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Barbara Suppé FBL Klein-Vogelbach Functional Kinetics: Die Grundlagen Bewegungsanalyse Untersuchung Behandlung Herausgegeben von Irene Spirgi-Gantert und Barbara Suppé

Barbara Suppé

FBL Klein-Vogelbach Functional Kinetics: Die Grundlagen 5 Bewegungsanalyse 5 Untersuchung 5 Behandlung Mit einem Geleitwort von Mechthild Dölken In Zusammenarbeit mit Salah Bacha, Matthias Bongartz und Tiziana Grillo Juszczak 6. Auflage

Mit 152 Abbildungen, davon 133 in Farbe

13

Herausgeberin

Susanne Klein-Vogelbach †

Irene Spirgi-Gantert

Georg und Susanne Klein-Vogelbach-Stiftung Wiesenthalstr. 126 7000 Chur Schweiz

Haasenbergstrasse 6 6044 Udligenswil Schweiz Herausgeberin und Autorin

Barbara Suppé Schule für Physiotherapie an der Stiftung Orthopädische Universitätsklinik Schlierbacher Landstr. 200a 69118 Heidelberg

ISBN-13

978-3-540-29874-8 Springer Medizin Verlag Heidelberg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch, bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag. springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 1976, 1982, 1984, 1990, 2000, 2007

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Marga Botsch, Heidelberg Projektmanagement: Claudia Bauer, Heidelberg Lektorat: Kristina Jansen, Heidelberg Satz : medionet AG, Berlin Layout und Umschlaggestaltung: deblik Berlin SPIN 11551379 Gedruckt auf säurefreiem Papier 22/2122/cb – 5 4 3 2 1 0

V

Geleitwort Bewegung und Bewegungsverhalten sind für jeden Menschen individuell. Sie werden von der Leistungsfähigkeit und –bereitschaft sowie dem Trainingszustand des Bewegungssystems geprägt. Bewegungsfähigkeit ist die Voraussetzung für die Kontaktaufnahme des Menschen mit seiner Umwelt. Bewegungsverhalten ist auch ein Ausdruck der Körpersprache. Verminderte Bewegungsfähigkeit behindert den Körperausdruck des Menschen. Die Analyse von Bewegung ist eines der berufsspezifischen Merkmale der Physiotherapie. Eine fundierte analytische Denkweise gilt es vom ersten Tag der Ausbildung zum Physiotherapeuten gezielt zu fördern. Das Buch »FBL Klein-Vogelbach Functional Kinetics: Die Grundlagen« liefert den lernenden Physiotherapeuten ideale Voraussetzungen, diese theoriegeleitete Praxis mit all ihren Facetten zu begreifen und gezielt anzuwenden. Das Konzept der Funktionellen Bewegungslehre, das Susanne Klein–Vogelbach uns hinterlassen hat, wird in seiner Genauigkeit bei der Anleitung zur Beobachtung, Analyse und Vermittlung von Bewegung bisher von keinem anderen Konzept übertroffen. Die Begriffe, die sie dafür geprägt und definiert hat, sind mittlerweile zum großen Teil üblicher physiotherapeutischer Sprachgebrauch. Dennoch ist es sehr zu begrüßen, dass die Autorinnen und Herausgeberinnen dieses Buches auf eine gut verständliche Sprache achten und ihre Vorgehensweisen in international anerkannte Modelle einbinden, wie z.B. die Untersuchung auf der Grundlage der ICF (WHO 2001). Klares professionelles Selbstverständnis bezüglich der Aufgaben, Möglichkeiten und Grenzen des Berufes kann sich nur mit einheitlicher und gemeinsamer Sprache und Denkweise entwickeln; sonst besteht die Gefahr, dass sich einzelne Methoden so weit verselbstständigen, dass das berufliche Selbstverständnis als Physiotherapeut/in verloren geht und an seine Stelle ein konzeptgebundenes Selbstverständnis als »FBL–Therapeut«, »Manualtherapeut« oder »PNF–Therapeut« o.ä. tritt. Es ist aber gerade die gebündelte Kraft der gesamten Berufsgruppe, die die Physiotherapie in Deutschland vorantreibt und dem Berufsbild zunehmend den Stellenwert verschafft, den unsere anspruchsvolle Arbeit verdient. In der Physiotherapie zeichnen sich als stetiger Trend immer weiter steigende Anforderungen und eine veränderte Wahrnehmung des Berufes ab. Die Ausbildung soll zur wissenschaftlichen Denkweise befähigen. Praktische Physiotherapie ist als angewandte Wissenschaft zu verstehen. Die Anhebung der Ausbildung auf Fachhochschulniveau ermöglicht, dass Praktiker mit den erforderlichen Qualifikationen versehen werden, um auf einem europäischen Arbeits- und Bildungsmarkt wettbewerbsfähig zu sein. Auch die sehr gute praxisorientierte Ausbildung in Deutschland braucht sich im europäischen Vergleich nicht zu verstecken. Ich halte das Buch für besonders geeignet, den Weg zur zunehmenden Professionalisierung zu begleiten. Ich würde mir wünschen, dass sich das vorliegende Buch als Grundlagenwerk in der Ausbildung zum Physiotherapeuten etabliert und ich hoffe, dass sich sehr viele Leserinnen und Leser auf den anspruchsvollen, aber auch sehr spannendem Weg begeben, ihre analytische Denkweise zu schulen und damit die Voraussetzungen für eine individuell angepasste Untersuchung und Behandlung ihrer Patienten erfüllen. Dieses Buch hilft Ihnen dabei! Im November 2006 Mechthild Dölken

VII

Vorwort Die Physiotherapie hat sich in den letzten Jahren stark verändert, und es ist heute besonders wichtig, auf die steigenden Ansprüche an die Aus- und Weiterbildung zu reagieren. Seit der offiziellen Einführung der ICF im Mai 2001 wird in vielen Institutionen an der Umsetzung der Vorgaben gearbeitet. Die ICF stellt jedoch im Wesentlichen ein Konstrukt dar und ist für den alltäglichen Einsatz nicht direkt zu gebrauchen. Wir, die Instruktoren der FBL Functional Kinetics, haben uns jedoch entschlossen, mit dem Grundlagenbuch diesem Denkansatz zu folgen. Das wird vor allem beim 7 Kapitel 3, »Untersuchung« und den 7 Kapiteln 9 bis 11 mit den »Fallbeispielen« deutlich. Das Buch wendet sich vor allem an Schüler der Physiotherapieausbildung. Es ist ein Lehrbuch und Nachschlagewerk, mit dessen Hilfe Themen selbständig erarbeitet werden können. Lehrern dient es als Nachschlagewerk und als Hilfe, den Unterricht in FBL Functional Kinetics zu strukturieren. Ausgebildeten Therapeuten ermöglicht es, ihr Verständnis von funktionellen Zusammenhängen bei der Analyse von Haltung und Bewegung aufzufrischen oder zu ergänzen. Das Buch gliedert sich in 4 Rubriken: Grundlagen, Untersuchung, Behandlung, Fallbeispiele. 5 Im 7 Kapitel 1 werden die Begriffe erläutert, die in der FBL Functional Kinetics häufig verwendet werden und die die Grundlage zum Verständnis der Bewegungsanalyse darstellen. 5 7 Kapitel 2 widmet sich der Analyse von Haltung und Bewegung. Mit Hilfe definierter Beobachtungskriterien fällt es Ihnen leichter, muskuläre Aktivitäten, Gleichgewichtsreaktionen oder myofasziale Systeme zu verstehen. 5 7 Kapitel 3 erläutert die Untersuchung auf Grundlage der ICF. 5 Im 7 Kapitel 4 geht es um die Planung der Therapie. 5 7 Kapitel 5 erläutert die Grundlagen des motorischen Lernens. 5 Im 7 Kapitel 6 wird die Bedeutung des Instruktionsverhaltens beschrieben. 5 Eine Einführung in die therapeutischen Übungen finden Sie im 7 Kapitel 7 5 Das 7 Kapitel 8 widmet sich den Behandlungstechniken 5 Und in den 7 Kapiteln 9 bis 11 bekommen Sie anhand von 3 Fallbeispielen einen Einblick in die funktionelle Untersuchung, das Dokumentationsschema und Behandlungsvorschläge in der praktischen Anwendung. Ein ausführliches Literaturverzeichnis gibt Ihnen Hinweise auf weiterführende Literatur. Mein aufrichtiger Dank gilt Matthias Bongartz und Salah Bacha für die intensive Zusammenarbeit und die Inspiration. Beide waren maßgeblich an der Neugestaltung dieses Buches beteiligt. Günter Suppé und Stefan Suppé danke ich für das kritische Lesen meiner Texte. Markus Zidek danke ich herzlich für die hilfreichen Kommentare und Ergänzungen zum Motorischen Lernen. Tina Jansen war immer zur Stelle und hat geduldig manche Stunde mit mir an den »aller-allerletzten« Endfassungen gearbeitet. Herrn Mönnich danke ich für die Fotos und Herrn Hippmann für die Zeichnungen und natürlich Frau Botsch für Ihre Geduld mit mir. Ein besonderer Dank gilt den Schülerinnen der Heidelberger Physiotherapieschule, die für die Fotos unermüdlich Modell gestanden haben. Heidelberg im November 2006

Barbara Suppé

IX

Inhaltsverzeichnis 1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 1.7.1 1.7.2 1.7.3

2

Allgemeine Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . Ebenen und Achsen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frontalebenen und sagittotransversale Achsen . Sagittalebenen und frontotransversale Achsen . Transversalebenen und frontosagittale Achsen . Richtung der Distanzpunkte . . . . . . . . . . . . . In der Frontalebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . In der Sagittalebene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . In der Transversalebene . . . . . . . . . . . . . . . . Bewegungskomponenten des Hüftgelenks. . . . Bewegungskomponenten des Schultergelenks . Bewegungskomponenten des Schultergürtels. . Bewegungskomponenten der Wirbelsäule . . . . Bewegungen der distalen Extremitätengelenke und der Kiefergelenke . . . . . . . . . . . . . . . . . Untere Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Obere Extremität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kiefergelenke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

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2 3 4 4 5 5 5 6 6 9 11 12

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14 14 16 18

Bewegungsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.3 3.4 3.4.1 3.5 3.6 3.7 3.7.1 3.7.2 3.8 3.8.1 3.8.2 3.8.3 3.8.4 3.8.5 3.9 3.9.1 3.9.2 3.9.3 3.9.4

2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.5 2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.5.4 2.6 2.6.1 2.6.2 2.6.3

3 3.1 3.2

Beobachtung von Bewegung mit Hilfe der Distanzpunkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterlaufende Bewegungen. . . . . . . . . . . . . . Begrenzung der weiterlaufenden Bewegungen . . Begrenzen der weiterlaufenden Bewegung durch Gegenaktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begrenzen der weiterlaufenden Bewegung durch Gegenbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterstützungsfläche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Körperschwerpunkt und Trennebene. . . . . . . . . Gleichgewichtslage des Körpers . . . . . . . . . . . . Gleichgewichtsreaktionen. . . . . . . . . . . . . . . . Muskuläre Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lage zum Drehpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktive und passive Insuffizienzen . . . . . . . . . . . Einfluss der Schwerkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . Kontakt mit der Umwelt/Aktivitätszustände . . . . Myofasziale Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Plastizität der Muskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . Muskelfähigkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56 57 57 58 59 59 60 60 61 61 61 62 64 72 72 72 78 89 95

19 4

2.1

Beurteilung der Muskulatur in Bezug auf ihren Trainingszustand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anamnese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schmerzanamnese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ICF als Grundlage der Untersuchung . . . . . . . . . . . . Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kontextfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umweltfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenbezogene Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ADL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sitzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionelle Fehlatmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konstitution. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Statik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gelenkbeweglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchung des Bewegungsverhaltens der einzelnen Körperabschnitte und der Körperlängsachse . . . . . . .

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20 26 28

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28

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28 29 30 31 32 34 38 38 38 41 43 49 49 50 52

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. . . . . . . . . . . . . . .

Untersuchung auf Grundlage der ICF. . . . . . . Ärztliche Diagnose, die zur Verordnung der Physiotherapie geführt hat. . . . . . . . . . . . . . . . Beurteilung der Kondition in Bezug auf das reale Lebensalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

56 56

4.1 4.2 4.3 4.3.1

5 5.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.3.5 5.3.6 5.3.7 5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4

Planung der Therapie. . . . . . . . . . . . . . . . . Zielformulierung. . . . . . . . . Behandlungsplan . . . . . . . . Intervention. . . . . . . . . . . . Zugrunde liegende Prinzipien

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Motorisches Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historische Aspekte . . . . . . . . . . Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . Motorisches Lernen als Prozess . . Lernphasen . . . . . . . . . . . . . . . Lernbeeinflussende Faktoren . . . . Sensorische Modalitäten. . . . . . . Zielbezug . . . . . . . . . . . . . . . . Feedback . . . . . . . . . . . . . . . . Mentales Üben . . . . . . . . . . . . . Vorzeigen . . . . . . . . . . . . . . . . Motivation. . . . . . . . . . . . . . . . Umgebung . . . . . . . . . . . . . . . Physisches Üben . . . . . . . . . . . . Bedeutung des physischen Übens Variieren . . . . . . . . . . . . . . . . . Repetieren. . . . . . . . . . . . . . . . Segmentieren . . . . . . . . . . . . .

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112 114 115 115

117 . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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118 118 118 119 120 121 121 121 122 123 123 124 124 125 125 125 126 126

X

Inhaltsverzeichnis

6 6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.2 6.3 6.4

7 7.1 7.2 7.2.1 7.3

8 8.1 8.1.1 8.2 8.2.1

Instruktionsverhalten. . . . . . . . . . . . . . . . . Orientierung des Menschen . . . . . . . . Sich am eigenen Körper orientieren . . . Sich im Raum orientieren . . . . . . . . . . Sich vom eigenen Körper aus orientieren Motivation fördern . . . . . . . . . . . . . . Zielorientiert handeln . . . . . . . . . . . . Prozessorientiert handeln . . . . . . . . . .

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127 . . . . . . .

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Therapeutische Übungen . . . . . . . . . . . . . . Selektives Muskeltraining Analysenkonzept . . . . . »Klötzchen-Spiel« . . . . . Hubfreie Mobilisation . .

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Behandlungstechniken . . . . . . . . . . . . . . . Widerlagernde Mobilisation . . . . . . . . . . . Das Prinzip der widerlagernden Mobilisation. Mobilisierende Massage . . . . . . . . . . . . . . Das Prinzip der mobilisierenden Massage . . .

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129 130 131 132 132 132 134

136 136 137 141

143 . . . .

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144 145 146 146

9

Fallbeispiel: Lumboischialgie . . . . . . . . . . . .

149

10

Fallbeispiel: Ischialgie . . . . . . . . . . . . . . . .

157

11

Fallbeispiel: Schulter . . . . . . . . . . . . . . . . .

165

12

Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . .

173

13

Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . .

177

XI

Glossar A

Achsen Bewegungsachsen werden durch die Schnittli-

nien von zwei Ebenen gebildet, die ihnen den Namen geben. Man unterscheidet frontosagittale, frontotransversale und sagittotransversale Achsen.

sind damit auch für den Patienten eine große Wahrnehmungshilfe. Drehpunkt In der Bewegungsanalyse interessiert das Gelenk als Ort, an dem Bewegungen innerhalb des Körpers stattfinden. Die Bezeichnungen Drehpunkt, Schaltstelle der Bewegung und Bewegungsniveau weisen auf den Unterschied zum etablierten anatomischen Gelenkbegriff hin.

Aktivitätszustände Muskuläre Aktivitäten sind abhängig

von der Position des Körpers im Raum und vom Kontakt des Körpers mit der Umwelt. Mit Hilfe von bildhaften Begriffen soll dem Therapeuten die Analyse der Muskelarbeit erleichtert werden. Man unterscheidet: Spielfunktion, Stütz- und Abstützaktivität, Parkierfunktion, Hängeaktivität und Brückenaktivität. Analysenkonzept Das Analysenkonzept ist ein Hilfs-

mittel zum besseren Verständnis der therapeutischen Übung.

E Ebenen Die drei Körperebenen heißen: Frontalebene, Sagittalebene und Transversalebene. Senkrecht auf den Körperebenen stehen die Bewegungsachsen.

F Funktionelles Problem Aus den gesammelten Einzel-

B Bücktypen Je nach Neigung der Körperlängsachse beim

Bücken unterscheidet man den vertikalen, horizontalen und neutralen Bücktyp. Beobachtungskriterium Ein Beobachtungskriterium ist ein Merkmal, das durch planmäßiges Beobachten und Palpieren des Körpers gefunden wurde und der Unterscheidung von »normal« und »pathologisch« dient. Bedingungen Der Mensch hat oft mehrere Möglichkeiten, einen Bewegungsauftrag auszuführen. Der Therapeut formuliert den Auftrag und stellt gleichzeitig Bedingungen, die die Auswahl der Bewegungsmöglichkeiten begrenzen

D Distanzpunkt (DP) Ein Distanzpunkt ist ein beobacht-

barer Punkt am Körper, der eine möglichst große Distanz zum Drehpunkt hat. Distanzpunkte dienen dem Therapeuten zur Analyse und Instruktion von Bewegung und

ergebnissen der Untersuchung leitet der Therapeut das funktionelle Problem ab. Die Störung auf der Ebene der Aktivität (Funktionsstörung) lenkt den Therapeuten bei der Erstellung der Arbeitshypothese. G Gleichgewichtsreaktionen Sobald

eine Gewichtsverschiebung horizontale Richtungskomponenten enthält, löst sie automatische, leicht beobachtbare Gleichgewichtsreaktionen aus. Man unterscheidet: Veränderung der Unterstützungsfläche und Einsetzen von Gegengewichten. H

Hypothetische Norm Die hypothetische Norm ist eine

Idealvorstellung von Haltung und Bewegung. Sie ist ein Leitbild mit dessen Hilfe Abweichungen leicht identifiziert werden können. Hubbelastung Als Hub wird die senkrechte Bewegung

eines Objekts nach oben und unten bezeichnet. Je nach

XII

Glossar

Positionierung des Muskels/Gelenks zur Schwerkraft, kann der Muskel demnach Gewichte heben und senken. Wenn die Bewegungsachse und der Lastarm horizontal stehen, ist die Hubbelastung maximal. Steht die Bewegungsachse vertikal und die die Bewegungen finden auf horizontalen Ebenen statt, spricht man von »hubfreier« Bewegung. K Körperabschnitt (KA) Jeder Körperabschnitt bildet eine

funktionelle Einheit mit typischen Eigenschaften und Aufgaben im Bewegungsverhalten und steht in enger Wechselbeziehung mit seinen benachbarten Körperabschnitten. Es gibt fünf Körperabschnitte: KA Beine, KA Becken, KA Brustkorb, KA Kopf, KA Arme. Körperlängsachse (KLA) Die virtuelle Körperlängsachse

verläuft in enger Beziehung zur Wirbelsäule und existiert nur, wenn sich die Wirbelsäule in ihrer Nullstellung befindet und die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf übereinander eingeordnet sind. Sie ist die Schnittlinie zwischen Symmetrieebene und mittlerer Frontalebene.

wusst instruiert und ausgeführt wird. Sie hat weiterlaufende Bewegungen und spontane Gleichgewichtsreaktionen zur Folge. R Reaktive Hyperaktivität Reaktive Hyperaktivität ist die normale Reaktion gesunder Muskulatur auf eine schlechte Haltung.

S Schubbelastungen Wenn bei einer schlechten Haltung

die Gewichte nicht mehr gehalten werden können, werden passive Strukturen zur Bewahrung der Haltung beansprucht, die jedoch für diese Aufgabe nicht geeignet sind. Es entstehen Schubbelastungen. Statik Unter dem Gesichtspunkt Statik wird die Haltung des Patienten und ihr Einfluss auf das Bewegungssystem in Form von Belastung beurteilt.

T

Kondition Unter Kondition wird beurteilt, welchen Ein-

fluss die soziale Stellung, die psychische Situation und der somatische Zustand des Patienten auf sein Bewegungsverhalten ausüben. Konstitution Unter Konstitution wird der Einfluss beur-

teilt, den Längen, Breiten, Tiefen und die Gewichtsverteilung innerhalb des Körpers auf das Bewegungsverhalten des Patienten ausüben. kritischer Distanzpunkt (kDP) Wenn der Therapeut eine weiterlaufende Bewegung veranlassen will, muss er zur Instruktion den Punkt am Körper des Patienten finden, dessen räumlicher Weg die weiterlaufende Bewegung eindeutig veranlasst. Dieser Punkt wird als »kritischer Distanzpunkt« bezeichnet.

P Primärbewegung Die Primärbewegung ist ein Teil der Instruktion und der Teil eines Bewegungsablaufs, der be-

Trennebene Die Trennebene ist eine gedachte senkrechte

Verbindungslinie durch den Körper zur Unterstützungsfläche und erleichtert die Analyse von Gewichtsverschiebungen/Gleichgewichtsreaktionen. In der Trennebene liegt der Körperschwerpunkt. W Weiterlaufende Bewegung (WB) Wenn ein beliebiger

Punkt des Körpers durch einen Bewegungsimpuls in eine bestimmte Richtung geleitet wird und in den benachbarten Gelenken Bewegungsausschläge stattfinden, die der Verwirklichung dieser gerichteten Bewegung dienen, entsteht eine weiterlaufende Bewegung. Widerlagerung Das Begrenzen einer weiterlaufenden

Bewegung in einem bestimmten Drehpunkt nennt man Widerlagerung. Man unterscheidet aktive Widerlagerung durch Gegenaktivität und durch Gegenbewegungen.

1

Allgemeine Grundlagen 1.1

Ebenen und Achsen

1.1.1

Frontalebenen und sagittotransversale Achsen – 3 Sagittalebenen und frontotransversale Achsen – 4 Transversalebenen und frontosagittale Achsen – 4

1.1.2 1.1.3

–2

1.2

Richtung der Distanzpunkte

1.2.1 1.2.2 1.2.3

In der Frontalebene – 5 In der Sagittalebene – 5 In der Transversalebene – 6

1.3

Bewegungskomponenten des Hüftgelenks – 6

1.4

Bewegungskomponenten des Schultergelenks – 9

1.5

Bewegungskomponenten des Schultergürtels – 11

1.6

Bewegungskomponenten der Wirbelsäule – 12

1.7

Bewegungen der distalen Extremitätengelenke und der Kiefergelenke – 14

1.7.1 1.7.2 1.7.3

Untere Extremität – 14 Obere Extremität – 16 Kiefergelenke – 18

–5

2

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 1 · Allgemeine Grundlagen

Zu den Aufgaben des Therapeuten gehört es, Haltung und Bewegung zu analysieren, um ein funktionelles Problem zu erkennen und zu formulieren. Er muss eine als notwendig befundene Veränderung im Bewegungsverhalten des Patienten bewirken können, sei es durch »Be-Handlung«, durch didaktische Bewegungsschulung oder durch beides. Ohne Hilfsmittel, nur durch Beobachten und Betasten versucht der Therapeut, charakteristische Merkmale in der Vielfalt eines Bewegungsablaufs zu finden. Das angeborene Talent jedes Lebewesens, das »Normale« seiner Art erkennen und vom »Kranken« unterscheiden zu können, ist für den Therapeuten eine gute Voraussetzung, um eine funktionelle Bewegungstherapie aufzubauen. In diesem Sinne ist die FBL – Functional Kinetics nach Klein-Vogelbach ein Verfahren der unmittelbaren Bewegungsbeobachtung und ihrer Auswertung für die Therapie. Dieses Vorgehen scheint einfach zu sein; das Komplizierte liegt in der hohen Differenzierung normaler Bewegung. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt, und die Resultate können deshalb nie vollkommen sein. Der Therapeut benötigt ein vertieftes Fachwissen über Bau und Funktion des gesunden und des kranken menschlichen Körpers. Die therapeutische Konzeption muss dann aus der Differenzierung zwischen normalem und krankem Bewegungsverhalten bei jedem Patienten hervorgehen. So entsteht das Gerüst für den funktionellen Behandlungsplan. Um Regeln und approximativ (annähernd) vergleichende Aussagen über Haltungs- und Bewegungsbeobachtung machen zu können, werden in der FBL allgemein anerkannte Bezeichnungen aus der Mathematik, Physik, Anatomie und Physiologie und zusätzlich bestimmte Ordnungsschemata und Beobachtungsraster benutzt. In diesem Kapitel werden die Begriffe erklärt, mit denen in der FBL gearbeitet wird.

1.1

a

b . Abb. .. a Der Mensch im Kubus; Frontalebene, Sagittalebene, Transversalebene, b Achse und dazugehörige Ebene

Ebenen und Achsen

Nachfolgend wird das dreidimensionale Koordinatensystem für die Beobachtung dargestellt. (. Abb. 1.1) Die Kubusebenen werden auf den Menschen übertragen, damit sich der Therapeut leichter orientieren kann. Die 3 Ebenen heißen: 5 Frontalebene, 5 Sagittalebene, 5 Transversalebene.

Wird kein spezieller Hinweis gegeben, steht der Mensch im Kubus aufrecht. Seine Gelenke befinden sich in Nullstellung (Neutral-0-Methode nach Debrunner 1971). Die Achsen und Ebenen beziehen sich auf den Körper. Ändert der Körper seine Stellung im Raum, so ändert sich auch die Lage der Ebenen und Achsen im Raum. Bewegungsachsen werden durch die Schnittlinien von 2 Ebenen gebildet, die ihnen den Namen geben. Es können folgende Achsen bestimmt werden: 5 frontosagittale Achsen,

1.1 · Ebenen und Achsen

5 sagittotransversale Achsen, 5 frontotransversale Achsen. Im Folgenden werden die Körperebenen und die Bewegungen um die dazugehörigen Bewegungsachsen beschrieben. Die Normwerte der Gelenkbeweglichkeit sind nach Debrunner notiert. Die Angaben in Klammern beziehen sich auf maximale Varianten im Rahmen der Norm. Da in den distalen Gelenken die Stellung der Bewegungsachsen von der Einstellung der proximalen Extremitätengelenke abhängig ist, werden diese Bewegungen im 7 Kap. 1.3 separat vorgestellt.

3

Körperteilen und die Gelenkbewegungen genau zu kennzeichnen. Die mittlere Frontalebene geht durch die Mitte des Akromions, der Schulter-, Hüft- und Kniegelenke und durch das obere Sprunggelenk. Sie teilt die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf in annähernd gleich große vordere und hintere Teile. > Klinische Relevanz: Bei der Beurteilung der Haltung im Stand ist die Verteilung der Gewichte in Bezug zur mittleren Frontalebene bedeutsam, weil eine ungleiche Verteilung die passiven Strukturen oder die Muskulatur übermäßig beanspruchen kann.

1.1.1 Frontalebenen und sagittotransversale

Achsen Die vordere und hintere Begrenzung des Körpers markiert die äußeren Frontalebenen. Zwischen diesen Ebenen lassen sich beliebig viele parallele Ebenen legen, von denen jede den Körper in einen ventralen (»zum Bauch gehörenden«) und dorsalen (»zum Rücken gehörenden«) Abschnitt teilt (. Abb. 1.2). Die Bezeichnungen ventral und dorsal gebraucht der Therapeut, um die Lage von

Senkrecht auf den Frontalebenen stehen sagittotransversale Achsen (Schnittlinie von Sagittalebene und Transversalebene). Mit Hilfe des sagittotransversalen Brustkorbdurchmessers (in Höhe Th 7) kann der Therapeut Aussagen über die Brustkorbtiefe machen (. Abb. 1.3). > Klinische Relevanz: Ein kleiner sagittotransversaler Brustkorbdurchmesser deutet auf einen thorakalen Flachrücken oder eine Trichterbrust hin, während ein großer sagittotransversaler Brustkorbdurchmesser einen Hinweis auf einen thorakalen Rundrücken oder eine Inspirationsstellung des Brustkorbs gibt, wie z.B. beim Fassthorax. Dieser Durchmesser wird vom Patienten gut wahrgenommen und kann deshalb für die Instruktion von Bewegung genutzt werden.

. Abb. .. Sagittotransversaler Brustkorbdurchmesser in Höhe Th 7

. Abb. .. Frontalebenen, in denen sich Unterschenkel, linker Unterarm und rechter Arm bewegen können

1

4

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Kapitel 1 · Allgemeine Grundlagen

. Abb. .. Frontotransversaler Brustkorbdurchmesser in Höhe Th 7

1.1.2 Sagittalebenen und frontotransversale

Achsen Die rechte und linke seitliche Begrenzung des Körpers bilden die äußeren Sagittalebenen. Zwischen diese lassen sich beliebig viele parallele Ebenen legen, von denen jede den Körper in einen rechtslateralen und einen linkslateralen Abschnitt teilt. Die Bezeichnungen rechtslateral und linkslateral gebraucht der Therapeut, um die Lage von Körperteilen und die Gelenkbewegungen genau zu kennzeichnen. Die mittlere Sagittalebene wird auch als Symmetrieebene bezeichnet. Sie teilt den Körper in 2 genau gleich große Teile. (. Abb. 1.4) Im Stand, Sitz oder Vierfüßlerstand stehen die Sagittalebenen vertikal, in Seitlage stehen sie horizontal. Senkrecht auf der Sagittalebene stehen frontotransversale Achsen (Schnittlinie von Frontalebene und Transversalebene). Eine wichtige Achse und Orientierungspunkt ist der frontotransversale Brustkorbdurchmesser (in Höhe Th7). Mit seiner Hilfe können Lage- und Haltungsveränderungen des Körpers genau gekennzeichnet werden (. Abb. 1.5).

> Klinische Relevanz: Der frontotransversale Brustkorbdurchmesser kann von Patienten gut wahrgenommen werden und ist deshalb für die Instruktion von Wirbelsäulenbewegungen eine hilfreiche Orientierung.

1.1.3 Transversalebenen und frontosagittale

Achsen Die Stand- und Scheitelebene sind die obere und untere transversale Begrenzung. Zwischen diese Tangentialebenen lassen sich beliebig viele parallele Ebenen legen, von denen jede den Körper in einen kranialen (»zum Kopf gehörenden«) und kaudalen (»zum Fuß gehörenden«) Abschnitt teilt. Die Bezeichnungen kranial und kaudal gebraucht der Therapeut, um die Lage von Körperteilen und die Gelenkbewegungen genau zu benennen (. Abb. 1.6).

11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

. Abb. .. Sagittalebenen, in denen sich das linke Bein, der linke Arm und der rechte Unterarm bewegen lassen.

. Abb. .. Transversalebenen, in denen sich der rechte Unterschenkel, linkes Hüft- und Kniegelenk, linker Unterarm und rechter Arm bewegen lassen.

5

1.2 · Richtung der Distanzpunkte

Im Stand liegen die Transversalebenen horizontal, in Seitlage, Rückenlage oder Bauchlage stehen die Transversalebenen vertikal. Senkrecht auf den transversalen Ebenen stehen frontosagittale Achsen (Schnittlinie von Sagittalebene und Frontalebene). Eine wichtige frontosagittale Orientierungslinie ist die Körperlängsachse. Definition Die Körperlängsachse steht in aufrechter Haltung vertikal und verläuft in enger Beziehung zur Wirbelsäule. Sie ist eine virtuelle (gedachte) Achse, die im beweglichen System des menschlichen Körpers nur existiert, wenn sich die Wirbelsäule in ihrer Nullstellung befindet und die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf in eine gemeinsame Achse eingeordnet sind.

1.2

Richtung der Distanzpunkte

Da die Nomenklatur für Bewegungen sehr unterschiedlich ist, benötigt der Therapeut für die Kommunikation eine unabhängige Beschreibung von Bewegung. Ermöglicht wird ihm dies durch die Beschreibungen der Richtungen der Distanzpunkte. Definition Ein Distanzpunkt ist ein beobachtbarer Punkt am Körper, der eine große Distanz zum Drehpunkt hat. Er kann vom Patienten gut wahrgenommen werden und eignet sich deshalb besonders gut zur Instruktion von Bewegung.

1.2.1 In der Frontalebene In der Frontalebene bewegen sich die Distanzpunkte in folgende Richtungen: 5 kranial/kaudal 5 medial/lateral (. Abb. 1.7) Daraus ergeben sich in den Gelenken folgende Bewegungskomponenten:

Hüftgelenk: 5 Abduktion/Adduktion 5 Innenrotation/Außenrotation bei 90° Hüftflexion Schultergelenk: 5 Abduktion/Adduktion

. Abb. .. Richtung der Distanzpunkte bei Bewegungen in der Frontalebene

5 Innenrotation/Außenrotation bei 90° Flexion Schultergürtelgelenke: 5 Elevation/Depression 5 Kranialrotation/Kaudalrotation der Cavitas Glenoidale Wirbelsäule: 5 Lateralflexion nach rechts/links

1.2.2 In der Sagittalebene In der Sagittalebene bewegen sich die Distanzpunkte in folgende Richtungen: 5 ventral/dorsal 5 kranial/kaudal (. Abb. 1.8) Daraus ergeben sich in den Gelenken folgende Bewegungskomponenten:

1

6

Kapitel 1 · Allgemeine Grundlagen

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

. Abb. .. Richtung der Distanzpunkte bei Bewegungen in der Sagittalebene

Hüftgelenk: 5 Flexion/Extension Schultergelenk: 5 Flexion/Extension 5 Innenrotation/Außenrotation bei 90° Abduktion Schultergürtelgelenke: 5 Ventralrotation/Dorsalrotation Wirbelsäule: 5 Flexion/Extension

1.2.3 In der Transversalebene

16

In der Transversalebene bewegen sich die Distanzpunkte in folgende Richtungen: 5 ventral/dorsal 5 medial/lateral (. Abb. 1.9)

18 19 20

5 Transversale Flexion/-Extension (bei 90° Abduktion) Schultergürtelgelenke: 5 Protraktion/Retraktion (Schulterblattabduktion/adduktion) Wirbelsäule: 5 Rotation der Körperabschnitte Becken/Brustkorb/ Kopf nach rechts/links

1.3

15 17

. Abb. .. Richtung der Distanzpunkte bei Bewegungen in der Transversalebene

Bewegungskomponenten des Hüftgelenks

In der Frontalebene

Daraus ergeben sich in den Gelenken folgende Bewegungskomponenten:

Hüftgelenk: 5 Innenrotation/Außenrotation 5 Transversale Abduktion/-Adduktion (bei 90° Hüftflexion) Schultergelenk: 5 Innenrotation/Außenrotation

Hinweis Abduktion/Adduktion: 30 (50) – 0 – 20 (30)

Zur Beurteilung der Gelenkstellung bezieht man die Verbindungslinie der Spinae iliacae und die Oberschenkellängsachse aufeinander, die in der Nullstellung einen 90°Winkel bilden (. Abb. 1.10 a und b). Hinweis Innenrotation/Außenrotation: 30 (45) – 0 – 40 (50)

7

1.3 · Bewegungskomponenten des Hüftgelenks

a a

b

b . Abb. .. a Abduktion des Beins (distaler Gelenkpartner) im linken Hüftgelenk b Adduktion des Beckens (proximaler Gelenkpartner) im rechten Hüftgelenk und Abduktion des Beckens (proximaler Gelenkpartner) im linken Hüftgelenk

Zur Bestimmung der Rotationen im Hüftgelenk in der Frontalebene wird das Hüftgelenk 90° flektiert, und man bezieht die Verbindungslinie der Spinae iliacae auf den Unterschenkel, der im Kniegelenk 90° flektiert ist und somit als Zeiger dienen kann (. Abb. 1.11 a–c). In der Nullstellung stehen diese Verbindungslinien in einem rechten Winkel zueinander.

c . Abb. .. a Außenrotation der Beine im Hüftgelenk bei 90° Flexion b Innenrotation der Beine im Hüftgelenk bei 90° Flexion, c Außenrotation des Beckens (proximaler Gelenkpartner) im linken Hüftgelenk und Abduktion des Beckens im rechten Hüftgelenk

1

8

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Kapitel 1 · Allgemeine Grundlagen

In der Sagittalebene 0°

Hinweis Flexion/Extension 120 – 0 – 15

Zur Beurteilung der Gelenkstellung nutzt man die weiterlaufende Bewegung des Beckens auf die Wirbelsäule (siehe Thomas-Handgriff ) (Siehe S. 31, 97–98). Die Neutralstellung des Beckens ist definiert als die Position, in der Symphyse und die SIAS in der gleichen Frontalebene stehen. Die Parallelverschiebung bis zur MFE (mittlere Frontalebene) bezeichnet man als die Beckenlängsachse. Man bezieht die Längsachse des Beckens und die Oberschenkellängsachse aufeinander. . Abb. 1.12)

In der Transversalebene Hinweis Innenrotation/Außenrotation: 40 (50)–0–30 (40).

10 11 12 13

30°

40°

. Abb. .. Innenrotation/Außenrotation im Hüftgelenk

Die Bewegungsachsen der Hüftgelenke für Innen- und Außenrotation stehen in der anatomischen Nullstellung frontosagittal. Zur Bestimmung der Rotationen im Hüftgelenk werden die Verbindungslinie der Spinae iliacae in Bezug zum Unterschenkel gebracht, der als Zeiger 90° flektiert ist (z.B. Ausgangsstellung Bauchlage). Dann bilden diese Verbindungslinien einen rechten Winkel (. Abb. 1.13). Hinweis Transversale Abduktion/transversale Adduktion: 60–0–30 (. Abb. 1.9b und c).

14

Bei 90° Flexion im Hüftgelenk finden um frontosagittale Achsen Bewegungen statt, die transversale Ab- und Adduktion heißen (. Abb. 1.14a). Zur Beurteilung der Gelenkstellung bezieht man die Verbindungslinie der Spinae iliacae und die Oberschenkellängsachse aufeinander, die in der Nullstellung einen rechten Winkel bilden. (. Abb. 1.14 b und c)

15 16 17 18 19 20 . Abb. .. Flexion und Extension im Hüftgelenk

9

1.4 · Bewegungskomponenten des Schultergelenks

5 In der ersten Phase findet die Bewegung nur im Humeroskapulargelenk statt. 5 Die zweite Phase beginnt ab 30–50°, und die Bewegung erfasst weiterlaufend die Skapula. 5 In der dritten Phase werden die letzten 20° der Bewegung durch das Anheben des Brustkorbs und die Extension in der Brustwirbelsäule ermöglicht. Die Wirbelsäule bewegt sich extensorisch, und die Rippen werden angehoben. Um die Bewegungen im Humeroskapulargelenk zu beurteilen, dienen als Bezugspunkte die Margo medialis der Skapula und der Oberarm (. Abb. 1.15). Das gesamte Bewegungsausmaß von 180° kommt durch die weiterlaufenden Bewegungen auf die Skapula und die Wirbelsäule zustande. (7 Kap. 4.4.3 – Untersuchung des Schultergelenks)

a

Hinweis Innenrotation/Außenrotation bei 90° Flexion 90 – 0 – 10

Bei 90° Flexion im Schultergelenk finden die Rotationen in der Frontalebene statt. Als proximaler Rotationszeiger

. Abb. .. a Transversale Abduktion/transversale Adduktion im Hüftgelenk; b transversale Abduktion im rechten Hüftgelenk und transversale Adduktion im linken Hüftgelenk des distalen Gelenkpartners; c transversale Adduktion im rechten Hüftgelenk und transversale Abduktion im linken Hüftgelenk des proximalen Gelenkpartners

1.4

Bewegungskomponenten des Schultergelenks

In der Frontalebene Hinweis Abduktion/Adduktion: 90 – 0 – 20 (40)

Das gesamte Bewegungsausmaß des Körperabschnitt Arme beträgt 180° und setzt sich aus 3 Phasen zusammen.

. Abb. .. Abduktion des Arms im Humeroskapulargelenk bis 100°, mit weiterlaufenden Bewegungen auf die Skapula bis 160°, mit weiterlaufenden Bewegungen auf die Wirbelsäule bis 180°

1

10

Kapitel 1 · Allgemeine Grundlagen

1 2 3 4 5 6

. Abb. .. Innen- und Außenrotation im Humeroskapulargelenk bei sagittotransversal stehender Bewegungsachse

7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

wird die Längsachse der Klavikula oder die Spina scapulae betrachtet, und als distaler Rotationszeiger dient der Unterarm (. Abb. 1.16).

In der Sagittalebene Hinweis

. Abb. .. Flexion im Humeroskapulargelenk bis 110°, mit weiterlaufenden Bewegungen auf die Skapula bis 160°, mit weiterlaufenden Bewegungen auf die Wirbelsäule bis 180° und Extension im Humeroskapulargelenk

Flexion/Extension: 110–0–40. . Abb. .. Innen- und Außenrotation im Humeroskapulargelenk bei frontotransversal stehender Bewegungsachse (90° Abduktion)

Um die Gelenkstellung zu beurteilen, betrachtet man die Neigung der Skapula (in der Sagittalebene) in Bezug zum Oberarm. Das Gesamtbewegungsausmaß der Flexion beträgt 180° und setzt sich aus sehr früh beginnenden weiterlaufenden Bewegungen der Skapula und der Wirbelsäule zusammen (. Abb. 1.17). Hinweis Innenrotation/Außenrotation bei 90° Abduktion: 20–0–90.

Bei 90° Abduktion finden die Rotationen im Schultergelenk um frontotransversale Achsen statt (. Abb. 1.18). Man bezieht die Neigung der Skapula und den Zeiger Unterarm aufeinander.

In der Transversalebene

Um die Rotationen im Schultergelenk zu beurteilen, bezieht man die Stellung der Spina scapulae und den im Ellenbogen 90° flektierten Unterarm aufeinander. Es ist auch möglich, die Längsachse der Klavikula und die Flexions-/Extensionsachse des Ellenbogengelenks zueinander zu beurteilen (. Abb. 1.19).

Hinweis

Hinweis

Innenrotation/Außenrotation: 95–0–40 (60).

Transversale Flexion/transversale Extension: 90–0–40

11

1.5 · Bewegungskomponenten des Schultergürtels

a

b

c

d

. Abb. .. Innenrotation/Außenrotation im Humeroskapulargelenk

Bewegungen des Arms bei 90° Abduktion in transversalen Ebenen im Schultergelenk werden als transversale Extension (oder transversale Abduktion) und transversale Flexion (oder transversale Adduktion) bezeichnet, weil sie aus dem Gesichtsfeld hinaus und wieder hineingehen (. Abb. 1.20). Man bezieht die Spina skapulae und die Oberarmlängsachse aufeinander.

. Abb. .. a Elevation und b Depression des Schultergürtels, c Elevation: der Angulus inferior dreht nach lateral, d Depression: der Angulus inferior dreht nach medial

Im Akromioklavikulargelenk werden die Bewegungen international gebräuchlich als Kranial- und Kaudalrotation der Cavitas glenoidale bezeichnet. In den manualtherapeutischen Konzepten nennt man diese Bewegungen Innen- und Außenrotation der Skapula und bezieht sich damit auf die laterale bzw. mediale Bewegung des Angulus inferior. (. Abb. 1.21).

In der Sagittalebene

. Abb. .. Transversale Flexion/transversale Extension im Humeroskapulargelenk

1.5

Bewegungskomponenten des Schultergürtels

In der Frontalebene Hinweis

In den Sternoklavikular- und Akromioklavikulargelenken wird der Schultergürtel um die Längsachse der Klavikula nach ventral oder dorsal gedreht. Dabei bewegt sich der Distanzpunkt Akromion nach ventral/kaudal und nach dorsal/kranial. Die Begriffe Ventralrotation und Dorsalrotation beschreiben demnach die Bewegungen des Schultergürtels annähernd in der Sagittalebene (. Abb. 1.22). Diese Bewegungen werden anatomisch als sog. Zwangsrotationen bezeichnet. Sie finden oft als weiterlaufende Bewegungen des Arms in der Sagittalebene statt.

In der Transversalebene

Elevation/Depression: 60–0–5.

Hinweis

In den Sternoklavikular- und Akromioklavikulargelenken wird der Schultergürtel nach kranial und kaudal bewegt.

Protraktion/Retraktion (Schulterblattabduktion/ Schulterblattadduktion) 45–0–20

1

12

Kapitel 1 · Allgemeine Grundlagen

1

1.6

2

In der Frontalebene

3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Bewegungskomponenten der Wirbelsäule

Hinweis Lateralflexion rechts-/linkskonkav . Abb. .. Ventralrotation und Dorsalrotation des Schultergürtels um die Längsachse der Klavikula

Die Ruheposition der Skapula auf dem Brustkorb ist durch die Brustkorbform bestimmt. Klavikula und Skapula bilden einen Winkel von 60° (. Abb. 1.23 a–c). Durch die Bewegungen des Schultergürtels auf dem Brustkorb verändert sich dieser Winkel. In den Sternoklavikular- und Akromioklavikulargelenken wird die Schulter um frontosagittale Achsen nach vorne oder hinten bewegt. Dabei wird der Distanzpunkt (DP) Akromion in Bezug zur mittleren Frontalebene nach ventral/medial und nach dorsal/medial geführt (führen, lateinisch: ducere; daher der Wortteil »-duzieren«). Die Begriffe Schulterblattabduktion und Schulterblattadduktion beschreiben demnach die Bewegungen des Schultergürtels im skapulo-thorakalen Gleitlager (in der Transversalebene). Synonym werden die Begriffe Ventralduktion/Dorsalduktion und Protraktion/Retraktion benutzt. Zur Bestimmung des Bewegungsausmaßes wird die Querachse durch das Manubrium sterni in Bezug zur Längsachse der Klavikula gebracht.

Die Wirbelsäulenbewegungen um sagittotransversale Achsen heißen rechts- und linkskonkave Lateralflexion. Für die Lateralflexion in der Lenden- und Brustwirbelsäule dient die Verbindungslinie der Spinae iliacae als kaudale und der frontotransversale Brustkorbdurchmesser als kraniale Orientierungslinie (. Abb. 1.24). Zur Beurteilung der Lateralflexion in der Halswirbelsäule dient als kaudaler Zeiger der frontotransversale Brustkorbdurchmesser und als kranialer Zeiger z.B. die Verbindungslinie der Ohren. Eine »reine« Lateralflexion in der Halswirbelsäule kommt aufgrund der Stellung der Gelenkflächen nicht vor, sondern ist immer mit einer Rotation zur gleichen Seite gekoppelt. Translationen nach rechts und links bezeichnen Verschiebungen der Körperabschnitte Becken, Brustkorb auf der frontalen Ebene statt. Dazu müssen in der Wirbelsäule Bewegungstoleranzen in Lateralflexion möglich sein.

14 15 16 17 18 19 20

a

b

. Abb. .. a Transversale Ansicht des Schultergürtels, b Retraktion, c Protraktion

c

13

1.6 · Bewegungskomponenten der Wirbelsäule

. Abb. ..a–d. Rechts-/linkskonkave Lateralflexion in der Wirbelsäule

a

b

c

d

In der Sagittalebene Hinweis Flexion/Extension

Die Wirbelsäulenbewegungen um frontotransversale Achsen heißen Flexion und Extension. Damit werden Bewegungen der Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf beschrieben, die sich in sagittalen Ebenen nach vorne oder hinten bewegen. Bei der Flexion verstärkt sich die Konvexität nach dorsal, bei der Extension vermindert sie sich. Bei der Beurteilung der Flexions-/Extensionsstellungen werden die Distanzpunkte (DP) Symphyse/Bauchnabel/Processus xiphoideus/Incisura jugularis/Kinnspitze beobachtet. Wenn sich

die jeweiligen Distanzpunkte annähern, hat eine Flexion stattgefunden, wenn sie sich voneinander entfernen, ist es zu einer Extension gekommen (. Abb. 1.25). Translationen nach vorne und hinten bezeichnen Verschiebungen der Körperabschnitte Becken, Brustkorb auf der frontalen Ebene statt. Dazu müssen in der Wirbelsäule Bewegungstoleranzen in Flexion und Extension möglich sein.

In der Transversalebene Hinweis Rotation des Beckens/Brustkorbs/Brustkorbs nach rechts/

1

14

Kapitel 1 · Allgemeine Grundlagen

. Abb. .. a Flexion und b Extension der Wirbelsäule

1 2 3 4 5 6 7

a

b

8 9 10

. Abb. .. Linksdrehung des Kopfs gegen den Brustkorb, Rechtsdrehung des Brustkorbs gegen den Kopf und das Becken

11

Für die Rotation in der Halswirbelsäule dient als kaudaler Zeiger der frontotransversale Brustkorbdurchmesser und als kranialer Zeiger z.B. die Verbindungslinie der Ohren.

1.7

12 13

Bewegungen der distalen Extremitätengelenke und der Kiefergelenke

Die im Folgenden beschriebenen Gelenkstellungen und - bewegungen können in (fast) allen Ebenen stattfinden, je nachdem, wie viel Bewegungstoleranzen die proximalen Extremitätengelenke haben.

14 15 16 17 18 19 20

1.7.1 Untere Extremität Die Wirbelsäulenbewegungen um frontosagittale Achsen heißen Rotation nach rechts/links (. Abb. 1.26). Damit werden Bewegungen der Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf beschrieben, die auf transversalen Ebenen entweder im Uhrzeigersinn (vom Patienten aus beschrieben), d.h. nach rechts, oder gegen den Uhrzeigersinn, d.h. nach links, stattfinden. Für die Rotationen der Wirbelsäule in der unteren Brustwirbelsäule dient als kaudaler Zeiger die Verbindungslinie der Spinae iliacae ventrales und als kranialer Zeiger der frontotransversale Brustkorbdurchmesser.

Kniegelenk Hinweis Flexion/Extension: 120–0–15.

Zur Beurteilung des Bewegungsausmaßes im Kniegelenk bestimmt man den Winkel zwischen Ober- und Unterschenkellängsachse.

1.7 · Bewegungen der distalen Extremitätengelenke und der Kiefergelenke

15

Unteres Sprunggelenk Hinweis Inversion/Eversion: 35–0–15

Mit Inversion und Eversion wird die Bewegung des Kalkaneus gegen den Talus bezeichnet. Die Bewegungsachse verläuft vom Navikulare zum Talus (ventral/medial/kranial nach dorsal/lateral/kaudal) (. Abb. 1.28a). Sichtbar wird diese Gelenkstellung oder Bewegung an dem Winkel, der sich zwischen der Unterschenkellängsachse und der Längsachse des Kalkaneus bildet (. Abb. 1.28b). Wichtig

. Abb. .. Rotationen im Kniegelenk bei 90° Knieflexion

Bei einer Valgusstellung des Kalkaneus (Knickfußstellung) hat eine Eversion im unteren Sprunggelenk stattgefunden. Bei einer Varusstellung steht der Kalkaneus in Inversion.

Hinweis Außenrotation/Innenrotation: 40–0–10.

Im Kniegelenk sind nur bei ca. 90° Flexionsstellung aktive Rotationen möglich. Als proximaler Rotationszeiger dient die Oberschenkellängsachse, und als distalen Rotationszeiger beurteilt man z.B. die anatomische Fußlängsachse oder die Achse durch die Malleolengabel, die um 23° nach lateral gedreht ist (Tibiatorsion; 7 Kap. 6) (. Abb. 1.27). Wenn die Unterschenkellängsachse (=Rotationsachse) frontosagittal steht, finden die Rotationen in transversalen Ebenen statt. Dazu muss 90° Hüft- und Knieflexion eingestellt sein. Bei Nullstellung im Hüftgelenk und 90° Knieflexion finden die Rotationen im Kniegelenk in der Frontalebene statt.

Oberes Sprunggelenk Hinweis Dorsalextension/Plantarflexion: 30–0–50.

In der Nullstellung bilden der laterale Fußrand und die Unterschenkellängsachse einen Winkel von 90°.

. Abb. .. a Bewegungsachsen des rechten Fußes: Inversions-/ Eversionsachse, Pronations-/Supinationsachse; b Inversion (Varusstellung) und Eversion (Valgusstellung) im unteren Sprunggelenk

1

16

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Kapitel 1 · Allgemeine Grundlagen

Chopart- und Lisfranc-Gelenke Hinweis Pronation/Supination: 20–0–40

Die Bewegungsachse verläuft von der hinteren Fersenmitte durch das Grundgelenk der 3. Zehe (. Abb. 1.28). Bei der Pronation und Supination wird die Stellung des Vorfußes zum Rückfuß beurteilt. Bei einer Supination vergrößert sich der mediale Winkel zwischen der Längsachse des Kalkaneus und der Basis der Querwölbung, und die Verwringung des Längsgewölbes vermindert sich. Bei einer Pronation vergrößert sich der laterale Winkel zwischen der Längsachse des Kalkaneus und der Basis der Querwölbung, und die Verwringung der Längswölbung verstärkt sich (. Abb. 1.29 a). Wichtig Die Längswölbung des Fußes kann durch gegenläufige (gegensinnige) Aktivitäten verstärkt oder abgeschwächt werden (7 Kap. 4). Inversion des Rückfußes und Pronation des Vorfußes verstärken die Längswölbung, Eversion des Rückfußes und Supination des Vorfußes flachen die Längswölbung ab bzw. heben sie auf. Mit Hilfe dieser Mechanismen passen sich die Fußsohlen bei seitlichen Gewichtsverlagerungen, z.B. beim Quergang am Schräghang oder bei Unebenheiten dem Boden an (. Abb. 1.29 b).

14 15

Zehengelenke

16

Hinweis

17 18 19 20

Grundgelenke: Flexion/Extension: 40–0–70 (80). Proximale Interphalangealgelenke: Flexion/Extension: 35–0–0. Distale Interphalangealgelenke: Flexion/Extension: 60–0–30.

Abduktion und Adduktion der Zehengelenke beziehen sich

. Abb. .. a Bewegungen in den Chopart- und Lisfranc-Gelenken (Pronation/Supination) bei stehendem Rückfuß; b gegensinnige Bewegungen des Vorfußes und des Rückfußes zur Verstärkung bzw. Verminderung der Längswölbung

1.7.2 Obere Extremität Ellenbogengelenk Hinweis Flexion/Extension: 150–0–10.

Die Bewegungen im Humeroulnargelenk heißen Flexion und Extension. Beurteilt wird die Stellung der Oberarmlängsachse in Bezug zur Unterarmlängsachse. Je nach Einstellung der Flexions-/Extensionsachse finden die Bewegungen in unterschiedlichen Ebenen statt. Hinweis Pronation/Supination: 90–0–90.

auf die anatomische Fußlängsachse, die von der Mitte des Calcaneus durch den zweiten Strahl verläuft. In den proximalen und distalen Radioulnargelenken finden die Bewegungen Pronation und Supination statt, die sich

1.7 · Bewegungen der distalen Extremitätengelenke und der Kiefergelenke

17

. Abb. .. Pronation und Supination des Unterarms

am besten bei 90° Ellenbogenflexion beurteilen lassen. Als Bezugslinien dienen der Oberarm und die Flexions/Extensionsachse des Handgelenks, die in der Nullstellung parallel stehen (. Abb. 1.30), oder die Flexions-/Extensionsachsen von Hand- und Ellenbogengelenk, die in der Nullstellung einen 90°-Winkel bilden. Je nach Einstellung der Unterarmlängsachse (=Pronations-/Supinationsachse) erfolgen die Bewegungen in unterschiedlichen Ebenen. Bei 90° Flexion oder 90° Abduktion in der Schulter findet die Bewegung in der Transversalebene statt. Der Unterarm steht dann frontosagittal und parallel zur Körperlängsachse und zeigt nach kranial. In Nullstellung oder (90°) Abduktion des Oberarms bewegt sich der Unterarm in der Frontalebene. Die Unterarmlängsachse steht sagittotransversal und zeigt nach vorne. Wenn der Oberarm in Innenrotation oder Flexion/ Innenrotation steht, findet die Pronation und Supination in der Sagittalebene statt. Der Unterarm steht frontotransversal und liegt dann vor dem Bauch oder dem Schultergürtel.

. Abb. .. a Dorsalextension und Volarflexion (Palmarflexion) im Handgelenk; b ulnare und radiale Abduktion im Handgelenk

verteilen sich gleichmäßig auf das proximale und das distale Handgelenk (. Abb. 1.31a). Hinweis Ulnarabduktion/Radialabduktion: 30 (40)–0–10 (30).

Handgelenk Hinweis Volarflexion (Palmarflexion)/Dorsalextension: 40 (60)–0–60 (80)

Bei der Beurteilung der Volar- oder Palmarflexion und der Dorsalextension wird die Stellung der Unterarmlängsachse in Bezug zur Handlängsachse beurteilt. Die Bewegungen

Die Ulnarabduktion und Radialabduktion beschreiben die Bewegungen der Handlängsachse (Metakarpale 3) zur Unterarmlängsachse (. Abb. 1.31 b).

Fingergelenke Man bezeichnet die Abduktionsgröße der gespreizten Finger durch den Abstand der Fingerkuppen.

1

18

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Kapitel 1 · Allgemeine Grundlagen

Hinweis Bewegungstoleranzen der Gelenke des .–. Fingers: 5 Grundgelenke (MP=Metakarpophalangealgelenke): Flexion/Extension: 90–0–10 (30), 5 Mittelgelenke (PIP=proximales Interphalangealgelenk): Flexion/Extension: 100–0–0, 5 Endgelenke (DIP=distales Interphalangealgelenk): Flexion/Extension: 80 (90)–0–0 (10). Bewegungstoleranzen der Daumensattelgelenke: 5 Sattelgelenk (CM = Karpometakarpalgelenk): 5 Abduktion/Adduktion: 45–0–0, 5 Flexion/Extension: 20–0–45. Bewegungstoleranzen der Daumengrund- und Endgelenke: 5 Grundgelenk (MP=Metakarpophalangealgelenk): Flexion/Extension: 50–0–0 (30), 5 Endgelenk (IP=Interphalangealgelenk): Flexion/ Extension: 80–0–10.

10 11

1.7.3 Kiefergelenke

12

Die Bewegungen der Kiefergelenke sind nur in beiden Gelenken gleichzeitig möglich. Beim Öffnen und Schließen des Mundes finden die Bewegungen bilateral symmetrisch und beim Kauen asymmetrisch statt. Beim Öffnen und Schließen des Mundes, also bei Beißbewegungen, entfernen sich die Nasenspitze und die Kinnspitze voneinander und nähern sich wieder, bis die Zahnreihen aufeinander stehen. Bei der maximalen Mundöffnung kommt es zu einer kombinierten RollGleit-Bewegung im Gelenk. Die Ventral- und Dorsaltranslation des Unterkiefers wird auch als Pro- und Retrusion bezeichnet. Die seitlichen Verschiebungen sind beim Kauen von Bedeutung. Diese seitlichen Translationen werden auch als Laterotrusion und Mediotrusion bezeichnet. Bei diesen Bewegungen verschiebt sich die Kinnspitze zu einem Jochbogen hin.

13 14 15 16 17 18 19 20

2

Bewegungsanalyse 2.1

Beobachtung von Bewegung mit Hilfe der Distanzpunkte – 20

2.4.3 2.4.4

Gleichgewichtslage des Körpers – 32 Gleichgewichtsreaktionen – 34

2.2

Weiterlaufende Bewegungen – 26

2.5

Muskuläre Aktivitäten – 38

2.3

Begrenzung der weiterlaufenden Bewegungen – 28

2.3.1

Begrenzen der weiterlaufenden Bewegung durch Gegenaktivität – 28 Begrenzen der weiterlaufenden Bewegung durch Gegenbewegung – 28

2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.5.4

Lage zum Drehpunkt – 38 Aktive und passive Insuffizienzen – 38 Einfluss der Schwerkraft – 41 Kontakt mit der Umwelt/Aktivitätszustände – 43

2.6

Myofasziale Systeme

2.3.2

– 49

Salah Bachah

2.4

Gleichgewicht – 29

2.4.1 2.4.2

Unterstützungsfläche – 30 Körperschwerpunkt und Trennebene – 31

2.6.1 2.6.2 2.6.3

Plastizität der Muskulatur Muskelfähigkeiten – 50 Klinische Relevanz – 52

– 49

20

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

Die FBL – Functional Kinetics lehrt Physiotherapeuten, das Bewegungssystem und das Bewegungsverhalten des Menschen von Außen zu betrachten. Diese Außenansicht bezieht sich auf Haltung und Bewegung. Sie beinhaltet ein Analysekonzept mit definierten Beobachtungskriterien, die sich 5 auf alle Gelenke des Körpers, 5 auf statische Positionen und 5 auf kinematische Ketten anwenden lassen. Die in der FBL angewandten Beobachtungsverfahren liefern Daten über 5 die Harmonie einer Bewegung, 5 die Koordination, 5 den Rhythmus, 5 das Bewegungsausmaß u.v.m. Sie sind äußerst praxisrelevant und schließen die Fähigkeit ein, räumliche und zeitliche Qualitäten der Bewegung intuitiv zu erfassen. Sie erfordern Beobachtungskriterien und gehören zu den Basisqualifikationen der Physiotherapeuten. Die FBL beschreibt detailliert die menschliche Bewegung und definiert wiederkehrende Bestandteile des Bewegungsverhaltens. Dadurch werden die Bewegungsanalyse und das Lehren von Bewegung systematisiert.

