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Ruth Albert
Vorlesung
Grundwissen Deutsch als Fremdsprache
Inhaltsverzeichnis 0. 1. 1.1 1.1.1 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.2.1 1.2.2.2 1.2.2.3 1.2.2.4 1.2.2.5 1.3 1.4
Vorwort Überblick über das Studium Organisation Formales Inhaltliches Gesamtkonzept Bezugswissenschaften Linguistik Landeskunde Literaturwissenschaft Sprachlehrforschung Praktische Fertigkeiten Berufsbilder Praktika
1 1 1 2 2 3 4 6 7 8 10 11 14
2. 2.0 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 2.9
Wie lernt man Sprachen? Einführung Mutterspracherwerb Zweitspracherwerb Erwerbsfolgen Mischformen Bilingualer Spracherwerb Sprachenlernen durch Unterricht Unterschied Zweitspracherwerb/Fremdsprachenlernen Deutsch als 2. oder 3. Fremdsprache Interimsprachen
15 15 15 16 16 17 17 18 18 19 19
3. 3.1
21
3.4.1.2 3.5
Linguistische Anteile des Studiums Phonetik, Phonologie: der Lautbestand des Deutschen, Satzintonation Die Phoneme des Deutschen Ausspracheunterricht Morphologie Semantik Syntax Syntaxmodelle Modellgebundenheit von Begriffen, das „Subjekt“ in der traditionellen Grammatik Das Valenz-/Dependenzmodell Pragmatik
4. 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6
Landeskunde Landeskunde – Versuch einer Begriffsklärung Ziele der Landeskunde Verschiedene Ansätze in der Landeskunde Literatur in der Landeskunde Umgang mit Stereotypen Lehrwerke
3.1.1 3.1.2 3.2 3.3 3.4 3.4.1 3.4.1.1
V
II
21 22 24 31 33 34 34 35 39 42 45 45 46 47 48 49 51
4.6.1 4.6.2 4.6.3 4.6.4 4.6.5 4.6.6 4.6.7
Tatsachen über Deutschland Typisch deutsch? Spielarten Zwischen den Kulturen Widersprüche Deutschland nach der Wende Zusammenfassung
51 51 52 53 55 55 55
5. 5.1 5.2 5.2.1 5.2.2
Sprachlehrforschung Ziele Themen Fehlerkorrektur Vokabellernen
57 57 57 58 58
6. 6.0 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6
Didaktische Konzepte Einleitung Arbeitsformen und Aufgabentypen Erstellen eines Unterrichtskonzepts Korrekturen Prüfungen Lehrmaterialanalyse Verschiedene Lehrmethoden
59 59 60 62 64 67 68 72
7. 7.1 7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.2 7.2.1 7.2.2
75 75 75 76 82 83 83
7.3
Typische Themen im DaF-Unterricht Wortschatzvermittlung Auswahl der Vokabeln Vokabelvermittlung Effektivität von Wortschatzvermittlungsmethoden Übungsformen für den Grammatikunterricht Auswahl der Grammatikthemen Der übliche Vermittlungsweg eines Grammatikkapitels im kommunikativen Unterricht Die 4 Fertigkeiten
84 94
8. 8.1 8.2 8.3 8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4 8.3.5 8.3.6 8.3.7 8.4
Deutsch als Fremdsprache in der Unterrichtspraxis Institutionen Niveaustufen und standardisierte Prüfungen Lehrwerke Stufen International Tangram aktuell Themen aktuell Delfin Eurolingua Schritte em neu Grammatiken
97 97 98 99 100 101 101 102 103 104 104 105
9. 9.1
Individuelles Fremdsprachenlernen Einfluss von außersprachlichen Faktoren auf das Fremdsprachenlernen Alter
107
9.1.1
III
107 107
9.1.2
Intelligenz
108
9.1.3 9.1.4 9.1.5 9.2
109 110 112
9.2.1 9.2.2 9.2.3
Sprachlerneignung Lernertypen Motivation und Motivierung Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Individualität im Unterricht Selbstgesteuertes Fremdsprachenlernen Lernerautonomie Sprachlernberatung
10. 10.0 10.1 10.2 10.3 10.4 10.5 10.6 10.7
Fachsprachenunterricht Einleitung Fachsprachenunterricht: Begriffsbestimmung und Zielsetzung Funktionen Kennzeichen Spezialwortschatz „Fachsprachengrammatik“ Verbalisierungskonventionen Wirtschaftsdeutsch
119 119 119 120 121 121 122 122 122
11. 11.0 11.1 11.2 11.2.1 11.2.2 11.2.3 11.2.4 11.3 11.4
Deutsch als Fremdsprache als wissenschaftliches Fach Einleitung „Handwerkliche“ Veröffentlichungen Wissenschaftliche Veröffentlichungen Grundlagenforschung zu Mehrsprachigkeit/Zweitspracherwerb Sprachlehr- und Lernforschung Interkulturelle Germanistik Linguistik Forschungsmethoden: eine kurze Übersicht Methodisches Vorgehen am Beispiel einer empirischen Arbeit im Bereich Deutsch als Fremdsprache Operationalisieren Auswahl der Versuchsteilnehmer Zufallsstichprobe Quotenverfahren Konstanthalten der nicht zu untersuchenden Merkmale
124 124 124 124 124 125 125 126 126
11.4.1 11.4.2 11.4.2.1 11.4.2.2 11.4.3
114 114 115 116
127 127 129 129 130 130
Prüfungsfragen zur Vorlesung „Grundwissen Deutsch als Fremdsprache“ 132 Literaturempfehlungen
133
Literaturverzeichnis
135
IV
0.
Vorwort
Diese erste Einführung in das Studium des Faches „Deutsch als Fremdsprache“ ist so konzipiert, dass ein Großteil der Studieninteressenten in der Lage sein dürfte, sie bereits vor Beginn der Vorlesungszeit des 1. Semesters zu lesen. Das soll Ihnen auch ermöglichen, auf der Grundlage einer Beschreibung der Studieninhalte zu entscheiden, ob Sie dieses Studium aufnehmen wollen oder doch lieber ein anderes Fach wählen. Wenn Sie diesen Reader als Selbststudienmaterial benutzen, um einen benoteten Schein zu erwerben, können Sie Ihre Antworten auf die auf S. 133 gestellten Fragen per Mail an
[email protected] einschicken oder – das ist uns viel lieber – einen Ausdruck Ihrer Antworten zusammen mit einem ausgefüllten Scheinformular in Raum 06A 07A abgeben. Etwa 14 Tage später können Sie normalerweise Ihren Schein abholen. Der Text dieser Vorlesung wurde fertiggestellt, während gerade an den „Empfehlungen“ für die teilweise Rücknahme von Regelungen der Rechtschreibreform gearbeitet wurde, so dass möglicherweise Inkonsistenzen in Bezug auf die Neuregelung zwischen den Kapiteln bestehen, die ich zu entschuldigen bitte. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich für die nächste Auflage auf solche Fehler und auch auf Irrtümer, schwer verständliche Textstellen u.ä. hinweisen würden, falls sie Ihnen auffallen. Für ihre gründliche Überarbeitung meiner Vorlage, das Entwickeln einer neuen Fragenliste und ihre unendliche Geduld beim Einarbeiten der gerade aktuellen Rechtschreibregelungen danke ich Sandra Ballweg. Marburg, im März 2006
Ruth Albert
V
1.
Überblick über das Studium
1.1
Organisation
Diese Vorlesung soll Ihnen einen Überblick über die Inhalte des Studiums „Deutsch als Fremdsprache“ (DaF) geben und darüber, wie es in Marburg studiert werden kann. Die Veranstaltung ist u.a. als eine Hilfe für diejenigen gedacht, die sich fragen, ob dieses Studium für sie interessant ist oder nicht.
1.1.1 Formales Zur Organisation ist zu sagen, dass im Prinzip fünf verschiedene Möglichkeiten für dieses Studium bestehen. 1.
Es gibt die Möglichkeit, Deutsch als Fremdsprache als Magister-Nebenfach zu studieren. Das bedeutet, dass daneben ein Magister-Hauptfach studiert wird und auch ein weiteres Magister-Nebenfach. Als ein Nebenfach macht DaF in einem solchen Studium etwa ein Viertel der Lehrveranstaltungen aus. Es ist bei dieser Variante nicht möglich, die Magisterarbeit in Deutsch als Fremdsprache zu schreiben. Wenn „Deutsch als Fremdsprache“ im Hauptfach „Deutsche Sprache und Literatur” als Schwerpunkt gewählt wird, kann es nicht gleichzeitig ein Nebenfach sein. Alle anderen Kombinationen sind erlaubt, also zum Beispiel die Kombination des Nebenfachs DaF mit einem Hauptfach „Deutsche Sprache und Literatur“ mit einem anderen Schwerpunkt wie z.B. „Deutsche Sprache“. Dieser Studiengang läuft aus.
2.
Die bereits erwähnte zweite Möglichkeit ist das Studieren des Fachs Deutsch als Fremdsprache im Rahmen eines Magister-Studiums „Deutsche Sprache und Literatur”. Deutsch als Fremdsprache ist in einem solchen Studium ein möglicher Schwerpunkt. Es gelten besondere Bedingungen dafür. Der Schwerpunkt ist umfangreicher als andere Schwerpunkte. Das liegt daran, dass das Fach Deutsch als Fremdsprache eine echte Berufsausbildung darstellt, die bei einem zu geringen Studienumfang nicht zu befriedigenden Resultaten führen kann. Bei der Wahl dieser Variante nimmt das Fach Deutsch als Fremdsprache etwas weniger als ein Viertel des Studiums ein, dafür besteht aber die Möglichkeit, die Magisterarbeit im Fach Deutsch als Fremdsprache zu schreiben. Auch dieser Studiengang läuft aus. 3. Bisher war es möglich, ein viersemestriges Diplom-Aufbaustudium „Deutsch als Fremdsprache“ zu machen. Neueinschreibungen sind nicht mehr möglich. Statt dessen gibt es den Master-Studiengang „Deutsch als Fremdsprache“, der aufnahmebeschränkt ist und für den man sich nur nach Bestehen einer Eignungsfeststellungsprüfung einschreiben kann. Es handelt sich hierbei um eine Möglichkeit, „Deutsch als Fremdsprache“ nach einem B.A.-Abschluss in einem germanistischen Fach zu studieren. 4. Eine vierte Möglichkeit besteht nur für LehrerInnen und LehramtsstudentInnen. Wer ein Lehramtsstudium absolviert hat, kann nach seinem Examen oder gleichzeitig mit seinem Examen als drittes Fach Deutsch als Fremdsprache in einer sogenannten Erweiterungsprüfung absolvieren. Für diese Prüfung gibt es eine vom Ministerium veröffentliche Prüfungsordnung, Herr Prof. Königs und ich sind als Prüfer bestellt, jedoch gibt es bisher keine genehmigte Studienordnung. Im Moment werden alle 1
Studienordnungen in der Lehrerausbildung neu konzipiert. Wer sein Studium zur Vorbereitung auf die Erweiterungsprüfung schon begonnen hat, kann auf jeden Fall nach der aktuellen Studienordnung zu Ende studieren. Die aktuelle und die geplante Studienordnungen sind in Raum A 06A07A erhältlich. 5. Neben diesen Möglichkeiten wird Deutsch als Fremdsprache auch als Nebenfach für Diplom-PädagogInnen und Diplom-SoziologInnen angeboten. Zu beachten ist dabei, dass das Nebenfach Deutsch als Fremdsprache deutlich umfangreicher ist als die meisten anderen Nebenfächer. Neben institutionellen Abschlüssen im Bereich DaF gibt es die Möglichkeit, einzelne DaFLehrveranstaltungen im Rahmen der Lehrerfortbildung, studienbegleitend oder als GasthörerIn zu besuchen. Wir informieren Sie dazu gern persönlich telefonisch (06421/28-24539) oder per Mail:
[email protected]. Eine Besonderheit unseres Studienangebotes ist, dass sehr viele Lehrveranstaltungen als Selbstlernmaterialien (online, als Reader oder als Kopiervorlage in der Bibliothek) angeboten werden und dass auch relativ häufig Blockseminare stattfinden, so dass nicht alle Veranstaltungen als Präsenzveranstaltungen während des Semesters besucht werden müssen. Dies soll eine Berufstätigkeit neben dem Studium ermöglichen.
1.2
Inhaltliches
1.2.1 Gesamtkonzept Wichtiger als die formalen Gesichtspunkte sind natürlich die inhaltlichen. Was lernt man eigentlich in einem Studium Deutsch als Fremdsprache? Marburg ist nicht die einzige Universität, die ein Deutsch-als-Fremdsprache-Studium anbietet. Die Konzepte für ein solches Studium sind jedoch an den verschiedenen Universitäten unterschiedlich. Unser Hauptprinzip ist, dass unsere AbsolventInnen gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt im Ausland haben sollen, und zwar vor allem im Erwachsenenunterricht. Wir konzentrieren uns ausdrücklich nicht auf die Ausbildung von Lehrern und Lehrerinnen, die Immigrantenkindern Deutsch als Zweitsprache beibringen wollen, denn ein derartiges Ausbildungsangebot besteht an der 30 km entfernten Universität Gießen. Arbeitgeber, auf die wir vorbereiten, sind z.B. der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), die Goethe-Institute sowie ausländische Universitäten, Schulen und Sprachinstitute für den Erwachsenenunterricht. Diese Konzeption hat zur Folge, dass keine migrantenspezifischen und keine schulpädagogischen Themen in unserem Lehrprogramm vorkommen. Solche Themen werden allerdings vom Fachbereich Erziehungswissenschaften in Marburg angeboten, so dass Sie sich dieses Wissen aneignen können. Deutsch als Fremdsprache nimmt innerhalb des Germanistik-Studiums eine Exotenrolle ein. Germanistik studiert man oft aus einem Bildungsinteresse heraus. Man möchte mehr über die deutsche Sprache und die deutschsprachige Literatur wissen. Berufsausbildungen schließen sich normalerweise erst an das akademische Studium an. Solche Berufsausbildungen sind etwa die Referendarzeit, Volontariate bei Medienkonzernen und anderen Unternehmen, Trainée-Programme in der Industrie und Ähnliches. Dadurch kann das Germanistik-Studium sich ausschließlich auf die theoretischen Aspekte konzentrieren. 2
Das Deutsch-als-Fremdsprache-Studium, wie es hier in Marburg angeboten wird, ist hingegen eine echte Berufsausbildung. Das Studium ist so angelegt, dass für die Absolventen tatsächlich Chancen auf dem Arbeitsmarkt bestehen, es verbindet Theorie und Praxis. Das ist deshalb nötig, weil es keine nachgeschaltete Möglichkeit der Berufsausbildung gibt. Bereits im Studium muss also gelernt werden, was die Forschung in Bezug auf die Vermittlung des Deutschen als Fremdsprache herausgefunden hat, und das Gelernte muss im praktischen Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht angewandt werden. Das heißt das Studium enthält Teile, wie Sie sie üblicherweise in „normalen“ Lehramtsstudiengängen aus der Referendarzeit kennen. Sie müssen im Studium bereits eigenen Unterricht vorführen, den Sie selbst geplant haben, und für den Sie selbst Lehrmaterial entwickelt haben. Ein Nebeneffekt dieser Lehrveranstaltungen ist, dass Sie sich selbst als Lehrperson erleben können und dadurch hoffentlich herausfinden, ob Sie sich in diesem Beruf wohlfühlen werden oder nicht. So besteht die Möglichkeit, dass Sie, wenn dieser Beruf nicht das Richtige für Sie ist, das Studium abbrechen und etwas anderes studieren, was Ihren Fähigkeiten und Ihren Neigungen besser entspricht. Wenn man keine Freude am Lehrerberuf hat, ist es sinnlos, Zeit in dieses Studium zu investieren.
1.2.2 Bezugswissenschaften Selbstverständlich wird neben praktischen Fähigkeiten auch theoretisches Wissen vermittelt. Das Fach setzt sich im Großen und Ganzen aus den folgenden Teilen zusammen: Linguistik Linguistik des Deutschen des Deutschen
Landeskunde der deutschsprachigen Länder
Fremdsprachenphilologien
Literaturwissenschaft der deutschsprachigen Länder
Sprachlehr- und Lernforschung für DaF
Pädagogik Psychologie
DaF-Didaktik (Ausbildung zur Lehrperson)
Sozial- und Kulturwissenschaften Medienkunde
Es gibt für das Fach Deutsch als Fremdsprache zunächst einmal drei wichtige Bezugswissenschaften. Das ist einerseits die linguistische Beschreibung des Deutschen. Die deutsche Sprache, die den Ausländern vermittelt werden soll, muss der Lehrperson in allen für den Unterricht wichtigen Punkten selbst genügend bekannt sein. Die zweite Bezugswissenschaft ist die Landes- und Kulturkunde der deutschsprachigen Länder. Wer eine Sprache lernt, interessiert sich normalerweise auch für das Land, in dem diese Sprache gesprochen wird. Landeskundliches Wissen erleichtert das Leben im Land der Zielsprache und den Umgang mit den Sprechern dieser Sprache. Landeskunde ist also ein üblicher Inhalt des Deutsch-als-Fremdsprache-Unterrichts. Wir gehen davon aus, dass Sie in der Lage sind, sich das nötige Wissen dazu selbst anzulesen, aber Sie müssen auch wissen, wie Sie 3
Landeskunde unterrichten können. Dabei geht es darum, wie man Informationen auswählt, aufbereitet und präsentiert. Die dritte Bezugswissenschaft ist die Literaturwissenschaft der deutschsprachigen Länder. Vor allem bei fortgeschrittenen Lernern kommen auch literarische Texte zum Einsatz. Über diese literarischen Texte muss die Lehrperson etwas sagen können, das nicht banal oder uninteressant ist, und sie muss Methoden kennen, um Literatur im Unterricht zu behandeln. Daneben gibt es noch weitere wichtige Bezugswissenschaften. Das sind zunächst einmal die Fremdsprachenphilologien, die besonders wichtig sind für Lehrende, die in ein bestimmtes Land gehen wollen und den Lernern aus diesem Land das Deutsche aus einem kontrastiven Blickwinkel beibringen wollen. Im Ausland ist es wichtig, Sprachbeschreibungen kontrastiv aufzubauen. Was in der eigenen Sprache genauso ist wie im Deutschen, muss nicht speziell gelernt zu werden, während Teile, die unterschiedlich sind, ganz besonders genau in ihren Unterschieden erklärt werden müssen. Die Fremdsprachenphilologien bieten eine Basis für derartige kontrastive Sprachbeschreibungen. Auch die Pädagogik, insbesondere die Pädagogik des Erwachsenenunterrichts, ist wichtig für den Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht, denn natürlich geht man mit Kindern im Unterricht anders um als mit Erwachsenen. Die Psychologie spielt ebenfalls eine bedeutende Rolle im Bereich Deutsch als Fremdsprache. Es geht dabei insbesondere um die Lern- und Motivationsforschung, deren Ergebnisse berücksichtigt werden müssen, wenn man seinen Unterricht so aufbauen will, dass die Lernenden auch tatsächlich das Gelernte behalten. Die Sozial- und Kulturwissenschaften sind ebenso wichtig, insbesondere für die landeskundlichen Anteile des Unterrichts. Die Medienkunde in ihrer Anwendung auf den DaF-Unterricht behandelt die Frage „mit welchem Medium, d.h. unter Einsatz welcher Medien oder welches Mediums, erreiche ich ein bestimmtes Lernziel am besten?“ Alle diese Bereiche spielen zunächst einmal eine Rolle für einen theoretischen Anteil des Studiums, nämlich die Sprachlehr- und -lernforschung für Deutsch als Fremdsprache. Aus den Ergebnissen dieser Forschung wird die Deutsch-als-Fremdsprache-Didaktik abgeleitet. Warum sind nun die Bezugswissenschaften so wichtig?
1.2.2.1 Linguistik Für die Linguistik ist einerseits die Beschreibung der Syntax des Deutschen wichtig, d.h. die Beschreibung dessen, wie im Deutschen Sätze und Teile von Sätzen zusammengefügt werden. Diese Beschreibung ist insofern etwas kompliziert, weil in Deutsch-alsFremdsprache-Lehrbüchern und -Grammatiken verschiedene Arten dieser Beschreibung des Deutschen vorkommen. Neuere Lehrbücher und Grammatiken gehen häufig von einem anderen Syntaxmodell aus als ältere Beschreibungen und Grammatiken. Man kann im Unterricht deshalb verschiedene Arten von Modellen antreffen und ist als Lehrer oder Lehrerin darauf angewiesen, sich in beiden Modellen auszukennen. Diese beiden Modelle sind das traditionelle Grammatikmodell, das Sie z.B. in der Dudengrammatik finden, und das Valenz-/Dependenzmodell, das in vielen neueren Lehrbüchern und Grammatiken zu finden ist, oft auch vermischt mit der traditionellen Grammatik. Das Valenz-/Dependenzmodell geht von einer anderen Beschreibung des Satzes aus. Das Verb wird als der Kern des Satzes angesehen, d.h. das Verb legt fest, wie der Rest des Satzes aussieht. Beide Modelle werden Sie im Laufe dieses Readers noch kennen lernen. Der zweite wichtige linguistische Bestandteil ist die Morphologie des Deutschen. Zur Morphologie gehört einerseits das, was Lerner traditionell als „Grammatik“ bezeichnen, d.h. es 4
geht um die Endungen von Wörtern, die sogenannte Flexion. Dies ist wirklich eines der schwierigsten Kapitel, wenn man das Deutsche ganz korrekt sprechen lernen will. Wir haben im Deutschen eine höchst komplizierte Flexion. Die Adjektive nehmen z.B. außer den verschiedenen Kasus- und Genusendungen auch noch verschiedene Endungen, je nach dem was für ein Artikelwort vor ihnen steht, z.B. heißt es Wo ist der grüne Pullover?, aber Wo ist ein grüner Pullover?. Ein zweiter Teil der Morphologie des Deutschen ist die Wortbildung, d.h. das Bilden von neuen Wörtern aus verschiedenen anderen Wörtern oder aus Wörtern und Wortbildungselementen. Gerade dieses Bilden von neuen Wörtern ist für Lerner eine große Hilfe, denn auf diese Weise kann man seinen Wortschatz schnell vergrößern. Sehr wichtig ist für Lerner auch die Kenntnis der Phonetik und Phonologie des Deutschen. Sie ist die Basis für eine richtige Aussprache. Lerner werden in Bezug auf ihre Kenntnisse einer Fremdsprache vorwiegend nach der Aussprache beurteilt, jedenfalls von Laien. Insofern ist eine gute Aussprache besonders wichtig. Es ist auch so, dass eine schlechte Aussprache tatsächlich für die Kommunikation sehr hinderlich sein kann. Diese drei Bereiche kommen in jedem Deutsch-als-Fremdsprache-Studium vor, ohne sie kann eine Deutsch-als-Fremdsprache-Lehrperson keinesfalls auskommen, denn sie gehören zum Alltag der Sprachenlehrperson. Ein anderes Gebiet, das von Interesse ist, ist die Konversationsanalyse relevanter Textsorten. Gemeint ist damit, dass die Fremdsprachenlehrpersonen auch einen gewissen Überblick darüber haben sollten, wie im Deutschen bestimmte Gesprächsformen tatsächlich ablaufen, zumindest in den Arten von Gesprächen, die die LernerInnen später auf Deutsch führen wollen. Ein weiteres Grundlagenthema, das in Marburg behandelt wird, ist die Psycholinguistik, also die Lehre davon, wie überhaupt mentale Prozesse bei der Sprachproduktion aussehen. Dabei geht es vor allen Dingen um die mentale Repräsentation von Mehrsprachigkeit und um die psycholinguistische Forschung zum Spracherwerb. Man kann davon ausgehen, dass Unterricht umso effektiver ist, je mehr er den mentalen Prozessen entgegen kommt, die beim Lernen von Sprachen ablaufen. Die Fachsprachenforschung ist ein weiterer Bereich, insbesondere die Forschung über beruflich benutzte Varietäten des Deutschen. Dies entspricht einem Trend in der neueren Deutschals-Fremdsprache-Didaktik. Viele Personen, die heutzutage Deutsch als Fremdsprache lernen, lernen diese Sprache für berufliche Zwecke. Sie legen Wert darauf, dass der Unterricht relativ schnell ihren Bedürfnissen Rechnung trägt. Dazu muss die Lehrperson aber auch selbst etwas über Sprache in beruflichen Situationen wissen. Wir behandeln in Marburg vor allem die im Unterricht verbreiteteste Fachsprache „Wirtschaftsdeutsch“. Ein letzter Bereich aus der Linguistik, der für den Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht wichtig werden kann, ist die kontrastive Semantik. Viele Schwierigkeiten von Lernern entstehen dadurch, dass sie Eins-zu-Eins-Entsprechungen zwischen Wörtern ihrer Sprache und Wörtern der zu lernenden Sprache aufstellen. Eine gute Ausbildung in kontrastiver Semantik kann der Lehrperson helfen, solchen Fehlern vorzubeugen. Dazu ist auch eine gründliche Kenntnis der eigenen Muttersprache wichtig. Wir als MuttersprachlerInnen wissen häufig nicht, dass das Deutsche viele Wörter hat, die semantisch vage oder auch semantisch mehrdeutig sind. Wir merken es dann, wenn wir unsere Sprache mit anderen Sprachen vergleichen. So lernt man z.B., dass das deutsche Wort wählen ein mehrdeutiges Verb ist, wenn man es ins Französische übersetzen will. Das Verb wählen hat sieben verschiedene Übersetzungen ins Französische, von denen die wichtigsten choisir, élir und voter pour sind. Wenn man diese Mehrdeutigkeit des deutschen Verbs nicht beachtet, kommt man zu stilblütigen Formulierungen wie Elle a choisi Chirac (choisir ist die Variante von wählen, die eine Auswahl aus verschiedenen zur Verfügung stehenden Konsumangeboten bezeichnet, also
5
z.B. die in „einen Nachtisch wählen”). Als Lehrperson ist man mit entsprechenden Phänomenen bei seinen SchülerInnen konfrontiert und muss sie erklären können.
1.2.2.2 Landeskunde Wir kommen nun zum zweiten Bereich des Studiums, der Landes- und Kulturkunde der deutschsprachigen Länder und ihrer Vermittlung.
