Lösung nach 2 bis 3 Tagen bei Raumtemperatur gut entwickelt. Ein längerer Einfluss der relativen Luftfeuchtigkeit von 64 % richtet aber auch keinen Schaden an. Wie die Experimente über der Natriumchlorid-Lösung und Wasser zeigen, besteht bei höheren Luftfeuchtigkeiten die Gefahr der Hintergrundverfärbung und der Spurenzer-

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SCHWARZ, HERMANOWSKI

Abb. 1b: Zeitliche Entwicklung der mit Ninhydrin behandelten Testspurenträger. Oberste Zeile über gesättigter K3Cit-Lösung (22–23 °C und 64 % r. Lf.), mittlere Zeile über gesättigter NaCl-Lösung (22–23 °C und 74 % r. Lf.), unterste Zeile über Wasser (22–23 °C und > 95 %) störung schon nach kürzerer Zeit. Zusätzlicher Einsatz von Wärme kann dies noch beschleunigen. Somit muss der Entwicklungsprozess für ein optimales Ergebnis deutlich engmaschiger überwacht werden.

Die vorgestellte Lösung mit Kaliumcitrat ist im Vergleich zu einem konventionellen Klimaschrank nicht nur in der Anschaffung, sondern auch in den Unterhaltungskosten günstiger, da sie bei Raumtemperatur arbeitet und keine Elektrizität benötigt. Dies bedeutet eine CO2Einsparung und somit einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz. Mit der gewählten relativen Luftfeuchtigkeit von 64 % bei Raumtemperatur findet eine langsame Entwicklung der Spuren statt, die nach 2–3 Tagen ein optimales Spurenbild liefert. Die Notwendigkeit einer ständigen Kontrolle der Spuren, wie sie bei schneller Entwicklung durch Einsatz von höherer Luftfeuchtigkeit und zusätzlicher Wärme gegeben ist, entfällt. Der moderate Einsatz einer relativen Luftfeuchtigkeit von ca. 64 % bei Raumtemperatur zeigt keine negative Auswirkung auf die Spuren innerhalb der beobachteten Zeit von 6 Tagen. Zusammenfassung In der Spurensicherung findet Ninhydrin für die Sichtbarmachung von latenten daktyloskopischen Spuren auf saugenden Oberflächen breite Verwendung. Bei der Entwicklung von mit Ninhydrin behandelten Spuren spielt Wasser in Form von Luftfeuchtigkeit eine entscheidende Rolle. Neben dem Einsatz von energiebetriebenen Klimaschränken kann die Einstellung der notwendigen Luftfeuchtigkeit auch mittels gesättigter Salzlösungen erfolgen. Mit Hilfe von Testspurenträgern (als analytische Standards) wird der zeit-

Daktyloskopische Spurensicherung mit Ninhydrin

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liche Einfluss von unterschiedlichen klimatischen Bedingungen auf die Ninhydrin-Entwicklung gezeigt. Die Entwicklung der Spuren über der gesättigten Lösung von tri-Kaliumcitrat bei Raumtemperatur zeigt sich hierbei als besonders geeignet. Tri-Kaliumcitrat gilt als ungefährlich, da es auch als Lebensmittelzusatz ohne Höchstmengenbegrenzung zugelassen ist. Weiterhin ist es umweltverträglich und wird unter Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen hergestellt. Über der gesättigten Lösung stellt sich im Temperaturfenster von 15 bis 35 °C eine relative Luftfeuchtigkeit von ca. 64 % ein. Schlüsselwörter: Daktyloskopie – Ninhydrin – Luftfeuchtigkeit – Kaliumcitrat Humidity as a necessary condition for latent fingerprint detection with ninhydrin – a practice-oriented and inexpensive method using potassium citrate Summary Ninhydrin is a common reagent for latent fingerprint detection on porous surfaces, and water in the form of humidity is an essential factor in the developing process. Beside climatic chambers running on electricity, the required humidity can also be reached by using saturated salt solution. The influence of different climatic conditions on the developing process is shown by using test strips (as analytical standards). For the developing process, a saturated solution of tripotassium citrate at room temperature proved to be particularly suitable. Tripotassium citrate is a non-hazardous compound, which is also used as a food additive without quantitative limitation, is environmentally safe and produced from renewable resources. In a closed box, a saturated tripotassium citrate solution generates a relative humidity of about 64 % in a temperature range of 15 to 35 °C. Keywords: Dactyloscopy – Ninhydrin – Humidity – Potassium citrate Literatur A l m o g , J.: Fingerprint development by ninhydrin and its analogues. In: Lee, H. C., Gaensslen, R. E.: Advances in Fingerprint Technology. 2nd edn., CRC Press (Boca Raton), p. 187 (2001) M i l e s , C.: Use of salt solution to control relative humidity during development of ninhydrin plates. FIRS Technical Report No. 5, Royal Canadian Mounted Police (RCMP), Ottawa, Canada (1987) N i c k e l , U.: Optimierung der Ninhydrinreaktion. Unveröffentlichter Forschungsbericht. Univ. Erlangen (2003) O d e n , S., v o n H o f s t e n , B.: Detection of fingerprints by the ninhydrin reaction. Nature 173: 449-450 (1954) R a m m i n g e r , U., N i c k e l , U., G e i d e , B.: Enhancement of an insufficient dye-formation in the ninhydrin reaction by a suitable post treatment process. J. Forensic Sci. 46: 288-293 (2001) R ö m p p Online, Thieme Verlag (http://www.roempp.com) S c h w a r z , L.: An amino acid model for latent fingerprints on porous surfaces. J. Forensic Sci. 54: 1323-1326 (2009) Anschrift der Verfasser: Dr. phil. nat. Lothar Schwarz Mona-Lena Hermanowski c/o Kriminaltechnisches Institut, KT 41 Bundeskriminalamt D-65173 Wiesbaden

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Archiv für Kriminologie 225: 46-60 (2010)

Aus dem Institut für Rechtsmedizin der Universität Bonn (Direktor: Prof. Dr. med. B. Madea)

Ungewöhnliche Beweisfragen in einem Fall von offensiver Leichenzerstückelung Von

Prof. Dr. med. Burkhard Madea, Prof. Dr. med. Peter Schmidt1, Dr. med. Johanna Preuß2 und KHK Dietmar Elenz3 (Mit 12 Abbildungen)

1. Einleitung Gängige rechtsmedizinische Aufgabenkomplexe bei der Bearbeitung von Fällen krimineller Leichenzerstückelung umfassen die Zuordnung der Leichenteile zu einem Verstorbenen, die Klärung der Identität, die Identifizierung benutzter Tatwerkzeuge sowie die kriminologische Einordnung des Deliktes (offensive versus defensive Leichenzerstückelung) [4, 5, 10, 11, 13, 14, 20, 21, 25]. Im Folgenden sollen einige ungewöhnliche Beweisfragen in einem Fall von offensiver Leichenzerstückelung sowie ihre Beurteilungsgrundlagen dargestellt werden, denen nicht zuletzt deswegen besondere Bedeutung zukam, da der Angeklagte in der Hauptverhandlung von seinem Schweigerecht Gebrauch machte und sich die psychiatrischen Gutachter, die sich sowohl zur Schuldfähigkeit als auch zur Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB äußern sollten, maßgeblich auf die rechtsmedizinische Rekonstruktion stützen mussten. Der Fall verdient auch deswegen Interesse, da die Tatumstände auf eine kannibalistische Motivation der Tatbegehung hindeuteten, der in der fachspezifischen Literatur zuletzt verstärkt Beachtung geschenkt wurde [1, 2, 7–9, 23].

Institut für Rechtsmedizin der Universität Frankfurt/Main Institut für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Standort Lübeck 3 ZKB-KK15-KTU des Polizeipräsidiums Bonn 1 2

Beweisfragen bei offensiver Leichenzerstückelung

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2. Kasuistik 2.1 Ermittlungsergebnis und Angaben des Angeklagten zur Vorgeschichte Ein 22 Jahre alter Mann meldete sich in Begleitung eines Rechtsanwaltes bei der Polizei und machte hier Angaben zu Entdeckungen in seiner Wohnung einige Tage zuvor. Demnach wurden sowohl in seiner Wohnung als auch in einem Steinbruch jeweils in mehreren Plastiktüten verpackte Leichenteile vorgefunden. Nachdem er sich zunächst Freunden anvertraut hätte, habe er nach Belehrung gemäß § 55 StPO gegenüber der Polizei angegeben, er habe am 9.1. gegen 22 Uhr mit Bekannten in einer gemeinsam mit seiner 22-jährigen Cousine (dem späteren Tatopfer) bewohnten Wohnung Bier getrunken und Haschisch geraucht. Er habe gegen 1 Uhr einen Bekannten nach Hause gebracht, anschließend in der Wohnung nochmals Haschisch konsumiert und sei danach eingeschlafen. Am 10.1. zwischen 12 Uhr und 14 Uhr sei er aufgewacht und habe bei einem Blick ins Badezimmer sofort gesehen, dass die Fliesen an der Wand voller Blut gewesen seien. Die Badewanne sei ca. 25–30 cm hoch mit Blut und Wasser gefüllt gewesen. An den Fliesen hätten sich überall Blutspritzer befunden. Der Backofen in der Küche sei in Betrieb gewesen, beim Öffnen der Backofentür sei ein Brustkorb herausgefallen und Flüssigkeit ausgelaufen. Im Backofen hätten sich weiterhin Hände, Füße, Beine und Arme eines Menschen befunden. Alle Leichenteile hätten „geköchelt“. Es habe in der ganzen Wohnung wie gegrillt gerochen. Er habe danach wieder Haschisch geraucht und sich Gedanken darüber gemacht, dass der Verdacht der Täterschaft auf ihn fallen würde. Im Badezimmer habe er in der Badewanne mit der rechten Hand in die blutige Flüssigkeit gefasst und sei hierbei auf den Schädel der Getöteten (seiner Cousine) gestoßen. Weiterhin habe er in der Badewanne den „Beckenknochen“ sowie ein Teppichmesser gefunden. Er habe anschließend das Badezimmer gesäubert, die Leichenteile aus dem Backofen habe er in verschiedene Tüten verpackt und hinter einem Schrank versteckt. Den Kopf und „Beckenknochen“ habe er anschließend in einem Steinbruch „entsorgt“. Er habe die Betroffene nicht getötet. Als er den Kopf und andere Teile in den Steinbruch gebracht habe, habe er aus Wut mehrfach mit einem Beil auf den Kopf geschlagen, da die Betroffene ihn „in diese Situation gebracht habe“. Aus diesem Grunde habe er ihr auch die Haare abgeschnitten. Auf fehlende Leichenteile angesprochen, habe er geantwortet: „Ihr (die Polizei) werdet nichts mehr finden“.

2.2 Rechtsmedizinische Untersuchungsbefunde und Gutachten 2.2.1 Sektionsergebnis In der Wohnung in Plastiktüten verpackt hinter einem Schrank vorgefundene Leichenteile: Torso, bestehend aus Brustkorb und angrenzenden Anteilen der Bauchhöhle (Abb. 1); Weichgewebsstück, am ehesten vom Gesäß; Unterschenkel beidseits in Kontinuität mit den Füßen (Abb. 2); Unterarme beidseits (Abb. 3); Weichgewebsdurchtrennungen, jeweils scharfrandig, mit Ausbildung zahlreicher Hautzungen bzw. Hautlefzen ohne lokale Vitalitätszeichen. Verpackung der Leichenteile in jeweils mehrere Plastiktüten. Als Zeichen der Hitzeeinwirkung: Braunschwarze Verfärbung und Verfestigung von Haut und freiliegenden Muskeln, kleinflächige Verkohlung der Muskulatur, Pfötchenstellung der Finger und Zehen (Abb. 4). Abb. 1: Brustkorb mit angrenzenden Teilen des Oberbauches. Brustkorb vollständig enthäutet, Muskulatur hitzefixiert.

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MADEA, SCHMIDT, PREUSS, ELENZ

Abb. 2: Unterschenkel mit Füßen

Abb. 3: Unterarme mit Händen

Keine eindeutig vital entstandenen Verletzungen und keine vorbestehenden inneren Erkrankungen von todesursächlicher Wertigkeit. Der Brustkorb vollständig enthäutet, Abpräparation der langen Rückenstreckmuskulatur. Anhaftungen von Reiskörnern an sämtlichen Leichenteilen. Mehrfache Eröffnung der Brusthöhle, jeweils frei von Unterblutungen. Die Lungen beidseits zurückgesunken. In der linken Brusthöhle ein Schlüsselbein mit anhängenden fetzigen, hitzeverfestigten Muskelbestandteilen. Herzbeutel unverletzt, Herz ohne vorbestehende krankhafte Veränderungen. Fortgeschrittene Fäulnis der inneren Organe der Brusthöhle. Im Steinbruch aufgefundene Leichenteile: Komplett erhaltener Schädel (Abb. 5) mit Anteilen von Mundboden und Halsweichteilen, vollständige horizontale Durchtrennung

Abb. 4: Pfötchenstellung der Finger

Abb. 5: Komplett erhaltener Kopf

Beweisfragen bei offensiver Leichenzerstückelung

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des Halses in Höhe von HWK 6 und des Zungenbeins. Zungenbeinhörner intakt. Kehlkopf und umgebende Weichteile fehlend. Mehrere (auf stumpfer Gewalteinwirkung beruhende) Kopfschwartendurchtrennungen an der linken Schädelseite (Abb. 6). Grobscherbige Zertrümmerung des Gehirnschädels linksseitig (Abb. 7). Mehrfache Einreißung der harten Hirnhaut links. Keine Vitalitätszeichen im Bereich dieser Verletzungen.