12

Wichtig

13

Bewegungsbeobachtung ist ein diagnostisch wichtiges Verfahren der Physiotherapie!

14 15 16 17 18 19 20

Das Nutzen bewegungsanalytischer Beobachtungskriterien gehört zum »Hand-Werkzeug« der Physiotherapie. Der geübte Umgang mit diesem bewegungsanalytischen Handwerkszeug erleichtert die Instruktion von Bewegung und damit die Instruktion und Beratung der Patienten. Unterstützend durch die Kenntnisse aus der Physik, der Biomechanik und funktionellen Anatomie werden die Ergebnisse der Beobachtung und der Palpation interpretiert und für die Untersuchung und Therapie genutzt. Durch unmittelbare Bewegungsbeobachtung und die anschließende Auswertung wird die jeweilige Therapieform gewählt, die sich am normalen Bewegungsverhalten des gesunden Menschen orientiert.

2.1

Beobachtung von Bewegung mit Hilfe der Distanzpunkte

Distanzpunkte dienen dem Therapeuten zur Analyse und Instruktion von Bewegung und sind damit auch für den

Patienten eine große Hilfe, selbst kleinste Bewegungen wahrnehmen zu können. In der Funktionellen Bewegungslehre interessiert das Gelenk als Ort, an dem Bewegungen innerhalb des Körpers stattfinden. Wahrnehmung, Bewegungsanalyse und Instruktion solcher Bewegungen registrieren die Stellungsänderung von »Hebeln«, »Zeigern« und »Verschiebekörpern« ohne etwas über die Aktivitäten auszusagen, die diese Stellungsänderungen hervorbringen. Die Bezeichnungen Drehpunkt, Schaltstelle der Bewegung und Bewegungsniveau weisen auf den Unterschied zum etablierten anatomischen Gelenkbegriff hin. Bewegung wird definiert als 5 Lage- bzw. Ortsveränderung des Körpers oder einzelner Körperteile im Raum (und auf der Unterlage) und/oder als 5 Stellungsänderung der Gelenkpartner zueinander. Daraus ergibt sich, dass sich der Winkel zwischen diesen beiden vergrößern oder verkleinern muss. Wir können mit Armen und Beinen nur dann geradlinige Bewegungen machen, wenn sich der Drehpunkt verschiebt. Bei stehendem Drehpunkt beschreiben die Distanzpunkte Kreisbögen. Bewegungen werden mit Hilfe der Distanzpunkte beobachtet, beschrieben und instruiert. Definition Ein Distanzpunkt ist ein beobachtbarer Punkt am Gelenkpartner, der eine große Distanz zum Drehpunkt hat und deshalb einen großen Weg zurücklegt.

Bevor eine Aussage über eine Bewegung in einem Drehpunkt gemacht wird, muss das Bewegungsverhalten beider Distanzpunkte beurteilt werden. Man unterscheidet Bewegungen vom 5 Scharniertyp, 5 Rotationstyp (Drehbewegungen um Längsachsen von Knochen) und 5 Translationstyp (Verschiebungen der Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf gegeneinander.

21

2.1 · Beobachtung von Bewegung mit Hilfe der Distanzpunkte

Die folgenden Beispiele von Bewegungsausschlägen sollen typische Varianten darstellen.

5 Der proximale Gelenkpartner bewegt sich (. Abb. 2.2 a, b),

Scharniertypische Winkelveränderungen ohne Drehpunktverschiebung 5 Der distale Gelenkpartner bewegt sich (. Abb. 2.1 a, b)

a

a

b . Abb. .. Extension des Unterschenkels im Kniegelenk a Ausgangsstellung b Endstellung

b . Abb. .. a Extension des Beckens in den Hüftgelenken (Flexion des Beckens in der LWS) b Flexion des Beckens in den Hüftgelenken (Extension des Beckens in der LWS)

2

22

1 2

Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

5 Der distale Gelenkpartner legt den größeren Weg zurück (. Abb. 2.3 a–c). Das ist eine typische weiterlaufende Bewegung (7 Kap. 2.2)

3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

a

b

c

. Abb. .. a Flexion des Beins im Hüftgelenk, b weiterlaufend bewegt sich das Becken im kontralateralen Hüftgelenk extensorisch und in der Wirbelsäule flexorisch. c Der distale Gelenkpartner (Bein) hat den größeren Weg zurückgelegt.

5 Beide Gelenkpartner bewegen sich (. Abb. 2.4 a, b). Das ist für Extremitätenbewegungen eher selten, da diese sich durch Drehpunktverschiebungen auszeichnen.

15 16 17 18 19 20

a

b

. Abb. .. Flexion des Hüftgelenks von beiden Gelenkpartnern (Becken und Oberschenkel) bei stehendem Drehpunkt. a Aufrechter Sitz b Vorgeneigte Körperlängsachse + Zehenspitzenstand (Plantarflexion)

23

2.1 · Beobachtung von Bewegung mit Hilfe der Distanzpunkte

Scharniertypische Winkelveränderungen mit Drehpunktverschiebung 5 Der proximale Gelenkpartner bleibt am Ort (der distale Gelenkpartner und der Drehpunkt bewegen sich) (. Abb. 2.5 a, b).

5 Der distale Gelenkpartner bleibt am Ort (der proximale Gelenkpartner und der Drehpunkt bewegen sich) (. Abb. 2.6 a, b).

a

a

b

. Abb. .. a, b Flexion des Ellenbogens mit Drehpunktverschiebung. Proximaler Gelenkpartner bleibt am Ort

b . Abb. .. a, b Flexion des Ellenbogens mit Drehpunktverschiebung. Der distaler Gelenkpartner bleibt am Ort

2

24

1

Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

5 Beide Gelenkpartner und der Drehpunkt bewegen sich (. Abb. 2.7 a, b).

2 3 4 5

Rotatorische Winkelveränderungen Bei Rotationsbewegungen liegen die Distanzpunkte an sog. »Zeigern der Bewegung«, die im günstigsten Fall rechtwinklig zur Rotationsachse stehen. Man unterscheidet: 5 reale Zeiger: Beispiel: Um die Drehbewegungen im Schultergelenk beurteilen zu können, stellt man die Unterarmlängsachse rechtwinklig zum Oberarm ein. Der Unterarm dient damit als distaler Rotationszeiger für die Bewegungen im Humeroskapulargelenk (. Abb. 2.8 a, b).

6 7 8 9 10 11 12 13

a

b

. Abb. .. a, b Flexion im Kniegelenk mit Drehpunktverschiebung. Beide Gelenkpartner bewegen sich.

a

14 15 16 17 18 19 20

b . Abb. .. a, b Unterarm als realer Rotations-Zeiger für die Bewegung im Humeroskapulargelenk

2.1 · Beobachtung von Bewegung mit Hilfe der Distanzpunkte

5 gedachte Zeiger:

Beispiel: Die Winkelveränderung der Beuge-StreckAchsen des Hand- und Ellenbogengelenks zeigen das Ausmaß der Pronation und Supination im Unterarm (. Abb. 2.9 a–c).

25

Bei Rotation und Translation gibt es keine Drehpunktverschiebung. Bei den Extremitätenbewegungen kann es jedoch zur Parallelverschiebung der Rotationsachse kommen, wenn die Bewegung vom proximalen Zeiger stattfindet. Bei den folgenden Beispielen ist das Bewegungsausmaß in der Endstellung gleich, die Bewegungen sind jedoch auf unterschiedliche Art und Weise zustande gekommen (. Abb. 2.10 a–f) 5 Der kraniale Gelenkpartner dreht sich. 5 Der kaudale Gelenkpartner dreht sich. 5 Beide drehen sich in entgegen gesetzte Richtung. 5 Beide drehen gleichsinnig, der kraniale dreht jedoch weiter. 5 Beide drehen gleichsinnig, der kaudale dreht sich weiter.

c . Abb. .. a Pro-/Supination des Unterarms; b Beuge-Streck-Achse des Handgelenks als distaler gedachter Rotationszeiger für die Pro/Supination; c Oberarm-Längsachse als proximaler Zeiger für die Supination im Ellenbogengelenk

. Abb. ..a–f Rotationen in der Halswirbelsäule

2

26

1 2 3 4 5 6 7 8

Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

Translatorische Winkelveränderungen Translationen finden in der Wirbelsäule zwischen 2 Körperabschnitten statt. Sie kommen bei Kombinationsbewegungen aus Flexion und Extension (bei Ventral- und Dorsaltranslation) und rechts- und linkskonkaver Lateralflexion (bei Translationen nach rechts und links) vor. Bei den nachfolgenden Beispielen ist das Bewegungsausmaß in der Endstellung gleich, die Bewegungen sind jedoch auf unterschiedliche Art und Weise zustande gekommen (. Abb. 2.11 a–f). 5 Der kraniale Gelenkpartner translatiert nach links. 5 Der kaudale Gelenkpartner translatiert nach rechts. 5 Beide translatieren in entgegen gesetzte Richtungen. 5 Beide translatieren in die gleiche Richtung (nach links), der kraniale bewegt sich weiter. 5 Beide translatieren in die gleiche Richtung (nach rechts), der kaudale bewegt sich weiter.

9 10 11

Weiterlaufende Bewegungen

Bei der Beobachtung von Bewegung wird das Verhalten der einzelnen Gelenkpartner zueinander beschrieben. Die Anzahl, der in eine Bewegung involvierten Gelenke, hängt vom Ziel und Ausmaß der geplanten Bewegung ab. Der Bewegungswunsch und die Bewegungsrichtung bestimmen die Bewegungskomponenten der involvierten Gelenke. Jedes Gelenk, das Bewegungstoleranzen in die geplante Bewegungsrichtung aufweist, kann vom Bewegungsimpuls erfasst werden. Eine weiterlaufende Bewegung entsteht. (. Abb. 2.12) Wenn ein beliebiger Punkt des Körpers durch einen Bewegungsimpuls in eine bestimmte Richtung geleitet wird und in den benachbarten Gelenken Bewegungsausschläge stattfinden, die der Verwirklichung dieser gerichteten Bewegung dienen, entsteht eine weiterlaufende Bewegung ( WB).

13 14

Um eine weiterlaufende Bewegung veranlassen, beobachten und/oder beschreiben zu können, bestimmt der Therapeut den kritischen Distanzpunkt. Er instruiert den Patienten, in welcher Richtung, bis wohin und wie schnell dieser Punkt bewegt werden soll.

15 16 17

Ausweichbewegungen/Ausweichmechanismen

18 20

2.2

Definition

12

19

> Klinische Relevanz: Die Kenntnis über die Art der Winkelveränderung und damit eine genaue Bewegungsanalyse erlaubt es dem Therapeuten, Referenzen einer Bewegung zu definieren und Pathologien zu erkennen. Die selektive Untersuchung von kranial und kaudal bzw. proximal und distal dient z.B. der Differenzierung der Schmerzhaftigkeit von Strukturen. Die genaue Kenntnis der Arten der Winkelveränderungen sind die Grundlage der Behandlungstechnik »Widerlagernde Mobilisation«. (7 Kap. 9.1)

. Abb. ..a–f Translationen zwischen den Körperabschnitten Brustkorb und Kopf

Bei Störungen bzw. Schmerzen im Bewegungsverhalten beobachtet man in den benachbarten Gelenken häufig unerwünscht weiterlaufende Bewegungen. Dabei stimmt entweder der zeitliche Ablauf der Übertragung von einem auf das nächste Gelenk nicht, oder der Bewegungsimpuls wird in eine andere Richtung geleitet. In der Folge wird die Bewegung weniger differenziert. Es kommt zu Ausweichbewegungen (. Abb. 2.13).

27

2.2 · Weiterlaufende Bewegungen

a

b

. Abb. .. Ausweichmechanismus bei der Abduktion im Humeroskapulargelenk

Sie können im Alltag hilfreich sein, um ein gewünschtes Bewegungsziel noch zu erreichen, der Patient empfindet sie meistens nicht als störend. Oft werden die Ausweichbewegungen nach einer gewissen Zeit als normale Bewegung empfunden, sie sind zum Ausweichmechanismus geworden. Definition Unerwünschte, aus der Bewegungsrichtung abweichende Bewegungen und/oder Veränderungen der Unterstützungsfläche heißen Ausweichmechanismen. Sie setzen automatisch ein, sind nicht ökonomisch und verhindern das direkte Erreichen des angestrebten Ziels.

c . Abb. .. a Weiterlaufende Bewegung des rechten Beins in der Sagittalebene: flexorisch in der Wirbelsäule und extensorisch im linken Hüftgelenk; b und c Weiterlaufende Bewegung des linken Arms in der Sagittalebene: dorsalrotatorisch im Schultergürtel und extensorisch in der Wirbelsäule

Es ist Aufgabe des Therapeuten, die Ausweichmechanismen zu erkennen und beschreiben zu können. Er muss entscheiden, wie die Ausweichmechanismen verhindert werden sollen. Dazu bestimmt er den Drehpunkt, der als letztes von der Primärbewegung erfasst werden soll. Definition Der letzte Drehpunkt, der an der weiterlaufenden Bewegung teilnimmt, wird kritischer Drehpunkt genannt.

2

28

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

2.3

Begrenzung der weiterlaufenden Bewegungen

Um eine weiterlaufende Bewegung in einem bestimmten Drehpunkt zu stoppen, stehen dem Körper verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung: 5 Begrenzen der weiterlaufenden Bewegung durch Gegenaktivität 5 Begrenzen der weiterlaufenden Bewegung durch Gegenbewegung

Beispiel Bei der Therapeutischen Übung »Kurz und bündig« werden die lokalen Stabilisatoren durch beschleunigte gestoppte Armbewegungen aktiviert. Diese Übung kann ebenso zur differenzierten Untersuchung der Stabilisierungsfähigkeit der Wirbelsäule in ihrer Nullstellung genutzt werden (. Abb. 2.15).

2.3.2 Begrenzen der weiterlaufenden

Bewegung durch Gegenbewegung 2.3.1 Begrenzen der weiterlaufenden

Bewegung durch Gegenaktivität Das Begrenzen einer weiterlaufenden Bewegung durch Gegenaktivität bedeutet das Stoppen des Bewegungsimpulses durch stabilisierende Muskelaktivitäten. Damit die Gegenaktivität rechtzeitig einsetzt, muss der Patient instruiert werden, welcher Abstand zwischen 2 wahrnehmbaren Punkten am Körper sich nicht verändern darf, oder an welchen Kontaktstellen von Körper und Umwelt der Druck gleich bleiben soll. (. Abb. 2.14)

11

Gegenbewegungen sind eine weitere Möglichkeit, weiterlaufende Bewegungen zu begrenzen. Die Richtung der Gegenbewegung ist derjenigen der Primärbewegung entgegengesetzt. Gegenbewegungen können in einem beliebigen Gelenk gestartet werden.

. Abb. .. a, b Begrenzen der weiterlaufenden Bewegung auf die Wirbelsäule durch stabilisierende Bauchmuskelaktivität.

12 13 14 15 16 17 18 19 20 a

b

29

2.4 · Gleichgewicht

Wichtig Durch 2 in entgegen gesetzter Richtung verlaufende Bewegungsimpulse können Bewegungstoleranzen dazwischen liegender Gelenke ausgeschöpft werden. Auf diesem Prinzip basiert die Behandlungstechnik »Widerlagernde Mobilisation«.

Beispiel a

Eine übliche Vorgehensweise zur Bestimmung der Extension im Hüftgelenk erfolgt in Rückenlage auf einer harten Unterlage mit Hilfe des Thomas-Handgriffs. Dabei wird ein Bein im Hüftgelenk maximal flektiert, bis die Lendenwirbelsäule Kontakt mit der Unterlage bekommt. Über das Bewegungsverhalten des liegen gebliebenen Beins macht der Therapeut eine Aussage zur Extensionsfähigkeit. Bei eingeschränkter Extension führt die maximale Beugung des Beins dazu, dass sich der Oberschenkel des kontralateralen Beins um das Ausmaß der fehlenden Streckfähigkeit von der Unterlage abhebt. Wenn das Bein nur in der Sagittalebene des Hüftgelenks flektiert wird, kommt es jedoch zu weiterlaufenden Bewegungen, die für die Untersuchung der Beweglichkeit des Hüftgelenks kontraproduktiv sind. In der Wirbelsäule entsteht zusätzlich eine Lateralflexion und Rotation und im kontralateralen Hüftgelenk eine Abduktion (und evtl. Außenrotation). Im flektierten Hüftgelenk beobachtet man zusätzlich Außenrotation und transversale Adduktion (. Abb. 2.16 a–c). Um die unerwünschten weiterlaufenden Bewegungen zu begrenzen, wird das flektierte Bein zusätzlich in Außenrotation und transversale Adduktion gebracht (. Abb. 2.17).

b

c

2.4

Gleichgewicht

d . Abb. .. Aktivierung der lokalen Stabilisatoren bei der Übung »Kurz und bündig«. a Beschleunigte Bewegung der Hände nach oben: dynamische Stabilisierung der geraden Bauchmuskulatur, b beschleunigte Bewegung der Hände nach unten: dynamische Stabilisierung der extensorischen Rückenmuskulatur, c Ausgangsstellung für beschleunigte diagonale Handbewegungen, d einseitig

Gleichgewicht herrscht dann, wenn sich die Summe aller Kräfte, die auf einen Körper einwirken, neutralisieren. Jeder Körper strebt eine stabile Gleichgewichtslage an. Bestimmt wird das Gleichgewicht durch die Unterstützungsfläche und den Körperschwerpunkt.

2

30

Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

1 2 3

a

4 5 6 7 8

a

b

9 10 11 12

b

13

. Abb. .. Begrenzung der weiterlaufenden Bewegung a in der Transversalebene durch Transversale Adduktion des rechten Beins; b in der Frontalebene durch Außenrotation im rechten Hüftgelenk.

14 15 16 17 18 19 20

c . Abb. .. Weiterlaufende Bewegungen a in der Sagittalebene: Extension im linken Hüftgelenk und Flexion in der Lendenwirbelsäule; b in der Frontalebene: Abduktion im linken Hüftgelenk, Lateralflexion in der Lendenwirbelsäule und Außenrotation im rechten Hüftgelenk; c in der Transversalebene: Außenrotation im linken Hüftgelenk, Rotation des Beckens in der Wirbelsäule nach rechts und transversale Adduktion im rechten Hüftgelenk.

2.4.1 Unterstützungsfläche Definition Die Unterstützungsfläche bezeichnet die kleinste Fläche, die die Kontaktstellen der Körperabschnitte mit der Unterlage einrahmt.

Über der Unterstützungsfläche befindet sich der Körperschwerpunkt. Bei nur einer Kontaktstelle des Körpers mit der Umwelt liegt er genau darüber. Bei mehreren Kontaktstellen des Körpers, die gleichmäßigen Druck ausüben, befindet er sich über der Mitte der Unterstützungsfläche.

2.4 · Gleichgewicht

Bringen die Kontaktstellen unterschiedlich viel Gewicht auf die Unterstützungsfläche, so befindet sich der Schwerpunkt in der Nähe des größten Drucks. Wenn die Person auf einer Behandlungsbank oder einem Stuhl sitzt, wird die Unterstützungsfläche von den Kontaktstellen Gesäß/Bank (auf den Boden projiziert) und von den Füßen eingeschlossen. Der Körperschwerpunkt befindet sich eher über der hinteren Abgrenzung, da die Beine nur ihr eigenes Gewicht auf die Unterstützungsfläche bringen (. Abb. 2.18 a). Bei der geringsten Vorneigung des »Türmchens« verlagert sich der Schwerpunkt nach vorn, und der Druck unter den Füßen nimmt zu. Sitzt die Person auf einem gut aufgepumpten Ball, ist dessen Kontaktstelle auf dem Boden kleiner als diejenige des Körpers auf dem Ball. Die Unterstützungsfläche wird durch die Kontaktstelle des Balls und dessen Verbindung zu den Füßen gebildet (. Abb. 2.18 b). Der Körperschwerpunkt befindet sich, wie beim Sitzen auf einem Stuhl, eher über der Kontaktstelle Ball/Boden. Beim Wechsel vom Zweibeinstand in den Einbeinstand z.B. verkleinert sich die Unterstützungsfläche um ca. 3/4 (. Abb. 2.19). Das bedeutet, dass der Körper seine Gewichte über dieser veränderten Unterstützungsfläche neu verteilen muss. Aus dieser Gleichgewichtsreaktion resultiert eine große Veränderung der Muskelaktivitäten.

31

. Abb. .. Unterstützungsflächen (USF) im Sitz a auf einem Stuhl und b auf einem Ball

2.4.2 Körperschwerpunkt und Trennebene Definition Der Schwerpunkt ist der Punkt eines Körpers, in dem sein Gewicht (oder seine Masse) vereinigt ist.

Für die Standfestigkeit eines Körpers ist die Lage des Schwerpunkts in Bezug auf die Unterstützungsfläche maßgebend. Er ist ein fiktiver Punkt und ändert beim beweglichen Körper fast ständig seine Position. Um ihn zu bestimmen, muss man eine gedachte senkrechte Verbindungslinie durch den Körper zum Erdmittelpunkt legen. Diese sog. Trennebene erleichtert die Analyse von Gewichtsverschiebungen. Solange diese Schwerelinie durch die Unterstützungsfläche des Körpers geht, wird von Standfestigkeit gesprochen. Verläuft sie außerhalb der Unterstützungsfläche, kommt es zur Kippbewegung (. Abb. 2.20). Der Mensch reagiert auf die Verschiebung des Schwerpunkts, indem er den beschleunigenden

. Abb. .. Unterstützungsfläche im Zweibeinstand und im Einbeinstand

. Abb. .. Schwerelinie in Bezug zur Unterstützungsfläche

2

32

1 2 3

Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

Gewichten ein Gegengewicht entgegensetzt oder seine Unterstützungsfläche verändert. Beim Gehen wird die Unterstützungsfläche immer so verändert, dass der Körperschwerpunkt über ihr liegt. Die Standfestigkeit kann verbessert werden durch: 5 Vergrößerung der Unterstützungsfläche und 5 Tieferlegung des Körperschwerpunkts.

Ein Körper mit nur 2 Unterstützungspunkten kann sich nicht im stabilen Gleichgewicht befinden. Dagegen spricht jedoch nicht, dass der Mensch beim Zweibeinstand eine stabile Gleichgewichtslage einnehmen kann, da die Füße als Auflageflächen dienen. Die Unterstützungsfläche wird durch den lateralen Fußrand, der Verbindungslinie der Fersen und der Zehen gebildet.

4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Beispiel

2.4.3 Gleichgewichtslage des Körpers

Im Vierfüßlerstand wird die Unterstützungsfläche durch die Kontaktstellen der Hände und der Knie gebildet (. Abb. 2.22 a, b). Ein Turner, der an Ringen hängt, befindet sich in einem stabilen Gleichgewicht (. Abb. 2.23).

Wichtig Die Lage des Schwerpunkts über der Unterstützungsfläche entscheidet über die Gleichgewichtslage des Körpers. Man unterscheidet ein stabiles, labiles und indifferentes Gleichgewicht (. Abb. 2.21 a).

Stabiles Gleichgewicht Wenn sich der Körperschwerpunkt über der Mitte einer Unterstützungsfläche befindet, die durch mindestens 3 Auflagepunkte bestimmt ist, spricht man von einem stabilen Gleichgewicht. Befindet sich der Körperschwerpunkt unterhalb des Drehpunkts, spricht man ebenfalls von einem stabilen Gleichgewicht. Je näher der Körperschwerpunkt an der Unterstützungsfläche liegt, desto stabiler ist die Gleichgewichtssituation (. Abb. 2.21 b).

a

14 15 16

b . Abb. .. a Stabiles Gleichgewicht im Vierfüßlerstand auf einer Kiste; b Unterstützungsfläche im Vierfüßlerstand

17 18 19 20

. Abb. .. a Gleichgewichtslagen des Körpers; b Stabiles Gleichgewicht: der Drehpunkt befindet sich oberhalb des Schwerpunkts

33

2.4 · Gleichgewicht

. Abb. .. Stabiles Gleichgewicht bei einem Turner, der an Ringen hängt

Beispiel 5 Im Einbeinstand ist die Unterstützungsfläche sehr klein, und kleinste Bewegungen bringen den Körperschwerpunkt an den Rand der Unterstützungsfläche. (. Abb. 2.25) 5 Eine Person, die auf einem Stuhl nach hinten kippt, befindet sich in einem labilen Gleichgewicht. Sie kann die Kippbewegungen durch den Einsatz von Gegengewichten ausbalancieren, aber sobald die einwirkenden Kräfte zu groß werden, kippt der Stuhl mitsamt der Person um (. Abb. 2.26) 5 Ein Seiltänzer befindet sich ständig in einem labilen Gleichgewicht. Durch eine lange Balancierstange kann er jedoch durch minimale Bewegungen mit den Händen eine große Wirkung erzielen und so seinen Körperschwerpunkt über dem Seil zentrieren (. Abb. 2.27) 5 Ein Turner, der sich auf die Ringe stützt, befindet sich in einem labilen Gleichgewicht (. Abb. 2.28).

Labiles Gleichgewicht Ein Körper mit nur 2 Auflagepunkten befindet sich in einem labilen Gleichgewicht. Die Körpergewichte sind gut darüber ausbalanciert. Schon die geringste Bewegung bringt den Körperschwerpunkt an den Rand der Unterstützungsfläche. Sowie er darüber hinausgeht, ist das Gleichgewicht verloren. Befindet sich der Schwerpunkt oberhalb des Drehpunkts, ist die Gleichgewichtslage ebenfalls labil (. Abb. 2.24).

. Abb. .. labiles Gleichgewicht: der Drehpunkt befindet sich unterhalb des Schwerpunktes.

. Abb. .. Unterstützungsfläche im Einbeinstand bei labilem Gleichgewicht.

2

34

Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

Indifferentes Gleichgewicht

1

Beim indifferenten Gleichgewicht bleibt die Lage des Schwerpunkts zur Unterstützungsfläche immer gleich – der Drehpunkt liegt genau im Schwerpunkt (. Abb. 2.29). Diese Form des Gleichgewichts kann der menschliche Körper nicht erreichen, da er durch Bewegung eine ständige Veränderung der Lage seines Körperschwerpunkts erfährt. Für jeden Körperabschnitt lassen sich Teilschwerpunkte ermitteln, deren Berechnung z.B. zur Ermittlung von Gelenkkräften bedeutsam ist.

2 3 4 5 6

. Abb. .. Labiles Gleichgewicht bei jemandem, der auf einem Stuhl nach hinten kippt

7 8 . Abb. .. Indifferentes Gleichgewicht: der Drehpunkt liegt genau im Schwerpunkt

9 10

Beispiel Ein Rad oder eine Kugel können ihren Schwerpunkt nicht verändern. Der Bezug zur Unterstützungsfläche bleibt immer gleich.

11 12

2.4.4 Gleichgewichtsreaktionen

13 14 15 16 17 18 19 20

. Abb. .. Labiles Gleichgewicht bei einem Seiltänzer. . Abb. .. Labiles Gleichgewicht bei einem Turner, der sich auf die Ringe stützt

Bestimmt durch das Schwerefeld der Erde kommt es bei jeder Bewegung zu Gleichgewichtsreaktionen (Equilibriumsreaktionen), denn Bewegen bedeutet immer ein Verschieben von körpereigenen Gewichten im Raum. Sobald die Gewichtsverschiebung eine horizontale Richtung enthält, löst sie automatische, leicht beobachtbare Gleichgewichtsreaktionen aus (. Abb. 2.30). Man unterscheidet: 5 Veränderung der Unterstützungsfläche 5 Einsetzen von Gegengewichten Diese Gleichgewichtsreaktionen treten oft in Kombination auf. Wenn weder die Unterstützungsfläche verändert wird, noch ein Gegengewicht eingesetzt werden kann oder darf, können Gewichtsverschiebungen auch durch stabilisierende Muskelaktivitäten begrenzt werden, Dabei verändert sich der Druck innerhalb der Unterstützungsfläche.

35

2.4 · Gleichgewicht

Einsetzen von Gegengewichten Primärbewegungen, die eine horizontale Richtungskomponente aufweisen, führen sofort zu einer Veränderung der Gleichgewichtslage. Darf die Unterstützungsfläche nicht verändert werden, schafft der Körper einen Ausgleich und setzt Gegengewichte ein (. Abb. 2.32).

. Abb. .. Gleichgewichtsreaktion vom Therapeuten ausgelöst.

Veränderungen der Unterstützungsfläche Verläuft die Primärbewegung vorwiegend horizontal und geradlinig und werden keine Gegengewichte eingesetzt, kommt es zu einer Veränderung der Unterstützungsfläche in Richtung der Primärbewegung. Das Gehen ist beispielsweise eine permanente Anpassung der Unterstützungsfläche an den nach vorn strebenden Körperschwerpunkt. Die Schritte können als eine wiederkehrende Anpassung der Unterstützungsfläche in Richtung der Primärbewegung interpretiert werden. Der Schrittmechanismus erfolgt dabei reaktiv (. Abb. 2.31).

a

b

. Abb. .. Gehen: Verändern der Unterstützungsfläche nach vorne

. Abb. ..a, b Einsetzen von Gegengewichten (rechter Arm und rechtes Bein) bei horizontaler Gewichtsverschiebung nach links.

2

36

Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

Wichtig

1

Die horizontale Komponente der Primärbewegung bringt Gewichte in die Bewegungsrichtung, diese wirken beschleunigend auf den Bewegungsablauf. Die Gegengewichte wirken der Richtung der Primärbewegung entgegen. Ihre Auswirkung ist verlangsamend auf den Bewegungsablauf. Halten sich die Gewichte der Primärbewegung und die Gegengewichte die Waage, kann der Standort bzw. die Unterstützungsfläche beibehalten werden.

2 3 4 5 6 7

Zur Unterscheidung zwischen den Gewichten auf Seite der Primärbewegung (beschleunigende Gewichte) und den Gegengewichten (bremsende Gewichte) dient eine virtuelle Ebene, die Trennebene.

8

Definition

Mit Hilfe der Trennebene kann der Therapeut erkennen, welche Gewichte zu den beschleunigenden (vorn in Bezug auf die Trennebene) und welche Gewichte zu den bremsenden (hinten in Bezug auf die Trennebene) gehören.

Wichtig Die Trennebene ermöglicht in jeder Bewegungsphase das Erkennen der beschleunigenden und der bremsenden Gewichte.

In der Funktionellen Bewegungslehre werden bei vielen therapeutischen Übungen beide Formen der Gleichgewichtsreaktion, sowohl die Veränderung der Unterstützungsfläche als auch das Einsetzen von Gegengewichten, genutzt.

Die Trennebene ist eine gedachte Ebene, die der Therapeut auf den Patienten projiziert. Sie steht vertikal, verläuft durch den Körperschwerpunkt und steht senkrecht zur horizontalen Komponente der Primärbewegung (. Abb. 2.33).

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a

b

c

. Abb. ..a–c Trennebene durch die Unterstützungsfläche. Dadurch lassen sich die Lage des Körperschwerpunkts über der Unterstützungsfläche und die beschleunigenden/bremsenden Gewicht analysieren.

37

2.4 · Gleichgewicht

. Abb. .. Reaktion bei der Ballübung »Die Waage«: Die Körperlängsachse neigt sich nach vorn/ hinten a Rollung des Balls nach vorn, reaktive Rückneigung der Körperlängsachse; b Rollung des Balls nach hinten, reaktive Vorneigung der Körperlängsachse

Beispiel 5 »Die Waage« (. Abb. 2.34). Damit die Neigung der Körperlängsachse als Gleichgewichtsreaktion erfolgt, muss der Bewegungsauftrag eine Bedingung enthalten. Mögliche Instruktion: »wenn der Ball nach vorn (hinten) rollt, bleibt der Druck unter den Zehen (Fersen) gleich«. 5 »Die Spinnübung« (. Abb. 2.35). Wenn die Beine übereinander geschlagen werden, erfolgt eine schnellere Reaktion des Arms. Wird in der Ausgangsstellung verhindert, dass der Arm nicht mehr als Gegengewicht eingesetzt werden kann, ist eine deutliche Reaktion des Kopfes zu beobachten. 5 »Der Albatros« (. Abb. 2.36). Durch die Ausgangsstellung ist es nicht möglichm seine Unterstützungsfläche nach hinten zu vergrößern. Deshalb benötigt eine Bewegung nach hinten ein Gegengewicht nach vorn. Als Gleichgewichtsreaktion werden Körperlängsachse und Arme nach vorn bewegt.

a

b

a

b

. Abb. ..a–c Unterschiedliche Reaktionen bei der »Spinnübung«

c

2

38

Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

Muskuläre Aktivitäten

1

2.5

2

Die Muskulatur hat unterschiedliche Aufgaben im Bewegungsverhalten. Die Arbeitsweise verändert sich 5 je nach Lage der Muskulatur in Beziehung zum Dreh-

3

punkt,

5 in Abhängigkeit von der Stärke der Hubbelastung, 5 je nachdem, ob die Arbeitsweise von ein- oder mehrgelenkiger Muskulatur geleistet wird.

4 5

2.5.1 Lage zum Drehpunkt

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a

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In Abhängigkeit von seiner Lagebeziehung zum Drehpunkt kann ein Muskel bewegend oder komprimierend auf die Gelenkfläche einwirken, je nachdem, wie weit der Muskel von der Bewegungsachse entfernt ist. Wenn die Muskeln ihren Ursprung und Ansatz an den Gelenkpartnern weit entfernt vom Drehpunkt haben und die Hebelarme einen Winkel von 90° bilden, ist die bewegende Komponente besonders groß (. Abb. 2.37 a, b). Die Bedeutung der komprimierenden Gelenkkomponente ist unbestritten. Sie stabilisiert das Gelenk. Durch die Kontraktion mehrerer Muskeln werden die Gelenkflächen gleichmäßig gegeneinander gedrückt. Das betrifft alle Gelenke des Körpers. Je mehr Freiheitsgrade ein Gelenk hat, umso komplexer müssen die komprimierenden und stabilisierenden Kontraktionen der beteiligten Muskeln sein. Beispiel

14

Gelenknahe Muskeln der Rotatorenmanschette des Schultergelenks gewährleisten als Kapselspanner und Kompressoren den Zusammenhalt des sehr mobilen Schultergelenks. Die kurzen Muskeln, die sich um das Gelenk winden, erleichtern die Feineinstellung der Rotation und sichern die Stabilisierung bei vielen Geschicklichkeitsbewegungen der Hände.

15 16 17 18 19 20

2.5.2 Aktive und passive Insuffizienzen b . Abb. .. a, b Einsetzen von Gegengewichten (Arme und Körperlängsachse) beim »Albatros«

Die Arbeitsweise mehrgelenkiger Muskeln zeigt das ökonomische Prinzip natürlicher Bewegung. Wenn man berücksichtigt, dass ein Muskel in der Mittelstellung zwischen maximaler Dehnung und Verkürzung die größte

2.5 · Muskuläre Aktivitäten

39

a

b . Abb. .. a Lagebeziehung der Muskulatur zum Drehpunkt. Zugrichtung des Muskels (Z) und Rotationsachse (RA) stehen annähernd parallel (komprimierende Komponente) oder bilden einen Winkel zwischen 45° und 90° (bewegende Komponente). b Die Ansatzsehne

des Quadrizeps wird durch die Patella von der Flexions-/Extensionsachse des Kniegelenks entfernt. Dadurch besteht eine verbesserte bewegende Komponente

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Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

Hub- und Bremskraft besitzt, weil sich bewegende Komponente und Dehnfaktor günstig ergänzen, lässt sich das prinzipielle Verhalten der mehrgelenkigen Muskeln verstehen. Mehrgelenkige Muskeln werden bei zunehmender distaler Verkürzung proximal durch kompensatorische Dehnung entsprechend verlängert. So kann die optimale Gesamtlänge konstant bleiben. Sie haben ihre Hauptfunktion an den distalen Gelenken und können am besten arbeiten, wenn sie distal (dynamisch konzentrisch) verkürzt und gleichzeitig proximal gedehnt werden. (. Abb. 2.38) . Abb. .. Ökonomisches Prinzip der Muskelarbeit bei mehrgelenkiger Muskulatur

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Die passive Insuffizienz eines eingelenkigen Muskels ist immer pathologisch. Sie verändert die Statik und verursacht unökonomische Belastungen der passiven Strukturen und Tonusveränderungen der stabilisierenden Muskulatur. Es gibt keine Normwerte für die Dehnfähigkeit der Muskulatur, da sich z.B. bei Dysfunktionen die Länge der Muskulatur verändern kann (7 Kap. »Untersuchung der Muskulatur, Teil B. 3.4). Bevor der Therapeut die Muskulatur dehnt, muss er sich die Frage stellen, was die veränderte Muskelspannung verursacht. Es gibt unterschiedliche Formen von muskulären Bewegungseinschränkungen. Man unterscheidet (funktionelle) reflektorische Verkürzungen und strukturelle Verkürzungen. 5 Bei der reflektorischen Muskelverkürzung palpiert man hypertone Muskulatur, die meist durch Schmerzen, Schutz oder Abwehrspannung entsteht. 5 Strukturelle Muskelverkürzungen sind nicht schmerzhaft. Es kommt zu bindegewebigen Veränderungen mit Bildung von pathologischen, nicht wasserlöslichen Cross-Links und zum Abbau von Sarkomeren.

12

Die Trennung ist jedoch künstlich. Die Übergänge sind fließend und die Unterscheidung in der Praxis ist oft nicht möglich. Die unterschiedlichen Formen der muskulären Bewegungseinschränkung erfordern einen unterschiedlichen Behandlungsansatz:

13

Reflektorische Bewegungseinschränkung:

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Ziele und Behandlungsmaßnahmen: Schmerzlinderung

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Passive Insuffizienz

Eine pathologische passive Insuffizienz eines eingelenkigen Muskels liegt vor, wenn er sich nicht bis an die Arretierungen des Gelenks dehnen lässt. Sie kann physiologisch sein, wenn der Muskel mehrere Gelenke überbrückt und ist damit eine erwünschte ökonomische Bremse. Wenn die Bremswirkung zu früh eintritt, stört sie Bewegungsabläufe und die Statik oft erheblich, z. B. bei Verkürzungen der ischiokruralen Muskulatur.

und Sympathikussenkung 5 Bewegen im schmerzfreien Bereich (Mechanorezeptoren hemmen die Nozizeptoren) 5 Behandlungen an der BWS (Verlauf des vegetativen Grenzstrangs) 5 Stimulation von – Haut (Druck, Berührung, Vibrationen) – Muskeln (Druck, Berührung, Vibrationen, leichte Dehnreize) – Kapsel (Traktion und Kompression = Spannungsänderung der Gelenkkapsel) Wasserlösliche Cross-Links sind beeinflussbar durch Steigerung der Durchblutung im Gewebe in Kombination mit Bewegung.

41

2.5 · Muskuläre Aktivitäten

Beispiel

Strukturelle Bewegungseinschränkungen Ziele und Behandlungsmaßnahmen:

Von einem Stuhl aufstehen: Um das Körpergewicht auf die Füße zu bringen, muss zuerst die Körperlängsachse nach vorn bewegt werden. Dabei arbeiten die Hüftgelenksextensoren dynamisch exzentrisch (sie lassen aktiv nach). Erst danach beginnt die konzentrische Arbeit für die Extensoren der Hüft- und Kniegelenke. Sie müssen das Körpergewicht nach oben heben (. Abb. 2.39).

5 Abbau der nicht-wasserlöslichen pathologischen Cross-Links 5 Zunahme der reihengeschalteten Sarkomere 5 Lösen von Verklebungen des Kapsel-Band-Apparates 5 Stoffwechselanregung und Entlastung des Gelenkes 5 Regelmäßige endgradige Dehnung über längere Zeit bei der der Patient keine Schmerzen haben sollte, da das zu Abwehrspannungen führt. Aktive Insuffizienz

Eine aktive Insuffizienz eines eingelenkigen Muskels liegt vor, wenn er nicht in der Lage ist, das endgradige Bewegungsausmaß zu fixieren. Er ist also in Relation zu seiner Aufgabe zu lang. Eine traumatische bedingte aktive Insuffizienz findet man z.B. nach Frakturen langer Röhrenknochen, Schenkelhalsfrakturen, Hüftgelenksendoprothesen, Exstirpation der Patella sowie Teilabrissen von Muskeln, Muskel- und Sehnennähten. Die aktive Insuffizienz eines eingelenkigen Muskels ist immer pathologisch. Bei mehrgelenkigen Muskeln ist eine Verkürzung über alle Drehpunkte wegen der physiologischen passiven Insuffizienz seiner Antagonisten nicht möglich. Pathologische aktive Insuffizienz kann aufbauend so behandelt werden, dass anfangs die Dehnung des Muskels am proximalen Drehpunkt ausgenutzt wird, um den Muskel am distalen Drehpunkt endgradig zu verkürzen. Mit der Zeit verhindert man die proximale Dehnung. Das Ziel ist die endgradige aktive Fixierung über das Gelenk bei gleichzeitiger geringer proximaler Dehnung.

a

b

2.5.3 Einfluss der Schwerkraft Nach funktionellen Gesichtspunkten kann ein Muskel unterschiedlich in Aktion treten. Je nach Positionierung zur Schwerkraft kann er Gewichte nach oben heben, sie am Fallen hindern, sie wieder herunterlassen oder auf horizontalen Ebenen verschieben.

Dynamisch konzentrisch Die Muskulatur verkürzt sich aktiv und arbeitet als Beweger und Heber von Gewichten (Bewegungsrichtung nach »oben«). Wenn die Bewegungsachse und der Lastarm horizontal stehen, ist die Hubbelastung maximal. Die Verkürzung des Muskels gegen Widerstand ist dem gleichzusetzen.

c

d

. Abb. ..a–d Konzentrische Muskelarbeit der Knie- und Hüftgelenksextensoren beim Aufstehen.

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Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

Dynamisch exzentrisch

Hubfrei

Die Muskulatur verlängert sich aktiv und senkt die Gewichte ab (Bewegungsrichtung nach »unten«). Bei horizontaler Lage der Bewegungsachse und des Lastarms ist die Hubbelastung maximal. Kontrolliertes Nachgeben eines Muskels bei einwirkendem Widerstand ist dem gleichzusetzen.

Wenn eine Bewegungsachse vertikal steht, Bewegungen also auf horizontalen Ebenen stattfinden, arbeitet die Muskulatur hubfrei und dynamisch konzentrisch. Teilgewichte des Körpers werden von der arbeitenden Muskulatur bewegt, ohne dass diese die Gewichte gegen die Schwerkraft halten muss. Wenn der bewegte Körperteil auf einer Unterlage liegt, sollte der Reibungswiderstand so gering wie möglich gehalten werden, da zur Überwindung des Reibungswiderstandes eine positive Hubarbeit geleistet werden müsste.

4

Beispiel Aus dem Stand zum Sitzen kommen (. Abb. 2.40). Die Extensoren der Hüft- und Kniegelenke müssen nachgeben und das Körpergewicht langsam absinken lassen. Die Arbeitsweise ist dynamisch exzentrisch.

5 6

Beispiel Im Sitz arbeiten die Rotatoren der Wirbelsäule hubfrei (. Abb. 2.41).

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a

b

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a

16

. Abb. .. a, b Die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf sind in die virtuelle Körperlängsachse eingeordnet. Bei Bewegungen um diese Achse arbeiten die Rotatoren der Wirbelsäule hubfrei.

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b

c

d

. Abb. ..a–d Dynamisch exzentrische Muskelarbeit der Knieund Hüftgelenksextensoren beim Hinsetzen

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2.5 · Muskuläre Aktivitäten

Wichtig Steigerung der Hubbelastung: Damit die Muskulatur hubarm arbeiten und an die Kondition des Patienten angepasst werden kann, muss der Therapeut die Ausgangsstellung so wählen, dass die Bewegungsachsen zunehmend horizontal stehen. Zusätzlich kann die Länge des Hebelarms verändert werden.

Hat ein Körperabschnitt keinen Kontakt zur Umwelt und hängt oder ragt frei in den Raum, befindet er sich in Spielfunktion. Dazu sind vor allem die Extremitäten prädestiniert. Kontakt des Körpers mit einer Unterlage

Im folgenden Abschnitt wird beschrieben, welchen Einfluss das Ausmaß der Kontaktfläche und die Anzahl der Kontaktstellen mit der Unterlage auf die Muskelaktivitäten haben. Je größer die Kontaktfläche des Körpers mit der Unterlage, desto weniger stabilisierende Muskelaktivität ist nötig.

Stabilisierend/statisch Die Muskeln arbeiten statisch. Der aktive Muskel verändert seine Länge nicht, sondern arbeitet als Verhinderer einer möglichen Gelenkbewegung. Zur gleichen statischen Aktivität kommt es beim Halten gegen Widerstand. Beispiel Bei der Haltungsbeurteilung fällt auf, dass der Brustkorb nach hinten geneigt ist und der Kopf in Bezug zum Brustkorb weiter vorn steht. Die beiden Gewichte haben die Tendenz, weiter nach unten abzurutschen. Die Schulter-Nacken-Muskulatur verhindert, dass der Kopf nach vorne fällt, und die Bauchmuskulatur verhindert, dass der Brustkorb noch weiter nach hinten sinkt (. Abb. 2.42). Allerdings muss auch eine gute Haltung durch stabilisierende Muskelarbeit gesichert werden.

2.5.4 Kontakt mit der Umwelt/

Aktivitätszustände Bei der Bobachtung von Haltungen bzw. Stellungen des Körpers im Raum benötigt der Therapeut Fachwissen über die Aktivitäten, die sich aus dem Kontakt des Körpers mit der Umwelt ergeben. Die Funktionelle Bewegungslehre beschreibt typisch auftretende Aktivitäten mit bildhaften Begriffen. Sie sollen dem Therapeuten die Beobachtung und Analyse der Lokalisation der Muskelaktivitäten erleichtern. Gegen die Schwerkraft gerichtete Muskelaktivität herrscht immer dort, wo Gelenke Bewegungstoleranzen nach unten aufweisen und/oder wenn an den Kontaktstellen Rutschtendenzen bestehen.

Entlastungsstellungen

Wenn ein Körperteil bzw. ein Körperabschnitt gut unterlagert ist, ist am wenigsten Muskelaktivität zwischen den einzelnen Körperteilen oder Körperabschnitten erforderlich. Der Körper hat dann eine große Kontaktfläche, und jeder Abschnitt drückt nur mit seinem Eigengewicht auf die Unterlage. Die Körperteile sind auf der Unterlage »geparkt«, d.h. in Parkierfunktion.

. Abb. .. Fallverhindernde Muskelaktivitäten bei einer unphysiologischen Haltung

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Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

Wichtig Wenn ein Körperabschnitt oder ein Teil davon mit einer Unterlage Kontakt hat und auf diese nur mit seinem Eigengewicht Druck ausübt, so befindet er sich in Parkierfunktion.

Diese Erkenntnis ist für den Therapeuten der Schlüssel für das Finden optimaler Entlastungsstellungen. Sobald die Körperanschnitte mit ihrem Eigengewicht auf einer Unterlage ruhen, sind keine erhöhten muskulären Aktivitäten nötig, um die Körperabschnitte miteinander zu verbinden. Der Therapeut kann durch Lagern die Intensität der muskulären Aktivitäten zwischen einzelnen Körperabschnitten oder Teilen davon gezielt reduzieren.

a

b

c

Beispiel Rückenlage 5 Becken, Brustkorb und Kopf sind in die Körperlängsachse eingeordnet, die Beine sind unterlagert, damit das Becken in Hüft- und Wirbelsäulengelenken genügend Bewegungstoleranzen hat. Die Oberarme sind so unterlagert, dass die Oberarmlängsachse horizontal eingestellt ist. Das Gewicht der Unterarme ruht auf dem Bauch. (. Abb. 2.43a) »Hirtenbüeblistellung« 5 Lagerung wie in Abbildung 2.43 a mit Variante für die Arme: Die Arme werden so auf Kissen gelagert, dass die Unterarme höher als die Schultergelenke liegen. (. Abb. 2.43b) Seitlage 5 Becken, Brustkorb und Kopf sind in die Körperlängsachse eingeordnet, bei Bedarf müssen die Lendenwirbelsäule und der Brustkorb unterlagert werden, damit es zu keinem seitlichen Verformungen der Wirbelsäule kommt. Wichtig ist, dass das oben liegende Bein genügend hoch unterlagert wird, damit sich das Beingewicht nicht transversalabduktorisch an das Becken hängt. Auch der oben liegende Arm muss genügend hoch unterlagert werden, damit er den Brustkorb nicht nach vorn oder nach hinten zieht. (. Abb. 2.43c) 6

d

e . Abb. .. a Entlastungsstellung für Lenden-, Brust- und Halswirbelsäule in Rückenlage. b »Hirtenbüeblistellung« zur Entlastung der Halswirbelsäule. c Entlastungsstellung für Lenden-, Brust- Halswirbelsäule in Seitlage. d Entlastungsstellung für die Lenden- und Brustwirbelsäule in Halbseitenlage. e »Pascha Stellung«: optimale Lagerung im Sitzen mit modellierter Abo-back-Lehne und Lagerung der Arme

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2.5 · Muskuläre Aktivitäten

Unterpolsterte Halbseitenlage 5 Die Körperabschnitte Becken und Brustkorb, deren mittlere Frontalebene einen Winkel von ca. 45° zur horizontalen Unterlage bildet, sind mit Kissen gut unterpolstert. Wenn nötig, wird auch die Halswirbelsäule unterpolstert, ein Abweichen des Kopfs nach ventral kann toleriert werden. Der rechte Arm liegt bequem hinter dem Rücken auf der Unterlage. Der linke Arm wird unter dem Oberarm und Schultergelenk unterpolstert. Das rechte Bein liegt mit seiner ventrolateralen Seite auf der Unterlage und ist in den Hüft- und Kniegelenken bequem flektiert. Das linke Bein ist medial am Oberschenkel ebenfalls unterpolstert. Hüft- und Kniegelenke sind in bequemer Flexion (. Abb. 2.43d) »Pascha-Stellung« 5 Die Stuhllehne soll, wenn möglich, die physiologische Krümmung der Lendenwirbelsäule und der unteren/mittleren Brustwirbelsäule unterstützen, die Arme werden durch ein Kissen unterpolstert, die Beine stehen mit ihrem Eigengewicht auf dem Boden (. Abb. 2.43e)

5 Variante : Verankerung des Beckens am zukünftigen Standbein. Durch die Instruktion »Der Druck unter dem rechten Fuß nimmt langsam zu« können größere Gewichtsverschiebungen verhindert werden, das Becken wird abduktorisch am Oberschenkel und lateralflexorisch am Brustkorb verankert. Der Patient kann so die Belastung auf das zukünftige Standbein bringen, ohne dass die Körperlängsachse ihre vertikale Einstellung aufgeben muss. Es findet eine kleine Gewichtsverschiebung nach rechts statt (. Abb. 2.44b) 5 Vierfüssler, Trippelphase Rechtes Knie und linke Handfläche bzw. Iinkes Knie und rechte Handfläche üben alternierend Druck auf die Unterlage aus. Infolge der Druckerhöhung werden das Becken transversalabduktorisch am Standbein und der Brustkorb transversalextensorisch am Standarm verankert. Das Becken dreht dabei in der unteren Brustwirbelsäule. (. Abb. 2.45)

Druckveränderungen an den Kontaktstellen

Der Druck, den der Körper auf seine Unterlage ausübt, kann an jeder beliebigen Stelle gesteigert bzw. gemindert werden. Eine Zunahme des Drucks kann erfolgen, 5 wenn Gewichte über die Kontaktstelle, an der der Druck zunehmen soll, verschoben werden, 5 wenn Teilgewichte des Körpers miteinander verbunden werden und dadurch an einer Stelle Druck ausüben. Beispiel Belastungswechsel im Zweibeinstand (Schrittstellung) 5 Variante: Gewichtsverschiebung. Der Brustkorb mit dem Kopf wird nach rechts über das zukünftige Standbein verschoben (. Abb. 2.44a) 6

. Abb. .. Belastungswechsel im Zweibeinstand: a Druckzunahme unter dem rechten Bein durch Gewichtsverschiebung, Translation des Brustkorbs und Kopfs nach rechts und Lateralflexion in der Wirbelsäule, BWS rechts-/HWS linkskonkav; b Verankerung des Beckens abduktorisch am Standbein und lateralflexorisch am Brustkorb

2

46

Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

1

er muss verspannt werden. Diese Art der Muskelaktivität wird in der Funktionellen Bewegungslehre »Brückenaktivität« genannt. Das Trainieren in geschlossener Kette kann dem gleichgesetzt werden.

2 3

Beispiel

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. Abb. .. Druckerhöhung unter der linken Hand und unter dem rechten Knie veranlasst, dass sich die diagonal gegenüberliegenden Extremitäten vom Boden abheben und (je nach Ausmaß) eine Rotation in der Wirbelsäule erfolgt

Soll ein Abdruck erfolgen, muss zunächst eine kleine Ausholbewegung in Richtung der Fläche ausgeführt werden, von der man sich abdrücken will. Der Abdruck erfolgt in der Regel durch die Extremitäten, sie geraten dabei in Spielfunktion.

Wichtig Die Fähigkeit des Patienten, Druckveränderungen wahrzunehmen, ist für den Therapeuten ein wertvolles Instrument in der Instruktion von Haltung und Bewegungsabläufen. Er kann damit sehr differenzierte Bewegungen und Gewichtsverlagerungen veranlassen.

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> Klinische Relevanz Druckveränderungen können immer als Gewichtsumverteilung betrachtet werden. Der Therapeut nutzt dieses Wissen, um bestimmte Strukturen gezielt zu ent- bzw. zu belasten.

Mehrere Kontaktstellen des Körpers mit einer Unterlage

Hat der Körper an mehreren Stellen Kontakt mit einer Unterlage, kommt es zur Bildung von Brücken zwischen den einzelnen Kontaktstellen. Weisen die Gelenke in diesen Brücken Bewegungstoleranzen nach unten auf, muss gegen die Falltendenzen stabilisiert werden. Die Muskelaktivität Iiegt dabei auf der unteren Seite des Brückenbogens;

»Brückenbauch« 5 In der Endstellung werden die Pfeiler der Brücke durch die Oberarme und die Füße gebildet. Die dazwischen liegenden Gelenke (Knie- und Hüftgelenke und die Gelenke der Lenden- und Brustwirbelsäule) müssen durch stabilisierende Muskelaktivitäten ventral stabilisiert werden (. Abb. 2.46a, b) »Bridging« 5 Rückenlage, die Beine sind angestellt. Die Unterschenkel bilden den kaudalen Pfeiler der Brücke. Kranial liegen der Kopf, die Schulterblätter und die obere Brustwirbelsäule auf der Unterlage. Die dazwischen liegenden Gelenke (Hüftgelenke, Lendenwirbelsäule, untere und mittlere Brustwirbelsäule) müssen extensorisch stabilisiert werden (. Abb. 2.46c) »Bett des Fakirs« 5 In der Endstellung bilden die Unterschenkel den kaudalen Pfeiler, der Ball bildet den kranialen Pfeiler. Die dazwischen liegenden Gelenke (Hüftgelenke, Lendenwirbelsäule, untere und mittlere Brustwirbelsäule) müssen extensorisch stabilisiert werden (. Abb. 2.46d)

Durch die Anpassung der Größe des Brückenbogens und die Anzahl Gelenke, die im Bogen stabilisiert werden müssen, kann der Therapeut die gewünschte Intensität dosieren.

Wichtig Für das Training der Bauch- und Rückenmuskulatur ist die Brückenaktivität eine sehr schonende Übungsform. Es werden keine Hebel eingesetzt, die an der Wirbelsäule wuchten und Abscherbelastungen provozieren können, und die Muskulatur kann in unterschiedlicher Intensität trainiert werden (~ selektives Muskeltraining).

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2.5 · Muskuläre Aktivitäten

. Abb. .. a Abstützen an einer Wand: Lehnen an eine Wand, Rutschtendenz an den Kontaktstellen, Aktivitäten vorwiegend dorsal über Hüftgelenken sowie Lenden- und Brustwirbelsäule. b Abstützen mit Hilfe der Hände an der Wand, Aktivitäten vorwiegend ventral an Knie- und Hüftgelenken sowie Bauch, distal reaktiv auf das Kopfgewicht

. Abb. .. a Endstellung des »Brückenbauchs«: stabilisierende Aktivitäten ventral. b »Brückenbauch« mit erhöhter Rutschtendenz unter den Armen. c »Bridging«: stabilisierende Aktivitäten dorsal. d Endstellung des »Bett des Fakirs«: stabilisierende Aktivitäten dorsal

Gehen an einer Unterarmstütze 5 Bei Schräglage des Stocks ist ein sicheres Stützen und Entlasten nicht mehr möglich, da es zur Rutschtendenz unter dem Stock und Fuß kommt (. Abb. 2.48).

Rutschtendenz

Entstehen an den Kontaktstellen des Körpers mit der Unterlage Rutschtendenzen, weil ein Stützpfeiler nicht senkrecht zur Unterlage steht und/oder die Unterlage nicht horizontal ist, kommt es zu zusätzlichen stabilisierenden Aktivitäten, die der Rutschtendenz entgegenwirken. (. Abb. 2.47a) Beispiel Brückenbauch 5 Die Oberarme stehen schräg. Die Intensität der ventralen Muskelaktivität wird durch die Rutschtendenz des Pfeilers Arm erhöht. Dieser wird quasi in den Brückenbogen miteinbezogen (. Abb. 2.47b) 6

Stützfunktion

Drückt eine Extremität mit mehr als ihrem Eigengewicht vertikal auf die Unterlage und sind die dazwischen liegenden Gelenke stabilisiert, so befindet sich dieser Körperabschnitt in Stützfunktion. Sobald angrenzende Körperabschnitte muskulär mit ihnen verbunden sind, z.B. das Becken mit dem Bein oder der Brustkorb mit den Armen, drücken die Extremitäten mit mehr als ihrem Eigengewicht auf eine Unterlage. Bei einem Körperabschnitt in Stützfunktion müssen die Gelenke stabilisiert werden. Die Mittelgelenke werden dabei zusätzlich auch rotatorisch gegenläufig stabilisiert.

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Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

1

Für die Rotationsstabilität der Beine bedeutet das: 5 Pronation des Vorfußes mit Inversion des Rückfußes (Verschraubung der subtalaren Fußplatte) 5 Außenrotation im Hüftgelenk (bei Nullstellung in Bezug auf Flex/Ext im Hüftgelenk) und damit Innenrotation im Kniegelenk.

2 3

Kontakt des Körpers mit einer Abstützvorrichtung

4

Hat der Körper Kontakt mit einer Unterlage und einer Abstützvorrichtung z.B. einer Wand, kommt es an den Kontaktstellen zu Rutschtendenzen. Die Muskulatur muss dann einerseits gegen die Falltendenzen nach unten wie auch gegen die Rutschtendenz arbeiten.