Landeskunde Alltag Geschichte Kultur Geographie Wirtschaft Institutionenkunde Der Landeskundeunterricht ist ein wichtiger Bestandteil des Sprachunterrichts. Landes- und kulturkundliche Themen dienen als interessante Inhalte und bieten außerdem authentische Kommunikationsanlässe. Üblicherweise wird eine Fremdsprache mit einer bestimmten Absicht erlernt. Dazu zählt neben beruflichen und touristischen Zielen auch das Interesse für ein Land. In den meisten Fällen beabsichtigen die Lernenden, in naher oder ferner Zukunft in das Land der Zielsprache zu reisen und/oder mit Sprechern dieser Sprache in Kontakt zu treten. Dafür sind gewisse Kenntnisse über Land und Leute unerlässlich. Landeskundliches Wissen soll also unter anderem helfen, sich im Land der Zielsprache oder bei Aufeinandertreffen mit Sprechern dieser Sprache zu orientieren und angemessen zu verhalten. Das Wissen über ein Land und seine Bewohner macht eine Sprache erst lebendig und ist somit unerlässlich. Der Landes- und Kulturkundeunterricht kann unzählige Themen und Themengebiete beinhalten. Neben der sogenannten „hohen Kultur“, zu der beispielsweise die Literatur eines Landes zählt, behandelt Landeskunde auch zahlreiche Themenfelder der Alltagskultur. Während früher die „hohe Kultur“ und das Faktenwissen den Landeskundeunterricht dominierten, gab es vor einige Zeit eine Wende hin zum erweiterten Kulturbegriff, der auch Alltagsthemen umfasst. Seit Mitte beziehungsweise Ende der 80er Jahre herrscht in der Landeskunde eine Strömung vor, die sich „interkultureller Ansatz“ nennt. Damit sind kulturkontrastive Vorgehensweisen gemeint, bei denen die Lernenden sowohl ihre eigene als auch die fremde Kultur besser verstehen lernen sollen. Dieser Ansatz ist besonders geeignet für Lernende aus Ländern, zu denen relevante Kulturunterschiede bestehen, weil sich daraus viele neue Gesprächs- und Unterrichtsthemen ergeben. Auch für Lerner, die nicht in absehbarer Zeit nach Deutschland reisen werden, ist der interkulturelle Ansatz interessanter als die kommunikative Vorgehensweise, die direkt auf die Alltagskommunikation ausgerichtet ist und bei der beispielsweise Gespräche beim Einkaufen nachgestellt werden sollen. 6
Kulturelle Unterschiede haben besonders dann einen Platz im Fremdsprachenunterricht, wenn sie Kommunikationsprobleme verursachen können. Vor allem wenn sie Auswirkungen auf das praktische sprachliche Handeln der Lerner haben, sollten sie in jedem Fall im Sprachunterricht behandelt werden. Die Bedeutung von Landeskunde im täglichen Fremdsprachenunterricht wird daran deutlich, dass z.B. der Wortschatz immer kulturell geprägt ist. So hat man in Deutschland andere Assoziationen zu dem Wort „Bus“ als beispielsweise in Südamerika, wo man vielleicht eher an ein vollgepacktes, unregelmäßig abfahrendes Verkehrsmittel denkt. Selbst in sehr ähnlichen Kulturen haben viele Wörter unterschiedliche Konnotationen, derer man sich bewusst sein sollte. Landeskunde wird für FremdsprachenlernerInnen auch dann besonders wichtig, wenn es um kommunikative Routinen und Rituale, beispielsweise um Begrüßungsrituale oder Höflichkeitsfloskeln, geht. Die Auswahl, die die Lehrperson treffen muss, hängt natürlich vor allem von der Zielgruppe und den Rahmenbedingungen ab, unter denen der Fremdsprachenunterricht stattfindet. Es ist ein großer Unterschied, ob die Lernenden in oder außerhalb von Deutschland leben. Für Ausländer in Deutschland wird es wichtig sein, möglichst viel über den Alltag in Deutschland und über für sie wichtige Institutionen zu lernen, z.B. über das Arbeitsamt, das Einwohnermeldeamt und Ähnliches. Lernende im Ausland mit Kontakt zu deutschsprachigen Ländern legen mehr Wert auf eher spezifische, meist mit dem Beruf verbundene Teilgebiete (etwa die Art, wie man einen Vertrag abschließt). Für Lernende, die keinen Kontakt zu Deutschland haben, sind allgemeine Themen interessanter. Man kann demnach zwischen wissens- und handlungsbezogener Landeskunde unterscheiden. Idealerweise sollten Informationen sowohl für Deutschland als auch für Österreich und die deutschsprachige Schweiz vermittelt werden. Findet der Unterricht jedoch in einem der Länder statt, liegt der landeskundliche Schwerpunkt natürlich auf diesem. Ein sinnvoller Landeskundeunterricht ist integraler Bestandteil der Vermittlung von Fremdsprachen. Landeskunde ist nicht irgendwo angehängt, sondern liefert Themen für den Sprachunterricht und erfüllt Bedürfnisse der Lerner, die für ihre Kommunikationspraxis in der Fremdsprache wichtig sind. Es soll dabei auf keinen Fall um das Auswendiglernen von Fakten und Zahlen gehen.
1.2.2.3 Literaturwissenschaft Literarische Texte in DaF Landeskunde Sprachvermittlung Bildung Unterhaltung Für den Einsatz von literarischen Texten im Fremdsprachenunterricht gibt es abgesehen von landeskundlichen und sprachlichen Zielsetzungen noch zwei weitere wichtige Absichten, nämlich die Unterhaltung und die Bildung. Literarische Texte können als motivierendes 7
Element eingesetzt werden, wenn sie geeignet sind, die Lerner zu unterhalten. Im Vergleich zu den oft langweiligen und konstruiert wirkenden Lehrbuchtexten, die besonders erwachsene Lerner häufig intellektuell unterfordern, sind sprachlich angemessene authentische literarische Texte wesentlich interessanter. Sie sind schon deshalb von Interesse, weil sie als authentisches Kulturgut und Materialien aus dem Land der Zielsprache einen Zugang zu Land, Leuten und Sprache bieten. Darüber hinaus geht man davon aus, dass das Lesen von literarischen Texten durchaus positive Folgen für die eigene Sprachproduktion hat. Man nimmt an, dass die Betrachtung gut konzipierter Texte beim Konzipieren eigener Texte hilft und dass man umgekehrt, wenn man selber Erfahrung hat im Konzipieren eines Textes, beim Lesen für den Aufbau eines Textes sensibilisiert ist. Das Lesen guter Texte und das kreative Schreiben haben also Effekte, die sich gegenseitig positiv verstärken. Literarische Texte haben auch noch eine weitere Funktion. Sie sind nicht nur motivierender, intellektuell, strukturell und ästhetisch ansprechender als Lehrbuchtexte. Sie bieten auch einen interessanteren und oftmals auch einfacheren Zugang zur Kultur des Zielsprachenlandes. Der Text als literarisch konstruierte Realität ist häufig leichter zugänglich als die Realität an sich und kann von jedem Leser individuell interpretiert werden. Bei der Auswahl von Texten für den Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht gelten natürlich andere Kriterien als für MuttersprachlerInnen. Ein Beispiel für solche Kriterien ist die Eignung für die Integration in Ziele des Deutsch-als-Fremdsprache-Unterrichts insgesamt. Dazu gehört z.B., ob das verwendete Vokabular zu dem gehört, was auf der entsprechenden Stufe tatsächlich gelernt werden sollte. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Orientierung an den LernerInnen. Entspricht der Text ihren Interessen, ihrem sprachlichen Können, sind die Inhalte der behandelnden literarischen Texte motivierend für die LernerInnen? Eventuell geht es auch darum, ob der Text für Lerner aus anderen Kulturkreisen überhaupt zugänglich ist. Und erst das dritte Kriterium ist die literarische Qualität. Sie ist nicht unwichtig, bleibt jedoch anderen Zielen untergeordnet. Man kann das auch sehr gut an der Auswahl literarischer Texte in Lehrwerken sehen. Häufig sind sprachlich einfache Texte gewählt, die inhaltlich äußerst banal sind. Hier könnten sicher noch bessere Kompromisse gefunden werden.
1.2.2.4 Sprachlehrforschung Nach diesem kurzen Überblick über die drei Hauptbereiche, die Einfluss auf die Gestaltung des Deutsch-als-Fremdsprache-Unterrichts haben, nämlich Linguistik des Deutschen, Landesund Kulturkunde der deutschsprachigen Länder und Literaturwissenschaft der deutschsprachigen Literatur, die zunächst einmal zeigen sollten, was überhaupt gelehrt wird, will ich darauf eingehen, wie gelehrt werden soll. Man muss z.B. selbstverständlich zunächst einmal über zutreffende Beschreibungen von sprachlichen Phänomenen verfügen, wenn man sie Lernern erklären will. Aber diese zutreffenden Beschreibungen sind in der Form, in der sie LinguistInnen benutzen, für Lerner ungeeignet. Das „Wie“ ist völlig anders. LinguistInnen interessieren sich z.B. oft mehr für die Ausnahme als für die Regel und für Varietäten mehr als für die Standardsprache, die Lerner würden aber mit zu viel Spezialwissen unnötig belastet. Das Zentrum des Fachs ist deshalb die Forschung darüber, wie man Deutsch als Fremdsprache lernt, und darauf aufbauende Lehrmethoden. Die Sprachlehrforschung, die jetzt als Oberbegriff für Sprachlehr- und Sprachlernforschung gebraucht wird, ist eine relativ neue 8
Wissenschaft. Sie beschäftigt sich mit dem Sprachenlehren und Sprachenlernen generell, nicht nur mit dem Deutschen als Fremdsprache. Die Fragen, die sich die Sprachlehrforschung stellt, sind teilweise alte Probleme aus anderen Disziplinen. So überprüft sie beispielsweise Fragen aus der Psycholinguistik, wie etwa:
Werden Fremdsprachen besser durch Drills (also durch stures Einüben) oder durch Einsicht (also durch das Vermitteln von Regeln) gelernt, und wenn das je nach Lernertyp verschieden sein sollte, wie finde ich dann heraus, mit welchem Verfahren ein bestimmter Lerner am ehesten die gewünschte Fremdsprache lernt? Ist der Fremdsprachenerwerb im Wesentlichen ein kognitiver Prozess oder ist er ein Prozess der Habitualisierung (Gewöhnung an bestimmte Verhaltensweisen)? Welches Alter ist das beste, um eine Fremdsprache zu lernen? Wodurch unterscheidet sich sprachliches Verhalten bei Individuen? Wie wirkt sich das in Fremdsprachen aus? Womit hängen die Unterschiede zusammen? Welche Bedeutung haben Faktoren wie Intelligenz, Einstellungen oder soziale Herkunft auf das Lernen von Sprachen? Wie können sprachliche Fähigkeiten und Fertigkeiten gemessen werden?
Auch soziologische Fragestellungen spielen eine Rolle in der Sprachlehrforschung, z.B.:
Welche gesellschaftlichen Faktoren bestimmen den Gebrauch einer Sprache? Welche Faktoren bestimmen in einer Situation das sprachliche Handeln eines Individuums? Welche Einflüsse haben Gruppen verschiedener Art und deren Werturteile auf die Verwendung und das Erlernen von Sprachen?
Natürlich beschäftigen auch Fragen aus der Pädagogik die Sprachlehrforschung, z.B.:
Welchen Einfluss haben Vorgaben der Lehrinstitution auf das Erlernen einer Sprache? Welche unterrichtskonstituierenden Faktoren fördern oder behindern den Spracherwerb? Welche Relationen bestehen zwischen Zielen und Mitteln des Fremdsprachenerwerbs unter schulischen Bedingungen? Wie sind Abläufe im Fremdsprachenunterricht am sinnvollsten zu organisieren?
Aber neben solchen ganz generellen Fragestellungen untersucht die Sprachlehrforschung im Bereich Deutsch als Fremdsprache auch ganz konkrete Fragestellungen über das Lehren und Lernen von bestimmten Phänomenen der deutschen Sprache, die empirisch überprüft werden können. Eine solche Frage wäre z. B.: Ist das Lernergebnis für die Pluralformen deutscher Substantive am besten, wenn man Regeln der Art „einsilbige Neutra bilden den Plural meist auf -er, wobei umgelautet wird, wenn ein umlautfähiger Vokal vorhanden ist” benutzt, oder lernt man die Pluralformen besser einzeln, jeweils beim Lernen der Vokabel, und verzichtet ganz auf diese ohnehin nicht jeden Einzelfall abdeckenden Regeln? Ein weiteres konkretes Beispiel für die Sprachlehrforschung im Bereich der Vermittlung des Deutschen als Fremdsprache wäre, ob Lerner etwas mit der Erklärung anfangen können, nach der bei den Präpositionen, die Dativ und Akkusativ zuweisen können (also auf, neben, unter, über, vor, hinter, in, an, zwischen) Akkusativ steht, wenn man mit wohin danach fragen kann, und Dativ, wenn man mit wo danach fragen kann.
9
Dies sind alles noch Dinge, die nicht zur eigentlichen Didaktik gehören, sondern die Basis für die Didaktik sind. Leider ist gerade in diesem Bereich die Lage so, dass viel zu wenig gesicherte Forschungsergebnisse vorliegen. Deutsch als Fremdsprache ist als Wissenschaft noch eine sehr junge Disziplin. Unterrichten wurde früher als Handwerk angesehen. Als begabte Lehrperson konnte man es einfach oder man konnte es eben nicht. Weil die gesicherten Grundlagen fehlen, verfahren Lehrpersonen oft so, wie im folgenden Beispiel angeführt bei Korrekturen: „Das ist falsch. Es muss so und so heißen.“ – „Aber warum?“ – „Ich weiß nicht warum, das ist eben so/das muss man eben lernen.“ Zu sehr vielen Themen gibt es Empfehlungen von Didaktikern, doch oftmals fehlen die empirischen Belege für deren Wirksamkeit. Ein Beispiel dafür sind die vielen Veröffentlichungen über die sinnvollste Weise, Vokabeln zu lehren und zu lernen (Wortschatzerweiterung). Da wird behauptet, Vokabeln müssten einsprachig erklärt werden. Andere behaupten das Gegenteil, nämlich Vokabeln müssten in die Muttersprache übersetzt werden. Wieder andere sind der Meinung, Vokabeln müssten in Kontexten angeboten werden und anhand von Texten gelernt werden. Eine andere Gruppe ist der Meinung, Vokabeln müssten in Wortfeldern, also mit semantischen und unter Umständen auch morphologisch ähnlichen anderen Vokabeln zusammen angeboten werden. Es gibt dazu zwar einige fundierte Untersuchungen, aber viele Autoren schreiben aus ihrer „pädagogischen Praxis“, ohne das Verfahren in unangreifbarer Form getestet zu haben, was hieße, sie hätten mindestens zwei vergleichbare Gruppen unterrichtet, davon die eine mit der Methode A und die andere mit der Methode B. Die Ratschläge zum Unterrichten von Vokabeln würden bei einer akzeptablen Untersuchung darauf basieren, dass eine der beiden Gruppen wesentlich bessere Ergebnisse hatte (bei derselben Lernzeit und denselben Vokabeln natürlich) als die andere, obwohl die beiden Gruppen sonst vergleichbar waren. Da die Forschung sich noch stark in der Entwicklung befindet, hat es keinen Sinn, hier die einzige wahre Methode zu vermitteln, man wird sich möglicherweise sein Leben lang als Sprachlehrperson auf dem Laufenden halten müssen. Wichtig in einem Deutsch-als-Fremdsprache-Studium ist es, Methoden und Beschreibungen beurteilen zu lernen. Die Sprachlehrforschung wird sicher dazu beitragen, dass man im Laufe der Zeit mehr Wissen über sinnvolle und weniger sinnvolle Methoden und Beschreibungen erwirbt. Trotzdem ist die eigene Urteilsfähigkeit der Sprachlehrperson immer gefragt.
1.2.2.5 Praktische Fertigkeiten Wie bereits erwähnt, nimmt die Vermittlung praktischer Fertigkeiten in der Ausbildung zur Deutsch-als-Fremdsprache-Lehrerin oder zum Deutsch-als-Fremdsprache-Lehrer einen großen Raum ein. Es geht hier um die Vermittlung von Erfahrungen, die andere schon gesammelt haben. Nicht alles, was in diesem Bereich vermittelt wird, beruht tatsächlich auf hundertprozentig gesichertem untersuchtem Wissen. Trotzdem ist es nicht nötig, dass jeder mit seinem Unterricht bei Null anfängt. Es gibt schon einige praktische Dinge, die man sinnvollerweise vor Beginn seiner Unterrichtstätigkeit kennen sollte. Dazu gehört z.B.
Wie baue ich eine Vokabelübung auf? Wie erkläre ich das grammatische Phänomen xyz? Wie verhalte ich mich als Lehrperson, wenn die Lernenden nicht auf Deutsch sprechen wollen? usw., wobei auf diese Fragen bei verschiedenen Lernergruppen jeweils verschiedene Antworten gegeben werden können. 10
Das Deutsch-als-Fremdsprache-Studium an der Marburger Universität versucht, eine ausgewogene Mischung von theoretischen, forschungsorientierten Vorlesungen und Seminaren und der Vermittlung von praktischen Dingen, die man später im Beruf braucht, zu bieten. Im Bereich der forschungsorientierten Seminare sind durchaus auch wissenschaftliche Arbeiten möglich, inklusive Promotionen.
1.3
Berufsbilder
Wenn man sich für ein Studium interessiert, dann interessiert man sich natürlich auch dafür, welche Berufsaussichten mit diesem Studium verbunden sind. Es gibt beim Studium des Deutschen als Fremdsprache zwei unterschiedliche Berufsbilder. Das erste ist die Arbeit im deutschsprachigen Gebiet. Im deutschsprachigen Gebiet gibt es einerseits für ausgebildete Lehrer und Lehrerinnen nach der Referendarzeit die Möglichkeit, mit Gruppen von SchülerInnen in Zusatzkursen zu arbeiten. Dabei handelt es sich normalerweise um Kinder von ArbeitsimmigrantInnen (sogenannten GastarbeiterInnen), von AussiedlerInnen oder AsylbewerberInnen. Bei diesem Unterricht geht es darum, den Kindern zusätzlich zum regulären Schulunterricht oder vorbereitend darauf zu helfen, ihre Deutschkenntnisse zu verbessern, so dass sie dem Schulunterricht folgen können. Derartige Aufgaben erhalten inzwischen vorwiegend LehrerInnen, die die sogenannte Erweiterungsprüfung „Deutsch als Fremdsprache“ für Lehrer abgeschlossen haben oder anderweitig den Nachweis über DaF-Kenntnisse führen können. Es gibt auch die Arbeit mit Gruppen von Aussiedlern und teilweise auch von Asylanten im Erwachsenenunterricht außerhalb der Schule. Bei diesen Gruppen handelt es sich teilweise um Personen, die freiwillig an diesem Unterricht teilnehmen, teils hängen aber auch die Zahlungen von Leistungen vom Besuch dieses Kurses ab. Aus Kostengründen werden von den Trägern der „Unterrichtsmaßnahmen“ bis zu 20 und mehr Personen in einem Kurs untergebracht. Neben der großen Kursgröße und der unterschiedlich großen Motivation der TeilnehmerInnen wird der Unterricht oft zusätzlich dadurch erschwert, dass einige der teilnehmenden Personen nicht (oder nicht im lateinischen Alphabet) alphabetisiert sind. In dieser Art von DaF-Kursen werden Lehrende mit recht unterschiedlicher Qualifikation beschäftigt, im Normalfall wird aber zumindest ein Germanistikstudium erwartet. Die beiden Berufsmöglichkeiten sind abhängig von der Zahl der Personen, die den Unterricht brauchen. In den letzten Jahren waren die Zahlen rückläufig. Gründe dafür waren einerseits der Rückgang an Asylbewerbern und andererseits allgemeine Sparmaßnahmen in allen Bereichen. Durch die Verabschiedung des neuen Zuwanderungsgesetzes werden für viele Personengruppen verpflichtende Sprach- und Integrationskurse angeboten, so dass die Nachfrage in diesem Bereich wieder leicht ansteigt. Übrigens wird für die Lehrpersonen in diesen Kursen eine DaF-Ausbildung verlangt. Unterricht in dieser Form wird üblicherweise stundenweise bezahlt im Rahmen von Maßnahmen des Arbeitsamtes oder anderer Ämter. Die Stundensätze sind so niedrig, dass man erst mit ca. 20-30 Wochenstunden Unterricht seinen Lebensunterhalt finanzieren kann, wenn man die normalen Versicherungen für Selbstständige auf eigene Kosten abschließt. Eine andere Möglichkeit, im deutschsprachigen Gebiet zu arbeiten, ist die Arbeit an Sprachenschulen. Viele Sprachenschulen haben Kursteilnehmer, die für die Teilnahme an diesen Kursen bezahlen. Solche Sprachenschulen sind z.B. das Eurozentrum oder die CarlDuisburg-Gesellschaft. Daneben gibt es viele andere, und nicht alle legen Wert auf einen 11
Unterricht, der heutigen Standards entspricht. Das Besondere an diesen Kursen ist, dass die Teilnehmenden verschiedene Herkunftssprachen haben. Das bedeutet, dass kontrastives Arbeiten, also der Vergleich des Deutschen mit der Muttersprache, meist nicht möglich ist. Angenehm an den „besseren“ Sprachenschulen ist, dass sie ihre Lehrpersonen angemessen bezahlen, aber feste Stellen gibt es dort auch nur wenige. Der Einstieg in solche Tätigkeiten geschieht normalerweise über Honorarverträge. Auch wenn viele Sprachenschulen nach wie vor nicht auf eine Ausbildung im Bereich Deutsch als Fremdsprache bestehen, ist eine solche Qualifikation sicher von Vorteil bei der Bewerbung. In Marburg stellen die hier ansässigen Sprachschulen immer wieder Deutsch-als-Fremdsprache-Studierende ein. Daneben sucht auch die Volkshochschule des Öfteren DaF-Lehrpersonal. Auch das Sprachenzentrum und das Internationale Zentrum für Sprache und Kultur (IZS), die beide zur Philipps-Universität Marburg gehören, stellen gelegentlich Lehrkräfte auf Honorarbasis ein. Insgesamt ist die Arbeit über Honorarverträge auf die Dauer nicht wünschenswert, weil man sozial nicht richtig abgesichert ist. Man muss selbst für seine Krankenund Altersversicherung sorgen. Trotzdem gibt es selbst bei diesen Tätigkeiten deutlich mehr BewerberInnen als Angebote. Gelegentlich, aber immer seltener, gibt es auch Stellen in der „freien Wirtschaft“. Das können zum Beispiel Sprachunterrichtsangebote großer Betriebe für ihre ausländischen Mitarbeiter sein. Diese Stellen sind rar und meist gut bezahlt. Dafür wird aber auch große Professionalität verlangt, Anfänger haben kaum Chancen. Das zweite Berufsbild ist die Arbeit im Ausland. Im Ausland unterrichtet man normalerweise Gruppen gleicher Muttersprache. In vielen Fällen sollte man die Landessprache beherrschen, um bessere Chancen auf eine Stelle zu haben. Die Arbeitgeber im Ausland sind einerseits Sprachenschulen für Erwachsene. Dort wird in hohem Maße auch Wirtschaftsdeutsch unterrichtet, das heißt das Deutsch, das man für berufliche Situationen braucht. Die Einstiegsmöglichkeiten sind im Großen und Ganzen so wie bei Sprachenschulen in Deutschland auch. Andererseits gibt es die Möglichkeit, an öffentlichen Schulen zu arbeiten. Das ist in mehreren EU-Ländern möglich, denn die EU-Richtlinien erlauben die Freizügigkeit auch von Lehrern. Wie Deutschland auch, versuchen aber viele Länder ihre eigenen Lehrer und Lehrerinnen vor dem Konkurrenzdruck von ausländischen Kollegen zu schützen. Recht gute Chancen auf eine Stelle bestehen z.Z. in den Niederlanden, wo das deutsche Lehrerexamen und Referendariat anerkannt wird, zusätzlich sind nur Niederländischkenntnisse und Kenntnisse des niederländischen Schulsystems nachzuweisen. In Frankreich z.B. muss man an der normalen Einstellungsprüfung für Lehrer und Lehrerinnen teilnehmen, die recht schwierig ist und den Besuch universitärer Vorbereitungskurse in Frankreich erforderlich macht. In anderen Ländern, wie zum Beispiel in Großbritannien, wird eine zusätzliche Ausbildung verlangt, die etwa dem Referendariat entspricht. Eine dritte Gruppe von Arbeitgebern sind die Universitäten. Die beliebtesten Stellen in diesem Bereich werden durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst vermittelt, über das sogenannte „Lektorenprogramm“ des DAAD. Pro Jahr werden bis zu fünfzig DAADLektoren eingestellt. Es wird oft ein Germanistikstudium vorausgesetzt, daneben Praxis im Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht, ein Deutsch-als-Fremdsprache-Studium wird gern gesehen, aber für die meisten Stellen nicht verlangt. Außerdem wird ein gewisser wissenschaftlicher Anstrich verlangt, die DAAD-LektorInnen sollen sich in einen Lehrkörper an einer Universität gut einfügen können. Die Stellen sind auf mindestens zwei und höchstens fünf Jahre ausgelegt. Neben dem Lektorenprogramm gibt es ein „Einsteigerprogramm”, für das besonders Deutschals-Fremdsprache-Studierende kurz nach dem Abschluss gesucht werden (sie sollen bei Antritt der Stelle gerade das Studium abgeschlossen haben). Dieses Programm „Sprachassisten12
ten“ ist ein Stipendium von zehn Monaten, mit dem man unter Betreuung eines Lektors oder einer Lektorin erste Erfahrungen im Unterrichten des Deutschen als Fremdsprache machen kann. Auch die Robert-Bosch-Stiftung bietet ein Programm, das sich sehr gut für den Einstieg in den Beruf eignet. Neben den DAAD-Lektoraten gibt es Lektorenstellen, die anderweitig vermittelt werden. Stellenangebote, die uns hier erreichen, werden über die Marburger DaF-Mailingliste bekannt gegeben, für die Sie sich über unsere Homepage eintragen können (http://web.unimarburg.de/fb09/igs/daf). Diese Stellen können für längere Zeit sein, die Gehälter sind sehr unterschiedlich, teilweise kann man von ihnen in den entsprechenden Ländern hervorragend leben, teilweise sieht man die Lektoren mehr oder weniger als Praktikanten an und bezahlt sie entsprechend. Auch die Goethe-Institute sind potenzielle Arbeitgeber für Deutsch-als-FremdspracheStudierende. Sie verlangen auf jeden Fall eine Vorerfahrung im Bereich Deutsch als Fremdsprache und legen normalerweise viel Wert auf Landes- und Kulturkunde. Beim Goethe-Institut sind Dauerstellen prinzipiell möglich, wenngleich selten, aber es wird von den BewerberInnen verlangt, dass sie bereit sind, sich in verschiedene Länder versetzen zu lassen. Im Normalfall bleibt ein „Gesandter“ (wie diese Funktion genannt wird) des Goethe-Instituts für drei Jahre in einem Land und wird dann in ein anderes Land geschickt. Daneben gibt es schlechter bezahlte „Ortskräfte“ und stundenweise bezahlte Honorarkräfte. Generell sind die Berufe im Bereich Deutsch als Fremdsprache eher mit der freien Wirtschaft als mit dem Schuldienst vergleichbar. Es gibt nicht nach zwei Jahren Praxis die Garantie für einen Job auf Lebenszeit. Man fängt üblicherweise sehr langsam an, steigt peu à peu ein und wird weiterbeschäftigt, wenn man sich in der Institution bewährt hat. Es gibt inzwischen durchaus beachtliche Konkurrenz. Sehr viel mehr Absolventen einer Deutsch-als-Fremdsprache-Ausbildung sind auf dem Arbeitsmarkt, als es gute freie Stellen gibt. Momentan könnte man vielleicht sagen, dass auf eine gute Stelle acht bis zehn qualifizierte Bewerber kommen. Das ist aber je nach Land sehr verschieden. Auf eine gute Stelle in Frankreich kommen mindestens zwanzig Bewerber, auf eine gute in Rumänien oft kein einziger. Man sollte, wenn man sich für dieses Studium und diesen Beruf interessiert, einige persönliche Voraussetzungen mitbringen. Das ist einfach deshalb nötig, weil man mit diesem Job nicht glücklich wird, wenn diese persönlichen Voraussetzungen nicht vorhanden sind. Dazu gehören:
Freude am Unterrichten, Freude am Herausfinden von guten Beschreibungen der deutschen Sprache (wer die linguistische Sprachbeschreibung schon immer entsetzlich fand, wird sich möglicherweise auch in diesem Beruf nicht für derartige Themen begeistern können), Freude am Kontakt mit Menschen, Freude am Kontakt mit fremden Kulturen und fremden Sprachen, Bereitschaft und Fähigkeit, Fremdsprachen zu lernen, denn: 1. 2.
man lernt viel über Sprachenlernen, wenn man sich selbst der Erfahrung aussetzt (wobei man am besten typologisch nicht mit dem Deutschen verwandte Sprachen wie Chinesisch oder Arabisch lernen sollte) man muss die Sprache der „Abnehmer-Länder“ beherrschen, wenn man im Ausland kontrastiv arbeiten will und seinen Alltag bewältigen will.
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Vieles, was für das Ausüben dieses Berufs nötig ist, ist eigentlich ein Merkmal der Persönlichkeit. Diese persönliche Qualifikation können wir als Lehrende für Deutsch als Fremdsprache nicht vermitteln, wir können nur versuchen, das zu vermitteln, was fachlich erwartet wird. Zur Frage „Kann ich eine gute Lehrperson werden?“ können wir natürlich unsere völlig subjektive Beratung anbieten. Sie kann völlig daneben liegen, aber sie kann vielleicht eine gewisse Hilfe sein, wenn man sich selbst nicht sicher ist. Wenn Sie Zweifel haben, ob Sie sich für den Lehrerberuf eignen, kommen Sie ruhig in unsere Sprechstunden, um sich beraten zu lassen. Der Lehrstoff, den wir vermitteln können, ist: 1. allgemeine linguistische Grundlagen und sehr genaue Kenntnisse der deutschen Grammatik und ihrer Vermittlung, 2. allgemeine pädagogische Grundlagen und sehr gute Kenntnisse der Theorie und Praxis des Fremdsprachenunterrichts, einschließlich eigener Lehrerfahrung, 3. Kenntnisse der deutschsprachigen Literatur der Gegenwart und ihrer Vermittlung als einer fremden Literatur im Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht, 4. allgemeine kulturkundliche Grundlagen und sehr genaue Kenntnisse der Methoden der Vermittlung der Landeskunde der deutschsprachigen Länder. Daneben hoffen wir, dass Sie sich selbst um linguistische Grundlagen der Fachsprachenforschung und die Kenntnis wenigstens einer Fachsprache und ihres Fachgebiets sowie ihrer Vermittlung kümmern. Von den Berufsperspektiven her gesehen ist im Moment besonders zu den Fachsprachen „Wirtschaft“, „Naturwissenschaft“ oder „Jura“ oder zu „Deutsch im Beruf“ (vgl. Kapitel 10) zu raten. Außerdem hoffen wir, dass Sie sich selbst Kenntnisse in mehreren Fremdsprachen aneignen, vermutlich bringen Sie ja bereits Schulkenntnisse mit. Idealerweise lernen Sie während Ihres Studiums eine nicht-indoeuropäische Sprache so gut, dass Sie die Unterschiede zum Deutschen begreifen.