Abb. 6: Avitale Kontinuitätsdurchtrennun- Abb. 7: Grobscherbige Zertrümmerung des gen der Kopfschwarte Gehirnschädels linksseitig Multiple Stauungsblutaustritte in der Haut der Augenlider und in den Lidbindehäuten (Abb. 8), in der Haut hinter dem rechten Ohr, der Mundvorhofschleimhaut und der Kehldeckelschleimhaut. Intakter Beckenring mit anhängendem Weichgewebsmantel (Abb. 9) sowie glattrandig begrenzten Teilstücken von Dickdarm, Scheidenstumpf und kleinen Schamlippen. Keine Einblutungen des Weichgewebsmantels bzw. der glattrandigen Ränder von Scheiden- und Darmstumpf. Beckenknochen und Weichgewebsmantel mit Antragungen von Erdreich und zahlreichen Reiskörnern. Die Organe des kleinen Beckens vollständig exenteriert. Folgende Leichenteile fehlten: – – – – – – –

Abdomen: Bauchwand, Haut, Muskulatur; komplette Haut des Brustkorbs und Bauches (mehr als 36% der Körperoberfläche); Brüste; innere Organe der Bauchhöhle (Darm, inneres Genitale, Magen, Milz, Nieren); Oberschenkel; Halsweichteile; Rückenstreckmuskulatur.

Sämtliche Leichenteile konnten – sowohl morphologisch als auch molekularbiologisch – einer weiblichen Person zugeordnet werden, bei der es sich um die seit dem 10.1. vermisste Cousine des Tatverdächtigen handelte.

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MADEA, SCHMIDT, PREUSS, ELENZ

Abb. 8: Stauungsblutaustritte der Lidbinde- Abb. 9: Intakter Beckenring mit anhängenhaut dem Weichgewebsmantel Im Ergebnis der Obduktion konnte weiterhin festgestellt werden, dass die Zerstückelung postmortal erfolgte; makroskopisch und histologisch waren keine Vitalitätszeichen nachweisbar. Als Werkzeug zur Exartikulation der Gelenke kam am ehesten ein Messer in Betracht, z. B. ein Teppichmesser. Das Befundmuster entsprach nach Schnittführung, Enthäutung, Exenteration innerer Organe sowie Hitzeeinwirkung eindeutig nicht einer rein defensiven, sondern einer offensiven Leichenzerstückelung. Zahlreiche Leichenteile wiesen Anhaftungen von Reiskörnern auf. Die Rückenstreckmuskulatur fehlte, so dass der Verdacht des Kannibalismus nahe lag. Bei der Obduktion verströmten die aus dem Backofen geborgenen Leichenteile einen Geruch nach Rotwein; begleitstoffanalytisch war ein entsprechender Nachweis allerdings nicht eindeutig zu führen. Die Traumatisierung des Schädels war ebenfalls postmortal erfolgt. Als Tatwerkzeug kamen ein Hammer oder die Rückseite eines Beils in Betracht. Die intensiven Stauungsblutungen der Augenlider und Augenbindehäute waren hinweisend auf eine todesursächliche Halskompression; die Todesursache konnte wegen der fehlenden Halsweichteile naturgemäß nicht positiv nachgewiesen werden. In ihrer Gesamtheit sprachen die Obduktionsbefunde für ein Tötungsdelikt auf sadistisch-kannibalistischer Grundlage.

2.2.2 Weiterführende Untersuchungen Weiterführende Untersuchungen dienten der Prüfung auf psychotrope Substanzen bzw. der Klärung einer möglichen Schwangerschaft: – BAK 0,3–0,5 g/kg; – chemisch-toxikologisch kein Nachweis anderer zentral wirksamer Substanzen. Die Verstorbene war also zum Todeszeitpunkt allenfalls geringgradig alkoholisiert.

Beweisfragen bei offensiver Leichenzerstückelung

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Zur Klärung einer möglichen Schwangerschaft wurde postmortal-biochemisch Human-Choriongonadotropin (hCG) bestimmt. Dieses Proteohormon wird in der Plazenta gebildet und ist ein spezifischer Indikator für eine Schwangerschaft. Der Nachweis ist auch noch an Blutantragungen möglich, die mehrere Monate alt sind. Die Analysen erbrachten folgende Ergebnisse: – hCG nicht nachweisbar; – Progesteron 0,21 ng/ml; – Östradiol 22 pg/ml. Da kein hCG nachweisbar war, handelte es sich nicht um das Blut einer Schwangeren.

2.2.3 Weitere Beweisfragen Ermittlungsseitig war von Bedeutung, wie lange die untersuchten Leichenteile einer Hitze von (bis zu) 250 °C (maximaler Backofentemperatur) ausgesetzt waren. Da im Badezimmer, insbesondere im Bereich der Badewanne, kriminaltechnisch keine Blutanhaftungen nachgewiesen werden konnten, war weiterhin die Frage von Bedeutung, ob das Badezimmer bzw. die Badewanne als Ort der Leichenzerstückelung in Betracht kam.

2.2.4 Zeitdauer der Hitzeeinwirkung Als Folge der Hitzeeinwirkung zeigten sich an den untersuchten Leichenteilen: – extreme Beugefixierung der Finger, – Verfestigung und graubraune, z. T. schwärzliche Verfärbung der Haut und Muskulatur, – prall gespannte Blasen, graubraune Verfärbung und Verfestigung der Haut von Unterschenkel und Fuß. Die Hitzeschädigungen waren in ihrer Gesamtheit einer Verursachung durch trockene Hitze zuzuordnen; eine Verursachung durch feuchte Hitze (Verbrühen, Kochen) schied aus. Hinweise für direkte Flammeneinwirkung fanden sich nicht. Die thermischen Veränderungen waren mit einer Verursachung durch Wärmestrahlung zu vereinbaren. Zur Zeitdynamik von Hitzeschäden liegen nur wenige Untersuchungen vor (z. B. [3, 12, 22]), die sich überwiegend auf die Hitzezerstörung von Leichen im Brandherd beziehen. Für die Beurteilung der Dauer der Hitzeeinwirkung an Leichenteilen können Experimente an Schweinehaut herangezogen werden, die eine der Menschenhaut vergleichbare Hitzeempfindlichkeit aufweisen soll, darüber hinaus experimentelle Untersuchungen an menschlicher Leichenhaut [6, 17, 24]; siehe auch [15, 16]. Schweinehaut wurde experimentell in einer Verbrennungskammer Temperaturen bis 500 °C ausgesetzt, wobei die Wärmeeinleitung mittels Wärmestrahlung erfolgte. Die Hitzeschädigung wurde morphologisch in drei Schweregrade eingeteilt [17]. Beim leichtesten Schweregrad – der reversiblen Hitzeschädigung – entstanden weder Blasen noch über die oberflächlichen Hautschichten hinaus in die Tiefe gehende Gewebszerstörungen. Der mittlere Schweregrad umfasste zweit- und bis drittgradige Verbrennungen, der schwerste Ausprägungsgrad Verbrennungen mit reaktiver Gefäßkontraktion und Blutleere des Gewebes (Abb. 10). Die Obduktionsbefunde waren im Abgleich mit experimentell ermittelten Zeit-Temperatur-Kurven der Einwirkung trockener Hitze von 250 °C in einem Zeitraum von zumindest mehreren Minuten (nicht Stunden) zuzuordnen. Hierzu würde auch korrespondieren, dass die Muskeln, insbesondere die tieferen Muskelschichten, nicht gegart oder verkocht waren, wie man es bei mehrstündiger Hitzeeinwirkung erwarten würde [12, 15, 16, 17]. Darüber hinaus waren innere Organe, etwa der Brusthöhle, nicht hitzefixiert, sondern wiesen deutliche Fäulniserscheinungen auf. Untersuchungen mit Hitzeeinwirkung durch Wärmestrahlung auf Leichenhaut ergaben, dass es bei Einwirkung von 250 °C nach ca. 8 Minuten zur Blasenbildung kommt (Abb. 11). Für subepidermal gemessene Temperaturen zeigte sich hier eine Plateaubildung.

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MADEA, SCHMIDT, PREUSS, ELENZ

(b)

(a)

Abb. 10: Wärmeeinleitung mittels Wärmestrahlung (a) und Verlauf der Temperatur-Zeit-Kurven (b) bei einwirkenden Temperaturen bis 500 °C (Wärmestrahlung). Kurve I: Schwelle zur reversiblen Schädigung, Kurve II: Schwelle zur hyperämischen Verbrennung, Kurve III: Schwelle zur ischämischen Verbrennung (nach [17] aus [15]).

Temperaturverhalten Unterschenkel mit s. c. Fett bei einer Einwirkung von 250 ºC

Abb. 11: Temperatur-Zeit-Kurve in der Epidermis und subepidermal bei Einwirkung einer Temperatur von 250 °C (aus [24])

Nach ca. 20 Minuten stieg die Temperatur weiter an; hierzu korrespondierte eine Verkohlung kleiner Blasen und eine beginnende Braunschwarzverfärbung der Haut, wie sie auch im vorliegenden Fall an mehreren Stellen bestand. Bei der Übertragung der experimentellen Befunde auf den konkreten Fall war aus mehreren Gründen Zurückhaltung geboten: Erstens konnte nicht mit Sicherheit unterstellt werden, dass die Modalitäten der Hitzeeinwirkung genau vergleichbar sind, zweitens wa-

Beweisfragen bei offensiver Leichenzerstückelung

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ren die Obduktionsbefunde nicht exakt der Schweregradeinteilung der experimentellen Untersuchungen zuzuordnen und drittens waren die Hitzeschäden an den Leichenteilen nicht gleichmäßig ausgebildet. Bei einem vollständig mit Leichenteilen ausgefüllten Backofen dürften gegenüber den experimentellen Untersuchungen eher längere Temperatur-Zeit-Verläufe anzunehmen sein, jedoch nicht im Bereich von vielen Stunden. Die Hitzeeinwirkung diente eindeutig nicht der Leichenzerstörung, sondern war – auch vor dem Hintergrund anhaftender Reiskörner bzw. des Geruchs nach Rotwein – mit der Annahme der Zubereitung von Leichenteilen zum Verzehr vereinbar. Damit würde auch die vollständige Enthäutung des Brustkorbes korrespondieren. Bemerkenswerterweise fehlte die lange Rückenstreckmuskulatur.

2.2.5 Nachweis von Blutspuren auf nicht-saugenden Oberflächen mittels Leukokristallviolett Im Badezimmer wurden kriminaltechnisch mit gängigen Methoden [19, 26] keine Blutspuren nachgewiesen. Daher ging man ermittlungsseitig u. a. von der Hypothese aus, dass die Leichenzerstückelung an einem anderen Ort – auch außerhalb der Wohnung – erfolgt sein könnte, was sich nicht schlüssig in den Gesamtkontext des Falles einfügte (ursprüngliche Angaben des Tatverdächtigen zur Vorgeschichte, in der Wohnung vorgefundene Leichenteile, hohes Entdeckungsrisiko bei Zerstückelung der Leiche außerhalb der Wohnung mit Rücktransport in die Wohnung). Um den Einfluss ablaufenden Wassers und der Intensität des Waschvorganges auf die Nachweisbarkeit von Blutspuren auf nicht-saugenden Oberflächen (Waschbecken) zu untersuchen, wurden folgende Untersuchungsansätze gewählt: – In zwei Waschbecken des Sektionsbereiches des Instituts für Rechtsmedizin wurden jeweils Abriebe auf sterilen Bakterietten gewonnen und molekulargenetisch untersucht (Leerprobe, kein DNA-Nachweis). – Anschließend wurden in beide Waschbecken je 12 ml Eigenblut, verdünnt mit jeweils 10 ml 3 %iger Kochsalzlösung, eingebracht. Beide Waschbecken wurden anschließend mit unbenutzten Haushaltsschwämmen bei laufendem Wasser ausgewaschen. – In einem Waschbecken betrug die Wasserdurchlaufzeit 30 Sekunden bei vereinzeltem Wischen. – In einem anderen Waschbecken betrug die Wasserdurchlaufzeit 180 Sekunden, davon wurde 90 Sekunden lang gewischt. – Von den identischen Probeentnahmestellen wurden wiederum Abriebe entnommen. Bei einer Wasserdurchlaufzeit von 30 Sekunden war sowohl im Siphonwasser als auch an der Waschbeckeninnenseite als auch am Siebrand DNA nachweisbar, im Siphonwasser in 8 STRs, an der Waschbeckeninnenseite nur in einem System, am Siebrand in 7 Systemen. – Bei 180 Sekunden Wasserdurchlauf und 90 Sekunden Wischen war an keiner Probenentnahmestelle mehr DNA feststellbar, auch im Amelogeninsystem kein Merkmalsnachweis. Anschließend wurde eine Untersuchung auf latente Blutspuren mit Leukokristallviolett-Lösung durchgeführt. Nach einer Wasserdurchlaufzeit von 30 Sekunden folgte ein spontaner Farbumschlag, nach einer Wasserdurchlaufzeit von 180 Sekunden zeigte sich lediglich um den Ablauf des Waschbeckens ein spontaner Farbumschlag, sonst verliefen die Reaktionen verzögert und waren damit als negativ zu bewerten. Als Ergebnis konnte festgehalten werden, dass eine Wasserdurchlaufzeit von 180 Sekunden mit nur 90-sekündigem Wischen ausreicht, um zu einem negativen Ergebnis der Untersuchung mittels Leukokristallviolett zu führen (Abb. 12). Ein ausbleibender Blutnachweis auf nicht-saugenden Oberflächen bedeutet daher nicht, dass kein Blut vorhanden war, sondern nur, dass keines nachgewiesen wurde. Damit war das Badezimmer als Ort der Leichenzerstückelung keineswegs auszuschließen, sondern es kam durchaus in Betracht.