5 6 7

Beispiel

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. Abb. .. Schräger Stockeinsatz und dadurch Rutschtendenzen an den Kontaktstellen

> Klinische Relevanz Der Therapeut muss dem Patienten bei dem Gehen mit Stützen die Skapulaposition beibringen, damit die Muskulatur ihre Stützfunktion ausüben kann. Die vorausgehende Verankerung der Skapula auf dem Brustkorb (in posteriorer Depression) wäre demnach kontraproduktiv.

Für die Arme bedeutet das: 5 Pronation im Unterarm mit Außenrotation im Humeroskapulargelenk 5 Für den Stütz stehen die Skapulae in soviel Abduktion/Elevation (Protraktion/Elevation des Schultergürtels), dass der Brustkorb bei einer Aktivierung der Muskulatur zum Schultergürtel gehoben werden kann (Umkehr von punktum fixum und punktum mobile) Die Beine müssen als Basis für den ganzen Körper dienen. Eine optimale Verschraubung der Längswölbung bietet den darüber liegenden Körperabschnitten eine stabile Unterlage. Ein Beinachsentraining schließt somit immer eine Optimierung aller gegensinnigen muskulären Verschraubung ein.

Abstützen an einer Wand 5 An der Kontaktstelle Fuß-Boden kommt es zu Rutschtendenzen nach vorne. Die Plantarflexoren müssen stabilisierend arbeiten. Gleichzeitig müssen die Hüftgelenke und die Lenden- und Brustwirbelsäule extensorisch stabilisiert werden (. Abb. 2.47a) Abstützen mit den Händen an der Wand 5 Beim Abstützen mit den Händen an der Wand müssen die Knie- und Hüftgelenke sowie die Lenden- und Brustwirbelsäulengelenke ventral stabilisiert werden. Dadurch wird die dorsale Muskulatur entlastet (. Abb. 2.47b)

Kontakt des Körpers mit einer Hängevorrichtung

Wenn der Körper oder einzelne Körperabschnitte an einer Hängevorrichtung der Umwelt oder des eigenen Körpers hängen, entsteht eine Traktion auf die Gelenke. Die Muskulatur reagiert mit einem klimmzugartigen Bewegungsmuster, um den Zug auf die Gelenke zu verhindern. Beispiel 5 Hängen am Treppengeländer (. Abb. 2.49) 5 Hängen des Brustkorbs im Schultergürtel (. Abb. 2.50) 6

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2.6 · Myofasziale Systeme

Ausgangsstellung: Sitz auf einer Kiste, seitliches Stützen mit den Händen neben dem Trochanter rechts bzw. links. Durch Druckzunahme unter den Händen wird der Brustkorb an den Schultergürtel gehängt. Dabei werden die Muskeln des Schultergürtels aktiviert, die die Depression ausführen. Es kommt zu einer reflektorischen Entspannung der Muskulatur, die die Elevation ausführt. Gleichzeitig kann die Lendenwirbelsäule entlastet werden.

. Abb. .. Hängen am Treppengeländer

2.6

Myofasziale Systeme Salah Bachah

Die Muskulatur ist keine Gruppierung von homogenen Muskelfasern mit gleichen metabolischen und funktionellen Eigenschaften, sondern besteht aus verschiedenen Fasertypen. Sie sind nach ihren kontraktilen und metabolischen Charakteristika klassifiziert (. Tab. 2.1). Alle Muskeln enthalten alle Fasertypen (Typ I, IIa, IIb), allerdings in unterschiedlicher prozentualer Zusammensetzung. Im Allgemeinen besteht die Muskulatur eines Menschen zu ca. 45 bis 55 Prozent aus Fasertyp I. Es existiert jedoch eine individuelle Variabilität. Parameter wie genetische Veranlagung, Alter (mehr Fasertyp II), Partizipations- und Aktivitätsprofile (7 Kap. 4) einer Person beeinflussen die Zusammensetzung der Fasertypen. So sind unterschiedliche motorische Fähigkeiten bei den Menschen zu verzeichnen. Personen, deren Muskulatur mehrheitlich Fasern des Typs I aufweisen, sind ausdauernd und für Sportarten wie Radfahren oder Marathonlaufen besonders geeignet. Andere, die überwiegend Muskelfasern des Typs II aufweisen, sind wahrscheinlich bei Bewegungen, die eine schnelle Kraft verlangen (springen), leistungsfähiger. Klinisch ist wichtig festzuhalten, dass solche Werte nicht absolut sind, eine gewisse Reversibilität (= Umkehrbarkeit) in der Zusammensetzung ist möglich, gesteuertes Funktionstraining kann gezielt auf einen Fasertyp fokussieren (7 Kap. 2.6.1, Plastizität der Muskulatur).

2.6.1 Plastizität der Muskulatur Immobilisation

. Abb. .. Hängen des Brustkorbs im Schultergürtel. Aktivität im Körperabschnitt Arme (in Stützfunktion) und zwischen Brustkorb und Schultergürtel

Die Muskulatur ist eine dynamische Struktur, die durch eine hohe Plastizität charakterisiert ist. Das Gesetz der Transformation der Knochen nach Wolf (1892), mit dem er, sinngemäß wiedergegeben, die Interaktion zwischen Form und Funktion formulierte, lässt sich auf diese Struktur übertragen. Tierexperimente u. a. von Williams und Goldspink (1973) haben gezeigt, dass die Muskulatur dem Prinzip der Ökonomie und Funktionalität folgt. Bei Immobilisation in angenäherter oder verlängerter Stellung adaptiert sie strukturell stets so, dass sie die optimale Kraft in der jeweilig gehaltenen Position entfalten kann (aktuelle Ruhestellung). Neben der Abnahme der Viskoelastizität verliert die angenäherte Muskulatur an maximaler Kraft.

2

50

Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

1

. Tab. .. Fasertypen und ihre Eigenschaften

2

Muskelfaser

Typ I

Typ IIa

Typ IIb

Kontraktion

Langsam/tonisch

Schnell/dynamisch

Schneller/dynamisch

Sauerstoffbedarf

Oxidativ

Glycotisch/oxydativ

Oxidativ

Energiefreisetzung

AT Pase gering

AT Pase hoch

AT Pase hoch

Ermüdung

Ausdauernd

Weniger ausdauernd

Schnell ermüdend

5

Aktivität Spezifikation

Primär bei wenig Intensität

Sekundär gegen die Schwerkraft

Sekundär bei hoher Intensität

6

Charakteristika

Interaktion mit Propriozeption

Interaktion mit Kompression

3 4

7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Der Atrophie-Prozess ist bei der verlängerten Muskulatur weniger ausgeprägt und zeigt eine höhere maximale Kraft (. Abb. 2.51).

Microgravity (verminderte Schwerkrafteinwirkung) Das Fehlen bzw. die verminderte Schwerkrafteinwirkung ist mit reduziertem mechanischen Reiz und propriozeptiven Inputs verbunden. Ein Aufenthalt im All oder fehlende Aktivität über längere Zeit führen zu einer spezifischen Atrophie der Muskulatur. Studien u. a. von Desplanches (1997) haben in diesem Zusammenhang eine bevorzugte Atrophie des Fasertyp I sowie eine Teilkonversion des Typs I in Typ II festgestellt. Die Erfahrungen mit Astronauten haben diese Tatsache belegt. Es ist bekannt, dass sie nach einem Aufenthalt im All wegen der ausgeprägten Atrophie (mehr Typ I) und verminderter Propriozeption zu Rückenschmerzen neigen (7 Kap. 2.6.2 »lokale Muskulatur« und . Tab. 2.2). Richardson und Bullock (1986) ließen bei ihrer Untersuchung unter reduzierter Belastung den Probanden aktiv im offenen System den Unterschenkel schnell flexorisch/extensorisch bewegen. Die EMGMessung zeigte darauf hin eine richtungs- und tempoabhängige Aktivität der globalen Muskeln (mehrgelenkigen Muskeln: M. rectus femoris und ischiokrurale Muskulatur), während der M. vastus medialis obliquus (quadriceps femoris) seine niedrige tonische Kontraktion unabhängig von der Bewegungsrichtung zu verzeichnen hatte. Daraus kann man schließen, dass Parameter wie Tempo, Belastung, Spiel- oder Stützfunktion die Qualität der Muskelfunktion prägen.

Immobilisation in angenäherter Stellung Kontrollmuskel

Kraft

Immobilisation in verlängerter Stellung

8

6 4 2

80

90

100

110

Länge

. Abb. .. Verhältnis zwischen Länge und Kraft eines Muskels nach Immobilisation; adaptiert nach Sahrmann (2002)

2.6.2 Muskelfähigkeiten Die anatomische Betrachtung der Muskulatur offenbart eine enge Verflechtung mit dem Bindegewebe (Faszie) Eine Faszie bezeichnet die bindegewebige Umhüllung von Muskeln und Muskelgruppen. Sie besteht vor allem aus Kollagenfasern, die der Muskulatur die nötige Festigkeit und Elastizität geben. Zudem gibt die Faszie dem Muskel seine eigentliche Form. Wichtige Aufgaben der Faszie sind, die Gleitfähigkeit und die Kraftübertragung der Muskeln untereinander zu gewährleisten. An den Enden des Muskels vereinen sich die Faszien häufig zu einer Sehne, mit der der Muskel am Knochen angeheftet ist. Eine lokale Kontraktion eines einzelnen Muskels löst eine weiterlaufende Spannung aus, die sich entlang des anatomischen Verbundes fortpflanzt (kinetische Ket-

51

2.6 · Myofasziale Systeme

. Tab. .. Eigenschaften der lokalen und globalen Muskulatur Lokal

Global

Tiefste Muskeln mit segmentalen Ansätzen Kontrolle der neutralen Stellung der WS Kontrolle der intersegmentalen Bewegung Aktivität unabhängig von der Bewegungsrichtung Geeignet für Aktivität mit wenig Hub Reagieren mit Inhibition bei Dysfunktion Reagieren mit Inhibition bei Fehlhaltung

Oberflächlich, äußere Schichten Kein segmentaler Ansatz Verbinden Körperabschnitte (Becken –Brustkorb) Aktivität in Zusammenhang mit einer Bewegungsrichtung (Flexion -Extension) Aktivität vorwiegend bei schnellem und großem Hub Aktivität bei großen Amplituden Reagieren eher mit Festigkeit bei Dysfunktion Reagieren eher mit Festigkeit bei Fehlhaltung

te). Deshalb bilden Muskel und Faszie eine funktionell untrennbar miteinander verbundene Einheit, wir sprechen vom myofaszialen System. Die Vielfalt der Kontaktaufnahme des Körpers mit der Umwelt und die ständige Einwirkung der Schwerkraft erfordern ein komplexes dynamisches myofasziales System, das auf die jeweilige Situation adäquat reagieren kann. Die Muskulatur besitzt folgende Fähigkeiten: 5 Sie kann zielgerichtet Bewegung einleiten. 5 Sie kann die ausgelöste Bewegung widerlagern. 5 Sie kontrolliert auf lokaler Ebene die intersegmentalen Bewegungen bei der Wirbelsäule und in der Dynamik die Zentrierung der Gelenke. 5 Sie sichert das Gleichgewicht durch reaktive Bewegungen der Körperabschnitte. 5 In der Interaktion mit dem zentralen Nervensystem mittels Antizipation übt sie eine Schutzfunktion für die umliegenden Strukturen (z. B. Bänder, Gefäße, Nerven) aus, und durch Feedback sichert sie die Bewegungskontrolle. Diese Fähigkeiten werden jeweils von spezifischen myofaszialen Systemen mit unterschiedlicher Effizienz erfüllt. Das Konzept der Klassifikation der Muskulatur in myofaszialen Systeme entspricht deren funktionellen Aufgaben im Bewegungsverhalten. Bergmark (1989) klassifiziert die Muskeln nach ihrer Aufgabe bei der Kraftübertragung innerhalb der Wirbelsäule. Lokale Muskeln (Bergmark, 1989, . Tab. 2.2) sind durch ihre topographische Lage, nahe und quer liegend am Gelenk (u. a. medialer M. multifidus, M. longus colli), bestens geeignet zur Kontrolle der intersegmentalen Bewegung. Bezüglich der Reihenfolge der Muskelrekrutierung

sind die lokalen Muskeln vor jeglicher Extremitätenbewegung zuerst aktiviert (Hodges und Richardson 1997). Diese Vor-Aktivierung ist stets unabhängig von der Richtung der Bein- und Armbewegungen. Sie sind damit in der Lage, die Wirbelsegmente zu stabilisieren und sie antizipatorisch vor ankommenden Impulsen aus der Peripherie zu schützen. Es entspricht einem Teil der Definition der dynamischen Stabilisation nach Klein-Vogelbach und wird beispielsweise in der therapeutischen Übung »Kurz und Bündig« umgesetzt (Werbeck u. Spirgi-Gantert, 1999). Die Relevanz dieser spezifischen Rekrutierung zeigt sich am Beispiel des M. vastus medialis obliquus (VMO, Quadrizeps femoris), der wahrscheinlich während der ganzen Standbeinphase die Patella-Bewegung auf dem Femur kontrolliert. Globale Muskeln (Bergmark, 1989) liegen oberflächlich, überspringen mehrere Drehpunkte, koordinieren eher die Kraftübertragung zwischen den Körperabschnitten (Becken und Brustkorb). Der Einsatz dieser Muskeln im Bewegungsverhalten orientiert sich an die Schwerkraft. Sie steuern abhängig von der Bewegungsrichtung die Gegengewichte bei Gleichgewichtsreaktionen. Es sind Muskeln, die bei der Fehlstatik die Körperabschnitte (Gegengewichte) fallverhindernd fixieren und damit eine Hyperaktivität aufweisen. Richardson et al (2004) haben ihrerseits von Rood die Klassifizierung übernommen, die Stabilisatoren und Mobilisatoren (Goff, 1972) unterscheidet, und diese weiterentwickelt. Weil der Schwerkraft als Referenzparameter im Verständnis der Fähigkeiten der myofaszialen Systeme in diesem Konzept eine entscheidende Rolle zukommt, entspricht es mit anderer Nomenklatur der Betrachtungsweise der funktionellen Bewegungslehre (Klein-Vogelbach (1984).

2

52

Kapitel 2 · Bewegungsanalyse

1

. Tab. .. Eigenschaften der Stabilisatoren – Mobilisatoren (Adaptiert aus Comerford 2001)

2

Stabilisatoren

Mobilisatoren

Monoartikulär Segmentale Ansätze Tief liegend mit kleinem Drehmoment Oberflächlich liegend mit flächigen Ansätzen (bessere Kraftübertragung) Überwiegend aktiviert in der Stützfunktion Aktiviert bei der Bremserfunktion (Kontrolle der Gewichte im exzentrischen Modus)

Biartikulär / Multiartikulär Oberflächliche Lage Lange Hebelarme, großes Drehmoment Können schnelle Bewegungen und große Amplituden erzeugen Überwiegend aktiviert in der Spielfunktion Aktiviert bei ballistischen Bewegungen

3 4 5 6

13

Als Stabilisatoren bezeichnet Richardson (2004) sowohl die lokalen Muskeln (Bergmark, 1989), als auch die oberflächlich liegende monoartikuläre Muskulatur (z. B. M. gluteus medius, M. vastus intermedius). Bei der Aktivierung liegt die Fähigkeit dieser eingelenkigen Muskeln in der Stützfunktion, wobei sie insbesondere als Bremser wirken (Klein-Vogelbach, 1984). Dies bedeutet die Kontrolle der absinkenden Gewichte z. B. beim Treppe runtersteigen und Hinsetzen. Mobilisatoren sind die global oberflächlich liegenden polyartikulären Muskeln wie der M. rectus femoris, M. rectus abdominis und die ischiokrurale Muskulatur (. Tab. 2.3). Ihre Fähigkeiten entsprechen den globalen Muskeln. Im nachfolgenden Text werden als primäre Stabilisatoren die lokal liegenden Muskeln, als sekundäre Stabilisatoren die monoartikuläre Muskulatur und als Mobilisatoren die mehrgelenkigen Muskeln bezeichnet.

14

2.6.3 Klinische Relevanz

15

Bewegungsverhalten

7 8 9 10 11 12

16 17 18 19 20

gestörten Propriozeption äußern. Die Fähigkeit, einzelne Körperabschnitte selektiv zu bewegen, zu stabilisieren sowie eine vorgegebene Haltung (z. B. der Wirbelsäule) zu reproduzieren, ist häufig gestört. Eine erhöhte Federfestigkeit der globalen Myofaszien führt zu einer veränderten Kinetik innerhalb der weiterlaufenden Bewegung. Nach der Gesetzmäßigkeit der Kräfte (Weg des geringsten Widerstandes) werden mehrere Drehpunkte von dem Bewegungsimpuls nicht erfasst, kompensatorisch andere um so mehr. Dies ist eine häufige Ursache einer Hypermobilität im Sinne einer Ausweichbewegung. Bedingt durch ihre topographische Lage, besitzen globale Muskeln ein hohes Drehmoment. Ihre Hyperaktivität führt in dieser Konstellation bei Bewegung zu einer ungewollten Dezentrierung der Gelenke (verändertes momentanes Rotationszentrum).

Statik

Eine Dysfunktion des myofaszialen Systems kann sich sowohl auf lokaler als auch auf globaler Ebene manifestieren (Bergmark, 1989). Lokal äußert sich die Dysfunktion in Form einer mangelhaften segmentalen Stabilisation (abnormale artikuläre Translation). Global besteht die Dysfunktion in einem veränderten Zusammenspiel zwischen den Agonisten und Antagonisten: Es ergibt sich eine muskuläre Dysbalance (Janda, 1979). Wegen der Interaktion beider Systeme sind Instabilitäten häufig mit einer Dysbalance kombiniert. Im Bewegungsverhalten kann sich die Störung auf lokaler Ebene in einer möglichen segmentalen Instabilität, einer mangelhaften Kontrolle der neutralen Stellung der Wirbelsäule und einer

Es stellt sich die Frage, ob die menschliche Muskulatur in ähnlicher Art und Weise, zum Beispiel bei fixierter Haltung, ähnlich adaptiert. In Folge dessen kann eine dauerhafte Fehlhaltung zur Veränderung des SpannungsLängenverhältnisses der Muskulatur führen (. Abb. 2.52). Klinische Erfahrungen sprechen dafür. Relevant könnte demnach für den Entscheidungsprozess in der Untersuchung und Intervention die Beurteilung sein, ob sich durch eine veränderte Statik bestimmte Muskeln adaptiv verlängern beziehungsweise verkürzen. Wir sprechen von aktiver/passiver Insuffizienz (7 Kap. 2.5.2)

2.6 · Myofasziale Systeme

Wichtig Eine Muskelfunktionsprüfung in ihrer klassischen Ausführung würde keine reelle Information über die Muskelfunktion liefern. Um Aufschluss über die eventuelle Adaptation des Muskels im Sinne einer Verlängerung zu gewinnen, wäre es notwendig, den Muskel in seiner möglichst maximal angenäherten Stellung zu testen.

Wird eine Adaption festgestellt, besteht das therapeutische Ziel darin, eine Restrukturierung der Muskelfasern zu stimulieren und den Muskel selektiv in angenäherter Stellung zu aktivieren. Zusammenfassung Dem Konzept der myofaszialen Systeme entspricht die Betrachtungsweise der Funktion der Muskulatur innerhalb der Funktionellen Bewegungslehre. Die klinische Entscheidungsfindung bei der Fähigkeitsuntersuchung der Muskulatur basiert auf der definierten Norm des Bewegungsverhaltens der Körperabschnitte. Wir untersuchen nicht primär den einzelnen Muskel, sondern die Fähigkeit der myofaszialen Systeme innerhalb der Körperabschnitte und in der Interaktion der Körperabschnitte untereinander.

53

2

3

Untersuchung auf Grundlage der ICF 3.1

3.2

3.3

Ärztliche Diagnose, die zur Verordnung der Physiotherapie geführt hat – 56

3.7

Kontextfaktoren – 59

3.7.1 3.7.2

Umweltfaktoren – 60 Personenbezogene Faktoren

Beurteilung der Kondition in Bezug auf das reale Lebensalter – 56

3.8

Aktivität – 61

3.8.1 3.8.2 3.8.3 3.8.4 3.8.5

ADL – 61 Sitzen – 61 Bücken – 62 Gehen – 64 Funktionelle Fehlatmung

3.9

Struktur und Funktion

3.9.1 3.9.2 3.9.3 3.9.4

Konstitution – 72 Statik – 78 Gelenkbeweglichkeit – 89 Untersuchung des Bewegungsverhaltens der einzelnen Körperabschnitte und der Körperlängsachse – 95

Beurteilung der Muskulatur in Bezug auf ihren Trainingszustand – 56

3.4

Anamnese – 57

3.4.1

Schmerzanamnese

– 57

3.5

ICF als Grundlage der Untersuchung – 58

3.6

Partizipation – 59

– 60

– 72

– 72

56

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

Die Untersuchung eines Patienten dient dazu, eine physiotherapeutische Diagnose zu stellen, die dann die Grundlage für die therapeutische Intervention darstellt. Die Untersuchung eines Patienten kann durch unterschiedliche Betrachtungsweisen gelenkt werden. Im Wesentlichen können eine strukturorientierte, eine verhaltensorientierte und eine funktionsorientierte Betrachtungsweise unterschieden werden. Alle drei Sichtweisen haben das gemeinsame Ziel, die Folgen der Erkrankung für das Leben des Patienten zu mindern und damit die Lebensqualität wiederherzustellen bzw. zu verbessern. Bei der strukturorientierten Betrachtungsweise wird die pathologisch veränderte Struktur gesucht, die für die Beschwerden des Patienten verantwortlich sein kann. Wichtig 5 Nicht jede pathologisch veränderte Struktur des Bewegungsapparates erzeugt Schmerzen. 5 Schmerz entsteht nicht nur durch pathologisch veränderte Strukturen 5 Das klinische Auffinden einer pathologisch veränderten Struktur ist oft schwierig Die pathologisch veränderte Struktur kann physiotherapeutisch nur hinsichtlich Schmerzlinderung und Förderung der Heilung behandelt werden.

Die verhaltensorientierte Betrachtensweise berücksichtigt, dass nicht der Schmerz allein, sondern auch die Auswirkungen der Erkrankungen das »Kranksein« des Patienten bestimmen. Verhaltensorientierte Behandlungsansätze sind die Veränderung des Umgangs mit dem Schmerz. Als positive Beeinflussung und Motivation sind sie seit jeher Teil der Physiotherapie. Haltung und Bewegung gelten als wichtigste Funktionen des Bewegungssystems. Darauf basiert die funktionsorientierte Betrachtungsweise. Zwischen ihnen und den beklagten Beschwerden des Patienten wird eine Korrelation gesucht. Haltung und Bewegung lassen sich physiotherapeutisch beeinflussen bzw. verändern, um so auf die damit zusammenhängenden Symptome zu wirken. Der Therapeut wird sich jedoch immer fragen, ob einzelne Strukturen oder Funktionen geschädigt sind, ob die Schädigung den Patienten bei bestimmten Aktivitäten hindert oder er sogar aufgrund des Aktivitätsverlustes nicht in der gewünschten Weise am Gesellschaftsleben teilnehmen kann.

Grundsätzlich beginnt die physiotherapeutische Untersuchung mit der Erfassung der Daten, wie ärztliche Diagnose, Belastbarkeit und Trainingszustand des Patienten. Anschließend wird die Anamnese, besonders die Schmerzanamnese, erhoben.

3.1

Ärztliche Diagnose, die zur Verordnung der Physiotherapie geführt hat

Die Diagnose gibt die Kriterien für die Auswahl der physiotherapeutischen Behandlungsverfahren vor und bedingt die Kontraindikationen. So müssen z.B. Nebendiagnosen berücksichtigt werden, wie koronare Herzkrankheit (KHK), arterielle Hypertonie, Herzinfarkt, Diabetes, akut entzündliche Prozesse, Tumor, Metastasen usw.

3.2

Beurteilung der Kondition in Bezug auf das reale Lebensalter

Dieser Untersuchungsabschnitt schützt den Therapeuten vor unbewussten stereotypen Denk- und Verhaltensweisen (»In Ihrem Alter muss man damit rechnen, dass…« oder »Das kann man nur mit jüngeren Patienten machen/ üben.«). Die Beurteilung beruht auf dem subjektiven Eindruck des Therapeuten und seiner subjektiven Einschätzung des Patienten. Der aktuelle Leistungszustand wird erfasst, indem man die Belastbarkeit verletzter, degenerierter und operierter Strukturen berücksichtigt. Die Leistungsfähigkeit wird durch den Funktionszustand des neuromuskulären und des energetischen Systems bestimmt.

3.3

Beurteilung der Muskulatur in Bezug auf ihren Trainingszustand

Aus den motorischen Grundeigenschaften Beweglichkeit, Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit und Koordination setzen sich psychomotorische, sensomotorische, fein- und grobmotorische Fähigkeiten zusammen. Eine Überprüfung der Kraft gibt dem Therapeuten die Information, ob der Patient die geforderte Kraft für einen bestimmten Bewegungsablauf aufbringen kann.

57

3.4 · Anamnese

3.4

Anamnese

Bei der Erhebung der Anamnese erfragt man folgende Punkte: 1. Wie ist der bisherige Krankheitsverlauf? 2. Welche Probleme stehen für den Patienten im Vordergrund? Aus diesen Angaben lassen sich gemeinsame Ziele für die Therapie vereinbaren. 3. Angaben über bisherige Therapien können den Therapeuten bei der Wahl seiner Strategie leiten. Waren sie erfolgreich, entsteht dort ein Anknüpfungspunkt. 4. Auch Symptome wie Schwäche, Steifigkeiten, Instabilitäts- bzw. Unsicherheitsgefühl und Missempfindungen geben dem Therapeuten Informationen, die ihn in der weiteren Untersuchung leiten. Ursachen für Symptome, die erst nach längerer Zeit auftreten, sind operative Eingriffe, Unfälle, Krankheiten etc. Auf diese Weise entstehen Pathomechanismen, wie z.B. Halswirbelsäulenprobleme nach Sprunggelenkverletzungen, Störungen viszeraler Art, z.B. gynäkologische Probleme mit gleichzeitigen Lendenwirbelsäulen- oder Iliosakralgelenksproblemen, oder psychosomatische Störungen.

3.4.1 Schmerzanamnese Die International Association for Study of Pain (1979) formuliert eine Definition, die die verschiedenen Aspekte des akuten und chronischen Schmerzes umfasst: Definition »Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potentieller Gewebsschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird.« (IASP 1979)

dass sich sowohl die Intensität des Schmerzes als auch sein Charakter verändert. Daran wird letztendlich das Ergebnis jeder Therapie gemessen. Bei der Schmerzanamnese müssen folgende Punkte berücksichtigt werden: 5 Schmerz kann von allen Nozizeptoren des Körpers ausgehen. Nozizeptoren sind spezialisierte Schmerzmelder. Ihre verzweigten Enden haben sich auf Schmerzreize (auch z. B. Hitze- und Druckreize) spezialisiert und leiten diese an das Zentrale Nervensystem weiter. 5 Die Stärke des Schmerzes steht nicht in Wechselbeziehung zum Grad der Gewebereizung oder -schädigung. 5 Der Ort der Schmerzempfindung entspricht nicht in jedem Fall dem Ort der Schmerzentstehung (»referred pain«). 5 Ein gleich bleibender, permanenter Schmerz ist nicht notwendigerweise mechanisch bedingt, sondern kann auch entzündlich sein. 5 Ziel der Schmerzbefragung ist es herauszufinden, ob eine Struktur oder nichtstrukturelle Ursachen (z.B. gelernter Schmerz) verantwortlich sind. Dies ist bei funktionellen Störungen oft schwierig, da wir sehr häufig wechselnde Schmerzlokalisationen finden (heute Nacken, morgen Knie, übermorgen ...). Bei spezifischen Traumata hingegen zeigen sich die Probleme an der geschädigten Stelle. Morphologische Veränderungen, wie z.B. degenerative Veränderungen, müssen nicht zwangsläufig die Ursache bestehender Beschwerden sein. Wichtig Die Anerkennung des Schmerzes als lebenserhaltendes Prinzip und das Erfassen der Gründe für sein Zustandekommen wird zum Wegweiser für die Therapie.

Wichtig Der Schmerz ist als Frühwarnsystem des Körpers zu verstehen.

Das subjektive Erleben von »Schmerz« muss so weit wie möglich messbar gemacht werden, damit eine Therapie beurteilt werden kann. Für den Patienten ist entscheidend,

Schmerzverstärkende Faktoren sind: Sorgen, Unruhe, Angst, Depression, Einsamkeit, Inaktivität, Schlaflosigkeit, Erinnerung an Schmerzen, Belastungen, Stress. Schmerzverringernde Faktoren sind: Medikamente, Ablenkung, Entspannung, Aktivität, Hypnose, Schlaf, Zuwendung, Freude, Ausgeglichenheit, Hoffnung (Rehfisch et al. 1989).

3

58

1 2 3

Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

Gifford (1998) spricht von »pain management« und meint damit, dass Patienten, die lernen, sich nicht durch den Schmerz beherrschen zu lassen, sondern vielmehr selbst den Schmerz beherrschen, Besserung erreichen (siehe auch Butler u. Moseley 2005).

Fragen zur Schmerzanamnese

6

Der Therapeut muss herausfinden, ob körpereigene oder körperfremde Gewichte für den Schmerz verantwortlich zu machen sind und ob eine Muskelgruppe vermehrt fallverhindernd arbeiten muss. Eventuell bedeutet eine bestimmte Position Entlastung oder Belastung für bestimmte Strukturen. Durch Schmerzprovokationstests kann der Schmerz reproduziert werden.

7

Wo ist der Schmerz?

4 5

8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

. Tabelle . Schmerzanamnese

Die Lokalisation des Schmerzes gibt uns einen Hinweis auf die betroffene Struktur: 5 Lokal: scharf begrenzt oder diffus (z.B. ein bestimmter Punkt oder die ganze Schulter, Lendenwirbelsäule mit Gesäß). Welche Strukturen liegen unter der gezeigten Stelle? 5 Ausstrahlend: – unspezifisch (ganzer Arm), – Dermatom (Nervenwurzel), – im Versorgungsgebiet eines Nerven (peripherer Nerv), – reflektorisch (Brügger, 1986). 5 Gibt es noch an anderen Orten Schmerzen? 5 Besteht ein Zusammenhang zwischen den einzelnen Schmerzgebieten? Wann treten die Schmerzen auf, bzw. gibt es schmerzfreie/ - arme Zeiten

Treten die Schmerzen zu einer bestimmten Zeit auf? Tagesoder Nachtschmerz, an Arbeitstagen oder am Wochenende, saisonbedingt, wetterabhängig? Folgende Fragen lenken den Therapeuten in eine bestimmte Richtung: 5 Welche Positionen, Bewegungsabläufe und Aktivitäten des täglichen Lebens stehen mit dem Schmerz im Zusammenhang? 5 Treten die Schmerzen in Ruhe oder unter Belastung auf? 5 Besteht ein Anlaufschmerz, der sich bei zunehmender Bewegung vermindert? Seit wann bestehen die Schmerzen?

Gab es eine direkte Ursache?

Qualität und Intensität

Interpretation

Spitz, ziehend, blitzartig einschießend, ausstrahlend, kribbelnd

Nerven

Bohrend, dumpf, reißend, brennend

Eher Muskulatur /Gelenk/ Bandstrukturen

Heftiger Dauerschmerz, bohrend, pulsierend

Eher entzündlicher Prozess

Punktuell, scharf begrenzt

Frakturen

Tiefliegend

Thrombose

Oberflächlich

Parästhesien

Stechend, meist kurzzeitig, intermittierend, hell und klar, akuter Zustand, der mit einer bestimmten Gelenkstellung zusammenhängt

Gelenk

5 Entstanden die Schmerzen plötzlich oder schleichend? 5 Seit Tagen, Wochen, Jahren? Schmerzen, die länger als ein halbes Jahr andauern und deshalb als chronisch bezeichnet werden, entwickeln im Laufe der Zeit einen eigenen Krankheitswert.

Wie ist der Schmerz? Hier werden die Qualität und die Intensität der Schmerzen erfragt. Die nachfolgenden Beispiele sind Interpretationen. Erst die gesamte Schmerzanamnese gibt endgültigen Aufschluss. (. Tab.3.1) Eine Skala von 1‒10 (visual analogue scale«=VAS) bietet die Möglichkeit, den Behandlungserfolg zu beurteilen und für den Patienten zu visualisieren. (War der bisherige Verlauf konstant, intermittierend, mit steigender oder fallender Tendenz?)

3.5

ICF als Grundlage der Untersuchung

Die ärztliche Diagnose ist eine wichtige Information über den Patienten. Sie kann jedoch nicht allein die Basis einer individuell ausgewählten und angemessen dosierten Physiotherapie sein. Grundlage dafür ist die sorgfältige Unter-

59

3.7 · Kontextfaktoren

suchung durch Physiotherapeuten, die den Menschen in seiner Gesamtheit erfassen und seine aktuelle Lebenssituation berücksichtigen muss. Die von der Weltgesundheitsorganisation verabschiedete International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) stellt die Grundlage für die physiotherapeutische Untersuchung dar. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Alltagskompetenz des Patienten, die damit nicht nur Ziel der physiotherapeutischen Behandlung ist, sondern auch zum Ausgangspunkt für die physiotherapeutische Diagnostik wird. (. Abb. 3.1) Natürlich ist beides notwendig: das Untersuchen der einzelnen Strukturen des Bewegungssystems und darüber hinaus das Feststellen der funktionellen Leistungen. 5 Die Körperstrukturen sind die anatomischen Teile des Körpers wie die Organe oder Gliedmaßen. Die Körperfunktionen sind die physiologischen Funktionen von Körpersystemen wie Gedächtnis oder Muskelausdauer. 5 Aktivität ist die Durchführung einer Aufgabe oder Handlung (z.B. Gehen oder Treppen steigen). Sie repräsentiert die individuelle Perspektive der Funktionsfähigkeit. 5 Partizipation ist das Einbezogensein einer Person in eine Lebenssituation. Sie repräsentiert die gesellschaftliche Perspektive der Funktionsfähigkeit (z.B.

gesellschaftlicher Aspekt des Eingebundenseins in einen Sportverein). 5 Zu den Kontextfaktoren gehören Umweltfaktoren und personenbezogene Faktoren. Diese können einen förderlichen oder hinderlichen Einfluss auf die

Funktionsfähigkeit ausüben. Zu den Umweltfaktoren gehören z.B. familiäre Beziehungen, Gebäude oder Transportmittel. Personenbezogene Faktoren sind z.B. Alter, Geschlecht, Verarbeitungsstile oder auch persönliche Erfahrungen. Die folgende Darstellung in der Reihenfolge »Partizipation – Aktivität ‒ Struktur und Funktion« ergibt sich aus der Orientierung an den Zielen der Rehabilitation. Die Partizipation bestimmt das Lernziel des Patienten, auf der Aktivität liegt das Hauptaugenmerk der Untersuchung in der FBL-Functional Kinetics, die Ebene von Struktur und Funktion liefern die benötigten Hintergrundinformationen zu den Störungen.

3.6

Das Einbezogensein in eine Lebenssituation bedeutet, bis zu einem gewissen Grad eigenständig zu sein. Man hat seine eigene Lebenssituation unter Kontrolle – auch wenn die Aktivitäten nicht selbst ausgeführt werden. Der Hauptindikator für die Partizipation ist damit die Erfüllung von eigenen persönlichen Zielen und von sozialen Rollen. Physische Abhängigkeit heißt oft, auf viele Alltagstätigkeiten verzichten zu müssen. Dies kann Beruf, Hobbys und andere Freizeitaktivitäten betreffen. Nach der der ICF zugrunde liegenden Philosophie genügt die Untersuchung der individuellen strukturellen und funktionellen Veränderungen nicht, um die Partizipationseinschränkungen zu erklären. Systemische Modelle betonen die Bedeutung der Umweltfaktoren und des sozioökonomischen Status als wesentlich zur Einschränkung beitragende Faktoren nach Funktionsverlust des Patienten. Sie können die Eigenständigkeit der Patienten behindern oder unterstützen. Schädigungen und Aktivitätsverlust können zu Stigmatisierung und Ausschluss führen. Eine Beeinträchtigung der Partizipation wird meist durch das Zusammenwirken mehrerer negativer Kontextfaktoren bewirkt. Für die Therapie bedeutet das, die bestehenden Ressourcen zu erkennen und zu fördern.

3.7 . Abb. .. Das bio-psycho-soziale Modell der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF, International Classification of Functioning, Disability and Health)

Partizipation

Kontextfaktoren

Die Kontextfaktoren stellen den gesamten Lebenshintergrund eines Menschen dar. Sie umfassen zwei Komponenten: Umweltfaktoren und personenbezogene Faktoren.

3

60

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

Diese können einen förderlichen oder hinderlichen Einfluss auf die Funktionsfähigkeit haben.

3.7.1 Umweltfaktoren Zu den Umweltfaktoren gehören u.a. die unmittelbare, persönliche Umgebung eines Menschen, wie der häusliche Bereich, der Arbeitsplatz und die Schule, die persönlichen Kontakte zu anderen, wie Familie, Bekannte aber auch soziale Strukturen. Diese können einen positiven oder negativen Einfluss auf die Krankheit des Patienten haben. Fehlender Zugang zu Örtlichkeiten ist beispielsweise häufig ein Grundproblem für die Partizipationsbeeinträchtigung des Gehbehinderten. Architektonische und verkehrstechnische Barrieren setzen hier oft klare Grenzen. Ein sorgfältiges Assessment der Umweltfaktoren ist sehr wichtig für die Formulierung einer sinnvollen und realistischen Zielsetzung der Rehabilitation und Reintegration ins soziale Leben. Der eigene intime Lebensraum, die eigene Wohnung, die Familie und der Freundeskreis sind für Interventionen am besten zugänglich. Mit gezielten Kontextmaßnahmen kann die Partizipationssituation oft wirkungsvoll verbessert werden (Rentsch, Bucher 2005).

12

3.7.2 Personenbezogene Faktoren

13

Personenbezogene Faktoren sind der spezielle Hintergrund

14 15 16 17 18 19 20

des Lebens und der Lebensführung eines Menschen. Sie umfassen Gegebenheiten, die nicht Teil des Gesundheitsproblems sind. Diese Faktoren können Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Alter, Fitness, andere Gesundheitsprobleme, Gewohnheiten, Erziehung, Bewältigungsstrategien, sozialer Hintergrund, Bildung und Beruf, vergangene oder gegenwärtige Erfahrungen, allgemeine Verhaltensmuster und Charakter, psychisches Leistungsvermögen und andere Merkmale umfassen. Nach heutigen Vorstellungen haben vor allem chronische Erkrankungen viele Ursachen. Sie zeigen sich in häufig wechselnden, zum Teil auch schwer wahrnehmbaren Symptomen. Eine Betrachtungsweise, die viele Faktoren berücksichtigt, erfordert demnach einen integrativen Ansatz in der Rehabilitation. Wenn es sich um subjektive Einschätzungen der persönlichen Situation handelt, muss dies dem Untersucher zumindest bewusst sein, damit er seine Aussagen mit der gebotenen Zurückhaltung formuliert. Die Rolle und

Bedeutung sozialer, psychischer, physiologischer und genetischer Faktoren ist bei der Wiederherstellung der Gesundheit zu berücksichtigen. Von psychischen Krankheiten, die ärztlich behandelt werden, erfährt der Therapeut in der Verordnung. Mit ihnen umzugehen, verlangt Spezialkenntnisse, von denen hier nicht die Rede sein wird. Jeder kann bei einer Untersuchung allerdings erkennen, ob der Patient beispielsweise in einer Lebenskrise steht, weil er seinen Arbeitsplatz verloren hat. Es sollte aber auf jeden Fall dem Patienten überlassen werden, was er davon vielleicht erst im Verlauf einiger Behandlungen preisgeben will. Die psychische Beurteilung des Patienten sollte nicht das Ergebnis einer Befragung, sondern eines Gesprächs und der Erfahrung des Therapeuten sein. Hellhörig soll der Therapeut jedoch wahrnehmen, auf welche Weise der Patient über seine Krankheit spricht. Er kann dann prognostizieren, ob er es mit einem kooperativen Patienten zu tun hat oder nicht. Das ist sehr wichtig bei der Planung der Therapie. Die Möglichkeiten des Einzelnen, mit den Belastungen umzugehen (StressCoping), spielt eine große Rolle für die Ausprägung des somatischen Geschehens. Die Bewältigungsmöglichkeiten bestimmen Vermeidung, Entstehungszeitpunkt, Verlauf und Heilungschancen von Erkrankungen mit. Bewältigungsmechanismen können sowohl persönlicher wie kollektiver Natur sein. Die familiären Lebensumstände und die Probleme des Privatlebens spielen eine wichtige Rolle bei der Motivation des Patienten, gesund zu werden oder krank zu sein. Die Bedeutung und Bewertung der Krankheit beeinflusst den Bewältigungsprozess maßgeblich. Es sind die verschiedensten Einstellungen zur Krankheit zu finden, die bei der Planung der Therapie zu beachten sind. Deshalb ist es wichtig zu registrieren, wie der Patient über seine Krankheit spricht. Aus psychosomatischer Sicht ist nicht nur der kranke Patient mit seinen kranken Organen und Funktionsstörungen zu beurteilen, vielmehr sind auch die Wirkung von Erkrankung und Leiden auf den Patienten, sein familiäres und soziales Umfeld und evtl. auf seine berufliche Existenz in Betracht zu ziehen (Schüßler 1993). Es gibt immer eine Wechselwirkung von körperlichen und seelischen Symptomen. Körperliche Reaktionen können demnach auch individuelle Bedürfnisse ausdrücken, z.B. den Wunsch nach sozialer Integrität, Aufmerksamkeit und Hilfe. Die Bewältigungsstrategien eines Patienten beeinflussen den Heilungsprozess maßgeblich. Es gibt individuelle

61

3.8 · Aktivität

Copingmechanismen, also persönliche Fähigkeiten und Strategien der Problemlösung, und kollektive Copingmechanismen. Dabei erfährt der Patient ausreichende Unter-

stützung in positiven primären (Ehepartner, Familie, enge Freundschaften) und sekundären (Arbeitskollegen, Nachbarschaft, Vereinsmitglieder usw.) sozialen Beziehungen. Durch diese sozialen Bindungen können Stressoren neutralisiert und die Gesundheit erhalten werden, bzw. wird positiv auf die Gesundung eingewirkt. Die Hilfeleistungen mobilisieren die Bewältigungsressourcen des Betroffenen und unterstützen ihn bei der Bearbeitung der anstehenden Konflikte. Sie können darüber hinaus praktische Unterstützung im Alltag und Orientierungshilfen beinhalten. Wichtig Die persönliche Situation eines Patienten ist abhängig von seinen Wertevorstellungen, der Lebenserfahrung, seiner Wissensbasis, kulturellen Faktoren und früheren Erfahrungen. Diese bestimmen auch wesentlich seinen Umgang mit Krankheit und Gesundheit.

3.8

Aktivität

Aktivitäten des häuslichen Lebens setzen Unabhängigkeit in Mobilität und Selbstversorgung voraus. Die Bewältigung der Alltagsanforderungen im vertrauten privaten Heim erfordert z.B. Eigenständigkeit beim Einkaufen und der Erledigung von Haushaltsaufgaben. Für allein lebende Personen ist eine weitgehende Unabhängigkeit in diesen Aktivitäten oft eine unabdingbare Voraussetzung für das eigenständige Leben zu Hause.

3.8.1 ADL Die Aktivitäten des täglichen Lebens (ATL) (engl. ADL, »activities of daily living«) gehören zu einem ganzheitlichen Modell v.a. in der Alten- und Krankenpflege, sind aber auch aus der Physiotherapie nicht mehr wegzudenken. Ziel der Therapie ist es zunächst, die Selbständigkeit eines Patienten in einzelnen Bereichen zu erhalten oder wieder herzustellen. Es umfasst insgesamt 12 Aktivitäten, zu denen z.B.

5 Sich bewegen, 5 Sich waschen und kleiden, 5 Essen und Trinken gehören, die einer physiotherapeutischen Intervention zugänglich sind. Bei der Untersuchung der ADL muss der Therapeut beachten, dass die Voraussetzung für sicheres Bewegen eine dynamische Haltungskontrolle bei Veränderungen von Körperlagen ist. Ohne diese dynamische Stabilität fehlt die Sicherheit beim Gehen und bei anderen Veränderungen der Körperlage (sich drehen, aus dem Bett aufstehen etc.). Diese wichtigen Funktionen setzen eine kontrollierte Haltung und freie Beweglichkeit von Kopf und Rumpf voraus. Dasselbe gilt auch für die erfolgreiche Ausübung von anderen motorischen (auch feinmotorischen) Tätigkeiten (bei allen Armbewegungen, die für die ADL wichtig sind).

3.8.2 Sitzen Sitzen ist ein dynamischer Prozess und abhängig von der Tätigkeit, die dabei geplant oder ausgeführt wird. Die Beurteilung des Sitzverhaltens eines Patienten muss seinen Alltag berücksichtigen. Sitzen ist zur am häufigsten eingenommenen Körperhaltung des täglichen Lebens geworden. Im Gegensatz zum Stehen geht beim spontanen Sitzen in Folge einer Extension des Beckens in den Hüftgelenken die S-Form der Wirbelsäule verloren (Schoberth 1976; Andersson et al. 1979; Brunswic 1984; Krämer 1993). Dieser Impuls kann als natürliche Folge der Muskellängen- und Zugrichtungsänderung der Hüftmuskulatur im Sitz verstanden werden (Kapandji 1985). Die sog. entspannte Haltung mit dem resultierenden Rundrücken führt häufig zu Problemen wie Überdehnung und Reizungen der Gelenkkapseln (Schoberth 1976) und der supra- und infraspinalen Bänder und Sehnenansätze der Rückenmuskulatur (Berquet 1991), die sekundär Muskelverhärtungen, lokale Verspannungen und Schmerzen bewirken können. Die idealisierte Sitzposition, bei der die Lordose des Standes als Grund- und Ruheposition der Lendenwirbelsäule auch für den Sitz propagiert wird (Bundesverband der deutschen Rückenschulen, Illi u. Weckerle 1993), ist mit extrem hohen Muskelaktivitäten verbunden (Betz 1998). Der idealisierte Sitz ist zwar statisch günstig, als

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Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

. Abb. .. Eigenkorrigierter Sitz

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Aufstehen und stehen bleiben: 5 Die geplante Bewegung ist nach oben gerichtet. Die Füße werden nach hinten annähernd unter den Körperschwerpunkt gebracht. Damit kann sich dieser über der kleinen Unterstützungsfläche nur nach oben bewegen. Etwas vom linken/rechten Rand des Schreibtisches holen: 5 Die geplante Bewegung ist zur Seite gerichtet. Ein Bein wird in die geplante Bewegungsrichtung gestellt, um die Unterstützungsfläche zu vergrößern.

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3.8.3 Bücken

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Dauerhaltung aber unrealistisch. Er ist zu anstrengend und wird deshalb nicht akzeptiert. Der eigenkorrigierte Sitz kann als statisch günstige, mit kaum erhöhter Kraftanstrengung durchführbare und subjektiv besonders positiv empfundene Sitzhaltung bewertet werden (Betz 1998) (. Abb. 3.2). Das Erscheinungsbild »Sitzen« ist u.a. von der geplanten Bewegung aus dem Sitz abhängig und verändert sich dem jeweiligen Ziel entsprechend. Der Therapeut muss das jeweilige Bewegungsverhalten analysieren und evtl. nötige Anpassungen vornehmen. Die folgenden Beispiele verdeutlichen dies anhand einiger Varianten der Bewegung »vom Sitzen zum Stehen kommen«. Beispiel Aufstehen und nach vorne gehen: 5 Die geplante Bewegung geht nach vorne/oben. Die Füße werden in Schrittstellung und möglichst schmalspurig gestellt. Damit wird ein Fuß nach hinten annähernd unter den Körperschwerpunkt gebracht, und das hintere Bein kann beim Aufstehen belastet werden. Durch die schmalspurige Schrittstellung kann das Bein den Überholvorgang so gestalten, dass sich der Fuß in die Fortbewegungsrichtung einstellt und keine Rechtslinks-Bewegungen das Vorwärtskommen stören. 6

Der Mensch arbeitet in gebückter Haltung oder bückt sich, weil er etwas nach unten oder von unten nach oben bringen will. Bei einem physiologischen Bückverhalten müssen die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf in die Körperlängsachse eingeordnet bleiben. Je mehr sich die Körperlängsachse bis zur Horizontalen nach vorne neigt, umso größer muss die muskuläre, extensorische, lumbosakrale Verankerung sein. Um die räumliche Höhe zu überwinden, müssen in den Gelenken der Beine Gewichte nach vorne und hinten gebracht werden. Das geschieht, je nach Konstitution, auf sehr unterschiedliche Weise. Generell kann zwischen dem horizontalen und dem vertikalen Bücktyp unterschieden werden (. Abb. 3.3). Da die Neigung der Körperlängsachse nicht immer eindeutig horizontal oder vertikal ist, entsteht ein sog. »Mischtyp«. Dieser »neutrale Bücktyp« ist die Körperlängsachse zwischen 30° und 60° geneigt. Mit der Neigung der Körperlängsachse wächst die lumbosakrale Belastung, während diejenige der Kniegelenke abnimmt und umgekehrt.

Vertikaler Bücktyp Beim vertikalen Bücktyp neigt sich die Körperlängsachse bis ca. 30° nach vorn. Für diesen Bücktyp ist eine konstitutionelle ++ Oberlänge und die Verteilung der Hauptgewichte auf Brustkorb und Schultergürtel charakteristisch (. Abb. 3.4). Ein Mensch mit dieser Konstitution bringt schon bei leichter Neigung der Körperlängsachse viel Gewicht nach vorne. Wenn sich die nach vorne ziehenden Gewichte und das des Beckens, das als Gegengewicht benötigt wird, die Waage halten, ist keine weitere Neigung

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3.8 · Aktivität

. Abb. .. Bücktypen a vertikaler Typ b neutraler Typ c horizontaler Typ

a

b

c

. Abb. .. Vertikales Bücken

5 Im Kniegelenk wird das Oberschenkel- und Beckengewicht flexorisch nach hinten gebracht. 5 Das Hüftgelenk steht annähernd über den Fersen. Die Körperlängsachse wird sich genau so weit nach vorne neigen, wie es nötig ist, um den Schwerpunkt über der Unterstützungsfläche und damit das Gleichgewicht zu halten. Die Voraussetzungen für problemloses Bücken sind: 5 ein sicheres Gleichgewicht trotz kleiner Unterstützungsfläche, 5 eine gute Beweglichkeit der Knie-, Hüft- und Großzehengrundgelenke und 5 ein kräftiger Quadrizeps.

Horizontaler Bücktyp

der Körperlängsachse möglich, ohne dass dabei die Lendenwirbelsäule destabilisiert wird, um den Lastarm zu verkürzen. Ein Mensch mit diesen Hebelverhältnissen hat also nur die Möglichkeit, wenig horizontale Gewichtsverschiebungen zuzulassen. 5 Durch eine Extension im Großzehengrundgelenk werden der Vor- und Mittelfuß und auch die Ferse angehoben, das Gewicht wird insgesamt nach vorne gebracht. Die Unterstützungsfläche hat sich nach vorne verkleinert. 5 Das obere Sprunggelenk hat seine Lage im Raum verändert, steht weiter vorne und hat das Unterschenkelgewicht mit dem Knie nach vorne transportiert.

Beim horizontalen Bücktyp neigt sich die Körperlängsachse zwischen 60° und 90° nach vorne. Ein Mensch mit ++ Unterlänge, + Oberschenkellänge und/oder viel Gewicht an Becken und Bauch bückt sich auf diese Art und Weise (. Abb. 3.5). Die langen Oberschenkel bringen das Becken weit nach hinten. Aus diesem Grund muss sich die Körperlängsachse als Gegengewicht nach vorne neigen. Je größer dieses Gewicht ist, desto mehr nähert sich die Neigung der Horizontalen. 5 Es kommt zu einer Dorsalextension des Unterschenkels im oberen Sprunggelenk. Dort wird das Unterschenkelgewicht nach vorne gebracht. Die Unterstützungsfläche verändert sich nicht. 5 In den Kniegelenken wird das Oberschenkel- und Beckengewicht nach hinten gebracht. 5 Durch die Neigung der Körperlängsachse in den Hüftgelenken wird Gewicht nach vorne gebracht.

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Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

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Wenn Abweichungen wahrgenommen werden sollen, setzt das voraus, dass man ein Leitbild in sich trägt, auf das man die Abweichungen beziehen kann. Dieses Leitbild, nämlich die hypothetische Norm, ist abhängig von allgemeinen Standards und von der klinischen Erfahrung der Therapeuten. Die von Klein-Vogelbach formulierten  Beobachtungskriterien (siehe Übersicht .) ermöglichen es dem Therapeuten, ohne weitere Hilfsmittel, ausschließlich durch Betrachten, das abweichende Gehverhalten zu erkennen, zu beurteilen und zu analysieren. Diese Beobachtungskriterien sind keine Durchschnittswerte, die an den Gangbildern verschiedener Menschen ermittelt wurden, sondern charakteristische Merkmale des Leitbilds des

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normalen Gangs: . Abb ... Horizontaler Bücktyp

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Die Voraussetzungen für ein horizontales Bücken sind: 5 eine gute muskuläre, lumbosakrale Verankerung, 5 optimal gedehnte Ischiokruralmuskulatur, 5 eine gute flexorische Beweglichkeit in den Hüftgelenken Wichtig Es ist nicht möglich, den Bücktyp zu verändern, wenn er durch die Konstitution bestimmt wird.

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. Übersicht .: Die  Beobachtungskriterien für den Gang 5 Vorwärtstransport der Körperabschnitte Brustkorb und Kopf bei horizontaler Rechtwinkelstellung ihrer frontotransversalen Achsen zur Fortbewegungsrichtung 5 Gangtempo 5 Gehbewegungen der Körperabschnitte Becken und Beine 5 Einstellung der Beuge-Streck-Achsen des Standbeins und Abrollbewegung 5 Spurbreite 5 Schrittlänge 5 Erhaltung der vertikal stehenden Körperlängsachse. 5 Armbewegungen als Reaktion auf die Gehbewegungen von Becken und Beinen

3.8.4 Gehen Mobilität ist eine komplexe Funktion, die sich aus verschie-

densten Teilfunktionen zusammensetzt. Für den Menschen hat sie einen sehr hohen Stellenwert und bedeutet die Freiheit zur aktiven Teilnahme an vielen Aktivitäten innerhalb und außerhalb des Wohnbereichs. Mobilitätseinbuße beeinträchtigt Partizipationsmöglichkeiten und führt zu einem echten Verlust an Lebensqualität.

Die acht Beobachtungskriterien für den Gang, Abweichungen und Konsequenzen für das Bewegungsverhalten Die für die Untersuchung notwendigen Beobachtungskriterien orientieren sich an einer hypothetischen Norm.

Vorwärtstransport der Körperabschnitte Brustkorb und Kopf bei horizontaler Rechtwinkelstellung des frontotransversalen Brustkorbdurchmessers zur Fortbewegungsrichtung Normalerweise startet der Mensch zum Gehen spontan und ohne Überlegung. Er hat ein bestimmtes Ziel vor Augen, und der Körper reagiert mit Schritten auf den Wunsch, nach vorne zu kommen. Diese Zielsehnsucht bringt die Gewichte von Brustkorb und Kopf weiter nach vorne und verändert damit den Schwerpunkt über der Unterstützungsfläche in Richtung des Ziels.

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3.8 · Aktivität

Wenn eine Masse einmal geradlinig in eine bestimmte Richtung beschleunigt wird, verharrt sie in dieser Bewegung und Richtung (Gesetz der »Trägheit der Masse«). Für den normalen Gang ist es also bedeutsam, dass es gelingt, die Masse der Körperabschnitte Brustkorb und Kopf permanent so nach vorne zu transportieren, dass als Reaktion Schritte erfolgen. Dazu muss der Körperabschnitt Brustkorb dynamisch stabilisiert sein, damit keine unwuchtigen Gewichte den Vorwärtstransport beeinträchtigen. Wichtig Der Körperabschnitt Becken gehört beim Gehen funktionell zum Körperabschnitt Beine und wird von deren Bewegungen weiterlaufend erfasst. Wenn der frontotransversale Brustkorbdurchmesser immer rechtwinklig zur Gehrichtung bleibt, wird gewährleistet, dass er seine Aufgabe im Bewegungsverhalten erfüllen kann. Er ist stabil und bietet dadurch dem Kopf die Möglichkeit, sich im Raum zu orientieren.

Interpretation Der Brustkorb dreht gegen das Becken:

Nur bei stabilisiertem Brustkorb ist es dem Körperabschnitt Arme möglich, auf die Gehbewegungen der Beine und des Beckens zu reagieren. Wenn also der Brustkorb gegen das Becken dreht, werden Schultergürtel und Arm mit nach vorne und hinten transportiert, und die reaktiven Armbewegungen (Bewegungen im Humeroskapulargelenk) hören auf. Da durch die Rotation eine Rückwärtsbewegung erfolgt, steht ein Teil des Brustkorbgewichts nicht mehr für die Beschleunigung nach vorne zur Verfügung. Der Brustkorb dreht sich mit dem Becken in die gleiche Richtung:

Dieses nicht seltene Phänomen tritt typischerweise auf, wenn das Rotationsniveau nach kranial verschoben ist. Ursachen dafür können lange Schritte oder fehlende Rotation in der unteren Brustwirbelsäule sein. Im Extremfall laufen die Gehbewegungen der Beine und des Beckens bis in die Halswirbelsäule weiter. Der Brustkorb neigt sich nach rechts/links:

Durch folgende Faktoren entsteht der »Drive« (Antrieb, Schwung), der den Gehautomatismus aufrechterhält: 5 die Zielsehnsucht, 5 das permanente Überwiegen der vorderen Gewichte, 5 die Trägheit der Masse der Körperabschnitte Brustkorb und Kopf (einmal beschleunigt, strebt sie immer in diese Richtung).

Das hat eine Zerstörung der Körperlängsachse zur Folge. Die Rechts-Links-Bewegungen überwiegen die vorwärts gerichtete Bewegung.

Norm

5 Brustkorb und Kopf werden gemeinsam nach vorne transportiert. 5 Die frontotransversalen Durchmesser von Brustkorb und Kopf stehen rechtwinklig zur Gehrichtung und bleiben immer horizontal (. Abb. 3.6). Abweichungen

5 Der Brustkorb dreht gegen das Becken. 5 Der Brustkorb dreht sich mit dem Becken in die gleiche Richtung. 5 Der Brustkorb neigt sich nach rechts/links. 5 Der Brustkorb (und der Kopf) streben nicht nach vorne. . Abb. .. Vorwärtstransport der Körperabschnitte Brustkorb und Kopf bei horizontaler Rechtwinkelstellung ihrer frontotransversalen Achsen zur Fortbewegungsrichtung

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Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

Der Brustkorb (und der Kopf) streben nicht nach vorne:

Dabei entsteht der Eindruck, als wollte sich der Mensch nicht wirklich nach vorne fortbewegen. Die Füße gehen dem Körper voraus. Die Schritte erfolgen aktiv, der »Drive« geht verloren.

Kadenz/Frequenz Norm Definition Die Kadenz ist eine Konstante und beträgt in der hypothetischen Norm 108-120 Schritte pro Minute.