1.4
Praktika
Eine häufig gestellte Frage ist, ob und in welcher Weise es auf das DaF-Studium angerechnet wird, wenn man im Ausland Deutsch als Fremdsprache unterrichtet, und ob wir Praktika vermitteln können. Wir empfehlen Praktika im Ausland erst nach dem hiesigen Praktikum, d.h., Sie sollten möglichst erst das Unterrichten gelernt haben, bevor Sie unter (nach unseren Erfahrungen meist) geringer Betreuung im Ausland tätig werden. Ihr Auslandspraktikum kann im Wahlpflichtbereich (im Bereich Didaktik/Methodik) angerechnet werden, wenn gewisse Mindeststandards bei der Tätigkeit und bei der Betreuung eingehalten werden und Sie einen Praktikumsbericht schreiben. Wir haben einige Universitäten, an die wir regelmäßig und mit guten Erfolg Praktikanten entsenden, z.B. PennState University in Pennsylvania (State College), die Vrije Universiteit Amsterdam, die Rijksuniversiteit Leiden, auch die Tongij-Universität Shanghai hätte gern Praktikanten. Im Großen und Ganzen kümmern Sie sich jedoch selbst um Praktikumsplätze, wobei Ihnen die Aushänge an unserem Schwarzen Brett und die DaF-Mailingliste, mit der wir Sie auch über Stellenangebote informieren (zu abonnieren über die Homepage der DaF-Abteilung: http://web.uni-marburg.de/fb09/igs/daf), eine Hilfe sind.
14
2.
Wie lernt man Sprachen?
2.0
Einführung
Da eine Deutsch-als-Fremdsprache-Lehrperson den Beruf hat, anderen Menschen eine Fremdsprache beizubringen, ist es für sie wichtig zu wissen, nach welchen Prinzipien das Fremdsprachenlernen überhaupt funktioniert. Selbstverständlich kann man Sprachen auch ohne Unterricht und ohne Lehrperson lernen. Dies geht allerdings bei Erwachsenen erheblich langsamer und mühsamer als mit Lehrer oder Lehrerin und geeignetem Lehrmaterial. Laien glauben häufig, man könne Fremdsprachen auf dieselbe Weise lernen, wie man seine Muttersprache gelernt hat. Derartige Ideen liegen auch einzelnen Sprachlehrmethoden zugrunde, z.B. der sogenannten „Direkten Methode“. Bei dieser Methode verzichtet man auf eine ausgebildete Lehrperson. Wichtig ist nur, dass sie die zu vermittelnde Sprache als Muttersprache beherrscht. Gelernt werden soll die Sprache dann in der alltäglichen Kommunikation mit dieser Lehrperson. Auf die Vermittlung von Regeln wird weitestgehend verzichtet. Der Erfolg dieser Methode ist allerdings recht zweifelhaft, weil man weiß, dass es zwischen dem Mutterspracherwerb und dem Erlernen einer weiteren Fremdsprache große Unterschiede gibt.
2.1
Mutterspracherwerb
Beim Mutterspracherwerb haben wir es mit einer unendlichen Menge von Input zu tun. Das Kind hört in den ersten Monaten ununterbrochen Sprache, bevor es in der Lage ist, etwas zu äußern, von korrektem Sprechen soll hier gar keine Rede sein. Mit Kindern wird üblicherweise in einer vereinfachten Form gesprochen: Die Sätze sind kurz, die Intonation ist übertrieben deutlich (wir nennen dieses Phänomen „mother’s speech“), der Sinn der Äußerungen der Erwachsenen erschließt sich dem Kind üblicherweise durch die Situation, in der gesprochen wird. Da überproportional in Aufforderungen gesprochen wird, wird aus dem Verhalten des Kindes auch deutlich, ob es die Äußerung der Erwachsenen verstanden hat. So kann die Äußerung gegebenenfalls neu formuliert werden, bis das Kind sie versteht. Beim Mutterspracherwerb gibt es lange Zeit überhaupt keinen Output. Kinder sprechen zunächst einmal ein bis anderthalb Jahre lang gar nicht, während ihre Umgebung ständig auf sie einspricht (übrigens gibt es sogar eine Sprachlehrmethode, die das nachzuahmen versucht, sie nennt sich „total physical response“). Die Erstsprache wird nicht nur über Kommunikation gelernt, sondern auch über das Imitieren und über Selbstgespräche, wie zum Beispiel spielbegleitendes Sprechen. Das Sprechen beginnt bei Kindern ganz rudimentär. Im Alter von etwa sieben Monaten findet das erste Produzieren von Sprachlauten statt. Diese Laute haben zunächst keine Bedeutung und dienen dem Ausprobieren der Artikulationsorgane. Dann folgt das erste sinnvollen Wort (im Deutschen häufig da), ein Sprechen in Ein-Wort-Sätzen, ein Sprechen in Zwei-WortSätzen usw. Das Besondere am Mutterspracherwerb ist, dass das Kind zwei Dinge gleichzeitig lernt, nämlich, was Sprache überhaupt ist, und eine konkrete Sprache. Das Kind entwickelt mit dem Erwerb der Muttersprache auch seine kognitiven Fähigkeiten. Der Spracherwerb ist beim Kind mit neun bis zehn Jahren im Wesentlichen abgeschlossen, etwa in diesem Alter gelingen Kindern auch die Nebensätze, die nicht so häufig vorkommen, und sie beherrschen die Wortbildung und Morphologie, auch die Flexion. Der Input, um dieses Ziel zu erreichen, war natürlich enorm und die Lernzeit auch. Von daher ist die z.B. von Chomsky und seinen Anhängern vertretene These angreifbar, nur ein angeborenes Sys15
tem mit bereits vorliegenden universellen Prinzipien könne den Erstspracherwerb „in so kurzer Zeit“ ermöglichen. Selbstverständlich lernen Kinder im Erstspracherwerb in keiner Weise über bewusst gemachte Regeln. Die Kinder entdecken die Regeln selbst. Das kann man vor allen Dingen daran nachweisen, dass sie unter Umständen Regeln entdecken und sie auf Phänomene anwenden, bei denen sie nicht gelten. Typische Fehler dieser Art sind gebringt, das Partizip II von bringen, oder Stuhls als Plural von Stuhl. Die Regeln sind den Kindern natürlich nicht bewusst, sie entdecken sie intuitiv.
2.2
Zweitspracherwerb
Beim Erwerb der Erstsprache oder der Muttersprache spricht die Literatur oft von L1. Alle weiteren Sprachen werden meist unter L2 zusammengefasst. Im Bereich der L2 unterscheidet man zwischen „Erwerb” und „Lernen”. Beim Lernen von Fremdsprachen gibt es in irgendeiner Weise Unterricht. Das kann Unterricht über speziell aufbereitetes Material zum Selbstlernen der Fremdsprache sein oder auch Unterricht durch einen Lehrer oder eine Lehrerin. Beim Fremdsprachenerwerb oder Zweitsprachenerwerb, wie man dann üblicherweise sagt, wird die Sprache nicht über Unterricht und speziell für das Lernen aufbereitetes Material gelernt, sondern in der Kommunikationssituation, d.h. in natürlichen Sprechsituationen. Man spricht dann normalerweise von „ungesteuertem Zweitsprachenerwerb“. So etwas findet z.B. bei Arbeitsimmigranten statt, die ohne Fremdsprachenkenntnisse in ein Land einreisen und dann dort in natürlichen Kommunikationssituationen ihre Sprachkenntnisse erwerben. Das Ergebnis ist häufig das sogenannte „Gastarbeiterdeutsch“. In gewisser Weise sind diese Lerner beim ungesteuerten Zweitsprachenerwerb in einer ähnlichen Situation wie die Kinder beim Mutterspracherwerb. Sie müssen sich alle Regeln selbst erschließen, niemand übersetzt ihnen, niemand gibt ihnen spezielle Lernhilfen. Die Voraussetzungen sind aber anders. Die Arbeitsimmigranten haben häufig recht wenig deutschsprachigen Input und der ist häufig auch nicht korrekt, denn viele Muttersprachler sprechen mit Ausländern eine fehlerhafte Sprache, die sie für leichter verständlich halten (Du wollen Bahnhof? Dann du gehen erste Straße links.). Das macht ihren Spracherwerb besonders schwierig. Einen Vorteil gegenüber den Kindern haben sie insofern, als eine Sprachfähigkeit in der Muttersprache schon da ist. Sie verfügen also über ein gewisses Wissen aus der Muttersprache, das sie auf die Fremdsprache übertragen können. Dazu gehört z.B., dass es so etwas wie feste Einheiten mit fester Bedeutung gibt: die Wörter, und dass die Reihenfolge der Wörter im Satz nicht beliebig ist. Auch im Bereich dialogischer Fähigkeiten wird auf muttersprachliche Vorleistungen aufgebaut. Außerdem können sie, sofern sie das lateinische Alphabet beherrschen, von einem gewissen Stadium an auch das Lesen als Sprachlernhilfe heranziehen. Ihr Nachteil gegenüber Kindern ist, dass ihr Spracherwerbsmechanismus nicht mehr funktioniert, die „sprachsensitive Phase“ ist lange beendet.
2.3
Erwerbsfolgen
Es gibt Theorien darüber, ob feste Reihenfolgen bestehen, in denen bestimmte grammatische Phänomene des Deutschen erlernt werden, wenn keine Lehrperson eingreift. Die sogenannte Zweitsprachenerwerbsforschung wird im internationalen Rahmen unter anderem durch Krashen (1982) und in der deutschsprachigen Fachliteratur vor allem durch Felix (1982) 16
vertreten. Die Zweitsprachenerwerbsforschung geht von einem nativistischen Modell menschlicher Sprachverarbeitung aus, demzufolge Sprache, auch Zweitsprachen, mit Hilfe eines relativ stark festgelegten inneren Programms oder eines laut den Vertretern dieser Theorie angeborenen Spracherwerbsmechanismus gelernt bzw. erworben wird. So etwas wurde z.B. für das Erlernen der Negation im Deutschen behauptet. So wäre z.B. sowohl für Kinder als auch für Arbeitsimmigranten, die keinen Unterricht im Deutschen hätten, das erste gelernte Negationselement nein, das übergeneralisiert gebraucht würde, also z.B. nein essen. Auch in Bezug auf die Markierung von Vergangenheit und in Bezug auf die Wortstellung im Deutschen wurden Aussagen gemacht, die darauf hindeuten, dass es bei Kindern und Zweitspracherwerbern ähnliche Erwerbsreihenfolgen gäbe. Mit anderen Worten, „Spracherwerb“ wird hier als ein Entwicklungsprozess interpretiert, in dem immer mehr und immer komplexere sprachliche Phänomene nach und nach mit Hilfe dieses angeborenen Mechanismus erkannt und angewendet werden. Im Mittelpunkt der entsprechenden empirischen Untersuchungen steht daher die Suche nach möglichst universalen Erwerbssequenzen, an denen sich laut der Vertreter der Zweitspracherwerbsforschung auch der Unterricht orientieren soll. Ein Vertreter dieser Theorie, der auch den DaF-Unterricht bedenkt, ist Manfred Pienemann. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es jedoch keine sicheren Belege für diese Theorie. Vielmehr weisen die Ergebnisse anderer Untersuchen darauf hin, dass der Einfluss der unterschiedlichen Muttersprachen auf die Erwerbsfolgen der Lernenden sehr groß ist, was die Existenz universaler Erwerbssequenzen unwahrscheinlicher macht.
2.4
Mischformen
Neben dem völlig ungesteuerten Zweitspracherwerb und dem völlig gesteuerten Fremdsprachenlernen gibt es auch Mischformen. Damit ist vor allem das Lernen durch Unterricht im Land der Sprache, die man lernen will, gemeint. Solche Modelle werden sehr häufig von Sprachenschulen angeboten. So kommen zum Unterricht genügend natürliche Kommunikationssituationen hinzu. Für Personen, die sich nicht für längere Zeit im Ausland aufhalten können, wird mit dem sogenannten Tandem-Unterrichtsprinzip Ähnliches versucht. Das bedeutet, zwei Personen arbeiten zusammen, von denen jeder die Sprache des anderen lernen will. Die effektivste Form des Tandemunterrichts sieht so aus, dass einerseits normaler Sprachunterricht in Gruppen mit einer Lehrperson stattfindet, andererseits aber diese zwei Personen miteinander in annähernd natürlichen Kommunikationssituationen über ihr Land und über Dinge, die sie interessieren, sprechen können.
2.5
Bilingualer Spracherwerb
Auch der Mutterspracherwerb muss nicht so gesteuert sein, dass nur eine Sprache gelernt wird. Kinder können in der sprachsensitiven Phase durchaus auch zwei oder mehr Sprachen gleichzeitig lernen. Man spricht in solchen Fällen von „zweisprachigem Aufwachsen“ oder „bilingualem Aufwachsen“ 1 . Früher dachte man, es sei unbedingt notwendig, dass immer ein Elternteil oder eine bestimmte Person eine bestimmte Sprache mit dem Kind spricht, damit das Kind lernt, die Sprachen auseinander zu halten. Das Prinzip wird „one person - one language“ genannt. In1
„Bilingual“ hat sich in der Psycholinguistik als Terminus für jede Art von Mehrsprachigkeit durchgesetzt, also auch bei Personen, die drei, vier und mehr Sprachen beherrschen.
17
zwischen ist man allerdings von diesem Prinzip wieder abgerückt, weil sich herausgestellt hat, dass die Kinder ohnehin wissen, dass ihre Eltern üblicherweise zweisprachig sind, d.h. also dass die Eltern beide Sprachen verstehen. Bilingual aufwachsende Kinder mischen die Sprachen am Anfang tatsächlich, was unter anderem dem Aufbau eines zweisprachigen Lexikons dient. Kinder fragen oft nach Äquivalenten in der anderen Sprache und ordnen so ihr zweisprachiges System. Das Mischen der Sprachen, wie es am Anfang üblich ist, findet nach einiger Zeit nicht mehr statt. Je nach Gebrauchshäufigkeit, Kontaktzeiten und -personen, sowie Motivation entwickelt sich normalerweise eine Sprache zur dominanten Sprache. Gibt es Änderungen bei den Kontaktzeiten mit einer Sprache, kann auch die nicht-dominante Sprache schnell wieder zur dominanten werden. Wird eine Sprache stark vernachlässigt, kommt es zur sogenannten „rezeptiven Zweisprachigkeit“. Das heißt, beide Sprachen werden mühelos verstanden, aber nur eine wird gesprochen. Es gibt verschiedene Ansichten darüber, bis zu welchem Alter der „natürliche“ Erwerb einer zweiten Sprache möglich ist. Man ist sich allerdings weitestgehend einig, dass die sprachsensitive Phase vor dem 12. Lebensjahr endet. Nach der Pubertät ist dann das effektivste Verfahren des Sprachenlernens das Lernen über Unterricht.
2.6
Sprachenlernen durch Unterricht
Der Unterschied zwischen dem Sprachenlernen über Unterricht und dem Mutterspracherwerb ist groß. Im Unterricht lernt man die Sprache sehr selten in natürlichen Kommunikationssituationen. Selbst wenn natürliche Kommunikationssituationen simuliert werden, etwa wenn der Lehrer/die Lehrerin dazu anregt, dass die KursteilnehmerInnen sich einander gegenseitig vorstellen, dann ist doch immer allen Beteiligten klar, dass hier nicht die tatsächliche Situation vorliegt, sondern eine Übungssituation. Man spricht nicht miteinander, weil man das Bedürfnis hat, sich bestimmte Dinge mitzuteilen, sondern weil man sprechen muss, um die Sprache zu lernen. Ein zweiter wichtiger Unterschied ist, dass auf die Schrift als Gedächtnisstütze zurückgegriffen werden kann, während das im Mutterspracherwerb nicht möglich ist. Ein dritter wesentlicher Unterschied ist, dass die Produktion mit sehr geringer Verzögerung einsetzt, wenn nicht sogar sofort stattfindet. Kein Fremdsprachenlerner wäre bereit monatelang zu schweigen, bis er endlich in der Fremdsprache ein paar Wörter sagen darf. Und der vierte wesentliche Unterschied ist, dass üblicherweise mit expliziten Erklärungen gearbeitet wird. Zur Aussprache, zur Grammatik, zu den Bedeutungen von Wörtern usw. werden jeweils auf einer Metaebene Erklärungen abgegeben. Es kann durchaus sein, dass die Lerner diese Regeln selbst erschließen müssen, aber das wird vom Lehrer oder vom Lehrmaterial mit geeignetem, didaktisch aufbereitetem Sprachmaterial so vorbereitet, dass die richtige Regel erschlossen werden kann. Sollte es dennoch nicht gelingen, finden Korrekturen durch die Lehrperson statt, die expliziter sind als die Korrekturen der Eltern beim Erstspracherwerb. Darin besteht der wesentliche Unterschied zum Erschließen der Regeln beim ungesteuerten Spracherwerb.
2.7
Unterschied Zweitspracherwerb/Fremdsprachenlernen
Das bisher Gesagte sollte den Unterschied zwischen Erwerb und Lernen klären. Der Unterschied zwischen einer Zweitsprache und einer Fremdsprache wird üblicherweise folgendermaßen gesehen: Die Zweitsprache ist die Sprache des Landes, in dem man als Nicht-Mutter18
sprachler lebt, die Sprache der Umgebung. Sie zu lernen ist für den Lernenden von großer Wichtigkeit für das alltägliche Überleben. Man spricht auch dann von einer Zweitsprache, wenn es sich um die dritte, vierte, fünfte oder sechste Sprache handelt, die der oder die Betreffende lernt. Von einer Fremdsprache spricht man, wenn es sich um eine Sprache handelt, die man außerhalb des Landes lernt, in dem diese Sprache gesprochen wird. Man lernt diese Sprache üblicherweise im eigenen Land und nicht unmittelbar für die Kommunikation, wie etwa im Fremdsprachenunterricht in der Schule. Je nachdem zu welchem Zweck man eigentlich lernt, ist die Motivationslage sehr verschieden. Lektionen darüber, wie man auf der Post Briefmarken kauft oder wie man sich bei einer Autopanne verhält, sind entsprechend für die eine Gruppe fürchterlich langweilig und für die andere extrem wichtig. Zusammenfassend soll die übliche Terminologie noch einmal in einem Schema gezeigt werden. Zweitsprache Fremdsprache • wird erworben in natürlichen Kommu• lernen durch geplante, bewusste Lehr-/ nikationssituationen Lerntätigkeit • ohne Steuerung durch Lehrperson oder • gesteuert durch Lehrperson oder Lehrmaterial Lehrmaterial • wird meist im Zielland erworben • wird meist im Ausland gelernt
2.8
Deutsch als 2. oder 3. Fremdsprache
Sehr oft ist es so, dass Lerner des Deutschen als Fremdsprache zuvor bereits eine andere Fremdsprache gelernt haben, wie zum Beispiel Englisch, Französisch oder Russisch. Da Englisch eine nah verwandte Sprache ist, sind Interferenzen (d.h. Beeinflussungen der Sprachproduktion in einer Sprache durch eine andere, dem Lerner bekannte Sprache) aus dem Englischen sehr häufig. Sie können für das Deutsche sowohl lernfördernd wie lernhemmend wirken. Leider wird dieses Phänomen in Lehrbüchern nicht oder kaum beachtet.
2.9
Interimsprachen
Unabhängig davon, ob man Deutsch als Zweit- oder als Fremdsprache lernt, der Weg zur Beherrschung der Fremdsprache führt über sogenannte Interimsprachen. Interimsprachen sind Sprachzustände, die sich der Zielsprache allmählich annähern. Sehr häufig sind sie zu Beginn sehr stark von der Muttersprache des Lerners beeinflusst und im Laufe der Zeit entwickeln sich immer stärker die richtigen Züge der zu lernenden Sprache. Wenn die Interimsprache in Bezug auf grammatische Kenntnisse keine weiteren Fortschritte macht, sondern nur noch Vokabeln hinzugelernt werden, spricht man von einer Fossilierung. Gerade dann, wenn kein Unterricht gegeben wird und wenn es wenig sonstige Hilfen gibt, die Sprache zu lernen, kann diese Fossilierung früh einsetzen und die Interimsprache ist entsprechend weit von der Zielsprache entfernt.
19
Im Bereich der Entwicklung von Beschreibungen typischer Reihenfolgen in Interimsprachen wurde viel geforscht. Ein Grund dafür war, dass man auch gehofft hat, darin universelle Sprachprinzipien zu entdecken. Ein Beispiel für eine solche Entwicklung innerhalb eines Erwerbs eines grammatischen Phänomens in der Interimsprache ist die Abfolge von Regeln, die ein Lerner nach und nach anwendet, wenn er von der häufigsten Wortfolge bei der Verbzweitstellung im Deutschen abweicht. Das erste Stadium bei MuttersprachlerInnen einer „Subjekt-Verb-Objekt-Sprache“ enthält die Regel „Adverbvoranstellung“. Der Lerner äußert Sätze wie Jetzt wir gehen. Da Kinder spielen. Das bedeutet, er stellt das Adverb bereits voran, aber er lässt die anderen Satzbestandteile an ihrer früheren Stelle. Die zweite Regel, die gelernt wird, ist die Teilung der Verbalphrase. Der finite Teil steht an der zweiten Stelle, der infinite Teil wird an das Ende des Satzes gestellt. Es entstehen Sätze wie Alle Kinder muss die Pause machen. Ich habe den Brief geschrieben. In einem dritten Stadium findet die Subjekt-Verb-Inversion statt. Es werden Sätze gebildet wie Habe ich auch gemachen. Jetzt kommen wir. Damit ist die Ungrammatikalität der Stufe 1 erkannt und behoben, die Inversionsregel wird angewendet, sobald ein Adverb in die erste Position gelangt. Und die letzte Stufe des Erwerbs der Verbstellungsregeln im Deutschen ist dann erreicht, wenn die Verbendstellung im Nebensatz korrekt realisiert wird, d.h. wenn Sätze produziert werden wie Weil du doof bist oder Ich kann nicht, weil ich nicht will. Erwachsene bleiben üblicherweise bei ihrem Fremdsprach- oder Zweitspracherwerb auf einem Niveau stehen, das vom Niveau der Muttersprachler entfernt ist. Das Beste, was zu erreichen ist, nennt man das „near native“-Niveau. Damit ist gemeint, dass jemand fast so wie ein Muttersprachler spricht. Das größte Problem dabei ist üblicherweise die Aussprache, Erwachsene lernen die Aussprache einer fremden Sprache nur sehr selten hundertprozentig korrekt. Sie behalten immer einen erkennbaren ausländischen Akzent.
20
3.
Linguistische Anteile des Studiums
3.1
Phonetik, Phonologie: der Lautbestand des Deutschen, Satzintonation
Die Aussprache des Deutschen ist sicher nicht einfach. Obwohl die Schwierigkeiten von der Ausgangssprache der Lernenden abhängen, gibt es zwei Probleme, die im Grunde jeden Deutsch-Lernenden betreffen. Das eine ist, dass das Deutsche keine Eins-zu-EinsEntsprechung zwischen Aussprache und Schreibung hat. So werden in bestimmten Fällen einfache Laute durch Buchstabenfolgen wiedergegeben (beispielsweise der erste Laut [∫] in schön durch die Buchstabenfolge 2 ) oder ein einzelner Buchstabe steht für eine Folge aus mehreren Lauten (etwa der Buchstabe für die Lautfolge [ks] in Hexe). Außerdem kommt es vor, dass ein und derselbe Laut verschieden geschrieben wird, wie z.B. bei dem Diphthong [ai], der sowohl als als auch als in der Schrift wiedergegeben werden kann, seltener auch als und . Andererseits kann ein Schreibzeichen (Graphem) verschiedene Laute wiedergeben, z.B. das Zeichen kann nicht nur für den ich-, sondern auch für den ach-Laut stehen. Das zweite Problem ist, dass das Deutsche keine leicht zu sprechende Silbenstruktur hat. Die zum Aussprechen ideale Silbenstruktur besteht aus einer Folge von Konsonanten und Vokalen, hat also Abfolgen wie Konsonant, Vokal, Konsonant, Vokal. Das Deutsche weicht von derartigen Folgen sehr stark ab. Es gibt zunächst einmal sehr lange Konsonantengruppen z.B. in Strumpf, Herbstlaub oder in du schimpfst, bei der, wenn alles ausgesprochen wird, fünf Konsonanten aufeinander folgen. Daneben gibt es Vokalverbindungen, also zwei aufeinander folgende Vokale, die zusammengezogen werden als sogenannte Diphthonge. Es ist generell eine Lernschwierigkeit, wenn Sprachen solche Diphthonge besitzen, weil sie in den verschiedenen Sprachen verschieden realisiert werden, selbst wenn sie oberflächlich gesehen aus denselben Vokalen bestehen sollten. Bei den Vokalen gibt es eine zweite Schwierigkeit dadurch, dass die Vokale in einer gespannten und in einer ungespannten Version vorkommen, d.h. in einer Version, bei der durch größere Muskelanspannung eine Enge des Ansatzrohres erzeugt wird bzw. diese Enge nicht erzeugt wird. Da es diese Unterscheidung in vielen anderen Sprachen nicht gibt, entstehen oft Schwierigkeiten für Deutschlernende. Eine weitere Schwierigkeit ist auch Muttersprachlern des Deutschen nicht ganz unbekannt, nämlich der Unterschied zwischen dem Laut, der geschrieben wird, und dem ich-Laut. Für Sprecher aus Sprachen, die den Unterschied nicht machen, ist auch das Auseinanderhalten von /l/ und /r/ eine Schwierigkeit. Sie wissen vermutlich, dass in vielen asiatischen Sprachen /r/ und /l/ ein- und dasselbe Phonem sind, das jedoch vor Vokalen als [l] und ansonsten als [r] ausgesprochen wird. Der Laut /h/, den auch viele Sprachen nicht besitzen, bereitet ebenfalls Schwierigkeiten. Ein besonderes Problem ist ein Laut, den wir gar nicht wahrnehmen, weil wir ihn nicht schreiben, nämlich der sogenannte „Glottallaut“, auch „Knacklaut“ genannt. Diesen Laut, der entsteht, indem man den Kehlkopf vollkommen verschließt, bilden wir im Deutschen vor Wörtern, die mit Vokal anlauten (in Fabrikarbeiter vor Arbeiter). Dieser „Glottallaut“ ist für uns ein wichtiges Signal für die Segmentierung der Sprachzeichen. Wir erkennen an ihm, dass ein neues Wort beginnt (sofern es sich um ein mit einem Vokal anlautendes Wort handelt, übrigens auch in zusammengesetzten Wörtern).
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Entsprechend den Notierungskonventionen stehen orthographische Zeichen in spitzen Klammern „“. Phoneme (= die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten der Sprache) werden zwischen Schrägstrichen „/.../“ und Phone (= die Realisierungen eines Phonems) werden zwischen eckigen Klammern „[...]“ geschrieben.