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MADEA, SCHMIDT, PREUSS, ELENZ

a

b

c

d

Abb. 12: a) Waschbecken nach Einbringen von Blut, b) Waschbecken nach 30 s Wasserdurchlaufzeit, c) positive Leukokristallviolettprobe nach 30 s Wasserdurchlaufzeit, d) verzögerte Leukokristallviolettprobe nach 90 s Wasserdurchlaufzeit.

3. Verfahrensgang In einem ersten psychiatrischen Gutachten wurde das Vorliegen einer schizotypischen Persönlichkeitsstörung bejaht. Eine klassische schizophrene Psychose liege nicht vor. Bereits in der Hauptverhandlung stellte die Verteidigung den Beweisantrag, ein weiteres medizinisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten unter anderem zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass der Angeklagte nicht, wie vom Sachverständigen Dr. X angenommen, an einer Schizophrenia simplex oder einer schizotypen Persönlichkeitsstörung leide, vielmehr seelisch und geistig gesund sei. Die Verteidigung stützte diesen Antrag auf ein von ihr vorgelegtes methodenkritisches Gutachten eines weiteren Sachverständigen, der sowohl formale Mängel des in die Hauptverhandlung eingeführten Gutachtens rügte als auch in inhaltlicher Hinsicht erhebliche Zweifel formulierte, ob die im Gutachten dargelegten Anknüpfungspunkte die von Dr. X vorgenommenen diagnostischen Zuordnungen tragen. Kritisch wurde vor allem gesehen, dass die Prognose des Angeklagten mit einer Krankheit begründet wurde, die zuvor diagnostisch ausgeschlossen wurde. So wurde einerseits das Vorliegen einer schizotypischen Persönlichkeitsstörung bejaht, andererseits sei eine Persönlichkeitsstörung nicht gegeben. Im Hinblick auf die überaus enge Verflechtung der Feststellungen zum Tathergang, zur Motivation des Angeklagten und zu seinem Nachtatverhalten mit denjenigen zu den Voraussetzungen des § 63 StGB forderte der BGH umfassende neue Feststellungen. Nach einem ersten Urteil in dieser Sache hatte sich der Angeklagte eines Mordes gemäß § 211 Abs. 2 StGB schuldig gemacht, da er das Opfer aus niedrigen Beweggründen tötete, um eine andere Straftat (Störung der Totenruhe gemäß § 168 Abs. 1 Alt. 2 StGB) zu ermöglichen. Trotz der festgestellten tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und – wenn auch eingeschränkt – schuldfähigen Begehung des Mordes war der Angeklagte freizusprechen (§ 358 Abs. 2 StPO). Da vom Angeklagten in Folge seines unbehandelten Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien, wurde die Unterbringung nach § 63 StGB angeordnet.

Beweisfragen bei offensiver Leichenzerstückelung

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Dieses Urteil wurde mit Beschluss des BGH vom 12.11.2004 (2 StR 367/04) aufgehoben, da das zugrunde liegende psychiatrische Gutachten in formaler und inhaltlicher Hinsicht nicht den Anforderungen entspreche, die in der Rechtsprechung und forensisch-psychiatrischen wissenschaftlichen Literatur an entsprechende Gutachten gestellt werden (siehe hierzu eine umfassende Anmerkung in [18]). Da ausschließlich die Verteidigung Revision eingelegt hatte und der Angeklagte bereits vom Vorwurf des Mordes freigesprochen war, hätten für den weiteren Verfahrensablauf nicht tragfähige psychiatrische Diagnosen (etwa keine eindeutigen Aussagen zur Schuldfähigkeit bzw. zur Prognose) zur Freilassung des Angeklagten geführt.

4. Ergebnis der Revisionsverhandlung Nach den Feststellungen des Schwurgerichtes, basierend auf der bisherigen Hautpverhandlung, lag beim Angeklagten folgende Tatmotivation zugrunde: „In dieser Nacht kulminierte sein Verlangen, einen Menschen zu schlachten, zu zerteilen und Teile davon zu essen, in dem Entschluss, die als Opfer verfügbare ... zu töten, sich ihren Körper von innen anzusehen und entsprechend seinen Phantasien damit zu verfahren.“ Die in der Revisionsverhandlung gehörten psychiatrischen Sachverständigen kamen auf der Grundlage dieser (unter anderem aus dem Obduktionsbefund abgeleiteten) Tatmotivation zur Diagnose einer krankheitswertigen, bis zum Tatzeitpunkt weitestgehend kompensierten Persönlichkeitsstörung, wobei Merkmale verschiedener Persönlichkeitsstörungen festgestellt werden konnten (schizoide, dissoziale, emotional instabile, aggressiv sadistische, narzisstische Züge). Insgesamt sei ein progredienter Verlauf mit stetiger sozialer Destabilisierung festzustellen. Aus Zeugenaussagen war weiterhin eine abnorme Persönlichkeitsentwicklung ableitbar (mit Anschauen von Menschenschlachtungen in Videos bzw. Horrorfilmen, Quälen und Töten von Tieren, Anzünden eines Vogelnestes, Sprengung von Fröschen mit Knallkörpern). Weiterhin habe der Angeklagte gegenüber Bekannten den Wunsch geäußert, einen Menschen zu schlachten und von innen zu sehen. Die Persönlichkeitsstörung mit dissozialen, sadistischen und narzisstischen Zügen wurde als „schwere andere seelische Abartigkeit“ eingeordnet; eine schizophrene Psychose war auszuschließen. Aufgrund der hochgradig abnormen Tatmotivation, die dem Bereich des Kannibalismus zuzuordnen sei, und des progredienten Verlaufs der Persönlichkeitsstörung mit stetiger sozialer Destabilisierung sei eine die Tat überdauernde Störung anzunehmen. Hiermit korrespondierte auch eine zunehmende Einschränkung des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens im Alltag außerhalb des gegenständlichen Delikts. Auf der Basis dieser Gutachten und der weiteren getroffenen Feststellungen hatte sich der Angeklagte nach Urteil des Revisionsgerichtes eines Mordes gemäß § 211 Abs. 2 StGB schuldig gemacht, denn er habe seine Cousine aus niedrigen Beweggründen getötet sowie um eine andere Straftat, hier die Störung der Totenruhe, zu ermöglichen. Der Angeklagte habe seine Cousine getötet, um sie nach dem Tode zu schlachten, „auszuweiden“ und Teile ihrer Leiche essfertig zuzubereiten. Trotz der festgestellten tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und – wenn auch eingeschränkt – schuldfähigen Begehung des Mordes war der Angeklagte freizusprechen, da gemäß § 358 Abs. 2 StPO das Urteil in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des im ersten Verfahrensgang freigesprochenen Angeklagten abgeändert werden durfte. Da bei zweifelsfreier Feststellung der Voraussetzungen des § 21 StGB aus forensisch-psychiatrischer Sicht aus den Besonderheiten des Tatgeschehens eine fortbestehende Gefährlichkeit abzuleiten sei, wurde die Unterbringung nach § 63 StGB angeordnet.

5. Diskussion Die Leichenzerstückelungen werden in defensive und offensive Begehungsformen eingeteilt [11, 12, 20, 28]. Eine rein defensive Leichenzerstückelung dient im Wesentlichen der Erschwerung der Identifikation des Opfers, eine offensive Leichenzerstückelung mit weitgehender Zerfleischung und Zerstückelung des Opfers erfolgt zum Lustgewinn.

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Nach Z i e m k e [28] ist die offensive Zerstückelung durch 3 Merkmale charakterisiert: – völlig zweck- und regellose Verstümmelung der einzelnen Körperteile; – Verstreuung der Teile in der Nähe des Tatortes ohne Verbergungstendenz; – Fortnehmen von Leichenteilen, aus sexuellen Gründen vor allem der Geschlechtsteile. Die Verletzungen seien meist regel- und ziellos, es lasse sich kein Zerstückelungsplan erkennen. Vielfach sei die Bauchhöhle aufgeschlitzt, Genitale oder Brüste seien ausgeschnitten. Neuerdings wird das bei der Obduktion festgestellte Befundmuster in Kombination mit dem mutmaßlichen Motiv als Kriterium der Einteilung verwendet [10, 11, 21]. Unterschieden werden demnach: – defensive Leichenzerstückelung; – aggressive Leichenzerstückelung; – offensive Leichenzerstückelung, wobei hier zwei Untergruppen unterschieden werden: Entweder ergibt sich die Tötungsmotivation aus der Absicht zur anschließenden Ausführung sexueller Handlungen am toten Körper mit vorausgehender oder nachfolgender Zerstückelung (Typ A) oder infolge einer sexualsadistischen Trieblage werden sexuelle Handlungen mit Zufügen von Schmerzen oder Verletzungen – letztlich bis zur Tötung – ausgeführt und nach Todeseintritt fortgesetzt (Typ B). Der Kannibalismus wird der offensiven Leichenzerstückelung zugeordnet. – Nekrophilie. Nach dem Ergebnis der Obduktion und entsprechend gängiger Klassifizierung war die Leichenzerstückelung im gegenständlichen Fall als eine „offensive“ einzuordnen. Neben einer sexuellen Motivation bzw. sexualsadistischen Trieblage wird dieser Art der Leichenzerstückelung auch der Kannibalismus zugeordnet. Die vollständige Enthäutung des Brustkorbes, anhaftende Reiskörner, Erhitzen der Leichenteile in einem Backofen – nicht etwa zur Zerstörung, sondern als Zubereitung zum Verzehr – deuten klar in diese Richtung. Bereits W i r t h et al. [27] wiesen anhand eines Fallberichtes zu einem kannibalistisch intendierten Tötungsdelikt darauf hin, dass auch bei ihrem als offensive Leichenzerstückelung einzuordnenden Fall zusätzlich Merkmale einer defensiven Zerstückelung nachweisbar waren. Die Qualifizierung von Verstümmelungen als zweck- und regellos sollte grundsätzlich mit Zurückhaltung erfolgen, da sie eher die Sicht des Untersuchers wiedergibt als die des Täters, der gerade derartige Verletzungen intendiert. Nach den Sektionsbefunden und weiteren rechtsmedizinischen Untersuchungen war insgesamt eine Tathandlung mit Tötung des Opfers vermutlich durch Halskompression, mit anschließender Zerstückelung