Abweichungen

5 Gesteigerte Kadenz. 5 Verringerte Kadenz. Interpretation

Standbeins die Reaktion des Spielbeins aus. Das Standbein lässt also den Körper so über seine funktionelle Fußlängsachse abrollen, dass als Reaktion das unbelastete Spielbein zu einem Schritt nach vorne gezwungen wird, um das Gleichgewicht zu erhalten. Zur Reaktion des Spielbeins kommt es durch die Vorlastigkeit der Gewichte. Jeder Schritt ruft in seiner Standbeinphase mit dem Abrollen über die funktionelle Fußlängsachse den nächsten reaktiven Schritt hervor. Die Wirkung der Masse der Körperabschnitte Brustkorb und Kopf ihrerseits versetzt die hängenden Armgewichte reaktiv in ihre »pendelnde« Bewegung. Für das Timing des Schrittzyklus (=100) gilt: 5 Standbeinphase +/– 60, davon 20 Doppelbelastungsphase. 5 Spielbeinphase +/– 40 (Inman et al. 1981; Plas et al. 1980; Whittle 1991; Perry et al.1992).

Bei gesteigerter Kadenz:

5 Wenn die Schrittfrequenz auf mehr als 140 Schritte pro Minute ansteigt, wird der Gang hyperaktiv und der Armpendel aktiv. Die Schritte verlieren an Ökonomie und Reaktivität, d.h., die Ermüdung tritt früher ein, die Schritte werden kürzer, und auf Dauer wird die zurückgelegte Wegstrecke geringer. Schnelles Gehen kann als Konditionstraining genutzt werden. Bei verringerter Kadenz:

5 Geht der Mensch langsamer, erfolgen die Schritte nicht mehr reaktiv, sondern jeder Schritt muss neu angesetzt werden. Je langsamer die Schrittfrequenz, desto deutlicher beobachtet man das Einsetzen von Gegengewichten. 5 Die meisten Patienten tendieren zur Verlangsamung der Kadenz. Sinkt die Schrittzahl auf 80 oder weniger Schritte pro Minute, werden die Armbewegungen symmetrisch, und man beobachtet, dass die Vorwärtsbewegung des Körpers zugunsten von Rechtslinks-Bewegungen abnimmt.

Gehbewegungen der Körperabschnitte Becken und Beine Die Gehbewegungen der Körperabschnitte Becken und Beine laufen automatisch ab. Das Becken muss in Bezug auf den Brustkorb permanente minimale Stellungsänderungen in der Wirbelsäule durchführen, die untrennbar mit den Gehbewegungen der Beine zusammenhängen. Beim normalen Gang löst das Bewegungsverhalten des

Die Bewegungen des Beckens erfolgen ausschließlich rotatorisch und lateralflexorisch in der Wirbelsäule sowie . Tab. .. Zeitliche Reihenfolge des Bewegungsablaufs Standbein

Spielbein

Doppelbelastung: Fersenkontakt (heel strike) Beinlängsachse ist nach hinten geneigt

Doppelbelastung: Ablösungsphase (terminal stance). Beinlängsachse ist nach vorne geneigt

Fußsohlen-Boden-Kontakt (foot-flat)

Zehenablösung (toe-off )

Mittlere Standphase (midstance-phase) Annähernd vertikale Ausrichtung der Beinlängsachse.

Mittlere Schwungphase (mid-swing). Die Ferse überholt den medialen Malleolus und die funktionelle Fußlängsachse zeigt in Fortbewegungsrichtung

Innenrotation des Beckens im Hüftgelenk bei zunehmender Vorneigung der Beinlängsachse. Fersenablösung (heel off ) Zunehmende Vorneigung

Das Becken dreht sich nach vorne. Der Unterschenkel bewegt sich extensorisch im Kniegelenk weiter nach vorne.

Ablösungsphase (terminal stance)

Und bereitet sich auf die Abbremsphase (Deceleration) vor

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3.8 · Aktivität

rotatorisch und ab-/adduktorisch in den Hüftgelenken. Man kann keine Flexions- und Extensionsbewegungen in der Wirbelsäule beobachten. Die Zehenablösung (toe-off ) macht das betreffende Bein zum Spielbein. Währenddessen ist das Standbein nach hinten geneigt. In der mittleren Schwungphase (midswing) überholt zuerst das Knie das annähernd vertikal stehende Standbein. Die Vorwärtsrichtung des Spielbeins muss durch koordinierte Muskelarbeit flexorisch und außenrotatorisch im Hüftgelenk des Spielbeins gesichert werden. Weiterlaufend wird das Becken auf der Spielbeinseite mitgenommen, es bewegt sich innenrotatorisch im Standbeinhüftgelenk. Im Standbein kommt es zur Fersenablösung (heel off ) und das Standbein neigt sich zunehmend nach vorne. Mit der Ablösungsphase der Zehen (terminal stance) endet die Standbeinphase. Das Spielbein hat den Überholvorgang so gestaltet, dass die Ferse den medialen Malleolus überholt und sich die funktionelle Fußlängsachse in Fortbewegungsrichtung einstellt. Während der Flexions- und Extensionsbewegungen in den Kniegelenken kommt es automatisch wegen der Form der Femurkondylen zu Rotationsbewegungen im Kniegelenk. Bei der Flexion geschieht eine Innenrotation und bei der Extension eine Außenrotation. Bewegt sich der Unterschenkel in Spielfunktion extensorisch im Kniegelenk, wie es beim Überholvorgang geschieht, dreht sich der Tibiakopf unter den Femurkondylen nach lateral, so dass im Kniegelenk eine Außenrotation stattfindet. Bei der flexorischen Bewegung dreht der Tibiakopf unter den Femurkondylen nach medial, entsprechend findet im Kniegelenk eine Innenrotation statt. Befindet sich das Bein in Stützfunktion, findet die Extension vom proximalen Gelenkpartner aus statt, weil der Unterschenkel durch den Stütz fixiert ist. Dabei drehen sich die Femurkondylen auf dem Tibiaplateau nach medial, im Kniegelenk findet eine Außenrotation statt. Beim Gehen ist das in der Standbeinphase der Fall, wenn der Oberschenkel den Unterschenkel überholt und sich die Beinlängsachse nach vorne neigt. Abweichungen

5 In der mittleren Spielbeinphase wird die Spielbeinbeckenseite angehoben und es kommt zu einer Zirkumduktion des Spielbeins.

Interpretation

5 Die flexorischen Bewegungstoleranzen des Spielbeins reichen nicht aus oder werden nicht genutzt, um das Bein optimal funktionell zu verkürzen: 5 Das seitlich und dann vorne angehängte Beingewicht veranlasst den Körper, ein Gegengewicht zu bilden. Häufig wird dazu außer den Körperabschnitten Becken, Brustkorb und Kopf auch noch der Arm der Gegenseite genutzt. Abweichungen

5 Am Ende der Standbeinphase entstehen eine Extension des Beckens in der Lendenwirbelsäule und/oder eine Vorneigung der Körperlängsachse. 5 Die Fersenablösung geschieht zu früh. Im Knie- und Hüftgelenk bleibt die Flexionsstellung erhalten. 5 Die Schrittlänge des überholenden Beins ist verkürzt. 5 Die Fersenablösung geschieht zu spät, und das Becken dreht auf der Standbeinseite nach hinten. 5 Der Fuß dreht auf dem Boden nach außen (dies kann auch bei fehlender Innenrotation beobachtet werden). Interpretation 5 Die Extension im Standbeinhüftgelenk reicht nicht aus.

Wenn die Extension im Hüftgelenk fehlt bzw. die Nullstellung nicht erreicht wird, kann dies der Körper auf unterschiedlichste Arten kompensieren.

Muskuläre Koordination des Standbeins beim Gehen Nach Inman et al. (1981) finden die höchsten Muskelaktivitäten zu Beginn und am Ende der Standbeinphase statt. In der Mitte der Standbeinphase sind zwar große Bewegungsausschläge zu beobachten, die muskulären Aktivitäten sind jedoch eher gering. Dies lässt den Schluss zu, dass diese Bewegungen durch die bestehende Vorlastigkeit der Körperabschnitte Brustkorb und Kopf und die Trägheit ihrer Masse unterhalten werden. Wenn die Koordination von Fuß-, Knie- und Hüftgelenksicherung versagt, muss sich die Körperlängsachse nach vorne neigen, um das Gleichgewicht zu erhalten. Beim normalen Gehen drückt sich der Fuß nicht vom Boden ab, sondern er rollt über die funktionelle Fußlängsachse ab. Nur wenn die Ferse in normaler Spurbreite auf dem Boden aufkommt, die Richtung nach vorne strikt eingehalten wird und die Fallverhinderung gut funktioniert,

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Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

. Abb. .. Spurbreite beim Gehen

geschieht das Abrollen reaktiv. Beim Laufen und für den Absprung vom Boden ist der Abdruck jedoch notwendig. Wichtig Für alle Hinkmechanismen gilt: Wenn ein Hinkmechanismus über längere Zeit bestanden hat, verliert der Patient die muskuläre Kondition und Koordination, die beim normalen Gehen permanent trainiert wird. Sind keine irreversiblen Schäden vorhanden, kann der Hinkmechanismus überwunden werden.

Einstellung der Beuge-Streck-Achsen des Standbeins und Abrollweg Um beim Gehen den größten Weggewinn zu erzielen, müssen sich die Beuge-Streck-Achsen von Hüft-, Knieund Großzehengrundgelenken parallel und rechtwinklig zur Fortbewegungsrichtung einstellen lassen. Abweichungen

Abweichungen führen typischerweise zur Überlastung der passiven Strukturen des Kniegelenks: 5 + Divergenz der funktionellen Fußlängsachse, 5 + Konvergenz der funktionellen Fußlängsachse, 5 + Medial-/Lateralrotation der Femurkondylen. Interpretation 5 Bei + Divergenz der funktionellen Fußlängsachse:

Das Abrollen geschieht über die Inversions- und Eversionsachse des Fußes. Dadurch ist der Abrollweg verkürzt und die Längswölbung wird allmählich zerstört. 5 Bei + Konvergenz der funktionellen Fußlängsachse:

Der Fuß rollt über die Kleinzehenkante ab, und der Abrollweg ist verkürzt. 5 Bei + Medial-/Lateralrotation der Femurkondylen:

Wenn die Beuge-Streck-Achse des Kniegelenks nicht rechtwinklig zur Fortbewegungsrichtung steht, überlastet dies die passiven Strukturen des Kniegelenks.

Spurbreite Will man die normale Gangspur darstellen, projiziert man die Fortbewegungsrichtung als gerade Linie auf den Boden. Dann legt man im Abstand normaler Schrittlänge die Fußabdrücke mit den funktionellen Fußlängsachsen parallel dazu so auf den Boden, dass jeweils der mediale Teil der Ferse die Symmetrieebene tangiert (. Abb. 3.7).

Norm Definition Die Spurbreite beim Gehen ist durch den Abstand der funktionellen Fußlängsachsen definiert. Sie ist eine Konstante und so groß, dass das überholende Spielbein sich ohne Behinderung am Standbein vorbei bewegen kann.

Die Spurbreite beim Gehen ist schmaler als die Spurbreite beim Stehen, da sich in der Fortbewegung das Becken in den Hüftgelenken und in der Wirbelsäule dreht und damit der auf den Boden projizierte Hüftgelenkabstand ebenfalls verkleinert wird. Man beobachtet den Patienten von hinten und achtet darauf, dass der mediale Teil der Spielbeinferse beim Überholen den Standbeininnenknöchel gerade nicht berührt. Wichtig Der Patient muss selber darauf achten, dass der Fuß, der das Standbein überholt, mit dem inneren Teil der Ferse den Knöchel des Standfußes beinahe berührt! Das kann der Patient leicht wahrnehmen, und er verbessert damit sein Gangbild spontan. Außerdem bewirkt man mit dieser Korrektur, dass die Ferse des Spielbeins automatisch mit ihrer lateralen Seite am Boden ankommt. Damit ist eine wichtige Voraussetzung für ein normales Abrollen des Fußes am Boden über die funktionelle Fußlängsachse erfüllt.

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3.8 · Aktivität

Abweichungen

5 + Spurbreite. 5 Nullspur. 5 Minusspur (Kreuzgang).

lateral vom medialen Fußrand, und der Vastus medialis des M. quadriceps wird zwangsläufig fallverhindernd aktiviert. Aus diesem Grund kann der Kreuzgang den therapeutischen Zweck erfüllen, eine günstige Belastung des Kniegelenks zu erzielen.

Interpretation Bei + Spurbreite: 5 Beim Breitspurgang geht ein Teil des Weges zuguns-

ten von Rechts-links-Bewegungen verloren, was die Schrittlänge verkürzt. Die Längsachse des Standbeins ist, entsprechend der Spurverbreiterung, nach innen geneigt, und die Schritte sind nicht mehr reaktiv. Zur Erhaltung des Gleichgewichts geschieht entweder eine Translation oder Lateralflexion des Brustkorbs nach rechts und links, oder die Körperlängsachse neigt sich abduktorisch im Standbeinhüftgelenk zur Seite (Duchenne). Das Gangtempo verlangsamt sich, und es entsteht der Eindruck, als schwanke der Patient wie ein »Seemann auf einem Schiff«. Viele Patienten streben einen Breitspurgang an, weil dieser ihnen (scheinbar) ein Gefühl von Sicherheit gibt. Diese Sicherheit ist trügerisch, und der Patient trainiert einen chronischen Hinkmechanismus. In der Folge verliert er die muskuläre Kondition, die er für normales Gehen benötigt. Zusätzlich kommt es zu unterschiedlich ausgeprägten, konstitutionsabhängigen Überbelastungen der Fuß-, Knie-, Hüft- und Lendenwirbelgelenke. 5 Nur im Fall bestehender Schäden, die normales Gehen unmöglich machen z.B. bei Paresen der Beinmuskulatur, wenn die notwendigen fallverhindernden muskulären Aktivitäten nicht mehr vorhanden sind, muss das Breitspurgehen toleriert werden.

Zusammenfassung Bei den Abweichungen von der normalen Gangspur nimmt der Weggewinn ab. Das Verhältnis von Primärbewegung und Reaktion wird vertauscht. Wenn man das Gangbild eines Patienten normalisieren möchte, muss man von Anfang an darauf achten, dass er die normale Gangspur einübt.

Schrittlänge (. Abb. 3.8) Damit die Schrittlänge des normalen Gangs beobachtet werden kann, muss das Gangtempo von 120 Schritten pro Minute eingehalten werden. Die Rechts- und Linksschritte sind gleich lang (Inman et al. 1981). Jeder dieser Schritte bewirkt einen gleich großen Vorwärtstransport des Körpers zum Ziel und bedeutet damit Weggewinn. . Abb. .. Schrittlänge

Bei Nullspur: 5 Beim Nullspurgang geht man auf einer Linie. Beim

Versuch, mit nach vorne gerichteter funktioneller Fußlängsachse vorwärts zu gehen, stehen die Füße einander im Weg, und das Spielbein muss zum Überholen einen Umweg machen. Damit ist das Gehen nicht mehr reaktiv, die Schritte werden kürzer, das Gangtempo wird verlangsamt, und die Gleichgewichtslage ist sehr labil. Bei Minusspur (Kreuzgang):

5 Beim Gehen überkreuzen sich die Füße. Diese Abweichung ist selten. Wenn sie sporadisch vorkommt, ist sie oft die Ursache für Stolpern. Auch beim sog. »Kreuzgang« ist das Gehen aktiv, die Schrittlänge verkürzt sich, und das Tempo nimmt ab. In der Standbeinphase steht das Kniegelenk immer

Norm Definition Die Schrittlänge ist der beobachtbare Abstand zwischen Zehen (des hinteren Fußes) und Ferse (des vorderen Fußes) in der Doppelbelastungsphase plus einer Fußlänge.

Die Schrittlänge ist abhängig von 5 dem Abstand der Hüftgelenke, 5 den rotatorischen und extensorischen Bewegungstoleranzen der Hüftgelenke,

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Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

5 den rotatorischen Bewegungstoleranzen in der unteren Brustwirbelsäule, 5 der Fuß- und Beinlänge. Wenn die individuelle Schrittlänge ausgenutzt wird, ist der Weggewinn am größten. Unterschiedlich große Rechtslinks-Schritte sind Merkmale eines Hinkmechanismus. Dafür gibt es sehr viele mögliche Ursachen, wie z.B. Paresen, Bewegungseinschränkungen der Gelenke, neurologisch bedingte Dysfunktionen, angeborene oder erworbene Längenunterschiede der Beine, Schmerzen usw. In der Regel scheint der Schritt des »gesunden« Beins verkürzt, da das »kranke« Bein die Probleme in der Standbeinphase zeigt. Das Abrollen über die funktionelle Fußlängsachse gelingt nicht. Dadurch wird das gesunde Bein am Überholen gehindert. Eine symmetrische Schrittverkürzung ist oft die beste Art, einen Hinkmechanismus zu vermeiden. Abweichungen

5 Nachstellschritt. 5 Der gesunde Fuß setzt hinter dem kranken auf. 5 Der gesunde Fuß setzt nur wenig vor dem kranken auf.

bleibt erhalten, weil in den lordotischen Wirbelsäulenabschnitten keine überwiegend fallverhindernde Muskelarbeit stattfinden muss. Die Brustwirbelsäule ist extensorisch stabilisiert und bietet dem Schultergürtel eine stabile Unterlage. Jede Abweichung der vertikalen Stellung der Wirbelsäule bringt Gleichgewichtsreaktionen mit sich, die entweder ungünstig beschleunigend oder bremsend auf das Tempo des Bewegungsablaufs wirken. Norm

Die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf bleiben beim Gehen in die vertikal stehende Körperlängsachse eingeordnet. Abweichung

5 Vorneigung der Körperlängsachse. 5 Rückneigung der Körperlängsachse. 5 Der Brustkorb translatiert oder neigt sich lateralflexorisch gegen das Becken zur Standbeinseite (Duchenne). 5 Das Becken steht in Bezug zu den Beinen nicht in Nullstellung.

Interpretation Beim Nachstellschritt:

Interpretation

5 Der »gesunde« Fuß setzt genau neben dem »kranken« auf und ist damit nicht am Weggewinn beteiligt (Weggewinn mit dem »gesunden« Bein = Null). Wenn der »gesunde« Fuß hinter dem »kranken« aufsetzt: 5 Der nächste Schritt mit dem »kranken« Fuß hat schlechtere Startbedingungen. Der beobachtbare Abstand zwischen den Füßen ist kleiner als bei den Nachstellschritten (Wegverlust mit dem »gesunden« Bein). Wenn der »gesunde« Fuß nur wenig vor dem »kranken« auf-

Bei Vorneigung der Körperlängsachse:

setzt:

5 Dabei müssen die Beine aktive Schritte machen, während sie normalerweise auf die vorlastigen Gewichte des Brustkorbs und des Kopfes reagieren. Wenn der Mensch ein Bein anhebt, sind Primärbewegung und Reaktion vertauscht. Das angehängte Bein ist gleichbedeutend mit dem Anhängen eines vorderen Gewichts an das Spielbeinhüftgelenk. Als Gleichgewichtsreaktion kommt es zu einer Gewichtsverlagerung nach hinten. Dies ist ein Hinkmechanismus.

5 Der beobachtbare Abstand zwischen den Füßen ist kleiner (geringerer Weggewinn mit dem »gesunden« Bein).

Erhaltung der vertikal stehenden Körperlängsachse »Warum soll ich nicht beim Gehen«, sprach er, »in die Ferne sehen, schön ist es auch anderswo, und hier bin ich sowieso«, sagt Wilhelm Busch sehr treffend. Das »In-die-Ferne-Sehen« gehört zum aufrechten Gang. Hinzu kommt ein ökonomischer Aspekt: Die Bewegungsbereitschaft der Körperabschnitte Kopf und Becken

5 Wenn die Körperlängsachse nach vorne geneigt ist, kann es entweder zu Ausfallschritten durch das Zuviel an vorderen Gewichten kommen, oder der Körper reagiert, indem er das Becken als Gegengewicht einsetzt. Damit wirkt aber jeder Schritt so, als ginge der Mensch bergauf. Diese Art der Gleichgewichtsreaktion hat jedoch eher das Ziel, die Unterstützungsfläche nicht zu verändern. Bei Rückneigung der Körperlängsachse:

Der Brustkorb translatiert, lateralflektiert oder die Körperlängsachse neigt sich zur Standbeinseite:

5 Dieser Ausweichmechanismus wird auch als »Duchenne-Hinken« bezeichnet und ist eine häufige

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3.8 · Aktivität

Reaktion auf eine vergrößerte Spurbreite, z.B. durch Bewegungseinschränkungen in den Hüftgelenken oder eine Schwäche der Abduktoren des Standbeinhüftgelenks. Das »Duchenne-Hinken« kann auch dem Schutz des Knorpels des Hüftgelenks dienen: Um die Strukturen zu schützen, werden Hüftkopf und Pfanne in eine andere Position zueinander gebracht (Entlastungshinken). 5 In beiden Fällen (Reaktion auf + Spurbreite und Schutz des Knorpels) versucht der Körper, seinen Schwerpunkt über die Unterstützungsfläche zu transportieren mit dem Erfolg, dass die Rechts-linksBewegungen das Vorwärtskommen verlangsamen und der Bewegungsablauf unökonomisch wird. Das Becken steht in Bezug zu den Beinen nicht in Nullstellung:

5 Diese Abweichung ist auf fehlende extensorische Beweglichkeit des Beckens in den Hüftgelenken zurückzuführen. Oft kann nicht einmal die Nullstellung eingenommen werden. Wenn durch die Beugekontraktur in den Hüftgelenken die Muskulatur der Lendenwirbelsäule ständig fallverhindernd arbeiten muss, fehlt dem Körperabschnitt Becken die potentielle Beweglichkeit. Bei jedem Schritt wird nun das Becken extensorisch in der Lendenwirbelsäule mitbewegt.

Armbewegungen als Reaktion auf die Gehbewegungen von Becken und Beinen Im aufrechten Stand hängen die Arme am Schultergürtel. Daher reagieren sie bei standortkonstanten Bewegungsabläufen wie hängende Pendel, indem sie in 2 Richtungen hin und her schwingen. Beim Gehen wird der Standort verändert, und dabei wird aus dem hängenden Pendel ein stehendes Pendel, ähnlich einem Metronom. Ein Zurückpendeln des Arms würde Gewichte aus der Bewegungsrichtung bringen und wäre damit unökonomisch. Die Arme sind das Gewicht des Körpers, das am besten reagieren kann. Durch die Gehbewegungen des Beckens und der Beine entsteht ein Ungleichgewicht zwischen rechts und links und zwischen vorne und hinten. Das zwingt die Arme, die entsprechenden Gleichgewichtsreaktionen auszuführen, die bei normaler Spurbreite, optimaler Schrittlänge und idealem Gangtempo von ca. 120 Schritten pro Minute am deutlichsten in Erscheinung treten. Wenn beim Gehen die Hände auf dem Brustkorb überkreuzt werden, kann man eine reaktive Gegendrehung zur Beckenbewegung beobachten.

Gangtypische Bewegungen bringen das Gewicht der Arme und des Schultergürtels nach vorne in die Bewegungsrichtung. Voraussetzung dafür ist, dass die Gehbewegungen der Beine automatisch ablaufen, der Schultergürtel auf dem Brustkorb abgelegt werden kann, die Arme reaktionsbereit neben dem Körper hängen und sich der Schultergürtel auf dem Brustkorb bewegen kann. Reihenfolge des Bewegungsablaufs

Die Bewegungen des Standbeins und des Gegenarms (=Standarm) geschehen zeitgleich. Am Standarm beginnt die Bewegung proximal. Der Brustkorb wird in die Gelenke des Schultergürtels dorsalduktorisch (=Schulterblattadduktion) hineintransportiert. Weiterlaufend bewegt sich der Schultergürtel extensorisch im Humeroskapulargelenk. Am Spielarm beginnt die Bewegung distal. Während der Arm nach vorne schwingt, bewegt er sich flexorisch/ außenrotatorisch im Humeroskapulargelenk und nimmt den Schultergürtel weiterlaufend ventralduktorisch (Schulterblattabduktion) mit. Die Hand steht dann räumlich in gleicher Höhe wie der Fuß (. Abb. 3.9). Wichtig Bei optimalen gangtypischen reaktiven Bewegungen der Arme dreht sich der Schultergürtel gegenläufig zum Becken.

. Abb. .. Armbewegungen beim Gehen

3

72

Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

Struktur und Funktion

1

3.8.5 Funktionelle Fehlatmung

3.9

2

Die funktionelle Fehlatmung ist eine häufige Folge statischer Insuffizienz. Zwar heben sich die Rippen beim Einatmen, weiterlaufend wird jedoch die Brustwirbelsäule in Extension mitbewegt, und dadurch kommt es nur in geringem Maße zu einer Vergrößerung des Volumens. Bei der Ausatmung senken sich die Rippen, und die Brustwirbelsäule verformt sich weiterlaufend flexorisch. Bei einer funktionellen Fehlatmung muss der Körper auch schon bei wenig Belastung die Atemfrequenz erhöhen, weil sich das Volumen nicht vergrößert. Wenn die dynamische Stabilisierung der Brustwirbelsäule in ihrer Nullstellung verloren gegangen ist, hat sie auch ihre Trägerfunktion für den Brustkorb verloren. Die Folge ist eine Störung der normalen kostalen Atembewegungen. Das Gewicht des Brustkorbs hängt vermehrt an den Mm. scaleni, und der Kopf steht in Bezug zum Brustkorb zu weit vorn. Daraus ergeben sich weitere Tonusveränderungen der Muskulatur. Die Schulter-Nacken-Muskulatur ist reaktiv auf das vorn stehende Kopfgewicht hyperton. Durch die Überlastung der Skaleni kann es sekundär zu einem OutletSyndrom in der Skalenuspassage kommen. Wenn die Mm. scaleni bereits in Ruheatmung hyperaktiv sind, weil der Brustkorb en bloc von ihnen gehalten werden muss, reduzieren sich die kostalen Atembewegungen. Die Exkursion des Zwerchfells ist verändert, weil die inspiratorische Erweiterung der unteren Thoraxapertur unterbleibt. Man beobachtet bei der Einatmung ein übermäßiges Vorwölben des Unterbauchs. Wenn die Schultergürtelmuskulatur benutzt wird, um eine vermeintlich bessere Haltung herzustellen (militärische »Hab-Acht«-Stellung), behindert diese die kostovertebralen Atembewegungen und schränkt gleichzeitig den Aktionsradius der Arme ein.

Die Körperstrukturen sind die anatomischen Teile des Körpers wie z.B. Organe oder Gliedmaßen. Die Körperfunktionen sind die physiologischen Funktionen von Körpersystemen wie Gedächtnis oder Muskelausdauer. Die für die Untersuchung notwendigen Beobachtungskriterien orientieren sich an einer hypothetischen Norm. Wenn Abweichungen wahrgenommen werden sollen, setzt das voraus, dass man ein Leitbild in sich trägt, auf das man die Abweichungen beziehen kann. Dieses Leitbild, nämlich die hypothetische Norm, ist abhängig von allgemeinen Standards und von der klinischen Erfahrung der Therapeuten.

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Wichtig Eine einmal angewöhnte Fehlatmung funktioniert ebenso automatisch wie die normale Ruheatmung. Die Folgen einer funktionellen Fehlatmung sind häufig weit reichender, als bisher angenommen wurde. Beim Atmen sind ersatzweise Muskeln beteiligt, deren eigentliche Aufgabe einerseits darin besteht, die Bewegungen der Arme und Hände differenziert und ökonomisch zu gestalten und andererseits Kopf und Becken in potentieller Bewegungsbereitschaft zu halten.

Abweichungen von der hypothetischen Norm

Abweichungen sind nicht in jedem Fall pathologisch, da der Körper über vielfältige Kompensationsmechanismen verfügt. Abweichungen sind pathologisch, wenn 5 das Bewegungsverhalten beeinträchtigt wird, 5 die sensomotorische Entwicklung gestört wird, 5 strukturelle Veränderungen entstehen, 5 das Zustandekommen von Schmerzen erklärbar wird, 5 innere Organe geschädigt werden oder 5 psychosoziale Konsequenzen daraus folgen.

3.9.1 Konstitution Definition Unter Konstitution wird der Einfluss beurteilt, den Längen, Breiten, Tiefen und Gewichtsverteilung auf das Bewegungsverhalten des Patienten ausüben.

Auf eine Unterscheidung der Geschlechter kann wegen der hypothetischen Normproportionen verzichtet werden (Klein-Vogelbach 1990; Kollmann 1901). Diese Proportionen gelten generell für erwachsene Mitteleuropäer. Der Therapeut soll möglichst ohne weitere Hilfsmittel, d.h. allein durch Beobachten und Palpieren, die Abweichungen erkennen und notieren.

Wichtig Abweichungen von der hypothetischen Norm der Konstitution verändern das Bewegungsverhalten des Menschen in voraussagbarer Weise. Die individuelle Variabilität der Körperproportionen kann die Muskelaktivität prägen und verändern.

73

3.9 · Struktur und Funktion

. Abb. .. Konstitution: Längen

schen oft zu einem bestimmten Bewegungsverhalten zwingt, das nicht immer schonenden Bückvarianten entspricht. Die Körpergröße verlangt oft Anpassungen von Sitzgelegenheiten, Arbeitsflächen usw., da sonst der Körper selbst Anpassungen in Form schlechter Sitzhaltung vornimmt. Norm

5 Der Körper wird durch den Trochanterpunkt (TP) in Unterlänge (UL) und Oberlänge (OL) unterteilt. Der Trochanterpunkt ist der lateralste palpierbare Punkt am Trochantermassiv und entspricht etwa der Höhe der Symphyse. Das Verhältnis zueinander beträgt 1:1. 5 Die Oberlänge entspricht der Gesamtlänge der Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf und ist in Fünftel unterteilt. 5 Die Unterlänge entspricht der Länge des Körperabschnitts Beine und wird in Ober- und Unterschenkellänge unterteilt.

Das Ausmaß der Abweichungen wird folgendermaßen angegeben: 5 +/ –etwas abweichend, 5 ++/ – –deutlich abweichend, 5 +++/ – – –übermäßig abweichend.

Längen Die Beurteilung der Längen (. Abb. 3.10) gibt dem Therapeuten Informationen darüber, wie groß die Hebelarme sind, die der Patient nutzen kann. Man beurteilt das Verhältnis der 5 Ober- und Unterlänge (1 : 1) 5 Ober- und Unterschenkellänge (1 : 1) 5 Länge der Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf, (1/5 : 2/5 : 2/5) 5 Armlänge und Oberlänge. Abweichungen in den Längenverhältnissen wirken sich erst aus, wenn die Körperabschnitte nicht mehr im Lot sind. So kann es zu Überlastungen in den angrenzenden Körperabschnitten kommen, wenn z.B. lange, schwere Arme weit entfernt vom Körper arbeiten müssen (z.B. Verkäuferinnen am Scanner, Arbeiten mit der ComputerMaus usw.). Beim Bücken spielen die Längenabweichungen eine wesentliche Rolle, da die Gewichtsverteilung den Men-

Der Therapeut muss beurteilen, ob sich aus der unterschiedlichen Verteilung innerhalb der Ober- oder Unterlänge eine + oder eine – Länge ergibt. Wichtig Klinische Relevanz der Abweichungen Bei – Oberlänge: 5 Eine – Oberlänge bietet durch die Neigung mehr Angriffsfläche. Bei + Oberlänge: 5 Eine + Oberlänge ist für die Wirbelsäule funktionell ungünstiger. Bei Vorneigung der Körperlängsachse in den Hüftgelenken muss ein langer Lastarm stabilisiert werden. Wenn er zu schwer ist, gibt die Wirbelsäule ihre Stabilisation auf und verkürzt den Lastarm durch die Flexion der Lendenwirbelsäule. Die Belastung des lumbosakralen Übergangs nimmt zu, z.B. in Form von Überlastung der Muskulatur oder der passiven Strukturen. 6

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Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

5 Eine + Oberlänge kann bei einer Person mit überwiegend sitzender Tätigkeit zu einer vermehrten Aktivierung des M. rectus abdominis in einer angenäherten Stellung und weiterlaufend zu einer Verlängerung der Flexoren der Halswirbelsäule führen. Damit wird das Einnehmen der neutralen Stellung der Wirbelsäule erschwert (Adaption der Muskulatur). Bei + Oberschenkel-Länge: 5 Ein langer Oberschenkel ist für die Belastung des Kniegelenks beim Bücken ungünstig. Der lange Gelenkpartner erfordert vermehrte Aktivität des M. quadrizeps und bedeutet daher eine vermehrte Belastung (7 Kap.3.8.3; Bückverhalten). Bei + Körperabschnitt Becken: 5 Bei einem übermäßig langen Becken steht der lumbosakrale Übergang weiter kranial. Eine schlechte Sitzhaltung bringt den lumbosakralen Übergang weiter nach hinten und belastet diesen Bereich vermehrt. Bei + Körperabschnitt Brustkorb: 5 Bei einem + Körperabschnitt Brustkorb wirken sich die kranialen Gewichte der Körperabschnitte Kopf und Arme beim Vorneigen besonders belastend für die Lendenwirbelsäule aus. Bei + Körperabschnitt Kopf: 5 Durch einen + Körperabschnitt Kopf wird beim Vorneigen der Schulter-Nacken-Bereich besonders belastet. Bei – Armlänge: 5 Bei einer – Armlänge gelingt es dem Patienten nicht, sich im aufrechten Sitz mit den Handflächen neben dem Körper zu stützen, um die Wirbelsäule zu entlasten. Bei + Armlänge: 5 Bei einer + Armlänge kann es beim Arbeiten mit den Händen weit weg vom Körper zu einer vermehrten Belastung des Schulter-Nacken-Bereichs kommen.

Breiten (. Abb. 3.11) Man beurteilt 5 den Abstand der Trochanterpunkte, 5 den frontotransversalen Brustkorbdurchmesser, 5 den Hüft- und Schultergelenkabstand.

. Abb. .. Konstitution: Breiten

Norm

5 Der Abstand rechter/linker Trochanterpunkt (TP) entspricht annähernd dem frontotransversalen Brustkorbdurchmesser. 5 Der frontotransversale Brustkorbdurchmesser ist kleiner als der Schultergelenkabstand und ermöglicht dadurch dem Schultergürtel, auf dem Brustkorb zu liegen, und den Armen, frei neben dem Körper zu hängen. Klinische Relevanz der Abweichungen Bei + TP-Abstand: (. Abb. .)

5 Das Stützen mit den Armen neben dem Körper wird problematisch. 5 Die Arme können nicht frei neben dem Körper hängen, und es entsteht ein funktionelles Abduktionssyndrom (Klein-Vogelbach 1990). Dadurch haben folgende Muskeln eine permanente Hyperaktivität, reaktiv auf das Armgewicht: M. levator scapulae, M. trapezius, pars descendens, M. deltoideus, Mm. rhomboidei, M. supraspinatus. Eine dauerhafte Fallverhinderung der Schulterabduktoren kann bei Bewegungen des Armes zu einer Dominanz dieser Muskeln führen. Deren Hyperaktivität verursacht meistens eine Kranialisierung des Humeruskopfes verbunden mit einer subakromialen Einengung. Repetitive Bewegungen und Summation von Mikro-

3.9 · Struktur und Funktion

. Abb. .. Funktionelles Abduktionssyndrom bei + Trochanterpunkt-Abstand

75

5 Bei schnellen und differenzierten Bewegungen der Hände ist die dynamische Stabilisierung des Schultergürtels auf dem Brustkorb sehr schwierig. 5 Es kann zu neurovaskulären Kompressionssyndromen (z.B. Thoracic outlet syndrome) kommen (s. auch unten). Je nach Ausmaß der Kompression kommt es zu sensiblen und motorischen Ausfällen durch Kompression des Plexus brachialis in der sog. hinteren Skalenuslücke, die sich zunächst im ulnaren Bereich bemerkbar machen. Dazu kommen Zirkulationsstörungen mit Pulsabschwächungen bei bestimmten Bewegungen sowie Zyanose oder Blasswerden der Finger. Die Beschwerden verstärken sich besonders beim Tragen von Lasten (Rucksack oder Kleinkind auf den Schultern). Bei – – Schultergelenkabstand: (. Abb. .).

5 Ein Abstand der Schultergelenke verhindert das freie Hängen der Arme, und es entsteht ein funktionelles Abduktionssyndrom. traumen resultieren in einer Degeneration der Rotatorenmanschette. Bei – TP-Abstand:

5 Ein kleiner Hüftgelenk-Abstand und ++ mediales Gewebe vermindern die potenzielle Beweglichkeit des Beckens sowie die freie Flexion des Oberschenkels im Hüftgelenk. Die Dissoziation zwischen Bein und Becken ist damit nicht mehr möglich. Wird im Bewegungsverhalten die Flexion gebraucht, sucht der Oberschenkel den Weg des geringsten Widerstandes. Dieses hat eine Überlastung des Beckengürtels und/ oder der Lendenwirbelsäule zur Folge. Bei + frontotransversalem Brustkorbdurchmesser:

5 Ein großer frontotransversaler Brustkorbdurchmesser verhindert ein freies Hängen der Arme neben dem Körper und kann zu einem funktionellen Abduktionssyndrom führen (Klein-Vogelbach 1990). Bei – frontotransversalem Brustkorbdurchmesser:

5 Ein kleiner frontotransversaler Brustkorbdurchmesser kann sog. Engpass-Syndrome zur Folge haben. Bei + Schultergelenkabstand:

5 Die Auflagefläche des Schultergürtels auf dem Brustkorb verschlechtert sich. Dies ist sichtbar an den horizontaler stehenden Schlüsselbeinlängsachsen. 5 Die Muskulatur, die Schulterblatt und Brustkorb miteinander verbindet, benötigt mehr Kraft durch die ungenügende Führung.

. Abb. .. funktionelles Abduktionssyndrom bei – Schultergelenkabstand

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Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

Wichtig Prädisponierende Faktoren für neurologische Kompressionssyndrome sind z.B.: 5 eine hängende Schulter (Todd 1911 in Machleder 1994; Swift u. Nichols 1984; Nichols 1986; Pratt 1986; Kreig 1993), z.B. durch Atrophie bzw. Haltungsschwäche oder Körperbau (Cailliet 1982); 5 eine chronisch elevierte erste Rippe. Sie kann krankheitsbedingt bei Emphysempatienten oder Asthmatikern auftreten (Pratt 1986). Auch eine hochthorakale Lordose bzw. eine flache obere Brustwirbelsäule kann zu einer Elevation der oberen Rippen führen (Celegin 1982); 5 Hypertrophie der Mm. scaleni durch eine schlechte Haltung bzw. ein diskogenes Halswirbelsäulensyndrom (Nichols 1986).

8 9 10

Tiefen (. Abb. 3.14) . Abb. .. Konstitution: Tiefen

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Klinische Relevanz der Abweichungen

13

Bei – Ferse:

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Ein langer Fuß ermöglicht beim Gehen viel Weggewinn und im aufrechten Stand eine große Unterstützungsfläche. Innerhalb der Fußlänge können die im Folgenden genannten Proportionen unterschieden werden. 5 Medial: – Abstand Tuber calcanei/Malleolus medialis zum – Abstand Malleolus medialis zum Großzehengrundgelenk. Das Verhältnis beträgt 1:1,5. 5 Lateral: – Abstand Tuber calcanei/Malleolus lateralis zum – Abstand Malleolus lateralis zum Kleinzehengrundgelenk. Das Verhältnis beträgt 1:2. Das unterschiedliche Verhältnis erklärt sich aus der Tibiatorsion, durch die der Malleolus lateralis weiter dorsal steht.

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18

. Abb. .. Abstand des Tuber calcanei zum Malleolus medialis und zum Malleolus lateralis

Man beurteilt 5 die Fußlänge, 5 den sagittotransversalen Brustkorbdurchmesser und 5 den sagittotransversalen Kopfdurchmesser. Norm (. Abb. 3.15)

Die Fußlänge sollte in der hypothetischen Norm so groß sein wie der sagittotransversale Brustkorbdurchmesser.

5 Wird das Verhältnis größer, weil die Ferse sehr klein ist, ergibt sich ein statisches Problem. Die kleine Ferse bringt Gewicht nach hinten und den Schwerpunkt nahe an den hinteren Rand der Unterstützungsfläche. Dies bedeutet eine ständige Gefährdung der Balance. Um die Standfestigkeit wieder herzustellen, d.h., den Schwerpunkt möglichst in der Mitte der Unterstützungsfläche zu halten, reagiert der Körper mit Gegengewichten nach vorne. Die Statik kann leicht durch eine Absatzerhöhung korrigiert werden (. Abb. 3.16). Um beim normalen Gang einen reaktiven Schritt auszulösen, bedarf es einer ausgiebigen Gewichtsverlagerung nach vorne. Ein bestehender Hohlfuß, Senk- oder Plattfuß verändert das Verhältnis ebenfalls. Um unterscheiden zu können, ob statische oder konstitutionelle Probleme bestehen, muss die Untersuchung auch unbelastet erfolgen.

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3.9 · Struktur und Funktion

korbs führen. Die Fallverhinderung übernehmen die globalen Muskeln, hier der M. rectus abdominis. Die Dezentrierung der Wirbelsegmente führt ihrerseits zu einer Inhibition des lokalen Systems. Wichtig Die Ausgewogenheit der Gewichte über der Halswirbelsäule und den oberen Kopfgelenken spielt für die potentielle Beweglichkeit dieses Körperabschnitts eine entscheidende Rolle.

Körpergewicht und Proportionen

. Abb. .. Gewichtsverlagerung bei kleiner Ferse und Gleichgewichtsreaktion bei Absatzerhöhung

Bei + sagittotransversalem Brustkorbdurchmesser:

5 Ein + sagittotransversaler Brustkorbdurchmesser kann durch einen thorakalen Rundrücken oder durch einen in Inspirationsstellung fixierten Brustkorb verursacht werden. Bei – sagittotransversalem Brustkorbdurchmesser:

5 Ein – sagittotransversaler Brustkorbdurchmesser könnte auf eine Trichterbrust oder auf einen thorakalen Flachrücken hinweisen. Für den Schultergürtel bedeutet dies eine schlechte, inkongruente Auflagefläche und für die Skapula ein schlechtes Gleitlager auf dem Brustkorb. Ein + Gesichtsschädel bei – Hinterkopf:

5 Diese konstitutionelle Abweichung kann man häufig im Zusammenhang mit Kopf- und Nackenschmerzen beobachten kann. Die vermehrten ventralen Gewichte verursachen eine reaktive Hyperaktivität der Nackenmuskulatur, die damit ihren eigentlichen Aufgaben (Regulation der Feineinstellung der Wirbelsäule; visuelle, olfaktorische und akustische Orientierung im Raum) nicht mehr nachkommen kann. Ein ++ sagittotransversaler Durchmesser des Bauches:

5 Diese Abweichung kann erstens zu einer Verlängerung der Bauchmuskulatur und zweitens als Gleichgewichtsreaktion zu einer Rückneigung des Brust-

Man beurteilt das Körpergewicht und die Gewichtsproportionen innerhalb des Körpers. Ein + Körpergewicht wirkt z.B. belastend auf die untere Extremität und hat Auswirkungen auf die Statik. Je nachdem, wo sich das zusätzliche Gewebe angelagert hat (meist an Bauch, Gesäß und an den Oberschenkeln) stört es das Gleichgewicht im Stand in Bezug auf vorne und hinten. Unterschiedliche Proportionen der verschiedenen Körperabschnitte führen zur Veränderung der Gewichtsverteilung innerhalb des Körpers. Wenn z.B. die Konfektionsgröße oberhalb des Nabels etwa um 2 Nummern größer ist als unterhalb des Nabels, ist dies für kaudale Körperabschnitte im Hinblick auf die Belastung ungünstig. Aus dem Verhältnis der 3 Maße Körpergröße, Gewicht und Proportionen lässt sich beurteilen, ob der Patient über- oder untergewichtig ist. Bei Untergewicht muss man manchmal auf den schlechten Allgemeinzustand oder den schlechten Trainingszustand der Muskulatur hinweisen. Zusammenfassung Die individuelle Variabilität innerhalb der Körperproportionen und deren Interaktion mit den Aktivitäten und der Partizipation kann die Muskelaktivität prägen und verändern. Die Konstitution eines Menschen hat somit Einfluss auf sein Bewegungsverhalten. Sie kann nicht verändert werden. Die Ursachen von Schmerzen lassen sich durch konstitutionelle Abweichungen nicht erklären. Erst im Zusammenhang mit einer schlechten Statik und Beweglichkeitsdefiziten machen sie sich bemerkbar, d.h., sie fallen ins Gewicht. Außerdem führen Abweichungen der Konstitution zu Problemen mit der Umwelt, die auf Normgrößen, z.B. am Arbeitsplatz konfektioniert ist. 6

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Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

Deshalb ist die Beurteilung des individuellen Arbeitsplatzes in Bezug auf die Ergonomie eine physiotherapeutische Aufgabe. Die Konstitution eines Patienten erfordert eine individuelle Anpassung therapeutischer Übungen an die gegebenen Längen, Breiten und Tiefen. Der Therapeut muss erkennen, warum eine Übung für den einen Menschen einfach und für einen anderen schwierig auszuführen ist.

5 6

3.9.2 Statik

7

Definition

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Unter dem Gesichtspunkt Statik wird die Haltung des Patienten und ihr Einfluss auf das Bewegungssystem in Form von Belastung beurteilt.

Um die funktionelle Bedeutung des Begriffs »Haltung« zu verstehen, kann man sich die Frage stellen, »was von wem gehalten werden muss«. Was geschieht, wenn die passiven Strukturen, durch die die Körperteile verbunden sind und die Muskeln, die diese Körperteile am Fallen hindern, ihren Aufgaben nicht nachkommen können?

. Abb. .. Norm der Haltung von der Seite

Gewichte des Brustkorbs überwiegen. In den lordotischen Wirbelsäulenabschnitten befinden sich die jeweils darüber liegenden Gewichte annähernd im Gleichgewicht, weshalb die Muskulatur in der Lenden- und Halswirbelsäule in der aufrechten Haltung nur geringe fallverhindernde Arbeit leisten muss.

Norm (. Abb. 3.17)

Die Norm orientiert sich an der anatomischen Nullstellung der Gelenke im Stand. Körperabschnitte die genau übereinander stehen, strapazieren die verbindenden Strukturen am wenigsten. Diese Eigenschaft haben Pyramiden oder Kegel, da jeweils die untere horizontal stehende Fläche größer ist als die darüber liegende. 5 Der Körperabschnitt Beine muss im Stand einen stabilen und selektiv mobilen Unterbau für die Wirbelsäule herstellen. Dies gelingt, wenn Ober- und Unterschenkel genau übereinander stehen und das Körpergewicht über dem Os naviculare ausgerichtet ist. 5 Das Becken balanciert im Stand auf den kugeligen Gelenkköpfen der Oberschenkel. Dementsprechend definieren wir keine optimale Beckenstellung, sondern den Zustand der potentiellen Beweglichkeit. 5 Die Wirbelsäule erfüllt diese Bedingungen in ihrem dreifach gekrümmten Verlauf in ökonomischer Weise. Sie hat nur in der Brustwirbelsäule einer konstanten Falltendenz entgegenzuwirken, weil dort die Beuge-Streck-Achsen weit dorsal liegen und die ventralen

Beurteilung und Notation Bei der Beurteilung der Haltung im Stand prüfen wir unter Angabe der jeweiligen Seite von unten nach oben jedes Bewegungsniveau in Bezug auf Abweichungen, die ggf. notiert werden. Dabei ist es wichtig zu differenzieren, ob eine Abweichung durch Drehpunktverschiebung oder durch Stellungsänderung des proximalen oder distalen Gelenkpartners hervorgerufen wird (7 Kap. 1), da sich daraus unterschiedliche Muskelaktivitäten, Gleichgewichtsreaktionen und Stellungen darüber liegender Gelenke und damit andere Belastungen ergeben (. Abb. 3.18). Das Ausmaß der Abweichungen geben wir folgendermaßen an: 5 +/ – etwas abweichend, 5 ++/ – – deutlich abweichend, 5 +++/ – – – übermäßig abweichend.

Statik von der Seite Man beurteilt 5 die Längswölbung der Füße

79

3.9 · Struktur und Funktion

Unterschenkel/Fuß: oberes Sprunggelenk Norm

Die Fibulalängsachse steht vertikal. Damit ergibt sich ein 90° Winkel im oberen Sprunggelenk, der als Nullstellung definiert ist. Abweichung

5 + Plantarflexion 5 + Dorsalextension

Oberschenkel/Unterschenkel: Kniegelenk Norm

Die Beinlängsachse steht vertikal. Der Trochanterpunkt, die Mitte des Kniegelenks und das Os naviculare stehen übereinander. Abweichung . Abb. .. Flexion im Hüftgelenk vom a distalen und b proximalen Gelenkpartner

5 5 5 5

die Gelenkstellungen im oberen Sprunggelenk die Gelenkstellungen im Kniegelenk die Gelenkstellungen im Hüftgelenk die Wirbelsäule Fuß/Boden: Längswölbung des Fußes

5 + Flexion /Extension des Oberschenkels/Unterschenkels im Kniegelenk 5 + Flexion/Extension im Kniegelenk durch Drehpunktverschiebung

Becken/Oberschenkel: Hüftgelenk

Der Abstand vom Boden zum Os naviculare beträgt ca. 17mm (Frisch 1995).

Um die Nullstellung des Beckens zu beurteilen, kann sich der Therapeut nicht auf die knöchernen anatomischen Winkel beziehen, da sich diese seiner Beobachtung weitestgehend entziehen. Der Beckenneigungswinkel ist z.B. von der Form der Wirbelsäule und vom Geschlecht abhängig (bei Frauen ist der Beckenneigungswinkel normalerweise größer als bei Männern (Rauber u. Kobsch 1987)). Funktionell bedeutsam ist, ob das Becken in Hüft- und Lendenwirbelgelenken potentiell beweglich ist (. Abb. 3.20 a–f).

Abweichung

Norm

5 + Längswölbung 5 – Längswölbung

5 Symphyse und SIAS stehen in der gleichen Frontalebene.

Längswölbung der Füße Norm (. Abb. 3.19)

Abweichung

. Abb. .. Längswölbung des Fußes

5 + Flexion /Extension des Oberschenkels/Beckens im Hüftgelenk 5 + Flexion/Extension im Hüftgelenk durch Drehpunktverschiebung

Wirbelsäule Abweichungen werden in Bezug auf die physiologischen Krümmungen der Wirbelsäule beschrieben. Hit Hilfe

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Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

1

der Computeranalyse wurde die ideale Krümmungsform ermittelt (Hochschild 1998). Das Schwerpunktlot schneidet bei aufrechter Haltung das Tuberculum anterius atlantis, den 6. Halswirbel, den 9. Brustwirbel, den 3. Sakrumwirbel und die Spitze des Os coccygeum. Man notiert außerdem die Stellung der Körperabschnitte zueinander und (bei deutlicher Auffälligkeit) die Höhe der Segmente, in denen die Abweichungen sichtbar sind.

2 3 4

Norm (. Abb. 3.21)

5 6

5 Die Lenden- und Halswirbelsäule sind lordotisch, die Brustwirbelsäule ist kyphotisch eingestellt. 5 Die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf sind in die Körperlängsachse eingeordnet.

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Abweichungen

5 5 5 5 5 5

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Statik von vorne/hinten

11

Bei der Analyse der Statik von vorne und hinten werden in jedem Niveau die Abweichungen 5 in der Frontalebene (Abduktion, Adduktion, Lateralflexion) und

12 13

. Abb. .. Normale Wirbelsäulenschwingungen

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+/– LWS-Lordose, BWS-Kyphose, HWS-Lordose + Translation des Beckens/Kopfs nach vorne + Translation des Brustkorbs nach hinten + Nackenkyphose Nach kaudal verlängerte BWS-Kyphose Nach kranial verlängerte LWS-Lordose

. Abb. .. Statik der Beine von der Seite a Norm, b + Flexion des Oberschenkels im Kniegelenk und + Flexion im Hüftgelenk durch Drehpunktverschiebung. c + Dorsalextension, + Flexion im Kniegelenk durch Drehpunktverschiebung und + Flexion des Oberschenkels im Hüftgelenk. d + Extension des Oberschenkels im Kniegelenk und + Extension im Hüftgelenk durch Drehpunktverschiebung. e + Plantarflexion, + Extension im Kniegelenk durch Drehpunktverschiebung und + Extension des Oberschenkels im Hüftgelenk. f + Dorsalextension bei Vorneigung der Becken-Bein-Längsachse

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3.9 · Struktur und Funktion

5 in der Transversalebene (Rotation) erfasst. Man beurteilt die Gelenkstellungen 5 der Füße, 5 der unteren Sprunggelenke, 5 der Kniegelenke, 5 der Hüftgelenke, 5 der Wirbelsäule und 5 der Schultergürtelgelenke.

Fuß/Boden: Fuß- und Zehengelenke Man beurteilt 5 die Gewichtsverteilung rechts/links, 5 die Stellung der Füße auf dem Boden und 5 die Gelenkstellungen innerhalb des Fußes.

Transversale Abweichungen

5 + Fußvorstand/-rückstand. 5 + Konvergenz/Divergenz der funktionellen Fußlängsachse. Frontale Abweichungen

5 5 5 5 5

+ Belastung rechts/links. +/ – Spurbreite im Stand. – Querwölbung Hallux valgus/rigidus Hammerzehen, Krallenzehen

Fuß/Unterschenkel: unteres Sprunggelenk Norm (. Abb. 3.23)

Der Kalkaneus steht in Verlängerung der Achilles-Sehne. Norm (. Abb. 3.22)

5 Beide Füße sind gleichmäßig belastet. 5 Die funktionellen Fußlängsachsen zeigen nach vorne und stehen parallel. Damit divergiert die anatomische Fußlängsachse (2. Metatarsale/Mitte des Kalkaneus) um ca. 11° von der Symmetrieebene und steht 90° zur Flexions-Extensionsachse des OSG. 5 Die Spurbreite im Stand sollte dem Hüftgelenkabstand entsprechen. Im Rahmen der Norm kann sie auch dem Abstand der Spinae entsprechen. Die Beinlängsachsen stehen folglich vertikal. 5 Die Metatarsalköpfchen 1-5 sind sichtbar. Abweichungen

5 + Belastung rechts/links 5 + Konvergenz/Divergenz der funktionellen Fußlängsachse 5 Fußvorstand/Fußrückstand rechts/links 5 Hammer-/Krallenzehen 5 Hallux valgus/rigidus 5 – Querwölbung (keine sichtbaren Metatarsalköpfchen)

. Abb. .. Anatomische und funktionelle Fußlängsachse

Abweichung

5 + Eversion/Inversion des Rückfußes.

Unterschenkel/Oberschenkel: Kniegelenk, Femuropatellargelenk Norm

Ober- und Unterschenkel bilden eine gemeinsame Längsachse. Transversale Abweichungen

Rotationsfehlstellungen bei Flexions-Extensions-Nullstellung im Kniegelenk sind bereits ein pathologischer Befund. 5 + AR/IR des Unterschenkels im Kniegelenk. 5 + AR/IR des Oberschenkels im Kniegelenk. 5 + AR/IR im Kniegelenk. 5 Abweichung der Patella nach medial/lateral.

. Abb. .. Stellung des Rückfußes im unteren Sprunggelenk

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Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

Wichtig

Frontale Abweichungen

5 + Varus des Kniegelenks (O-Bein). 5 + Valgus des Kniegelenks (X-Bein).

Oberschenkel/Becken: Hüftgelenk Norm

Die um ca. 12° medialrotierten Femurkondylen sind der sichtbare Ausdruck der Antetorsion des Schenkelhalses. (. Abb. 3.24 a-c) Transversale Abweichungen

6

5 + Medialrotation/Lateralrotation der Femurkondylen. 5 + IR/AR des Beckens im Hüftgelenk.

7

Frontale Abweichungen

8 9

5 + Abduktion/Adduktion des Oberschenkels im Hüftgelenk. 5 + Abduktion/Adduktion im Hüftgelenk. 5 + Beckenhochstand.

10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

. Abb. .. Antetorsion des Femurs a Norm, b, c Antetorsion (aus: Krämer, 2004)

Beckenhochstand Zwei häufige Reaktionen auf einen Beckenhochstand: 5 Das Brustkorbgewicht wird durch eine Lateralflexion wieder zurückgebracht. Damit kann das Gewicht über der Unterstützungsfläche zentriert bleiben. Der frontotransversale Brustkorbdurchmesser steht meist nicht mehr horizontal. 5 Das Brustkorbgewicht rutscht translatorisch ab, und es entstehen Schubbelastungen. Dabei verändert sich der Druck innerhalb der Unterstützungsfläche. Er nimmt in Richtung des abrutschenden Brustkorbgewichts zu.

Wenn der Therapeut bei der Untersuchung im Stand von vorne und hinten unterschiedliche Höhen des Beckens palpiert, handelt es sich um eine Beckenverwringung, die dann als solche notiert werden muss. Dabei stehen die jeweils diagonal gegenüberliegenden SIAS (Spina iliaca anterior superior rechts) und die S.I.P.S. (Spina iliaca posterior superior links) tiefer als die der anderen Diagonale. Wenn ein Beckenhochstand im Sitzen bestehen bleibt, liegt dies an einer Asymmetrie des Beckens oder einer Beckenskoliose. Es ist dann empfehlenswert, bei längerem Sitzen einen Ausgleich zu schaffen, indem die niedrige Beckenseite unterlagert wird. Eine anatomische Beinlängendifferenz kann einen Beckenhochstand zur Folge haben. Mögliche Ursachen sind u.a.: 5 einseitige Längenunterschiede der Ober- oder Unterschenkel (durch Frakturen der Diaphysen, Operationen oder anlagebedingt), 5 ein einseitiger varischer Unterschenkel, 5 ein einseitig rekurvierter Unterschenkel, 5 einseitiger + Varus/Valgus eines Schenkelhalses, 5 eine Asymmetrie des Beckens. Eine funktionelle Beinlängendifferenz sollte, wenn überhaupt, nur vorübergehend durch eine Schuherhöhung korrigiert werden. Sie muss vielmehr durch eine Verbesserung der Haltung ausgeglichen werden, sobald die Bewegungstoleranzen vorhanden sind. Eine funktionelle Beinlängendifferenz kann einen Beckenhochstand zur Folge haben bei: 5 – Längswölbung eines Fußes, 5 + Eversion in einem unteren Sprunggelenk,

83

3.9 · Struktur und Funktion

5 + FLEX/EXT eines Kniegelenks, 5 + Abduktion/Adduktion eines Hüftgelenks, 5 + FLEX/EXT eines Hüftgelenks.

Wirbelsäule Norm

Die frontotransversalen und sagittotransversalen Durchmesser der Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf stehen horizontal. Die Körperabschnitte stehen genau übereinander. Im Zweibeinstand steht der Kopf über der Mitte der Unterstützungsfläche und über den Füßen. Bei Einbeinbelastung steht er über dem belasteten Bein.

. Abb. .. Stellung des Schultergürtels auf dem Brustkorb (aus Hochschild 1998)

Transversale Abweichungen

5 + Rotation des Körperabschnitts Becken/Brustkorb und/oder Kopf nach rechts/links. 5 rechts-/linkskonvexe Skoliose der Lenden-, Brust-, Halswirbelsäule. Frontale Abweichungen

5 + Translation des Kopfs/Brustkorbs nach rechts/links. 5 Rechts-/linkskonkave Lateralflexion. Wichtig Da der Kopf das am weitesten oben befindliche Gewicht ist, kann über ihm keine Gewichtsverschiebung mehr stattfinden. Sein Abweichen aus der Körperlängsachse muss zwangsläufig eine reaktive Hyperaktivität in darunter liegenden Niveaus hervorrufen. Um die Haltung zu verbessern, kann man also veranlassen, dass sich die Körperabschnitte reaktiv über der Unterstützungsfläche einordnen.