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3.1.1 Die Phoneme des Deutschen Für die exakte Wiedergabe der Laute einer Sprache verwendet man ein Zeicheninventar, das jedem Laut ein graphisches Symbol zuordnet. Diese Zeichen findet man auch in Wörterbüchern. Als Fremdsprachen-Lehrperson sollte man mit der phonetischen Umschrift vertraut sein, um den Lernern bei der Aussprache Hilfestellungen zu können. Am verbreitetsten ist das System der International Phonetic Association (IPA), anhand dessen wir im Folgenden die Phoneme des Deutschen (jeweils mit Beispielen für alle vorkommenden Stellen, d.h. im Anlaut des Wortes, im Inneren des Wortes und im Auslaut) präsentieren. Der Doppelpunkt dient als Zeichen für einen lang ausgesprochenen Vokal. Vokale und Diphthonge
Konsonanten
[a] [ɑ] [ε] [ε:] [e:] [ə ] [Ι ] [i:] [ɔ] [o:] [ʊ] [u:] [œ] [ø] [Y] [y:] [aΙ] [aʊ] [ɔΙ]
Ratte, Mann Abend, Tat Ebbe, Bett Ähre, Käse eben, lesen, See gelesen, hatte immer, bitte ihn, Miete, nie offen, Tochter Ofen, Sohn uns, Mutter Uhr, Mut, du Hölle, Götter Öfen, Höhle, Goethe üppig, Hütte Übel, Hüte eine, nein, zwei aus, Laut, Frau euch, Fräulein, neu
[b] [p] [m] [d] [t] [n] [g] [k] [ŋ] [v] [f] [z] [s] [∫] [j] [ç] [x] [l] [r]
[ɐ]
Lehrer, Dortmund (mit vokalisiertem r)
[R] rot, Ehre, Herr [h] halt, Ahorn
bitte, aber Peter, Mappe, knapp Mutter, Amme, Lamm Dieb, Laden Tag, Watte, Welt Name, Kanne, Mann Garten, legen Kind, wecken, Sack Angel, eng Wasser, Vase, ewig fern, Vater, Affe, Schaf, brav singen, langsam was, essen, Hass Schule, Asche, rasch ja, Ajax China, ich suchen, ach Laut, alle, Null rot, Ehre, Herr
[ʔ] (vor Vokal in) aber, Verein [ç] und [x] sind im Übrigen keine Phoneme, sondern Allophone (lautliche Varianten ein und desselben Phonems ohne Bedeutungsunterschied). Ihre Verteilung ergibt sich aus der lautlichen Umgebung, [x] steht nach Hintervokalen, [ç] in allen anderen Fällen. Auch /r/ und /R/ sind Allophone, aber hier ist nicht die Umgebung ausschlaggebend für die Realisierung (das ist sie aber bei der post-vokalischen R-Variante [ɐ]), sondern vor allem die Region, in der die Person sprechen gelernt hat. In Teilen Süddeutschlands wird vor allem das „gerollte” Zungenspitzen-R [R] produziert, ansonsten das „Rachen-R” [r].
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Das Vokalviereck
Dieling/Hirschfeld 2000, 19
Sagittalschnitt (Querschnitt durch die Sprechorgane)
Dieling/Hirschfeld 2000, 195
Für die Bildung der Vokale ist der trapezförmige Teil des Mundes in der Abbildung wichtig. Anhand dieser Figur kann man die Vokale im sogenannten Vokaltrapez darstellen. Es zeigt, wo die Laute gebildet werden und die ungefähre Stellung der Zunge, die bei /a/ ziemlich flach ist und bei /i/ und /y/ vorne nach oben gewölbt. Die folgende Tabelle zeigt das noch einmal genauer. Hier wird die Lage der Zunge angegeben und die Stelle, an der sie gehoben wird (falls sie gehoben wird).
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VOKALE vorn
hoch
Mitte
hinten
nichtlabial
labial
geschlossen
i:
y:
u:
offen
ɪ
Y
ʊ
e:
ø:
ɐ
o:
ε ε:
œ
ə
ɔ
mittelhoch geschlossen offen flach
a a: Dieling/Hirschfeld 2000, 195
Die Tabelle zeigt, dass es auch einen qualitativen Unterschied zwischen den Kurz- und den Langvokalen gibt, den man als „gespannt-ungespannt“ bzw. „geschlossen-offen“ beschreibt, also den Unterschied zwischen dem i in ihr und irre, der nicht nur in der Länge besteht, s. in der Tabelle i: und Ι. Auch die Lippenposition spielt eine Rolle bei der Bildung der Vokale, dies ist gemeint mit „nicht labial“" und „labial“. Während bei einem i: die Lippen fast geschlossen und gespreizt werden, sind sie bei einem y: gerundet. Sie können das selbst mit einem Spiegel ausprobieren. Sprechen Sie ein i: und machen Sie dabei die Lippen rund. Sie merken, dass es ein y: wird. Laute, die stufenlos vom Ausgangsvokal zum Zielvokal gleiten, also aus zwei Vokalen bestehen, nennt man Diphthonge. Affrikaten bestehen aus 2 Konsonanten, wobei ein Verschlusslaut in einen Reibelaut übergeht (/pf/ wie in Pfanne, /ts/ wie in Zahn, /t∫/ wie in plantschen, /kv/ wie in quietschen). Bei der phonetischen Beschreibung von Konsonanten spielt u.a. die sogenannte Artikulationsart eine Rolle, d.h. die Art und Weise, wie der Luftstrom im Rachen-, Mund- oder Nasenraum behindert wird. Man unterscheidet dabei zwischen Verschlusslauten, Reibelauten, Nasallauten, Laterallauten und Vibrationslauten. Außer der richtigen Aussprache der einzelnen deutschen Phoneme sind auch Informationen über Intonationskurven 3 im Deutschen wichtig. Es spielt eine große Rolle für die Verständigung, dass man den Tonhöhenverlauf im Aussage-, Frage- und Aufforderungssätzen beherrscht. Beim Fragesatz muss darüber hinaus zwischen Ergänzungsfragen, Entscheidungsfragen und Echofragen unterschieden werden. Bei Ergänzungsfragen (Wo ist Fritz? – In seinem Zimmer.) geht die Stimme nach unten, bei Entscheidungsfragen (Kommst du mit? – Ja.) und Echofragen (Fritz ist jetzt promoviert. – Fritz ist promoviert?) geht sie nach oben.
3.1.2 Ausspracheunterricht Es ist verständlich, dass man sich die Frage gestellt hat, ob es nicht sinnvoll wäre, jeden Sprachkurs des Deutschen mit einem grundlegenden Phonetikkurs zu beginnen, bei dem Laute geübt werden, ohne dass diese mit Inhalt gefüllt sind. Es gibt verschiedene Argumente dafür: 3
Damit ist der Verlauf der Tonhöhen während der Produktion einer Äußerung gemeint.
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1. Man kann sehr viele Phänomene gleich zu Anfang intensiv bewusst machen und üben. 2. Dieser Unterricht wird üblicherweise von einem Phonetikspezialisten gegeben und ist dadurch sehr effektiv. 3. Man kann dann die Aussprache unabhängig von der u.U. verwirrenden Schreibung üben, indem man zunächst nur die Aussprache ohne Schreibung vermittelt. 4. Man verhindert, dass sich gleich von Anfang an Fehler einschleifen, weil im normalen Sprachunterricht die Aussprache oft nicht das nötige Gewicht hat. Es gibt natürlich auch verschiedene wichtige Argumente, die gegen dieses Vorgehen sprechen, so dass diese Form des Fremdsprachenunterrichts äußerst selten ist. Die Lautebene und die Bedeutungsebenen würden in einem Phonetikkurs, der nicht auf die Sprachinhalte eingeht, künstlich getrennt. Das empfinden Lerner als unnatürlich und es wirkt zumindest auf erwachsene Lerner überhaupt nicht motivierend. Außerdem erfordern phonetische Übungen eine sehr hohe Konzentration. Diese hohe Konzentration lässt sich aber nicht über längere Zeit durchhalten, so dass man für den Rest des Sprachunterrichts dann doch wieder mit bedeutungstragender Sprache und Aussprachefehlern operieren müsste. Der dritte wichtige Grund ist, dass man die Intonationsstrukturen und die Akzentverhältnisse nicht üben kann, ohne die Bedeutung der Sätze zu kennen. Heutzutage gehen Lehrbücher in diesem Punkt meist einen Kompromiss ein. Es wird am Anfang des Kurses intensiv an phonetischen Erscheinungen gearbeitet. Etwa ein Viertel der Unterrichtszeit wird für den Ausspracheunterricht reserviert. Dies kann natürlich auch geschehen, indem man einen Teil dieser Arbeit als Selbststudium auslagert, beispielsweise dadurch, dass man ein Übungsprogramm auf Kassette oder CD anbietet, bei dem auch die Möglichkeit besteht, seine eigene Aussprache wieder zu kontrollieren. Ganz kann man den Ausspracheunterricht niemals dem Selbststudium überlassen, weil es viele Lerner gibt, die die Unterschiede zwischen der gewünschten Aussprache auf dem Band und ihrer eigenen nicht wahrnehmen. Wenn Sie sich das Lehrwerk Stufen International, das für sein besonders intensives Aussprachetraining bekannt ist, ansehen, werden Sie feststellen, dass hier zu Beginn des Lehrbuches recht gründlich im Bereich der Ausspracheschulung gearbeitet wird. Gerade weil Laien das Sprachvermögen von Ausländern vor allen Dingen nach der Aussprache beurteilen, ist es wichtig, dass ein Lehrbuch ein gutes Aussprachetraining enthält. Es sollte einen vollständigen Überblick über alle Laute und Intonationsregularitäten des Deutschen enthalten und auch Erklärungen und Übungen zur Satzphonetik. Diese Bereiche sollten von Anfang an geübt werden. Dazu ist ein reichhaltiges Übungsprogramm mit Hör- und Sprechübungen nötig, das auch auf CD oder Kassette erhältlich sein sollte. Sobald das von den Kenntnissen der Lerner her möglich ist, sollte das Übungsprogramm in das Programm des Lehrbuchs integriert sein, es sollte die bereits gelernten Vokabeln berücksichtigen und eine Beziehung zum Thema der Lektion und zum sonstigen Lernstoff dort haben. Zu Beginn eines Anfängerkurses lässt sich das schlecht umsetzen, aber leider tendieren viele Lehrbücher dazu, auch noch später ihr Ausspracheprogramm völlig vom sonstigen Lehrprogramm zu trennen. Das heißt in der Praxis, dass an eine Lektion Ausspracheübungen angehängt oder ihr vorgeschaltet werden, die überhaupt keinen Bezug haben zu dem, was gerade vorher unterrichtet wurde, also z.B. nach einer Lektion über formelle Gesprächseröffnungen folgen Übungen mit ü-Lauten anhand von zusammenhangslosen Wörtern. Beim Übergang in die Mittelstufe ist es realistisch, dass die Lerner den Intonationsverlauf in Bezug auf die verschiedenen Satzarten beherrschen. Daneben sollten sie die Hauptregeln des Wortakzents richtig anwenden können und Akzentgruppen und Pausen im Wesentlichen 25
richtig verteilen. Sie sollten die Vokale richtig aussprechen und auch mit gehäuften Konsonanten umgehen können. Wie erreicht man nun dieses Ziel und mit welchen Übungsformen? Es gibt verschiedene Arten des Übens von Intonation und Aussprache. Man kann zunächst einmal Einzellaute üben lassen und von den Einzellauten dann zu ganzen Wörtern und ganzen Intonationskurven kommen. Man kann umgekehrt ganze Sätze mit ihrer Prosodie und allen ihren Einzellauten üben lassen. Und man kann drittens gleich zu Beginn Einzellaute und auch schon Intonationskurven üben lassen und den Schwierigkeitsgrad langsam steigern. In der Praxis wird meist das dritte getan, weil man nur so gleich von Anfang an bedeutungstragende Elemente lernen und trotzdem den Fokus auf einzelne schwierige Laute legen kann. Wenn eine Lehrperson eine homogene Gruppe (von Lernern derselben Muttersprache) hat und deren Muttersprache selbst beherrscht, kann man sich beim Erschließen des Lautbestands des Deutschen intensiv mit den Lauten beschäftigen, die in der Muttersprache der Lerner nicht vorkommen. Die Lerner begreifen dabei, dass der Lautbestand der eigenen Sprache nicht mit dem der Fremdsprache übereinstimmt. Besonders schwierig sind dabei Laute, die in der Fremdsprache nicht gleich, aber ähnlich realisiert werden wie in der Muttersprache. Bei den Intonationskurven beginnt man üblicherweise mit kurzen Sätzen im dialogischen Kontext. Ein ganz anderer Ansatz lässt die Intonationskurven anhand von Brummen oder Summen, also ganz ohne Wörter, einüben. Typisch für den Phonetikunterricht ist, dass Abbildungen vom Mundraum gemacht werden, auf denen man die Stellung der Organe im Mundraum bei der Produktion verschiedener Laute genau sehen kann. Wenn sie selbst schon eine Einführung in die Phonetik besucht haben, werden Sie wissen, wie schwierig es ist, seine verschiedenen Artikulationsorgane willentlich in eine bestimmte noch nicht eingeübte Stellung zu bringen. Das liegt daran, dass wir derartige Artikulationsbewegungen nicht in dieser Form bewusst kontrollieren. Übungen, mit denen man die Artikulationsbewegungen zu kontrollieren lernt, finden sich in Lehrbüchern so gut wie nie – sie sind auch kompliziert durchzuführen und zeitraubend. Bei vielen Lernern ist also der Weg über das Nachahmen mindestens ebenso gut wie der Weg über das Aufzeigen der Lage und der Bewegung der einzelnen Artikulationsorgane bei der Produktion eines bestimmten Lauts. Wenn allerdings ein Laut über das Nachahmen nicht gelernt wird, muss das komplizierte Verfahren über die bewusste Kontrolle der Artikulationsorgane gewählt werden. Es gibt im Wesentlichen vier verschiedene Übungstypen, die ein systematisches Programm für die Aussprache garantieren sollen. Es beginnt erstens mit Hörübungen, darauf folgen zweitens Sprechübungen und drittens Korrekturübungen und zuletzt Einschleifübungen. Bei den einzelnen Übungen wird üblicherweise der zu lernende Laut in einem sogenannten Signalsatz präsentiert, d.h. in einem Satz, in dem er sehr häufig vorkommt. Beispiele für solche Signalsätze wären für /e:/ etwa geh den Weg, für /a:/ etwa Vater, kann ich mal fahren? Der Satz ist für das lange /a:/ insofern ungünstig, als er außer dem gespannten langen /a:/ auch das kurze ungespannte /a/ enthält und insofern zu Verwechslungen führen kann. Die Hörübungen könnten z.B. so aussehen, dass derartige Signalsätze präsentiert werden, anschließend der Einzellaut in einer einzigen Silbe und zuletzt ein Gedicht oder Spruch mit einer Häufung des Lauts präsentiert wird. Daran können sich Übungen anschließen, in denen Wörter oder Laute identifiziert werden müssen, z.B. durch Ankreuzen. Das geschieht meist in Wörtern, die sich nur in einem Laut unterscheiden, sogenannte Minimalpaare. Der zu lernende Laut wird mit einem ähnlichen kontrastiert, das kommt der Schwierigkeit beim alltäglichen Hören am nächsten, also z.B. soll der Unterschied zwischen Tür und Tier gehört werden. An diese Phase von Hörübungen können sich Sprechübungen anschließen. Z.B. kann zunächst der Signalsatz gesprochen werden, dann einzelne Silben mit dem zu lernenden Laut, 26
dann kurze Textstücke mit dem Laut. Eine sehr häufige Übung in diesem Zusammenhang ist das Sprechenlassen von Minimalpaaren, wobei die Schüler überprüft und korrigiert werden sollten. In einer letzten Phase schließen sich dann häufig Zusatzübungen an, mit Versen, Reimen oder anderen Nachsprechsätzen, häufig auch Zungenbrechern. Viele Lehrbücher bauen völlig auf diesen Minimalpaaren auf, in dem Lehrbuch Stufen International wird z.B. der Unterschied zwischen /y:/ und /i:/ folgendermaßen eingeführt. Es wird zunächst für und vier gegenübergestellt. Hier hätten wir ein typisches Minimalpaar, das sich in genau einem Phonem unterscheidet, und die beiden Phoneme /i:/ und /y:/ unterscheiden sich auch nur in einem einzigen Merkmal (gerundet). Danach müssen die Lerner Wörter wiederholen, z.B. üben, Süd, Tür, Syrien, viel, hier, Kino, wieder. Danach müssen sie vom Band gehörte Wörter mit einem minimalen Lautkontrast unterscheiden. Sie kreuzen dazu auf einem Arbeitsblatt an, was sie zuerst hören, für oder vier, sieht oder Süd, Tür oder Tier. Schließlich müssen sie den Laut in Wörtern mit minimalem Lautkontrast wiedererkennen und dann Wörter mit diesem Laut imitieren. Es folgen Nachsprechsätze der Art schließ die Türe zu, viele Grüße aus dem kühlen Kiel, hier das Buch für ihre vier Brüder, viel Vergnügen. Nun noch einmal zu der Unterscheidung der langen gespannten Vokale und der kurzen ungespannten Vokale derselben Art, die eines der Hauptprobleme der Phonetik im Deutschen darstellt. Die Schwierigkeit wird oft durch die Lehrbuchautoren verstärkt, da in Lehrbüchern üblicherweise nur steht, dass lange und kurze Vokale unterschieden werden müssen. Dass diese Vokale außer der Länge auch noch einen deutlichen weiteren Unterschied aufweisen, wird den Lernern und den Lehrpersonen nicht klar gemacht. Wenn Sie sich selbst einmal kontrollieren, wenn Sie nacheinander die Wörter bitte und biete aussprechen, dann werden Sie feststellen, dass bei biete eine größere Muskelanspannung stattfindet. Daher kommt der Name „gespannt“. Nichts hindert Sie daran, mit dieser gespannten Aussprache eines /i:/ auch einen Kurzvokal zu produzieren, dieser Kurzvokal kommt im Deutschen sogar vor, allerdings nur in Fremdwörtern. Das [i] in Idee ist ein gespannter Kurzvokal. Das Phänomen der gespannten und ungespannten Vokale gibt es im Deutschen bei allen Vokalen, es gibt jeweils Unterschiede in Länge und Qualität bei den/denn, Aal/all, wohl/Wolle, Mut/Mutter, Höhle/Hölle, Hüte/Hütte, ähnlich/Äpfel. Die Regel, die im Deutschen im Großen und Ganzen gilt, lautet, dass gespannte Vokale immer dann lang werden, wenn sie betont sind. Insofern stimmt tatsächlich Gespanntheit und Vokallänge im Großen und Ganzen überein. Trotzdem ist es wichtig, auf die unterschiedliche Vokalqualität hinzuweisen, denn es gibt durchaus Sprachen, in denen die ungespannten Vokale auch lang vorkommen. Die Übungssätze für die Vokale kennen Sie wahrscheinlich noch aus der Kinderzeit. Es sind Sätze, wie Kindergärtnerinnen sie gesammelt haben, um der Erheiterung willen gehäuft bestimmte Vokale zu präsentieren. Beispiele sind etwa: Sieben liebe Riesen liefen durch die Wiesen. Als die Winde bliesen, kriegten sie das Niesen. Oder Herr von Hagen, darf ich fragen, welchen Kragen Sie getragen, als Sie lagen krank am Magen im Spital von Kopenhagen? Nicht nur Vokale, sondern auch Konsonanten können problematisch sein. Dass Konsonantenhäufung ein Problem ist für Lernende, ist keineswegs auf Ausländer beschränkt. Auch deutsche Kinder haben beim Mutterspracherwerb zunächst erhebliche Probleme mit Konsonantenhäufungen im Deutschen. Kinder und Lerner haben üblicherweise dieselben Strategien, um Konsonantenhäufungen zu vermeiden. Entweder sie lassen Konsonanten weg oder sie fügen sogenannte Sprossvokale ein. Das gibt es durchaus noch bei Erwachsenen, so sagt man zum Beispiel in bestimmten Dialektgebieten, fünnef statt fünf. Sprossvokale können aber die Verständigung erschweren, denn es gibt Minimalpaare, bei denen das Einfügen des Sprossvokals die Bedeutung ändert. Beispiele dafür sind z.B. Grippe/Gerippe, beraten/Braten, Terrasse/Trasse, gleiten/geleiten. Üblicherweise wird auch anhand solcher 27
Minimalpaare geübt, die Sprossvokale wegzulassen. Bei Kombinationen von fünf Konsonanten muss man allerdings dazu sagen, dass auch Deutsche sie üblicherweise nicht korrekt aussprechen, kein Deutscher sagt du schimpfst oder du stampfst. Üblicherweise wird das p zumindest weggelassen, oft auch das t am Ende. Völlig unbegreiflich ist, wieso man Deutschlernende im Ausspracheunterricht sehr häufig mit Zungenbrechern quält, die selbst Deutsche nicht aussprechen können. In Lehrbüchern wird tatsächlich empfohlen, Zungenbrecher wie die folgenden von den Lernern produzieren zu lassen: Brautkleid bleibt Brautkleid und Blaukraut bleibt Blaukraut oder Fischers Fritz fischt frische Fische.
Satzphonetik Der zweite Teil der Ausspracheschulung betrifft die Satzphonetik. Hier geht es nicht nur um die eigene Produktion, sondern auch um das Verständnis. Wer als Ausländer in Deutschland kommunizieren will, muss auch einigermaßen schnelles gebundenes Reden verstehen können und innerhalb gewisser Grenzen ist es auch sinnvoll, dass er selbst so spricht, wie es in Deutschland üblich ist, und nicht so, wie es im Ausspracheduden für das Einzelwort steht. Einige typische Erscheinungen der Satzphonetik in der gesprochenen Sprache sind die Verschleifungen, die Assimilation und der Schwund des /e/ in Endsilben. Wir verschleifen durchaus über Wortgrenzen hinweg. Bei den Verschleifungen machen Ausländer häufig Fehler. Das liegt daran, dass sie den nicht geschriebenen Glottallaut nicht beachten, also assimilieren, wo sie es nicht dürfen. Sie sagen so etwas wie [verΙstaʊsitalian] für Wer ist aus Italien? oder [i:na:maΙstaida] für Ihr Name ist Aida. Diese falschen Verschleifungen sind besonders naheliegend, weil es im Deutschen sehr viele Verschleifungen gibt. Wir lassen sehr häufig Konsonanten weg oder gleichen sie an. Bei zwei gleichen aufeinanderfolgenden Konsonanten wird sehr häufig nur einer der beiden gesprochen. Etwa bei Er kommt aus Südamerika hören wir nur einen s-Laut von aus und Südamerika. Ebenso bei Ist das dein Nachname wird nur ein [n] gesprochen von dein und Nachname und das [t] bei ist oder nicht ist einer der Konsonanten, die im gesprochenen Deutsch fast immer wegfallen. Wenn ein Sprachlaut sich an seine Umgebung anpasst, sprechen wir von Assimilation. Ein Beispiel dafür ist die übliche Aussprache von Senf, bei der das [n] sich in der Artikulationsstelle anpasst an das folgende [f] und zu einem [m] wird. Sehr häufig werden auch stimmlose Konsonanten in stimmhafter Umgebung stimmhaft bzw. umgekehrt. Das Wortende ist eine stimmlose Umgebung, deswegen ist die sogenannte Auslautverhärtung 4 auch ein Assimilationsprozess. Ihnen ist sicher auch schon aufgefallen, dass wir üblicherweise das /e/ in Endsilben kaum aussprechen. Wir sagen [gu:tn mɔʀgn] und wir sagen [vi: 'hɑisn zi:?]. Diese phonetischen Besonderheiten des Deutschen machen Ausländern Schwierigkeiten bei der Erkennung der entsprechenden Wörter. Es ist deshalb sinnvoll, auf solche Phänomene im Übungsmaterial hinzuweisen. Dies geschieht meist in Dialogen, die den Lernenden vorgespielt werden. Das Lehrbuch Stufen 2 enthält ganze Dialoge, die in Lautschrift wiedergegeben werden, und bei denen die Lernenden die korrekte deutsche Orthographie darunter schreiben müssen und jeweils markieren, wo es Unterschiede gibt zwischen der üblichen Aussprache und der nach der Schrift zu erwartenden Aussprache. Im Folgenden sehen Sie ein Beispiel hierfür aus dem Lehrwerk Stufen: 4
Mit Auslautverhärtung bezeichnet man das Phänomen, dass stimmhafte Obstruenten am Wort- bzw. Silbenende stimmlos ausgesprochen werden, d.h. anstelle der stimmhaften Phoneme /b/, /d/, /g/, /v/ und /z/ treten ihre stimmlosen Pendants /p/, /t/, /k/, /f/ und /s/ auf.
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Bitte übertragen Sie die phonetische Umschrift in Normalschrift und ergänzen Sie die reduzierten Wörter: 1. A:
hasdə ma:n
momɛn tsáit? kansdə miɐn gəfáln tun?
Hast du mal einen Moment Zeit? 2. B:
ja gɛɐn, was isən?
3. A:
miɐ hamzəs rá:t geklaʊt.
4. B:
mɛnʃ, was wilsdən jɛts máxn?
5. A:
swáis iç niç. abɐ içap jɛts nə fóɐlezʊŋ, un tsʊ fu:s ʃáfiçs niç meɐ. kɑnsdə miɐ filaiç dáins ma lain?
6. B:
na klá:ɐ! içaps in kɛlɐ gəʃtɛlt.
7. A:
is da:n ʃlɔs dran?
8. B:
jan tsá:lnʃlɔs - draiənətzi:mənɔYntsiç.
9. A:
dáŋk diɐ. ʊnt gry:s pé:tɐ, wɛndɛn zi:st. tʃys!
(nach Stufen 2 1992,183) Neben dem Umgang mit im Deutschen üblichen Verschleifungen ist natürlich insbesondere die Prosodie ein wichtiger Bestandteil dessen, was im Ausspracheunterricht gelernt werden muss. Darunter versteht man die richtige Intonationskurve, das Setzen der Satzakzente, das Setzen der Akzentgruppen und der Pausen. Beim Üben dieser Phänomene muss man auf eine graphische Notation zurückgreifen. In vielen Lehrbüchern werden die folgenden Notationen verwendet. Was willst du? Ich möchte nach Frank furt. Sind Sie hier Leh rerin? Es ist drei Uhr. Beim Satzakzent gibt es Unterschiede zwischen Kontrastbetonung und normaler Betonung. Bei Kontrastbetonung liegt der Akzent auf den Wörtern, die hervorgehoben werden sollen. Sie fährt morgen mit dem Auto nach Marburg. (Nicht ihr Mann) Sie fährt morgen mit dem Auto nach Marburg. (Nicht übermorgen) Sie fährt morgen mit dem Auto nach Marburg. (Nicht mit dem Zug) Sie fährt morgen mit dem Auto nach Marburg. (Nicht nach Gießen) Wenn es sich nicht um Kontrastbetonung handelt, ergibt sich die kommunikative Interpretation eines Satzes meist aus dem Tonhöhenverlauf nach der letzten Akzentsilbe. Wenn die Intonation danach steigt, besteht eine Frageabsicht, wenn sie fällt, liegt eine 29
deklarative Absicht vor. Gleichbleibende Intonation ist eher selten. Oft soll aber nicht nur die Intonationsstruktur nach der letzten Silbe dargestellt werden, sondern die der gesamten Äußerung. Dafür bestehen verschiedene Schreibkonventionen, die folgende ist die verbreitetste: Wie ist Ihr Na me?
Wie ist Ihr Name? (kontrastbetont: Ihr Name, nicht der von anderen)
Woher kom men Sie?
Woher kommen Sie?
(nicht jemand anders)
Man kann sehr leicht zeigen, dass die Satzakzente praktisch immer mit den Tonbrüchen (Abfallen der Tonhöhe) zusammenfallen. Neben dem Verlauf der Tonhöhen ist vor allen Dingen die Intonationskontur am Ende von Sätzen und Satzteilen besonders wichtig. Deshalb wird in Lehrbüchern meist nur dieser Verlauf der Intonationskonturen am Ende markiert sowie die Satzakzente, dies bietet eine gute Hilfestellung zum lauten Lesen. Im Ausspracheunterricht für Fortgeschrittene geht man häufig noch einen Schritt weiter. Man demonstriert Satzakzente, Tonmuster, Pausenverhalten und Akzentgruppen und lässt sie dann in vorgegebenen Texten durch die Lerner selbst markieren. Derartige Übungen finden Sie z.B. im Lehrbuch Stufen II, hier an der Universität wird dies auch von Frau Professorin Dr. Heilmann in den „Übungen zum Textlesen” unterrichtet. Erst wenn der Satzakzent und der Intonationsverlauf hinlänglich geübt worden sind und die Lerner schon größere Intonationseinheiten einigermaßen adäquat aussprechen können, beginnt man mit der Untergliederung nach Akzentgruppen. Denn wenn man diese zu früh bewusst macht, ist die Gefahr einer abgehackten, singenden Sprechweise mit zu vielen Pausen und Akzenten pro Satz sehr groß. Das Markieren von Akzentgruppen geschieht üblicherweise zunächst einmal anhand von Hörtexten, die den Lernern auch geschrieben vorliegen. Die Akzentgruppen, die die Lerner gehört haben, werden durch Striche markiert und die Silbe mit der Hauptbetonung wird unterstrichen. Anschließend lesen die Lerner den Text selbst laut, wobei sie deutliche Pausen zwischen den Akzentgruppen machen. Am Ende solcher Übungen stehen Texte, in denen die Lerner selbst, ohne sie vorher gehört zu haben, die Akzentgruppen eintragen. Als Übungstexte eignen sich hier sehr kurze Texte mit einer abgeschlossenen Handlung oder einer Pointe, sehr häufig werden Witze oder Anekdoten verwendet oder auch die Geschichten von Herrn Keuner von Bertolt Brecht, die im DaF-Unterricht nach wie vor sehr beliebt sind. Ein weiteres Problem ist der Wortakzent. Es ist eigentlich für Lerner sehr wichtig, die Wortakzente zu beherrschen, denn auf Wortakzenten beruhen auch grammatische Regeln (die unbetonten Verbpräfixe werden generell nicht abgetrennt und die entsprechenden Verben haben kein ge im Partizip II, also áufstehen, aufgestanden, aber verstéhen, verstanden). Leider ist es aber extrem schwierig, die Wortakzente zu lernen.