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im Badezimmer und nachfolgender Reinigung, Exenteration innerer Organe, Enthäutung des Brustkorbes und Zubereitung von Leichenteilen zum Verzehr zugrunde zu legen, auch wenn ein positiver Nachweis des Kannibalismus – etwa durch Untersuchung der Exkremente des Tatverdächtigen – nicht möglich war. Derartige Untersuchungen wurden schon deswegen nicht veranlasst, weil das Intervall zwischen Tötung und Leichenauffindung mehrere Tage betrug. Zwar wurden im vorliegenden Fall auch Gliedmaßen in den Gelenken exartikuliert und der Kopf vom Rumpf abgetrennt, wie man es bei einer rein defensiven Leichenzerstückelung findet, aber auch an diesen Körperteilen wurden über eine rein defensive Leichenzerstückelung hinausgehende Handlungen durchgeführt wie z. B. stumpfe Gewalteinwirkung auf den Schädel, Abschneiden der Haare, Garen der Extremitäten. Zudem war die Leiche, insbesondere im Bereich des kleinen Beckens und der Bauchhöhle, weitgehend „ausgeweidet“. Das „Ausweiden“ stellt einen festen Bestandteil des Schlachtungsvorganges dar und deutet auf ein sexuell-sadistisches Motiv hin [2, 27]. Im Gegensatz zu jüngeren Fallberichten und Übersichten zu kannibalistisch intendierten Tötungsdelikten [1, 2, 23, 27] ließ sich im gegenständlichen Fall der Tatverdächtige weder zur Sache ein noch ließ er sich im Rahmen der Revision psychiatrisch explorieren. Bei fehlender Einlassung zum Tatgeschehen mussten sich die in der Revisionsverhandlung eingeholten differenzierten psychiatrischen Stellungnahmen zu den Voraussetzungen des § 21 StGB sowie zur Gefährlichkeitsprognose u. a. auf die rechtsmedizinische Rekonstruktion des Tatgeschehens stützen. Auch wenn für die Bestimmung der Zeitdauer der Hitzeexposition an den vorgefundenen Leichenteilen naturgemäß nur wenige experimentelle Grundlagen zur Verfügung stehen, war doch zumindest eine begründete Einschätzung der Expositionsdauer möglich. Für den Nachweis latenter Blutspuren mittels Leukokristallviolettprobe konnten orientierende experimentelle Grundlagen geschaffen werden, nach denen das Badezimmer als Ort der Leichenzerstückelung keineswegs auszuschließen war. Hieraus ergaben sich insgesamt Hinweise auf die Art der Tötung, die Art und Motivation der Zerstückelung sowie das weitere Nachtatverhalten, die den psychiatrischen Sachverständigen vom Gericht als Anknüpfungstatsachen vorgegeben wurden. Zusammenfassung Zu den rechtsmedizinischen Aufgaben in Fällen von Leichenzerstückelung gehört neben der Klärung der Identität und der Zuordnung der Leichenteile zu einem/mehreren Individuum/en die Klärung der Todesursache und des Tathergangs. Gerade bei offensiver Leichenzerstückelung können rechtsmedizinische Befunde am Opfer maßgebliche Bedeutung auch für die psychiatrische Beurteilung eines Tatverdächtigen bekommen. In einem Fall von offensiver Leichenzerstückelung, in dem Leichenteile einerseits in einem Steinbruch, andererseits in der gemeinsamen Wohnung des Tatverdächtigen und des Opfers vorgefunden wurden, waren rechtsmedizinische Befunde für die psychiatrische Be-

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gutachtung von großer Relevanz, da der Tatverdächtige sich nicht einließ. In einer ersten Hauptverhandlung, in welcher der psychiatrische Sachverständige bei der Erstattung des rechtsmedizinischen Gutachtens nicht zugegen war, sprach das Landgericht den Angeklagten vom Vorwurf des Mordes frei und ordnete seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Die allein vom Angeklagten eingelegte Revision hatte mit einer Verfahrensrüge Erfolg, da das psychiatrische Gutachten in formaler und inhaltlicher Hinsicht nicht den Anforderungen entsprach, die in der Rechtsprechung und forensisch-psychiatrischen Literatur an solche Gutachten gestellt werden. In einer zweiten Hauptverhandlung, zu der weitere Psychiater als Sachverständige hinzugezogen wurden, war es Aufgabe des rechtsmedizinischen Gutachters, anhand einer möglichst weitgehenden Rekonstruktion eine für die Psychiater verlässliche Tatsachengrundlage zu schaffen, da sich der Angeklagte weder zur Person noch zur Sache einließ und auch nicht explorieren ließ. Die motivationalen und morphologischen Kriterien der rechtsmedizinischen Einordung als offensive Leichenzerstückelung mit kannibalistischem Hintergrund werden diskutiert. Ergänzend werden einige der aufgeworfenen Fragen, etwa zum Nachweis von Blutspuren auf nicht saugenden Oberflächen mittels Leukokristallviolett sowie zur Dauer der Hitzeexposition der thermisch geschädigten Leichenteile auf Basis von Vergleichsuntersuchungen beantwortet. Schlüsselwörter: Leichenzerstückelung – Kannibalismus – Hitzeeinwirkung, postmortale Unusual questions of evidence in a case of offensive post-mortem dismemberment Summary In cases of post-mortem dismemberment, the main medicolegal task apart from the identification and assignment of body parts to one or several individuals is the determination of the cause of death and the course of events. Notably in cases of offensive postmortem dismemberment, the medicolegal findings on the victim may be of special importance also for the psychiatric evaluation of the suspect. In a case of offensive post-mortem dismemberment, parts of the body were found in a stone quarry and in the apartment where the victim and the suspect had lived together. Since the suspect refused to make a statement, the medicolegal findings were of great relevance for the psychiatric evaluation. In the first trial, in which the psychiatric expert was not present when the forensic pathologist gave his opinion, the Regional Court acquitted the suspect of murder and committed him to a psychiatric hospital. The accused successfully appealed on points of law, as the form and content of the psychiatric expert opinion did not comply with the requirements of procedural law and the forensic psychiatric state of the art. In a second trial, additional psychiatric experts were summoned. In that hearing, the task of the medicolegal expert was to reconstruct the course of events as far as possible to create a reliable basis for the psychiatric evaluation, as the suspect refused to make a statement both with regard to his personal circumstances and the facts of the case and did not agree to a psychiatric exploration either. The motivational and morphological criteria of the medicolegal classification as offensive post-mortem dismemberment with a cannibalistic background are discussed. In addition, some issues to be answered such as the detection of bloodstains on nonporous surfaces by means of leucocrystalviolet and the time of heat exposure of burned body parts are dealt with. Keywords: Post-mortem dismemberment – Cannibalism – Post-mortem effects of heat Literatur 1. B a y e r , K. (2007): Sexueller Kannibalismus. Sexualwissenschaftliche Analyse der Anthropophagie. Urban u. Fischer (München) 2. B e n e c k e , M. (2004): „Schlachtungs“-Handlungen in sado-masochistischem Umfeld. Kriminalistik 58: 322-324

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3. B o h n e r t , M., R o s t , F., P o l l a k , S. (1998): The degree of destruction of human bodies in relation to the duration of fire. Forensic Sci. Int. 95: 11-21 4. G i r o d , H. (1975): Tötungsdelikte mit Opferbeseitigung – ein Beitrag zur kriminalistischen Untersuchungsmethodik von vorsätzlichen Tötungsstraftaten. Jur. Diss., Berlin 5. G i r o d , H. (1977): Einige phänomenologische und untersuchungsmethodische Besonderheiten der Tötungsdelikte mit Opferbeseitigung. Kriminal. Forens. Wiss. 29: 8391 6. G u b e l t , A. (1972): Eine Gegenüberstellung vitaler und postmortaler Verbrennungsphänomene an der Haut. Med. Diss., Aachen 7. H e n t i n g , H., K l e i n , V. (1957): Zwei Morde auf kannibalistischer Grundlage. Kriminalistik 11: 10-12 8. K n e c h t , T. (2004): Kannibalismus. Grundlagen zum Verständnis einer menschlichen Verirrung. Kriminalistik 58: 489-494 9. K n e c h t , T. (2005): Kannibalismus als Tötungsmotiv. Der Kriminalist 37: 69-70, 127129 10. L i g n i t z , E. (2004): Leichenbeseitigung, Leichenzerstückelung, Leichenverstümmelung. In: Brinkman, B., Madea, B. (Hrsg.): Handbuch Gerichtliche Medizin Bd. 1, Springer (Berlin, Heidelberg, New York), S. 211-225 11. L i g n i t z , E. (2007): Leichenbeseitigung und Leichenzerstückelung. In: Madea, B. (Hrsg.): Praxis Rechtsmedizin, 2. Aufl., Springer (Berlin, Heidelberg, New York), S. 217-220 12. M a d e a , B. (1992): Branddauer und Verkohlungsgrad einer Brandleiche. Arch. Kriminol. 189: 39-47 13. M a d e a , B. (1994): Leichenzerstückelung mit ungewöhnlicher Konservierung der Leichenteile. Arch. Kriminol. 193: 72-78 14. M a d e a , B., D r i e v e r , F. (2000): Leichenzerstückelung durch Kettensäge. Arch. Kriminol. 205: 75-81 15. M a d e a , B., S c h m i d t , P. (2004): Hitze. In: Brinkmann, B., Madea, B. (Hrsg.): Handbuch Gerichtliche Medizin Bd. 1, Springer (Berlin, Heidelberg, New York), S. 839-874 16. M a d e a , B., S c h m i d t , P. (2007): Hitze: Lokale Hitzeschäden, Verbrennungen und Verbrühungen. In: Madea, B. (Hrsg.): Praxis Rechtsmedizin. 2. Aufl., Springer (Berlin, Heidelberg, New York), S. 175-185 17. M o r i t z , A. R. (1947): Studies of thermal injury III. The pathology and pathogenesis of cutaneous burns. An experimental study. Am. J. Path. 23: 915-941 18. N e d o p i l , N. (2005): Anmerkung zum Beschluss des BGH vom 12.11.2004 – 2 StR 367/04. Zu den Anforderungen an ein psychiatrisches Sachverständigengutachten über die Schuldfähigkeit des Angeklagten und die Voraussetzungen seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie zu den Prüfungsanforderungen an das Gericht bei Vorliegen eines methodenkritischen Gegengutachtens. JR H. 5/05, 213-217 19. P a t z e l t , D., B a u r , M. P., B e r t r a m s , J. (2003): Forensische Serologie / Hämogenetik. In: Madea, B., Brinkmann, B. (Hrsg.): Handbuch gerichtliche Medizin Bd. 2. Springer (Berlin, Heidelberg, New York), S. 991-1115 20. P ü s c h e l , K., K o o p s , E. (1987): Zerstückelung und Verstümmelung. Arch. Kriminol. 180: 28-40, 88-100 21. R a j s , J., L u n d s t r ö m , M., B r o b e r g , M. (1997): Criminal mutilation of the human body in Sweden – a 30-year medico-legal and forensic psychiatric study. J. Forensic Sci. 43: 563-580 22. R i c h a r d s , N. F. (1977): Fire investigation – destruction of corpses. Med. Sci. Law 17: 79-82

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23. R i ß e , M. (2007): Abendmahl der Mörder. Militzke Verlag (Leipzig) 24. S a c h s , H. (1973): Untersuchungen über akut schädigende Wärmestrahlung auf die Leichenhaut. Med. Diss., Aachen 25. S c h m i t t , C., M a d e a , B., P r i n z , M. (1995): Leichenzerstückelung mit sequentieller Auffindung und Zuordnung der Leichenteile. Arch. Kriminol. 196: 129-137 26. S c h w a r z , L., H e r m a n o w s k i , M. L. (2009): Carbamid-Peroxid als Wasserstoffperoxidquelle für die Luminolanwendung am Tatort. Arch. Kriminol. 223: 73-83 27. W i r t h , I., S c h m e l i n g , A., H a r t w i g , S. (2008): Kannibalistisch intendiertes Tötungsdelikt nach Medienvorbild. Arch. Kriminol. 222: 52-63 28. Z i e m k e , E. (1918): Über die kriminelle Zerstückelung von Leichen und die Sicherstellung ihrer Identität. Vierteljahresschr. Gerichtl. Med. 56: 270-318 Anschrift für die Verfasser: Prof. Dr. med. Burkhard Madea c/o Institut für Rechtsmedizin der Universität Bonn Stiftsplatz 12 D-53111 Bonn