Brustkorb/Schultergürtel/Humerus: Sterno- und Akromioklavikulargelenk, Humeroskapulargelenk Norm (. Abb. 3.25)

5 Die Längsachse der Klavikula ist wenig geneigt. Das Akromion steht in Bezug zum Sternoklavikulargelenk weiter lateral/kranial/dorsal in der mittleren Frontalebene. 5 Die Humeruskondylen stehen 30° gedreht zur Frontalebene.

5 Der Winkel zwischen Skapula und Klavikula beträgt 60°. 5 Die Neigung der Skapula zur Frontalebene beträgt 30°. 5 Die Skapula ist leicht gedreht (ca. 3°) – die Margo medialis stehen somit annähernd parallel zur Wirbelsäule. Transversale Abweichungen

5 + Protraktion (=Schultervorstand = Schulterblattabduktion) / + Retraktion (=Schulterrückstand = Schulterblattadduktion) 5 Außenrotation/Innenrotation der Skapula im Humeroskapulargelenk 5 Außenrotation/Innenrotation des Humerus im Humeroskapulargelenk Frontale Abweichungen

5 + Schulterhochstand/Schultertiefstand 5 + Abduktion/Adduktion der Skapula im Humeroskapulargelenk 5 + Abduktion/Adduktion des Humerus im Humeroskapulargelenk 5 + Kranialrotation/Kaudalrotation der Cavitas glenoidale Sagittale Abweichungen

5 + Ventralrotation/Dorsalrotation des Schultergürtels 5 + Flexion/Extension des Humerus im Humeroskapulargelenk

3

84

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Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

Klinische Interpretation Auf abweichende Gelenkstellungen reagiert der Körper in unterschiedlicher Weise. Es kommt zu einer veränderten Verteilung der Gewichte und folglich zu einer muskulären Dysbalance. Wenn der Spannungszustand der Muskulatur nicht ausreicht, um die Gewichte am Fallen zu hindern, entstehen Belastungen auf der passiven Struktur des Bewegungssystems.

. Abb. .. Notationsbeispiel der Schubbelastungen: Lumbothorakal doppelte Schubbelastung: von oben schiebt das Brustkorbgewicht nach hinten/unten und von unten zieht das Becken-Bein-Gewicht nach vorne/unten

Veränderte Gewichtsverteilung innerhalb des Körpers Die abweichenden Gelenkstellungen haben eine andere Verteilung der Gewichte zur Folge (und umgekehrt). Diese Gewichte müssen von Muskeln gehalten werden, die normalerweise nicht dafür bestimmt sind. Die erhöhte Aktivität entsteht also reaktiv auf ein Gewicht und muss demnach durch Abnahme bzw. Einordnung der verursachenden Gewichte wieder normalisiert werden. Wenn die Gewichte nicht oder – je nach Dauer der Einwirkung – nicht mehr gehalten werden können, werden passive Strukturen zur Bewahrung der Haltung beansprucht, die jedoch für diese Aufgabe nicht geeignet sind (Schubbelastung). Diese Strukturen erfüllen normalerweise eine Schutzfunktion im Bewegungssystem.

Schubbelastungen der passiven Strukturen Schubbelastungen (Klein-Vogelbach 1990) der passiven Strukturen (Ligament, Knorpel, Knochen, Periost, Faszie, Kapsel, Nerven, Bandscheibe) sind oft Ursache von Schmerzen (Periost-, Dystrophie-, Kompressions-, radikuläre oder pseudoradikuläre Symptome). Sie entstehen an der Stelle der größten Beweglichkeit, wenn 2 Gewichte in entgegengesetzter Richtung aus der normalen Statik abweichen, und strapazieren die passiven Strukturen des Bewegungssystems, wenn die Muskulatur ihre Haltearbeit aufgibt. Je steiler (vertikaler) die Gelenkflächen stehen, desto mehr Schub kann entstehen. (. Abb. 3.26) Bei der Notation der Schubbelastungen nennt man 1. den Ort, an dem die Belastung auftritt, 2. ein oder mehrere Gewichte unterhalb bzw. oberhalb des Schubniveaus und 3. die Richtung, in die der Schub wirkt.

Reaktive Hyperaktivität der Muskulatur Eine reaktive Dauerhyperaktivität für die Haltung nicht prädestinierter Muskulatur zeigt sich in ischämischen Schmerzen. (. Abb. 3.27)

. Abb. .. Notationsbeispiel bei reaktiver Hyperaktivität: Hyperaktivität der Bauchmuskeln, reaktiv auf das nach hinten verschobene Brustkorbgewicht und Hyperaktivität der Schulter-Nacken-Muskeln, reaktiv auf das nach vorne verschobene Kopfgewicht

3

85

3.9 · Struktur und Funktion

Wichtig Um zu erkennen, ob der Spannungszustand der Muskulatur reaktiv auf ein Gewicht oder aus anderen Gründen entsteht, muss der Therapeut die verantwortlichen Gewichte übernehmen, ohne die Haltung des Patienten zu verändern.

– +

Andere Gründe für eine erhöhte Muskelaktivität können

hohe Sympathikusaktivität, Schmerzen, Emotionen, Kälte, Temposteigerungen etc. sein. Eine ungleiche Beanspruchung der Muskulatur geht einerseits mit einer Atrophie der weniger beanspruchten Bereiche, andererseits mit Verspannungen anderer Muskelregionen einher. Diese muskulären Verspannungen, die sich über die gesamte Muskelkette ausbreiten können, führen wiederum zu Schmerzen, die in der Folge den Spannungszustand der Muskulatur weiter erhöhen. Es ist zu vermuten, dass die dauerhaften Muskelkontraktionen eine Reizung schmerzsensibler Nervenfasern auslösen, die für eine Generalisierung der Muskelverspannung verantwortlich ist.

+

a

b

c

. Abb. ..a–c + Lordose bei + Flexion im Hüftgelenk

Beispiele: Typische Abweichungen Die folgenden Beispiele sind eine Zusammenfassung und Interpretation typischer Haltungsabweichungen.

– Von unten zieht das Becken-Bauch-Gewicht nach vorne/unten Reaktive Hyperaktivität (rot)

+ LWS-Lordose bei Flexion des Beckens im Hüftgelenk (. Abb. 3.28 a – c) Konstitution (blau)

5 Breiten: + Schultergelenkabstand 5 Längen: + Körperabschnitt Becken / – Körperabschnitt Kopf

5 Der Hüftextensoren reaktiv auf das Becken-BauchGewicht 5 Der Bauchmuskeln reaktiv auf das nach hinten geneigte Brustkorbgewicht 5 Der Paravertebralmuskulatur rechts reaktiv auf das translatierte Brustkorbgewicht

Statik von der Seite (schwarz)

5 5 5 5

+ Flexion des Beckens in den Hüftgelenken bei ++ LWS-Lordose Rückneigung des Brustkorbs + Ventraltranslation des Kopfs

Statik von vorne/hinten (schwarz)

5 + Eversion der Rückfüße links > rechts 5 + Medialrotation der Femurkondylen 5 + Beckenhochstand rechts bei Adduktion im rechten und Abduktion im linken Hüftgelenk 5 + Translation des Brustkorbs nach links Schubbelastungen (grün)

5 Lumbal: – von oben schiebt das Brustkorbgewicht nach links unten und nach hinten unten

+ LWS-Lordose bei Rückneigung des Brustkorbs (. Abb. 3.29 a – c) Konstitution (blau)

5 Breite: + Körperabschnitt Becken 5 Längen: + Beinlänge Statik von der Seite (schwarz)

5 + Plantarflexion 5 + Extension im Kniegelenk durch Drehpunktverschiebung 5 + Extension der Oberschenkel im Hüftgelenk 5 Rückneigung des Brustkorbs bei 5 + LWS-Lordose 5 + BWS-Kyphose 5 Ventraltranslation des Kopfs

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Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

. Abb. .. + LWS-Lordose bei Rückneigung des Brustkorbs

1 2 3 4

+

5

+

6

+

7

+

8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

a

+

b

c

5 Protraktion des Schultergürtels Statik von vorne/hinten (schwarz)

5 Längen: – + Körperabschnitt Becken

5 + Standbreite bei Abduktion der Beine im Hüftgelenk

Statik von der Seite (schwarz)

Schubbelastungen (grün)

5 Dorsal am Kniegelenk: von oben schiebt das Körpergewicht nach hinten/unten 5 Hüftgelenk: von oben schiebt das Körpergewicht nach vorne/unten 5 Lumbal: von oben schiebt das Brustkorbgewicht nach hinten/unten 5 Halswirbelsäule: von oben schiebt das Kopfgewicht nach vorne/unten

5 + Dorsalextension bei + Vorfußbelastung und Vorneigung des gesamten Körpers 5 – LWS-Lordose 5 – BWS-Kyphose (mittlere BWS) 5 Funktionelle Nackenkyphose Statik von vorne/hinten (schwarz)

5 + Inversion der Rückfüße bei +Außenrotation der Femurkondylen

Reaktive Hyperaktivität (rot)

Geringe Auffälligkeiten (. Abb. 3.31 a – c)

5 Der Bauchmuskeln reaktiv auf das nach hinten geneigte Brustkorbgewicht 5 Der Schulter-Nacken-Muskeln reaktiv auf das Kopfgewicht

Konstitution (blau)

– LWS-Lordose und – – BWS-Kyphose (. Abb. 3.30 a – e)

Statik von vorne/hinten (schwarz)

5 + Schultergelenkabstand Statik von der Seite (schwarz)

5 + Extension des Oberschenkels im Knie- und Hüftgelenk 5 unauffällig

Konstitution (blau)

5 Breiten: – – Hüftgelenkabstand – funktionelles Abduktionssyndrom bei + frontotransversalem Brustkorbdurchmesser und – Schultergelenkabstand

Statik des Brustkorbs und des Schultergürtels (. Abb. 3.32 a – d) 5 Rückneigung des Brustkorbs bei + Extension in der unteren BWS

87

3.9 · Struktur und Funktion

– + – + –– –

. Abb. .. – LWS-Lordose und – – BWS-Kyphose . Abb. .. geringe Auffälligkeiten

+

5 Translation des Brustkorbs nach links bei rechtskonkaver Lateralflexion in der unteren BWS und linkskonkaver Lateralflexion in der oberen BWS 5 Protraktion und Ventralrotation des Schultergürtels bei Ventralisation des Humeruskopfes

Therapeutische Konsequenzen Da der Körper auf abweichende Gelenkstellungen in Form von reaktiver Hyperaktivität oder Schubbelastungen reagiert, muss der Therapeut bei der Untersuchung des Bewegungsverhaltens und der Funktion einzelner Körperabschnitte/Körpersegmente genau herausfinden, was für

3

88

Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

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. Abb. .. Statik des Brustkorbs und des Schultergürtels

die Probleme verantwortlich gemacht werden kann, um dann die entsprechende Maßnahme zu ergreifen. Zur klassischen therapeutischen Intervention gehören: 5 Die gestressten Strukturen vom Gewicht zu befreien, d.h., dem Patienten müssen Entlastungsstellungen gezeigt und erklärt werden. 5 Die Beweglichkeit wiederherzustellen. 5 Der Patient muss lernen, seine Haltung selbstständig zu korrigieren und zu kontrollieren.

Teilsteifigkeiten muss man mit aller Sorgfalt zu beseitigen versuchen. Nur dann ist eine aktive Haltungskorrektur möglich und sinnvoll. So lässt sich z.B. der Kopf – auch bei vorhandener Bewegungseinschränkung in Extension im CTÜ – oft in die Körperlängsachse einordnen – allerdings findet die Bewegung dann in der mittleren Halswirbelsäule statt. Deshalb sollte insbesondere der Kopf während der Therapie nicht einfach »gerade gerückt« werden. Der therapeutische Erfolg lässt dabei oft lange auf sich warten. In der Zwischenzeit müssen Entlastungsstellungen helfen.

Die gestressten Strukturen müssen vom Gewicht befreit werden, d.h., dem Patienten müssen Entlastungsstellungen beigebracht werden

Der Patient muss lernen, seine Haltung zu korrigieren und muskulär zu kontrollieren

Bei jeder Behandlung ist die Instruktion von Entlastungsstellungen für alle Lebenslagen unerlässlich und sollte beim ersten Kontakt mit dem Patienten erfolgen. Entlastungsstellungen kann man auch während der Arbeit einnehmen. Wichtig ist, dass sie sofort mit Einsetzen der Beschwerden eingenommen werden. Die Beweglichkeit muss wiederhergestellt werden

Hyper- und Hypomobilitäten bedingen sich oft gegenseitig. Hypermobilitäten sind oft Ursache schlechter Statik. In der Folge entstehen in der Wirbelsäule häufig Teilsteifigkeiten. Diese können aber auch die primäre Ursache statischer Abweichungen sein. Teilsteifigkeiten entstehen oft durch eine Gewohnheitshaltung (z. B. zusammengesunkener Flachrücken, der in der unteren Brustwirbelsäule flektiert wird). Diese

Um, die Haltung zu beeinflussen und damit auch die Statik zu verbessern, muss der Patient die Fehlstellung und ihre Korrektur wahrnehmen können. Er muss nicht nur die angestrebte Haltung spüren, sondern auch den Weg des Zurücksinkens in die unerwünschte Gewohnheitshaltung. Behandlungsziel ist es, dass der Patient seine Haltung korrigieren und muskulär kontrollieren kann. Wenn keine Teilsteifigkeiten hindernd im Weg stehen, ist dies während der physiotherapeutischen Behandlung schnell und unproblematisch zu erreichen. Die Haltungskorrektur hebt die Schubbelastungen und die reaktive Hyperaktivität der Muskulatur auf, geht aber mit Hyperaktivität einher, die oft von einer funktionellen Fehlatmung begleitet wird. Diese Hyperaktivität muss nach Einnehmen der korrigierten Stellung abgebaut werden. Haltungskorrekturen im Stehen nimmt man unter Beibehalten der gleichmäßigen Belastung von Vor- und

Rückfuß vor. Da der Kopf bereits am richtigen Ort über den Füßen steht, muss sich die Haltungsveränderung durch Gewichtsverschiebung zwischen Hüftgelenken und Halswirbelsäule vollziehen. Der Therapeut veranlasst möglichst nur eine Gewichtsverschiebung, die dann automatisch ein Gegengewicht in Gang setzt, weil die Belastung auf den Füßen nicht verändert werden darf.

3.9.3 Gelenkbeweglichkeit Definition Bei der Untersuchung der Beweglichkeit wird das Ausmaß der Bewegungstoleranzen in den Gelenken beurteilt und notiert/dokumentiert. Abweichungen haben einen Einfluss auf die Statik des Patienten und sein Bewegungsverhalten.

Das freie Gelenkspiel ist Voraussetzung für alle angulären Bewegungen. Die Untersuchung der intra- und extraartikulären Bewegung wird in der Manuellen Therapie gelehrt. Um die Beweglichkeit der Extremitätengelenke zu beurteilen, wird die Neutral-Null-Methode (Debrunner 1971) angewendet (7 Kap. 1). Die Maße werden in Winkelgraden angegeben.

Prinzipien bei der Untersuchung Die Untersuchung erfolgt nach bestimmten Prinzipien: 5 Orientierung am Körper des Patienten, 5 Abnahme des Gewichts, 5 Beachten passiver Insuffizienzen der zweigelenkigen Muskulatur, 5 Ausschalten bremsender Muskelaktivitäten, 5 Vorstellen der geplanten Bewegung, 5 Beachten weiterlaufender Bewegungen.

Orientierung am Körper des Patienten Der Therapeut orientiert sich beim Messen der Gelenkbeweglichkeit an Bezugspunkten am Körper des Patienten.

Das Gewicht abnehmen Muskelschwächen (aktive Insuffizienzen) können eine verminderte Beweglichkeit vortäuschen. Durch Abnahme des Gewichts und durch Unterstützen der Bewegung wird dies vermieden.

3

89

3.9 · Struktur und Funktion

Passive Insuffizienzen beachten Die passiven Insuffizienzen mehrgelenkiger Muskeln haben keinen Einfluss auf die Ergebnisse der Beweglichkeitsuntersuchung, wenn die Muskeln nur über einem Drehpunkt verlängert werden.

Bremsende Muskelaktivitäten ausschalten Um bremsende Muskelaktivitäten auszuschalten und um den Patienten aktiv an der Untersuchung und Behandlung zu beteiligen, wird er über die geplante Bewegung informiert und deren Richtung instruiert. Fixierungen zur Messung der Beweglichkeit sind in der Regel überflüssig.

Sich die geplante Bewegung vorstellen Durch das Vorstellen der geplanten Bewegung kommt es zur Erregung der motorischen Rindenfelder (»motor neuropools«) und damit zu erhöhter Bereitschaft zur Anspannung der angesprochenen Muskeln, was einer Bahnung gleichkommt. Durch das Ansprechen wahrnehmbarer Inhalte, wie z.B. Abstandsveränderungen, wird gleichzeitig das Bewegungsempfinden geschult.

Weiterlaufende Bewegungen beachten Wenn die Bewegung im Drehpunkt der Primärbewegung endgradig war (oder es noch wird), dürfen weiterlaufende Bewegungen in derselben Richtung zugelassen werden. Damit werden bremsende Muskelaktivitäten ausgeschaltet. Da sich der Therapeut am Winkel der Gelenkpartner orientiert, bleiben die Ergebnisse unverfälscht (7 Kap. 6.1, Orientierung am Körper des Patienten).

Von proximal bewegen Patienten mit Bewegungseinschränkungen an den Extremitäten haben im Verlauf ihrer Krankheit oder Funktionsstörung gelernt, dass Bewegungen vom distalen Gelenkpartner Schmerzen verursachen. Sie werden nicht zulassen, dass bei einer Untersuchung der distale Gelenkpartner bewegt wird. Bewegungen mit dem proximalen Gelenkpartner sind dagegen möglicherweise schmerzfrei. Wichtig Zusätzliche Komponenten Zur genaueren Differenzierung werden die Bewegungen 5 passiv durch den Therapeuten, 5 aktiv gegen Widerstand, 6

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Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

5 unter Traktion und 5 unter Kompression durchgeführt und die Veränderungen der Symptome notiert/dokumentiert. Wenn die Qualität der Bewegung pathologisch verändert ist, zeigt sich das darin, dass 5 sich die Symptome während der Bewegung oder in einem bestimmten Bewegungsbereich auslösen oder verstärken lassen, 5 sich die Bewegung nur gegen den Widerstand der Gewebe durchführen lässt, 5 der Patient Schutzspannungen aufbaut oder 5 Gelenkgeräusche hörbar sind, 5 die Reihenfolge der Gelenkbewegungen innerhalb der kinematischen Kette nicht der definierten Norm entspricht, z.B. durch verändertes »Timing« der Muskelrekrutierung. Ursachen dafür können sein: − Inhibition der Muskulatur durch Schmerz, − Aktive/passive Insuffizienz bestimmter Muskeln, die sich nicht konzentrisch/exzentrisch annähern bzw. nachlassen können, − Veränderte neuromuskuläre Steuerung.

Bewegung des Humeroskapulargelenks und die Gleitfähigkeit der Skapula auf dem Brustkorb zu beurteilen/ messen. Da der Therapeut immer beide Gelenkpartner unter Abnahme des Gewichts bewegt, sind auch die vorgenannten Prinzipien erfüllt. Er orientiert sich am Körper des Patienten, übernimmt dessen Arm-/Schultergürtelgewicht, untersucht ohne den Einfluss der zweigelenkigen Muskulatur, schaltet bremsende Muskelaktivitäten aus und widerlagert die weiterlaufenden Bewegungen. Abduktion/Adduktion

Als Bezugspunkte dienen die Margo medialis der Skapula und der Oberarm. (. Abb. 3.33) > Normwert ABD/ADD: 90 – 0 – 20 (40)

Trifft das zu, werden die Fähigkeiten der relevanten Muskeln untersucht.

Spezielle Untersuchungen Bei den nachfolgenden Untersuchungen wird anhand spezieller Vorgehensweisen dargestellt, wie funktionelle Überlegungen die Untersuchung des Hüftgelenks beeinflussen können, und wie eine differenzierte Untersuchung des Humeroskapulargelenks und des Skapulothorakalgelenks ausgeführt wird.

Schultergelenk Bei der Untersuchung des Schultergelenks werden die weiterlaufenden Bewegungen auf die Skapula durch Widerlagerung begrenzt. Die herkömmliche Untersuchung des Schultergelenks besteht darin, das Bewegungsverhalten des Körperabschnitts Arme zu beurteilen. Es wird nicht weiter differenziert, in welchem der beteiligten Gelenke die Bewegung stattfindet (Humeroskapulargelenk / Skapulothorakalgelenk / Sternoklavikulargelenk) (7 Kap. 1.4). Die Behandlungstechnik »Widerlagernde Mobilisation der Gelenke« eignet sich besonders gut dazu, die

. Abb. .. Untersuchung der Abduktion im Humeroskapulargelenk

Innenrotation/Außenrotation bei 90° Flexion

Als proximaler Rotationszeiger betrachtet der Therapeut die Längsachse der Klavikula oder die Spina scapulae. Der distale Rotationszeiger für die Rotation im Humeroskapulargelenk ist der Unterarm. (. Abb. 3.34) > Normwerte IR/AR: 90 – 0 – 10

Innenrotation/Außenrotation bei 90° Abduktion

Der Therapeut bezieht sich bei der Untersuchung auf die Neigung der Skapula (in der Sagittalebene) und den Zeiger Unterarm. (. Abb. 3.35) > Normwerte IR/AR: 20 – 0 – 90

91

3.9 · Struktur und Funktion

. Abb. .. Untersuchung der Innen-/Außenrotation bei Flexion im Humeroskapulargelenk

. Abb. .. Untersuchung der Innen-/Außenrotation bei Abduktion im Humeroskapulargelenk

Innenrotation/Außenrotation bei Nullstellung

bogen 90° flektierten Unterarm als Zeiger aufeinander. (. Abb. 3.36)

Um die Rotationen im Humeroskapulargelenk zu beurteilen, bezieht der Therapeut die Stellung der Spina Skapulae oder der Längsachse der Klavikula und den im Ellen-

> Normwerte IR/AR: 95 – 0 – 40 (60)

. Abb. .. Untersuchung der Innen-/Außenrotation bei Nullstellung im Humeroskapulargelenk

3

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1 2 3

Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

Transversale Flexion/-extension

Um die Gelenkstellung im Humeroskapulargelenk zu beurteilen, betrachtet man die Spina Skapulae in Bezug zum Oberarm. (. Abb. 3.37) > Normwert transversale Flexion/-Extension: 90 – 0 – 40

4 5 6 7 8 9 10 11 12

. Abb. .. Untersuchung der Flexion/Extension im Humeroskapulargelenk

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Schultergürtel

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. Abb. .. Untersuchung der transversalen Flexion/Extension im Humeroskapulargelenk

Die Bewegungen des Schultergürtels auf dem Brustkorb sind immer mit Bewegungen in den Sternoklavikular- und Akromioklavikulargelenken verbunden. Bewegungseinschränkungen dort können die Bewegungen der Skapula auf dem Thorax beeinträchtigen. Aber auch muskuläre, statische und konstitutionelle Faktoren haben Einfluss auf die Gleitfähigkeit der Skapula auf dem Thorax. Man unterscheidet in der Skapulakinematik Rotationen um drei Achsen und zwei sog. Translationen (Verschiebungen der Skapula auf dem Brustkorb).

18

Flexion/Extension

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Um die Gelenkstellung im Humeroskapulargelenk zu beurteilen, betrachtet man die Neigung der Skapula (in der Sagittalebene) in Bezug zum Oberarm. (. Abb. 3.38)

Elevation/Depression

> Normwerte FLEX/EXT: 110 – 0 – 40

In den Sternoklavikular- und Akromioklavikulargelenken wird der Schultergürtel um eine sagittotransversale Achse

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> Normwerte Elevation/Depression: 60 – 0 – 5

93

3.9 · Struktur und Funktion

nach kranial und kaudal bewegt. Dabei wird der Distanzpunkt Akromion auf seinem Weg nach kranial/medial bzw. kaudal/lateral im Bezug zum Brustbein beurteilt. (. Abb. 3.39)

. Abb. .. Untersuchung der Verschieblichkeit der Skapula in Protraktion/Retraktion . Abb. .. Untersuchung der Verschieblichkeit der Skapula in Elevation/Depression

Protraktion/Retraktion

In den Sternoklavikular- und Akromioklavikulargelenken wird der Schultergürtel um frontosagittale Achse nach vorne oder hinten bewegt. Man beobachtet den Distanzpunkt Akromion auf seinem Weg nach ventral/medial bzw. dorsal/medial (. Abb. 3.40). > Normwerte Protraktion/Retraktion: 45 – 0 – 20

Ventralrotation / Dorsalrotation

Der Schultergürtel wird vom Therapeuten um eine frontotransversale Achse nach ventral/kaudal und nach dorsal/kaudal gedreht. Bei der Ventralrotation hebt sich der Brustkorb vom Brustkorb ab, die Dorsalrotation wird durch den Brustkorb limitiert.

Hüftgelenk Extension > Normwert: EXT: 10°-15° (Debrunner 1971).

Bei einer flexorischen Bewegung vom rechten Bein in der Sagittalebene des Hüftgelenks kommt es weiterlaufend

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Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

zum Ausgleich der Lendenlordose und damit zur Extension im linken Hüftgelenk (Thomas-Handgriff ). Gleichzeitig geschieht jedoch auch eine rechtskonkave lateralflexorische Verformung der Wirbelsäule und damit weiterlaufend eine Abduktion des Beckens im linken Hüftgelenk. Häufig beobachtet man eine positive Rotation des Beckens (AR im linken Hüftgelenk) als Gleichgewichtsreaktion. (siehe S. 32, . Abb. 2.16) Hinweis Zur Überprüfung der Extension müssen die unerwünschten weiterlaufenden Bewegungen (Lateralflexion, Abduktion) begrenzt werden.

Hinweis Wenn die Lendenwirbelsäule die Unterlage berührt und das Bein trotz der Extension des Beckens im Hüftgelenk liegen bleibt, ist die Extension des Hüftgelenks optimal.

Wenn das Hüftgelenk keine extensorischen Bewegungstoleranzen hat, kann der Oberschenkel (weiterlaufend auf die Bewegungen des Beckens) nicht auf der Unterlage liegen bleiben. Abduktion > Normwert: Abduktion: 30°-50° (Debrunner 1971).

Ausgangsstellung Rückenlage. Der Therapeut über-

nimmt das Beingewicht und bewegt den Oberschenkel flexorisch im Hüftgelenk. Nimmt er das Beingewicht nicht vollständig ab, hängt es sich an Becken und Brustkorb und bewirkt eine Rotation in der Wirbelsäule und im anderen Hüftgelenk. Durch eine Adduktion mit dem bewegten Oberschenkel kann die Verbindungslinie der Spinae horizontal bleiben. Sowie die weiterlaufende Bewegung (WB) einsetzt, dürfen sich die Spinae ausschließlich nach dorsal/kranial, also extensorisch im liegenden Hüftgelenk bewegen. Damit dies gelingt, muss der Therapeut die weiterlaufende Bewegung (Lateralflexion und Abduktion im anderen Hüftgelenk) durch Außenrotation des Oberschenkels begrenzen (. Abb. 3.41).

14

Da die konstitutionellen Varianten des Abstandes der Spinae sehr groß sind, wird als Orientierung die Verbindungslinie der Mitte der Hüftgelenke in Bezug zur funktionellen Oberschenkellängsachse gebracht. In der Nullstellung bilden diese einen Winkel von 90° (. Abb. 3.42). Ausgangsstellung Rückenlage. Der Therapeut übernimmt das Beingewicht und bewegt es abduktorisch im Hüftgelenk. Als weiterlaufende Bewegung wird das Becken von der Bewegung erfasst. Es bewirkt in der Lendenwirbelsäule eine Lateralflexion (konkav zur Seite des bewegten Beins) und im anderen Hüftgelenk eine Abduktion. Wenn der Patient über die Bewegungen informiert wird und er gleichzeitig seine Spinae palpiert, werden die bremsenden Aktivitäten der Adduktoren vermindert.

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. Abb. .. Untersuchung der Extension im rechten Hüftgelenk (zur besseren Darstellung wurde nur der Patient dargestellt)

. Abb. .. Beurteilung der Abduktion im rechten Hüftgelenk mit Zulassen der weiterlaufenden Bewegung.

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3.9 · Struktur und Funktion

Rotationen des Hüftgelenks > Normwert: in Nullstellung Innenrotation/Außenrotation 40° (50) – 0 – 30° (40) (Debrunner 1971).

Die um ca. 10° größere Innenrotation erklärt sich aus der Antetorsion, die normalerweise ca. 12° beträgt. Die im Stand um 12° medialrotierten Femurkondylen sind der sichtbare Ausdruck der Antetorsion (. Abb. 3.43 a, b). Um die Nullstellung einnehmen zu können, müssen die Femurkondylen so weit außenrotiert werden, dass die Beuge-Streck-Achse frontotransversal steht. Dies zeigt sich bei der Messung an der größeren Innenrotation des Hüftgelenks. Ausgangsstellung Bauchlage. Der Unterschenkel wird annähernd 90° im Kniegelenk flektiert und dient somit

als Rotationszeiger. Der Therapeut hält den Fuß im Gabelgriff und staucht die Unterschenkellängsachse bei der Bewegung in Innenrotation (um den Oberschenkel am Ort zu halten). Mit der anderen Hand fixiert er auf der kontralateralen Seite das Becken (am besten am Tuber ischiadicum). Bei der Untersuchung der Außenrotation wird die Knieflexion etwas vermindert, um eine Dehnung des M. rectus femoris zu vermeiden. Die andere Hand fixiert das Becken (. Abb. 3.45 a, b).

3.9.4 Untersuchung des

Bewegungsverhaltens der einzelnen Körperabschnitte und der Körperlängsachse In diesem Abschnitt werden die Funktionen erläutert, die die einzelnen Körperabschnitte im normalen Bewegungsverhalten haben. Da die Körperabschnitte durch ihre vorgegebene Struktur im Bewegungsverhalten bestimmte Aufgaben haben, ist es dem Therapeuten möglich, eine hypothetische Norm zu definieren.

Körperabschnitt Beine Zum Körperabschnitt Beine gehören: 5 Füße sowie 5 Ober- und Unterschenkel Die Fortbewegung ist das wesentliche Kriterium für den Körperabschnitt Beine. Stand- und Spielbeinphase wechseln sich ab und das bedeutet einerseits, dass die Beine die Fähigkeit zur dynamischen Stabilisierung brauchen, andererseits zeigt sich durch die große Beweglichkeit ein Aktivitätszustand, den wir Spielfunktion nennen. Dieser zeichnet sich aus durch das freie Bewegen eines distalen Gelenkpartners im Raum, wie wir das beim Anziehen von Schuhen und Strümpfen, bei großen Schritten etc. beobachten können. Um den Körperabschnitt Beine in seiner Funktion zu beurteilen, müssen demnach zuerst die Bewegungstoleranzen der einzelnen Gelenke untersucht werden und anschließend die muskuläre Sicherung in Funktion untersucht werden.

. Abb. .. Antetorsion des Femurs

3

96

Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

1

. Übersicht .: Checkliste Körperabschnitt

2

5 Erreichen die Hüft-, Knie- und oberen Sprunggelenke die Nullstellung? 5 Ermöglichen die Bewegungstoleranzen: − ein ökonomisches Sitzen? − ein ökonomisches Bücken? − eine effiziente Übertragung der Kräfte 5 Ist die Beweglichkeit für das Anziehen von Schuhen und Strümpfen ausreichend? 5 Können die Ober- und Unterschenkellängsachse im Stand übereinander eingestellt werden und auch unter Belastung gehalten werden? 5 Ist die effiziente Belastung der tragenden Gelenke durch Rotationsverschraubung gewährleistet? 5 Sind die Fußgelenke so beweglich, dass die Längswölbung der Füße hergestellt und die Längswölbung bei Belastung gehalten werden kann? 5 Lassen sich die Beuge-Streck-Achsen von Großzehengrundgelenken, Kniegelenken und Hüftgelenken parallel einstellen, − damit ein Abrollen über die funktionelle Fußlängsachse möglich ist? − Damit eine axiale Belastung der Gelenke in der Stützfunktion möglich ist? − Genügen die Bewegungstoleranzen dieser Gelenke für den Überholvorgang des Spielbeins beim Gehen?

3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

Beine

Untersuchung der unbelasteten Beinachsen

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. Übersicht .: Untersuchungsablauf der

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5 5 5 5

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a

unbelasteten Beinachsen Einstellung der Beuge-Streck-Achsen Antetorsion Tibiatorsion Neutrale Stellung des Talus

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Einstellung der Beuge-Streck-Achsen

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Ausgangsstellung Rückenlage. Der Therapeut stellt das

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Ferse schaukeln lässt. Mit der anderen Hand greift er den Vorfuß und veranlasst die Flexions- und Extensionsbewegungen im Großzehengrundgelenk durch Drehpunktverschiebung. Der Fuß muss sich bei Plantarflexion pronieren können, damit die Beuge-Streck-Achse des Großzehengrundgelenks weiterhin parallel und frontotransversal stehen kann (. Abb. 3.44 a, b). Besonders transversale Abweichungen der knöchernen Beinachsen können das Abrollen über die funktionelle Fußlängsachse verhindern (7 Kap. 3.8.4). Die Untersuchung der belasteten Beinachsen erfolgt bei der Beurteilung der Statik (7 Kap. 3.10.2) und bei der Ganganalyse.

Großzehengrundgelenk, das Knie- und Hüftgelenk in eine gemeinsame Sagittalebene ein und bewegt nun das Knieund Hüftgelenk flexorisch und extensorisch, indem er den Fuß (dorsalextensorisch und plantarflexorisch) über die

b . Abb. .. Untersuchung der Einstellung der Beuge-Streck-Achsen

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3.9 · Struktur und Funktion

Antetorsion

Zur Beurteilung der Antetorsion wird der »Triple-Test« durchgeführt (. Abb. 3.45 a-e). Er besteht aus:

a

b

c

d . Abb. .. Untersuchung der Antetorsion a Überprüfung der Innenrotation; b Überprüfung der Außenrotation; c Schneidersitz; d Sitz mit hängenden Unterschenkeln; e Zwischenfersensitz

e

3

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1 2 3

Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

5 der Beweglichkeitsuntersuchung des Hüftgelenks in Rotation 5 dem Schneidersitz und 5 dem Sitz mit hängenden Unterschenkeln. Beweglichkeitsuntersuchung

6

Die Normwerte der Rotationen aus Hüftgelenknullstellung betragen nach Debrunner (1971) ca. 40° Innenrotation und 30° Außenrotation. Die um ca. 10° größere Innenrotation erklärt sich aus der Antetorsion, die normalerweise ca. 12° beträgt. Bei der Geburt ist die Antetorsion größer und beträgt ca. 30°. Die im Stand um 12° medialrotierten Femurkondylen sind der sichtbare Ausdruck der Antetorsion.

7

Ausgangsstellung Bauchlage

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Um die Nullstellung (Debrunner 1971) einnehmen zu können, muss so viel Außenrotation gemacht werden, bis der Unterschenkel senkrecht steht. Diese ca. 10° »fehlen« dann bei der Messung der Außenrotation und werden zur Innenrotation gerechnet. Die rotatorische Untersuchung der Beweglichkeit des Hüftgelenks (aus Hüftgelenknullstellung) liefert demnach Informationen darüber, ob eine vergrößerte Antetorsion oder eine Retrotorsion des Schenkelhalses vorliegen könnte. 5 Wenn bei 70° Gesamtverteilung die Innenrotation überwiegt, liegt vermutlich eine vergrößerte Antetorsion vor. (7 Kap. 3.10.2) 5 Von einer Retrotorsion des Schenkelhalses kann man ausgehen, wenn bei der Beweglichkeitsuntersuchung die Außenrotation (bei 70° Gesamtverteilung) größer ist. Im Stand beobachtet man, dass die Femurkondylen frontotransversal oder sogar lateralrotiert stehen.

Kniegelenks) parallel zur Unterlage einstellt und mit der anderen Hand die Malleolengabel umfasst. (. Abb. 3.46). Der Normwert der Tibiatorsion beträgt ca. 23° (Lanz u. Wachsmuth 1959). Bei der Geburt beträgt die Tibiatorsion 0°. Sie entwickelt sich erst unter Belastung während des Längenwachstums der Knochen.

Schneidersitz

Neutrale Stellung des Talus

5 Patienten mit vergrößerter Antetorsion können nur schwer im Schneidersitz sitzen.

Die Beweglichkeit des unteren Sprunggelenks korreliert mit Dysfunktionen des Kniegelenkes, insbesondere das Femuropatellargelenk (McConnel, 1998). Der Untersucher beurteilt die Stellung des Talus im unteren Sprunggelenk im Seitenvergleich in der Ausgangsstellung Rückenlage bei freiliegender Ferse, indem er mit einer Hand den Talus zwischen Daumen und Zeigefinger umfasst und mit der anderen Hand die Fußspitze von lateral (4. und 5. Metatarsalknochen) festhält. Nun bewegt der Untersucher den Fuß pronatorisch/supinatorisch und fühlt die Druckveränderung unter dem Daumen respektiv dem Zeigefinger. Es wird die Stellung des Vorfußes gesucht, bei der sich der Druck unter den palpierenden Fingern gleichmäßig anfühlt.

Sitz mit hängenden Unterschenkeln

5 Bei vergrößerter Antetorsion divergieren die Unterschenkel (zeigen nach außen). Bei großer Antetorsion ist sogar der Zwischenfersensitz möglich (. Abb. 3.45 e). Tibiatorsion

Der Untersucher schätzt die Größe der Tibiatorsion im Seitenvergleich in der Ausgangsstellung Rückenlage oder bei hängenden Unterschenkeln, indem er mit einer Hand die Querachse des Tibiakopfs (Beuge-Streck-Achse des

. Abb. .. Untersuchung der Tibiatorsion

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3.9 · Struktur und Funktion

Wichtig Klinische Relevanz Durch die Torsionen von Femur und Tibia divergiert die anatomische Fußlängsachse um ca. 12°. Damit kann der Fuß über die funktionelle Fußlängsachse abrollen, die vom lateralen Kalkaneus zum Großzehengrundgelenk verläuft. Durch die Einstellung der funktionellen Fußlängsachse in Fortbewegungsrichtung ist der Abrollweg am längsten und damit der Weggewinn am größten. Wenn die Gelenke des Standbeins richtig übereinander angeordnet sind, werden alle bestehenden Bewegungstoleranzen nach unten durch das Körpergewicht fallverhindernd innerviert.

Untersuchung der Muskulatur (Matthias Bongartz) Die Kraftübertragung zwischen den Körperabschnitten findet entlang kinetischer Muskelketten statt. Die Fähigkeitsanalyse eines isolierten Muskels (Muskelfunktionsprüfung nach Kendall 1983, Janda 1979) ist unzureichend und entspricht nicht dessen umfassender Funktion im Bewegungsverhalten. Es ist klinisch sinnvoll, zusätzlich die Muskulatur innerhalb dieser Ketten (myofasziale Systeme) zu beurteilen(7 Kap. 2.6). Die dargestellten Untersuchungen der Muskelfähigkeiten basieren auf den Erkenntnissen der Arbeitsweise des myofaszialen Systems in Bezug auf die Umwelt und die Schwerkraft. Sie sind somit funktionsorientiert. . Übersicht .: Untersuchung der Muskula-

tur innerhalb des myofaszialen Systems 5 Muskulären rotatorischen Verschraubung der Beinachsen 5 Stabilisationsfähigkeit der Hüftgelenke bei wechselnder Belastung – Antizipatorische Aktivität – Der »Am Ort Steher« 5 Dynamische Stabilisation des KA Beine 5 Fähigkeit, Gewichte kontrolliert exzentrisch zu bewegen 5 Fähigkeit, Gewichte kontrolliert nach oben zu bewegen 5 Gleichgewichtsreaktionen

Untersuchung der muskulären rotatorischen Verschraubung der Beinachsen

Durch die Rotationsverschraubung wird die Fähigkeit der Beinachsen sichergestellt, eine effiziente Belastung der tragenden Gelenke mittels Rotationssynergie zu gewährleisten. Kriterium: Können die Beinachsen optimal eingestellt und gehalten werden? Das bedeutet für den aktivierten Stand: 5 Das Längsgewölbe ist aufgebaut. 5 Die funktionelle Fußlängsachse zeigt nach vorne. 5 Das Kniegelenk ist deblockiert. 5 Die Beuge-Streck-Achsen der Kniegelenke stehen frontotransversal. 5 Die Patella zeigt nach vorne. 5 Die Verbindungslinie der SIAS steht horizontal. Die Rotationssynergie wird gewährleistet von folgenden Muskelgruppen: 5 Pronatoren des Vorfußes, 5 Inversoren des Rückfußes, 5 Innenrotatoren (und Extensoren) des Kniegelenkes (M. popliteus als Außenrotator des Femurs in der Stützfunktion), 5 Außenrotatoren (und Abduktoren) des Hüftgelenkes, 5 im Einbeinstand zusätzlich von den Wirbelsäulenrotatoren(/-lateralflexoren) der Spielbeinseite. Hinweis Verminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise 5 im Absinken der Längswölbung mit gleichzeitiger Valgisierung des Rückfußes (Eversion) 5 in einer Medialisierung des Kniegelenks (Valgusstellung und/oder Medialrotation der Femurkondylen) 5 im Absinken des Beckens auf der Standbeinseite (adduktorisch/innenrotatorisch). Dabei weist die Adduktion des Beckens im Standbeinhüftgelenk auf eine Inhibition der Abduktoren innerhalb der Rotationssynergie hin.

Untersuchung der Stabilisationsfähigkeit der Hüftgelenke bei wechselnder Belastung

Die Muskulatur des Hüftgelenks – v.a. die Rotatoren müssen die antizipatorische Fähigkeit haben, bei Zug und variierendem Druck, die Extremität proximal zu stabilisieren.

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Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

1

Antizipatorische Aktivität Die Muskulatur ist vor der Gewichtsübernahme aktiv,

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also vorbereitet auf die jeweilige Stabilisationsaufgabe z.B. Muskelaktivität im Kniegelenk in der Spielbeinphase kurz vor Fersenkontakt. Das heißt: bremsende Aktivität der Flexoren und antizipatorische Aktivität der Extensoren für die Gewichtsübernahme bei Fersenkontakt.

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Wichtig Wird eine Bewegung geplant, findet bereits (präaktiv) vor Beginn der eigentlichen Bewegung eine minimale Innervation der lokalen Muskulatur (primäre Stabilisatoren) statt. Diese Prä-Aktivierung dient der intersegmentalen Kontrolle zum Schutz der Gelenke und den umliegenden Strukturen. Es handelt sich um eine reaktive neuromuskuläre Bewegungskontrolle. Fehlende Antizipation ist nicht beobachtbar. Sie wird erst durch verminderte Stabilisationsfähigkeit bei der Gewichtsübernahme sichtbar.

Kriterium: Die Beinachsen und die Verbindungslinie der SIAS bleiben unverändert stabil beim Wechsel vom Zweibeinstand in den Einbeinstand. Die Therapeutischen Übungen: »Am Ort Steher« und »Der Pinguin« eignen sich, um die lokalen Stabilisatoren des Hüftgelenks auf ihre Antizipationsfähigkeit zu untersuchen. Der »Am Ort Steher« (. Abb. .)

Der Patient steht in Schrittstellung in der idealen Gangspurbreite. Der vordere Fuß steht auf der Ferse. Das Kniegelenk ist deblockiert. Das hintere Bein steht auf dem Vorfuß. Das Kniegelenk ist ca. 30° flektiert. Es wird nun ein rascher Belastungswechsel von Ferse und Vorfuß verlangt. Dabei soll es keine Bewegungen in den Bein- und Fußgelenken geben. Die Körperlängsachse bleibt vertikal und räumlich am Ort. Zur Untersuchung wird jede gangtypische Position kombiniert (7 Kap. 3.8.4 »Gehbewegungen Becken-Beine«). Hinweis Verminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise 5 in einer Translation des Beckens nach rechts/links, 6

. Abb. .. Der »Am-Ort-Steher«

5 Absinken des Beckens, adduktorisch im Standbeinhüftgelenk, 5 Flexion des Beckens in den Hüftgelenken (die fallverhindernde Aktivität der Extensoren kompensiert schwache Abduktoren), 5 Hyperextension der Kniegelenke, 5 in einer Medialisierung des Kniegelenks (Valgusstellung und/oder Medialrotation der Femurkondylen).

Untersuchung der Fähigkeit, den KA Beine dynamisch zu stabilisieren (. Abb. 3.48)

Diese Fähigkeit wird benötigt um weiterlaufende Bewegungen anderer Körperabschnitte auf das Bein zu begrenzen. Die dynamische Stabilisation der Beinachse ist ebenfalls ein typisches Merkmal der Standbeinphase. Das Bein muss gleichzeitig die Bodenreaktionskräfte auffangen und die weiterlaufenden Bewegungen des Spielbeins koordinieren. Um diese Fähigkeit zu untersuchen, eignen sich die therapeutischen Übungen »Die Standwaage«, »Der Flamingo« und »Das Zirkuspferdchen« für die Begrenzung weiterlaufender Bewegungen und »Der am Ort Geher« für die Stabilisation in der Standbeinphase.

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3.9 · Struktur und Funktion

Untersuchung der Fähigkeit, Gewichte kontrolliert exzentrisch zu bewegen

Um ein ökonomisches Bücken zu ermöglichen und/oder sicher eine Treppe hinab zu steigen, müssen die Extensoren der Hüft- und Kniegelenke und die Plantarflexoren die Fähigkeit haben, dynamisch exzentrisch nachzugeben. Überprüfbar ist das beim »in die Hocke gehen« und bei der Übung »Die Standwaage«. Hinweis Verminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise 5 im Absinken des Beckens, adduktorisch im Standbeinhüftgelenk bei der »Standwaage«, 5 in der Medialisierung der Kniegelenke beim »in die Hocke gehen«.

. Abb. .. Medialisierung des Kniegelenks bei verminderter dynamischer Stabilisation des Standbeins

Wichtig Die Anforderung an die Koordinationsfähigkeit der Hüftgelenksrotatoren ist hoch (alltagstypisch). Sie müssen einerseits die Beinachse in der Trabsversalebene stabilisieren und andererseits die rotatorischen Bewegungen des Beckens im Hüftgelenk zulassen.

Hinweis Verminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise 5 darin, dass die Bewegungen nicht gleichzeitig – sondern nur nacheinander oder überhaupt nicht durchgeführt werden können; 5 die Richtung der Primärbewegung ist nicht mehr geradlinig (z.B. weicht bei der Standwaage die Körperlängsachse zur Seite ab, um andere Muskulatur zu rekrutieren); 5 in einer Medialisierung des Kniegelenks (Valgusstellung und/oder Medialrotation der Femurkondylen).

Untersuchung der Fähigkeit, Gewichte kontrolliert nach oben zu bewegen

Um aus dem Sitzen aufzustehen oder eine Treppe hinaufzugehen, müssen die Extensoren der Hüft- und Kniegelenke, sowie die Plantarflexoren Gewichte dynamisch konzentrisch nach oben bewegen. Hinweis Verminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise 5 im Absinken des Beckens, adduktorisch im Standbeinhüftgelenk und/oder 5 in der Medialisierung der Kniegelenke.

Untersuchung der Muskulatur bei Gleichgewichtsreaktionen

Eine normale Gleichgewichtsreaktion des Körperabschnitts Beine beim Gehen ist die ständige Veränderung der Unterstützungsfläche nach vorne. Mit Hilfe der Therapeutischen Übung »Der Eckensteher« (siehe Eicke-Wieser, 2006) kann die Antizipationsfähigkeit der Muskulatur zum Erhalt des Gleichgewichts überprüft werden. Hinweis Verminderte Antizipationsfähigkeit zeigt sich typischerweise 5 durch das Einsetzen von Gegengewichten, 5 in vermehrter Flexion oder Hyperextension des Kniegelenks beim Fersenkontakt.

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1

Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

Körperabschnitt Becken

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Zum Körperabschnitt Becken gehören: 5 Becken und 5 Lendenwirbelsäule Der Körperabschnitt Becken hat im Bewegungsverhalten einerseits die Aufgabe, die Bewegungen der Beine weiterlaufend zu vergrößern. Andererseits müssen die Bewegungen des Spielbeins im Körperabschnitt Becken stabilisiert werden. Eine weitere Fähigkeit ist die effiziente Verankerung des Beckens am Körperabschnitt Brustkorb, wenn der Rumpf in Brückenaktivität benötigt wird. Die Untersuchung des Bewegungsverhaltens der Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf wird bei 7 Kap. 3.10.3 (Wirbelsäule) dargestellt.

7

. Übersicht .: Beurteilung Körperabschnitt

2 3 4 5

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a

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Diese Fähigkeit wird benötigt um weiterlaufende Bewegungen der Körperabschnitte Beine und Brustkorb auf das Becken zu begrenzen. Die dynamische Stabilisation des Beckens zeigt sich vor allem beim Überholvorgang des Spielbeins. Im Standbeinhüftgelenk muss von Beginn an die weiterlaufende Innenrotation dosiert zugelassen werden. Um diese Fähigkeit zu untersuchen, kann der Therapeut das Bewegungsverhalten des Beckens beobachten, wenn der Patient ein Bein aus Rückenlage anhebt. Die therapeutischen Übungen »Klassischer Frosch« oder »diagonaler Frosch« eignen sich ebenso wie »Das Zirkuspferdchen« und »Der am Ort Geher«.

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Diese Fähigkeit wird benötigt, wenn die Bauchdecke eingezogen wird und dabei die neutrale Position der Lenden-

5 Untersuchung der Fähigkeit, den KA Becken bei Beinbewegungen zu stabilisieren 5 Untersuchung der Fähigkeit, den KA Becken bei variierendem intraabdominalem Druck zu stabilisieren

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Untersuchung der Fähigkeit, den KA Becken bei variierendem intraabdominalem Druck zu stabilisieren (. Abb. 3.49 a–c)

Becken

Untersuchung der Fähigkeit, den KA Becken bei Beinbewegungen zu stabilisieren

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5 einer Lateralflexion des Beckens in der Lendenwirbelsäule, 5 einer Flexion/Extension des Beckens in der Lendenwirbelsäule.

b

Hinweis Verminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise in 5 einer Translation des Beckens und/oder Brustkorbs nach rechts/links, 5 der rotatorisch auf den Brustkorb weiterlaufenden Bewegung, 6

c . Abb. .. a Stabilisation des Körperabschnitts Becken im Vierfüsslerstand, b Vorwölbung des Bauchs, c Schlechte Koordination der Bauchmuskulatur

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3.9 · Struktur und Funktion

wirbelsäule und die Ruheatmung beibehalten werden. Die aktivierte Ausgangsstellung des »klassischen Vierfüsslerstands« und die »Rhythmische Atmung« eignen sich zur Überprüfung. Hinweis Verminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise 5 in einer vermehrten Flexion der Lendenwirbelsäule.

Körperabschnitt Brustkorb Zum Körperabschnitt Brustkorb gehören 5 Brustwirbelsäule, 5 Rippen 5 Sternum Der Körperabschnitt Brustkorb ist – bedingt durch seine knöcherne Struktur – das dynamisch stabile Element des Körpers. Er hat die Aufgabe, alle weiterlaufenden Bewegungen angrenzender Körperabschnitte durch Gegenaktivität zu begrenzen. Er ist durch sein Eigengewicht und als Träger von Arm- und Kopfgewichten effizient, um ihn bei Gleichgewichtsreaktionen als Gegengewicht einzusetzen.

Bei der normalen Atmung bleibt die Brustwirbelsäule gegen die Rippenbewegungen in ihrer Nullstellung stabilisiert. Nur dadurch wird das erforderliche Volumen geschaffen. Eine funktionelle Fehlatmung zeigt sich in der flexorischen/extensorischen weiterlaufenden Bewegung bei Aus- und Einatmung. Die therapeutische Übung »Kurz und bündig« und die Beobachtung der normalen Ruheatmung im Sitzen ermöglichen eine Analyse der Stabilisationsfähigkeit des Brustkorbs (siehe Eicke-Wieser, 2006). Die folgende Übung erlaubt eine Aussage über die Stabilisationsfähigkeit des Brustkorbs bei Kopfbewegungen. (. Abb. 3.50). Ausgangsstellung: Bauchlage

5 Bewegungsauftrag: Kopf anheben (dorsaltranslatorisch gegen den Brustkorb und zervikokraniale Flexion). 5 Beobachtungskriterium: Kann das obere Kopfgelenk in zervikokranialer Flexion gehalten werden, wenn der Kopf sich nach rechts und links dreht?

. Übersicht .: Untersuchungsablauf der

Körperabschnitte Brustkorb und Kopf 5 Untersuchung der Fähigkeit, den Körperabschnitt Brustkorb bei Bewegungen der Arme, der Rippen und des Kopfs dynamisch zu stabilisieren. 5 Untersuchung der Fähigkeit, den Körperabschnitt Kopf in die Körperlängsachse einzuordnen und in jeder Position dynamisch zu stabilisieren.

a

Untersuchung der Fähigkeit, den Körperabschnitt Brustkorb bei Bewegungen der Arme, der Rippen und des Kopfs dynamisch zu stabilisieren. Bei Armbewegungen bis in die Endstellung ist die weiterlaufende Bewegung auf den Körperabschnitt Brustkorb unbedingt erforderlich. Trotzdem muss bei zielgerichteten Bewegungen der Arme (mit weiterlaufenden Bewegungen auf den Schultergürtel) die Brustwirbelsäule in ihrer Nullstellung stabilisiert werden können. Bei schnellen oder kleinen Armbewegungen muss der Körperabschnitt Brustkorb ebenfalls alle weiterlaufenden Bewegungen aktiv begrenzen.

b . Abb. .. a Stabilisation des Brustkorbs bei Kopfbewegungen; b Verminderte dynamische Stabilisation der Brustwirbelsäule bei fehlender zervikokranialer Flexion während der Rotation der Halswirbelsäule.

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Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

1

Hinweis Verminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise 5 in der weiterlaufenden Bewegung auf den Brustkorb, 5 in einer Flexion/Extension in der Lendenwirbelsäule (bei funktioneller Fehlatmung), 5 in einer Extension der Halswirbelsäule bei der o.g. Übung aus Bauchlage.

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Der »Vierfüßlerstand« oder das »Klötzchenspiel« mit kleiner Bewegungsamplitude eignet sich besonders, um diese Feinregulation zu beurteilen. Mit dem »klassischen Frosch« wird die Fähigkeit untersucht, durch eine zervikokraniale Flexion (CCF) den Kopf als Gegengewicht zum Becken-Bein-Gewicht einzusetzen. (. Abb. 3.51 a,b). Hinweis Verminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise 5 in einer Ventraltranslation des Kopfs, 5 in einer beobachtbaren »Steifigkeit«, die mit unnötiger erhöhter Aktivität der Hals- und SchulterNacken-Muskulatur einhergeht, 5 in einem ständigen »Kopfwackeln«.

Körperabschnitt Kopf Zum Körperabschnitt Kopf gehören: 5 Halswirbelsäule 5 Ober- und Unterkiefer 5 Zungenbein Am Kopf befinden sich die meisten Sinnesorgane. Um die Funktion Sehen, Hören, Riechen, Schmecken optimal zu benutzen, muss der Kopf leicht beweglich sein. Als distal freies Ende befindet er sich in Spielfunktion und wird leicht als Gegengewicht eingesetzt. Die Stellreaktion bewirkt eine optimale, d.h. horizontale Einstellung der Augen.

Körperabschnitt Arme

Untersuchung der Fähigkeit, den Körperabschnitt Kopf in die Körperlängsachse einzuordnen und in jeder Position dynamisch zu stabilisieren.

Der Körperabschnitt Arme hat durch die gelenkige Verbindung im Sternoklavikulargelenk den größten Aktionsradius. Durch die große Beweglichkeit können zielgerichtete geradlinige Bewegungen ausgeführt werden. Die Arme reagieren bei Gleichgewichtsreaktionen zumeist als Gegengewicht. Nur wenn sie (z.B. beim Fallen) zum Stützen benötigt werden, vergrößern sie die Unterstützungsfläche.

Der Körperabschnitt Kopf zeichnet sich durch eine hohe Mobilität und durch die hohe Reaktionsbereitschaft der Muskulatur aus. Das zeigt sich vor allem in der schnellen Reaktion der Muskulatur der oberen Kopfgelenke bei Änderungen der Gleichgewichtssituation.

Zum Körperabschnitt Arme gehören 5 Hände 5 Ober- und Unterarme 5 Skapula und 5 Clavikula

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a

b

. Abb. .. a Stabilisation des Körperabschnitts Kopf beim klassischen Frosch; b Verminderte dynamische Stabilisation des Kopfs beim Einsetzen als Gegengewicht beim klassischen Frosch

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3.9 · Struktur und Funktion

. Übersicht .: Checkliste Körperabschnitt

Arme 5 Ist die Nullstellung in allen Gelenken vorhanden? 5 Kann mit den Händen zum Kopf, zum Mund, hinter den Rücken usw. gegriffen werden? 5 Kann der Schultergürtel auf dem Brustkorb abgelegt werden (beim Stehen und Sitzen)?

. Übersicht .: Beurteilung des Körperab-

schnitts Arme 5 Die Fähigkeit, den Arm zielgerichtet zu bewegen und dabei den Schultergürtel auf dem Brustkorb zu stabilisieren 5 Muskuläre rotatorische Verschraubung des Körperabschnitts Arme 5 Stabilisationsfähigkeit der Schultergelenke bei wechselnder Belastung 5 Muskulatur bei Gleichgewichtsreaktionen 5 Fähigkeit, den Schultergürtel auf dem Brustkorb abzulegen.

Die Fähigkeit, den Arm zielgerichtet zu bewegen und dabei den Schultergürtel auf dem Brustkorb zu stabilisieren

Das ist die eigentliche Funktion des Körperabschnitts Arme. Deshalb eignet sich jede zielgerichtete Bewegung zur Beurteilung der muskulären Koordination. Hinweis Verminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise 5 in einem veränderten Timing der Skapulabewegung (zu früh oder zu spät einsetzende weiterlaufende Bewegung), 5 im gegensinnigen Bewegen der Skapula zum Arm (. Abb. 3.52), 5 in einem Abweichen des kritischen Distanzpunkts (7 Kap. 2.1 ff ) aus der Zielrichtung.

. Abb. .. Verminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur, den Schultergürtel bei Armbewegungen auf dem Brustkorb zu stabilisieren.

5 Nullstellung des Schultergürtels auf dem Brustkorb 5 Außenrotation des Humerus im Humeroskapulargelenk 5 Pronation und Flexion im Ellenbogengelenk 5 Dorsalextension im Handgelenk Hinweis Verminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise 5 in einer Hyperextension des Ellenbogengelenks 5 in einer Skapula alata und damit dem »Durchhängen« des Brustkorbs 5 in einer Elevation des Schultergürtels

Untersuchung der Stabilisationsfähigkeit der Schultergelenke bei wechselnder Belastung (. Abb. 3.53)

Untersuchung der muskulären rotatorischen Verschraubung des Körperabschnitts Arme

Durch die Rotationsverschraubung wird die Fähigkeit der Arme sichergestellt, eine effiziente Belastung der tragenden Gelenke mittels Rotationssynergie zu gewährleisten. Kriterien eines optimalen Stützes:

. Abb. .. Untersuchung der Stabilisationsfähigkeit bei Belastung. Der Therapeut kontrolliert die Serratus-Aktivität am Angulus inferior scapulae

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Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

Der Körperabschnitt Arme benötigt die Fähigkeit, bei Zug und variierendem Druck das Schultergelenk zu stabilisieren. Das heißt, die lokalen Stabilisatoren, in diesem Fall die Rotatorenmanschette, müssen die Fähigkeit zur Antizipation haben. Die Trippelphase des Vierfüßlerstands ist die geeignete Übung, um zu beurteilen, ob der Humeruskopf gegen die Cavitas glenoidale antizipatorisch stabilisiert (komprimiert) werden kann. Hinweis Verminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise 5 in einer Hyperextension des Ellenbogengelenks. 5 in einer Skapula alata und damit dem »Durchhängen« des Brustkorbs, 5 in einer Elevation des Schultergürtels, 5 im Absinken des Brustkorbs auf der Gegenseite.