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1. Silbe die meisten deutschen Wörter Donner, neblig trennbare Verben und davon abgeleitete Nomen abfahren, Abfahrt Wörter mit den Präfixen miss-, un-, urmissachten, Urlaub, Unwetter
2. Silbe nach den Präfixen be-, emp-, ent-, er-, ge-, ver-, zerGewitter, verregnet
vorletzte Silbe Wörter auf -ade,-age,-ieren, ismus,-istisch Olympiade, studieren Wörter auf –isch japanisch, sozialistisch Die meisten Verben mit den trennbaren Zusätzen durch-, hinter-, über-, um, unter-, widerüberlegen, unterhalten
letzte Silbe die meisten Fremdwörter Student, intensiv die meisten Abkürzungen als Buchstaben (!) LKW, SPÖ, ADAC Nomen auf –ei Bäckerei, Schweinerei
die meisten Abkürzungen als Wort Unicef, NATO (nach Stufen 3 1992, 194) Generell kann man sich die Aussprache sehr schlecht selbst aus Büchern beibringen. Deshalb werden in unserer Deutsch-als-Fremdsprache-Ausbildung spezielle Seminare zur Ausspracheschulung angeboten. Jedes Semester bietet die Leiterin unserer Abteilung für Sprecherziehung, Frau Professorin Dr. Heilmann, eine von drei aufeinander aufbauenden Übungen zum Aussprache-Unterrichten für Deutschlehrer an. Stufe I befasst sich mit den Lauten, Stufe II mit Akzent-Gruppen und Satzintonation („Textlesen“ heißt die Übung), Stufe III mit dem dialogischen Sprechen. Zumindest die Grundstufe sollte man als künftige Deutsch-als-Fremdsprache-Lehrperson auf jeden Fall besucht haben. 5
3.2
Morphologie
Ein zweiter Bereich, in dem linguistisches Wissen gefragt ist, ist die Morphologie, also der Bereich der Wortbildung und der Flexion des Deutschen. Flexion ist das, was die Schüler selbst meist unter Grammatik verstehen. Unter der Flexion verstehen wir die unterschiedlichen Endungen, die die grammatischen Formen eines Wortes herstellen. Sie wissen vermutlich, dass das Deutsche eine Sprache ist, die sehr stark flektiert, d.h. die sehr viele verschiedene Endungen nimmt, je nach der grammatischen Form, die gerade ausgedrückt werden soll. Das hängt damit zusammen, dass das Deutsche eine relativ freie Wortstellung hat. Wenn die grammatische Rolle von Wörtern im Satz nicht durch die Wortstellung markiert wird, dann muss sie mit Endungen markiert werden. Sonst könnte man nicht ermitteln, was in einem Satz Subjekt und was Objekt ist, z.B. in Den Jungen schlägt das Mädchen. Darüber, wie die Flexion im Deutschen aussieht, gibt es keinen Streit unter den Linguisten. Die Flexionsendungen sind überall nachzuschlagen, sie stehen in jeder Grammatik, aber man kann sie unterschiedlich geschickt vermitteln. Wichtig für Lerner ist, dass diese vielen verschiedenen Endungen so präsentiert werden, dass man sie sich leicht merken kann. In älteren 5
Wenn in den Übungen bei Frau Heilmann keine Plätze mehr frei sind, gibt es auch die Möglichkeit, die Bildung der Laute des Deutschen bei unseren Phonetikern in den „ATH”-Übungen (Artikulations-, Transkriptions- und Hörübungen) zu lernen.
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Grammatiken des Deutschen wurde sehr häufig die Reihenfolge der Kasus so gewählt: 1. Nominativ 2. Genitiv 3. Dativ 4. Akkusativ. Das hing damit zusammen, dass man den Nominativ in der Grundschule als „1. Fall“, den Genitiv als „2. Fall“ usw. bezeichnet. Warum man diese Zahlen gewählt hat, ist nicht begreiflich. Sie haben nichts mit der Häufigkeit des Vorkommens zu tun (dann wäre Akkusativ der „2. Fall“), vermutlich beruhen sie auf der Reihenfolge in einem als typisch angesehenen Satz, der ein Attribut im Genitiv zum Subjekt hat, also etwa Der Onkel (1) des Kindes (2) schenkt ihm (3) ein Buch(4). Aber natürlich können Objekte auch Genitiv-Attribute haben. Für das Unterrichten des Deutschen als Fremdsprache hat diese Reihenfolge den Nachteil, dass die gleichlautenden Formen durch anderslautende unterbrochen werden. So wird die Merkbarkeit erheblich erschwert. Maskulinum
Maskulinum II Femininum
Neutrum
Nominativ Akkusativ Dativ Genitiv
der Mann den Mann dem Mann des Mannes
der Junge den Jungen dem Jungen des Jungen
die Frau die Frau der Frau der Frau
das Kind das Kind dem Kind des Kindes
Nominativ Akkusativ Dativ Genitiv
die Männer die Männer den Männern der Männer
die Jungen die Jungen den Jungen der Jungen
die Frauen die Frauen den Frauen der Frauen
die Kinder die Kinder den Kindern der Kinder
Singular
Plural
Ein weiteres wichtiges Element bei der Vermittlung der Morphologie des Deutschen sind die wichtigsten Wortbildungsregeln. Die Wortbildung ist für Lerner sehr wichtig, denn wenn sie die Wortbildungsregeln kennen, erhöht sich ihr Wortschatz enorm. Sie müssen Wortbildungselemente im Deutschen sowohl erkennen als auch benutzen können. Im Deutschen ist das Bilden von Komposita, also von aus mehreren Wörtern zusammengesetzten Wörtern, ein sehr wichtiger und produktiver Prozess der Wortbildung. Wenn dieses Phänomen übertrieben wird, kann es durchaus seine Schwierigkeiten mit sich bringen. In diesem Zusammenhang wird sehr häufig das Beispiel Donaudampfschiffahrtskapitänsmütze angeführt, und auch dieses Wort kann noch Basis für Wortbildungsprozesse sein. Komposita entschlüsseln zu können, ist für das Verständnis deutscher Texte unerlässlich. Bei Substantiven sind 98% sogenannte Determinativkomposita, d.h. der erste Teil bestimmt den zweiten Teil des Kompositums näher. Die Haustür ist die Tür des Hauses. Es ist nicht eine bestimmte Art von Haus, sondern eine bestimmte Art von Tür. Die Relation zwischen den beiden Elementen ergibt sich häufig einfach aus dem Weltwissen der Sprecher und Hörer. Gelegentlich sind zwei Interpretationen möglich, z.B. kann ein Holzschuppen ein Schuppen aus Holz oder für Holz sein oder ein Kriegsgegner kann jemand sein, der gegen den Krieg ist, der ein Gegner des Krieges ist, oder ein Gegner im Krieg. Das Genus erhalten Determinativkomposita wie alle Komposita von ihrem zweiten Element (dem sogenannten Kopf), also es ist das Haus und die Tür, aber es ist die Haustür. Neben diesem sehr verbreiteten Typ von Kompositumbildung haben wir die selteneren Typen Kopulativkompositum, in diesem Fall sind die beiden Elemente gleichwertig, z.B. in Strumpfhose, was angeblich ein Strumpf und eine Hose sein soll. Kopulativkomposita sind häufiger bei Verben und Adjektiven, z.B. schneidbrennen oder schwarzweiß. Gelegentlich wird noch eine Gruppe Possessivkomposita extra betrachtet, in der nicht beide Elemente Nomen sein müssen (Trotzkopf oder Milchgesicht), sondern bei der auch Adjektive als erstes Kompositionsglied vorkommen können, z.B. in Dummkopf und Langbein. Die Bezeichnung
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„Possessivkomposita“ ergibt sich aus der Überlegung, dass der/die Bezeichnete das Entsprechende „besitzt“, also der Dummkopf hat einen dummen Kopf usw. Noch wichtiger als die Komposition ist die Ableitung. Die Kenntnis von Ableitungsregeln ermöglicht den Lernern nicht nur das Erschließen der Bedeutung verschiedener Wörter, sondern ermöglicht ihnen ganz besonders gut selbst neue Wörter zu bilden. Bei richtiger Vermittlung der Ableitungsregeln lernen die Lerner gleichzeitig mit der Bedeutung das Genus der Wörter. Es gibt im Deutschen produktive und erstarrte Ableitungs-Elemente. Begreiflicherweise muss man bei der Vermittlung der erstarrten Elemente darauf hinweisen, dass man mit diesem Muster heutzutage keine neuen Bildungen mehr vornehmen kann. Ein erstarrtes Ableitungselement ist z.B. das -t, mit dem früher aus Verben Substantive gebildet werden konnten, z.B. Fahrt. Die Kenntnis dieses Elements hilft den Lernern noch, die Bedeutung zu erschließen und vor allen Dingen das Genus des Wortes zu wissen, denn alle Ableitungen auf -t sind Feminina. Produktive Ableitungselemente sind z.B. un- zum Bilden des Gegenteils eines Wortes, z.B. in schön/unschön, -ung zum Bilden eines Substantivs aus einem Verb z.B. in erfahren/Erfahrung (alle so gebildeten Substantive sind Feminina) oder er zur Bildung von Substantiven, die den jeweils Handelnden bezeichnen, aus Verben, z.B. machen/Macher (alle so gebildeten Substantive sind Maskulina). Eine vollständige Auflistung dieser Ableitungselemente des Deutschen findet sich in dem immer wieder aktualisierten Handbuch von Wolfgang Fleischer 6 , das LehrerInnen zum Nachschlagen gut gebrauchen können. (Leider ist es zum Lernen überhaupt nicht zu gebrauchen.) Wichtig bei der Beurteilung von Lehrbüchern im Bereich der Wortschatzvermittlung ist natürlich nicht nur, ob deren Beschreibungen linguistisch angemessen sind, sondern auch, ob sie für die Lerner tatsächlich merkbar sind.
3.3
Semantik
Ein dritter wichtiger linguistischer Anteil am DaF-Studium ist die Semantik. Damit ist gemeint: die Lehre von der Bedeutung von Wörtern und Sätzen. Man braucht Kenntnisse in Semantik im Unterricht zum Erklären von Unterschieden in der Bedeutung der Wörter in der Mutter- und in der Zielsprache. Sehr häufig gibt es nämlich keine Eins-zu-Eins-Entsprechung zwischen Wörtern und zwischen grammatischen Erscheinungen in zwei Sprachen. Dazu wird zunächst einmal die Kenntnis der Semantik der Muttersprache wichtig. Wir machen uns häufig nicht klar, dass ein deutsches Wort verschiedene Bedeutungen hat und merken es erst, wenn wir versuchen, dieses Wort in eine Fremdsprache zu übersetzen. Das deutsche Verb wählen heißt z.B., wenn es darum geht, dass wir aus einer Menge von zur Verfügung stehenden Dingen eins auswählen, ins Französische übersetzt choisir. Wenn wir damit meinen jemanden in ein Amt wählen, heißt es auf Französisch élir. Wenn wir meinen eine Partei wählen/jemanden wählen (in einer Wahlkabine), heißt es voter pour qn. Wenn wir am Telefon wählen, heißt es composer un numéro. Wenn wir nicht wählen gehen, heißt es s'abstenir de voter. Entsprechende Probleme haben Lerner mit in ihrer Muttersprache semantisch vagen Wörtern. Wir sind uns über solche Schwierigkeiten der Semantik von Wörtern eher im Klaren, wenn es sich um echt polyseme Wörter handelt, d.h. das, was wir als Kinder „Teekesselchen“ genannt haben. Ein solches Teekesselchen ist z.B. Schloss. In diesem Falle hätten wir sehr häufig intuitiv schon Bedenken, jede Bedeutung von Schloss mit demselben Wort zu übersetzen. Und tatsächlich, wo es das Gebäude meint, ist es mit château ins Französische zu übersetzen, 6
Fleischer, Wolfgang/Barz, Irmhild, 1995: Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen: Niemeyer.
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da wo es die Schließvorrichtung ist, ist es mit serrure ins Französische zu übersetzen und das Gewehrschloss heißt culasse mobile. Unerfahrene Sprachenlerner wissen häufig nicht, dass sie idiomatische Ausdrücke nicht wörtlich übersetzen können, bzw. sie erkennen nicht, dass etwas ein idiomatischer Ausdruck ist, bei dessen Übersetzung sie vorsichtig sein müssen. 7 In einigen Fällen bleibt ein einziges Element erhalten, so z.B. bei hinter Schloß und Riegel, das im Französischen sous les verrous heißt. Verrou bedeutet tatsächlich Riegel, Verschluss. Weiß der Himmel oder weiß der Teufel heißt im Niederländischen dat mag Joost weten, wörtlich übersetzt „das darf Joost (ein Vorname) wissen, das könnte Joost wissen“. Bei der Übersetzung der idiomatischen Wendung ins Französische bleibt sogar das Wort wissen nicht erhalten, da ist die Übersetzung nämlich je n' en ai pas la moindre idée. Durch den Kontakt mit einer anderen Sprache merkt man erst, was alles idiomatisch ist, gerade bei einzelnen Wörtern wie z.B. Wochenbett sind wir darauf überhaupt nicht vorbereitet. Ein Bereich, in dem man bei idiomatischen Ausdrücken häufig eine Übereinstimmung in verschiedenen Sprachen feststellen kann, sind biblische Ausdrücke, die innerhalb unseres Kulturkreises oft dank der wörtlichen Bibelübersetzungen aus dem Lateinischen überall aus den gleichen Wörtern bestehen, z.B. auf Sand gebaut (op zand gebouwd, bâti sur le sable). Natürlich werden idiomatische Ausdrücke als ganze Vokabeln gelernt, aber es ist für Lerner nicht offensichtlich, wann sie es mit einem idiomatischen Ausdruck zu tun haben, sie also nicht Wort für Wort übersetzen dürfen. Dies sind Schwierigkeiten, die auch bei verwandten Sprachen auftreten. Je weiter die Sprachen voneinander entfernt sind, umso nötiger wird die kontrastive Semantik. Es kann sein, dass bestimmte Konzepte in der einen Sprache durch ein Wort, in der anderen jedoch durch mehrere Wörter ausgedrückt werden (Die Flasche schwamm in die Höhle/la botella entra flotando en la cueva) oder sogar in der einen durch grammatische und in der anderen durch lexikalische Mittel ausgedrückt werden, etwa beim Aspekt, der in slawischen Sprachen obligatorisch durch eine Endung am Verb gekennzeichnet wird, während es im Deutschen verschiedene lexikalische Mittel gibt, ihn zu kennzeichnen, etwa die am-Form: Stör mich nicht, ich bin am Arbeiten.
3.4
Syntax
3.4.1 Syntaxmodelle Wenn man daran denkt, dass linguistisches Wissen für Deutsch-als-FremdspracheLehrerinnen und -Lehrer nötig ist, dann verweist man sehr häufig auf Syntaxmodelle. Damit ist gemeint: Wir müssen in irgendeiner Weise erklären, wie deutsche Sätze gebildet werden. Leider gibt es verschiedene Verfahrensweisen, wie man das tun kann, und leider begegnen den Deutsch-als-Fremdsprache-Lehrenden in den Lehrbüchern zwei verschiedene derartige Verfahren. Das bedeutet, Deutsch-als-Fremdsprache-Lehrende müssen sich in zwei verschiedenen Grammatikmodellen auskennen, nämlich dem Valenz-/Dependenzmodell und der traditionellen Grammatik. In neueren Lehrbüchern und Grammatiken wird üblicherweise das Valenz-/Dependenzmodell benutzt, in älteren Grammatiklehrbüchern wird üblicherweise die traditionelle Grammatik benutzt. Leider kann es der Lehrperson passieren, dass das Lehrbuch, das im Unterricht verwendet werden soll, den Valenz-/Dependenzansatz benutzt, 7
Natürlich ist so etwas auch ein beliebtes Spiel, es gibt ganze Texte, die aus solchen wörtlichen Übersetzungen von idiomatischen Wendungen zusammengesetzt sind (wo etwa Wochenbett mit lit de semaine (statt couches) /bed van de weken (statt kraam) übersetzt ist).
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nebenbei aber eine Übungsgrammatik verwendet werden soll, die in ihren Erklärungen und in der Terminologie eindeutig auf der traditionellen Grammatik beruht. Dann hat man als Lehrerin oder Lehrer auch noch das Problem, den zusätzlichen Grammatikstoff an das anzupassen, was den Lernern aus dem sonstigen Unterricht bekannt ist, d.h. man schreibt von einem Modell ins andere um. Die Lerner kommen übrigens sehr häufig aus Ländern, in denen nur die traditionelle Grammatik bekannt ist, d.h. auch sie gewöhnen sich erst einmal mühsam an die Darstellung mit dem Valenz-/Dependenzansatz. Hier in dieser Vorlesung können keine Feinheiten zu diesen Grammatikmodellen vermittelt werden. Eine genauere Analyse der Modelle, mit denen die deutsche Grammatik im Großen und Ganzen beschrieben wird, findet in dem Seminar „Linguistik für das Deutsch-alsFremdsprache-Studium“ statt und sie findet sich im 2. Kapitel der Vorlesung „Grammatik des Deutschen”, die auch als CD, Internet-Lehrmaterial und Reader erhältlich ist. Hier soll nur ein Überblick gegeben werden, der die Modelle vom Lerner aus gesehen zeigt. Als Lehrerin oder Lehrer müssten Sie ein fundierteres Wissen als Grundlage haben. Es geht jetzt zunächst einmal darum, dass Sie sehen, was ein „Grammatikmodell“ eigentlich ist. Grammatikterminologie ist nichts Naturgegebenes, Grammatikbegriffe haben nur ihren Sinn in einem Gesamtsystem der Beschreibung, in einem Modell. Es gibt sehr viele verschiedene Grammatikmodelle, die drei bekanntesten sind die traditionelle Grammatik, die Sie aus der Schule kennen werden, das Modell der Generativen Transformationsgrammatik, das Sie in der augenblicklichen Form aus Ihrer Linguistikeinführung kennen bzw. kennenlernen werden, und das Valenz-/Dependenzmodell, das vor allen Dingen für Fremdsprachenunterrichtszwecke verwendet wird, und das ich Ihnen im Folgenden etwas genauer vorstellen möchte, weil viele von Ihnen es vermutlich noch nicht kennen.
3.4.1.1 Modellgebundenheit von Begriffen, das „Subjekt“ in der traditionellen Grammatik Wir stellen uns sehr leicht vor, mit grammatischen Begriffen würden Dinge in der Wirklichkeit bezeichnet, es gäbe also z.B. in derselben Weise ein „Subjekt“ wie es etwa einen „Kugelschreiber“ gibt. Natürlich ist es so, dass auch Kugelschreiber in irgendeiner Weise abhängig ist von Wörtern für andere Schreibgeräte, aber wir haben eine recht klare Zuordnung von Dingen, die wir in der Wirklichkeit finden und ihren Bezeichnungen; die Merkmale, auf Grund derer wir Kugelschreiber und nicht Bleistift oder Füller sagen, sind durchsichtig. Warum ist das nun bei „Subjekt“ so anders? „Subjekt“ ist ein Begriff, der nur in einem bestimmten Modell überhaupt etwas bezeichnen kann, in einem Modell, das den Satz in „Subjekt“, „Prädikat“ und „Objekt“ einteilt, eventuell auf einer ersten Stufe nur in „Subjekt“ und „Prädikat“. Derselbe Ausdruck kann z.B. Subjekt in einem Satz sein: Die Linguistin ist übereifrig und Objekt in einem anderen: Wir bewundern die Linguistin. Außerhalb des Modells bezeichnet der Begriff überhaupt nichts, es gibt nichts in der Wirklichkeit, das alle „Subjekte“ gemeinsam haben. Das soll im Folgenden kurz gezeigt werden.
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Subjektdefinitionen: „Subjekt = Auslöser der Verbkongruenz“
In vielen Grammatiken des Deutschen der traditionellen Art steht, dass Subjekte daran erkennbar seien, dass sie Verbkongruenz auslösen. Das bedeutet, das Verb gleicht sich in Bezug auf Person und Numerus an das Subjekt an. Die Anwendung dieses Kriteriums führt zu zwei Problemen: Erstens kommt es recht häufig vor, dass in einem Satz zwei Elemente vorhanden sind, die beide die Dritte-Person-Singular-oder-Plural-Markierung haben. Bei kopulativen Verben (sein, werden und bleiben) ist keineswegs immer eindeutig, welche von den beiden Nominalphrasen im Nominativ das Subjekt ist, insbesondere bei Gleichsetzungssätzen wie Meine Schwester ist die Geschäftsführerin./Die Geschäftsführerin ist meine Schwester. Syntaktisch ist in diesen Fällen sicher nicht entscheidbar, was das Subjekt ist, die Wortstellung zeigt lediglich Topic-Comment-Verhältnisse an, d.h. wir sehen aus der Wortstellung, was alte und was neu hinzukommende Information im Textzusammenhang ist. Ein sehr viel wichtigeres Argument gegen die Identifizierung des Subjekts über die Verbkongruenz ist jedoch, dass manche in der traditionellen Grammatik als „Subjekte“ bezeichneten Phänomene keine Verbkongruenz auslösen. Sogenannte „Subjektsätze“, die als Sätze ja keinen Kasus haben, können auch dann nicht zu einer Numerusangleichung des finiten Verbs führen, wenn sie als koordinierte (also mit und oder oder verbundene) Subjekte pluralisch sind. Vgl. Dass Heiko heult und dass Steffi schimpft, stört mich nicht, aber Heikos Heulen und Steffis Schimpfen stören mich nicht. Marga Reis führt noch verschiedene Argumente dafür an, dass der Subjektbegriff bei der Verbkongruenzregelung eher Verwirrung stiften als Probleme lösen kann. Für den Sprachunterricht interessant scheint mir noch die Regel für Gleichsetzungssätze mit unterschiedlicher Person und unterschiedlichem Numerus der beiden Nominalphrasen im Nominativ zu sein. In Sätzen wie Das sind Tatsachen/?Tatsachen sind das 8 und Es/das sind Meiers bzw. ?Meiers sind das sowie Wer sind die Leute da drüben?/?Die Leute da drüben sind wer? 9 hilft uns der Subjektbegriff überhaupt nicht weiter, die Kongruenzphänomene zu erklären. Die Sätze mit den nachgestellten das/wer/was entsprechen schlechter unserem Sprachgefühl als die Sätze mit den vorangestellten das/es/wer/was, und so würden wir intuitiv annehmen, dass das/es/wer/was die Subjekte sind. Dies ist aber nicht der Fall nach der Kongruenzregel. Reis formuliert die Regel für die Verbkongruenz ohne jeden Bezug auf ein Subjekt, weil dies in diesem Fall kaum helfen würde, und sagt folgendes: „Befinden sich im Deutschen zwei person- bzw. numerus-verschiedene Nominativ-NPs Nomi, Nomj im gleichen Satz, so gilt 10 : a) Wenn Nomi Personalpronomen und Nomj volle NP ist, richtet sich Verbalkongruenz nach dem Personalpronomen. b) Wenn Nomi das/es ist oder wer/was, richtet sich die Verbalkongruenz nach Nomj.“ 11 Generell ist es so, dass das Auslösen der Verbalkongruenz vom Kasus Nominativ abhängig ist. Wie gezeigt, lösen sogenannte Satzsubjekte keine Verbalkongruenz aus und auch sogenannte „Tiefensubjekte“, „psychologische Subjekte“ oder „semantische Subjekte“ in anderen Kasus als dem Nominativ lösen die Verbkongruenz nicht aus. Vgl. Der Plüschhund bekommt von den Mädchen die Haare geschnitten. Hier wäre den Mädchen als Agens das 8
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Mit einem oder mehreren Fragezeichen wird markiert, dass das Dahinterstehende nicht für alle Sprecher des Deutschen akzeptabel ist. Ein Sternchen bedeutet hingegen, dass das Dahinterstehende nicht grammatisch ist, von keinem kompetenten Sprecher akzeptiert wird. Beispiele aus Reis, Marga, 1982. „Zum Subjektbegriff des Deutschen.“ In: Abraham, Werner (Hrsg.), Satzglieder im Deutschen. Vorschläge zur syntaktischen, semantischen und pragmatischen Fundierung. Tübingen: Narr, 171-210, 197. i und j sind Indexzeichen, mit denen Reis zeigt, welche NPs sie als identisch angesehen haben will. Reis 1982, 197.
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„semantische Subjekt“, das Verb tritt aber nicht in den Plural. Tritt keine nominativische Nominalphrase im selben Satz auf, so steht das finite Verb in der dritten Person Singular als dem default-Fall, vgl. Uns friert., Ihnen ist schlecht. Uns und Ihnen wären psychologische Subjekte im Plural, das Verb bleibt jedoch in der dritten Person Singular. Dies ist die unmarkierte Form, die immer dann gewählt wird, wenn das Verb nicht im Infinitiv steht. Wie gezeigt, löst also nicht das Subjekt, sondern die Nominalphrase im Nominativ die Verbalkongruenz aus. „Subjekt = Agens“
Wenn es nun keine eindeutige syntaktische Definition für das Subjekt gibt, gibt es dann vielleicht eine außersprachliche Entsprechung zum Subjekt? Derartige Erklärungen finden sich häufig in traditionellen Grammatiken und zwar wird gesagt, das Subjekt bezeichne den Handelnden in einem Satz. Der linguistische Begriff für den Handelnden in einem Satz lautet Agens. Wie die folgenden Sätze zeigen, können aber auch das Thema (a, b), das Instrument (c), das Ziel (d, e) oder der Lokativ (f) als Subjekt eines Aktivsatzes auftreten. 12 a) Boris gefällt mir nicht. b) Das Wasser kocht. c) Eine Bombe zerstörte das Haus. d) Boris erhielt ein Paket. e) Boris friert. f) Diese Universität wimmelt von klugen Studierenden. Tatsächlich existiert im Deutschen, wie in Wunderlich 1985 13 gezeigt wurde, so etwas wie eine Hierarchie der thematischen Rollen bei der Subjektwahl. Von Ausnahmen abgesehen wird im Aktivsatz zunächst das Agens Subjekt. Ist kein Agens vorhanden, wird das Thema Subjekt; ist auch kein Thema vorhanden, so wird das Ziel Subjekt. Eine Reihe von Verben hat jedoch andere Hierarchien für die Subjektwahl. Gefallen nimmt immer das Thema als Subjekt, erhalten und frieren nehmen immer das Ziel und wimmeln kann sogar den Lokativ als Subjekt nehmen. Die übrigen Sätze sind mit den Normalregeln vereinbar, es fehlen im 12
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Diese Bezeichnungen entsprechen ganz abstrakt gesehen semantischen Relationen, die Nominalphrasen zu ihrem Verb haben können, sogenannten Tiefenkasus. Die Tiefenkasus sind sehr allgemeine semantische Rollen, mit denen Mitspieler aller Verben beschrieben werden können. Die wichtigsten Tiefenkasus sind die folgenden: Agentiv, Agens, der (meist belebte) Ausführende der Handlung, die das Verb benennt, z.B. Boris baut ein Haus. Instrumental, die unbelebte Kraft oder das unbelebte Objekt, das ursächlichen Anteil hat an der Handlung oder dem Zustand, den das Verb benennt, z.B. Dieser Schlüssel öffnet die Tür. Experiencer, das belebte Wesen, das beeinflusst wird durch den Zustand oder die Handlung, die das Verb benennt, z.B. Boris sieht eine Blume. (In Boris sieht die Blume an wäre Boris Agens.) Faktiv, das Ding oder Wesen, das hervorgeht aus der Handlung oder dem Zustand, den das Verb benennt, z.B. Mutter backt Kuchen. Ziel, dasjenige, auf das die Handlung ausgerichtet ist, z.B. Lothar schenkt seiner Mutter einen Goldfisch, Steffi fährt nach München. Lokativ, der Ort oder die räumliche Orientiertheit des Zustands oder der Handlung, die das Verb benennt, z.B. Diese Universität wimmelt von klugen Studies, Fritz wohnt in Marburg. Thema, Objektiv, der semantisch neutralste Kasus, der allem zukommt, das von einem Substantiv benannt werden kann, dessen semantische Rolle festgelegt ist durch die Verbbedeutung selbst, z.B. Boris öffnete die Tür. Wunderlich, Dieter, 1985. Über die Argumente des Verbs. Linguistische Berichte III, 183-227.