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Zeitschriften-Rundschau der kriminalist, Düsseldorf, Heft 11/2009 – B o d e : Tatort 2.0 – Herausforderungen des Internets. J a c o b y : Kindesmisshandlung und -vernachlässigung – RISKID (RIsiko-Kinder-Informations-Datei), – ein „Stolperstein“ für Risikoeltern, – ein „Baustein“ im Frühwarnsystem. E h r m a n n : Vielzahl von toten und misshandelten Kindern in Deutschland offenbart dramatische Lücken der inneren Sicherheit – Laudatio für die Verleihung des „Bul le mérite“ an EKHK Heinz Sprenger und Kinderarzt Dr. Kownatzki, Duisburg. S c h a a p : Zwei Halbzeiten in wechselnden Vereinen – 40 Jahre Kripodienst in Volkspolizei und Landespolizei – Teil 2. Die Polizei, Köln, Heft 11/2009 – J a n k e r : Die »neue« StVO – Wichtige Änderungen zum 1. September 2009. H e r m e s : Das Aufenthaltsverbot gemäß § 34 II PolG NRW – scharfes Schwert oder zahnloser Tiger? H o f f m a n n - H o l l a n d u. K ü h l : Beschwerdemanagement – Ergebnisse einer Berliner Studie. J a s c h k e u. K o c k : Aktuelle Forschungen zu rechtsextremen Einstellungen in Deutschland. R o t z i n g e r : Der Einsatz Natogipfel 2009 aus der Sicht des Polizeiführers der BAO Atlantik – Konzeption und Erfahrungen. W a l t e r : Und noch eine Erwiderung oder Die endlose Geschichte vom finalen Rettungsschuss. Heft 12/2009 – W a l t e r : Die Reform der Reformen – Anmerkungen zur Entwicklung des Bundesgrenzschutzes zur Bundespolizei und deren Neuorganisation. K r a e n z : Strafverfolgungsrisiken für Journalisten – Zum strafrechtlichen Persönlichkeitsschutz im Rahmen der Bildnisschutz- und Stalkingproblematik. S c h e i d l e r : Segways – Eine neue Form der Fortbewegung und ihre Rechtsgrundlagen. S c h i e f e r : Verabschiedung des Studiengangs 2007/2009 an der DHPol. Heft 1/2010 – G i n t z e l : Beabsichtigte Länderversammlungsgesetze – ein vermeidbares Ärgernis. W i l h e l m : Aktuelle Gesetzesänderungen im Strafverfahrensrecht. S t i c h e r : Monster oder Menschen? T e u f e l : Aus dem Tagebuch eines Gendarmen: – Das Kgl. Hannover’sche Landgendarmeriekorps in den Jahren 1838–1847. Juristische Rundschau, Berlin, Oktober 2009 – J o o ß : Mängelgewährleistungsansprüche bei einem Vertrag mit sog. Ohne-Rechnung-Abrede. B r o d o w s k i : Strafprozessualer Zugriff auf E-Mail-Kommunikation. November 2009 – F i n g e r : Internationale Kindesentführung. K ö l b e l u. S e l t e r : ACHTUNG: Absprache! Zur Transparenz strafprozessualer Verständigung. Z a b e l : Terrorgefahr und Gesetzgebung. Kriminalistik, Heidelberg, Heft 11/2009 – D e r n : Sexuell assoziierte Tötungsdelikte an Kindern, Teil 1. N i s s e : Kindeswohlgefährdung und Maßnahmen der Polizei. H e r m a n u t z u. A d l e r : Strukturierte Kindervernehmung mit der Bildkartenmethode. K l u g e u. S t i e r m a n n : Die Etablierung eines indikatorgetriebenen Ansatzes im strategischen Management des BKA. S c h a u p et al.: „Intelligente Videoanalyse“ zur Detektion sicherheitsrelevanter Ereignisse. S c h n e i d e r : Kriminologie in Europa und in der Welt, Teil 1. B ü n z : Der bewaffnete Personenschutz durch Bewachungsunternehmen. E g g l e r : Die Befragung von kindlichen Zeugen. O e r t l e : Die Befragung von Kindern im Strafverfahren. Heft 12/2009 – D e r n : Sexuell assoziierte Tötungsdelikte an Kindern, Teil 2. S c h ö n l e b e r : Raubgräberei. E s c h : Massendatenanalyse in der Praxis. A n d r o u l a k i s : Das Submissionskartell. S c h n e i d e r : Kriminologie in Europa und in der Welt. B u s c h m a n n et al.: Coma blister als kutane Manifestation einer überlebten Benzodiazepin-Intoxikation. S e i b t : Handschriftenuntersuchung. B r e n n e i s e n u. M a r t i n s : Die Privatrechtsklauseln des allgemeinen Polizeirechts. S p ö r r i : Crime Mapping und das „Internet der Dinge“.

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Zeitschriften-Rundschau

Versicherungsmedizin, Karlsruhe, Heft 4/2009 – R e g e n a u e r : Gendiagnostikgesetz: Mit vielen Fragezeichen ins neue Jahr. W i l d : Die Arzneimittelausgaben älterer Menschen in der privaten Krankenversicherung. E r l e r et al.: Gibt es Zusammenhänge zwischen der Quecksilberbelastung durch Amalgamfüllungen und Ergebnissen testpsychologischer Fragebogen-Untersuchungen? B u r k h a r d u. K i t t e l : Die „bildschaffenden“ Methoden der anthroposophischen Medizin (II). R a s c h k a et al.: Sportunfallerhebung der Nicht-BGFälle einer chirurgischen Abteilung eines ehemaligen Kreiskrankenhauses über den Zeitraum von zwei Jahren. Polizei & Wissenschaft, Frankfurt, Heft 4/2009 – T r a p p e : Ethik des Lehrens. H a g l et al.: Posttraumatische Belastungsstörung nach Verkehrsunfällen. K u s c h e w s k i : Polizei und Bevölkerungsschutz. F r e i s e u. M e i ß n e r : Effektive Netzwerkgovernance oder oktroyierte Kooperation? Verkehrsordnungspartnerschaften in Nordrhein-Westfalen. B o r n : Kommunale Kriminalprävention in Berlin – Eine kritische Bestandsaufnahme. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, Köln, Heft 5/2009 – H i r t e n l e h n e r et al.: Die problematische Beziehung von Opfererfahrungen und Sicherheitsgefühl. Überprüfung einer kognitiven Viktimisierungs-Furcht-Theorie. E i c h i n g e r : Kontrollierte Vaterschaft im Maßregelvollzug. Die Beeinflussung von Vätern und deren Vaterbild durch verschiedene Kontrollinstanzen. F i n s z t e r u. K o r i n e k : Polizeiwissenschaften. Strukturen des polizeilichen Berufs am Beispiel ungarischer Entwicklungen. v . F r a n q u é et al.: Kausalitätsmodelle zum Zusammenhang zwischen aggressivem Verhalten, Viktimisierung und versuchter Selbsttötung sowie relevante Risikofaktoren aus Sicht forensischer Patienten. S c h n e i d e r : Die gegenwärtige Situation der US-amerikanischen Kriminologie. Die Jahrestagung der »American Society of Criminology (ASC)« in Atlanta/Georgia 2007 und in St. Louis/Missouri 2008. Bilanz der ersten acht Jahrestagungen der ASC im 21. Jahrhundert. Rechtsmedizin, Heidelberg, Heft 6/2009 – P ü s c h e l : Quo vadis „ärztliche Leichenschau“? D e t t m e y e r u. V e r h o f f : Ärztliche Leichenschau in Deutschland. Rechtsgrundlagen. M a d e a : Strukturelle Probleme bei der Leichenschau. R o t h s c h i l d : Probleme bei der ärztlichen Leichenschau. Sicht der niedergelassenen Ärzte, der Klinikärzte, der Notärzte und der Polizei. G r o ß e P e r d e k a m p et al.: Äußere Leichenschau. Untersuchung mit begrenzten Erkenntnismöglichkeiten. F i e s e l e r et al.: Ärztliche Leichenschau im Großraum München. A l t h a u s u. F r e i s l e d e r e r : Stichverletzungen. Missinterpretation als Ösophagusvarizenblutung. Z w e i h o f f u. P ü s c h e l : Statt „Herzstillstand“ und „natürliche Todesart“ war es Erdrosseln. M e k o t a et al.: Identifying starvation episodes using stable isotopes in hair. Forensic approach on serial hair analysis. V e r h o f f et al.: Geschlechtsdiskriminierung an 3D-rekonstruierten Gesichtern aus CT-Datensätzen. J a c h a u u. M u s s h o f f : „Beweissichere“ Atemalkoholanalytik in Deutschland.

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Buchbesprechungen R o t e r m a n n , Ina / K ö h l e r , Denis / H i n r i c h s , Günter: Legalbewährung jugendlicher und heranwachsender Sexual- und Gewaltstraftäter. Eine Studie zur prädiktiven Validität von Risikound Schutzfaktoren – Frankfurt/Main (Verlag für Polizeiwissenschaft) 2009 – 153 S. br. Die vorliegende Studie befasst sich mit den Risikofaktoren, die schon seit längerem als empirisch fundierte Variablen für die Einschätzung der Legalprognose bei jugendlichen und heranwachsenden Straftätern in den Blick genommen werden. Dabei werfen die Heterogenität von Delinquenz und die multikausale Verknüpfung von Risiko- und Schutzfaktoren über den Entwicklungsverlauf die Frage auf, ob unterschiedliche Variablen, wie differentielle Entwicklungspfade, Risiko- und Schutzfaktoren, die Legalbewährung von jungen Straftätern vorhersagen können. In der Studie werden diese Variablen hinsichtlich der prädiktiven Validität anhand von 153 jugendforensischen Gutachten über Gewalt- und Sexualstraftäter prospektiv untersucht. Ernüchternd zeigen die Ergebnisse, dass der größte Teil der Straftäter auch nach der Bezugstat weiterhin straffällig bleibt und dass rückfällige Sexual- und Gewaltstraftäter in ihrem Entwicklungsverlauf mit vielfältigeren Risikofaktoren konfrontiert waren als diejenigen Straftäter, die ihr delinquentes Verhalten wieder beendeten. Im Vergleich mit den nichtrückfälligen Straftätern entwickelte sich bei den Wiederholungstätern das delinquente Verhalten schon in der Kindheit, das sich bis zur Adoleszenz fortsetzte. Weiterhin unterstützen die Befunde die Annahme, dass weniger einzelne Risikofaktoren in der Entwicklung wichtig sind, sondern erst die Kumulation und die Wechselwirkungen vieler biologischer, sozialer und psychologischer Risiken die Wahrscheinlichkeit einer persistierenden delinquenten Entwicklung erhöht. Auch bestätigte der Vergleich der protektiven Faktoren von rückfälligen und von legalbewährten Sexual- und Gewaltstraftätern, dass neben den bekannten Risikofaktoren besonders die Schutzfaktoren in der Entwicklung von Jugendlichen und Heranwachsenden von Bedeutung sind. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass protektive Faktoren bei Risikoeinschätzungen, Behandlungsprognosen und Interventionsmaßnahmen unbedingt berücksichtigt werden müssen, zumal sie offenbar wesentlich zu einer straffreien Entwicklung beitragen und somit die Prognose von jungen Straftätern verbessern. Dr. Michael Soiné

M e y e r - G o ß n e r , Lutz: Strafprozessordnung. Gerichtsverfassungsgesetz, Nebengesetze und ergänzende Bestimmungen – 52., neu bearb. Aufl. – Beck’sche Kurz-Kommentare Bd. 6 – München (C. H. Beck) 2009 – 2258 S. geb. Der vorliegende Klassiker unter den Handkommentaren zur StPO, der zum zweiten Mal unter der Mitarbeit von Richter am BGH Jürgen Cierniak erscheint, überzeugt, um es vorweg zu nehmen, auch in seiner 52. Auflage (zur Vorauflage s. Arch. Kriminol. 222: 214, 2008) als unverzichtbare Arbeitshilfe zum Strafprozessrecht – ohne Wenn und Aber. Insgesamt hat das Werk 66 Seiten an Umfang gewonnen und der Preis ist gegenüber der letzten Auflage um 2 € gestiegen. Diejenigen Teile, die Cierniak in der Neuauflage bearbeitet hat, sind auf der Rückseite des Titelblattes abgedruckt. Die topaktuelle Neuauflage, die in einem Ergänzungsheft das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 28. Mai 2009 berücksichtigt und vereinzelt gegenüber der Vorauflage geänderte Ansichten vertritt, befindet sich ansonsten hinsichtlich Gesetzgebung, Rechtsprechung und Schrifttum durchgängig auf dem Bearbeitungsstand vom 1. April 2009. Zum Teil wurden auch danach ergangene Entscheidungen und später er-

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schienenes Schrifttum eingearbeitet. Neben zahlreichen Gesetzesänderungen wurde eine Fülle neu erschienenen strafverfahrensrechtlichen Schrifttums ausgewertet wie beispielsweise die Festschriften für Knut Amelung, Ulrich Eisenberg, Gerhard Fezer, Rainer Hamm, Rolf Dietrich Herzberg, Egon Müller, Rainer Paulus, Manfred Seebode und Gunter Widmaier. Berücksichtigt wurden ferner z. B. die 2008 erschienene 6. Auflage des von Rolf Hannich herausgegebenen Karlsruher Kommentars zur StPO, die neu erschienenen Bände 2 und 5 der 26. Auflage des Löwe-Rosenberg (§§ 48–93 StPO und §§ 151–212b StPO), der KMR bis zur 52., der Systematische Kommentar bis zur 60. Lieferung und der im Jahr 2008 erschienene, von Dölling, Duttge und Rösner herausgegebene Handkommentar Gesamtes Strafrecht. Wie bereits in der Vorauflage wird der Leser im Vorwort darauf aufmerksam gemacht, dass er unveröffentlichte – nur mit dem Aktenzeichen und dem Entscheidungsdatum zitierte – Entscheidungen des BGH im Volltext auf der Internet-Seite des Gerichts nachlesen kann. Darüber hinaus wird von den Hunderten verarbeiteten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesgerichtshofs, der Oberlandesgerichte und der Instanzgerichte auf zwei praktisch und theoretisch besonders bedeutsame Entscheidungen des Bundesgerichtshofs hingewiesen: auf den Beschluss des Ersten Strafsenats vom 23. September 2008 (1 StR 484/08) zur Festsetzung einer richterlichen Frist zur Stellung von Beweisanträgen und auf das Urteil des 4. Strafsenats vom 18. Dezember 2008 (4 StR 455/08) zur erforderlichen „qualifizierten Belehrung“ eines zuvor zu Unrecht als Zeuge vernommenen Beschuldigten, jeweils mit hilfreichen Verweisen auf die Fundstellen im Kommentar. Dr. Michael Soiné