Untersuchung der Muskulatur bei Gleichgewichtsreaktionen

Der Körperabschnitt Arme reagiert im Alltag in erster Linie mit Einsetzen von Gegengewichten. Die »Spinnübung« oder das »reaktive Armpendel« eignen sich zur Untersuchung der Gleichgewichtsreaktion. Um den reaktiven Stütz zu untersuchen, bietet sich der Start der Pezzi-Ball Übung »der Goldfisch« an. Hinweis Verminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise darin, 5 dass die Arme nicht (oder nicht ausreichend) zu Gleichgewichtsreaktionen benutzt werden.

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Untersuchung der Fähigkeit, den Schultergürtel auf dem Brustkorb abzulegen.

Der Brustkorb bietet dem Schultergürtel eine optimale Basis. Dadurch kann er im Sitzen und Stehen ohne beobachtbare und palpierbare erhöhte Muskelaktivitäten aufliegen. In diesen Ausgangsstellungen kann die Entspannungsfähigkeit palpiert werden.

Hinweis Verminderte Entspannungsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise 5 in einer erhöhten Aktivität der Schulter-NackenMuskulatur 5 Abweichung des Schultergürtels aus der Nullstellung

Körperlängsachse Im Alltag braucht die Muskulatur der Wirbelsäule die Fähigkeit, die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf miteinander zu koordinieren. Das setzt sowohl potentielle Beweglichkeit der Körperabschnitte Becken und Kopf, als auch dynamische Stabilisation und Bewegungskontrolle des Körperabschnitts Brustkorb voraus. . Übersicht .: Checkliste Körperlängsachse 5 Lassen sich die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf in die virtuelle Körperlängsachse einordnen? 5 Können sie eingeordnet gehalten werden? 5 In welchen Bewegungsniveaus liegt ein Hindernis oder eine mangelnde Stabilisierungsfähigkeit (Hypo-/Hypermobilität)?

Untersuchung des Bewegungsverhaltens der Wirbelsäule Dokumentation

Das Ausmaß der Hypo- bzw. Hypermobilität wird durch die Anzahl der Zeichen +/ – (max. 3) gekennzeichnet. Der Therapeut muss die genaue Lokalisation angeben (z.B. obere/mittlere/untere HWS oder C2-C4). Zusätzlich werden Ausweichmechanismen und Schmerzen notiert: 5 –, – –, – – – : Hypomobil (etwas, deutlich, übermäßig eingeschränkt) 5 +, ++, +++: Hypermobil (etwas, deutlich, übermäßig beweglich)

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3.9 · Struktur und Funktion

. Übersicht .: Untersuchungsablauf des

Bewegungsverhaltens der Wirbelsäule 5 5 5 5

Flexion Extension Lateralflexion im Seitenvergleich Rotation im Seitenvergleich

sacht in unterschiedlichen Niveaus der Wirbelsäule eine Extension. Die Instruktion der Distanzpunkte auf Kreisbahnen trifft vor allem den lumbo- und zervikothorakalen Übergang. Um die Extension in der mittleren Brustwirbelsäule zu betonen, muss sich der Distanzpunkt am Sternum geradlinig nur nach vorne bewegen. Ausgangsstellung aufrechter Sitz. Als weitere Ausgangs-

Zuerst werden Flexion und Extension überprüft, dann folgt die Lateralflexion und zum Schluss die Rotationen jeweils im Seitenvergleich. Auch hier werden die Gewichte nach Möglichkeit vom Therapeuten übernommen. Daher bieten sich Ausgangsstellungen an, in denen die Muskulatur hubfrei bzw. hubarm arbeiten kann (7 Kap. 2.5.3.). Hinweis In der jeweiligen Endstellung kann sich der Therapeut an den Dornfortsätzen orientieren und die Lokalisation von Bewegungseinschränkungen und Hypermobilitäten beobachten und/oder palpieren.

stellung bietet sich der aufrechte Sitz an. Der Patient bewegt das Becken flexorisch in den Hüftgelenken nach vorne und stützt die Hände auf den Oberschenkeln ab (Finger zeigen nach innen). Brustkorb und Kopf sollen gleichzeitig zur Decke zeigen (der Mund ist geöffnet). Ausgangsstellung Vierfüßlerstand. In dieser Ausgangs-

stellung kann der Therapeut zur Prüfung bestimmter Bewegungssegmente der Wirbelsäule die entsprechenden Gewichte heben und herunter sinken lassen. Lateralflexion

Die Bewegung wird nach der Konkavität beschrieben. Der Therapeut palpiert an den Dornfortsätzen die Krümmung und notiert evtl. Unterschiede im Seitenvergleich.

Flexion Ausgangsstellung Seitlage. Die Körperabschnitte sind in die Körperlängsachse eingeordnet und so unterlagert, dass keine fallverhindernden Muskelaktivitäten auftreten können (Konstitution beachten). Durch eine Annäherung der Distanzpunkte Symphyse/Bauchnabel/Processus ensiformis/Incisura jugularis und Kinnspitze kommt es in unterschiedlichen Niveaus der Wirbelsäule zu einer Flexion. Als weitere Ausgangsstellung eignet sich der aufrechte Sitz. Ist der Patient nicht in der Lage, die Bremsaktivitäten der Extensoren auszuschalten, nimmt der Therapeut das Gewicht durch einen seitlichen Klemmgriff am Brustkorb ab oder wählt als Ausgangsstellung den Vierfüßlerstand. Die Aktivität liegt nun vor allem bei der Bauchmuskulatur (Brückenaktivität) und den Extensoren des Hüftgelenks.

Ausgangsstellung Vierfüßlerstand. Die Distanzpunkte

Extension Ausgangsstellung Seitlage. Die Körperabschnitte sind

Rotation

in die Körperlängsachse eingeordnet und so unterlagert, dass keine fallverhindernden Muskelaktivitäten auftreten (Konstitution beachten). Die Entfernung der Distanzpunkte Symphyse/ Bauchnabel/Processus ensiformis/Incisura jugularis und Kinnspitze bzw. die Annäherung der Dornfortsätze verur-

Ferse, Akromion und Scheitelpunkt bewegen sich zu einer Seite und nähern sich an. Dadurch kommt es weiterlaufend zu einer Lateralflexion in der Wirbelsäule. Von kranial bewegt sich der Distanzpunkt Ohr zum Akromion und das Akromion zum Beckenkamm. Wenn sich der untere Brustkorbrand im Sinne einer Drehpunktverschiebung zur Gegenseite bewegt, kann der Druck unter den Extremitäten gleich bleiben, und die Brustwirbelsäule verformt sich lateralflexorisch. Ausgangsstellung Sitz. Hier übernimmt der Therapeut

das Brustkorbgewicht und zieht es zu einer Seite. Dabei unterstützt er das Abheben des Beckens und damit die Lateralflexion.

Die Rotationsniveaus der Wirbelsäule liegen in der unteren Brustwirbelsäule, in der Halswirbelsäule und in den unteren Kopfgelenken. Spricht man von Rotation nach rechts, so ist damit die Drehrichtung des bewegten Gelenkpartners im Uhrzeigersinn gemeint. Bei Rotation nach links ist es umgekehrt.

3

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Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

Ausgangsstellung Sitz. Die Körperabschnitte Becken,

Brustkorb und Kopf bleiben immer in die Körperlängsachse eingeordnet. Der Druck unter dem Gesäß bleibt gleich. Die Hände liegen auf dem Brustbein, den gegenüberliegenden Schultern oder unter den Achseln. Der Therapeut beobachtet die Bewegung des frontotransversalen Thoraxdurchmessers in Bezug auf die stehende Verbindungslinie der Spinae. Rotationen können auch vom kaudalen Zeiger ausgehend geprüft werden. Sehr häufig kommt es zu Ausweichmechanismen: 5 Der Brustkorb translatiert zur Gegenseite, dabei nimmt jedoch der Druck des Tuber ischii auf die Sitzfläche zu. 5 Die Adduktion der Skapula auf der einen Seite wird mit der Abduktion der Skapula auf der anderen Seite kombiniert. 5 Der Brustkorb bewegt sich lateralflexorisch zur gleichen Seite. Hinweis Da die Rotation in der unteren Brustwirbelsäule von einer guten Haltung abhängig ist, kann der Therapeut durch einen axialen Druck in die Körperlängsachse die Aufrichtung stimulieren oder die Bewegung manipulieren, indem er das Brustkorbgewicht während der Bewegung übernimmt.

Die Rotation in den unteren Kopfgelenken wird in Flexion der Halswirbelsäule überprüft. Dadurch sind die kaudalen Wirbel für weiterlaufende Bewegungen verriegelt. Translationen

Translationen geschehen zwischen den Körperabschnitten Becken, Brustkorb und Kopf. Ventral- und Dorsaltranslation sind das Ergebnis der Kombination von flexorischen und extensorischen Bewegungen, und Rechts-linksTranslationen sind das Ergebnis der Kombination von gegensinnigen Lateralflexionen. Die frontotransversalen und sagittotransversalen Durchmesser bleiben immer parallel zueinander stehen. Sie werden als Ausweichmechanismen betrachtet, wenn sie an Stelle einer anderen Bewegung auftreten oder sie sich ungewollt mit diesen Bewegungen vermischen.

Wichtig Um die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf in parallelen Ebenen gegeneinander nach rechts und links verschieben zu können, werden in den dazwischen liegenden Segmenten der Wirbelsäule die Lateralflexionen benötigt. Die Translationen nach ventral und dorsal werden durch Flexions- und Extensionsbewegungen der dazwischen liegenden Wirbelsäulenabschnitte ermöglicht.

Untersuchung der Muskulatur der Wirbelsäule . Übersicht .: Untersuchung der Muskulatur der Wirbelsäule 5 Untersuchung der Fähigkeit, die Körperabschnitte Becken und Brustkorb in die Körperlängsachse einzuordnen und in jeder Position zu stabilisieren. 5 Untersuchung der Fähigkeit, die einzelnen Körperabschnitte selektiv zu bewegen und zu stabilisieren 5 Untersuchung der Muskulatur bei Gleichgewichtsreaktionen

In diesem Abschnitt wird die Muskulatur auf Ihre Fähigkeit untersucht, die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf kontrolliert zu bewegen und/oder zu stabilisieren. Untersuchung der Fähigkeit, die Körperabschnitte Becken und Brustkorb in die Körperlängsachse einzuordnen und in jeder Position zu stabilisieren. (. Abb. 3.54).

Im normalen Bewegungsverhalten ist die lumbothorakale Stabilisation beim Verlassen der vertikalen Position und bei jeder Verbindung des Körpers mit der Umwelt notwendig (Einkaufswagen schieben, Bücken etc.). Dies verlangt einen effektiven, gut koordinierten Einsatz der Bauch- und Rückenmuskulatur. Zur Überprüfung dienen die Therapeutischen Übungen »Das Klötzchenspiel«, »Der klassische Vierfüßlerstand«, »Brückenbauch« und »seitlicher Brückenbauch«

109

3.9 · Struktur und Funktion

a

b

c

. Abb. .. a Stabilisation der Körperlängsachse bei Vorneigung; b, c verändertes »Timing« des Bewegungsablaufs

Hinweis

Hinweis

Verminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise 5 in einer vermehrten/verminderten Lordose der Lendenwirbelsäule, 5 in einer vermehrten/verminderten Kyphose der Brustwirbelsäule, 5 in einem veränderten »Timing« des Bewegungsablaufs (Brustkorb, Becken oder Kopf sind zu schnell/zu langsam).

Verminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise 5 in einem ruckartigen, nicht harmonischen Bewegungsverhalten. 5 in zu früh weiterlaufenden Bewegungen auf angrenzende Körperabschnitte.

Untersuchung der Fähigkeit, die einzelnen Körperabschnitte selektiv zu bewegen und zu stabilisieren

Dazu kann der Therapeut die hubfreie Mobilisation aller Körperabschnitte in allen Ebenen nutzen (siehe Behandlungstechniken).

Untersuchung der Muskulatur bei Gleichgewichtsreaktionen (. Abb. 3.55).

Die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf werden bei Gleichgewichtsreaktionen typischerweise als Gegengewicht eingesetzt. Mit der »Spinnübung« und der Übung »Albatros« (7 Kap. 2.4.4, Gleichgewichtsreaktionen) lässt sich diese Fähigkeit untersuchen.

3

110

Kapitel 3 · Untersuchung auf Grundlage der ICF

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a

b

c

. Abb. .. »Albatros«. a Ausgangsstellung auf der Bankkante, b reaktive Neigung der Körperlängsachse nach vorn, c vermehrte Vorneigung der Körperlängsachse mit den Armen neben dem Türmchen

Hinweis Verminderte Koordinationsfähigkeit der Muskulatur zeigt sich typischerweise 5 nach der Translation des Brustkorbs zur Seite bleibt das Becken auf der Unterlage (Spinnübung), 5 in einer Rotation des Brustkorbs zur Gegenrichtung (Spinnübung), 5 Flexion der Wirbelsäule (Albatros), 5 Translation des Kopfs nach vorne (Albatros), 5 Augen bleiben nicht horizontal (Spinnübung).

Wichtig Nur mit den erwähnten Bewegungstoleranzen sind eine aufrechte Haltung und ein ökonomischer Einsatz der fallverhindernden Muskulatur gegeben.

4

Planung der Therapie 4.1

Zielformulierung – 112

4.2

Behandlungsplan – 114

4.3

Intervention – 115

4.3.1

Zugrunde liegende Prinzipien

– 115

112

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Kapitel 4 · Planung der Therapie

Die ärztliche Diagnose gibt dem Physiotherapeuten einen bestimmten Rahmen vor. Ihre Bedeutung muss im Zusammenhang mit dem funktionellen Problem deutlich formuliert werden, z.B. die Belastbarkeit einer Struktur, eines rheumatischen Gelenks, der Atmung oder des Kreislaufs. Die sogenannte physiotherapeutische Diagnose unterscheidet sich wesentlich von der ärztlichen Diagnose und benennt keine Pathologie. Sie kann auch als Bewegungsdiagnose umschrieben werden, da sie die wahrscheinlich symptomauslösende Funktionsstörung am Bewegungsapparat angibt sowie ihre Auswirkungen auf den Organismus und das Leben des Patienten beschreibt. Diese Aussage gilt als Arbeitshypothese und muss durch die sog. Probebehandlung überprüft werden. Diese besteht aus einer einzigen Behandlungsmaßnahme, die gezielt bzw. betont nur auf den vermuteten pathogenen Faktor einwirkt. Der Vergleich der Beschwerden/Funktionsstörungen vor und nach dieser Behandlungsmaßnahme vervollständigt die Probebehandlung, die mit zur Untersuchung gehört. Eine mechanische Funktionsstörung des Bewegungssystems ist in der Untersuchung relativ rasch sichtbar und reagiert gewöhnlich schnell auf die Probebehandlung. Bei Symptomen, die mit dem vegetativen Nervensystem in Verbindung stehen können (wie Kopfschmerz, Kältegefühl in den Extremitäten, Schwindel u.a.) ist es oft schwer, ihre Ursache zu finden. Sie reagieren gewöhnlich nicht unmittelbar auf die Untersuchungstechnik und die Probebehandlung. Die Reaktion erfolgt oft erst in den Stunden danach. Es bestehen grundsätzlich drei Wege, die Störungen des Bewegungssystems zu behandeln. Im Wesentlichen können eine strukturorientierte, eine verhaltensorientierte und eine funktionsorientierte Betrachtungsweise unterschieden werden. Das Erkennen der symptomauslösenden Struktur dient vorwiegend der Auswahl der Art der Behandlungsmaßnahme und ihrer Lokalisation (z.B. Techniken zur Behandlung muskulärer oder kapsulärer Bewegungseinschränkungen). Bei der funktionsorientierte Betrachtungsweise gelten Haltung und Bewegung als wichtigste Funktionen des Bewegungssystems.

Wichtig Hauptaufgabe der Physiotherapie ist es, die Symptome des Patienten über eine Änderung der Bewegung bzw. Haltung zu verbessern. Nicht durch Bewegungs- bzw. Haltungsänderung deutlich zu verbessernde Beschwerden stellen eine fehlende Indikation bzw. gar Kontraindikation für die Physiotherapie dar. Eine Rückweisung an den Arzt ist erforderlich.

Die Therapieplanung ist ein Ausdruck höchst komplexer Denkprozesse. Die vereinbarten Ziele und die gewählten Interventionen müssen im Sinne des Clinical Reasoning verglichen und überprüft werden. Entsprechend der Ziele wird ein Gerüst entworfen, innerhalb dessen sich der Behandlungsprozess entwickeln soll und an dem der Patient aktiv beteiligt werden muss. Die Therapieplanung sollte folgende Faktoren berücksichtigen: 5 Ziele der Behandlung 5 Kontraindikationen für bestimmte Interventionen 5 Wahl der Intervention und ihrer Alternativen 5 Festlegung der Ausgangswerte, um gezielte Erfolgskontrollen durchführen zu können 5 Prognose, welche Resultate in welcher Zeitspanne erreicht werden können (kurz-, mittel-, langfristig)

4.1

Zielformulierung

»Wenn man nicht weiß, wohin man will, muss man sich nicht wundern, wenn man nicht ankommt.« (Mark Twain) In der physiotherapeutischen Diagnostik und Behandlungsplanung spielen die Begriffe der ICF eine bedeutende Rolle. Dort werden die Ziele auf der Funktions-, Aktivitäten- und Partizipationssebene formuliert und deren einschränkenden Faktoren definiert. Die Therapieziele werden in Nah- und Fernziele eingeteilt, um Prioritäten in der Behandlungsplanung setzen zu können. Da man nicht erwarten kann, dass der Patient in der Rehabilitation selbst die Initiative zu Aktivitäten und Partizipation ergreift, stehen diese beiden Bereiche im Vordergrund der Zielformulierung. Dafür ist die persönliche Situation eines Patienten ein wesentlicher Parameter

113

4.1 · Zielformulierung

Aktivitäten Die Bewältigung der Alltagsanforderungen im vertrauten privaten Heim erfordert z.B. Eigenständigkeit beim Einkaufen und der Erledigung von Haushaltsaufgaben. Für allein lebende Personen ist eine weitgehende Unabhängigkeit in diesen Aktivitäten oft eine unabdingbare Voraussetzung für das eigenständige Leben zu Hause. Ziel der Therapie ist es zunächst, die Selbständigkeit eines Patienten in einzelnen Bereichen zu erhalten oder wieder herzustellen.

Partizipation Informationen über die familiären Lebensumstände geben uns einen Hinweis über die Motivation des Patienten, gesund zu werden (oder krank zu sein). Es ist wichtig zu registrieren, wie der Patient über seine Krankheit spricht, da der individuelle Bewältigungsprozess von der Bewertung und Bedeutung der Krankheit maßgeblich beeinflusst wird. Die Hilfeleistungen mobilisieren die Bewältigungsressourcen des Betroffenen und unterstützen ihn bei der Bearbeitung der anstehenden Konflikte. Sie können darüber hinaus praktische Unterstützung im Alltag und Orientierungshilfen beinhalten. Da es auch immer eine Wechselwirkung von körperlichen und seelischen Symptomen gibt, sollte der Therapeut berücksichtigen, dass körperliche Reaktionen auch individuelle Bedürfnisse ausdrücken können, z.B. den Wunsch nach Aufmerksamkeit und Hilfe. Ziel der Therapie auf dieser Ebene ist, die Teilhabe des Patienten am gesellschaftlichen Leben zu unterstützen. Der Patient soll seine Ressourcen wahrnehmen und lernen, sie zu nutzen.

maßnahmen der Intervention. Folgende Faktoren werden dabei berücksichtigt: Da die Konstitution unveränderlich ist, müssen Abweichungen in Kauf genommen werden. Für die betroffenen Strukturen müssen Entlastungsstellungen gefunden werden. Diese werden dem Patienten bei der ersten Behandlungssitzung instruiert und geübt, damit er sie sofort mit Einsetzen der Beschwerden einnehmen kann. Konstitutionelle Mehrgewichte erschweren häufig das Problem. Teilsteifigkeiten müssen mobilisiert werden. Die Dauer und der Erfolg der Therapie sind abhängig von Ursache und Ausmaß der Bewegungseinschränkung. Hyper- und Hypomobilität bedingen sich oft gegenseitig und sind die Ursache oder Folge einer Haltungsabweichung. Wenn Abweichungen der Statik bereits in aufrechter Haltung Schmerzen verursachen, kommen Schubbelastungen und die reaktive Hyper- oder Hypoaktivität der Muskulatur als Auslöser für die Schmerzen in Frage, die meist gemeinsam auftreten. 5 Schubbelastungen treffen die passiven Strukturen des Bewegungsapparats, wenn die Gelenke nicht mehr axial belastet werden. Bänder und Kapseln reagieren auf propriozeptive Reize. Wenn sie dauerbelastet, d.h. überlastet werden, ist die Reaktion Schmerz. Wird der Warnruf überhört (Bagatellisierung) oder der Schmerz durch Medikamente betäubt, kommt es zu Verschleißerscheinungen. 5 Reaktive Hyperaktivität ist die normale Reaktion (Fallverhinderung) einer gesunden Muskulatur auf eine schlechte Haltung. Die Muskulatur ist jedoch für diese Dauerbeanspruchung nicht prädestiniert und reagiert mit Verspannungen und Durchblutungsstörungen.

Wichtig Die persönliche Situation eines Patienten ist abhängig von seinen Wertevorstellungen, der Lebenserfahrung, seiner Wissensbasis, kulturellen Faktoren und früheren Erfahrungen. Diese bestimmen auch wesentlich seinen Umgang mit Krankheit und Gesundheit.

Struktur und Funktion Bei der Beurteilung der Struktur und Funktion wird, abhängig vom individuellen Krankheitserleben, Prioritäten in der Zielsetzung gesetzt. Die pathobiologischen Prozesse auf Gewebeebene bestimmen die Vorsichts-

Abweichungen der Statik unterhalb des schmerzenden Bereichs sind als »schlechter Unterbau« zu verstehen. Beispiel Eine veränderte Beinachsenbelastung lässt die Beine zum schlechten Unterbau für die Wirbelsäule werden. Eine abweichende Stellung des Beckens ist ein schlechter Unterbau für den Brustkorb. Eine Fehlhaltung der Brustwirbelsäule ist ein schlechter Unterbau für den Schultergürtel und den Körperabschnitt Kopf.

Um die Statik zu verbessern, muss der Patient die Fehlhaltung und ihre Korrektur wahrnehmen können. Die Haltungskorrektur hebt die Schubbelastungen und die

4

114

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Kapitel 4 · Planung der Therapie

reaktive Hyperaktivität der Muskulatur auf, geht aber mit Hyperaktivität einher, die von einer funktionellen Fehlatmung begleitet sein kann. Diese Hyperaktivität baut sich mit zunehmendem Lernfortschritt ab. Zur Korrektur der Haltung im Stand veranlasst der Therapeut im Idealfall nur eine Gewichtsverschiebung, die dann automatisch ein Gegengewicht in Gang setzt, wenn die Belastung unter den Füßen gleich bleibt.

4.2

Behandlungsplan

Durch die sorgfältige Untersuchung hat der Therapeut bereits ein Verständnis für die Probleme des Patienten bekommen. Er bestimmt auf Grund der gefundenen Defizite und Ressourcen des Patienten, welche Anforderungen er in Form von Belastung der Muskulatur, der Koordinationsfähigkeit und der Beweglichkeit der Gelenke

dem Patienten zumuten kann und will. Auch während der Behandlung wird konsequent überprüft, ob die Behandlungsziele erreicht werden, oder ob unerwünschte Nebeneffekte auftreten. Eine Behandlung ist jedoch sehr viel mehr als das Anwenden von Behandlungstechniken und Übungen. Während das medizinische Denkmodell »Behinderung« als Problem einer Person betrachtet, das unmittelbar von einer Krankheit, einem Trauma oder einem anderen Gesundheitsproblem verursacht wird, beurteilt das biopsycho-sozio-ökologische Modell (Hüter-Becker 2005) den gesamten Lebenskontext eines Menschen. Damit unterscheiden sich auch die grundsätzlichen Behandlungsansätze: 5 Die kurative Medizin ist ursächlich ausgerichtet. Der Patient ist häufig passiv, er wird behandelt. Der Arzt bestimmt die Behandlung mit dem Ziel, den Gesundheitsschaden zu beheben oder zu stabilisieren. Im medizinischen Modell wird demnach die Krankheit behandelt, die einen nachweisbaren Auslöser hat. 5 In der Behandlungsstrategie der rehabilitativen Medizin ist der Patient aktiv und eigenverantwortlich. Er muss die Leistungen, die zum Fortschritt führen, selbst erbringen. Das erfordert ein vernetztes, multikausales Denken. Der Therapeut ist Koordinator und Berater und verfolgt das Ziel, das Verhalten des Patienten zu verändern. Damit muss die Aufmerksamkeit des Therapeuten in gleichem Maß auf das Ergebnis einer Behandlung, wie auf den Prozess gerichtet sein, der zu einem Ergebnis hinführen soll.

Grundlage und Leitmotiv des physiotherapeutischen Handelns aus Sicht der FBL-Functional Kinetics ist Bewegung. Die Aufgabe des Therapeuten besteht darin, den Patienten zu Bewegungen zu veranlassen, die seiner momentanen Belastbarkeit angepasst sind und der funktionellen Beanspruchung im Alltag entsprechen. 5 Eine zu frühe oder zu hohe Belastung nach einer Verletzung stört den Heilungsverlauf. Sie würde im ungünstigsten Fall die Traumatisierung weiter verstärken. 5 Dagegen fehlen bei einer Immobilisation die für den Heilungsprozess notwendigen Bewegungsreize, wodurch sich die Körperwahrnehmung des Patienten verschlechtert. Das hat zur Folge, dass bei einer Wiederaufnahme der Bewegung das Bewegungsverhalten des Patienten undifferenzierter ist und die lokale Belastung erhöht wird. 5 Um den Alltagsbelastungen gewachsen zu sein, benötigt der Körper formative Bildungsreize die den späteren funktionellen Beanspruchungen entsprechen. Eine Veränderung des Bewegungsverhaltens kann nur durch die aktive Mitarbeit des Patienten erreicht werden. Funktionsschulung bedeutet auch immer ein Wahrnehmungstraining für den Patienten, wobei sein Bewegungsempfinden, die Kinästhetik, verbessert wird. Das perzeptiv-manipulativ-didaktische Konzept stellt dabei eine wesentliche Grundlage für das Bewegungslernen dar. Der Therapeut begleitet und unterstützt den Patienten so lange, bis dieser selbständig zu einem physiologischen Bewegungsverhalten zurückfindet. Die Instruktionen in Patientensprache verbessern die Orientierung am eigenen Körper und vom eigenen Körper aus. So wird es möglich, selektive Bewegungen auszuführen und die Kontrolle über das Bewegungsverhalten zu erhalten. Durch die systematische Beobachtung von Menschen in Ruhe und Bewegung wird ersichtlich, dass der Körper in einer ständigen Auseinandersetzung mit der Schwerkraft steht. Das bedingt einen ständigen Umgang mit den Gewichten und erfordert entsprechende Gleichgewichtsreaktionen. Auf Grund dieser Erkenntnis wurden die therapeutischen Übungen der Funktionellen Bewegungslehre erarbeitet. Vor allem die Ballübungen sind überwiegend auf dem Prinzip des reaktiven Übens aufgebaut. Es besteht darin, dass dank geschickt gelenkter Bewegung ein therapeutisch angestrebtes Detail eines natürlichen Bewegungsablaufes automatisch und zwangsläufig in Erschei-

4.3 · Intervention

nung tritt. Mit der entsprechenden Anzahl von Wiederholungen wird dieses Detail geübt und schließlich in das Bewegungsverhalten integriert. Ein selektives Muskeltraining setzt die Koordination muskulärer Aktivitäten voraus, d.h., die bei einer Bewegung involvierten Muskeln müssen harmonisch zusammenwirken. Die Selektion kann einen bestimmten Muskel, aber auch eine Muskelgruppe betreffen. Bewegungsanalytisch ist es wichtig zu wissen, in welcher Art und Weise die Muskeln aktiviert werden. Der Therapeut entscheidet je nach Ziel und erlaubter Belastung darüber, ob und wie Muskulatur arbeiten soll. Allen Behandlungstechniken liegt ein gemeinsames Konzept zugrunde, das aus perzeptiven, manipulativen und didaktischen Elementen besteht. Die Techniken betonen jeweils einzelne Strukturen, wirken aber in der Bewegungsfunktion übergreifend. Oft ist der Übergang von einer Technik zur anderen fließend.

4.3

Intervention

Physiotherapeuten steht eine nahezu endlose Palette therapeutischer Mittel zur Verfügung. Die Maßnahmen werden durchgeführt und modifiziert, um die (mit Zustimmung des Patienten) festgelegten Ziele zu erreichen. Die optimale Intervention gibt es jedoch nicht. Vielmehr können mehrere Möglichkeiten zum gleichen Ziel führen. Als optimal erweist sich oft die kontinuierliche reflektierte Improvisation. Physiotherapeuten sollten in der Lage sein, aus mehreren Methoden ein maßgeschneidertes Behandlungsprogramm zusammen zu stellen, das immer die Verbesserung des Aktivitäten- und Partizipierungsniveaus des Patienten vor Augen hat. Die Leitgedanken für die Intervention aus Sicht der FBL-Functional Kinetics stellen sich wie folgt dar: 5 Der Therapeut ist sich stets der Wirkung der Auseinandersetzung des Bewegungssystems mit der Schwerkraft bewusst. 5 Er schließt aus der Richtung der Bewegung und aus der Lage der Bewegungsachsen auf die geforderten Muskelaktivitäten. 5 Er ist sich stets bewusst, dass das Bewegungsverhalten von Gleichgewichtsreaktionen geprägt ist. 5 Die in der FBL angewandten Beobachtungsverfahren liefern Daten über die Harmonie einer Bewegung, die Koordination, den Rhythmus, das Bewegungsausmaß usw. Sie sind äußerst praxisrelevant und schließen die

115

Fähigkeit des Therapeuten ein, räumliche und zeitliche Qualitäten der Bewegung intuitiv zu erfassen.

4.3.1 Zugrunde liegende Prinzipien Das Bewegungslernen steht im Vordergrund der Behandlung. Nach dem Prinzip der FBL-Functional Kinetics soll das Therapieziel in der Reaktion auf eine Bewegung und die dadurch entstehende Gewichtsverschiebung liegen. Die aus dem Bewegungsauftrag folgenden Reaktionen werden dem Patienten nicht bewusst. Der Therapeut aber sieht sie voraus und plant sie als eigentliches Therapieziel ein. Die Veränderung der statischen Abweichungen und der Kondition des Patienten während der Therapie bedingt eine ständige Anpassung der Übungen. Durch unmittelbare Bewegungsbeobachtung und die anschließende Auswertung wird die jeweilige Therapieform gewählt, die sich am normalen Bewegungsverhalten des gesunden Menschen orientiert. Die Anwendung der Bewegungstherapie, ihrer Techniken und ständig angepasster Instruktionen, schöpft aus einem Angebot vielfältiger therapeutischer Übungen, durch die der Patient lernen kann, funktionelle Probleme zu beheben und ein ökonomisches Bewegungsverhalten wieder zu erlangen. Behandlungstechniken wie die hubfreie Mobilisation, die widerlagernde Mobilisation der Gelenke und die mobilisierende Massage sind elementare Bestandteile der FBL-Therapie, wobei die Übungen mit dem Pezziball zu den bekanntesten gehören. Voraussetzung für erfolgreiches therapeutisches Üben ist die Wahl einer geeigneten Übung. In der FBL gibt es keine »Übungsprogramme« für bestimmte Krankheitsbilder. Die Auswahl der therapeutischen Übungen orientiert sich am funktionellen Status des Patienten und dem daraus formulierten funktionellen Problem. Durch die Bestimmung des Lernzieles werden bestimmte Funktionen benannt, die mit der Übung hauptsächlich angesprochen werden sollen. Es handelt sich dabei immer um komplexe Bewegungen, die sehr viel Koordination und Reaktionen vom ganzen Bewegungssystem verlangen. Die in der FBL-Functional Kinetics beschriebenen Modellübungen können als Grundlage zur Konzipierung individuell angepasster Übungen dienen.

4

5

Motorisches Lernen Tiziana Grillo Juszczak 5.1

Historische Aspekte

– 118

5.2

Lernen – 118

5.2.1 5.2.2 5.2.3

Begriffe – 118 Motorisches Lernen als Prozess Lernphasen – 120

5.3

Lernbeeinflussende Faktoren

5.3.1 5.3.2 5.3.3

Sensorische Modalitäten Zielbezug – 121 Feedback – 122

– 121

5.3.4 5.3.5 5.3.6 5.3.7

Mentales Üben – 123 Vorzeigen – 123 Motivation – 124 Umgebung – 124

5.4

Physisches Üben

5.4.1

Bedeutung des physischen Übens – 125 Variieren – 125 Repetieren – 126 Segmentieren – 126

– 119

– 121 5.4.2 5.4.3 5.4.4

– 125

118

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Kapitel 5 · Motorisches Lernen

Um den Begriff »Motorisches Lernen« verständlich zu machen, müssen die beiden beteiligten Aspekte –Lernen und Motorik – näher betrachtet werden. Lernen wird im Allgemeinen mit Verhaltensänderung gleichgesetzt. Unter Motorik wird die Gesamtheit aller internen Vorgänge – sowohl emotionaler, motivationaler, sensorischer und kognitiver Natur – zusammengefasst, die bei der Erzeugung von Bewegungen beteiligt sind (vgl. Roth und Willimczik, 1999). Entsprechend befassen sich viele unterschiedliche Wissenschaftsdisziplinen mit diesem Thema. So wird z.B. in der Lernpsychologie Lernen als ein zur Verhaltensänderung hinführender Prozess betrachtet. In der Pädagogik wird der Zusammenhang von Lernen und Erziehung untersucht. Und aus den Sportwissenschaften ist motorisches Lernen nicht mehr wegzudenken. In der Medizin ist das motorische Lernen v.a. im Bereich der Neurologie und natürlich in der Physiotherapie von Interesse. Die Literatur zum motorischen Lernen bietet unterschiedlichste Hypothesen und Denkmodelle zur Wirksamkeit von Lehrstrategien an. Ziel dieses Kapitels ist es, einige Aspekte zum Bewegungslernen darzustellen. Es soll Physiotherapeuten als theoretische Basis dienen, auf der sie ihre Interventionen, z.B. in Form von aktiver Bewegungstherapie, lerneffizienter aufbauen können.

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5.1

Historische Aspekte

Es werden zwei prägende Epochen für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen Lernen beschrieben: die Zeit des Behaviorismus (1900 bis ca. 1950) und jene des Kognitivismus (ab ca. 1960). 5 Behavioristen betrachteten Verhalten als eine Folge von Reiz- und Reaktionsverknüpfungen. Berühmt wurden die Experimente von Pawlow, der das Verhalten von Hunden »programmierte« und somit deren Verhalten konditionierte; es wird auch von programmiertem Lernen gesprochen. 5 Im Zeitalter des Kognitivismus wurde begonnen, die Prozesse im zentralen Nervensystem (ZNS) zu untersuchen. Die Informationsverarbeitung und die aktive Problemlösung waren Untersuchungsziele. Die entscheidende Neuerung im Vergleich zum Behaviorismus war, dass nicht mehr nur von außen objektiv feststellbare Reiz-Reaktions-Muster Gegenstand der Forschung waren, sondern dass auch die entspre-

chenden internen Prozesse in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses rückten. In der Gehirnforschung hat sich innerhalb der vergangenen Jahrzehnte dank technischer Entwicklungen eine neue Welt aufgetan. Zahlreiche Hypothesen über die Funktionsweise des ZNS werden diskutiert. So zählt z.B. Shumway-Cook (1995) folgende Theorien auf, die für die motorische Kontrolle verantwortlich sind: 5 Reflex Theorie 5 Hierarchische Theorie 5 Motorisch programmierende Theorie 5 Systemische Theorie 5 Dynamische Aktionstheorie 5 Parallel verarbeitende Prozesstheorie 5 Aufgabenorientierte Theorie Welche dieser Theorien tatsächlich die Phänomene der motorischen Kontrolle am besten erklärt, wird die Wissenschaft auch in Zukunft noch beschäftigen.

5.2

Lernen

5.2.1 Begriffe »Lernen ist eine relativ andauernde Veränderung der Fähigkeit zu antworten, die aus der Übung oder Erfahrung hervorgeht.« Diese von Schmidt (1975) eingebrachte allgemeine Definition des Begriffes Lernen gilt mehrheitlich als akzeptiert (Magill 2001). Einer neueren Definition von Hossner und Künzell (2003) zufolge ist motorisches Lernen »die erfahrungsabhängige und relativ überdauernde Veränderung der Kompetenz, in bestimmten Situationen durch ein bestimmtes Verhalten bestimmte Effekte zu erzielen«. Diese Definition legt einerseits klar fest, dass gelerntes Verhalten nicht unbedingt gezeigt werden muss, obwohl es eigentlich beherrscht wird (»Kompetenz«). Andererseits gilt vorübergehend gezeigtes Verhalten nicht als gelerntes Verhalten (»relativ andauernd«). Folglich muss »Ausführung« deutlich von »Lernen« unterschieden werden. Denn Ausführungseffekte, die während einer Bewegung sichtbar sind, können nach einer bestimmten Zeit nicht mehr festgestellt werden. Sie sind also nur kurzfristig erkennbar, es wird von einer

119

5.2 · Lernen

temporären Wirkung gesprochen. So kann sich z.B. durch die Behandlung ein Hinkmechanismus verbessern. Wenn aber nach der Therapie auf dem Heimweg der Hinkmechanismus wieder sichtbar wird, hat die Person die neue Bewegung noch nicht gelernt, sondern sie konnte sie lediglich während der Therapie ausführen. Erst wenn die Auswirkungen länger anhalten, wird das als Lerneffekt (= »relativ andauernd«) betrachtet. Als Transferfähigkeit wird bezeichnet, wenn eine Bewegung in einer veränderten Umgebung ausgeführt werden kann (Nicholson 2002). > Klinische Relevanz Wenn wir einem Patienten erfolgreich eine neue Bewegungssequenz instruiert haben und er diese fehlerfrei durchführt, bedeutet das nicht, dass er die neue Bewegung auch tatsächlich gelernt hat. Er kann die Bewegung »nur« ausführen. Erst wenn er diese Bewegung in der nächsten Behandlung fehlerfrei ausführt, kann gesagt werden, dass er die Bewegung gelernt hat. Ist es ihm möglich, die Bewegung z.B. am Arbeitsplatz auszuführen, dann hat er die Bewegung erfolgreich transferiert. Neulernen (neue Fertigkeit lernen), wird von Wiedererlernen (erneutes Lernen einer früher automatisierten Fertigkeit, die durch eine Schädigung verunmöglicht wurde) unterschieden und dieses wiederum von Weglernen (es wird gelernt, eine mit zu viel Kraft ausgeführte Bewegung ökonomischer auszuführen) (Bader–Johansson 2000). Sowohl Wiedererlernen als auch Weglernen werden als aktive Prozesse verstanden (Schmidt 1999), wenn ein anhaltender Effekt erzielt werden soll.

5.2.2 Motorisches Lernen als Prozess Lernen wird als ein aktiver Prozess sowohl für den Körper als auch für das Gehirn definiert. Übungsbedingungen, die eine aktive Beteiligung des Lernenden fordern, fördern das Lernen. Vorgefertigte Bewegungen, die als Lösungen instruiert werden, sind weniger hilfreich. Der motorische Lernprozess kann folgendermaßen beschrieben werden: Eine ankommende Information wird wahrgenommen und im sensomotorischen Gedächtnis dekodiert, d.h. sie wird mit bereits abgespeicherten Erfahrungen, Kenntnissen und Fertigkeiten verglichen. Die so abgerufenen Informationen veranlassen den Menschen etwas zu tun (= Wiedergabeleistung). Das Resultat

wird mit dem ursprünglichen Ziel verglichen: Bei Abweichungen werden Korrekturen vorgenommen. Nervenzellen sind untereinander mit Synapsen verbunden; deshalb wird davon ausgegangen, dass Lernen v.a. auf der synaptischen Ebene stattfindet. An jede Nervenzelle koppeln Tausende von Synapsen. Je häufiger bestimmte Verbindungen verwendet werden, umso verlässlicher ist die Impulsübertragung und umso automatischer die Bewegungsausführung. Dem Sprichwort »Use it or loose it« wird damit Rechnung getragen. Ob und welche Nervenzellverbindungen gebildet werden, ist u.a. abhängig von der Kapazität und Art der Gedächtnisleistung. So werden z.B. 5 motorische Muster im prozeduralen Gedächtnis als implizite Leistung

5 Faktenwissen jedoch als explizite Leistung im deklarativen Gedächtnis abgespeichert (Dudel et al, 1996). Dies muss bei der Wahl der zu lernenden Bewegung bewusst einbezogen werden. Erfolge beeinflussen die Motivation, wobei Fehler das Lernen fördern. Adams (1971) und Schmidt (1975) entwickelten verschiedene Theorien: In Schmidts Schematheorie dienen so genannte generalisierte Motorikprogramme der Steuerung von Bewegungen. Generalisiert heißt, dass die groben Strukturen, die Invarianten der Bewegung, gespeichert vorliegen; dieses Grobprogramm muss entsprechend den aktuellen Situationsanforderungen parametrisiert werden. Dazu dienen durch Erfahrung erworbene Schemata. Die Bewegungsevaluation erfolgt bei Schmidt nachträglich und modifiziert das entsprechende Motorikschema. Im Gegensatz dazu spricht Adams (1971) von einem unmittelbaren Fehlerentdeckungsmechanismus, der so genannten perzeptiven Spur. Bewegungen werden gemäß Adams vom sensorischen Gedächtnis begleitet, das Abweichungen von der Zielbewegung unmittelbar korrigiert (Regelkreistheorie). Beide Ansätze ermöglichen dem Lernenden, die eigenen Fehler in der Bewegungsausführung zu erkennen, jedoch nur, wenn die entsprechenden Bedingungen (7 Kap. 5.3.3 Feedback) vom Lehrer eingehalten werden (z.B. nach der Bewegungsausführung genügend Zeit geben, damit das Gehirn des Lernenden Zeit zur Informationsverarbeitung hat). Neuere Ansätze zum motorischen Lernen betonen sogar die positive Bedeutung von Fehlern als Grundlage motorischen Lernens (z.B. Differentielles Lernen).

5

120

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Kapitel 5 · Motorisches Lernen

Neben dem sensomotorischen Lernen wird auch die Wichtigkeit des Gefühls betont: Somit kommt dem limbischen System eine zentrale Rolle zu. Schnelles Lernen ist meist stark mit Gefühlen besetzt und basiert häufig auf »Aha-Erlebnissen«, starker Freude, Stressempfindungen usw. (Bader-Johansson, 2000).

5.2.3 Lernphasen Von verschiedenen Autoren werden  bis  Lernstadien beschrieben (Fitts und Posner 1967, Adams 1971, Gentile 1972, Müller 1997, Schewe 1988, Magill 2001), die teilweise auf historischen Denkmodellen basieren. So betrachtet z.B. Gentile (1972) den Einfluss der Umweltfaktoren und die Komplexität der Aufgabe als zum Lernen gehörende Aspekte, die bei Fitts/Posner (1967) und Adams (1971) nicht oder kaum einbezogen werden. Überwiegend wird jedoch von 3 Phasen gesprochen. Kognitive Phase (frühes Stadium) 5 Lernende nehmen die Informationen v.a. sprachlich

bewusst auf. In dieser Phase sind Lernende stark durch externe Reize störbar. 5 Das ZNS hat das Ziel Informationen aufzunehmen, um eine Idee der Aufgabe zu erhalten. Es muss Bewegungsstrategien und -muster entwickeln. Dieses Stadium ist wegen der immensen Informationsverarbeitung sehr zeitaufwändig. Es verlangt viel Aufmerksamkeit von den Lernenden. Als Lernstrategie wird das Prinzip »Versuch und Irrtum« angewandt. 5 Das beobachtbare Bewegungsverhalten zeichnet sich durch eine grobe Ausführung aus. Es kommt zu vielen Fehlern, das Timing ist falsch und die Bewegungsausführung variiert sehr stark. Rasche Fortschritte sind zu verzeichnen, jedoch kann ein Ziel selten dreimal nacheinander erfolgreich erreicht werden (Schewe 1988, Gentile 1972) – und wenn, wird das als »Anfänger-Glück« bezeichnet. Assoziative Phase (mittleres Stadium) 5 Lernende nehmen Informationen zwar in zuneh-

mendem Maße automatisch auf, sie benötigen aber dennoch relativ viel Aufmerksamkeit. Auch in diesem Stadium sind Lernende durch externe Reize noch störbar. 5 Das ZNS vergleicht Neues mit Bekanntem und entwickelt Verknüpfungsmechanismen und Synergien. Die Aufmerksamkeit wird angepasst: Gruppieren und Differenzieren sind die Hauptaufgaben. Interne Ver-

gleichskriterien für Korrektheit entwickeln sich, sog. interne »Fehlerentdeckungsmechanismen«, mit der Funktion, Fehler im Bewegungsablauf aufzuspüren. 5 Das beobachtbare Bewegungsverhalten wird in der Bewegungsausführung regelmäßiger, feiner und flüssiger. Die Fehler werden geringfügiger und treten weniger häufig auf. Die Verbesserungen entwickeln sich je nach Lerntyp und Intensität des Übens langsamer. Autonome oder automatische Phase (spätes Stadium) 5 Lernende sind sich ihrer Informationsaufnahme nicht

mehr bewusst. In diesem Stadium wird von »Expertise« gesprochen, die mit den berufstypischen Fähigkeiten z.B. von Sportlern, Informatikern oder Berufsmusikern vergleichbar ist. In diesem Stadium sind Lernende nicht mehr durch externe Reize störbar: sie können sogar zwei Dinge gleichzeitig ausführen. 5 Das ZNS hat eine hohe Anpassungsfähigkeit an Umgebungsbedingungen optimiert. Die Fähigkeit zur Antizipation ist vollständig entwickelt. 5 Im beobachtbaren Bewegungsverhalten ist die Ausführung automatisch, regelmäßig und ökonomisch. Es wird nur eine minimale Aufmerksamkeit benötigt, so dass zwei Dinge gleichzeitig ausgeführt werden können (»dual tasking«). Fehler in der Bewegungsausführung können selbständig entdeckt und korrigiert werden. Die Fortschritte sind kaum wahrnehmbar. Diese Phase wird daher auch als Lernplateau bezeichnet. Berühmt und mit therapeutischen Konsequenzen ist die Untersuchung zum Thema »dual task« von Geurts und weiteren Autoren (1991) bei Menschen mit Amputationen. Sie bezeichnen »dual task« als mögliches Instrument, um sich ein Urteil zu bilden, wie weit eine Tätigkeit automatisiert ist (untersucht wurde die Balancefähigkeit von beinamputierten Menschen, die zusätzlich kognitive Aufgaben zu erfüllen hatten). Zwei Dinge auf einmal ausführen zu können (z.B. stehen und gleichzeitig verbale Antworten geben) wird von den Autoren als Zeichen einer fortgeschrittenen Reorganisation im Gehirn gewertet. > Klinische Relevanz Von diesen Lernphasen sind für Bewegungslehrer v.a. die ersten beiden erkennbar. Sie sind deshalb wichtig, weil an der Bewegungsausführung einerseits und an der Intensität der benötigten Aufmerksamkeit andererseits sichtbar wird, wie weit der Lernende fortgeschritten ist

121

5.3 · Lernbeeinflussende Faktoren

und welche Lehrstrategien anzuwenden sind. Benötigt der Lernende weniger Aufmerksamkeit für die neu erlernte Bewegung, kann der Physiotherapeut eine zweite kognitive Aufgabe hinzufügen. Ist es möglich, beide Fertigkeiten gleichzeitig auszuführen, befindet sich der Lernende wahrscheinlich in einer fortgeschrittenen Lernphase.

In der ersten Lernphase sind Lernende Anfänger und in der letzten sind sie Experten. Beim Lernen gehen Anfänger anders vor als Experten, weil bei den beiden Gruppen die Verarbeitungsprozesse im Gehirn unterschiedliches Vorwissen beinhalten. Während Lernanfänger eine Aufgabe kognitiv erfassen, erkennen Experten Muster, bilden Strategien und sind fähig zu antizipieren. 5 Anfänger konzentrieren sich auf den Bewegungsauftrag und die damit verbundenen Regeln. Ihre Bewegungen wirken steif und erfordern viel Aufmerksamkeit. Ihr Vorgehen nach dem Prinzip »Versuch und Irrtum« führt zu einer ungleichmäßigen Bewegungsausführung, weil das ZNS zu viele Modifikationen ausführt, die eine kontinuierliche Planung von Bewegungsmustern verhindern. 5 Experten erkennen die für die Bewegung relevanten Informationen und gruppieren bzw. differenzieren diese. Lernen wird bei Experten stark von der Aufgabe bestimmt (Gentile 2000, Goodgold 1993). Experten verwenden weniger Aufmerksamkeit auf das Ausführen einer Bewegung und können sich gleichzeitig noch anderen Tätigkeiten widmen.

5.3

um ein Ziel anzuzeigen oder um einen Widerstand anzubieten. 5 Das Benutzen von visuellen Informationen wurde jahrelang unterschätzt. Vor- und Nachmachen wurde als wenig sinnvoll erachtet. Neueste Studien zeigen jedoch, dass das »Vorzeigen« ein durchaus sinnvolles Medium sein kann (7 Kap. 5.3.5). Unterschiedliche Autoren bezeichnen folgende Faktoren als die lernbeeinflussenden Faktoren. Bei dieser Aufzählung besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit. 5 Zielbezug 5 Feedback 5 Mentales Üben 5 Vorzeigen 5 Motivation 5 Umgebung 5 Physisches Üben Zu einigen Faktoren wurden bereits Untersuchungen durchgeführt, wobei Überträge von Studienresultaten auf klinische Situationen mit Vorsicht zu betrachten sind. Zum einen werden Studien oft in Laborsituationen durchgeführt und zum anderen beansprucht die getestete Tätigkeit häufig nur eine Extremität. Außerdem sind es meist einfache Aufgaben, die nicht dem Alltag von Lernenden entsprechen. Leider wurden bis jetzt nur wenige Untersuchungen im physiotherapiespezifischen Kontext durchgeführt. Ausgenommen davon sind Untersuchungen innerhalb der Neurologie. Von einigen Autoren (Winstein 1991, Magill 2001) werden Parallelen von der Neurologie zur Physiotherapie aufgezeigt.

Lernbeeinflussende Faktoren

5.3.1 Sensorische Modalitäten

5.3.2 Zielbezug

In der Physiotherapie werden, je nach Umweltanforderung und klinischer Problematik zur Instruktion und Korrektur von Bewegungsabläufen u.a. verbale, taktile und visuelle Strategien angewendet. 5 Verbale Anleitungen in geeigneter Form können zu Beginn eines Lernprozesses durchaus als sinnvolle Strategie bezeichnet werden. Verbale Rückmeldung wurde daher auch ausgiebig erforscht. 5 Taktile Information wird im Sinne einer manipulativen Hilfegebung benutzt, um z.B. der Muskulatur kontrahierende oder verlängernde Stimuli zu geben,

Eine Bewegung oder Aktivität wird nie ohne Ziel gelernt. Es ist deshalb wichtig, dass das Ziel wahrnehmbar, erreichbar und real ist. Schmidt (1999) misst dem auf ein Ziel gerichteten Bewusstsein eine zentrale Rolle beim Wiedererlernen einer Bewegung zu. Motorisches Lernen führt zu einer Erhöhung der Synapsenanzahl pro Neuron. Dieses Phänomen tritt jedoch nur ein, wenn die Bewegung einen Zielbezug hat.

5

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1 2

Kapitel 5 · Motorisches Lernen

Wichtig

Wichtig

Langanhaltendes Lernen mit sichtbarer Zunahme der Synapsendichte in den motorischen Arealen braucht ein Ziel! (Dudel 1996).

In der Physiotherapie ist die verbale Bewegungsanleitung und -korrektur ein weit verbreitetes Mittel. Die Literatur zeigt Evidenzen, dass verbale Rückmeldung nur dann effizient das Bewegungslernen unterstützt, wenn sie definierte Kriterien berücksichtigt. Je nach Art des Feedbacks kann verbale Rückmeldung fördern, hemmen oder gar keinen Effekt zeigen (Magill 2001).

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5.3.3 Feedback Feedback bedeutet Rückmeldung. Jede Bewegung erzeugt während und unmittelbar nach der Ausführung eine Rückmeldung über das Bewegungsresultat. Feedback wird in intrinsisches und extrinsisches Feedback unterteilt: 5 Intrinsisches Feedback entsteht aus den körpereigenen Systemen wie z.B. Ober- und Tiefensensibilität, Vestibulum und Augen. Diese Art der Rückmeldung läuft in der Regel unbewusst ab. Die ausgeführte Bewegung wird vom ZNS mit der Zielvorgabe verglichen und abweichende Resultate werden zur Verbesserung der nächsten Bewegung verwendet. 5 Extrinsisches Feedback ist eine von außen gegebene Rückmeldung, z.B. durch einen Lehrer oder Therapeuten. Es wird deshalb auch als verstärktes (augmented) Feedback bezeichnet. In der Literatur werden zwei Arten von extrinsischem Feedback unterschieden: 5 Knowledge of result (KR) gibt Information über das Bewegungsresultat im Bezug zum Ziel, also darüber ob das Ziel erfolgreich erreicht wurde oder nicht. 5 Knowledge of performance (KP) gibt Information über die Bewegungsausführung, d.h. über die Bewegungsqualität. Es ist die Rückmeldung darüber, wie die Bewegung abläuft (Gentile 2000). Vor allem »Knowledge of result« wurde bezüglich Lernwirksamkeit untersucht, und es scheint, dass die Studien zu »Knowledge of performance« die Resultate von »Knowledge of result« bestätigen. »Knowledge of performance« ist geeignet für das Üben einer exakten Bewegungsausführung und »Knowledge of result« zum Lernen einer Bewegung (Winstein 1994). »Knowledge of result« ist bezüglich des Lernens einer Bewegung effizienter als »Knowledge of performance« (Winstein 1991, Mc Nevin 2000). Viitasalo JT (2001) fand keine Unterschiede zwischen KR und KP.

Verbales Feedback und Instruktion Die Wirkung von verbalem Feedback und Instruktion wurde bezüglich der Häufigkeit, des Zeitpunkts und der Genauigkeit untersucht. Es gibt Studienergebnisse (Evidenzen) (Ho 1978, Vander Linden 1993, Winstein 1991/1996), die besagen, dass: 5 Feedback nach der Bewegung effektiver ist als während der Bewegung 5 Feedback bei jedem zweiten oder fünften Mal nach der Bewegung lernwirksamer ist als jedes Mal 5 ausblendendes Feedback das Lernen zusätzlich unterstützt (Nicholson 1991) 5 verzögertes Feedback (um einige Sekunden) lerneffektiver ist (Swinnen 1990) Die ersten beiden Evidenzen werden mit folgenden Hypothesen begründet: 5 Die Führungshypothese (Magill 2001) besagt im Wesentlichen, dass viel Rückmeldung abhängig machen kann. 5 Die Gleichmässigkeitshypothese (Winstein und Schmidt 1990) stellt dar, dass viel Rückmeldung zu schlechten Adaptationen des Bewegungsverhaltens führt und somit zu unregelmäßigen Bewegungsmustern. > Klinische Relevanz: Verbale Rückmeldung soll sparsam angebracht werden und nachdem der Patient die Bewegung ausgeführt hat. Wenn es dem Langzeitlernen dienen soll, muss die verbale Rückmeldung mit zunehmender Lernerfahrung ausgeblendet werden. Sollen Bewegungen sofort korrekt ausgeführt werden können (z.B. eine Rückendisziplin bei akuten Schmerzzuständen oder die korrekte Teilbelastung bei Gelenker-

123

5.3 · Lernbeeinflussende Faktoren

satz), muss mehr instruiert und der Fokus auf maximal drei relevante Aspekte gelegt werden. Um dem Fehlerentdeckungsmechanismus Rechnung zu tragen, ist es sinnvoll, einige Sekunden zu warten, bevor Rückmeldung gegeben wird. In späteren Lernstadien kann es sogar sinnvoller sein, den Patienten nach seiner Fehlereinschätzung selbst zu fragen. Neben der »technischen« Bedeutung des Feedbacks gibt es aber eine assoziative Komponente (Lob oder Tadel), deren Effekte nicht zu unterschätzen sind (7 Kap. 5.3.6). Durch Instruktion und Rückmeldung kann die Aufmerksamkeit des Lernenden auf unterschiedliche Aspekte fokussiert werden. 5 Ein externer Fokus besteht, wenn durch Instruktion und Feedback die Aufmerksamkeit des Lernenden auf einen Punkt außerhalb des Körpers gelenkt wird, z.B. auf die Ski unter den Füssen, den Golfschläger, die Richtung des Volleyballs beim Aufschlag. 5 Im Unterschied dazu wird beim internen Fokus die Aufmerksamkeit auf einen körpereigenen Punkt gelenkt, z.B. auf die Füße auf den Skiern, den Armschwung, die Schulterbewegung. Studien von Todorov et al 1997 und Wulf et al 2002 belegen, dass es lernwirksamer ist, den externen Fokus zu benutzen. Das bedeutet z.B., dass Ballübungen oder die Orientierung des Körpers in der Umwelt lernwirksam sind. Verbale Hilfen werden oft zusammen mit dem Demonstrieren einer Bewegung verwendet (7 Kap. 5.3.5.).

eine zuvor erfolgreich durchgeführte Bewegung repetitiv vorzustellen. Es gibt eine interne und eine externe Vorstellungsform. 5 Bei der internen Form stellt sich der Lernende vor, in seinem Körper zu sein und die Bewegung zu machen. 5 Bei der externen Form ist der Lernende ein Beobachter und stellt sich vor, sich selbst von außen zu betrachten. Die Effizienz dieser beiden Formen wird nicht miteinander verglichen. Wichtig ist, dass nicht so getan wird »als ob«, sondern dass sich der Übende realistische Bewegungen vorstellt. Untersuchungen zum mentalen Üben gehen drei Fragen nach: 5 Welche Rolle spielt das mentale Üben beim Erwerb einer motorischen Fertigkeit? 5 Wie effektiv ist mentales Üben für einen Lernenden im Anfangsstadium oder beim Wiederlernen?

5 Kann mentales Üben die Ausführung einer gut gelernten Bewegung verbessern? Vergleicht man Versuchsgruppen, die physisch üben, mit Gruppen, die mentale Trainingseinheiten absolviert haben, sowie mit Kontrollgruppen, die kein Training erhalten haben, dann zeigt das physische Üben die besten Effekte. Das mentale Training zeigt gegenüber gar keinem Training dennoch die besseren Resultate. Eine Untersuchung von McBride und Rothstein (1979) zeigt, dass mentales Training kombiniert mit physischem Üben besser ist als physisches Üben allein.