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Satz nur die in der Hierarchie höheren thematischen Rollen. Ganz abgesehen von diesen Schwierigkeiten gibt es natürlich überhaupt keine Regel für Nicht-Handlungsverben, wenn man sagt, das Subjekt sei identisch mit dem Agens. „Subjekt = Topic“
Eine dritte häufig behauptete Regel für das Subjekt ist, das Subjekt bezeichne in einem Satz immer das Thema oder Topic, d.h. also die alte Information, von der im Kontext schon die Rede war. Auch das ist offensichtlich nicht der Fall, denn es gibt Sätze wie Ihn reitet der Teufel oder Ihr gelingt alles, in denen eindeutig das Akkusativ- bzw. das Dativobjekt Topic sind, obwohl Nominalphrasen im Nominativ vorhanden sind. Wenn wir in diesen Fällen darauf bestehen würden, dass das Topic Subjekt ist, so kämen wir in Schwierigkeiten mit der anderen Regel, dass in einem Satz mit mehreren Nominalphrasen immer diejenige als Subjekt anzusehen ist, die den Kasus Nominativ hat. Laut einer Auszählung von Engel (1972, 43f) sind im Deutschen 60% aller syntaktischen Subjekte gleichzeitig Topic. Dies zeigt eine Präferenz für das Topic als Subjekt, aber keineswegs die Identität. „Subjekt = Referenz“
Ein weiterer Versuch, ein außersprachliches Korrelat für das Subjekt zu finden, stammt aus der alten Logik. In der Philosophie von Thomas von Aquin z.B. wurde der Satz eingeteilt in „Subjekt“ und „Prädikat“. Mit „Subjekt“ wurde das bezeichnet, wovon der Satz spricht, mit „Prädikat“ das, was über das Subjekt ausgesagt wurde. In der heutigen Terminologie sagen wir zu diesen Inhalten „Referenz“ und „Prädikation“, um eine Verwechslung mit den traditionellen Grammatikbegriffen auszuschalten. Die logische Sonderstellung des Subjekts im Sinne von Thomas von Aquin wäre also, dass das Subjekt immer eine Referenz enthalten müsse. Dies ist aber offensichtlich nicht der Fall. Um referieren zu können, muss eine Nominalphrase zumindest die Existenz des Referenten voraussetzen. Es gibt aber Sätze wie (Ich habe mein Studienbuch verloren.) Der ehrliche Finder erhält eine Belohnung (Beispiel aus REIS 1982). Hier ist keineswegs klar, ob es diesen ehrlichen Finder überhaupt gibt, diese NP referiert also nicht. Subjektlose Sätze Aus all diesen Phänomenen kann man schließen, dass das grammatische Subjekt im Deutschen kein eindeutiges außersyntaktisches Korrelat hat, etwa ein semantisches, pragmatisches oder logisches. Zudem ist es auch syntaktisch nicht eindeutig festzumachen. Das Modell der traditionellen Grammatik, Sätze automatisch aus einem Subjekt und Prädikat bestehen zu lassen, hat aber noch ein weiteres Problem. Im Deutschen sind nämlich subjektlose Sätze gar nicht selten. Es gibt eine Reihe von obligatorisch subjektlosen Aktivsätzen. Die Verbrektion kann die Wahl einer Nominalphrase im Nominativ fordern, freistellen, aber auch ausschließen: Boris arbeitet fordert ein Subjekt. Mir ist kalt oder Mir ist es kalt erlaubt die Wahl oder Nichtwahl des es als Subjekt. Mir graut vor dir mit der wesentlich schlechteren Entsprechung ?Mir graut es vor dir mag auch noch die Wahl einer Nominalphrase im Nominativ freistellen. Mir liegt an deiner Meinung lässt ein es-Subjekt unter keinen Umständen zu. Daneben gibt es subjektlose Passivsätze. Es ist also keineswegs so, wie Sie vermutlich alle in der Schule gelernt haben, dass „Subjekt“ eine unverzichtbare grammatische Größe sei, die in jedem Satz vorkomme und immer 38
eindeutig zu identifizieren sei. „Subjekt“ ist ein recht schlecht definierter Begriff in einem bestimmten Grammatikmodell, nämlich dem der traditionellen Grammatik, und man kann die Grammatik des Deutschen durchaus beschreiben, ohne diesen Begriff zu benutzen. 14 In der Valenz-/Dependenzgrammatik wird auch genau das versucht. Hier wird das Subjekt als „Ergänzung im Nominativ“ so behandelt wie alle anderen Verbergänzungen auch. Aus didaktischer Sicht spricht aber gegen ein solches Vorgehen die sehr kleine Zahl von Verben, die eine Nominativergänzung nicht erlauben. Der häufigste Fall der subjektlosen Sätze im Deutschen sind Passivsätze. Einwertige Verben, die kein Akkusativ-Objekt regieren, können im Deutschen subjektlose Passive bilden. Die Bedingung dafür ist, dass ein anderes Satzglied, üblicherweise ein Adverbial, an die erste Stelle des Satzes gestellt wird. Beispiele hierfür: Hier wird getanzt! Jetzt wird gearbeitet! Hier wird gestreikt! Diese Darstellung sollte zeigen, dass so ein wesentlicher Begriff wie „Subjekt“ nur ein Beschreibungselement im Rahmen eines Modells ist, keineswegs etwas objektiv Feststellbares. Andere Modelle haben andere Beschreibungselemente. Da für den Deutsch als Fremdsprache-Unterricht nur die Grammatikdarstellung mit dem Modell der Valenz/Dependenzgrammatik noch eine Rolle spielt, werden wir nur auf dieses Modell näher eingehen.
3.4.1.2 Das Valenz-/Dependenzmodell Der Erfinder des Valenz-/Dependenzmodells ist ein französischer Sprachwissenschaftler mit dem Namen Lucien Tesnière. Er übernahm den Begriff der „Valenz“ aus der Chemie. Sie haben sicher im Chemieunterricht Zeichnungen mit kleinen Strichen als Verbindungsarmen um ein Atom angefertigt. In der Chemie bezeichnet die Valenz eines Elements seine Fähigkeit, z.B. einwertige Wasserstoffatome (H) zu binden. Sauerstoff z.B. hatte die Valenz 2, Sie haben dafür eine Zeichnung gemacht mit einem O und zwei Ärmchen und an jedem Ärmchen einem H; Kohlenstoff hatte die Valenz 4, Sie haben dazu eine Zeichnung gemacht mit einem C und vier Ärmchen. Die Verben haben in ähnlicher Weise eine Valenz. Ihre Valenz bezeichnet die Fähigkeit, Nominalphrasen zu binden. Sie sehen im Folgenden eine Erklärung des Valenzphänomens für das Deutsche. 15
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„Subjekt“ ist hier gewählt worden, weil es ein zentraler Begriff ist, an dessen Berechtigung üblicherweise keinerlei Zweifel bestehen. Bei anderen Begriffen aus der traditionellen Grammatik (z.B. „Partikel“) kann man sogar aufzeigen, dass kaum einmal zwei gedruckte Grammatiken dasselbe darunter verstehen. Kars, Jürgen/Häussermann, Ulrich, 1997. Grundgrammatik Deutsch. Frankfurt am Main: Diesterweg, 9 ff.
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Diese Darstellung ist für Sie zunächst einmal sicher sehr ungewohnt. Sie hat aber verschiedene didaktische Vorteile. Es fehlen die schlecht zu definierenden Begriffe aus der traditionellen Grammatik, wie etwa das Subjekt. Außerdem bietet es eine Menge von didaktischen Vorteilen, die Verben jeweils bestimmten Satzmustern, die sie regieren, zuzuordnen. Wenn diese einzelnen Satzmuster jeweils zusammen mit dem Verb gelernt werden, ist die Syntax des Verbs gleich mitgelernt. Und drittens enthält diese Darstellung kaum abstrakte Elemente. Dies ist auch für viele Lerner, die bisher überhaupt keine Grammatikmodelle kennen, ein gewisser Vorteil. Aus diesen Gründen ist in den meisten Lehrbüchern für das Deutsche als Fremdsprache dieses Grammatikmodell eingeführt. Das Valenzmodell hat nicht nur Vorteile, aber die Schwierigkeiten zeigen sich erst an Stellen, die im Unterricht normalerweise nicht mehr behandelt werden. Deshalb gehe ich jetzt in dieser Überblicksvorlesung auch gar nicht auf die Schwierigkeiten ein. Aber das Valenz-/ Dependenzmodell hat auch einige schlecht zu definierende Begriffe.
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3.5
Pragmatik
Pragmatische Phänomene für den Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht behandeln vor allem die Frage des situationsadäquaten Kommunizierens. Wer das Deutsche lernt, um in deutscher Sprache kommunizieren zu können, braucht mehr als nur Grammatik und Wortschatz. Er muss auch etwas wissen über den typischen Ablauf der Gesprächsformen, die er in deutscher Sprache bewältigen möchte. In diesem Bereich besteht für Deutsch-als-Fremdsprache-Lerner ein großer Bedarf an Ergebnissen linguistischer Forschung. Der Deutsch-als-FremdspracheUnterricht soll ja im Normalfall darauf vorbereiten, dass die Lerner so kommunizieren können, wie es im deutschen Sprachraum allgemein üblich ist. Sie sollten also z.B. wissen, dass sie bei der Bitte um eine Wegauskunft mit Höflichkeitsfloskeln sparsam sein können und auch sein sollten. Lehrwerkschreiber müssen, um ihr Lehrmaterial auf dieses Bedürfnis abzustellen, zunächst einmal genau wissen, wie denn die zu lernenden Gesprächsformen im deutschen Sprachraum normalerweise ablaufen. Das ist ein gewisses Problem, denn die Interessen von Linguisten mit konversationsanalytischer Ausrichtung und die Interessen von Deutsch-als-Fremdsprache-Lehrenden stimmen nicht unbedingt immer überein. Für den Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht wäre bei Personen, die Deutsch für berufliche Zwecke lernen, vor allen Dingen die Kenntnis der folgenden Textsorten wichtig: Verkaufsgespräche, Verhandlungsgespräche, Small Talk, Telefonieren, Berichten, Zusammenfassen. Bei geschriebenen Texten ist eine der wichtigsten Textsorten sicher Handelskorrespondenz, aber auch das Erstellen von Berichten und Zusammenfassungen für die eigene Firma. Leider beruhen Lehrmaterialien, die derartige Textsorten unterrichten wollen, häufig nicht auf der Analyse authentischer Gespräche oder authentischer Texte. Dadurch entstehen so unrealistische Texte wie der folgende. Das nachfolgende Gespräch, das für Lerner auf Mittelstufen-Niveau geschrieben ist, soll in einem Reklamationsfall den ersten persönlichen Kontakt zwischen den Angestellten der Abnehmer- und der Lieferfirma zeigen. Dem Hörtext, der so gesprochen wird, wie er im Buch auch abgedruckt ist, geht eine Information über die Situation voraus. Daraus ist ersichtlich, dass es ausgerechnet bei der ersten Lieferung an einen lange umworbenen Kunden Probleme mit den gelieferten Säcken („Gewebecontainern“) gab, die beim Abfüllen rissen. Der erste Kontakt danach geschah über Telex. Herr Karsten von der Lieferfirma hat den Auftrag, diese Reklamation bei der Abnehmerfirma persönlich zu bearbeiten. Karsten:
Herr Meißner, ich möchte zunächst mit Ihnen als Fachmann klären, wie der Schaden entstanden ist. Wenn es sich tatsächlich um einen Materialfehler handelt, werden wir natürlich unverzüglich Ersatz leisten und für jeden Verlust aufkommen.
Meißner:
Nun, außer den gerissenen Säcken ist weiter kein Verlust entstanden. Der innere Polyäthylen-Sack hat das Auslaufen des Zuckers verhindert. Aber füllen Sie mal 200 Tonnen Zucker um! Und das aus 1000Kilo Säcken, die sie nicht bewegen dürfen, weil sie ganz aufreißen könnten.
Karsten:
Sie hatten also 200 Säcke abgefüllt.
Meißner:
Ja, und zwar an der Füllanlage, die Sie uns dafür gebaut haben. Die Sendung sollte an einen Großhändler nach Hamburg verladen werden.
Karsten:
Sind die Säcke beim Abfüllen oder beim Verladen gerissen?
Meißner:
Nach dem Abfüllen, als wir mit Gabelstaplern Säcke anheben wollten.
Karsten:
Riss das Gewebe?
Meißner:
Nein, die Nähte, und zwar an der unteren Seite. Da drüben ist so'n Sack, sehen Sie sich den mal an. Und dann sprechen Sie von einem dreifachen Sicherheitsfaktor.
Karsten:
Sind alle Säcke auf diese Weise gerissen?
Meißner:
Nein. Ich will Ihnen das mal genau schildern: Also, wir haben nach und nach 200 Säcke mit jeweils 1000 Kilo abgefüllt und über das Transportband ins Versandlager geschafft. Von dort sollten sie mit Gabelstaplern in Güterwagen verladen werden. Bei 12 oder 13 Säcken ging die Sache gut, dann riss der erste und kurz darauf 5 weitere. Danach haben wir das Verladen eingestellt, das Risiko war uns zu groß.
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Karsten:
Soweit ich das jetzt hier feststellen kann, Herr Meißner, liegt hier ein Verarbeitungsfehler vor. Eigentlich sollten die Ränder mit mehrfacher Zick-Zack-Naht vernäht werden, und zwar aus hochbelastbarem Kunststoffgarn. Ich sehe hier aber nur eine einfache Längsnaht. Darin kann der Fehler liegen. Darf ich den Sack mal mitnehmen?
Meißner:
Sie können sie alle wiederhaben, ich verlade in diesen Gewebecontainern nichts mehr. Ich hatte von Anfang an so meine Bedenken.
Karsten:
Sie haben die Säcke nicht vor dem Füllen geprüft?
Meißner:
Wozu sollte ich das? Ist auch gar nicht meine Aufgabe.
Karsten:
Herr Meißner, Sie konnten sich bei den Erprobungen doch von der Haltbarkeit überzeugen, selbst bei größter Beanspruchung, nicht wahr?
Meißner:
Das ist richtig, die Mustersäcke waren auch nicht zu beanstanden. Wenn Sie bei der Qualität geblieben wären, hätten Sie sich und uns viel Ärger erspart.
Karsten:
Mir liegt sehr daran, Sie davon zu überzeugen, dass dies ein einmaliges Versehen war. Herr Meißner, wir haben in Siegen bei unserer Partnerfirma Schröder ein großes Erprobungslabor. Darf ich Sie dorthin einladen, damit Sie sich an Ort und Stelle von unseren Bemühungen um Qualität und um das Einhalten der Belastungsnormen ein Bild machen können?
Meißner:
Tja, ich weiß nicht. Ich könnte mir das ja mal ansehen, wenn unsere Geschäftsleitung einverstanden ist.
Karsten:
Gut. Wäre Ihnen der nächste Mittwoch recht? Das ist der 14. Mai. Ein Wagen von COMPACT würde sie hier gegen 9 Uhr abholen und später auch wieder zurückbringen. Ich rufe Sie aber vorher an und erkundige mich, ob Sie abkömmlich sind.
Meißner:
Ja, tun Sie das. Ich spreche in der Zwischenzeit mit meinem Chef.
Karsten:
Vielen Dank dafür, Herr Meißner, dass Sie mir den Vorgang so ausführlich geschildert haben. Erlhage 1987, 103-106, Rechtschreibung adaptiert
Es handelt sich tatsächlich um das ganze Lehrbuch-Gespräch, es ist nicht etwa eine einleitende Passage weggelassen. Die Lerner werden sich allerdings wohl denken, dass so etwas wie eine Begrüßung vorgeschaltet gewesen sein muss. Die Personen reden hier, wie es bei Hörverständnistexten für niedrigere Lernerniveaus üblich ist, deutlich akzentuiertes, fehlerfreies Standarddeutsch in langsamem Sprechtempo, ohne Wechsel in der Lautstärke, ohne gefüllte Pausen, ohne Überlappungen und Unterbrechungen. Das erleichtert zwar das Verständnis, lässt das Gespräch aber gestellt wirken, gerade in der emotionsgeladenen Situation, die dargestellt werden soll. Auch weitere Merkmale lassen dieses Gespräch sofort als „unecht“ auffallen: Das völlige Fehlen von Redundanz und die rein sachliche Art der Behandlung des Themas mit nur minimalen Andeutungen von Verärgerung des Kunden (auf die der Bearbeiter dann in keiner Weise eingeht). Natürlich ist es nicht für jedes Lernziel unbedingt notwendig, dass die Input-Gespräche im Lehrmaterial echt wirken. 16 Aber es gehen durch diese Art der Präsentation der Gesprächsform „Reklamationsgespräch“ doch einige wichtige Informationen verloren, die für denjenigen relevant sein können, der sich auf das Führen derartiger Gespräche im deutschsprachigen Gebiet vorbereitet. Gerade bei Sprechern aus weiter entfernten Kulturkreisen ist es keineswegs selbstverständliches Wissen, in welcher Form in dieser Situation Verärgerung gezeigt werden kann und in welchem Umfang etwa Entschuldigungen üblich sind. Das völlige Nicht-Eingehen auf die ohnehin geringen emotionalen Anteile in den Äußerungen von Herrn Meißner, das Fehlen jedes Ansatzes zu einer Entschuldigung und der abrupte Themawechsel durch Herrn Karsten müssen einen völlig falschen Eindruck davon vermitteln, wie eine Reklamation erfolgreich bearbeitet wird. Man kann die fehlende Authentizität dem Autor kaum verübeln, denn wenn er nicht selbst Aufnahmen macht, hat er wenig 16
Sicher könnte man auch noch einige andere Bedenken gegen dieses Lehrbuchgespräch haben als die mangelnde Authentizität. Es fragt sich, ob es nicht mit weniger sehr speziellem Fachvokabular geht, wenn man schon die Gespräche am Schreibtisch entwirft.
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Möglichkeiten, sich beim Schreiben des Lehrbuch-Textes auf authentische Reklamationsgespräche zu stützen. Konversationsanalytische Arbeiten über Reklamationsgespräche, die auch ein nennenswertes Korpus von authentischen Texten veröffentlichen, gibt es m.W. nicht. Und unsere eigenen Vorstellungen über den Ablauf einer etwas komplexeren Gesprächsform sind fast immer falsch, selbst wenn wir schon oft Gespräche dieser Art geführt haben. Das liegt daran, dass wir uns begreiflicherweise eher an Gesprächsergebnisse als an Gesprächsabläufe in allen Details erinnern. Das Problem bei vielen Gesprächsformen im beruflichen Bereich ist, dass es schwierig ist, Datenmaterial zu finden und auszuwerten. In anderen Fällen ist das Datenmaterial durchaus vorhanden, aber die Auswertung ist schwierig. Über Höflichkeitskonventionen im Deutschen und ihre richtige Einhaltung kann man durchaus verschiedener Meinung sein und entsprechend wird man verschiedene Texte als typisch oder untypisch ansehen. Es gibt z.B. erhebliche Differenzen darüber, wie lange ein Small Talk in einem Gespräch dauern soll oder welche Themen für Small Talk in Deutschland üblich sind, welche Arten von sogenanntem „Putzsprechen“ („Wie geht es dir? Hatten Sie eine gute Reise?“ u.ä.) möglich sind und wie lange dieses „Putzsprechen“ dauern soll. Auch für Verabschiedungssequenzen haben wir ja keineswegs eine eindeutige Norm bezüglich der Dauer. Genauso ist es mit dem Anredeverhalten. Trotzdem ist das Lehren von Routineformeln und Routineabläufen ein absolut notwendiger Bestandteil von Lehrmaterial. Was Lehrmaterial meist nicht leisten kann, ist das Vermitteln der üblichen nonverbalen Anteile in der Kommunikation, die auch sehr wichtig sind. Hier ist auch noch nicht erforscht, welche Verhaltensweisen tatsächlich als negativ angesehen werden, wenn Ausländer sie entgegen den von Deutschen als üblich angesehenen verwenden. Was relativ häufig beschrieben wird, ist das andere Distanzverhalten von Ausländern. Dabei scheint vor allem größere Nähe als störend empfunden zu werden. In Deutschland nicht übliche Verbeugungen werden aber z.B. anscheinend zwar als auffallend, aber nicht als sonderlich störend wahrgenommen. Lehrbücher für DeutschlernerInnen aus vielen unterschiedlichen Ländern können solche Themen auch kaum behandeln, weil die Unterschiede zum Verhalten in Deutschland verschieden sind, es aber sinnvoller ist, von diesen Unterschieden auszugehen als von Maßangaben wie „Nähern Sie sich Ihrem Gesprächspartner nicht mehr als eine Armlänge!“
44
4.
Landeskunde
4.1
Landeskunde – Versuch einer Begriffserklärung
Fremdsprachenunterricht ist ohne Kenntnisse über die Kultur des Zielsprachenlandes und somit ohne Landeskunde kaum vorstellbar. Nicht nur bei der Themenauswahl spielt sie eine Rolle, sondern auch in jeder Form von verbaler und nonverbaler Kommunikation, die öfter als vermutet auf kulturspezifischen Besonderheiten basiert. Landeskunde ist deshalb in unterschiedlichem Umfang Teil des alltäglichen Umgangs mit dieser Sprache, gerade auch im Fremdsprachenunterricht. Wie bedeutsam diese landeskundlichen Aspekte sind, spiegelt sich auch darin wider, dass sie oft als eigenständiger Unterrichtsgegenstand angesehen werden, beispielsweise in der Auslandsgermanistik, wo Landeskunde häufig als eigenes Fach unterrichtet wird, im englischsprachigen Raum z.B. oft als „cultural studies“, meist mit einem Schwerpunkt auf Faktenwissen oder auf Kommunikationsroutinen und -ritualen. Sprachlehrbücher haben ebenfalls oft separate Rubriken, die sich systematisch mit landeskundlichen Themen beschäftigen. Aber auch jeder authentische Text und jedes Bild verweist in unterschiedlicher Ausprägung auf das Leben in dem Land der Zielsprache und ist somit Teil der Landeskunde. Die Frage, was Landeskunde genau ist, lässt sich allerdings nicht eindeutig beantworten, denn die Landeskunde scheint es nicht zu geben. Eine Definition von Landeskunde als integrierter oder eigenständiger Teil des Fremdsprachenunterrichts hängt von mehreren Faktoren ab, wie zum z.B. welche Ziele ihre Vermittlung verfolgt oder welches didaktische Konzept für die Vermittlung gewählt wird. Die Tatsache, dass die Landeskunde ein sehr weites Feld ist, bedeutet nicht nur, dass es schwierig ist, alle dazugehörigen Teilgebiete zu benennen, sondern auch, dass in jeder Unterrichtsstunde erneut eine Auswahl getroffen werden muss. Die Gestaltung der landeskundlichen Anteile in Lehrwerken und in der Unterrichtspraxis war nicht immer so, wie sie jetzt ist. Sie wird ebenso wie andere Aspekte des Fremdsprachenunterrichts sehr stark von aktuellen Strömungen in der Forschung beeinflusst. Im Landeskunde-Unterricht hat sich in den letzten Jahrzehnten ein deutlicher Wandel von einer Orientierung an der sogenannten „hohen Kultur“ hin zum erweiterten Kulturbegriff vollzogen. Unter der „hohen Kultur“ versteht man die Kultur im klassischen Sinne, also die bildende Kunst (Klimt, Dürer, Spitzweg usw.), die Literatur (z.B. Goethe, Schiller, Grass) und die Musik (z.B. Beethoven, Orff, Haydn) etc. Ein auf diesem Kulturbegriff basierender Landeskundeunterricht ist stark faktenorientiert und weitestgehend objektiv. Der erweiterte Kulturbegriff beinhaltet hingegen auch subjektive Erfahrungen und Reaktionen. Hier werden die Inhalte der „hohen Kultur“ durch Alltagswissen und Alltagskultur ergänzt. Im Gegensatz zum objektiven und allgemeingültigen Vorgehen des Konzepts der „hohen Kultur“ erlaubt der erweiterte Kulturbegriff auch die Berücksichtigung der kulturspezifischen Wahrnehmung, die jedem Lerner eine von seinem Kulturkreis abhängige Wahrnehmung zugesteht. Neben dem Umfeld, aus dem ein Lerner stammt, ist auch das zu berücksichtigen, in dem er die Fremdsprache erlernt. Für einen Lerner im Land der Zielsprache sind die landeskundlichen Themen von den individuellen Erfahrungen im Alltag und von den allgemeinen Lebensumständen abhängig. Außerhalb des Landes der Zielsprache ist die Auswahl deutlich schwieriger. Sie ist eventuell durch einen Lehrplan gelenkt, aber die eigentliche Entscheidung muss die Lehrperson unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und Interessen der Lerner alleine treffen. Bei der Auswahl von landeskundlichen Themen steht im Mittelpunkt, was für die Lernergruppe interessant und vor allem relevant ist. Für Lerner im Ausland, die nicht planen, in das 45
Land der Zielsprache zu reisen, sind Besonderheiten des Alltags und die alltagsbezogene Kommunikation weniger relevant als für Lerner im Land der Zielsprache. Auch das sprachliche Niveau sollte berücksichtigt werden. Das politische System Deutschlands, auf Deutsch erklärt, könnte zum Beispiel Lerner auf Grundstufen-Niveau vor Schwierigkeiten stellen. Zahlreiche weitere Überlegungen sollten einer Auswahl von Themen vorausgehen, wie etwa, welche Absicht man als Lehrperson mit dem ausgewählten Unterrichtsgegenstand verfolgt oder ob die „hohe Kultur“ oder die Alltagskultur dargestellt werden soll. Materialien müssen daraufhin untersucht werden, aus welcher Perspektive und mit welcher Intention die zielsprachliche Kultur dargestellt wird (ob z.B. schönfärbend oder kritisch), und ob sie bestehende Vorurteile eher bestätigen oder relativieren. Natürlich sollten alle Materialien und landeskundliche Lehrwerke auch korrekt und möglichst aktuell sein und neben Deutschland zumindest auch Österreich und die Schweiz, gegebenenfalls auch andere deutschsprachige Länder und Regionen wie z.B. Liechtenstein, berücksichtigen.
4.2
Ziele der Landeskunde
Als Gegenbewegung zu der früheren Fakten- und Institutionenlehre (z.B. geographische Gegebenheiten oder das politische System des Ziellandes) steht heute im LandeskundeUnterricht das subjektbezogene Erfahren einer fremden Kultur im Mittelpunkt. Die eigenen Wahrnehmungen eines jeden Lerners im Umgang mit der fremden Kultur sind wichtiger als Daten und Fakten. Heute werden an die Landeskunde weitaus komplexere Anforderungen gestellt als noch zu Beginn des modernen Fremdsprachenunterrichts: In Verbindung mit dem Sprachunterricht soll eine zeitgemäße Landeskundekonzeption Lerner auch mit der politischen Struktur, den Institutionen, der Geschichte, den sozialen und kulturellen Verhältnissen eines jeden Zielsprachenlandes vertraut machen. Darüber hinaus wird von der modernen Landeskunde aber auf jeden Fall erwartet, dass sie Einblicke in die Alltags- und Berufswelt eines Landes bietet. Neben der Vermittlung von Tatsachen soll Landeskunde also auch das Verstehen der Mentalität der Menschen fördern, deren Sprache erlernt wird. Landeskunde soll helfen, Verständnis für Land und Leute, und dadurch für die Sprache, zu wecken. Fremdsprachenunterricht kann auf diese Weise interessanter und motivierender werden. Landeskundliche Kenntnisse dienen Lernern auch als Orientierungshilfe für Aufenthalte im Land der Zielsprache und erleichtern den Kontakt mit Muttersprachlern. Unter dem Stichwort der Völkerverständigung wird von der Landeskunde gefordert, dass sie hilft, Vorurteile abzubauen und über das Verstehen des Fremden die Selbsterfahrung der Lernenden zu schärfen und dadurch ihre eigenen Einstellungen und Wahrnehmungen zu verändern. Es ist natürlich unmöglich, all diesen Forderungen immer gerecht zu werden, doch sie können durchaus als Orientierungshilfe bei der Gestaltung des (Landeskunde-)Unterrichts dienen. Darüber hinaus darf bei all diesen Ansprüchen nicht vergessen werden, dass Landeskunde im Fremdsprachenunterricht ein Teil des Sprachunterrichts ist und somit vor allem eine Verknüpfung von Spracharbeit und sprachlichen Lernzielen sowie landeskundlichem Wissen herstellen sollte.