K a r s t , Sandra: Die Entkriminalisierung des § 173 StGB – Europ. Hochschulschr. Reihe II Bd. 4819 – Frankfurt/Main u.a. (Peter Lang) 2009 – 243 S. br. Die vorliegende Konstanzer rechtswissenschaftliche Dissertation aus dem Jahr 2008 befasst sich mit dem Phänomen des Inzests. Einer ausführlichen Erläuterung des Inzestbegriffs, der von vielen wissenschaftlichen Disziplinen verwendet wird, folgt ein rechtshistorischer Überblick über die Entstehung des heutigen § 173 StGB. Daran schließt sich eine rechtsvergleichende Betrachtung an, bei der untersucht wird, ob und gegebenenfalls warum (nicht) der Inzest in anderen Staaten unter Strafe steht. Im dritten Kapitel widmet sich Karst der Frage nach der Herkunft sowie Sinn und Zweck des Inzestverbots; im folgenden Kapitel wird zunächst der Tatbestand des § 173 StGB näher analysiert, anschließend folgt eine ausführliche Darstellung der §§ 174 ff. StGB und eine Klärung ihres Verhältnisses zu § 173 StGB. Im fünften Kapitel wird eine kritische Analyse der von Gesetzgeber, Literatur und Rechtsprechung angenommenen Rechtsgüter, zu deren Schutz § 173 StGB bestimmt sein soll, vorgenommen. Gegen Ende dieses Kapitels geht Karst auf die Frage ein, ob es für die Legitimation der Norm ausreichen kann, dass ein durch den Inzest betroffenes Rechtsgut gefunden wird. Dabei geht es um die Strafbegrenzungsfunktion der Rechtsgutslehre, die gegenwärtig starker Kritik ausgesetzt ist. Im folgenden Kapitel wird die Frage nach einer Legitimation strafrechtlicher Normen für den Fall untersucht, dass kein taugliches Rechtsgut im Sinne der Rechtsgutslehre gefunden werden kann, und im siebten Kapitel erfolgt eine Überprüfung des § 173 StGB in verfassungsrechtlicher Hinsicht. Hier untersucht Karst, in welche Grundrechte durch die Verhaltensnorm möglicherweise eingegriffen wird und ob ein solcher Eingriff in verfassungskonformer Weise zu rechtfertigen ist. Das Schlusskapitel fasst die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit zusammen. Können hier nicht alle Ergebnisse der lesenswerten Dissertation vorgestellt werden, so soll zumindest darauf hingewiesen werden, dass Karst zu dem erstaunlichen Ergebnis gelangt, dass § 173 StGB unverhältnismäßig und deshalb verfassungswidrig sei. Dieser Befund dürfte nicht nur in der Strafrechtswissenschaft auf Interesse stoßen, sondern könnte auch bei geplanten Gesetzesänderungen im Sexualstrafrecht Berücksichtigung finden. Dr. Michael Soiné

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J o e c k s , Wolfgang / M i e b a c h , Klaus (Hrsg.): Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 6/2: Nebenstrafrecht III, Völkerstrafgesetzbuch – München (C. H. Beck) 2009 – 810 S. Ln. Die vorliegende Neuerscheinung des Münchener Kommentars (Bandredakteur: Prof. Dr. Otto Lagodny) enthält eine aktuelle und umfangreiche Kommentierung zu den strafrechtlichen Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes, des Freizügigkeitsgesetzes und des Asylverfahrensgesetzes. Die gut verständlich geschriebenen Erläuterungen zu diesen Gesetzen unterscheiden sich von den gängigen ausländerrechtlichen Kommentaren insofern, als Letztere meist nur die verwaltungsrechtliche Sicht darstellen. Des Weiteren beinhaltet der Band eine ausführliche Kommentierung zum Völkerstrafgesetzbuch. Neben den Straftaten gegen das Völkerrecht (Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen gegen Personen, Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte, Kriegsverbrechen gegen humanitäre Operationen und Embleme, Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Methoden und Mittel der Kriegsführung u. a.) werden der Anwendungsbereich des Völkerstrafgesetzbuches sowie die Frage der Schuld bei Handeln auf Befehl oder Anordnung ausführlich und instruktiv beleuchtet. Schließlich enthält der Band eine aktuelle und praxisrelevante Kommentierung des Wehrstrafgesetzes sowie des Einführungsgesetzes zum Wehrstrafgesetz. Zusammenfassend kann das vorliegende Werk, das die angesprochenen und in der Praxis bedeutsamen Teile des Nebenstrafrechts behandelt, sich dabei ausführlich mit der aktuellen Rechtsprechung und der einschlägigen Literatur auseinander setzt und – soweit angezeigt – realitätsnahe Lösungsvorschläge unterbreitet, allen mit dem Strafrecht Befassten, insbesondere Straf- und Verwaltungsrichtern, Staatsanwälten sowie Rechtsanwälten und Verwaltungsjuristen zur Lektüre empfohlen werden. Dr. Michael Soiné

W e i n r i c h , Christoph: Statusmindernde Nebenfolgen als Ehrenstrafen im Sanktionensystem des StGB – Gießener Schriften zum Strafrecht und zur Kriminologie, Bd. 30 – Baden-Baden (Nomos) 2009 – 224 S. br. Die vorliegende Arbeit, die sich mit den strafrechtlichen Ehrenstrafen auseinander setzt, wurde im Wintersemester 2008/09 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der JustusLiebig-Universität Gießen als Dissertation angenommen. Zu Beginn befasst sich Weinrich eingehend mit den hier besonders interessierenden Begriffen Ehre und Strafe nach dem Strafrecht und untersucht diese auch im geschichtlichen Kontext. Im Ergebnis stellt er fest, dass das StGB mit der Vorschrift des § 45 und der Urteilsbekanntgabe weiterhin Ehrenstrafen enthält, wobei diese nach seinem Befund in der derzeitigen Form gesetzgeberische Fehlgriffe sind, deren umstrittene Kategorisierung vor allem auf ihre unehrliche Bezeichnung zurückgeht. Eine vollkommene Abschaffung derartiger Sanktionen hält er dabei vor allem im Bereich des Entzugs des aktiven Wahlrechts, des passiven Wahlrechts und der Urteilsbekanntgabe gegenüber natürlichen Personen für wünschenswert und kriminalpolitisch sinnvoll. Nach Weinrichs Befund hat die Urteilsbekanntgabe nicht zuletzt deswegen einen demütigenden Charakter, weil sie innerhalb des StGB geregelt ist und die Demütigung ihre einzige vergeltende Wirkung sein kann. Da das Zivilrecht bei Angriffen auf die persönliche Ehre eine weit effektivere Handhabe für ein entsprechendes Vorgehen liefert, sollte § 200 StGB nach seiner Ansicht ersatzlos gestrichen werden. Hingegen hält Weinrich die Statusfolge der Aberkennung der Amtsfähigkeit im StGB für gut platziert, wobei er es dennoch für wünschenswert hält, die Automatik der Sanktion durch eine fakultative Regelung zu ersetzen, nicht zuletzt, um die Resozialisierung solcher Straftäter zu erleichtern, die für ihren Wirkungskreis keine Gefahr darstellen. Hierzu unterbreitet er einen bedenkenswerten Vorschlag für eine Neuformulierung des § 45 StGB, der nach seiner Ansicht als Maßregel auszugestalten wäre. Dies würde die Reform des Sanktionenrechts aus dem Jahr 1969 fortsetzen, die andere ehemals als Strafen ausgestaltete Sanktionen ebenfalls in den Bereich der Maßregel verlagert hat. Dr. Michael Soiné

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E r b s , Georg / K o h l h a a s , Max: Strafrechtliche Nebengesetze mit Straf- und Bußgeldvorschriften des Wirtschafts- und Verwaltungsrechts – Beck’sche Kurzkommentare Bd. 17 – München (C. H. Beck) 2009 – 175. Ergänzungslieferung (Stand: Mai 2009), 670 S.; 176. Ergänzungslieferung (Stand: Juli 2009), ca. 820 S. Die 175. Ergänzungslieferung enthält aus dem Bereich des Pflanzenschutzrechts die Bienenschutzverordnung und die Verordnung zur Bekämpfung der San-José-Schildlaus, aus dem Bereich des Tierschutzrechts das Legehennenbetriebsregistergesetz und das Hufbeschlagsgesetz. Eine Überarbeitung erfuhr ferner das gesamte Gentechnikrecht mit dem Gentechnikgesetz, der Gentechnik-Sicherheitsverordnung, der Gentechnikaufzeichnungsverordnung und der Gentechnik-Verfahrensverordnung. Umfangreich überarbeitet wurden darüber hinaus die Gewerbeordnung und das Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote. Die 176. Ergänzungslieferung beinhaltet die Überarbeitungen des Asylverfahrensgesetzes, der Düngeverordnung, der atomrechtlichen Sicherheitsbeauftragten- und Meldeverordnung, der Fertigpackungsverordnung, der Buß- und Verwarnungsgeldkataloge Güterkraftverkehrsgesetz und Fahrpersonalrecht, der Anzeigenverordnung zum Kreditwesengesetz, des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes, der Altfahrzeugverordnung, des Zollverwaltungsgesetzes und der Zollverordnung sowie der Weinverordnung, der Weinüberwachungsverordnung und der Verordnung zur Durchsetzung des gemeinschaftlichen Weinrechts. Die beiden Ergänzungslieferungen sind wiederum topaktuell, zumal die praxiserprobten Autoren – wie gewohnt – bedeutsame Gerichtsentscheidungen und, soweit möglich, neue Literatur verarbeitet haben. So ist der „Erbs/Kohlhaas“ auch weiterhin für Strafrichter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte, Verwaltung, Polizeibehörden, Zoll, Unternehmen und Verbände ein unentbehrlicher Ratgeber für die tägliche Arbeit. Dr. Michael Soiné

M ö l d e r s , Simone: Bestechung und Bestechlichkeit im internationalen geschäftlichen Verkehr – Zur Anwendbarkeit des § 299 StGB auf Sachverhalte mit Auslandsbezug – Schriften zum Strafrecht und Strafprozessrecht, Bd. 101 – Frankfurt/Main (Peter Lang) 2009 – 278 S. geb. Die stetig wachsende Globalisierung führt zu einer verstärkten grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeit. Diesem positiven Aspekt folgt als negative Begleiterscheinung aber auch eine Zunahme der Korruption im internationalen Wirtschaftsverkehr. Geboten sind deshalb einerseits eine intensivere internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Korruption und andererseits ein Ausleuchten der nationalen Möglichkeiten zur Bekämpfung einschlägiger Delikte mit Auslandsbezug. Der letzteren wichtigen Problematik widmet sich die bei Prof. Dr. Martin Böse entstandene Bonner Dissertation „Bestechung und Bestechlichkeit im internationalen geschäftlichen Verkehr“ von Simone Mölders. Schwerpunkte der Arbeit sind die Konkretisierung des Rechtsgutes des § 299 StGB und die Auslegung des internationalen Strafanwendungs- und Geltungsbereichsstrafrechts der §§ 3 ff. StGB. In einem einleitenden Kapitel zum Begriff „Wirtschaftskorruption“ und zu den Bekämpfungsansätzen bietet die Verfasserin erfreulicherweise eine prägnante Darstellung der internationalen Maßnahmen zur Bekämpfung von Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr. Anschließend gibt sie einen knappen, für die weitere Untersuchung grundlegenden Überblick über das internationale Strafrecht. Die folgenden Kapitel behandeln rechtsdogmatische Überlegungen zur Lehre vom Rechtsgut, die Konkretisierung der Rechtsgüter des § 299 StGB und schließlich die Einordnung des Straftatbestandes in

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die Systematik des internationalen Strafrechts. Mölders schließt sich der herrschenden Auffassung an und stuft § 299 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt ein. Geschützt werde allein die „Institution Wettbewerb als Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft“ (S. 240) und seit der Einführung des insofern klarstellenden § 299 Abs. 3 StGB auch der ausländische Wettbewerb. Richtigerweise lehnt die Verfasserin eine teleologische Reduktion der Vorschrift dahingehend ab, dass Bestechungshandlungen mit Bezug zum ausländischen Wettbewerb dann nicht vom Schutz des § 299 Abs. 3 StGB erfasst werden, wenn die Schmiergeldzahlungen in einem Land erfolgen, in dem sie zum allgemein üblichen Geschäftsgebaren gehören. Fälle mit Auslandsbezug könnten insbesondere dann nach § 299 StGB bestraft werden, wenn die Tathandlung auf deutschem Boden stattfinde oder von einem Deutschen im Ausland vorgenommen werde. Zusammenfassend ist festzustellen, dass Simone Mölders eine präzise Ausarbeitung der Anwendbarkeit des § 299 StGB auf Sachverhalte mit Auslandsbezug gelungen ist. Literatur und Rechtsprechung finden sich auf aktuellem Stand. Unter anderem wurde auch das BGH-Urteil im Zusammenhang mit der Siemens-Korruptionsaffäre vom 29. August 2008 eingearbeitet. Das Buch ist jedem an der Korruptionsbekämpfung Interessierten sehr zu empfehlen, insbesondere auch dem Gesetzgeber, sollte er sich nach 2002 zu einer weiteren Änderung des § 299 StGB entschließen. Prof. Dr. Andreas Peilert