5.3.4 Mentales Üben Mentales Üben ist das bewusste Denken und »mentale

Durchleben« einer Bewegung. Im Unterschied dazu ist Antizipation unbewusst und ein Prozess im Rahmen der Bewegungsplanung. Beide Aspekte bewirken im Gehirn Veränderungen (Mehrdurchblutung) der entsprechenden Areale. Mentales Training kann drei Ziele haben: 5 Vorbereitung für eine unmittelbar darauf folgende bereits gelernte Aktivität 5 Lernen einer neuen Aufgaben 5 Aktivität unterstützen und ein besseres Ergebnis erreichen. Aus dem Sport ist das mentale Training nicht mehr wegzudenken, und auch in der Therapie ist es wichtig, sich

5.3.5 Vorzeigen Studien zeigen, dass eine Bewegung vorzumachen eine durchaus sinnvolle Methode sein kann. Entgegen bisherigen Annahmen, dass es ein isoliertes »Sehzentrum« gibt, ist nun erwiesen, dass visuelle Informationen in unzähligen Zentren verarbeitet und mit anderen Informationen verknüpft werden. Zudem konnte festgestellt werden, dass das Demonstrieren einer Bewegung sehr lehrreich sein kann, und zwar umso effizienter, wenn das Modell selbst Fehler macht, z.B. auch Patient ist. Dies gilt besonders zu Beginn des Lernens. Zu einem späteren Zeitpunkt ist es motivierender, geschickte Modelle als Lernvorbilder zu haben. Sinnvoll ist es, die Bewegung zu demonstrieren, bevor sie ausgeführt werden soll.

5

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Kapitel 5 · Motorisches Lernen

Das Vorzeigen wird häufig mit verbalen Hilfen kombiniert. Dabei muss die Menge an verfügbarer Aufmerksamkeit beachtet werden. Diese ist v.a. bei Lernanfängern begrenzt, und daher sollen verbale Hilfen möglichst kurz und prägnant sein (ein bis zwei Worte). Die Stichworte sollen die Aufmerksamkeit auf die relevanten Aspekte der Bewegung lenken. Dass der Zeitpunkt der verbalen Hilfe sorgfältig gewählt werden muss, wurde bereits im Abschnitt über Feedback (7 Kap. 5.3.3) ausführlich betrachtet. Vorzeigen hat auch Modellfunktion, d.h. der Patient lernt von seinem Modell, dem Physiotherapeuten. Bandura (1976) spricht vom »Lernen am Modell«. Effektiv gelernt kann nur werden, wenn das Modell: 5 erfolgreich bei der Tätigkeit ist, 5 die Aufmerksamkeit des Lernenden auf die relevanten Aspekte fokussieren kann, 5 kompetent ist, 5 angesehen, beliebt, attraktiv ist (Persönlichkeit), 5 emotional ansprechend ist, 5 positives Feedback gibt. Wichtig Damit die Bilder der vorgezeigten Bewegungen im ZNS nicht um 180° rotiert werden müssen, sollte die Bewegung mit dem Rücken zum Beobachter vorgezeigt werden. (Shepard 1971).

13 14

5.3.6 Motivation

15

Die primäre Motivation ist der tief liegende Grund oder Wunsch, etwas zu tun oder nicht zu tun. Dieser Antrieb ist oft nicht bewusst. Die sekundäre Motivation ist ein dem Bewusstsein zugänglicher Grund, der Antrieb, etwas zu tun. Die physiotherapeutische Behandlung führt oft nicht zum Erfolg, wenn lediglich die Sekundärmotivation angesprochen wird. Eine Sekundärmotivation kann sein, selbständig und ökonomisch zu gehen. Die Primärmotivation kann jedoch die Erfüllung der Wünsche nach sozialen Begegnungen sein. Diese im Menschen liegende Motivation ist intrinsisch. Die Physiotherapeutin motiviert von außen, d.h. extrinsisch. Soll der motorische Lernprozess gelingen, muss die extrinische Motivation die intrinsische verstär-

16 17 18 19 20

ken. Zudem sollte es gelingen, die tiefer liegenden Bedürfnisse der Betroffenen anzusprechen (Baviera 2001). Sowohl Erfolge als auch Misserfolge können als Motivatoren dienen. Feedback muss motivieren. Das bewirkt Verstärkung: »Dieses Mal hast Du die Bewegung schon viel besser gemacht! Willst Du es noch ein Mal versuchen?«. Diese Aussage wird motivieren, an der zu lernenden Aufgabe weiter zu üben. Negative Verstärker sind Verunsicherung, schlecht angebrachte Kritik, Ablehnung, psychischer Druck usw. Die Motivation kann unterstützt werden, wenn Patienten in den Therapieprozess miteingebunden werden und z.B. selber die Ziele oder Therapiefrequenz mitbestimmen dürfen. Auch Rückfragen zur eigenen Wahrnehmung, z.B.: »Was gelingt Ihnen bei der Übung bereits gut – an was müssten Sie noch arbeiten?« fördern die Motivation und verbessern das Vertrauen in die Eigenwahrnehmung. (siehe dazu auch 7 Kap. 5.3.3) Motivation hat einen engen Bezug zur Emotion und ist an das limbische System gekoppelt. So können bildhafte Vorstellungen Emotionen hervorrufen oder ein Witz kann dazu verhelfen, dass der Patient sich zu Hause an die lustige Therapiesituation erinnert.

5.3.7 Umgebung Antoinette Gentile (2000) hat Bewegungen in 16 Aufgaben in Bezug auf. Handlungen eingeteilt. Sie stellt einen Bezug der Aufgabe sowohl zur Umgebung als auch zum Menschen her. Die Klassifizierung erfolgt nach Kriterien wie z.B. repetitive oder variierende Bewegungen und zusätzliche Bewegungen der Extremitäten. So entstehen sog. geschlossene und offene Aufgaben. Beispiel Ein Beispiel für eine geschlossene Aufgabe in einer nicht variierenden Umgebung und mit stabilem (standortkonstantem) Körper und ohne Extremitätenbewegungen ist das Sitzen oder das Stehen. Ein Beispiel für eine offene Aufgabe in einer variierenden Umgebung und mit bewegtem (standortverändertem) Körper und mit Extremitätenbewegungen ist das Rennen, um einen Ball zu fangen oder durch eine Menschenmenge zu gehen und ein strampelndes Kind zu halten.

125

5.4 · Physisches Üben

5 Bei geschlossenen Aufgaben ist es dem Gehirn eher möglich zu antizipieren, ohne dabei viele Informationen verarbeiten zu müssen. 5 Dagegen erfordern offene Aufgaben viel Aufmerksamkeit und eine große Menge an Informationsverarbeitungsprozessen. Offene Aufgaben sollen zur Selbständigkeit im Alltag hinführen. > Klinische Relevanz Die Taxonomie (Klassifizierung) nach Gentile kann zur Progression innerhalb der Behandlungen gesehen werden. Wenn ein Bewegungsablauf, z.B. das Gehen im Behandlungsraum (gemäß Gentile wäre dies eine geschlossene Aufgabe), gelernt wurde, dann muss das Gehen zunehmend in eine offene Aufgabe verändert werden: Eine Patientin nach einer Hüftoperation soll lernen, in der Eingangshalle in einer Menschenmenge mit dem Strom oder dagegen zu gehen. Oder sie muss z.B. an Lifttüren vorbeigehen, die sich plötzlich öffnen könnten. In der Betrachtungsweise der ICF würde dies als eine zur Partizipation hinführende Progression bezeichnet werden. Zudem dient die Taxonomie einem Setting-Vergleich während der Therapie. Sie beschreibt, welche Tätigkeiten der Patient in der Therapiesituation schon kann und auch, was er noch lernen muss, um sie in den Alltag umsetzen zu können (Nicholson 2002).

5.4

Physisches Üben

5.4.1 Bedeutung des physischen Übens Lernen oder Wiedererlernen einer motorischen Fertigkeit erfordert 5 konsequentes Feedback, 5 Variabilität des Übens, 5 situationsbezogene Gleichwertigkeit und 5 Zielbezug. Es kann gesagt werden, dass der Umfang des Übens in direktem Zusammenhang mit dem Gelernten steht: Entweder muss während der Behandlungssequenz mehr geübt werden oder vermehrt zu Hause oder in Gruppen. Wiederholungen sind nötig, v.a. langsames Lernen basiert auf Wiederholungen (Bader-Johansson 2000). Das Ziel des Übens soll immer sein, die Übungsbedingungen so zu konzipieren, dass sie mit höchster Wahr-

scheinlichkeit die erfolgreiche Ausführung in der entsprechend benötigten Alltagssituation ermöglichen werden (Magill 2001). Alle Beteiligten sind daran interessiert, dass die Trainingsresultate in den Alltag transferierbar sein müssen. U.a. wurden folgende Aspekte innerhalb des physischen Übens erforscht: 5 Variabilität des Übens 5 repetitives Üben 5 Üben von Teilen oder Üben des Ganzen

5.4.2 Variieren Es gibt die Möglichkeit, eine Bewegung blockweise zu üben, d.h. sie einige Male nacheinander auszuführen oder die entsprechende Bewegung zufällig im Wechsel mit einer anderen Variante zu üben. Diese beiden Formen des Übens wurden untersucht, und die Resultate wurden unter dem Gesichtspunkt der »kontextuellen Interferenz« erklärt: (»Interferenz«: in der Lernpsychologie die Beeinflussung eines Gedächtnisinhalts durch einen anderen; »kontextuell«: andere Gedächtnisinhalte betreffend). 5 Probleme, zu deren Lösung jeweils unterschiedliche Denkprozesse erforderlich sind, weisen eine hohe kontextuelle Interferenz auf; 5 Probleme, die prinzipiell auf ein und dieselbe Art zu lösen sind, eine niedrige kontextuelle Interferenz. Eine hohe kontextuelle Interferenz führt beim Lernen zu höherer kognitiver Belastung und zu längerer Bearbeitungszeit, aber auch zu einem besseren Transferergebnis (Merrienboer, Schuurmann et al. 2002) Das blockweise Üben eignet sich laut Shea besser fürs Lernen, während sich der zufällige Modus besser fürs Transferieren unter verschiedenen Bedingungen eignet (Shea 1979). Variables Üben erleichtert das Lernen einfacher Aufgaben, während es für das Lernen komplexer Aufgaben eher ungünstig ist (Wulf 1999). Obwohl die Aussagen, die sich aus Studien ergeben haben, noch uneinheitlich sind, wird empfohlen, variable Faktoren zu trainieren. So soll z.B. die Gehgeschwindigkeit je nach Situation und Umgebung (Gentile 2000) variabel geübt werden, wenn sich der Lernende im öffentlichen Leben bewegen soll.

5

126

Kapitel 5 · Motorisches Lernen

1

5.4.3 Repetieren

2

Wiederholungen sind nötig, damit Lernen stattfinden

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kann. Spitzer (2003) spricht von 1–2 Millionen Wiederholungen, bevor das Gehirn eine Bewegung umprogrammieren kann. Die Anzahl der Wiederholungen allein ist kein Qualitätsmerkmal. Sicher ist, dass sich durch repetitives Üben die Geschwindigkeit der Bewegung und die Kraft verbessert. Bernstein sagte bereits 1967, dass es keine Repetition der Repetition geben soll, d.h. das stereotype Wiederholen einer Bewegung ist für das Bewegungslernen nicht hilfreich. Diese Aussage hat bis heute Gültigkeit, wenn auch in modifizierter Form: Demnach erleichtert stereotypes Repetieren dem Gehirn stabile motorische Programme zu bilden, diese sind aber in dieser Form nicht ohne Weiteres in den Alltag übertragbar. So wird das stereotype Repetieren der Kniestreckung zwar die Kraft verbessern und die Bewegung anbahnen, den Patienten aber nicht dazu befähigen, Treppen hochzusteigen.

5.4.4 Segmentieren Der Vorteil des Übens einer gesamten Bewegungssequenz ist, dass der Lernende ein besseres Gefühl für den zeitlichen Ablauf (das Timing) und den Bewegungsfluss bekommt. Der Vorteil des Übens einzelner Teile ist, dass die Komplexität der Aufgabe reduziert wird. Welche der Methoden anzuwenden ist, hängt von der zu lernenden Fertigkeit ab (Komplexität und Organisationsaufwand). Naylor und Briggs (1963) definieren Komplexität als Anzahl der Komponenten in einer Fertigkeit und auch als Anforderungen an die Informationsverarbeitung. D. h. komplexe Aufgaben haben viele Komponenten und erfordern ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, vor allem von Anfängern. Dazu gehören z.B. »Transfer vom Boden in den Rollstuhl« oder »Tennisball schlagen«. Nicht komplexe Aufgaben sind z. B. das Anheben eine Tasse vom Tisch oder das Abschießen eines Pfeils vom Bogen. Komplex darf nicht mit schwierig verwechselt werden. Eine nicht komplexe Aufgabe kann trotzdem schwierig auszuführen sein. Wenn die Organisation (Anforderungen an die Informationsverarbeitung) der Komponenten untereinander stark voneinander abhängig sind, dann ist der Organisationsaufwand für das Gehirn hoch (Gehen, Basketball ins Netz werfen).

5 Bei niedriger Komplexität und hohem Organisationsaufwand soll ganzheitlich geübt werden. Beispiele dafür sind »Ball werfen«, »Knopf zuknöpfen«, »Golfball einputten«. 5 Ist die Komplexität hoch und der Organisationsaufwand niedrig dann wird eher empfohlen in Teilen zu üben z.B. »Aufschlag beim Tennis«, »greifen«, »aus einem Glas trinken«, »Schalten im Auto«. > Klinische Relevanz: Die Aufgabe der Therapeuten besteht darin, zuerst die Komplexität und den Organisationsaufwand einer Bewegung zu analysieren. In einem weiteren Schritt gilt es dann aus den unterschiedlichen Methoden auszuwählen. Teile einer Aufgabe können folgendermaßen geübt werden: 5 Fraktionieren (einzelne Komponenten Üben) 5 Segmentieren (Aufgabe unterteilen, dann den ersten Teil Üben und danach den ersten und den zweiten usw. Diese Methode wird auch Kettenmethode oder progressive Teilmethode genannt.) 5 Simplifizieren (Schwierigkeit einzelner Teile wird reduziert; ist eine Variation des ganzheitlichen Übens) 5 Ganzheitliches Üben ist manchmal angebrachter und kann mit dem Teil-Üben ergänzt werden, indem die Aufmerksamkeit auf bestimmte Teile der Bewegung gelenkt wird. Die Menge an verfügbarer Aufmerksamkeit ist dabei zu berücksichtigen (7 Kap. 5.2.3, »dual task«). Hirsch und Hirsch (2005) empfehlen, zum Wiedererlernen einer Bewegung die gesamte Aufgabe zu wiederholen.

6

Instruktionsverhalten 6.1

Orientierung des Menschen – 129

6.1.1

Sich am eigenen Körper orientieren – 130 Sich im Raum orientieren – 131 Sich vom eigenen Körper aus orientieren – 132

6.1.2 6.1.3

6.2

Motivation fördern – 132

6.3

Zielorientiert handeln – 132

6.4

Prozessorientiert handeln

– 134

128

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Kapitel 6 · Instruktionsverhalten

Ein Patient erlebt häufig, dass ihm bestimmte Bewegungen schwer fallen. Er muss deshalb lernen, das Optimum im Bereich seiner eigenen Möglichkeiten zu erkennen und wiederzuerlangen. Besonderes Lob bekommt er jedoch nur für die Fertigkeiten, die er beherrscht, auch wenn er dafür keinen besonderen Einsatz leisten musste. Die Aufgabe des Therapeuten besteht nun auch darin, das Ausmaß an Anstrengung und Geduld, das er dafür aufbringen muss, anzuerkennen und zu loben. Der Therapeut begleitet den Patienten, und er holt ihn stets »dort ab, wo er gerade steht«. Zu Beginn sind weit reichende Lernhilfen nötig, die im Laufe der Behandlung abgebaut werden sollten. Damit erhält der Patient die Chance, so früh wie möglich eigenständig und unabhängig von Fremdkontrolle Bewegungen wieder bzw. neu zu erlernen und zu üben. Es ist die Aufgabe des Therapeuten, Änderungen im Bewegungsverhalten des Patienten zu bewirken (verändern kann es nur der Patient selbst) und ihn zunehmend eigenständig und unabhängig von der Therapie zu machen. Dies kann 5 durch »Be-Handlung« und/oder 5 durch didaktische Bewegungsschulung geschehen. Beides hat das Ziel, die Orientierung des Patienten am eigenen Körper zu verbessern, damit er lernt, sich selektiv und differenziert zu stabilisieren und zu bewegen. »Didaktik« stammt aus dem Griechischen (»didaskein«) und heißt wörtlich »Lehre«. Didaktisch gehandelt wird überall im Alltag, wenn etwas mitgeteilt oder erklärt wird. Meist soll der Lernende zu einer bestimmten Handlung animiert und befähigt werden. Dafür lassen sich pragmatische Regeln aufstellen. Die Mitteilung soll 5 dem Ziel, den Erwartungen und dem Verständnis des Lernenden entsprechen, 5 klar und verständlich sein, 5 sich auf das Wesentliche konzentrieren und 5 Rückfragen zulassen. In der physiotherapeutischen Behandlung kommt es neben der Sachkompetenz des Lehrenden auch auf seine didaktische Professionalität an. Bewegung übt sich selbst, solange sich der Mensch bewegt. Die Aufgabe des Therapeuten besteht u. a. darin, diese Dauerübung richtig zu lenken. Dazu muss er die Fähigkeiten des Patienten nutzen, jedoch auch die vom Körper verlangte Schonung berücksichtigen. Normales Bewegungsverhalten entzieht sich weitestgehend der Steuerung durch das Bewusstsein. Der Ver-

such, das Bewegungsverhalten bewusst zu steuern, erzeugt Hyperaktivität. Dem Patienten muss jedoch sein Bewegungsverhalten während des Lernprozesses durch geeignete Wahrnehmungssignale bewusst gemacht werden. Die Vorstellung von Bewegung (»image motrice«, »mentales Training«), das Wiederholen von Bewegung sowie das Rekapitulieren der Bewegung, bahnt einen Ablauf. Lernen ist ein Prozess: Erfahrung baut auf früheren Erfahrungen auf, Wissen entsteht aus vorhandenem Wissen. Lernen erfolgt also nach gelernten und »bewährten« Mustern. Gelernt wird nicht, was einem »gesagt« wird, sondern was als relevant, bedeutsam und integrierbar erlebt wird. Deshalb sollte in der Lernsituation auf Folgendes geachtet werden: 5 Der Patient soll immer vorher darüber informiert werden, was der Therapeut plant; sei es, das Gewicht des Beins zu übernehmen, die Schulter in eine bestimmte Richtung zu bewegen oder einen Widerstand zu halten. 5 Die Aufmerksamkeit des Patienten muss sichergestellt werden, und es muss ihm die Zeit gegeben werden, sich auf die geplante Aktion einzustellen. Nur so kann er den Auftrag auch erfüllen. 5 Wenn sich der Patient im Anschluss an die Bewegung noch einmal rückbesinnt, »sich mit seinem inneren Auge anschaut«, fördert das den Lernprozess und die spätere Abrufbarkeit des Gelernten. Man unterscheidet zwischen verbaler und nonverbaler Instruktion. Einerseits muss der Therapeut »die richtigen Worte finden«, andererseits auch seine Hände »zur rechten Zeit am richtigen Ort« haben. Die individuellen Hilfen, die ein Patient auf seinem Lernweg benötigt, müssen vom Therapeuten gezielt ausgewählt werden. Erst dann kann man die Anforderungen an den Patienten optimieren. Dabei muss der Therapeut berücksichtigen, dass Erfolgserlebnisse den späteren Lernerfolg begünstigen. Die verbale und nonverbale Instruktion durch den Therapeuten soll dem Patienten ermöglichen, die Orientierung am eigenen Körper zu verbessern. Mit manipulativer Instruktion fördert der Therapeut mit seinen Händen einen Bewegungsablauf, ohne ihn im Wesen zu verändern. Der Therapeut bezeichnet durch Worte, Gebärden oder Manipulation 5  Punkte am Körper des Patienten. Ihr Abstand kann sich vergrößern, verkleinern, oder unverändert bleiben. Dabei können sich beide Punkte oder nur einer bewegen. Auf diese Weise können gezielt Bewegungs-

129

6.1 · Orientierung des Menschen

ausschläge in bestimmten Gelenken hervorgerufen werden. Bewegungsaufträge, bei denen manche Punkte in bestimmte Richtungen geleitet werden, während andere still stehen oder eine andere Richtung einschlagen, können sehr differenzierte Bewegungsabläufe nach genauem Plan veranlassen; 5 topographisch umschriebene Hautzonen. Der Patient kann die Haut glätten oder in Falten legen. Ein solcher Auftrag aktiviert bestimmte Muskeln, die sich verlängern oder verkürzen sollen; 5 fixe oder mobile Punkte in der Umwelt. Zu ihnen können sich körpereigene Punkte hin- oder von ihnen wegbewegen. Sie sollen berührt werden, oder gegen sie soll Druck ausgeübt oder aufgegeben werden;

Beispiel Muskelaktivität im Rahmen gewohnter Intensität kann nicht wahrgenommen werden. Sie kann aber durch Betasten des eigenen Körpers gespürt werden (. Abb. 6.1 a, b). Der Therapeut muss also »zur rechten Zeit das rechte Wort« finden.

Wichtig Die Orientierungen des Menschen bieten dem Therapeuten den wesentlichen Wortschatz für die Verständigung mit dem Patienten.

5 Bewegungsrichtungen für körpereigene Punkte, – die sich an der Schwerkraft orientieren (nach oben/

nach unten bewegen). Solche Aufträge initiieren das Heben und das Senken von Gewichten des Körpers, der Körperabschnitte oder Teilen davon. Mit diesen Aufträgen steuert der Therapeut gezielt die Be- oder Entlastung bestimmter Strukturen; – die die Orientierung vom eigenen Körper aus benutzen. Solche Aufträge veranlassen, dass der Körper oder nur Teile davon horizontal nach vorn, hinten, rechts oder links transportiert werden. Horizontale Gewichtsverschiebungen haben eindeutige Gleichgewichtsreaktionen in Form von Veränderung der Unterstützungsfläche oder Einsetzen von Gegengewichten zur Folge.

6.1

Orientierung des Menschen

Ein Mensch, der sich am eigenen Körper, im Raum und von seinem eigenen Körper aus nicht orientieren kann, hat eine gestörte Wahrnehmung und kann sich daher nicht normal bewegen. Patient und Therapeut stehen unter dem Einfluss analoger Sinneseindrücke. Bei beiden leiten Bewegungen Informationen an das zentrale Nervensystem. Doch wenn sich Therapeut und Patient über bestimmte Bewegungsabläufe verständigen wollen, besteht zwischen beiden ein Unterschied: Der Therapeut übernimmt gleichsam die Rolle des Lehrers. Von ihm wird eine zusätzliche Leistung erwartet: Seine Anweisungen müssen für den Patienten wahrnehmbare Inhalte ansprechen, damit sie vom Patienten auch ausgeführt werden können. . Abb. .. a, b Palpieren von Muskelaktivität beim »Klötzchenspiel«

6

130

Kapitel 6 · Instruktionsverhalten

1

6.1.1 Sich am eigenen Körper orientieren

2

Die Orientierung am eigenen Körper ist eine Leistung unserer kinästhetischen Wahrnehmung, insbesondere der Tiefensensibilität. Sie vermittelt 5 die Wahrnehmung bestimmter Positionen des Körpers 5 die Wahrnehmung einer Bewegungsrichtung sowie 5 Distanzempfindungen von Körperpunkten.

3 4 5

Wichtig

6

Die Orientierung am eigenen Körper liefert uns eine Anzahl von Begriffen, die sich für Bewegungsaufträge eignen, weil sie die Wahrnehmung direkt ansprechen.

7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

. Abb. .. Distanzveränderungen

Positionen des Körpers empfinden Bei intakter Tiefensensibilität wissen wir immer, wo sich Teile unseres Körpers befinden, gleichgültig in welcher Position wir sind, ob wir uns bewegen oder nicht. Ohne zu überlegen oder hinzusehen, gelingt es uns, beliebige Körperteile anzufassen, soweit es unsere Beweglichkeit erlaubt. Wir wissen ebenfalls, in welchen Stellungen sich unsere Gelenke befinden, ob z.B. die Hand zur Faust geschlossen ist oder ob die Hände auf den Oberschenkeln liegen.

Distanz empfinden Die Wahrnehmung von Distanzen und/oder deren Veränderung ist ebenfalls eine Fähigkeit, sich am eigenen Körper zu orientieren. Es gelingt uns jederzeit, z.B. den Abstand der Schultergelenke mit den Händen zu zeigen oder die Füße beckenbreit auseinander zu stellen.

Distanz verändern Die Wahrnehmung einer Distanzveränderung ermöglicht es, auch minimale Gelenkstellungsänderungen herbeizuführen. Wir können jederzeit der Aufforderung nachkommen, die Entfernung vom Kinn zum Brustbein zu verringern oder die Ferse 10 cm näher zum Gesäß zu bringen. Vor allem Wirbelsäulenbewegungen können durch Abstandsveränderung gelenkt und verbessert werden (. Abb. 6.2).

Richtungen wahrnehmen Extremitätenbewegungen zeichnen sich dadurch aus, dass sich Hände und Füße geradlinig bewegen können, wenn

Ellenbogen- und Kniegelenke frei beweglich sind. Selbst komplexe Bewegungen sind durch die Fähigkeit zur Richtungswahrnehmung einfach durchzuführen. Kritischer Distanzpunkt

Zur Beobachtung und Instruktion einer Bewegung, die auch angrenzende Gelenke weiterlaufend erfasst, dient der kritische Distanzpunkt (kDP). Er ist der Punkt am Körper, der die Bewegungsrichtung eindeutig beibehält. Die Angabe der Richtung und des Bewegungsausmaßes dieses Punktes erleichtern dem Patienten das Ausführen eines Bewegungsauftrags entscheidend. Für den Therapeuten ist der kritische Distanzpunkt ein nützliches Hilfsmittel, um die Bewegung zu analysieren. Beispiel 5 Die Instruktion eines ungewohnten Bewegungsablaufs wird erleichtert, wenn der Patient über den geradlinigen Weg, den beispielsweise die Ferse (kritischer Distanzpunkt) macht, informiert wird. 5 Bewegungen der Wirbelsäule können vom Therapeuten durch eindeutige Richtungsangaben für den Weg des Brustbeins gelenkt werden. Durch einen kreisbogigen Bewegungsauftrag z.B. der Sternumspitze (kritischer Distanzpunkt) erreicht man flexorische und extensorische Bewegungen im zervikothorakalen und lumbothorakalen Übergang. Mit der Instruktion einer geradlinigen Richtung des gleichen Distanzpunkts trifft man die mittlere Brustwirbelsäule.

131

6.1 · Orientierung des Menschen

6.1.2 Sich im Raum orientieren Die Wirkung der Schwerkraft lässt den Menschen seine Beziehung zur Umwelt erfahren. Er erlebt den Druck, den die Gewichte seines Körpers auf die Unterlage ausüben. Mit Druckverminderung oder -verstärkung kann er sein Körpergewicht auf der Unterlage umverteilen (. Abb. 6.3 a–c). Wichtig Druckerhöhung ist immer mit einer Gewichtsumverteilung innerhalb des Körpers verbunden. Dazu benötigt der Körper Bewegungstoleranzen nach oben

Beispiel 5 Um aus dem Zweibeinstand das Gehen zu starten, ist es notwendig, ein Bein zum Spielbein zu machen. Dazu muss man das ganze Körpergewicht über das Standbein bringen. Wenn der Auftrag lautet, das linke Bein abzuheben, neigt sich der Körper nach hinten oder zur Seite, um das Gleichgewicht zu erhalten. Diese Gewichtsverschiebung entgegen der Vorwärtsrichtung wäre ein schlechter Start 5 Der Bewegungsauftrag »Drücken Sie mit der rechten Fußsohle noch fester auf den Boden (und spüren Sie, wie die linke den Kontakt mit dem Boden verliert)« wird als Ergebnis die Einbeinbelastung rechts haben. Diese Belastung wird zum Starten benötigt, und das linke Bein ist reaktionsbereit für den Start des Gehens.

. Abb. .. Das Körpergewicht auf einer Unterlage umverteilen: a Eine Druckerhöhung unter beiden Fäusten hat eine Gewichtsumverteilung zur Folge. Die Körperabschnitte Becken und Brustkorb werden an den Schultergürtel gehängt und wirken somit als Gewicht auf den Fäusten. b Eine Druckerhöhung unter der linken Hand hat eine Druckerhöhung unter der rechten Gesäßhälfte zur Folge. c Eine Druckverstärkung unter der linken Hand und unter dem rechten Knie veranlasst, dass sich die diagonal gegenüberliegenden Extremitäten vom Boden abheben und (je nach Ausmaß) eine Rotation in der Wirbelsäule erfolgt

6

132

1 2 3

Kapitel 6 · Instruktionsverhalten

6.1.3 Sich vom eigenen Körper aus

orientieren Die Orientierung vom eigenen Körper aus wird durch das Gesichtsfeld in aufrechter Haltung bestimmt. Es ergeben sich dadurch die Richtungsbegriffe vorn, hinten, rechts und links.

4

Zusammenfassung Die Orientierungen des Menschen bieten dem Therapeuten den wesentlichen Wortschatz für die Verständigung mit dem Patienten. Wenn der Patient liegt, ist es ratsam, für Bewegungsaufträge Begriffe aus der Orientierung am eigenen Körper zu benutzen (zum Bauch, zum Kopfende, fußwärts etc.). Steht oder sitzt der Patient, kann die Wahrnehmung des Patienten durch alle 3 Orientierungen stimuliert werden. Jeder Bewegungsablauf muss in seine wahrnehmbaren Inhalte zerlegt werden, damit auch kleine, differenzierte Bewegungsabläufe perfekt ausgeführt und in der Wiederholung geübt werden können.

5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

6.2

Motivation fördern

Eine verbale Instruktion setzt voraus, dass der Patient Sprachverständnis besitzt und die Sprache des Therapeuten versteht. Ein gut verbalisierter Bewegungsauftrag kann mühelos ausgeführt werden, wenn die betreffende Bewegung für den Patienten machbar ist. Darum muss der Therapeut die Verständlichkeit seiner Instruktion einer ständigen selbstkritischen Kontrolle unterziehen und im Voraus wissen, was er von dem Patienten verlangen kann: 5 Bilder fördern die Motivation und appellieren an die Einbildungskraft, die Spiel- und Darstellungsfähigkeiten des Patienten. 5 Melodien und Rhythmen, die das Tempo der Bewegung beeinflussen, können die Intensität der ökonomischen Aktivität verändern und die Auswahl der muskulären Beanspruchung bestimmen. 5 Schautafeln, Modelle oder Zeichnungen verdeutlichen das gewünschte oder unerwünschte Verhalten. Ebenso kann der Therapeut Bewegungen oder Haltungen modellhaft selbst vormachen.

Eine Übung, die sich bewährt hat, braucht einen Namen, der sich gut einprägt. Dieser kann sich auf das funktionelle Problem beziehen, das die Übung lösen möchte. Es hat sich jedoch gezeigt, dass sich solche Namen weder beim Therapeuten und schon gar nicht beim Patienten einprägen. Phantasienamen ergeben sich hingegen ganz von selbst. Oft ist es der Patient, der eine Übung »tauft«. Phantasienamen bleiben auch ohne ersichtlichen Zusammenhang mit der Übung gut im Gedächtnis haften. Phantasienamen und Bilder enthalten emotionale Potentiale und lösen – mehr als verbale Informationen – Gefühle aus. Sie sind nicht nur schön oder hässlich, sondern auch witzig, komisch, »verfremdend«, provozierend und motivieren dadurch zum Lernen.

6.3

Zielorientiert handeln

»Wer nicht weiß, wohin er will, braucht sich nicht zu wundern, wenn er ganz woanders ankommt.« (R. Mager) Lehrende und Lernende haben häufig unterschiedliche Erwartungen. Je mehr Verständigung über diese Erwartungen stattfindet, desto geringer ist die Gefahr von Enttäuschungen. Das Lernziel ergibt sich aus dem funktionellen Problem, das durch die Untersuchung des Patienten gefunden und formuliert worden ist. Es wird gemeinsam mit dem Patienten formuliert und beschreibt die Leistung, die der Patient erbringen soll. Ein solches Vorgehen nimmt die Mündigkeit des Patienten ernst und soll verhindern, dass er in die Schülerrolle zurückfällt. Gleichzeitig erleichtert ihm die strukturierende Vorgabe die Orientierung. Durch die Anwendung des Analysenkonzepts kann der Therapeut einen Bewegungsablauf aufschlüsseln, Einzelpunkte herausstellen und dementsprechend an den Patienten anpassen. Der Therapeut lernt dadurch einen Bewegungsablauf so genau kennen, dass er ihn verbal und manipulativ instruieren und die notwendigen Lernschritte individuell handhaben kann. Über das Perzeptionspotential des Patienten wird die Wahrnehmung auf seine Fähigkeiten gelenkt, und er kann verloren gegangene Bewegungsmuster wieder in sein Bewegungsverhalten integrieren. Perzeptionen sind primär unbewusste Prozesse der Wahrnehmungsverarbeitung. Von außen kommende Informationen werden in das erfahrungsbedingte Weltverständnis eingeordnet, gedeutet und strukturiert. Sie

133

6.3 · Zielorientiert handeln

sind demnach selektiv-subjektive Bestandsaufnahmen, die als objektiv empfunden werden. Perzeption beschreibt jedoch nicht nur das rein subjektive Ergebnis des Wahrnehmungsvorgangs, sondern auch die diesem zugrunde liegenden neurophysiologischen Prozesse. Mittels therapeutischer Übungen versucht der Therapeut, funktionelle Defizite auf reaktivem Weg zu überwinden und differenzierte Bewegungsabläufe zu lehren und zu schulen. Die einzelnen Schritte des Analysenkonzeptes ermöglichen ein systematisches Vorgehen bei der Planung und Anpassung einer therapeutischen Übung an den Patienten. Dabei ist das normale Bewegungsverhalten immer Leitbild und Ziel der Bewegungstherapie. Bei der Instruktion eines Bewegungsablaufs ist die Verbalisierung der geplanten Primärbewegung und der notwendigen Bedingungen identisch mit dem Bewegungsauftrag. Die geplante Reaktion stellt sich unwillkürlich ein, wenn der Bewegungsauftrag verständlich und nachvollziehbar ist.

Die Primärbewegung ist ein Teil der Instruktion und der Teil eines Bewegungsablaufs, der bewusst ausgeführt und instruiert wird. Sie hat weiterlaufende Bewegungen und spontane Gleichgewichtsreaktionen zur Folge. Diese Reaktion ist vom Therapeuten geplant und sein Therapieziel. Er versucht dadurch, Ausweichmechanismen erst gar nicht zu starten. Wenn der Therapeut eine weiterlaufende Bewegung veranlassen will, muss er zur Instruktion den Punkt am Körper des Patienten finden, dessen räumlicher Weg die weiterlaufende Bewegung eindeutig veranlasst. Die horizontale Komponente einer Bewegung führt zu Gleichgewichtsreaktionen: 5 Gewichte werden bremsend eingesetzt. 5 Die Unterstützungsfläche wird verändert. 5 Muskelaktivität begrenzt Gewichtsverschiebungen. Dabei verändert sich der Druck innerhalb der Unterstützungsfläche.

Übungskonzept – die Strategie preisgeben

Den Bewegungsablauf in die gewünschte Form bringen

Wenn ein Bewegungsablauf, der im täglichen Leben immer wieder vorkommt, durch Ausweichmechanismen gestört ist, muss der Therapeut das fehlerhafte Detail herausfinden und als Übung aufbereiten. Eine solche Übung muss das Mögliche unter vereinfachten Bedingungen übbar machen. Die Konzeption ist eigentlich die »Erfindung« der Übung.

Der Körper hat unzählige Möglichkeiten, einen Bewegungsauftrag auszuführen. Ohne das Einhalten von Bedingungen sind Ausweichbewegungen vorprogrammiert, weil der Patient einen Bewegungsauftrag in der für ihn bequemsten Form erfüllt. Wenn der Therapeut die typischen Varianten eines Bewegungsablaufs kennt, findet er auch die Mittel, diese einzugrenzen.

Ausgangsstellung analysieren – den Beginn fazilitieren Die Konzeption des Bewegungsablaufs bestimmt die Ausgangsstellung. Diese Position zwingt den Körper zu einem ganz bestimmten Umgang mit seinen Gewichten, je nachdem, wie die Bewegungsachsen zur Schwerkraft eingestellt sind. Dies muss zunächst analysiert werden. Über die räumliche Anordnung der Körperabschnitte und ihren Kontakt zur Umwelt ergeben sich die muskulären Aktivitäten.

Instruktion – die Primärbewegung veranlassen Um ein bewusstes Bewegungsziel zu erreichen, nutzt der Mensch automatische Bewegungsabläufe – er kennt das Ziel, und der Weg vollzieht sich reaktiv. Das Bewegungsgeschehen kommt uns immer nur dann zu Bewusstsein, wenn wir ermüden, die Bewegung ungewohnte Anstrengungen verlangt oder wir sie noch nicht beherrschen.

Wichtig Der Bewegungsauftrag, der die gewünschte Bewegung hervorruft, lautet: »Wenn ... dann.«

Der Therapeut instruiert die Primärbewegung und bestimmt die Bedingungen in Form von 5 gleich bleibenden Abständen zwischen körpereigenen Punkten, 5 gleich bleibenden Abständen zwischen Körperpunkten/-achsen/-ebenen und der Umwelt, 5 räumlichen Fixpunkten, 5 Tempo.

Die Begrenzungen müssen vom Therapeuten geplant werden. Er weiß, dass der Körper weiterlaufende Bewegungen durch Stabilisierung verhindert und auf horizontal verschobene Gewichte mit dem Einsatz von Gegengewichten reagiert.

6

134

Kapitel 6 · Instruktionsverhalten

Prozessorientiert handeln

1

6.4

2

Die Anpassung einer Übung an die Konstitution eines Patienten ist von größter Wichtigkeit (7 Kap. 3.9.1). Durch die Unterschiede von Längen, Breiten, Tiefen und Gewichtsverteilung sind Bewegungen für den einen Patienten leicht durchführbar und für den anderen Patienten unmöglich erlernbar. Bewegungseinschränkungen einerseits und Hypermobilitäten andererseits verlangen viel Kontrolle. Bei Hypermobilitäten werden die Übungen so gewählt, dass die Gelenkstellungen vor ihren endgradigen Möglichkeiten stabilisiert werden müssen. Bewegungseinschränkungen können mit Gegenaktivitäten (7 Kap. 2.3.1) oft erfolgreich gemindert werden. Treten Schmerzen auf, die auch unmittelbar im Anschluss an die betreffende Bewegung persistieren, ist diese Übung ungeeignet. Schwäche und Reaktionsträgheit der Muskulatur verlangen Geduld und als Anpassung eine Verminderung der Hubbelastung, ggf. auch des Bewegungsausmaßes. Wenn diese Faktoren keine neurologische Ursache haben, kann mit Geschicklichkeitstraining sehr viel erreicht werden. Vor allem Übungen mit einem beschleunigenden Faktor sind hier hilfreich. Bei zentralnervösen Störungen müssen auf dem Weg von der Grob- zur Feinkoordination mehr Übungsaufwand und größere manipulative Hilfe eingeplant werden.

3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Zusammenfassung Der Schwerpunkt jeder physiotherapeutischen Behandlung liegt darin, Änderungen im Bewegungsverhalten des Patienten zu bewirken, um ihn zunehmend unabhängig von Therapie zu machen. Dazu muss der Patient lernen, sich am eigenen Körper zu orientieren und sich selektiv und differenziert zu stabilisieren und zu bewegen. Das Erlernen komplexer Bewegungsabläufe zur reaktiven Überwindung funktioneller Defizite geschieht mittels therapeutischer Übungen. Der Therapeut übernimmt dabei die Rolle des Lehrers. Durch konkrete Anweisungen mit wahrnehmbaren Inhalten und dem Einsatz individueller Lernhilfen wird die Wahrnehmung auf die Fähigkeiten des Patienten gelenkt. Es gelingt dem Patienten dadurch zunehmend, die Kontrolle über sein Bewegungssystem wiederzuerlangen.

7

Therapeutische Übungen 7.1

Selektives Muskeltraining

7.2

Analysenkonzept – 136

7.2.1

»Klötzchen-Spiel«

7.3

Hubfreie Mobilisation

– 136

– 137

– 141

136

1 2 3 4 5

Kapitel 7 · Therapeutische Übungen

Mit Hilfe der therapeutischen Übungen bestimmt der Therapeut aufgrund der gefundenen Defizite und Ressourcen, welche Anforderungen er in Form von Belastung der Muskulatur, Koordinationsfähigkeit und Beweglichkeit der Gelenke dem Patienten zumuten kann und will. Die automatischen Gleichgewichtsreaktionen sollen das beabsichtigte Lernziel einer therapeutischen Übung sein. Das garantiert eine spontane Bewegung, die zur richtigen Zeit mit adäquater Muskelaktivität eingesetzt und nicht willentlich gesteuert ist.

6

7.1

7

Umgang mit Gewichten

8 9 10 11 12 13

Selektives Muskeltraining

Muskeln können mit dem eigenen Körpergewicht oder mit Fremdgewichten, z.B. Hanteln oder Expandern, belastet werden (7 Kap. 1.9). Aus der Art und Weise, wie der Körper seine eigenen Gewichte bewegt oder stabilisiert, resultiert die Hubbelastung. Muskeln können 5 mit positivem Hub bewegen und Gewichte nach oben heben, 5 mit negativem Hub bewegen und Gewichte bremsend nach unten senken, 5 hubfrei bewegen und Gewichte horizontal verschieben, 5 stabilisierend arbeiten und die Gewichte am Fallen hindern.

14

Muskeln, die ein Gelenk mit mehr als einem Freiheitsgrad überbrücken, können auf diese Weise unterschiedlich belastet werden.

15

Verbindung des Körpers mit der Umwelt

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Aus der Art der Verbindung des Körpers mit der Umwelt (7 Kap. 2.5.4) resultieren gegen die Schwerkraft gerichtete muskuläre Aktivitäten. Die Entscheidung darüber, ob ein Muskel in offener oder geschlossener Kette arbeiten soll, ist z.B. von seiner Funktion im Alltag abhängig.

18

Vorstellung von Gewichten oder Widerständen

16

19 20

Durch die Vorstellung von nicht existenten Gewichten oder Widerständen wird die gelenkumgebende Muskulatur im Sinne einer Kokontraktion innerviert und das Gelenk somit stabilisiert.

Arbeitsweise mehrgelenkiger Muskeln

Für eine physiologische Verkürzung der Bauchmuskulatur und im Interesse einer ökonomischen Haltung und Atmung müssen bei einem selektiven Muskeltraining die kaudalen Anteile des M. rectus abdominis verkürzt werden, während die kranialen Anteile ihre Länge beibehalten sollen. Nur so kann der M. transversus mit den Mm. obliquii die optimale Spannung aufbauen. Einsatz von Tempo

Mit Hilfe von Temposteigerung kann man gezielt bestimmte Muskelgruppen entlasten und/oder Insuffizienzen überspielen. Durch eine Temposteigerung kann man eine Leistungssteigerung für bestimmte Muskelgruppen bewirken.

7.2

Analysenkonzept

Voraussetzung für erfolgreiches therapeutisches Üben ist die Wahl einer geeigneten Übung. Das Analysenkonzept der funktionellen Bewegungslehre ist ein Hilfsmittel zum Verständnis einer therapeutischen Übung. Mit dem Analysenkonzept lernt der Therapeut, 5 das Lernziel zur Überwindung eines funktionellen Problems zu formulieren, 5 eine klar umrissene Grundvorstellung von einer therapeutischen Modellübung zu gewinnen, 5 eine mögliche Übungsanleitung kennen, um den Bewegungsablauf in die gewünschte Form zu bringen, 5 konkrete Hilfestellungen anzubieten, 5 Anpassungen auszuwählen, 5 die Ausgangsstellung und den Bewegungsablauf zu analysieren. Dieses Hilfsmittel für den Therapeuten wird nachfolgend exemplarisch an der therapeutischen Übung »Das Klötzchen-Spiel« dargestellt. Diese Grundübung für statisch bedingte Wirbelsäulen- und Hüftgelenkprobleme eignet sich besonders, um dem Patienten eine ökonomische Haltung zu vermitteln. Eine Vielzahl von Modellübungen finden sich im Buch »Therapeutische Übungen zur Funktionellen Bewegungslehre« (Eicke-Wieser, 2006).

137

7.2 · Analysenkonzept

7.2.1 »Klötzchen-Spiel«

Übungsanleitung

Lernziel

Ausgangsstellung:

Der Patient soll lernen 5 die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf in die vertikal stehende Körperlängsachse einzuordnen. 5 durch Selbstpalpation das Gefühl für eine ökonomische Haltung wieder zu finden. 5 die Körperlängsachse auch dann zu erhalten, wenn sie sich aus der Vertikalen neigt.

»Setzen Sie sich über Eck auf eine Kiste. Die Fersen stehen unter den Kniegelenken und die Oberschenkel und die Füße schauen ein wenig nach außen.« »Wenn Sie das Becken abwechselnd nach vorne und nach hinten bewegen, spüren Sie, wie sie größer und kleiner werden und einmal vor und einmal hinter den Sitzknochen (Sitzbeinen, Sitzhöckern) sitzen. Wenn Sie hinter den Sitzknochen sitzen, sinkt auch der Brustkorb ein wenig nach unten. Wenn Sie weiterhin nach vorne blicken, wird der Hals vorne lang. Wenn Sie sich wieder davor setzen, hebt sich der Brustkorb, und der Nacken wird hinten lang.« »Immer dann, wenn Sie genau auf den Sitzknochen sitzen, sind Sie am größten. Das ist die richtige Position für die 3 Klötzchen Becken, Brustkorb und Kopf.«

Lernweg Der gedankliche Entwurf enthält alle therapeutischen Überlegungen, die sich aus dem Lernziel ergeben. Wichtig Die Planung, wie bestimmte Strukturen be- oder entlastet werden und welche Reaktionen gewünscht werden, bestimmt die Ausgangsstellung.

Der Lernweg beinhaltet 5 die Erfindung (Konzeption) der Übung, 5 eine mögliche Übungsanleitung, 5 Hinweise aus der Praxis und 5 Anpassungen an den Patienten.

Konzept Um die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf in die vertikal stehende Körperlängsachse einordnen zu können, soll der Patient über Eck auf einer Kiste oder einem Hocker sitzen. Dann haben die dorsalen Seiten der Oberschenkel keinen Kontakt mit der Sitzfläche, und der Körperabschnitt Becken ist in den Hüft- und Lendenwirbelsäulengelenken potentiell beweglich (. Abb. 7.1a). Wenn sich die 3 Körperabschnitte gemeinsam nach vorne und hinten, flexorisch und extensorisch in den Hüftgelenken, bewegen, muss die Muskulatur die Körperlängsachse dynamisch stabilisieren. Wenn der Blick weiter nach vorne gerichtet bleiben soll, sind minimale Bewegungen in den oberen Kopfgelenken erforderlich. Um bei Bewegungen nach hinten Abscherbelastungen im lumbosakralen Übergang zu vermeiden, müssen dort ebenfalls minimale Gelenkstellungsänderungen geschehen (. Abb. 7.1b und c).

Bewegungsablauf: »Eine Hand fasst mit Daumen und Mittelfinger den Abstand vom Bauchnabel zum Schambein und die andere den Abstand vom Bauchnabel zur Brustbeinspitze. Wenn sich das Türmchen nach vorne bewegt, müssen die Abstände immer gleich groß bleiben. Wenn es sich nach hinten neigt, darf der Unterbauch etwas kürzer werden.« »Nun legt sich eine Hand auf den Bauch, die andere auf den Rücken. Immer, wenn sich das Türmchen nach vorne neigt, nimmt der Druck unter den Füßen zu, bei der Rückneigung nimmt er ab. Wenn die Muskeln am Rücken fester werden, sagen Sie »Schnipp«, und wenn sie am Bauch anspringen, sagen Sie »Schnapp«. Jetzt wird die Bewegung immer kleiner, dafür schneller. Zwischen der Hin- und Herbewegung gibt es einen Moment, in dem die Muskeln am Rücken und am Bauch gleich wenig arbeiten müssen. Dann ist das Türmchen senkrecht, und Sie sitzen gerade.« (. Abb. 7.1 a-e)

Hinweis 5 Der Therapeut kann das Brustkorbgewicht teilweise übernehmen. Damit reduziert sich in der Ausgangsstellung die stabilisierende Aktivität der Extensoren der Brustwirbelsäule und bei der Vorund Rückneigung diejenige der Bauch- und Rückenmuskulatur (. Abb. 7.2 a, b). 6

7

138

Kapitel 7 · Therapeutische Übungen

. Abb. .. a-e Klötzchenspiel: a, b Wahrnehmung der Becken, Brustkorb- und Kopfbewegungen; c Einordnung der Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf in die vertikal stehende Körperlängsachse; d, e Selbstpalpation der automatisch einsetzenden Aktivität der lumbalen und zervikalen Muskulatur

1 2 3 4 5 6 7

a

b

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c

d

14

e

. Abb. .. a, b Übernahme des Brustkorbgewichts durch die Therapeutin

15 16 17 18 19 20 a

b

139

7.2 · Analysenkonzept

5 Um flexorische und extensorische oder translatorische Bewegungen in der Wirbelsäule zu verhindern, kann der Therapeut Brustkorb und Becken »schienen« und das Ausmaß der Bewegung begrenzen. Das ist vor allem dann der Fall, wenn die Primärbewegung vom Brustkorb eingeleitet wird und die Abstände am eigenen Körper nicht beibehalten werden. Der Therapeut kann dann die Primärbewegung vom Becken aus instruieren und manipulieren (»Wenn sich das Steißbein zum Boden bewegt, nimmt das Becken den Brustkorb mit nach hinten.« oder: »Das Becken hat ein wenig Vorsprung und nimmt den Brustkorb mit nach vorne.«). 5 Die Translation des Kopfs nach vorne und hinten kann der Patient vermeiden, indem er mit einer Hand den Abstand der Incisura jugularis zum Kinn prüft. 5 Ein Stab, vom Patienten selbst den Rücken gehalten, eignet sich nicht, um den Bewegungsablauf zu lehren. Zum einen erfassen die weiterlaufenden Bewegungen der Arme die Wirbelsäule (flexorisch und lateralflexorisch), und der Patient kann die »Klötzchen« nicht in die Körperlängsachse einordnen. Die erforderlichen minimalen Gelenkstellungsänderungen werden in den Kopfund Lendenwirbelgelenken begrenzt. Die Wahrnehmung wird auf einen Gegenstand außerhalb des Körpers gelenkt. Der Patient erhält also keinerlei Informationen, was er an seinem eigenen Körper verändern oder beibehalten muss. Er kann weder Abstände tasten noch die Anspannung der Bauch- und Rückenmuskulatur palpieren. Oft muss außerdem die Nullstellung der Lendenwirbelsäule zugunsten einer vermehrten Lordose aufgegeben werden, weil sonst die Hand dort den Stab nicht umgreifen kann. 5 Ein Spiegel kann bei deutlichen Ausweichbewegungen hilfreich sein. Allerdings muss dem Therapeuten bewusst sein, dass die Augenkontrolle (zudem seitenverkehrt) eine geringe Lernhilfe bedeutet. Sowie die optische Kontrolle fehlt, müssen andere Wahrnehmungsmechanismen, z.B. sich am eigenen Körper orientieren (7 Kap. 6.1 »Orientierung des Menschen«) an deren Stelle treten.

Anpassungen Ein Flexionsdefizit der Hüftgelenke kann die Ursache sein, wenn es bei der Vorneigung zu einer Flexion von Lendenund Brustwirbelsäule kommt. Dann muss die Sitzhöhe entsprechend angepasst werden. Bei einer Insuffizienz der Bauchmuskulatur beobachtet man häufig, dass bei der Rückneigung die extensorische Bewegung des Beckens in den Hüftgelenken gestoppt wird und statt dessen eine dorsaltranslatorische Ausweichbewegung im lumbothorakalen Übergang stattfindet, während der Kopf nach ventral translatiert. Das Bewegungsausmaß nach hinten muss dann verringert werden, damit die Übung noch gelingt (. Abb. 7.3). Freies Bewegen der Hände während des KlötzchenSpiels ist der Übergang zum normalen Bewegungsverhalten. Die weiterlaufenden Bewegungen der Arme auf die Brustwirbelsäule müssen begrenzt werden. Asymmetrische Armbewegungen zur Seite erfordern dynamische stabilisierende Aktivitäten der Wirbelsäulenrotatoren. Armbewegungen nach kranial verlängern den Lastarm; die Aktivität der Bauch- und Rückenmuskeln nimmt zu. Wenn die Bewegung klein gehalten wird, ist es einfacher, die Körperlängsachse zu stabilisieren. Wenn die Bewegung ausgeweitet wird, so dass einmal die Füße und einmal das Gesäß den Kontakt zur Unterlage verlieren, ist das eine Vorbereitung zum funktionellen Beinachsentraining (. Abb. 7.4 a–c). Der Therapeut muss – je nach Oberschenkellänge (7 Kap. 3.9.1, »Konstitution

. Abb. .. Ausweichmechanismus bei Insuffizienz der Bauchmuskeln: Dorsaltranslation des Brustkorbs und Ventraltranslation des Kopfs

7

140

Kapitel 7 · Therapeutische Übungen

1 2 3 4 5 6 7 8

a

b

c

. Abb. .. Klötzchenspiel zur Vorbereitung eines funktionellen Beinachsentrainings. a Ausgangsstellung: Sitz an der Bankkante mit gekreuzten Füßen, b Neigung des Türmchens nach hinten mit fixierter Hüftgelenkstellung, c Neigung des Türmchens nach vorne mit Stand auf den gekreuzten Vorfüßen

9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

(Oberschenkellänge)«; 7 Kap. 3.7.2, »Sitzverhalten (Anpassung an die Konstitution und Beweglichkeit)« – zulassen, dass die Füße weiter nach hinten gestellt werden.

Analyse der Übung

halten. Am Körperabschnitt Brustkorb ist die Brustwirbelsäule in Nullstellung dynamisch stabilisiert. Der Körperabschnitt Kopf balanciert über dem Brustkorb und ist potentiell beweglich. Am Körperabschnitt Arme ist der Schultergürtel auf dem Brustkorb abgelegt. Die Hände liegen auf den Oberschenkeln.

Ausgangsstellung

Bewegungsablauf bis in die Endstellung Gelenkstellungen: Die Körperlängsachse steht vertikal. Die Hüftgelenke befinden sich in ca. 90° Flexion/transversaler Abduktion, die Kniegelenke in 90° Flexion.

Durch die horizontale Komponente der Primärbewegung kommt es zu deutlichen Gleichgewichtsreaktionen. Primärbewegung

Kontaktflächen des Körpers mit der Umwelt: Die Gewichte der Körperabschnitte Becken, Brustkorb, Kopf und Arme lasten auf der Sitzfläche. Die Beine stehen mit ihrem Eigengewicht auf dem Boden. Die Unterstützungsfläche wird von den Kontaktstellen der Füße mit dem Boden und der Kontaktstelle des Gesäßes mit der Sitzfläche gebildet. Der Körperschwerpunkt befindet sich über der Kontaktstelle Gesäß/Sitzfläche.

5 Vorneigung:

Muskuläre Aktivitäten: Die Beine müssen gegen die Ten-

Reaktionen

denzen, nach innen und/oder außen zu fallen, stabilisiert werden. Die Intensität dieser Aktivität ist sehr gering. Der Körperabschnitt Becken ist in Hüft- und Lendenwirbelsäulengelenken potentiell beweglich. Es müssen keine hohen Aktivitäten aufgebracht werden, um die Balance zu

5 Veränderung der Unterstützungsfläche:

Der kritische Distanzpunkt der Primärbewegung, Incisura jugularis, bewegt sich nach vorne/unten, flexorisch in den Hüftgelenken. 5 Rückneigung: Der kritische Distanzpunkt der Primärbewegung, Incisura jugularis, bewegt sich nach hinten(zuerst oben, dann unten), extensorisch in den Hüftgelenken.

Es gibt bei der Rückneigung eine minimale Vergrößerung der Kontaktstelle des Körpers mit der Sitzfläche. Bei der Vorneigung wandert der Schwerpunkt innerhalb der Unterstützungsfläche in Richtung der Füße.

141

7.3 · Hubfreie Mobilisation

5 Einsetzen von Gewichten:

Bei der Rückneigung hängt sich das Gewicht der Beine flexorisch in den Hüftgelenken an das Becken und wirkt bremsend auf den Bewegungsablauf. 5 Stabilisierung:

Damit sich die Abstände am Körper nicht verändern, muss sich die Wirbelsäule in ihrer Nullstellung dynamisch stabilisieren; bei der Vorneigung mit zunehmender Intensität der ökonomischen Aktivität extensorisch, bei der Rückneigung flexorisch. In den Hüftgelenken stabilisieren die transversalen Abund Adduktoren den Abstand zwischen den Knien.

a

Bedingungen Wenn die Reaktionen nicht in der gewünschten Form erfolgen, kann der Therapeut folgende Bedingungen stellen: 5 gleich bleibende Abstände zwischen körpereigenen Punkten:

– – – –

Bauchnabel/Symphyse, Bauchnabel/Processus ensiformis, (Incisura jugularis/Kinnspitze bei der Vorneigung), rechte/linke Patella;

b

5 räumliche Fixpunkte:

– Füße/Boden, – Gesäß/Sitzfläche, – Blickrichtung nach vorne während der Rückneigung; 5 Bewegungstempo:

– Eine Vor- und Rückneigung dauert etwa 2 Sekunden.

Endstellung und zurück in die Ausgangsstellung Die Körperlängsachse bewegt sich alternierend flexorisch und extensorisch in den Hüftgelenken. Das Bewegungsausmaß ist variabel.

7.3

c . Abb. .. Hubfreie Mobilisation der Brustwirbelsäule in Flexion und Extension a Ausgangstellung für die Flexion der Brustwirbelsäule. b Flexion der Brustwirbelsäule. c Extension der Brustwirbelsäule

Hubfreie Mobilisation Prinzip der hubfreien Mobilisation

Ziel der hubfreien Mobilisation (. Abb. 7.5) ist es, die Belastung auf artikuläre und periartikuläre Strukturen in Bezug auf bestimmte Bewegungskomponenten zu reduzieren. Dies geschieht durch die Verminderung der Hubbelastung und eine niedrige Intensität der Aktivität. Die Geschicklichkeit der lokalen Muskulatur, die die Feinregulation der Gelenke vornimmt, wird gefördert (7 Kap. 2.6.3 ff).

Bei der hubfreien Mobilisation stehen die Bewegungsachsen vertikal. Die bewegten Teilgewichte des Körpers sollen sich mit möglichst geringem Reibungswiderstand nur horizontal bewegen. Die Gewichte der Körperabschnitte werden horizontal bewegt. Agonist und Antagonist arbeiten im Wechsel dynamisch konzentrisch. Für die Wirbelsäule bedeutet dies in der Ausgangsstellung

7

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Kapitel 7 · Therapeutische Übungen

5 Seitlage: Mobilisation in Flexion, Extension und Translation nach ventral/dorsal; 5 Rückenlage (gelegentlich auch Bauchlage): Mobilisation in Lateralflexion, Translation nach rechts/links; 5 Sitz: Mobilisation in Rotation. Die Indikationen ergeben sich aus der Wirkungsweise, die Bewegung auf heilendes, neu wachsendes Gewebe hat: 5 Reduktion des Schmerzes durch ein Herabsetzen der periartikulären Gewebsspannung, dadurch Verbesserung der Beweglichkeit und des Bewegungsgefühls, 5 Verbesserung der intermuskulären Koordination, 5 Verbesserung der Orientierung am eigenen Körper, 5 reflektorische Senkung des Spannungszustandes der Muskulatur durch Reizung der lokalen Mechanorezeptoren, 5 Verbesserung der Durchblutung, 5 Verbesserung des Aufbaus und der Trophik des Gewebes.