46
4.3
Verschiedene Ansätze in der Landeskunde
Der Wandel hin zu so komplexen Forderungen an die Landeskunde hat sich in mehreren Schritten vollzogen und ging mit Veränderungen im Fremdsprachenunterricht im Allgemeinen einher. Noch bis in die 1950er Jahre orientierte sich der Fremdsprachenunterricht stark an den Altphilologien. Eine systematische Landeskunde gab es nicht. Was vermittelt wurde, war vor allem „Buchwissen“, das heißt die Struktur der Sprache und auch die bedeutenden Werke ihrer Literatur. In dieser Phase war der Fremdsprachenunterricht geprägt durch die sogenannte Grammatik-Übersetzungsmethode. So wurden beispielsweise literarische Texte zur Vermittlung des Wortschatzes und grammatischer Strukturen herangezogen oder übte sich der Lerner zwangsweise in der Übersetzung philosophischer Schriften aus der Zielsprache in seine Muttersprache (was heutzutage nur noch in solchen Bereichen wie Altgriechisch oder Latein, also in den „toten Sprachen“, der Fall sein dürfte). Basierend auf dieser Art des Unterrichts war die erste Phase, die sich tatsächlich mit Landeskunde beschäftigte, die kognitive Phase, man spricht auch vom kognitiven Ansatz. Diese Form der Landeskunde hatte das Ziel, möglichst objektiv zu sein und ein möglichst umfassendes Bild der „hohen Kultur“ zu vermitteln. Geographische, historische, politische und kulturelle Fakten standen im Mittelpunkt, während der Alltag keine Rolle spielte. Damit ist gemeint, dass Fakten als solche vermittelt wurden (z.B. das politische System Deutschlands), nicht jedoch, welche Konsequenzen sich daraus im Alltag ergeben (wie leben die Menschen in Deutschland? Wie denken sie über die Politik in ihrem Land? etc.). Nachdem man festgestellt hatte, dass diese Form des Landeskunde-Unterrichts nicht den Bedürfnissen der Lerner gerecht wurde, verlagerte man den Schwerpunkt auf die Kommunikation, es folgte der kommunikative Ansatz. Die Hochkultur spielte in dieser Phase keine Rolle mehr, ausschließlich die Alltagskultur war von Bedeutung. Die Basis dieses Unterrichts waren möglichst authentische kommunikative Situationen (Klassiker dürften hier sowohl in inländischen als auch ausländischen Lehrwerken Situationen wie „Buchen eines Hotelzimmers“ oder „Kauf von Briefmarken auf dem Postamt“ sein), anhand derer die Lerner sprachliche und kulturelle Besonderheiten lernen und üben sollten. Auch nichtsprachliche Verhaltensweisen wurden dabei thematisiert. Kommunikative Elemente sind im üblichen Fremdsprachenunterricht natürlich noch immer enthalten, doch nicht mehr in der isolierten Form, wie es in der kommunikativen Phase üblich war. Ende der 1980er Jahre setzte sich der interkulturelle Ansatz durch und löste den kommunikativen Ansatz als dominante Strömung ab. Kommunikation blieb weiterhin ein zentrales Thema des Fremdspracheunterrichts, der Schwerpunkt verlagerte sich aber hin zur interkulturellen Kommunikation, zu der die Lerner befähigt werden sollten. Der interkulturelle Ansatz sieht vor, dass sich Lerner nicht nur mit der Zielkultur, sondern auch mit der eigenen Kultur auseinandersetzen. Unter dem Motto „Das Fremde und das Eigene“ gewinnt in den letzten 25 Jahren das Wissen um kulturell bedingte Unterschiede an Bedeutung, ebenso wie die Fähigkeit, Offenheit und Toleranz, sich auf noch unbekannte kulturspezifische Verhaltensweisen einzulassen, ohne dabei (moralisch) wertend oder ablehnend vorzugehen. In den 1990er Jahren entstand durch das Tübinger Modell ein neuer Schwerpunkt in der Landeskunde. Das Tübinger Modell mit dem landeskundlichen Lehrwerk Typisch Deutsch und dem Theorieband Die Deutschen in ihrer Welt soll integrativ sein. „Integrativ“ bedeutet hier zwei Dinge: Zum einen soll erreicht werden, dass Sprachenlernen und (inter)kulturelles Lernen Hand in Hand gehen. Zum anderen wird statt eines additiven Nebeneinanders 47
verschiedener Fächer eine interdisziplinäre Vorgehensweise angestrebt. Auch hier wird die Wende zur Alltagskultur vollzogen und die Eigentätigkeit der Lerner sowie die Prozesshaftigkeit des Lernens werden in den Mittelpunkt gerückt. Das Ziel des Tübinger Modells ist es, anhand ausgewählter Themen Hintergründe und übergreifende Bezüge herzustellen. So wird beispielsweise dargestellt, dass die typisch deutsche Tugend der Reinlichkeit eine Ursache hat, nämlich verschiedene gesetzliche Regelungen, die vor einigen Jahrhunderten die Menschen dazu verpflichteten, einmal wöchentlich die Straße und ihr Haus zu reinigen. 17 Heute hat es sich in der Unterrichtspraxis und auch in der Gestaltung von Lehrwerken durchgesetzt, verschiedene Ansätze zu kombinieren. Es wird kognitiv, kommunikativ und interkulturell gearbeitet. Das Faktenwissen ist dabei weiterhin von Bedeutung und dient als Hintergrund. Kommunikative Aspekte haben das Ziel, die Lernenden sprachlich und kulturell bei der Bewältigung des Alltags im Land der Zielsprache zu unterstützen. Die Ziele des interkulturellen Lernens werden zur Erleichterung der Begegnung mit dem Fremden einbezogen. 18
4.4
Literatur in der Landeskunde
Eine besondere Rolle spielt im Landeskunde-Unterricht die Literatur. Für viele Lerner ist es etwas Besonderes, einen literarischen Text in einer Fremdsprache zu lesen. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass literarische Texte teilweise schwerer zu verstehen sind als Sachtexte und dass es somit für die Fremdsprachen-Kenntnisse eines Lerners spricht, wenn man dazu in der Lage ist. Literarische Texte sind nicht nur deshalb oft schwerer zu verstehen, weil sie sprachlich komplizierter sind, also in Wortschatz und Syntax, sondern vor allem, weil literarische Texte oft mit mehr Verstehensebenen arbeiten als Sachtexte. Sachtexte wie beispielsweise ein Zeitschriftenartikel über Jugend in der DDR der 80er Jahre setzt weitaus weniger Hintergrundwissen zur Entschlüsselung aller Informationen voraus als die Lektüre von Thomas Brussigs Am kürzeren Ende der Sonnenallee. Literarische Texte „leben“ und erhalten große Teile ihres Sinns oder ihrer Aussagekraft durch den Kontext, in dem sie geschrieben wurden, die Biographie des Autors und seine Einstellung, die Rezeption eines Textes usw. Rein informative Sachtexte hingegen sind eher eindimensional zu entschlüsseln und somit zu verstehen. Literarische Texte sind darüber hinaus ein Bildungsgut, ein authentisches Kulturgut und für viele Lerner schon aus diesem Grund von Interesse. Ein anderer, für den landeskundlichen Unterricht sehr wesentlicher Grund ist, dass Literatur einen individuellen Zugang zur fremden Kultur bietet, da sie verschiedene Aspekte des Lebens und Denkens in einem Land widerspiegelt, die jeder Leser anders wahrnehmen kann. Diese Form, sich mit einer anderen Kultur auseinanderzusetzen, unterscheidet sich sehr stark von der direkten Konfrontation. Bei literarischen Texten stehen nicht unumstößliche Fakten im Mittelpunkt, sondern vielmehr der individuelle Zugang, den jeder Lerner dazu findet. Abhängig von dem Vorwissen, von persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen und von vielen anderen Komponenten kann jeder Satz sehr unterschiedlich interpretiert werden. Diese Fülle von unterschiedlichen Ergebnissen
17 18
Lundquist-Mog, Angelika, 1996. Spielarten. Arbeitsbuch zur deutschen Landeskunde. Berlin/München: Langenscheidt. Weitere Informationen finden sich z.B. bei Huneke, Hans-Werner/Steinig Wolfgang, 2002. Deutsch als Fremdsprache: Eine Einführung. Berlin: Schmitt, oder bei Rösler, Dietmar, 1994, Deutsch als Fremdsprache: eine Didaktik. Theoretische Grundlagen und praktische Unterrichtsgestaltung. Frankfurt am Main: Metzler.
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bietet eine interessante Diskussionsgrundlage und dient somit als Sprechanlass, was im Fremdsprachen-Unterricht unerlässlich ist. Vom Lerner wird beim Arbeiten mit Literatur allerdings mehr erwartet als bei manchen anderen Themen. Das Ziel ist es nicht nur, Informationen aufzunehmen und Zusammenhänge nachzuvollziehen. Darüber hinaus müssen auch implizite Bedeutungen erschlossen werden, wozu ein aktiver Verstehensprozess notwenig ist. Bei der Auswahl eines Textes für den Deutsch-als-Fremdsprachen-Unterricht sind einige Kriterien zu beachten, die natürlich anders sind als die für den muttersprachlichen Unterricht. Besonders schwierig ist es dabei, einen Text zu finden, der sprachlich einfach ist beziehungsweise dem Niveau der Lerner entspricht, gleichzeitig aber inhaltlich nicht zu banal und uninteressant wirkt. Besonders bei einem niedrigen sprachlichen Niveau ist die Auswahl deshalb sehr schwierig. Grundsätzlich gilt, dass die Texte einfacher sind, die einen erkennbaren „roten Faden“ haben, das heißt einen Handlungsstrang, an dem sich die Lerner entlang hangeln können. Je mehr Handlungen es gibt, die von diesem „roten Faden“ abweichen, umso schwieriger wird ein Text. Natürlich muss bei der Einschätzung des Schwierigkeitsgrades auch das verwendete Vokabular sowie die Satzstruktur berücksichtigt werden. Darüber hinaus sollte der Text nicht allzu schwierig zu interpretieren sein, eventuell aber auch mehrere Möglichkeiten der Interpretation erlauben. Das Thema kann durchaus eines sein, mit dem sich die Lerner zuvor noch nicht auseinandergesetzt haben, es sollte jedoch nicht zu weit von ihrem Erfahrungs- und Erlebnisbereich abweichen, so dass noch ein Zugang zur Thematik und somit zum Text zu finden ist.
4.5
Umgang mit Stereotypen
Fakten, die im Landeskunde-Unterricht (und teilweise ebenso durch das Arbeiten mit landeskundlichen Themen über literarische Texte) behandelt werden, sind notwendigerweise verkürzt und vereinfachend. Ein Beispiel wäre etwa „Mahlzeiten in Deutschland“ im Lehrbuch, gelesen im Ausland. Es besteht ein Unterschied zur Situation des Landeskunde-Lernens im Land, wo man eventuell Korrektive durch das hat, was man erlebt. In der gebotenen Verkürzung im Lehrbuch wird oft ein falsches Bild vermittelt, das die Deutschen „über einen Kamm schert“ (alle essen Marmeladenbrötchen zum Frühstück und trinken dazu Kaffee). Ziel des Landeskunde-Unterrichts, gerade außerhalb der deutschsprachigen Länder, müsste deshalb sein, bestehende Stereotype ab- und keine neuen aufzubauen, so eine Position in der Landeskunde-Diskussion nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber ist das auch ein erreichbares und wünschenswertes Ziel? Inzwischen baut man auf das neutrale Stereotypen-Konzept, in dem Stereotypen als eine schematische Denk- und Wahrnehmungshilfe betrachtet werden, die jeder in irgendeiner Form benutzt. 19 Bleiben wir bei unseren Marmeladenbrötchen zum Frühstück. Dass man so etwas in einer deutschen Jugendherberge tatsächlich vorgesetzt bekommt, kann durchaus überraschend sein für jemanden, der Reisschleimsuppe und Nudeln mit Gemüse zum Frühstück gewöhnt ist. Stereotype werden meist als feste, negative, diskriminierende und falsche Verallgemeinerungen gesehen, die in guter aufklärerischer Tradition abgebaut werden müssen. Aber: Sie haben ihren Sinn in unserem System des Denkens, sie vereinfachen uns in gewisser Hinsicht das Leben. Wir können nicht jeden Tag unser ganzes Weltbild in Frage stellen. Stereotype sind auch keineswegs immer nur abwertend, es gibt auch positive. Wir haben alle Stereotype über uns selbst und über andere Gruppen. 19
vgl. Rösler 1994, 68 ff.
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Neben der Frage nach dem Wirklichkeitsgehalt der Stereotype ist also auch die Frage nach der Leistung der Stereotype für den Aufbau der Beziehung zum anderen Land von Bedeutung. Das soll gezeigt werden anhand eines Vergleichs von Stereotypen der Deutschen und der Franzosen über Frankreich: deutsche Frankreich-Stereotype - Genießer, verstehen zu leben („bonvivant“) - Männer. Baskenmützenträger Frauen: oh là là - schönes Wetter - tolles Essen, Rotwein
französische Frankreich-Stereotype - intellektuell, klare Denker, keine „Gefühlsduseleien“ - man kann auf sich stolz sein (grande nation) - arbeitsam, ständig im Stress, viel von sich und anderen verlangend („exigeant“ sagt jede Lehrperson von sich) - Machtfaktor in Europa (Sieger im 2. Weltkrieg, Nuklearmacht, starke Armee)
Die deutschen Stereotype führen zu vielen Urlaubsaufenthalten und zu Freude am Französisch-Lernen. Die französischen Frankreich-Stereotype wären viel weniger geeignet, Deutsche nach Frankreich zu locken und das Lernen der französischen Sprache zu fördern. Unterschiede in den Stereotypen legen Missverständnisse nahe. Die „Wirklichkeit“ ist so in keiner Weise zu ermitteln und der Vergleich der beiden Stereotype führt auch nicht unbedingt zum Abbau. Ähnlich verhält es sich mit anderen Länder-Stereotypen, nehmen wir wieder ein anderes Nachbarland: deutsche Niederlande-Stereotype: - alles locker, tolerant - vorwiegend in der Landwirtschaft tätig (Käse, Milch, Butter: „Frau Antje“) - niederl. Sprache lustig, niedlich
niederländische Niederlande-Stereotype: - geizig, calvinistisch - Handelsnation, große technische Errungenschaften, wie die ScheldeAbsperrung - hervorragendes Sozialsystem, nur vergleichbar mit Schweden
Auch hier sind die positiven deutschen Stereotype sicher zu einem großen Teil förderlich für den Tourismus und sogar für die Motivation zum Lernen der niederländischen Sprache. Aber wie ist es mit den deutschen Deutschland-Stereotypen? Sie kennen vermutlich als positive oder wertneutrale „ganz besonders pünktlich“, „fleißig“, „Ernährung: Bier + Sauerkraut“. Dazu kommen negativ besetzte wie „Untertanen“, „ausländerfeindlich“, „arrogant“ u.v.a. Die entsprechenden Fremdbilder können sich davon stark unterscheiden, und sie sind auch von Land zu Land verschieden. Mit deutschen Stereotypen über sich selbst und mit denen der Lerner über Deutschland müssen wir umgehen lernen. Stereotype im Unterricht einplanen, heißt auch, mit dem Bedürfnis nach dem Bizarren, Exotischen, Amüsanten leben, das die Lerner u.U. haben. Und der Schuhplattler, die Lederhosen und das Eisbein mit Sauerkraut gehören sicher dazu. Es ist keineswegs so, dass die Bewusstmachung von Vorurteilen auch zu deren Auflösung führt. Allerdings erscheint das nicht mehr nötig, denn im Sinne des neutralen StereotypenKonzepts können Vorurteile und Klischees dabei helfen, die Umgebung wahrzunehmen, zu 50
begreifen und zuzuordnen, ohne dabei unüberwindbar zu sein. Bei der Vermittlung von landeskundlicher Information sollten die weitergegebenen Beobachtungen also nicht zu einem starren Bild geraten, sondern für Alternativen offen bleiben. Es gibt zwei Richtungen in der Landeskunde, die die Stereotypen-Forschung aufgreifen, um damit eine Objektivierung des Fremdbildes zu erreichen: a. Die Verwendung des fremden Autostereotyps (also z.B. im Französischunterricht das französische Frankreichbild), um zu zeigen, dass die eigene Wahrnehmung nicht der der „Betroffenen“ entspricht. b. Das Relativieren des nationalen Selbstbildes durch die Verwendung von sozialen Stereotypen. Auch hier geht es immer darum, dass man bemüht ist, vermeintlich ganzheitliche und absolute Bilder durch exemplarische und relative abzulösen.
4.6
Landeskunde-Lehrwerke und -Materialien
In allen Lehrwerken sind landeskundliche Aspekte in der einen oder anderen Form enthalten. Neben Dialogen und Bildern aus deutschsprachigen Ländern sowie Informationen über hier übliche Verhaltensweisen verfügen inzwischen zahlreiche Lehrwerke über zusätzliche Rubriken, die sich mit bestimmten Besonderheiten im Land der Zielsprache auseinandersetzen. Darüber hinaus gibt es auch Lehrwerke, die ihren Schwerpunkt auf die Landeskunde legen. Hierbei handelt es sich oft um Materialiensammlungen, die im Sprachunterricht ergänzend eingesetzt werden können. Einige sollen hier kurz vorgestellt werden.
4.6.1 Tatsachen über Deutschland Tatsachen über Deutschland ist kein Lehrwerk, sondern eine Sammlung statistischer Materialien zu verschiedenen Themen, wie etwas Geschichte, Land und Leute, die deutschen Bundesländer, Wirtschaft, gesellschaftliches Leben, Bildung und Wissenschaft und vieles mehr. Dieses Buch wird von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegeben und ist kostenlos zu beziehen. Besonders in der Auslandsgermanistik ist es sehr verbreitet. Es ist allerdings nur als Nachschlagewerk geeignet, da es ausschließlich Zahlen und Fakten enthält. Online ist Tatsachen über Deutschland verfügbar unter: http://www.tatsachen-ueber-deutschland.de
4.6.2 Typisch Deutsch? Typisch Deutsch? 20 ist ein im Rahmen des Tübinger Modells entstandenes LandeskundeLehrwerk, das sich dem Prinzip der integrativen Landeskunde verschrieben hat. Ergänzend dazu wurde der Theorieband Die Deutschen in ihrer Welt - Tübinger Modell einer integrativen Landeskunde 21 herausgegeben, der für fortgeschrittene Lernende und auch für Lehrpersonen zusätzliche Informationen bieten soll. Beide Bücher repräsentieren die Ergebnisse eines von der Robert-Bosch-Stiftung geförderten Deutschlandkunde-Projekts, 20 21
Behal-Thomsen, Heinke; Lundquist-Mog, Angelika; Mog, Paul, 1993. Typisch deutsch? Arbeitsbuch zu Aspekten der deutschen Mentalität. Berlin/München: Langenscheidt. Mog, Paul/Althaus, Hans-Joachim (Hrsg.), 1993. Die Deutschen in ihrer Welt – Tübinger Modell einer integrativen Landeskunde. Berlin/München: Langenscheidt.
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dessen Anspruch es war, zu einer neuartigen Darstellung Deutschlands zu kommen, aus der wiederum ein darauf aufbauendes Unterrichtsbuch, das Sprach- und Landeskundeunterricht integriert, entstanden ist. Die Zielgruppe des praktischen Bands Typisch Deutsch? sind amerikanische Lernende im Inund Ausland. Mit Änderungen und Abwandlungen können die Materialien aber auch für andere Lernergruppen eingesetzt werden. Insgesamt wurde eine kulturkontrastive Vorgehensweise gewählt, die Fremd- und die Eigenwahrnehmung berücksichtigt. Die Autoren geben an, dass sie „Raum- und Zeiterfahrungen“ sowie den Kontrast „privat und öffentlich“ in den 10 Kapiteln des Lehrwerks besonders berücksichtigen wollten. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf der geschichtlichen Dimension der Landeskunde, was auch in den einzelnen Kapiteln deutlich zu erkennen ist. Allerdings geht es hierbei nicht in erster Linie um eine kognitive Wissensvermittlung, sondern vielmehr um subjektive und emotionale Elemente. Durch Rollenspiele und andere Aufgaben soll es den Lernenden gelingen, sich in die deutsche Kultur hineinzudenken. Unter ihren Zielen und Absichten nennen die Autoren auch das Vorhaben, sich auf die Grundmuster der deutschen Mentalität zu konzentrieren, tatsächlich steht aber die Wahrnehmung der deutschen Mentalität durch die Lerner im Mittelpunkt. Typisch deutsch? basiert im Wesentlichen auf verschiedenen authentischen Texten, zu denen es zahlreiche Aufgaben und Anregungen gibt. Besonders die Texte sind sprachlich recht anspruchsvoll. Fazit: Dem Landeskunde-Lehrwerk Typisch deutsch? gelingt es, eine sehr interessante Themensauswahl zu treffen, obwohl sie teilweise etwas willkürlich erscheint. Die Autoren spannen einen Bogen von diesen Themen zu einer Situation im Alltag oder zu dem Ausgangsthema. Es gibt zahlreiche Übungen zum Wortschatz, die den Lernenden beibringen wollen, auf Nuancen zu achten. Neben der Vokabelarbeit findet sich relativ wenig Material zur Spracharbeit. Ihre genannten Ziele setzen die Autoren allerdings nur unzureichend um: Die Themen im Theorie- und im Praxisband stimmen oft nicht überein, so dass der ausführliche Theorieband nicht als geeignete Ergänzung gesehen werden kann. Der praktische Teil setzt nicht nur andere Schwerpunkte, sondern ist auch stark verkürzt, verallgemeinernd und teilweise sogar oberflächlich. Die sogenannten Grundmuster der deutschen Mentalität werden als Tatsachen präsentiert, jedoch keineswegs hinterfragt. Außerdem wurde es seit der ersten Version nicht mehr überarbeitet und ist deshalb nicht auf dem neusten Stand.
4.6.3 Spielarten Spielarten 22 wurde im Rahmen von Fortbildungskursen (gefördert von der Robert-BoschStiftung) für polnische Deutschlehrende entwickelt und erprobt. Neben dem Einsatz zur Ausund Fortbildung von Lehrenden richtet sich dieses Arbeitsbuch zur deutschen Landeskunde auch an fortgeschrittene Deutschlernende. Abgesehen von einigen kulturkontrastiven Themen kann dieses Lehrwerk auch in multinationalen Lernergruppen eingesetzt werden. Spielarten besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil enthält elf kulturkontrastiv angelegte Themenbereiche. Da die Konzeption dieses Arbeitsbuchs keine Progression vorsieht, bleibt es den Lehrenden überlassen, ob sie dieses Buch kurstragend oder als Ergänzungsmaterial einsetzen. Der zweite Teil ist als Handbuch für die Lehrenden sowie für Studierende gedacht 22
Lundquist-Mog, Angelika, 1996. Spielarten. Arbeitsbuch zur deutschen Landeskunde. Berlin/München: Langenscheidt.
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und bietet eine Reflexion der im ersten Teil verwendeten Methoden. Überdies enthält dieser Teil methodische Hinweise und thematisiert grundsätzliche Probleme der Lehreraus- und fortbildung. Das Landeskundekonzept dieses Arbeitsbuchs entspricht dem „Tübinger Modell einer integrativen Landeskunde“ und versteht sich als lernerbezogen und interkulturell in seiner Ausrichtung. Die Autorin distanziert sich explizit von der traditionellen Auffassung von Landeskunde im Sinne von Faktenwissen und Institutionenkunde. Dieses Buch will kein vollständiges, scheinbar objektives Deutschlandbild entwerfen, sondern konzentriert sich auf die vielfältigen räumlichen und sozialen Kulturunterschiede innerhalb Deutschlands. Im Sinne der interkulturellen Kommunikation geht es dabei nicht nur um die fremde deutsche Kultur, sondern die Begegnung mit ihr soll zugleich das Nachdenken über die eigene Kultur anregen und vertiefen. Gedacht als Beitrag zur deutsch-polnischen Verständigung, stehen kulturkontrastive Themen im Mittelpunkt. Anders als Typisch deutsch? liefert Spielarten eine Vielzahl von methodischdidaktischen Anregungen und vermittelt in kurzen Abschnitten Hintergrundinformationen zu einzelnen Themen. Eine dazugehörige Audiokassette mit Liedern und authentischen Interviews rundet dieses Lehrwerk ab. Fazit: Spielarten enthält eine Auswahl interessanter Themen, die anhand authentischer Texte und Bilder dargestellt werden. Dazu gibt es verschiedene Übungsformen, so dass neben dem kulturellen Lernen auch ausreichend Möglichkeit zur Spracharbeit besteht.
4.6.4 Zwischen den Kulturen Zwischen den Kulturen 23 ist, wie der Untertitel Strategien und Aktivitäten für landeskundliches Lehren und Lernen bereits erklärt, ein Materialienbuch für Lehrende, das im Fremdsprachenunterricht sowohl mit Anfängern als auch mit Fortgeschrittenen als landeskundliches bzw. interkulturelles Zusatzmaterial eingesetzt werden kann. Auch ein kurstragender Einsatz ist möglich, beispielsweise in einem speziell landeskundlich ausgerichteten Sprachkurs für fortgeschrittene DeutschlernerInnen oder LehrerInnen. Die Autorinnen führen folgende übergeordnete Lernziele für ihr Materialienbuch an: Training sprachlicher und nicht-sprachlicher Alltagshandlungen, Sensibilisierung für fremdkulturelle Phänomene, Förderung des Selbst- und Fremdverstehens. Um dies zu erreichen, werden die folgenden didaktischen Ziele bei der Entwicklung der Übungen als relevant angesehen: Unterricht sollte an die Vorstellungen und Einstellungen der TeilnehmerInnen (TN) anknüpfen, an den Erfahrungen der TN ansetzen, Vorwissen aktivieren, differenzieren und erweitern, eine aktive, kreative Beteiligung der TN an der Gestaltung des Unterrichts und der Wissensfindung sowie die aktive Auseinandersetzung mit der eigenen und der Fremdkultur ermöglichen. Die meisten Übungen sind in multinationalen oder homogenen Lerngruppen im Zielland (für Deutsch als Fremdsprache in Deutschland, Österreich, Schweiz) einsetzbar. Der größte Teil kann mit den nötigen Veränderungen auch im Ausland eingesetzt werden. Jede Übung ist mit 23
Hansen, Margareta/Zuber, Barbara, 1997: Zwischen den Kulturen. Strategien und Aktivitäten für landeskundliches Lehren und Lernen. Materialienbuch für den Unterricht. Berlin/München: Langenscheidt.
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einer didaktischen Information versehen, die Auskunft über Thema, Zielgruppe, Angabe zu Sozialformen und Lernziel gibt. Die empfohlenen Kursstufenangaben richten sich nach den in Europa anerkannten Kursstufenbezeichnungen. 24 Eine detaillierte Beschreibung der Durchführung der Übung, eventuell zusätzliche landeskundliche Hinweise, methodische Alternativen und Querverweise auf andere Übungen, Anregungen für die Einbettung in den Unterricht und gegebenenfalls Quellen geben die Autorinnen zusätzlich an. Ein Großteil der Aktivitäten ist für Partner- oder Gruppenarbeit angelegt, um das selbstständige Arbeiten zu üben und die Teilnehmer voneinander und miteinander lernen zu lassen. Alle Hinweise und Angaben zu den Übungen verstehen sich als Richtwerte bzw. Vorschläge, die modifizierbar sind. Viele Übungen sind auch thematisch austauschbar, da die Struktur der Übung auf andere Themen adaptiert werden kann. Die Autorinnen haben auf exakte Zeitvorgaben verzichtet und geben stattdessen nur einen Kommentar zum Verlauf einer Übung. Einige der Übungen setzten bereit gestelltes Zusatzmaterial in Form von Zeitungsausschnitten, Texten und Bildern voraus. Im Anhang befindet sich eine nützliche Adressenliste für die Beschaffung von landeskundlichen Informationen. Überdies betonen die Autorinnen, dass wo immer sie Lösungsblätter für die LernerInnen beigefügt haben, es sich nicht um unumstößliche Wahrheiten, sondern vielmehr um Richtwerte handelt, über die diskutiert werden kann. Erklärtes Ziel ist es in diesem Zusammenhang, dass die LernerInnen erkennen und feststellen, dass es weder im eigenen Land noch im Zielsprachenland eine homogene Kultur gibt, sondern ein Konglomerat von Subkulturen, die sich nach Kriterien wie z.B. soziale Position, Religionszugehörigkeit, Generation usw. unterscheiden lassen. Die fünf Kapitel von Zwischen den Kulturen beschäftigen sich mit folgenden landeskundlichen Themen: Kennenlernen Räumliche Erkundung: Hier handelt es sich laut den Autorinnen um Themen, die die nähere und weitere Lebenswelt erschließen helfen, bis hin zu allgemeinen Themen aus den Bereichen geographischer/geschichtlicher/politischer Raum. Verhalten: Dieses Kapitel bezieht sich auf den Umgang der Menschen miteinander und auf ihr Verhalten in bestimmten Situationen sowie auf das Lernverhalten. Einstellungen: In diesem Kapitel geht es um Werte und Einstellungen, die unser Handeln beeinflussen, und auch um Gefühle wie Fremdheit oder Freude sowie Wünsche und Hoffnungen. Abschied Die Autorinnen weisen abschließend explizit darauf hin, dass es nicht ihrer Zielsetzung entspricht, der Diskussion um Landeskunde und interkulturelle Kommunikation in allen Punkten gerecht zu werden. Sie verstehen es als ihre Aufgabe, diese Diskussion mit konkreten Unterrichtsbeispielen zu unterstützen und anzuregen. Fazit: Es ist den Autorinnen gelungen, eine interessante Sammlung von landeskundlichem und interkulturellem Zusatzmaterial herauszugeben. Für den Unterricht finden sich sehr kreative Materialien und gute Anregungen.