B r ü c k n e r , Michael / P r z y k l e n k , Andrea: Kursbuch Datenschutz. Der Ratgeber gegen den Röntgenblick – Murnau a. Staffelsee (Mankau Verlag) 2009 – 285 S. br. Der Bürger als Teil der modernen und vernetzten Informationsgesellschaft muss sich darüber im Klaren sein, dass seine persönlichen Daten wie z. B. Konsumgewohnheiten, Vermögensverhältnisse, Weltanschauung und persönliche Vorlieben für Behörden, Banken, Versicherungen, Versandhäuser, Marktforscher, Telekommunikationsdienstleister, aber auch für Privatpersonen aus unterschiedlichen Gründen von Interesse sind. Dass Teile der Informationsgesellschaft dieses Wissen mitunter missbräuchlich und teilweise sogar strafrechtswidrig nutzen, zeigen die in den letzten Jahren bekannt gewordenen Datenskandale. Auch liegt die Vermutung nahe, dass die von den Medien aufgegriffenen und veröffentlichten Berichte nicht alle tatsächlich stattgefundenen Datenmissbräuche erfassen, und ob die (behördlichen) Datenschützer jedem Vorwurf auch wirklich bzw. mit derselben Intensität nachgehen, soll hier nicht vertieft werden. Erfreulich ist vor diesem teils düsteren Hintergrund das Erscheinen des „Kursbuches Datenschutz“, das dem interessierten Leser in leicht verständlicher Sprache vermittelt, warum er mit seinen persönlichen Daten sorgsam umgehen sollte. Hier wird weniger der Jurist in der Leserschaft angesprochen, da es auch nicht das Anliegen des Buches ist, einzelne datenschutzrechtliche Probleme im Detail zu erklären und ausführlich anhand der Rechtsprechung zu erläutern. Das Buch ist vielmehr für den datenschutzrechtlich nicht vorgebildeten Leser gedacht, der beispielsweise wissen möchte, wie das Ausspähen seiner persönlichen Daten verhindert werden kann. Hervorzuheben ist, dass gerade dem Schutz von Kindern, die besonders geübt im Umgang mit dem PC sind, ein eigener Sonderteil gewidmet ist. Insgesamt bietet das Werk vielseitige und hilfreiche Tipps rund um den Datenschutz sowie praxiserprobte und bewährte Strategien zum Schutz der eigenen Privatsphäre. Zahlreiche nützliche Hintergrundinformationen, Checklisten, ein kleines Glossar zum Datenschutz, die wichtigsten Web-Links und weiterführende Literaturhinweise runden das Werk ab. So kann sich jeder, dem der Schutz seiner personenbezogenen Daten am Herzen liegt, einen ersten Eindruck und einen guten Überblick über die Gefahren der Informationsgesellschaft und die Möglichkeiten einer Risikominimierung verschaffen. Dr. Michael Soiné

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M ü n c h h a l f f e n , Gaby / G a t z w e i l e r , Norbert: Das Recht der Untersuchungshaft – 3., neu bearb. Aufl. – München (C. H. Beck) 2009 – 330 S. br. Die vorliegende dritte Auflage des 1977 von Kleinknecht und Janischowsky erstmals herausgegebenen Leitfadens zum Recht der Untersuchungshaft erscheint sieben Jahre nach der zweiten Auflage, die bereits von den Autoren Münchhalffen und Gatzweiler verfasst worden ist. Das Buch, das sich in erster Linie an Strafverteidiger, Staatsanwälte und Richter wendet, greift die mit der Anordnung und dem Vollzug der Untersuchungshaft verbundenen, in Rechtsprechung und Literatur teilweise äußerst kontrovers diskutierten Rechtsprobleme auf und bietet praxisnahe Lösungsmöglichkeiten. Anhand der aktuellen Rechtsprechung und der umfangreichen neuen Literatur wird der Leser in die typischen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Untersuchungshaft eingeführt. Wichtige Fragen wie der Kontakt zwischen Verteidiger und inhaftiertem Mandanten, formelle und materielle Voraussetzungen des Haftbefehls, Vollstreckung des Haftbefehls und die Aussetzung seines Vollzugs (§ 116 StPO), der Wegfall der Haftvoraussetzungen, Rechtsbehelfe gegen Haftentscheidungen, die einstweilige Unterbringung (§ 126a StPO), die vorläufige Festnahme und drohende Inhaftierung (§ 127 Abs. 1 und 2 StPO), zeitliche Begrenzung der Untersuchungshaft sowie der Europäische Haftbefehl sind jeweils Gegenstand einer ausführlichen Erörterung. Berücksichtigt wurde schon die am 1. Januar 2010 in Kraft getretene Reform des Untersuchungshaftrechts, die verbesserte Rechte für Untersuchungshäftlinge sowie weitere Änderungen, u.a. der Pflichtverteidigung und der Belehrung, mit sich bringen wird. Hervorzuheben und besonders wichtig ist die Behandlung des Europäischen Haftbefehls, von dem die Praxis zunehmend Gebrauch machen wird. Die aktuelle Kammerrechtsprechung zum Beschleunigungsgebot wurde ebenfalls eingearbeitet; Gleiches gilt für die im Zuge der Föderalismusreform in vielen Ländern in Kraft getretenen Ländergesetze zur Untersuchungshaft. Summa summarum kann das Werk, das auch die Orientierung mit zahlreichen Formulartexten und Beispielen aus der Praxis erleichtert, insbesondere jungen Strafverteidigern, Richtern und Staatsanwälten als Arbeitshilfe empfohlen werden. Aber auch der erfahrene Strafjurist findet viele Antworten auf schwierige Fragen, die mit dem Recht der Untersuchungshaft verbunden sind. Dr. Michael Soiné

M e s s e r , Sebastian: Die polizeiliche Registrierung von Widerstandshandlungen. Eine kriminalsoziologische Untersuchung – BadenBaden (Nomos) 2009 – 270 S. br. Die im Wintersemester 2007/08 fertig gestellte und von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität Kiel als Dissertation angenommene Arbeit über die polizeiliche Registrierung von Widerstandshandlungen nimmt bei rechtssoziologischer Vorgehensweise die polizeiliche Konfliktbewertung in den Fokus, da nach Ansicht von Messer die Vermutung nahe liegt, dass die Entscheidung der in das Tatgeschehen eingebundenen Beamten, eine Anzeige nach § 113 StGB zu fertigen, Überlegungen unterliegt, die sich zwar im Rahmen des Legalitätsprinzips bewegen, aber dennoch strategisch sind. Um eigene Befunde zu generieren, bezog Messer per Zufallsstichprobe 300 Polizeibeamte (davon 65 weibliche) aus den drei untersuchten und vergleichbaren Städten Kiel, Lübeck und Mannheim in eine schriftliche Befragung ein; die Beamten waren entweder aktiv im Streifendienst eingesetzt oder sie verfügten über eine umfassende Streifendiensterfahrung. Der Fragebogen enthielt elf Kontaktbeispiele, die anhand vorgegebener Reaktionsmöglichkeiten zu bewerten waren. Im Ergebnis zeigt die Gesamtschau der situativen Fragen (Mittelwerte der Antwortverteilung), dass es nur geringe Unterschiede bei der Thematisierung von Konflikten sowie im Anzeigeverhalten gibt. Bezogen auf die untersuchten

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Merkmale Stadt, Geschlecht, Dienstgrad und Diensterfahrung stellte Messer fest, dass die Ergebnisse regional nur geringfügig differieren. Bei den befragten Beamtinnen ergab sich eine leichte Tendenz, Konflikte mit einer Deeskalationstechnik zu lösen, die männlichen Kollegen entschieden sich hingegen etwas häufiger für eine Durchsetzungsstrategie mit anschließender Fertigung einer Strafanzeige nach § 113 StGB. Während sich seiner Auswertung zufolge die Variable Dienstgrad nahezu nicht auf die Situationsbewertungen auswirkt, spielt die Variable Diensterfahrung bei einigen Konflikten für das Anzeigeverhalten und damit die Anzeigenhäufigkeit eine Rolle. Deutliche Unterschiede zeigten sich beim „Konflikt mit Migranten“, wobei Messer eine leichte Tendenz der diensterfahrenen Beamten nachweisen konnte, auf Konflikte, bei denen eine deeskalierende Taktik Erfolg versprechend erscheint, mit Kommunikation zu reagieren. Können im Rahmen der Besprechung nicht alle Ergebnisse der lesenswerten Dissertation vorgestellt werden, so hat die Arbeit insgesamt den Zusammenhang zwischen der strategischen Vorgehensweise von Polizeibeamten bei Konflikten sowie personalstrukturellen Merkmalen auf der einen und der polizeistatistischen Registrierung von Widerstandshandlungen nach § 113 StGB auf der anderen Seite deutlich werden lassen. Dr. Michael Soiné

B r o d a g , Wolf-Dietrich: Strafverfahrensrecht. Kurzlehrbuch zum Ermittlungsverfahren der Strafprozessordnung – 12., akt. Aufl. – Stuttgart u.a. (Boorberg) 2008 – 440 S. br. Das vorliegende Kurzlehrbuch erscheint nur drei Jahre nach der Vorauflage [dazu s. die Bespr. in Arch. Kriminol. 217: 112, 2006]. Brodag hat die um 40 Seiten angewachsene Neuauflage im Aufbau nur geringfügig geändert; wie gehabt, gibt er neben einer Einführung in das Strafverfahrensrecht einen Überblick über die einzelnen Verfahrensbeteiligten und die Aufgaben der Polizei im Ermittlungsverfahren. Einen Schwerpunkt des Buches bildet die umfangreiche Darstellung der gegenwärtig geltenden strafprozessualen Zwangsmaßnahmen, die er nach bewährter Art auch unter grundrechtlichen Gesichtspunkten erörtert. Ferner behandelt Brodag die Grundsätze und den Ablauf des gesamten Strafverfahrens, wobei er auch auf Einzelheiten zum Strafvollstreckungsverfahren und zum Rechtsschutz gegen strafprozessuale Grundrechtseingriffe eingeht. Erwähnenswert sind ferner die prüfungsrelevanten Fragen zum Beweisrecht. Wie schon in der Vorauflage, ist eine Musterklausur abgedruckt, die insbesondere dem Polizeibeamten in der Ausbildung bei der Verbesserung seiner Prüfungsvorbereitungen hilft. Insgesamt verzichtet Brodag auf einen umfangreichen wissenschaftlichen Anmerkungsapparat; im Literaturverzeichnis sind aber etliche Standardwerke zum Strafprozessrecht (Kommentare, Lehrbücher) verzeichnet. Positiv hervorzuheben sind die vielen erläuternden Beispielsfälle und – soweit sinnvoll – Grafiken, die zum besseren Verständnis von Zusammenhängen einzelner strafprozessualer Vorschriften abgedruckt sind. Schön wäre es gewesen, wenn Brodag – wie schon in der Besprechung zur Vorauflage angemerkt – im Rahmen seiner Ausführungen zum Zeugenschutz bzw. den polizeilichen Zeugenschutzprogrammen auf die Regelungen des Zeugenschutzharmonisierungsgesetzes vom 11. Dezember 2001 (BGBl I S. 3510) hingewiesen hätte, zumal sich der Zeugenschutz außerhalb des Strafprozessrechts nicht nur auf die Polizeigesetze der Länder beschränkt. Das Werk ist wiederum gut verständlich geschrieben, wobei es auch den Anforderungen der Bachelor-Ausbildung an den Fachhochschulen der Polizei Rechnung trägt. Aber auch Jurastudenten, die sich mit den Kernproblemen des strafprozessualen Ermittlungsverfahrens befassen wollen, kann das Buch zur Anschaffung empfohlen werden. Dr. Michael Soiné