Ausführung Der Patient wird über die geplante Bewegungsrichtung der Distanzpunkte instruiert (7 Kap. 2.1) und soll in zügigem Tempo (120/min) kleine Hin- und Herbewegungen durchführen. Zum Lernen kann der Therapeut die Bewegung manipulieren. Diese Hilfe muss sehr subtil vorgenommen werden und darf keinesfalls für den Patienten zu einem Widerstand werden, der den Ausweichmechanismus verstärken würde. Die Bewegungen sollen in angrenzenden Körperabschnitten durch stabilisierende Muskelaktivitäten begrenzt werden (s. auch Klein-Vogelbach et al., 2000).

8

Behandlungstechniken 8.1

Widerlagernde Mobilisation

8.1.1

Das Prinzip der widerlagernden Mobilisation – 145

– 144

8.2

Mobilisierende Massage – 146

8.2.1

Das Prinzip der mobilisierenden Massage – 146

144

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Kapitel 8 · Behandlungstechniken

Jede funktionelle oder strukturelle Beeinträchtigung des Bewegungssystems verändert das Bewegungsverhalten. Diese Veränderungen sind Anpassungen an Störungen und in vielerlei Hinsicht sogar nützlich. 5 Sie dienen dem Schutz einer gestörten Struktur im Sinne einer teilweisen oder kompletten »Functio-Laesa-Reaktion«. Dabei setzen veränderte Bewegungsmuster bereits ein, bevor die Störung dem Menschen bewusst wird (Brügger 1986). Das klassische Beispiel ist das Hinken, wenn der Schuh drückt: Dadurch wird ie Haut an der Stelle, an der sich eine Blase bilden würde, wird geschützt. 5 Sie helfen Schmerzen zu vermeiden. 5 Sie ermöglichen, dass Ziele erreicht werden, auch wenn die eigentliche Bewegung zur Zielverwirklichung nicht möglich ist.

z.B. bestimmte Bewegungstoleranzen der betroffenen Gelenke nicht genutzt. Der für alle Strukturen des Körpers wichtige Bewegungsreiz fehlt. Ohne die Bewegung treten die bekannten Veränderungen ein, wie z.B. der Verlust der Dehnfähigkeit der Muskulatur. Angst vor einer Bewegung, die schmerzhaft oder z.B. nach einem Trauma gar nicht erlaubt war, führt dazu, dass Ausweichmechanismen bestehen bleiben.

Laien können die veränderten Bewegungsmuster genauso gut erkennen wie Physiotherapeuten. Der Mensch ist mit seinem »artgerechten« Bewegen vertraut (vgl. KleinVogelbach 1995). Die Beobachtungskriterien der Funktionellen Bewegungslehre Klein-Vogelbach (7 Kap. 2) ermöglichen dem Therapeuten eine gezielte Analyse des veränderten Bewegungsverhaltens, der sog. Ausweichmechanismen.

Es gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Physiotherapeuten, bei der Untersuchung nach der Ursache der Ausweichmechanismen zu suchen und, falls möglich, die Ursache zu behandeln. Zeigt das Untersuchungsergebnis, dass eine weitere Schonung einzelner Gelenke nicht mehr notwendig ist oder dass mit reduzierter Belastung in größerem Umfang bewegt werden darf, als der Patient es tut, müssen ihm vorhandene Ausweichmechanismen bewusst gemacht werden. Sie werden dann als Bewegungen stigmatisiert, die den Heilungsprozess oder die Besserung der Beschwerden verzögern.

Wichtig Der Begriff »ausweichen« ist neutral zu verstehen; auf keinen Fall soll vor der Untersuchung von einem negativen oder positiven Verhalten ausgegangen werden. Sich Schonung zu gewähren und dadurch Heilung zu ermöglichen ist ein sinnvolles Vorgehen des Körpers.

Ausweichmechanismen (AWM) sind allerdings problematisch, wenn folgende Faktoren zutreffen: 5 Gesunde Strukturen werden durch die Ausweichmechanismen mehr beansprucht. Je nach Dauer und Intensität der Überlastung können sie selbst beeinträchtigt werden und Schonung verlangen. Der Verlust der ökonomischen Aktivität erfordert mehr Aktivität und beansprucht die passiven Strukturen vermehrt. 5 Die veränderten Bewegungsmuster werden gelernt und automatisiert. Selbst wenn die primäre Ursache beseitigt ist, bestehen sie weiter. In der Folge werden

Wichtig Ausweichmechanismen sind unbewusst und bleiben häufig auch nach der Beseitigung der Ursache noch eine Zeitlang bestehen.

8.1

Widerlagernde Mobilisation

Ein Ziel der widerlagernden Mobilisation (. Abb. 8.1) ist es, den Patienten zu lehren, einzelne Bewegungsniveaus selektiv, bewusst und kontrolliert ohne Ausweichmechanismen zu bewegen. Dieser Lernprozess braucht Zeit und muss vom Therapeuten planmäßig gefördert werden (s. auch Klein-Vogelbach et al., 2000) Weitere Indikationen für die widerlagernde Mobilisation ergeben sich aus den Wirkungsweisen, die das Bewegen unter verschiedenen therapeutischen Gesichtspunkten hat: 5 Üben des derzeitig möglichen Bewegungsausmaßes, Verbessern der Beweglichkeit, 5 Üben der Koordination und Reaktionsbereitschaft der Muskulatur, 5 Förderung der selektiven kinästhetischen Wahrnehmung,

145

8.1 · Widerlagernde Mobilisation

a

c

b

d

. Abb. .. Widerlagernde Mobilisation des Schultergelenks in Abduktion. a Ausgangsstellung b Endstellung, c Position der Hände des Therapeuten, d Variante für endgradige Bewegungseinschränkung in Abduktion

5 Selbstkontrolle des Patienten, 5 Abbauen bzw. Verhindern von Ausweichmechanismen, 5 Schmerzlinderung.

8.1.1 Das Prinzip der widerlagernden

Mobilisation Die widerlagernde Mobilisation nutzt das Prinzip der Begrenzung einer weiterlaufenden Bewegung durch Gegenbewegung. Der Therapeut benötigt Kenntnisse über das beobachtbare Bewegungsverhalten eines Gelenks (7 Kap. 2.1).

Scharniertyp Man bestimmt den Drehpunkt und an den beiden Gelenkpartnern einen distalen und einen proximalen Distanzpunkt (DP). Die günstigste Form der widerla-

gernden Mobilisation ist erreicht, wenn proximaler und distaler Distanzpunkt und der Drehpunkt in Bewegung versetzt werden. Ist das der Fall, können sich entweder die beiden Distanzpunkte voneinander entfernen, und der Drehpunkt schiebt sich dazwischen, oder die beiden Distanzpunkte nähern sich an, und der Drehpunkt weicht ihnen aus. Es sollten mindestens 2 Punkte bewegt werden. Vorteilhaft ist es, wenn der Drehpunkt einer dieser beiden bewegten Punkte ist.

Rotationstyp Die Bewegungsachse ist die Drehachse, die Gelenkpartner sind der proximale und distale Zeiger. Die günstigste Form der widerlagernden Mobilisation ist die gegenläufige Bewegung beider Zeiger. Der Therapeut muss darauf achten, dass die Bewegungsachse immer so weit parallel verschoben wird, dass keine zusätzlichen, ungewollten Bewegungskomponenten mobilisiert werden.

8

146

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Kapitel 8 · Behandlungstechniken

Translationstyp In der Wirbelsäule werden die Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf auf einer Verschiebeebene gegeneinander bewegt. Die Bewegungen finden in mehreren Segmenten der Wirbelsäule statt. Bei Translationen nach rechts/links sind lateralflexorische Bewegungstoleranzen nötig, und Translationen nach vorn/hinten setzen sich aus kombinierten Flexions-/Extensionsbewegungen zusammen.

8.2

Mobilisierende Massage

Bei der mobilisierenden Massage (. Abb. 8.2) werden die Muskeln und umliegenden Gewebeschichten eines Gelenks bearbeitet, um die Bewegungsqualität und die Gewebeverschieblichkeit zu verbessern.

8.2.1 Das Prinzip der mobilisierenden

Massage Ausführung Der Therapeut muss das Gewicht der bewegten Körperteile übernehmen, um unerwünschte muskuläre Aktivitäten gegen die Schwerkraft zu vermeiden. Die Grifftechnik ist nicht prinzipiell festgelegt. In benachbarten Gelenken müssen entsprechende Bewegungstoleranzen vorhanden sein. Zuerst sollte der proximale Gelenkpartner bewegt werden, da dieser die geringere Bewegungstoleranz hat und Ausweichmechanismen noch vor dem Entstehen verhindert. Das Tempo ist zuerst langsam und richtet sich nach dem Patienten und dem Bewegungsausmaß. Bei kleiner Bewegungsamplitude wird ein Tempo von 120/min angestrebt. Der Therapeut entscheidet – je nach Ziel –, ob er am Bewegungsende oder in einer submaximalen Gelenkstellung arbeiten möchte. Von Anfang an ist die Instruktion der geplanten Bewegung ein Teil der Behandlung (7 Kap. 6): 5 Der Therapeut informiert den Patienten über die Richtung der Distanzpunkte und bewegt den proximalen Gelenkpartner, während der distale nur seine Lage im Raum verändert. 5 Er hält den proximalen Gelenkpartner in der gewünschten Position. Dann bewegt er den distalen Gelenkpartner in die Gegenrichtung (widerlagernd, gegenläufig). 5 Er bewegt beide Gelenkpartner widerlagernd hin und her (das Tempo kann variiert werden). Es können in der Endstellung statische Widerstände gegeben werden, um das erreichte Bewegungsausmaß zu stabilisieren, und/oder dynamisch exzentrische und konzentrische Widerstände an beiden Gelenkpartnern gleichzeitig

gegeben werden. Später soll der Patient die widerlagernden Bewegungen selbständig zuerst hubfrei, dann mit zunehmender Hubbelastung durchführen können.

Bei der mobilisierenden Massage gibt es bewährte Ausgangsstellungen und Handgriffe. Allerdings muss jeder Therapeut bei jedem neuen Patienten die notwendigen Anpassungen vornehmen (wegen der unterschiedlichen

Körperproportionen von Patient und Therapeut). Die Wirkungsweise einer mobilisierenden Massage liegt darin, dass 5 die Trophik verbessert wird, 5 der Spannungszustand der Muskulatur herabgesetzt wird, 5 die Gewebeverschieblichkeit zunimmt, 5 sich die kinästhetische und taktile Wahrnehmung des Patienten verbessert, 5 die intra- und intermuskuläre Koordination verbessert wird, 5 das Bewegungsausmaß und die Bewegungsqualität zunehmen.

Ausführung Die Muskulatur wird nicht in einer bestimmten Stellung der Gelenke bearbeitet, sondern durch manipulierte Gelenkstellungsänderungen abwechselnd gedehnt, gelockert und gleichzeitig bearbeitet: 5 Der Therapeut unterstützt verbal, taktil und manipulativ die Ausführung der Bewegung (7 siehe auch Klein-Vogelbach et al., 2005). 5 Der Therapeut bewegt den Gelenkpartner in Zugrichtung des Muskels und bleibt dabei submaximal, damit Ausweichbewegungen unterbleiben. 5 Die Muskulatur wird in der gelockerten Phase quer zum Faserverlauf bearbeitet. 5 Das Tempo muss anfangs sehr langsam sein und kann nach einer Einspielphase gesteigert werden.

8.2 · Mobilisierende Massage

a

b

c

d . Abb. .. a, b Mobilisierende Massage der Brustwirbelsäule in Extension und Flexion; c, d Grifftechnik bei der Feinmobilisation

147

8

9

Fallbeispiel: Lumboischialgie

150

1

Kapitel 9 · Fallbeispiel: Lumboischialgie

Physiotherapeutische Dokumentation Patientendaten

Ärztliche Verordnung

2

Name/Adresse: Martina M.

Diagnose: Lumboischialgie

3

Alter/Geburtsdatum: 22 Jahre

4

Größe/Gewicht: 159cm / 55kg

5

Beruf:

Verkäuferin in einer Boutique

Hobbys:

Breakdance (hat sie aufgegeben)

Ergotherapie

Massage

Sport:

Handball (Bezirksliga) am Kreis und rechts außen Joggen

Logopädie

Bewegungsbad

MTT

Gruppentherapie

Elektrotherapie

sonstiges:

6

Behandlungshinweise:

7 8

Hilfsmittel:

9 10

Arbeitsfähig:

11

Anamnese:

12 13 14 15 16 17 18 19 20

Nebendiagnosen:

ja

Schon seit Jahren hat sie nach langem Stehen (1,5 Stunden) tief stechende Schmerzen (Durchbrechgefühl) in der oberen Lendenwirbelsäule, die nach einiger Zeit in den lateralen rechten Oberschenkel ausstrahlen. Dann spürt sie auch beide Knie. Nach ca. 20 Min. joggen bekommt sie stechende Schmerzen medial im rechten Knie. Nach Ligaspielen oder hartem Training beim Handballspielen hat sie die Beschwerden in der Wirbelsäule. Aus Angst vor Beschwerden nimmt sie sich beim Spielen generell zurück. Am meisten vermeidet sie Sprünge. Das Breakdancing hat sie völlig aufgegeben. Während normaler Trainingsphasen (2x/Woche + 1 Spiel am Wochenende) tauschen die Beschwerden eher auf, als bei erhöhtem Trainingspensum. Schweres Heben vermeidet sie.

Weitere Therapien

Therapieziele des Patienten (bezogen auf Beruf, Alltag, Freizeit) Stabilisation der Körperlängsachse und der Beinachsen um die Belastungen im Alltag und beim Sport wieder zu verbessern.

a) VAS Schmerzskala Lokalisation

Intensität

Qualität

Obere LWS

6

Stechend, ausstrahlend

Medial Knie

5

Stechend

151

9 · Fallbeispiel: Lumboischialgie

> Hypothesen: Ich sollte die Statik untersuchen, da die Patientin lange stehen muss. Bei einer Gang- bzw. Laufanalyse interessiert mich die Einstellung der Beinachsen. Beim Break Dance braucht sie eine sehr gute Beweglichkeit. Vielleicht gibt es hypermobile Wirbelsäulenbereiche. Die Beschwerden sind immerhin so stark, dass sie das schon aufgegeben hat und sich im Sport zurückhält. Da die Beschwerden bei vermehrter Aktivität zurückgehen liegt evtl. ein muskuläres Problem (Instabilität?) vor.

Untersuchungsergebnisse Konstitution

Längen: 5 + Oberlänge (+ Körperabschnitt Brustkorb) Breiten: 5 + Trochanterpunktabstand Tiefen: 5 – Ferse Statik

a

b

c

d

Von der Seite:

5 – Fußlängswölbung 5 – Genu recurvatum beidseits bei ++ Extension der Oberschenkel im Kniegelenks und vorgeneigter Becken-Oberschenkellängsachse 5 – LWS-Lordose (untere) 5 ++ LWS-Lordose im lumbothorakalen Übergang 5 + Translation des Brustkorbs nach dorsal 5 – Kyphose der oberen BWS bei + Nackenkyphose (. Abb. 9.1a,b) Von vorn/hinten:

5 + Belastung rechts 5 + Eversion beidseits bei + Divergenz des Fußes rechts und Medialrotation der Beuge-Streck-Achsen der Kniegelenke rechts > links 5 + Rotation des Beckens nach links 5 Beckentiefstand rechts bei Beinlängenverkürzung rechts 5 + linkskonkave Lateralflexion der LWS bei + Translation des Brustkorbs nach rechts 5 + Schultertiefstand rechts (. Abb. 9.1c, d) Reaktive Hyperaktivität

5 Der Bauchmuskeln, reaktiv auf das Brustkorbgewicht 5 Der Knieextensoren, reaktiv auf das Gewicht des Beckens, das vor den Beuge-Streck-Achsen steht

. Abb. . a–d. Patientin mit Lumboischialgie

9

152

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Kapitel 9 · Fallbeispiel: Lumboischialgie

Schubbelastungen

Muskulatur

Lumbothorakal: von oben schiebt das Brustkorbgewicht nach hinten und von unten zieht das Becken-BauchGewicht nach vorn/unten.

Stabilisationsfähigkeit der Körperlängsachse beim Klötzchenspiel:

> Hypothesen: Die Statik ändert sich vielleicht schon, wenn sie eine kleine Fersenerhöhung bekommt. Die Statik könnte die passiven Strukturen Belasten und die Schmerzen verursachen. Die Beinlängendifferenz erhöht die Belastung im lumbothorakalen Übergang, weil der Brustkorb nach rechts schiebt. Die Belastung der passiven Strukturen der LWS erhärtet sich. Ich muss nun das Bewegungsverhalten und die Stabilisationsfähigkeit der Wirbelsäule untersuchen.

Bewegungsverhalten der Wirbelsäule Lendenwirbelsäule:

5 Flexion und Extension – – 5 Lateralflexion rechts und linkskonkav – – LTÜ:

5 Flexion und Extension ++ 5 Lateralflexion + + 5 Rotation rechts und links – (Ausweichmechanismus: Translation des Brustkorbs zur kontralateralen Seite) Hüftgelenke:

a) Je 2 Sekunden Vor- und Rückneigung mit großer Amplitude: Das Becken kommt bei der Rückneigung verzögert mit. b) Je 1 Sekunde Vor- und Rückneigung bei kleiner Amplitude: Die Bewegung findet überwiegend im lumbothorakalen Übergang statt. Der Brustkorb bewegt sich schneller als das Becken. Rotatorische Verschraubung der Beinachsen / Koordinationsfähigkeit der Muskulatur

»Standwaage«: Im Einbeinstand ist die Verschraubung nicht zu halten. Unter Belastung medialisieren die Femurkondylen. > Hypothesen: Die Instabilität bestätigt sich. Die kleine Amplitude spricht die lokalen Stabilisatoren an. Diese schalten nicht gut ein. Bei einer + Oberlänge ist sie eher ein vertikaler Bücktyp. Beim horizontalen Bücken bestätigt sich die schlechte Stabilisationsfähigkeit der Bauchmuskulatur. Ein Beinachsentraining muss unter zunächst geringer Belastung erfolgen.

5 Unauffällig

Interpretation / Arbeitshypothese Bewegungsverhalten beim Gehen und Joggen

5 Standbeinphase beidseits: ++ Medialrotation der Beuge-Streck-Achse, ++ Extension des Kniegelenks im Mid-stance. 5 Beim Joggen verringert sich die Medialrotation der Femurkondylen. Die Kniegelenke bleiben flektiert. 5 Die Beinachsen lassen sich einstellen und können dort unter Belastung nicht gehalten werden. > Hypothesen: Die Beinachsen sind destabilisiert. Der Schmerz deutet auf eine Überlastung des Lig. collaterale mediale hin. Muskuläre Defizite vermute ich bei den Außenrotatoren der Hüftgelenke, den Extensoren/Innenrotatoren der Kniegelenke und den fußgewölbeformenden Muskeln. Zur Untersuchung eignet sich die »Standwaage«

Bewegungsverhalten beim Bücken

Horizontaler Bücktyp bei ++ Extension im lumbothorakalen Übergang.

Die Beschwerden resultieren aus der schlechten Statik mit Schubbelastungen der passiven Strukturen im Übergang LWS/ BWS und in den Kniegelenken. Auf Grund der verminderten Beweglichkeit der LWS ist es zu Überbeweglichkeit der darüber befindlichen Bewegungssegmente gekommen. Dies und die verminderte Stabilisationsfähigkeit der Körperlängsachse und der Beinachsen (Ansteuerungs- und Ausdauerproblem) erhalten das Problem.

Therapieplan 5 »Mobilisierende Massage«, »Hubfreie Mobilisation«, »Hula-Hula« zum Verbessern der Wirbelsäulenbeweglichkeit im hypomobilen Bereich um die kompensatorische Hypermobilität zu reduzieren. 5 »Klötzchenspiel«, »Die Waage«, »Vierfüsslerstand« und »Kurz und bündig« zum Erlernen der Stabilisationsfähigkeit der Wirbelsäule. 5 »Am Ort Steher und Geher«»Pinguin« und »Federball« zum Verbessern der Stabilisationsfähigkeit der Beinachsen auch beim Sprung.

Konstitution: – Ferse. Statik: schlechte Beinachsen bei kompensatorischer veränderter Gewichtsverteilung und resultierenden Schubbelastungen im hypermobilen lumbothorakalen Übergang. Kraft der Bauchmuskulatur reduziert.

Personenbezogene Faktoren (+) Jung und sportlich

(-) Stress im Beruf

Ist sehr eingeschränkt beim Sport, da BreakDance nicht mehr möglich ist und das Handballspielen auch nur noch mit Einschränkungen geht. Sie fühlt sich auch beim Arbeiten wie eine »Invalidin«, da ihre Kolleginnen wenig Verständnis dafür haben, dass sie zwar Kreisliga spielt, aber nicht mal stehen kann.

Umweltfaktoren

Kontextfaktoren (+) oder (-)

Verminderte Stabilisationsfähigkeit der Wirbelsäule beim Bücken. Verminderte Stabilisationsfähigkeit der Beinachsen beim Bücken und Joggen/Gehen (Medialrotation der Femurkondylen).

Schmerzen beim langen Stehen. Vermeiden vom Heben schwerer Gewichte.

»Durchbrechgefühl«.

THERAPEUT

Aktivität

Struktur / Funktion

PATIENT

Partizipation

Behandlungsziel: Stabilisation der Körperlängsachse und der Beinachsen, um die Belastungen im Alltag und beim Sport wieder zu verbessern.

Diagnose: Lumboischialgie

. Tab. .. ICF–Dokumentationsschema

9 · Fallbeispiel: Lumboischialgie 153

9

16

17

18

19

20 10

11

12

Datum

Mobilisierende Massage Hubfreie Mobilisation Hula Hula

Klötzchenspiel Die Waage Vierfüsslerstand Kurz und bündig

Beinachsentraining in unterschiedlicher Belastung: Am Ort Steher/Geher, Pinguin, Federball

Verbessern der Haltung und des Bewegungsverhaltens beim Stehen und Bücken.

Verbessern der Stabilisationsfähigkeit beim Bücken und Springen.

15

Verbessern der Wirbelsäulenbeweglichkeit um kompensatorische Hypermobilitäten zu reduzieren.

14 Erklären funktioneller Zusammenhänge

13

Verbessern der Eigenwahrnehmung in Bezug auf Sport und Haltung.

8

Intervention

7

Ziel / Problem

6 Gut

Gut

Befriedigend

Gut

Ergebnis

Patienten-Etikett

5

Station / Zimmer

9

Hauptdiagnose: Lumboischialgie

4

Name: Martina M

. Tab. .. Verlaufsdokumentation

154 Kapitel 9 · Fallbeispiel: Lumboischialgie

1

2

3

X

X

X

X

X

Erklären funktioneller Zusammenhänge

Mobilisierende Massage Hubfreie Mobilisation Hula Hula

Klötzchenspiel, Die Waage, Vierfüsslerstand, Kurz und bündig

Beinachsentraining in unterschiedlicher Belastung: Pinguin, Federball.

Verbessern der Wirbelsäulenbeweglichkeit um Schmerzen im hypermobilen Wirbelsäulenabschnitt zu reduzieren.

Verbessern der Haltung und des Bewegungsverhaltens beim Stehen und Bücken.

Verbessern der Stabilisationsfähigkeit beim Bücken und Springen.

X

Nein

Verbessern der Eigenwahrnehmung in Bezug auf Sport und Haltung.

Ja

Schnell

Interventionen

Ziele

Langsam

Bis wann

Reflexion (Ziel erreicht?)

Patienten- Etikett

Stabilisation der Körperlängsachse und der Beinachsen um die Belastungen im Alltag und beim Sport wieder zu verbessern. Mittel

Nebendiagnose:

Station/Zimmer

Ziel/Problem

Hauptdiagnose: Lumboischialgie

Name: Martina M.

. Tab. .. Abschlussbeurteilung

Die Stabilisation gelingt beim Springen noch nicht.

Die schlechte Handhaltung ist langjährig antrainiert und hat zur Adaption der Muskulatur geführt.

Begründung

9 · Fallbeispiel: Lumboischialgie 155

9

10

Fallbeispiel: Ischialgie

158

1 2 3 4 5 6 7 8

Kapitel 10 · Fallbeispiel: Ischialgie

Physiotherapeutische Dokumentation Patientendaten

Ärztliche Verordnung

Name/Adresse: Gerhard F. Tannenweg 8 Heidelberg

Diagnose:

Ischialgie

Nebendiagnosen:

arterielle Hypertonie

Alter/Geburtsdatum: 49 Jahre Größe/Gewicht: 168cm / 83kg Beruf:

Krankenpfleger

Hobbys:

Gartenarbeit

Ergotherapie

Massage

Sport:

Kegeln

Logopädie

Bewegungsbad

MTT

Gruppentherapie

Elektrotherapie

sonstiges:

Hilfsmittel: »Korsett« wurde vor 3 Jahren

9 10

verordnet – ist mittlerweile zu klein

Arbeitsfähig:

ja ja, seit: 4 Wochen

11

Anamnese:

12

Der Patient leidet seit ca. 10 Jahren an rezidivierenden Schmerzen in der Lendenwirbelsäule. Bei seiner Arbeit auf einer neurologischen Station muss er viel und schwer heben und tragen. Immer wieder hat er sich dabei »verhoben«.

13 14 15 16

Behandlungshinweise:

Diesmal war der Auslöser das Unkrautjäten. Vor 4 Wochen konnte er sich plötzlich bei der Gartenarbeit nicht mehr aufrichten. Die Schmerzen strahlen diffus ins linke Bein aus. Der behandelnde Hausarzt hat ihm zu Ruhe geraten und ihm Spritzen gegeben. Früher wurden gelegentlich Massagen verordnet, die auch kurzzeitig Besserung gebracht haben. Im Augenblick sind die Schmerzen in der Lendenwirbelsäule erträglich, was er auf die »Zwangspause« zurückführt. Die Schmerzen strahlen noch immer aus, aber »das kennt er ja«.

Weitere Therapien

Therapieziele des Patienten (bezogen auf Beruf, Alltag, Freizeit) Herr F. ist der Stationsleiter und möchte schnellstmöglich wieder arbeiten gehen. Der Arbeitsplatz ist ihm wichtig und er fühlt sich viel zu jung um schon »zum alten Eisen« zu gehören. Er ist leidenschaftlicher Gärtner und stolz auf seinen Rosengarten. Die Gartenarbeit braucht er als Ausgleich. Er möchte endlich dem wiederkehrenden Schmerz »gewappnet« sein.

a) VAS Schmerzskala

17

Lokalisation

Intensität

Qualität

18

Lumbosakral bilateral

4

stumpf

Lateral am Bein o Knie

5

ziehend

19 20

Schmerzverhalten: nach langem Stehen (15 Minuten) und beim Bücken

159

10 · Fallbeispiel: Ischialgie

> Hypothesen Obwohl der Patient seit 10 Jahren Beschwerden hat und damit ein chronisches Schmerzsyndrom vorliegt, kommt es zu regelmäßigen akuten Problemen. Ich habe den Eindruck, er will »die Sache« endgültig in den Griff bekommen. Ich werde nach der strukturellen Untersuchung v.a. das Bewegungsverhalten analysieren.

10

Extremitäten Hüftgelenke:

5 Erreicht links die Nullstellung

Untersuchungsergebnisse

> Hypothesen: Ich habe den Eindruck, dass sich auf die hypomobilen Wirbelsäulenabschnitte eine kompensatorische Hypermobilität entwickelt hat. Jetzt wird es interessant sein, die Muskulatur zu untersuchen, die für die Stabilisation der Körperlängsachse verantwortlich ist.

Konstitution

Untersuchung der Muskulatur im Bewegungsverhalten

Längen:

a) Untersuchen der Fähigkeit, die Körperabschnitte Becken

5 OL (+ Körperabschnitt Becken), + Oberschenkellänge

und Brustkorb in die Körperlängsachse einzuordnen und in jeder Position zu stabilisieren.

Breiten: Tiefen:

Die Körperabschnitte können nicht in die Körperlängsachse eingeordnet und dort nicht gehalten werden. Freies Sitzen ermüdet schnell.

5 ++ sagittotransversaler Durchmesser auf Nabelhöhe

Klötzchenspiel:

Gewichtsverteilung:

Bei der Vor- und Rückneigung beteiligt sich das Becken nicht an der Bewegung (auch nicht mit großen Lernhilfen). Die Bewegungen finden vor allem im lumbosakralen Übergang statt.

5 ++ frontotransversaler Brustkorbdurchmesser

5 Hauptgewicht am Bauch (168 cm / 83 kg) > Hypothesen Bei den Längen und der Gewichtsverteilung vermute ich, dass er ein eher horizontaler Bücktyp ist. – Wenn man viel heben und tragen muss, ist das für die Stabilisation des lumbosakralen Übergangs ein erschwerender Faktor. Wegen der + Gewichte wird sich die Statik verändern. Die Gewichte oberhalb und unterhalb der Schmerzstelle müssen wirklich gut übereinander stehen, damit es nicht zu Belastung passiver Strukturen kommt.

Beweglichkeit Wirbelsäule Flexion:

5 – – – LWS (schmerzhaft)

Vierfüsslerstand:

Die vermehrte BWS-Kyphose bleibt erhalten, die Lendenwirbelsäule zeigt eine deutlich vermehrte Lordose. b) Untersuchung der Muskulatur bei Gleichgewichtsreaktionen

Bei der therapeutischen Übung »Albatros« flektiert sich die Lenden- und Brustwirbelsäulewirbelsäule. > Hypothese: Die Wirbelsäule kann weder koordiniert bewegt noch stabilisiert werden. Keine der Übungen kann exakt durchgeführt werden.

Extension:

5 + + + lumbosakraler Übergang 5 – L4 bis L1, 5 – – BWS und HWS Lateralflexion:

5 – LWS und BWS linkskonkav, 5 – –BWS rechtskonkav

Verminderte Dehnfähigkeit

M. rectus femoris rechts, M. iliopsoas rechts, Mm. pectoralis minor Ischiokrurale Muskulatur und Tensor sind o.B. Erhöhter Spannungszustand

Skapulaadduktoren und Extensoren des Schultergelenks

Rotation:

5 Rotationsniveau nach kaudal verschoben, 5 – Brustkorb nach rechts (Ausweichmechanismus Translation)

Statik Von der Seite:

5 – – Längswölbung beidseits 5 + Plantarflexion

160

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Kapitel 10 · Fallbeispiel: Ischialgie

5 + Extension im Kniegelenk bei Vorneigung der Oberschenkel- und Beckenlängsachse 5 ++ LWS-Lordose untere LWS 5 + BWS-Kyphose nach kaudal verlängert 5 Brustkorb nach hinten translatiert 5 Ventraltranslation des Kopfs bei ++ Extension der oberen Kopfgelenke Von vorn/hinten:

5 5 5 5 5

+ Belastung links + Eversion links ++ Divergenz der funktionellen Fußlängsachsen ++ Valgus der Kniegelenke links > rechts Beckentiefstand links bei Abduktion im linken und Adduktion im rechten Hüftgelenk und rechtskonkaver Lateralflexion der LWS 5 Translation des Brustkorbs nach links 5 Abduktion der Schultergelenke bei Schulterhochstand beidseits 5 Retraktion des Schultergürtels Schubbelastungen Lumbal:

5 Von unten zieht das Becken-Bauch-Gewicht nach vorn/unten und 5 Von oben schiebt das Brustkorbgewicht nach hinten/ unten Reaktive Hyperaktivität

5 Schulter-Nacken-Muskeln reaktiv auf das vorn stehende Kopfgewicht 5 Bauchmuskeln (v.a. Oberbauch), reaktiv auf das nach hinten/unten schiebende Brustkorbgewicht und das nach vorn/unten ziehende Bauchgewicht Beinachsen

Beuge-Streck-Achsen lassen sich frontotransversal einstellen, Valgus der Kniegelenke ist aktiv korrigierbar. ++ Tibiatorsion > Hypothesen: Die Statik der Beinachsen und die veränderte Gewichtsverteilung belasten v.a. die passiven Strukturen der Wirbelsäule.

Bewegungsverhalten Gehen

Aktive Schritte; Trochanterpunkt und das Kniegelenk links bewegen sich während der Standbeinphase nach

hinten; späte Fersenablösung links (bei normaler Kraft des Trizeps surae); Divergenz der funktionellen Fußlängsachsen; Kopf und Becken sind nicht in die Körperlängsachse eingeordnet. Bücken

Horizontaler Bücktyp. Die lumbosakrale Verankerung kann nicht gehalten werden. Die Beinachsen können nicht stabilisiert gehalten werden. Sitzen

Die Körperabschnitte können nicht in die Körperlängsachse eingeordnet und dort nicht gehalten werden. Freies Sitzen ermüdet schnell.

Interpretation / Arbeitshypothese Die Statik der Beine stellt für die Wirbelsäule einen schlechten Unterbau dar. Daraus resultieren Schubbelastungen im bereits hypermobilen lumbosakralen Übergang, die Schmerzen erklären. Die schlechte Statik der Wirbelsäule ist ein zusätzlicher erschwerender Faktor bei der Belastung des hypermobilen Segments. Die konstitutionellen Mehrgewichte oberhalb des schmerzenden Bereichs verstärken diese Problematik. Da die Körperabschnitte wegen der verminderten Beweglichkeit der Wirbelsäule nicht in die Körperlängsachse eingeordnet werden können, kann eine erfolgreiche Besserung der Beschwerden nur mittelfristig erfolgen.

Therapieplan Der Patient soll Folgendes lernen: 5 Entlastungsstellungen für die LWS zu finden und auch beim Arbeiten zu benutzen. 5 Mit den Übungen »Flamingo«, »Standwaage«, »Pinguin« und »Cowboy« die Beinachsen optimal einzustellen und zu belasten. 5 Mit Hilfe der therapeutischen Übung »Der klassische Vierfüßlerstand« den lumbosakralen Übergang zu stabilisieren und diese Verankerung auch beim Bücken zu erhalten. 5 Mit Hilfe der hubfreien Mobilisation und der mobilisierenden Massage sowie den therapeutischen Übungen »Galionsfigur« und »Eslein streck dich« seine Wirbelsäule aktiv in Extension zu mobilisieren.

Steht unter großem Stress, da er um seinen Arbeitsplatz fürchtet.

Statik: Schlechte Statik der Beinachsen; + LWS-Lordose bei Rückneigung und Translation des Brustkorbs nach links. Schubbelastungen lumbal durch das Becken-Bauch-Gewicht und durch das Brustkorbgewicht. Horizontaler Bücktyp bei fehlender lumbosakraler Verankerung.

Personenbezogene Faktoren (+) Aufgeschlossen für Hilfsmittel und neue Arbeitsmethoden (–) Probleme am Arbeitsplatz

Umweltfaktoren (+) Lifter am Arbeitsplatz

Kontextfaktoren (+) oder (–)

Kann noch nicht wieder seinen Beruf ausüben. Der Garten »verwildert«.

Kann sich nicht so gut Bücken. Lange Stehen bereitet Schmerzen.

Kann sich nicht so gut bewegen – fühlt sich steif in der Wirbelsäule. Hat manchmal »Abbrechgefühl’. Ziehen ins linke Bein. Konstitution: + Oberschenkellänge, ++ frontotransversaler Brustkorbdurchmesser, ++ Gewicht am BauchBeweglichkeit: Hypomobilität der Wirbelsäule mit kompensatorischer Hypermobilität des lumbosakralen Übergangs. Verdacht auf Instabilität der LWS.

Partizipation

Aktivität

Struktur / Funktion

PATIENT

THERAPEUT

Behandlungsziel: Erlernen der lumbosakralen Stabilisation v.a. beim Heben und Tragen

Diagnose: Ischialgie

. Tab. .. ICF–Dokumentationsschema

10 · Fallbeispiel: Ischialgie 161

10

16

17

18

19

20 Klötzchenspiel (Sitz > 90° Hüftflexion) (auch als »Hausaufgabe«) und »Vierfüssler« (v.a. Trippelphase)

Aufbau der Längswölbung, rotatorische Verschraubung der Beinachsen, »Albatros«, »Standwaage« und »Flamingo«.

Übungen am Krankenbett.

Segmentale Stabilisation der LWS

Beinachsentraining und Vorbereitung Bücktraining (segmentale Stabilisation)

Bücken, Heben, Tragen

3.8. / 4.8.

5.8. / 8.8. / 9.8./ 11.8. / 15.8.

12.8. / 15.8. / 16.8.

2

3

Gut.

Beinachsen lassen sich einstellen und unter Belastung halten. Albatros war erst nach erneuter Übung »Klötzchenspiel« beschwerdefrei möglich.

Stabilität nur bei Vorneigung der Körperlängsachse und mit Hilfe des Therapeuten (schienender Griff am Becken und Brustkorb). Der Vierfüssler wurde aus Hausaufgabe regelmäßig durchgeführt.

Koordination und Wahrnehmung für die hypomobilen WS-Abschnitte hat sich verbessert.

Befriedigend.

Ergebnis

1

Hubfreie Mobilisation in Extension, mobilisierende Massage / Feinmobilisation der unteren LWS in Extension, »Galionsfigur«

Mobilisation der BWS in Extension

15

Täglich

14 In Schrittstellung arbeiten. Abstützen auf den eigenen Oberschenkeln. Sitzverhalten mit angepasster Rückenstütze.

13

Entlastungsstellungen für die LWS erlernen und in den Alltag umsetzen können

12

1.8. / 2.8. / 3.8.

11

Intervention

10

Ziel / Problem

9

Datum

8

Nebendiagnose: Arterielle Hypertonie

7

Station / Zimmer

6 Patienten-Etikett

5

Hauptdiagnose: Ischialgie

4

Name: Gerhard F.

. Tab. .. Verlaufsdokumentation

162 Kapitel 10 · Fallbeispiel: Ischialgie

Interventionen Im Sitzen und Stehen (Anlehnen, Schrittstellung…) Hubfreie Mobilisation und Mobilisierende Massage; Feinmobilisation der unteren BWS; »Galionsfigur«, »Eslein streck dich« »Klötzchenspiel«, »Vierfüssler« und »Albatros« Heben und Tragen rotatorische dynamische Stabilisation der Beinachsen,

Ziele

Entlastungsstellungen für die LWS

Mobilisation der BWS in Extension

Segmentale Stabilisation der LWS

Beinachsentraining

X

X

Schnell

Bis wann

X

Mittel

X

Langsam

Nebendiagnose: arterielle Hypertonie

Station/Zimmer

Ziel/Problem

Hauptdiagnose: Ischialgie

Name: Gerhard F.

. Tab. .. Abschlussbeurteilung

X

X

X

Ja

X

Nein

Reflexion (Ziel erreicht?)

Patienten- Etikett

Weniger eingeschränkt – aber nicht mobil. Verbesserte Koordination und Wahrnehmung

Begründung

10 · Fallbeispiel: Ischialgie 163

10

11

Fallbeispiel: Schulter

166

1

Kapitel 11 · Fallbeispiel: Schulter

Physiotherapeutische Dokumentation Patientendaten

Ärztliche Verordnung

2

Name/Adresse: Robert G.

Diagnose: Schulter-Arm-Syndrom

3

Alter/Geburtsdatum: 47 Jahre

4

Größe/Gewicht: 170cm / 80kg

5

Beruf:

selbständiger Altbausanierer

Hobbys:

Lesen

Ergotherapie

Massage

Sport:

Laufen, Radfahren, Krafttraining

Logopädie

Bewegungsbad

MTT

Gruppentherapie

Elektrotherapie

sonstiges:

6 7

Behandlungshinweise:

Hilfsmittel:

8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Nebendiagnosen:

Arbeitsfähig:

ja

Anamnese: Vor ca. 3 Monaten hat Herr G. beim Sanieren eines Dachs sehr schweres Material (ca. 20 kg-Eimer) über eine Leiter nach oben transportieren müssen. Er hat dabei die Eimer mit der rechten Hand über ein Geländer heben müssen (annähernd in Kopfhöhe). Am gleichen Abend fühlte sich der Arm »anders« an. Am nächsten Tag war es ihm nicht möglich, eine ausziehbare Leiter nach oben zu schieben und beim »Bankdrücken« im Fitnessstudio konnte er die gewohnten Gewichte nicht mehr drücken. Er spürt, dass er die die Muskelschwäche mit anderen Bewegungen kompensiert. Vor ca. 10 Jahren kam es nach einer langen Wanderung (mit Rucksack) zu einer plötzlichen Skapula alata, die vermutlich durch eine Lähmung des serratus anterior hervorgerufen wurde (damalige Diagnose).

Weitere Therapien

Therapieziele des Patienten (bezogen auf Beruf, Alltag, Freizeit) Er ist als selbstständiger Unternehmer in einem 1-Mann-Betrieb darauf angewiesen, dass er körperlich weiterhin sehr belastbar ist.

a) VAS Schmerzskala Lokalisation

Intensität

Qualität

167

11 · Fallbeispiel: Schulter

Untersuchungsergebnisse

Kraft:

Konstitution

5 M. serratus anterior rechts (Muskelwert 4) 5 M. supraspinatus, infraspinatus und teres minor (Muskelwert 4)

5 Breiten:+ frontotransversaler Brustkorbdurchmesser (. Abb. 11.1)

11

Statik Beweglichkeit

Von der Seite:

Wirbelsäule:

5 - BWS-Kyphose

5 Extension: + lumbothorakal, – untere Halswirbelsäule 5 Flexion: – untere Halswirbelsäule 5 Lateralflexion: – untere Halswirbelsäule in beide Richtungen 5 Rotation: – Brustkorb nach links (Ausweichmechanismus Translation)

Von vorn/hinten

5 + Standbreite 5 + Schulterhochstand rechts (. Abb. 11.2) 5 + Protraktion des Schultergürtels Bewegungsverhalten: Armbewegungen

Humeroskapulargelenk:

Zur Seite:

5 In allen Ebenen frei beweglich Skapulothorakalgelenk:

5 Zu früh einsetzende weiterlaufende Bewegung auf die Skapula

5 Kranialrotation eingeschränkt

Nach vorn:

Muskulatur

Mit ventral angehängtem Gewicht:

Entspannungsfähigkeit:

5 Depression/Retraktion

5 Schultergürtel kann nicht entspannt auf dem Brustkorb abgelegt werden.

5 Elevation/Retraktion

Beim Drücken nach vorn (Schrauben eindrehen): 5 Ventralrotation(. Abb. 11.3)

Stabilisationsfähigkeit:

5 Verminderte Stabilisationsfähigkeit der Skapula auf dem Brustkorb

Interpretation der Untersuchungsergebnisse / Arbeitshypothese

Erhöhter Spannungszustand:

5 M. subscapularis rechts

Die deutlich verminderte Stabilisationsfähigkeit des Schultergürtels auf dem Brustkorb resultiert vermutlich aus einer Teil-Parese des Serratus anterior, der sich nach der Schädigung vor 10 Jahren nicht komplett erholt hat. Die Bewegungseinschränkungen der unteren Halswirbel-

. Abb. .. + frontotransversaler Brustkorbdurchmesser

. Abb. .. Schulterhochstand rechts

5 M. trapezius, pars descendens, M. levator scapulae rechts Verminderte Dehnfähigkeit:

168

Kapitel 11 · Fallbeispiel: Schulter

. Abb. .. a Bewegungsverhalten der Skapula bei Flexion, b Mit zusätzlichem Gewicht (ca. 1 kg), c Skapula alata, d Ventralrotation des Schultergürtels

1 2 3 4 5 6

a

b

c

d

7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

säule stört die Mobilität des N. thoracicus longus, was die Dysfunktion noch verstärkt. Die schlechte Verschieblichkeit der Skapula in kraniale Rotation verhindert eine optimale Zentrierung des Humeruskopfes. Durch die Tätigkeit auf dem Bau und das Training der Armmuskulatur hat sich sekundär eine Überlastung der Rotatorenmanschette ausgebildet.

Therapieplan Zuerst sollte im Ultraschall/MRI abgeklärt werden, ob eine Verletzung der Rotatorenmanschette vorliegt. Mittels einer EMG-Messung sollte außerdem untersucht werden, ob der N. thoracicus longus voll funktionsfähig ist. 5 Mobilisierende Massage des Schultergürtels und der unteren HWS, um die Gleitfähigkeit des N. thoracicus longus zu verbessern.

5 Elektrotherapie zur Unterstützung der Aktivierung des M. serratus anterior. 5 selektive Aktivierung der Rotatorenmanschette und des M. serratus anterior 5 Kräftigung der Bauchmuskulatur zum Stabilisationstraining der Körperlängsachse 5 Trainingstherapie mit dem Fokus auf der Rumpfmuskulatur (v.a. Bauchmuskeln). 5 Verhaltenstraining: Kein Gewichtstraining für den Arm da bei kompensatorischen Ausweichbewegungen eine erhöhte Gefahr der Abnutzung der Rotatoren besteht. Die Bewegungen des Arms sollen von der Skapula aus initiiert werden (Angulus inferior nach ventral aktivieren).

Schlechte Stabilisationsfähigkeit des Schultergürtels auf dem Brustkorb. Verminderte Beweglichkeit der unteren HWS in sagittaler und frontaler Ebene. Verminderte Verschieblichkeit der Skapula in kraniale Rotation. Verminderte Kraft des Serratus anterior (4) und der Rotatoren (4).

Personenbezogene Faktoren (+) Ausgezeichneter Trainingszustand (+) Sehr gute Compliance (+) Hohe Motivation

(–) Oft unzugängliche Arbeitsplätze (–) Hohe Gewichte und keine Hilfsmittel

Kann nicht mehr so gut arbeiten und Gewichte transportieren.

Umweltfaktoren

Kontextfaktoren (+) oder (–)

Arbeiten mit langem Hebel ist unkoordiniert. Heben von schweren Gewichten ist nur mit Kompensationsbewegungen möglich.

Arbeiten über Kopf sind (fast) unmöglich.

Schwäche im rechten Arm. Fühlt sich unsicher.

THERAPEUT

Aktivität

Struktur / Funktion

PATIENT

Partizipation

Behandlungsziel: selektive Aktivierung des Serratus anterior und der Rotatorenmanschette zur verbesserten Stabilisation des Schultergürtels bei der Arbeit.

Diagnose: Schulter-Arm-Syndrom

. Tab. .. ICF–Dokumentationsschema

11 · Fallbeispiel: Schulter 169

11

16

17

18

19

20 9

10

11

12

Datum

Selektive Aktivierung der Rotatorenmanschette und des M. serratus anterior: a) Skapulasetting in unterschiedlichen Ausgangsstellungen b) Trippelphase des Vierfüsslerstands c) Elektrotherapie

Kräftigung der Bauchmuskulatur (z.B. Taillentrimmer).

Verbessern der Stabilisationsfähigkeit des Körperabschnitts Arme.

Stabilisationstraining der Körperlängsachse.

15 Mobilisierende Massage des Schultergürtels und der unteren Halswirbelsäule.

14

Verbessern der Gleitfähigkeit des N. thoracicus longus.

13 Intervention

7

Ziel / Problem

6 Sehr gut

Gut

Gut

Ergebnis

Patienten-Etikett

5

Station / Zimmer

8

Hauptdiagnose: Schulter-Arm-Syndrom

4

Name: Robert G.

. Tab. .. Verlaufsdokumentation

170 Kapitel 11 · Fallbeispiel: Schulter

1

2

3

X

X

Selektive Aktivierung der Rotatorenmanschette und des M. serratus anterior: a) Skapula-Setting in unterschiedlichen Ausgangsstellungen b) Trippelphase des Vierfüsslerstands c) Elektrotherapie Bauchmuskeltraining

Verbessern der Stabilisationsfähigkeit des Körperabschnitts Arme

Stabilisationstraining der Körperlängsachse

X

X

X

Mobilisierende Massage des Schultergürtels und der unteren Halswirbelsäule.

Verbessern der Gleitfähigkeit des N. thoracicus longus

X

Ja

Schnell

Interventionen

Ziele

Langsam

Bis wann Nein

Reflexion (Ziel erreicht?)

Patienten- Etikett

Selektive Aktivierung des Serratus anterior und der Rotatorenmanschette zur verbesserten Stabilisation des Schultergürtels bei der Arbeit. Mittel

Nebendiagnose:

Station/Zimmer

Ziel/Problem

Hauptdiagnose: Schulter-Arm-Syndrom

Name: Robert G.

. Tab. .. Abschlussbeurteilung

Nach weiterer Diagnostik ist der N. thoracicus longus nicht voll funktionsfähig. Die Stabilisationsfähigkeit bleibt damit eingeschränkt. Das Ergebnis ist trotzdem zufrieden stellend (. Abb.11.4 a–e).

Begründung

11 · Fallbeispiel: Schulter 171

11

172

Kapitel 11 · Fallbeispiel: Schulter

1 2 3 4 5 6

a

b

7 8 9 10 11 12

c

13

. Abb. .. a Statik des Brustkorbs und Schultergürtels von vorn, b Verbesserte Auflage des Schultergürtels auf dem Brustkorb, c Stabilisation des Schultergürtels auf dem Brustkorb bei Flexion, d Stabilisation des Schultergürtels trotz zusätzlichen Gewichts (1 kg), e Ansicht von der Seite

14 15 16 17 18 19 20

d

e

12

Literaturverzeichnis

174

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

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Sachwortverzeichnis

Sachwortverzeichnis

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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Sachwortverzeichnis

A »Am Ort Steher« 99 Abstützen 48 Abweichung 72 Adaptation 53 ADL 61 Agonist 52 aktive/passive Insuffizienz 52 aktive Insuffizienz 41 aktive und passive Insuffizienz 38 Aktivität 59 Aktivitätszustände 43 Analyse 20 Analysenkonzept 132, 136 Anamnese 57 anatomische Fußlängsachse 81 Anpassung der Übung 115 Antagonist 52 Antetorsion 82, 96, 98 Antizipation 51, 106, 120, 123 antizipatorische Aktivität 99 Arbeitshypothese 112 ärztliche Diagnose 56 Atrophie 50 Ausweichbewegung 27 Ausweichmechanismus 27, 144

B »Bett des Fakirs« 46 »Bridging« 46 »Brückenbauch« 46, 108 – seitlicher 108 Basisqualifikation 20 Beckenhochstand 82 Begrenzen der weiterlaufenden Bewegung 28 Behandlungsplan 2, 114 Behandlungsprozess 112 Beinachse 96 Beinachsenbelastung 113 Beinachsentraining 48 Beobachtungskriterium 20, 64, 72 Betrachtungsweise 56 – funktionsorientiert 56 – strukturorientiert 56 – verhaltensorientiert 56 Beuge-Streck-Achse 96 Beweglichkeit 89 Bewegung 51, 114 – reaktiv 51 – zielgerichtet 51 Bewegungsachse 41 Bewegungsanalyse 20 Bewegungsauftrag 121

Bewegungsbeobachtung 2, 115 Bewegungskontrolle 51, 100 Bewegungslernen 114, 118 Bewegungstoleranz 26 Bewegungsverhalten 2, 52, 128 Bodenreaktionskraft 100 Breite 74 Brückenaktivität 46 Bücken 62 Bücktyp 62 – horizontal 62 – neutral 62 – vertikal 62 Bückverhalten 62

C Cavitas glenoidale 11 Clinical Reasoning 112

D »Das Zirkuspferdchen« 100, 102 »Der Albatros« 37 »Der am Ort Geher« 102 »Der Eckensteher« 101 »Der Flamingo« 100 »der Goldfisch« 106 »Der Pinguin« 100 »diagonaler Frosch« 102 »Die Spinnübung« 37 »Die Standwaage« 100, 101 »Die Waage« 37 Deceleration 66 Dehnfähigkeit 40 demonstrieren einer Bewegung 123 Diagnose 112 – ärztliche 112 – physiotherapeutische 112 didaktische Bewegungsschulung 2, 128 distale Gelenke 3 distale Radioulnargelenke 16 Distanzpunkt 5, 20 Distanzpunkte 20 Divergenz 68, 81 dorsal 3 Dorsalrotation 11 Drehmoment 52 Drehpunkt 5, 20, 23, 32, 52 Drehpunktverschiebung 22 Druckveränderung 45 dual task 120 Duchenne-Hinken 70 dynamische Haltungskontrolle 61 dynamische Stabilisation 51, 99 dynamische Stabilisierung 72

E ein- oder mehrgelenkige Muskulatur Entlastungsstellung 43, 44, 113 Eversion 15 extrinsisches Feedback 122

38

F fallverhindernd 51 Fasertypen 49 Faszie 50 Feedback 122 Fehlatmung 72 Fehlhaltung 113 Feinregulation 104 Fersenablösung 67 foot-flat 66 formativer Bildungsreiz 114 Frontalebene 2 frontosagittale Achsen 2, 5 frontotransversale Achsen 3, 4 frontotransversaler Brustkorbdurchmesser 74 funktionelle Beanspruchung im Alltag 114 funktionelle Fehlatmung 88, 103, 114 funktionelle Fußlängsachse 68, 81 funktionelles Abduktionssyndrom 74 funktionelles Problem 2 funktionsorientiert 99 Funktionsschulung 114 Funktionsstörung 112

G Gangtempo 69 gangtypisch 100 ganzheitliches Üben 126 Gegenaktivität 28, 103 Gegenbewegung 28 Gegengewicht 34, 51 gelernter Schmerz 57 geschlossene Aufgabe 125 geschlossene Kette 46 Gewichtsverschiebung 34 Gleichgewicht 29 Gleichgewichtslage 32 Gleichgewichtsreaktion 51, 71, 104, 114, 115, 136 Gleichgewichtsreaktion (Equilibriumsreaktion) 34 globale Muskeln 51

179

Sachwortverzeichnis

H Haltung 43 Haltungskorrektur 88, 113 Hängevorrichtung 48 heel of 66 heel strike 66 Hinkmechanismus 68, 70 horizontal 4, 5 Hubbelastung 38, 41, 136 hubfrei 42 hubfreie Mobilisation 141 Hyper- und Hypomobilität 113 Hyperaktivität 51 hypertone Muskulatur 40 hypothetische Norm 64, 72

I ICF 58, 112 Immobilisation 49, 114 indifferentes Gleichgewicht 34 Instruktion 5, 20, 46, 114, 115, 128, 133 Instruktion von Bewegung 3, 20 intersegmentale Kontrolle 100 Intervention 56, 112, 115 intrinsisches Feedback 122 Inversion 15

K »Klassischer Frosch« 102, 104 »Klötzchenspiel« 104 »Kurz und bündig« 103 Kadenz/Frequenz 66 kaudal 4 Kaudalrotation 11 Kinästhetik 114 kinästhetische Wahrnehmung 130 kinematische Ketten 20 Kinetik 52 kinetische Kette 50 kinetische Muskelkette 99 knowledge of performance 122 knowledge of result 122 komprimierende und stabilisierende Kontraktion 38 Kondition 56 Konstitution 72, 113, 134 Kontaktstellen 31 Kontextfaktor 59 Konvergenz 68, 81 Koordination 20, 115 Koordinationsfähigkeit 101 Körperabschnitt 44

Körperabschnitte Becken, Brustkorb und Kopf 5 Körperfunktion 59 Körperlängsachse 5, 70, 103 Körperschwerpunkt 29 Körperstruktur 59 kranial 4 Kranialrotation 11 kritischer Distanzpunkt 26, 105, 130

L

neutrale Position 102 neutrale Stellung der Wirbelsäule 52 normales Bewegungsverhalten 115 Normwert der Tibiatorsion 98 Nozizeptor 57

Oberlänge 73 Oberschenkel-Länge 74 offene Aufgabe 125 Ökonomie 49 ökonomische Aktivität 144 ökonomisches Prinzip 38 Outlet-Syndrom 72

Parkierfunktion 43 Partizipation 59 passive Insuffizienz 40 personenbezogene Faktoren 59 Perzeption 132 physiotherapeutische Diagnose 56 Plastizität der Muskulatur 49 Prä-Aktivierung 100 Primärbewegung 27, 28, 35, 133 Probebehandlung 112 Propriozeption 52 Protraktion/Retraktion 12 proximale Radioulnargelenke 16

M

N

O

P

labiles Gleichgewicht 33 Länge 73 Lastarm 41 Lehrstrategie 121 Leitbild 72 Leitmotiv 114 Lernen 118 Lernstadium 120 limbisches System 120, 124 lokale Muskeln 51 lokaler Stabilisator 106 lokale Stabilisatoren 28

mentales Üben 123 mid-stance-phase 66 mid-swing 66 mittlere Frontalebene 3 Mobilisator 51, 52 mobilisierende Massage 146 Motivation 119, 124 Motorik 118 motorische Kontrolle 118 motorisches Lernen 118 Muskelaktivität 67, 115 Muskelarbeit 41 – dynamisch exentrisch 41 – dynamisch konzentrisch 41 – stabiliserend statisch 41 Muskelfähigkeit 99 Muskelfunktionsprüfung 53, 99 Muskeltraining 136 muskuläre Bewegungseinschränkung muskuläre Dysbalance 52 myofasziales System 49, 51

13

R Reaktion 115 Reaktionsbereitschaft der Muskulatur 104 reaktiv 72 reaktive Hyperaktivität 84, 113 reaktives Armpendel 106 reaktives Üben 114 reale Zeiger 24 referred pain 57 reflektorische Muskelverkürzung 40 Rotationsstabilität 48 Rotationssynergie 99, 105 Rotationszeiger 9, 24 Rotatorenmanschette 38, 106 rotatorische Verschraubung 99, 105 Rutschtendenz 47 40

S Sagittalebene 2 sagittotransversale Achsen 3 sagittotransversaler Brustkorbdurchmesser 3 Schmerzen 134 Schrittlänge 69 Schrittzyklus 66 Schubbelastung 84, 113 Schwerkraft 41, 51, 114, 115

180

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Sachwortverzeichnis

Schwerkrafteinwirkung 50 Schwerpunktlot 80 segmentale Instabilität 52 segmentale Stabilisation 52 Selbständigkeit 113 selektive Bewegung 114 selektives Muskeltraining 46 Sinnesorgane 104 Sitzen 61 Skapula 48 Skapulakinematik 92 skapulo-thorakales Gleitlager 12 Spielbein 66 Spielfunktion 43, 67 Spinnübung 106 Spurbreite 68 stabile Gleichgewichtslage 29 stabiles Gleichgewicht 32 Stabilisator 51, 52 stabilisierend/statisch 43 stabilisierende Muskelaktivität 28, 34 Stabilisierung 38 Standbein 66 Standbeinphase 67 Statik 40, 52, 78, 113 strukturelle Muskelverkürzung 40 Stützfunktion 47, 67 Symmetrieebene 4

T Taxonomie 125 – nach Gentile 125 terminal stance 66 Thomas-Handgriff 8, 29 thorakaler Flachrücken 3 thorakaler Rundrücken 3 Tibiatorsion 96 Tiefen 76 Tiefensensibilität 130 Timing 105, 109 toe-off 66 Tonusveränderung 40 Trainingszustand 56 Traktion 48 Transversalebene 2 Trennebene 31, 36 Triple-Test 97 Trippelphase 106 Trochanterpunkt 74 Türmchen 31

U Übungsbedingung 125 Umweltfaktor 59 Unterlänge 73 Unterstützungsfläche 29

V »Vierfüßlerstand« 104 Valgusstellung 15 Varusstellung 15 ventral 3 Ventralduktion/Dorsalduktion 12 Ventralrotation 11 Veränderung des Bewegungsverhaltens 114 Verstärkung 124 vertikal 4, 5 Vierfüssler, Trippelphase 45

W Wahrnehmungstraining 114 WB 26 Weggewinn 70 weiterlaufende Bewegung 8, 26 widerlagernde Mobilisation 26, 144 Wiederholung 126 Winkelveränderung 25

Z Zeiger 7, 20 Zentrierung der Gelenke Zielsehnsucht 64

51

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