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A c h e n b a c h , Matthias: Strafrechtlicher Schutz des Wettbewerbs? Eine kritische Analyse von Sinn und Zweck der Straftatbestände zum Schutz des Wettbewerbs – Frankfurter kriminalwissenschaftliche Studien, Bd. 120 – Frankfurt/Main (Peter Lang) 2009 – 273 S. geb. In einer Zeit, in der wirtschaftskriminelles Verhalten im Fokus der Öffentlichkeit steht, überrascht es, wenn die Notwendigkeit strafrechtlichen Schutzes des freien Wettbewerbs hinterfragt wird. Genau dies unternimmt Matthias Achenbach in seiner Frankfurter Dissertation und untersucht die Frage, ob der freie Wettbewerb durch die strafrechtlichen Normen der § 298 StGB (Wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen) und § 299 StGB (Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr) zu schützen sei oder ob ein Schutz durch die Vorschriften des Kartell-, Ordnungswidrigkeiten- oder Wettbewerbsrechtes ausreiche. Der Verfasser leitet seine Untersuchung mit einem sorgfältigen Blick auf die Entstehungsgeschichte der beiden Normen ein. Er stellt insbesondere die Argumente dar, die den Gesetzgeber 1997 in dem „Gesetz zur Bekämpfung der Korruption“ bewogen, den freien Wettbewerb strafrechtlich zu schützen, um diese Aspekte dann im weiteren Verlauf der Arbeit auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen. Im folgenden Kapitel wirft Achenbach die Frage nach der Strafwürdigkeit auf. Erfreulicherweise untersucht er neben der Rechtsgutslehre auch, ob ein verfassungsrechtliches Pönalisierungsgebot zugunsten des freien Wettbewerbs zu bejahen ist. Achenbach lehnt dies ab und sieht den Wettbewerb als keine Institution an, „die in den Rang eines strafrechtlich geschützten Rechtsguts gehoben werden sollte, denn unlautere Verhaltensweisen im wirtschaftlichen Wettbewerb sind nicht als extrem sozialschädliche Angriffe auf ein überragendes Gemeinschaftsgut“ (S. 245) anzusehen. Unter den Gesichtspunkten der Subsidiarität des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes und des Verhältnismäßigkeitsprinzips diskutiert er des Weiteren, ob die durch die §§ 298 f. StGB kriminalisierten Verhaltensweisen strafbedürftig sind. Ein kriminalpolitisches Bedürfnis hierfür vermag der Verfasser nicht zu erkennen. Bestätigung für dieses Ergebnis findet er durch einen Blick auf die Praxis der Strafverfolgung, deren statistischen Erfassungen er entnimmt, dass die Tatbestände der §§ 298, 299 StGB „nicht geeignet sind, den vom Gesetzgeber ins Auge gefassten Schutz gegen Verhaltensweisen, die dem freien Wettbewerb zuwiderlaufen, zu bieten“ (S. 186). Angesichts der staatenübergreifenden Bedeutung der Wettbewerbsdelikte ist es erfreulich, dass der Verfasser besonderes Augenmerk auf eine europarechtliche Betrachtung legt. Als Ergebnis seiner gelungenen Ausführungen hält er fest, dass – trotz der prinzipiellen Möglichkeit, dies über Richtlinien zu erreichen – sich derzeit keine verbindlichen Vorgaben der EU finden lassen, die die Aufnahme von Straftatbeständen zum Schutz des Wettbewerbs in das nationale Strafrecht fordern. Achenbach zieht vielmehr das Fazit, dass die Straftatbestände der §§ 298, 299 StGB „im Widerspruch zu einem freiheitlich-liberalen Strafrecht“ (S. 250) stehen. Insgesamt ist festzuhalten, dass Matthias Achenbach keine lehrbuchartige Gesamtbetrachtung vorlegt, wie sie bei Dissertationen häufig zu beobachten ist, sondern sich konsequent und sprachlich präzise mit der titelgebenden Frage nach der Notwendigkeit eines strafrechtlichen Schutzes für den Wettbewerb auseinander setzt. Dennoch enthält die Arbeit reichlich Ertrag zu grundsätzlichen strafrechtsdogmatischen Problemen, wie zu der Funktion des Strafrechts, zu der Lehre von den Rechtsgütern, zu dem Verhältnis von Rechtsgüterschutz und Verfassung sowie zu der Diskussion um die abstrakten Gefährdungsdelikte. Seine Untersuchung mahnt insgesamt einen sorgfältigen Umgang mit der Subsidiarität strafrechtlicher Sanktionen an. Die hierzu genutzte Methodik kann bei Überlegungen zur Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit anderer Tatbestände fruchtbar gemacht werden. Insofern ist der Arbeit eine weite Verbreitung auch über den Kreis der an den Straftaten zum Schutz des freien Wettbewerbs interessierten Personen hinaus zu wünschen. Durch ihre eindeutige Positionierung wird sie die Diskussion um den Schutz des freien Wettbewerbs ganz entscheidend bereichern. Prof. Dr. Andreas Peilert

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S c h e i n f e l d , Jörg: Der Kannibalen-Fall. Verfassungsrechtliche Einwände gegen die Einstufung als Mord und gegen die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe – Tübingen (Mohr Siebeck) 2009 – 89 S. br. Der spektakuläre Fall des sog. „Kannibalen von Rotenburg“ hat nicht nur die Medien aufgewühlt (bis hin zur Verfilmung unter dem Titel „Rohtenburg“), sondern beschäftigt auch die Juristen. Der Angeklagte Armin Meiwes hatte im Internet ein Angebot eines Mannes erhalten, sich den Penis abbeißen und dann schlachten und verspeisen zu lassen. Meiwes trennte verabredungsgemäß den Penis des Opfers ab und tötete den Mann (der ihn aufgefordert hatte, ihn „abzustechen“) durch Stiche in den Hals. Er wurde vom LG Kassel wegen Totschlags zu 8 Jahren und 6 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Der BGH hob dieses Urteil auf die Revision der StA hin auf, das LG Frankfurt am Main verurteilte wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Die Revision des Angeklagten wurde verworfen, eine Verfassungsbeschwerde vom BVerfG nicht angenommen. In seiner „Streitschrift“ widmet sich der Autor, Habilitand an der Universität Bochum, vor allem den verfassungsrechtlichen Aspekten des Falles. Zunächst „spielt“ er aber Revisionsgericht und untersucht, ob überhaupt Mord oder Totschlag vorliegt; in Betracht gekommen wäre auch Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB), worauf die Verteidigung plädiert hatte. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass das Tathandeln von Meiwes (lediglich) Tötung auf Verlangen war, so dass die Höchststrafe 5 Jahre betragen hätte. Eine derartige Subsumtion des Sachverhalts ist natürlich vertretbar, aber gewiss nicht verfassungsrechtlich geboten. Daher geht der Verfasser in einer Art „Hilfsgutachten“ der Frage nach, ob auf der Grundlage der Annahme eines Mordes die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe verfassungswidrig sein könnte. Zu beachten ist, dass das BVerfG im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde nur prüfen darf, ob die lebenslange Freiheitsstrafe im Einzelfall den Schuldgrundsatz grundlegend verkannt hat. Scheinfeld kommt zu dem Ergebnis, die Annahme der Mordmerkmale „zur Befriedigung des Geschlechtstriebes“ und „zur Ermöglichung einer anderen Straftat“ sei willkürlich, wogegen anzumerken ist, dass der Autor hier letztlich eher straf- als verfassungsrechtlich argumentiert. Einen auch verfassungsrechtlich „wunden Punkt“ berührt der Autor, wenn er die Angemessenheit der lebenslangen Freiheitsstrafe in Frage stellt. In der Tat kann man mit guten Gründen die Rechtsauffassung vertreten, der Unrechtsgehalt der Tat des „Kannibalen“ sei deutlich geringer als derjenige in Durchschnittsfällen von Morden zur Befriedigung des Geschlechtstriebes, z.B. nach einer Vergewaltigung oder dem Missbrauch eines Kindes. Da trotz der absoluten Androhung der lebenslangen Freiheitsstrafe in § 211 StGB diese nur bei restriktiver Auslegung der Mordmerkmale mit dem GG vereinbar ist (vgl. BVerfGE 45, 187), sind im vorliegenden Fall Zweifel nachvollziehbar. Nicht folgen kann der Rezensent der Meinung des Verfassers, die lebenslange Freiheitsstrafe sei als solche verfassungswidrig. Alles in allem eine anregende Lektüre für Strafrichter, Staats- und Rechtsanwälte – vielleicht nicht gerade kurz vor dem Besuch der Kantine... Dr. Dieter Rohnfelder

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Buchbesprechungen Bibliographische Ergänzungen der besprochenen Bücher:

R o t e r m a n n , Ina / K ö h l e r , Denis / H i n r i c h s , Günter: Legalbewährung jugendlicher und heranwachsender Sexual- und Gewaltstraftäter. Eine Studie zur prädiktiven Validität von Risiko- und Schutzfaktoren – Frankfurt/Main (Verlag für Polizeiwissenschaft) 2009 – 153 S. br. € 22,90 M e y e r - G o ß n e r , Lutz: Strafprozessordnung. Gerichtsverfassungsgesetz, Nebengesetze und ergänzende Bestimmungen – 52., neu bearb. Aufl. – Beck’sche Kurz-Kommentare Bd. 6 – München (C. H. Beck) 2009 – 2258 S. geb. € 76,00 K a r s t , Sandra: Die Entkriminalisierung des § 173 StGB – Europ. Hochschulschr. Reihe II Bd. 4819 – Frankfurt/Main u.a. (Peter Lang) 2009 – 243 S. br. € 51,50 J o e c k s , Wolfgang / M i e b a c h , Klaus (Hrsg.): Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 6/2: Nebenstrafrecht III, Völkerstrafgesetzbuch – München (C. H. Beck) 2009 – 810 S. Ln. € 168,00 W e i n r i c h , Christoph: Statusmindernde Nebenfolgen als Ehrenstrafen im Sanktionensystem des StGB – Gießener Schriften zum Strafrecht und zur Kriminologie, Bd. 30 – Baden-Baden (Nomos) 2009 – 224 S. br. € 52,00 E r b s , Georg / K o h l h a a s , Max: Strafrechtliche Nebengesetze mit Straf- und Bußgeldvorschriften des Wirtschafts- und Verwaltungsrechts – Beck’sche Kurzkommentare Bd. 17 – München (C. H. Beck) 2009 – 175. Ergänzungslieferung (Stand: Mai 2009), 670 S. – € 43,00; 176. Ergänzungslieferung (Stand: Juli 2009), ca. 820 S. – € 52,00 M ö l d e r s , Simone: Bestechung und Bestechlichkeit im internationalen geschäftlichen Verkehr – Zur Anwendbarkeit des § 299 StGB auf Sachverhalte mit Auslandsbezug – Schriften zum Strafrecht und Strafprozessrecht, Bd. 101 – Frankfurt/Main (Peter Lang) 2009 – 278 S. geb. € 54,80 B r ü c k n e r , Michael / P r z y k l e n k , Andrea: Kursbuch Datenschutz. Der Ratgeber gegen den Röntgenblick – Murnau a. Staffelsee (Mankau Verlag) 2009 – 285 S. br. € 15,50 M ü n c h h a l f f e n , Gaby / G a t z w e i l e r , Norbert: Das Recht der Untersuchungshaft – 3., neu bearb. Aufl. – München (C. H. Beck) 2009 – 330 S. br. € 45,00 M e s s e r , Sebastian: Die polizeiliche Registrierung von Widerstandshandlungen. Eine kriminalsoziologische Untersuchung – Baden-Baden (Nomos) 2009 – 270 S. br. € 59,00 B r o d a g , Wolf-Dietrich: Strafverfahrensrecht. Kurzlehrbuch zum Ermittlungsverfahren der Strafprozessordnung – 12., akt. Aufl. – Stuttgart u.a. (Boorberg) 2008 – 440 S. br. € 32,00 A c h e n b a c h , Matthias: Strafrechtlicher Schutz des Wettbewerbs? Eine kritische Analyse von Sinn und Zweck der Straftatbestände zum Schutz des Wettbewerbs – Frankfurter kriminalwissenschaftliche Studien, Bd. 120 – Frankfurt/Main (Peter Lang) 2009 – 273 S. geb. € 54,80 S c h e i n f e l d , Jörg: Der Kannibalen-Fall. Verfassungsrechtliche Einwände gegen die Einstufung als Mord und gegen die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe – Tübingen (Mohr Siebeck) 2009 – 89 S. br. € 19,00

Ärztliche Fehler sind menschlich und möglich. Über ärztliche Fehler bei der Behandlung von Patienten wurde lange lieber geschwiegen. Nur ein geringer Anteil wird der Öffentlichkeit bekannt – dafür aber umso spektakulärer in den Medien ausgebreitet. Nur Sensationslust? Nein, auch die reinen Fakten sprechen für sich: So hat eine Studie des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) festgestellt, dass in den Jahren 1990 bis 2000 die Zahl der Obduktionen in Folge von behaupteten Behandlungsfehlern mit Todesfolge sich nahezu verdoppelt hat. „Der ärztliche Aber auch hier liegt die Tücke im Detail. Behandlungsfehler“ Es muss sehr genau zwischen Behandlungs– Charakteristik und zwischenfällen und Behandlungsfehlern unterBegutachtungspraxis – schieden werden. Eine solche Zuordnung erfor„Medical Malpractice“ dert eine detaillierte Aufklärung. RESEARCH IN LEGAL MEDICINE · VOLUME 37

– Characteristics and Expert Assessment –

Aus der rechtsmedizinischen Praxis resultiert eine erhebliche Kompetenz in der BegutachChristoph Meissner, Wolfgang Grellner tung von Behandlungsfehlern. Es geht um die und Hans-Jürgen Kaatsch Charakteristik von Fehlern und Typisierung von Schadensereignissen in den verschiedenen Disziplinen, um gefährliche Situationen oder Konstellationen erkennen zu können. Die Schadensvermeidung durch gutes „Riskmanagement“ ist heutzutage ein wesentlicher Bestandteil eines modernen Qualitätssicherungskonzepts. Sind Medizinschäden eingetreten, stellt sich die Frage nach der Regelung der Folgen. (Hrsg.)

Das vorliegende Buch stellt eine Reihe von aktuellen Fragen zur Diskussion und bringt dem Leser den derzeitigen Wissensstand beim Umgang mit ärztlichen Behandlungsfehlern nahe. Der ärztliche Behandlungsfehler – Charakteristik und Begutachtungspraxis hrsg. von Christoph Meissner, Wolfgang Grellner und Hans-Jürgen Kaatsch Band 37 der Reihe Rechtmedizinische Forschungsergebnisse 188 Seiten, ISBN 978-3-7950-0335-7, € 36,–

NEUERSCHEINUNG

Der ärztliche Behandlungsfehler – Charakteristik und Begutachtungspraxis

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