24
zum Europäischen Referenzrahmen siehe z.B.: http://www.kmk-fremdsprachenzertifikat.lernnetz.de/handr/rr.htm
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4.6.5 Widersprüche Das Lehrwerk Widersprüche 25 ist ebenfalls interkulturell ausgerichtet. Es "bezieht seinen Titel aus der Einsicht, dass eine vernetzte und in ständiger Entwicklung befindliche Welt nicht mit Schablonen oder einfachen moralischen Grundsätzen zu erfassen ist und die Fähigkeit verlangt mit Ungereimtheiten und Spannungen zurechtzukommen", so der Autor in seinem Vorwort. Die Spannungsverhältnisse, die in einer vernetzten und sich verändernden Welt entstehen, stehen im Mittelpunkt. Ziel ist es nicht, sie aufzulösen, sondern mit ihnen zu leben. Die Besonderheiten der deutschen Mentalität sollen den Lernenden zugänglich gemacht werden. Widersprüche wurde für die obere Mittelstufe und für die Oberstufe sowie für ausländische Deutschlehrende konzipiert. Dieses Lehrwerk ist nicht als kurstragendes Material einsetzbar. Es handelt sich um ein Material- und Übungsbuch, in dem keine Progression erkennbar ist. Thematisch steht bei den Materialien deutlich der Alltag im Mittelpunkt, wobei eine große Fülle an Informationen den Lernenden einen Hintergrund vermitteln soll. Im Vergleich zu einigen anderen landeskundlichen Lehrwerken finden sich in Widersprüche viele Übungen und Aufgaben zur Spracharbeit, das Leseverstehen und die sprachproduktiven Fähigkeiten spielen eine große Rolle. Dabei wird zwischen Texten und Übungen abgewechselt. Fazit: Einige der Texte und Materialien sind im Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht sehr gut einsetzbar, als Kursgrundlage ist das Lehrwerk jedoch keinesfalls geeignet, weil die kognitiv ausgerichtete Textarbeit und die Aufgabenstellungen dafür zu monoton und uninteressant wären.
4.6.6 Deutschland nach der Wende Bei Deutschland nach der Wende 26 liegt der Schwerpunkt, wie der Titel schon sagt, auf der Wiedervereinigung und deren Auswirkungen, aber natürlich ist das nicht das einzige Thema. Das Lehrwerk ist für Deutschlerner oder –lehrer mit guten Kenntnissen geeignet. Es enthält zahlreiche authentische Texte und ist ein stark auf Fakten basierendes, kognitiv ausgerichtetes Landeskunde-Lehrwerk. Einige Aufgaben und Anregungen für Diskussionen ergänzen die Texte. Nach Angaben der Autorin ist deren Ziel, Informationen über Deutschland zu bieten und weiterführend einen Anstoß zum projektorientierten Lernen zu geben. Das Ziel sei das Verstehen der anderen und der eigenen Kultur. Fazit: Deutschland nach der Wende enthält besonders viele Fakten und Informationen. Die Aufgaben im Allgemeinen sowie die Spracharbeit im Besonderen werden dabei vernachlässigt. Bei den vorhandenen Aufgaben und Übungen wird sehr wenig Wert auf Kreativität gelegt.
4.6.7 Zusammenfassung Keinem der hier vorgestellten landeskundlichen Lehrwerke gelingt es, den hohen Ansprüchen des interkulturellen Ansatzes in der Landeskunde-Vermittlung uneingeschränkt gerecht zu werden und neben der Bewusstmachung über die eigene und die fremde Kultur sowie 25 26
Höffer, Uli, 1999. Widersprüche. Materialien für die Landeskunde – mit Aufgaben und Lösungen. Düsseldorf: Studiengebiet DaF, Heinrich-Heine-Universität. Luscher, Renate, 1999. Deutschland nach der Wende. Ismaning: Verlag für Deutsch.
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praktisch anwendbarem Handlungswissen auch konkrete Spracharbeit zu bieten. Allerdings findet man in den Lehrwerken unterschiedliche Ansätze, die den Weg dahin weisen. Für die praktische Arbeit im Unterricht lässt sich Folgendes festhalten: Faktenwissen findet man vor allem in Deutschland nach der Wende und dem vom Auswärtigen Amt zusammengestellten Buch Tatsachen über Deutschland. In beiden Fällen muss die Lehrperson selbst kreativ werden und die zu vermittelnden Informationen didaktisch aufbereiten. Zwischen den Kulturen bietet sehr kreative Materialien für einen aktiven Unterricht. Als Lehrperson findet man hier auch zahlreiche Anregungen für die Didaktisierung anderer Inhalte. Eine kreative Umsetzung und anspruchsvolle Inhalte liefert Spielarten, allerdings sind die hier angebotenen Materialien nur auf hohem sprachlichen Niveau einsetzbar und müssen – da für polnische Deutschlernende konzipiert – and die jeweilige Zielgruppe adaptiert werden. Gleiches gilt für Typisch Deutsch, das kontrastiv für us-amerikanische DeutschlernerInnen konzipiert wurde. Widersprüche kann nur sehr punktuell zum Einsatz kommen, da die monoton angelegte Textarbeit sehr ermüdend ist beziehungsweise leicht zu Langeweile führt. Allerdings kann das Lehrwerk als eine interessante Sammlung literarischer und populärwissenschaftlicher Texte gesehen werden. Darüber hinaus fällt auf, dass keines der Lehrwerke eine strukturierte Spracharbeit integriert. Anteile, die tatsächliche als Spracharbeit zu definieren sind, beschränken sich in aller Regel auf den Bereich des Wortschatzes. Dennoch bietet keines der Lehrwerke (strukturierte) Vokabelhilfen für die LernerInnen. Als Fazit bleibt also festzuhalten, dass jedes der Landeskunde-Lehrwerke unterschiedliche Schwerpunkte setzt, bei allen jedoch die Materialien nur in reflektierter und an die jeweilige Lernergruppe angepasster Form zum Einsatz kommen können.
56
5.
Sprachlehrforschung
5.1
Ziele
Die Bezeichnung „Sprachlehrforschung“ hat sich im Allgemeinen als Abkürzung für „Sprachlehr- und -lernforschung“ durchgesetzt. Der zentrale Gegenstand des Fachs ist das Lehren und Lernen von Zweit- und Fremdsprachen. Ziel der Sprachlehrforschung ist es, den Wirklichkeitsbereichs „Fremdsprachenunterricht“ systematisch und reflektiert zu erforschen. Man will damit auf Erfahrungsberichten basierende didaktische Ratschläge für den Fremdsprachenunterricht durch wissenschaftlich begründete Erkenntnisse ersetzen. Der Begriff „Sprachlehrforschung“ beinhaltet im Prinzip alle Typen und Formen von Spracherwerb und Sprachenlernen, also auch ungesteuerten Zweitspracherwerb. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt aber bei dem durch schulischen und außerschulischen Fremdsprachenunterricht gesteuerten Lernen von Fremd- und Zweitsprachen. Sprachlehrforschung kann an verschiedenen Hochschulen als eigenes Fach studiert werden, z.B. in Bochum und in Hamburg. Im Allgemeinen setzt die Sprachlehrforschung sich mit den Prozessen des Fremdsprachenlernens sowie deren Einflussfaktoren auseinander. Das praxisbezogene Ziel ist es, eine Verbesserung der Fremdsprachenlehre zu erreichen, beispielsweise mit konkreten didaktischen Empfehlungen für den Unterricht. Dabei wird eine begründete Theorie des Fremdsprachenlernens als Voraussetzung für ein sinnvolles Konzept betrachtet. Sprachlehrforschung will lernerbezogen, empirisch und interdisziplinär beziehungsweise integrativ sein. Lernerbezogen deshalb, weil es das Ziel ist, den Fremdsprachenunterricht für die Lernenden effektiver und angenehmer zu gestalten. Empirisch bedeutet, wissenschaftlich belegt, in diesem Fall: dass konkrete Unterrichtssituationen analysiert und daraus Theorien und Hypothesen abgeleitet werden. Integrativ und interdisziplinär soll heißen, dass Erkenntnisse aus Referenzwissenschaften wie allgemeine Sprachwissenschaft, angewandte Linguistik, Literaturwissenschaft, Pädagogik und Psychologie überprüft und gegebenenfalls in Theorien über das Fremdsprachenlernen integriert werden sollen. 27 Die Methoden der Sprachlehrforschung werden in Kapitel 11 vorgestellt und diskutiert, zusammen mit anderen Methoden, die für DaF als ein wissenschaftliches Fach relevant sind.
5.2
Themen
Konkrete empirische Untersuchungen der SprachlehrforscherInnen reichen von den im Fremdsprachenlernenden ablaufenden mentalen Prozessen bis zu den Wechselbeziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden. Verschiedene Unterrichtsfaktoren werden ebenso analysiert wie der Komplex der Fehlerkorrektur, Interaktionsstrukturen im Unterricht und der lernerspezifischen Erwartungen an den Unterricht. Auch die Rolle von Lehrmaterialien und von Sozial-, Übungs- und Arbeitsformen des Fremdsprachenunterrichts wird untersucht. In diesem Kapitel werden zwei typische Themen der Sprachlehrforschung vorgestellt, die Fehlerkorrektur und die Effizienz von Vokabellernmethoden.
27
Einen guten Überblick über den Bereich der Sprachlernforschung bietet: Edmondson, Willis/House, Juliane, 2000. Einführung in die Sprachlehrforschung. Tübingen: UTB und das Handbuch Fremdsprachenunterricht.
57
5.2.1 Fehlerkorrektur Ein Beispiel für eine empirische Untersuchung, die im tatsächlichen Unterricht stattgefunden hat, ist die von Karin Kleppin und Frank Königs über Fehlerkorrekturen. Hier wurde im gymnasialen Spanisch- und Italienischunterricht beobachtet, welche Fehler die Lernenden machten, und welche davon die Lehrpersonen überhaupt korrigierten, und wenn sie sie berichtigten, welche Arten von Korrektur sie benutzten und wie oft diese Methoden eingesetzt wurden. Der Schwerpunkt lag bei dieser Untersuchung auf der mündlichen Korrektur, die in der Forschung bisher stark vernachlässigt wird. Dies hängt unter anderem mit dem hohen Aufwand bei der Datengewinnung und -aufbereitung zusammen, da das Gesprochene zuerst aufgenommen und dann verschriftlicht werden muss. Dabei zeigte sich, dass die Lehrpersonen keineswegs jede Art von Fehlern gleich häufig korrigierten und dass sie sich auch nicht an die Empfehlung hielten, vor allem die stark die Kommunikation störenden Fehler zu korrigieren und andere Arten von Fehlern nur dann konsequent zu korrigieren, wenn sie gerade Lernstoff waren. Auch die Arten der Korrektur wichen teilweise von den Empfehlungen von Didaktikern ab. Königs und Kleppin untersuchten auch die Ursachen und Anlässe des Korrekturverhaltens der Lehrpersonen sowie deren Bedeutung für die Interaktion im Fremdsprachenunterricht, und versuchten, daraus Empfehlungen abzuleiten. Die genauen Ergebnisse dieser Untersuchung können Sie nachlesen in Kleppin, Karin/Königs, Frank G., 1997. Der Korrektur auf der Spur. 2. unveränderte Auflage. Bochum: Universitätsbuchhandlung Dr. N. Brockmeyer.
5.2.2 Vokabellernen Ein Beispiel für eine empirische Untersuchung, die nicht beim tatsächlichen Lernen einer Fremdsprache, sondern unter „Labor“-Bedingungen stattgefunden hat, ist die von Antje Stork zur Effizienz von Vokabellernmethoden. Laborexperimente macht man in der Sprachlehrforschung vor allem dann, wenn im tatsächlichen Unterricht so viele störende Faktoren zu erwarten sind, dass man das, was man untersuchen will, nicht sicher genug von anderen Einflussfaktoren trennen kann. Antje Stork hat Wörter einer Kunstsprache nach verschiedenen Vokabellernmethoden lernen lassen. Diese Vorgehensweise hatte für dieses Experiment einige Vorteile gegenüber einer echten Lernsituation. Bei einer „echten“ Sprache ist es sehr schwierig, Vokabeln zu finden, die alle gleich schwer und für die Lernenden gleich interessant sind. Außerdem ist es in einer tatsächlichen Unterrichtssituation schwierig, jede Vokabel gleich lange zu behandeln und zu wiederholen. Durch ein Experiment unter „Labor“-Bedingungen konnte ausgeschlossen werden, dass diese Faktoren die Ergebnisse beeinflussen. Antje Storks Ergebnisse zeigten eine deutliche Überlegenheit von einer der vier untersuchten Methoden, nämlich der Schlüsselwortmethode. 28
28
Stork, Antje, 2003. Vokabellernen. Eine Untersuchung zur Effizienz von Vokabellernstrategien. Tübingen: Narr.
58
6
Didaktische Konzepte
6.0
Einleitung
Unter Didaktik wird Verschiedenes verstanden. Wir schließen uns dem weitesten Begriff von Didaktik an. Danach versteht man darunter die Theorie vom Unterricht oder genauer: die Theorie von der Vermittlung von Bildungsinhalten. Dazu gehört mehr als nur das „wie?“, also die Methoden des Unterrichts, sondern auch das „was?“, also die Ansprüche an das, was man mit diesen Methoden erreichen will, und vieles mehr. Eine kleine Übersicht zu den Fragen, mit denen sich die Didaktik beschäftigt, bietet Günther Storchs Deutsch als Fremdsprache – eine Didaktik. 29 bestimmende Aspekte des Unterrichts
Bereiche der Didaktik
1
Absicht unterrichtlichen Handelns (wozu?)
2
Gegenstand unterrichtlichen Handelns (was?)
Lerninhalte, („Lehrstoff“)
3
Art des unterrichtlichen Handelns (wie?)
Unterrichtsmethoden
4
verwendete Mittel (womit?)
Medien, Lehrmittel
5
die Beteiligten am unterrichtlichen Handeln (wer?)
a: Lernende; b: Lehrende
6
allgemeine Situation (wo? wann?)
Rahmenbedingungen, soziokulturelle Voraussetzungen
Lernziele
Das übergeordnete Lernziel des Fremdsprachenunterrichts ist natürlich ganz allgemein die Erweiterung der Fremdsprachenkenntnisse, aber darüber hinaus gibt es für jede Unterrichtseinheit und für jede Aufgabe innerhalb einer Unterrichtseinheit spezifischer Lernziele, wie etwa die Erweiterung des Wortschatzes oder die Verbesserung der schriftlichen Ausdrucksfähigkeit. Außerdem können auch Lernziele verfolgt werden, die nicht die Sprachkenntnisse betreffen, wie etwa die Vermittlung von Informationen über das Zielsprachenland (vgl. hierzu Kapitel 4 zur Landeskunde) oder von Lerntechniken. Den in der Tabelle genannten Bereichen der Didaktik sollte bei jeder Konzeption einer Unterrichtseinheit Beachtung geschenkt werden. Neben der Frage nach den Lernzielen stellt sich zunächst einmal jene nach den Rahmenbedingungen (z.B.: Wie groß ist die Gruppe? Wie viel Zeit hat die Lehrperson zur Verfügung?) und nach den Voraussetzungen und Bedürfnissen einer bestimmten Lernergruppe (z.B.: Woher kommen die Lerner und Lernerinnen? Wozu wollen sie Deutsch lernen? Wie ist ihr sprachliches Niveau einzuschätzen? Wie alt sind sie? etc.) Diese Orientierung an der Lernergruppe – in der Fachliteratur ist auch oft die Rede von „Lernergruppenzentriertheit“ – ist eines der Grundprinzipien von gutem Unterricht. Neben dem Bereich der didaktischen Überlegungen mit den Fragen nach „was?“ und „warum?“ (also nach den Absichten und Lernziele), spielen auch die methodischen Überlegungen eine zentrale Rolle. Sie sind vor allem durch das Fragewort „wie?“ gekennzeichnet. Dazu gehört die Frage, wie mit einem Text oder mit Vokabeln gearbeitet werden kann, wie die Lern-
29
Storch, Günther, 2001. Deutsch als Fremdsprache – eine Didaktik. München: Fink (UTB für Wissenschaft), 11.
59
ziele erreicht werden können und auch, mit welchen Medien und in welcher Sozialform (Einzelarbeit, Partnerarbeit, Kleingruppenarbeit, Arbeit im Plenum) gearbeitet werden soll. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit verschiedenen Punkten aus der Methodik und Didaktik und somit mit einigen der Themen, die für eine Lehrperson im Unterricht und somit bei der Vorbereitung des Unterrichts eine Rolle spielen.
6.1
Arbeitsformen und Aufgabentypen
Um eine Unterrichtsstunde interessant und abwechslungsreich zu gestalten und um sie auf die Bedürfnisse der Lernenden abzustimmen, sollte zwischen verschiedenen Arbeitsformen und Aufgabentypen abgewechselt werden. Dieser Wechsel ist unter anderem deshalb besonders wichtig, weil in einer Gruppe viele verschiedene Lernertypen zu finden sind. 30 Einige können Informationen besser aufnehmen, wenn sie diese hören, andere LernerInnen müssen dazu etwas lesen und wieder andere erzielen den größten Erfolg, wenn sie selbst etwas tun. Die Informationsaufnahme erfolgt also über verschiedene sogenannte Lernkanäle, die bei jedem Lerner und bei jeder Lernerin unterschiedlich effektiv sind. Da kein Lerner nur über einen Kanal lernen kann, sollten möglichst viele Lernkanäle angesprochen werden, was am besten über einen abwechslungsreichen Unterricht erreicht werden kann, in dem Arbeitsformen und Aufgabentypen variiert werden. Ein Wechsel von Arbeits- und Übungsformen bewirkt außerdem, dass die Aufmerksamkeitsspanne der Lerner nicht ständig überschritten wird und sie so konzentrierter und effektiver lernen können. Es gibt sehr viele verschiedene Arbeitsformen. Nach wie vor am weitesten verbreitet ist der Frontalunterricht, das heißt, die Lehrperson steht vor dem Plenum. Besonders gut geeignet ist diese Form des Unterrichts für Erklärungen oder zum Geben von Aufgabenstellungen, also für Situationen, in denen die Lehrperson alle Lernenden erreichen möchte. Ein großer Nachteil des Frontalunterrichts ist der oft sehr hohe Redeanteil der Lehrperson, denn besonders im Fremdsprachenunterricht sollten die LernerInnen möglichst viel selbst sprechen. In dieser Arbeitsform ist das allerdings schwierig, weil sie hauptsächlich durch Monologe der Lehrperson oder gelegentliche Dialoge mit einzelnen Lernern geprägt ist. Wesentlich höher ist der Redeanteil der Lernenden in Partner- oder Gruppenarbeit, weil die Möglichkeit besteht, dass mehrere Personen gleichzeitig sprechen, ohne sich gegenseitig zu stören. Auch die zurückhaltenderen und schwächeren Lerner bekommen hier eine Gelegenheit zum Sprechen und zum Erarbeiten von Lösungen, die im Plenum vielleicht schon längst jemand genannt hätte. Die Partner- oder Gruppenarbeit ähnelt weniger einer Prüfungssituation als der Dialog mit der Lehrperson im Plenum, so dass die Lerner oft mutiger sind, mehr sprechen und auch Fragen stellen, die sie im Plenum nicht zu stellen wagen würden. Für die Lehrperson ist es bei der Partner- oder Gruppenarbeit wichtig, dass sie nicht an ihrem Tisch sitzen bleibt, sondern versucht, die Arbeit der Gruppen möglichst genau zu verfolgen und gegebenenfalls Hilfestellungen zu geben, indem sie von Gruppe zu Gruppe geht. Im Unterricht sollte auch Einzelarbeit stattfinden. Die Zusammenarbeit in Gruppen oder mit einem Partner ist eine Entlastung beim Lösen von Aufgaben, allerdings sollten LernerInnen auch gelegentlich Aufgaben alleine lösen. So können sie selbst und auch die Lehrperson feststellen, ob Probleme auftreten. Besonders bei schriftlichen Aufgaben ist es wichtig, dass jeder Lerner und jede Lernerin regelmäßig selbst etwas schreibt. Das Stationenlernen ist eine weitere Möglichkeit, den Unterricht abwechslungsreich zu gestalten und ihn den unterschiedlichen Bedürfnissen der Lerner anzupassen. Dabei werden in einem oder mehreren Räumen verschiedene Stationen mit unterschiedlichen Aufgaben aufge30
Mit Lernertypen beschäftigt sich Kapitel 9.1.4.
60
baut. Diese Stationen bestehen besonders im Fremdsprachenunterricht meist aus Arbeitsblättern, die an verschiedenen Stellen ausliegen. Die Lerner gehen von Station zu Station und bearbeiten diese Aufgaben. Ob die Reihenfolge festgelegt ist und ob alle Aufgaben bearbeitet werden müssen, kann die Lehrperson dabei bestimmen. Auch die Korrektur kann in verschiedenen Formen erfolgen, entweder als Selbstkorrektur oder durch die Lehrperson. Der besondere Vorteil ist, dass jeder Lernende sich individuell mit Themen beschäftigen kann, die für ihn individuell interessant oder wichtig sind. Genau wie bei den Arbeitsformen ist auch bei den Aufgabentypen eine abwechslungsreiche Gestaltung wichtig. Dabei sollten Hören, Lesen, Sprechen, Schreiben, Wortschatz und Grammatik berücksichtigt werden. Besonders motivierend sind spielerische Aufgaben und Projektarbeiten, aber auch Drill-Übungen erfüllen ihren Zweck. Unter einer Drill-Übung versteht man eine Aufgabe, bei der ein bestimmtes Phänomen immer wieder wiederholt wird, so dass es sich einschleift, wie etwa bei Grammatikübungen, bei denen eine Aufgabe immer nach einem bestimmten Schema gelöst werden muss, oder auch im Ausspracheunterricht, wenn ein Laut häufig wiederholt wird, bis eine Automatisierung einsetzt. Der Schwierigkeitsgrad bei den verschiedenen Übungen sollte ansteigen, aber keine Sprünge machen. Hier ein Beispiel dafür, wie solch eine Progression im Unterricht aussehen könnte: Wenn man im Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht Nebensätze einführen will, beginnt man nicht mit dem freien Formulieren von Nebensätzen mit verschiedenen Konjunktionen. Eine Möglichkeit für die erste Stufe ist, zwei Hauptsätze in eine Hauptsatz-Nebensatz-Konstruktion umzuwandeln und so die Wortstellung zu üben. Dabei beschränkt man sich auf eine Konjunktion, wie etwa „weil“ oder „obwohl“. Dies sollte eine schriftliche Aufgabe sein, da so mehr Zeit zum Nachdenken bleibt. In der nächsten Stufe könnte man einzelne Sätze vervollständigen lassen, wobei der Schwierigkeitsgrad auch dadurch steigt, dass die Informationen nicht vorgegeben sind. Die Lernenden müssen sich nicht nur auf das Grammatikphänomen, sondern auch auf die Inhalte und die Vokabeln konzentrieren. Im Anschluss daran sind Lernende sicher schon in der Lage, Nebensätze mündlich zu formulieren oder schriftlich einen kürzeren Text mit Nebensätzen zu verfassen. Für einen Text könnte man eine Frage stellen, auf die LernerInnen eine kreative und witzige Antwort finden können, bei der sie die entsprechende Konjunktion verwenden müssen. Für mündliche Aufgaben könnten die Lernenden sich gegenseitig Fragen stellen. Die Grammatikaufgaben und die verwendeten Beispielsätze sollten thematisch in das Thema des Unterrichts eingebettet sein, um einen Bezug herzustellen und anwendungsorientierter zu sein. Eine besonders interessante Aufgabenform im Unterricht ist die Projektarbeit, auch wenn sie oft etwas zeitaufwändig ist. Dabei wird ein bestimmtes Ziel verfolgt, wie beispielsweise das Erstellen einer Kurszeitung oder das Vorbereiten einer Ausstellung. Für die LernerInnen ist die Projektarbeit deshalb so motivierend, weil auf ein Ziel hingearbeitet wird, wie etwa das Erstellen einer Kurszeitung. Man hält am Ende in irgendeiner Form ein Ergebnis in den Händen. Im Verlauf der Projektarbeit entstehen außerdem zahlreiche authentische Kommunikationsanlässe, d.h. die Lernenden kommunizieren nicht nur, um eine Fremdsprache zu lernen (wie etwa, wenn man sich jemandem vorstellt, den man schon längst kennt, nur um diese Situation in der Fremdsprache zu üben), sondern weil sie ein Ziel verfolgen. Viele Vorschläge für Aufgaben und Übungen findet man übrigens in der Übungstypologie zum kommunikativen Deutschunterricht 31 von Neuner und der aktuelleren und vollständigeren 31
Neuner, Gerhard/Krüger, Michael/Grewer, Ulrich, 1991. Übungstypologie zum kommunikativen Deutschunterricht München: Langenscheidt.
61
Übungstypologie von Häussermann und Piepho, Aufgaben-Handbuch Deutsch als Fremdsprache. Abriß einer Aufgaben- und Übungstypologie. 32 Sie liefern gute Beschreibungen von Übungen und von der Abfolge, in der sie im Unterricht eingesetzt werden könnten oder sollten. Beide Bücher sind in mehreren Exemplaren sowohl in der Lehrbuchsammlung der Universitätsbibliothek als auch in der Germanistikbibliothek vorhanden.
6.2
Erstellen eines Unterrichtskonzepts
Das Unterrichtskonzept beinhaltet neben dem geplanten Unterrichtsverlauf und den Lernzielen der jeweiligen Phase auch Überlegungen zu Aufgabenformen und Sozialformen. Ein solches Unterrichtskonzept sollte sich eine Lehrperson vor jeder Unterrichtsstunde erstellen. Nach einiger Zeit ist es sicher nicht mehr nötig, alle Details schriftlich festzuhalten, was natürlich nicht bedeutet, dass Überlegungen zu diesen Details nicht mehr nötig sind. Eine Unterrichtsstunde teilt sich in verschiedene Phasen. Die Einstiegsphase ist besonders wichtig, auch wenn sie oft sehr kurz ist, meist nur wenige Minuten lang. Dabei werden die Lernenden auf ein Thema eingestimmt. Sie bekommen die Möglichkeit, sich auf die Fremdsprache einzustellen, die sie vielleicht schon seit einer Woche nicht mehr benutzt haben. Die Lehrperson hat besonders in dieser Phase die Aufgabe, eine angenehme Lernatmosphäre zu schaffen, in der die Lernenden keine Scheu haben, sich zu äußern. An die Einstiegsphase schließt sich die Erarbeitungsphase an. Im Fremdsprachenunterricht werden hier oft Vokabeln vorentlastet, ein Text zum ersten Mal gelesen oder ein Grammatikphänomen erarbeitet. Außerdem soll das Interesse der Lernenden geweckt werden. Diese Dinge werden in der Vertiefungsphase ausführlicher behandelt. Diese Zeit dient z.B. zum Üben der Grammatik oder zur Textarbeit. Eine besondere Rolle nimmt die Ergebnissicherung ein. Nach jeder Aufgabe sollte sich die Lehrperson versichern, dass die Lerner alles richtig verstanden haben und in ihren Aufgaben keine Fehler sind. Nachdem sich die Lerner mit einer Aufgabe beschäftigt haben, folgt deshalb die Sicherungsphase. Zusätzlich sollte nach jeder Aufgabe eine kurze Ergebnissicherung stattfinden, beispielsweise nach einer Vokabelentlastung. Natürlich kann eine Lehrperson nicht jeden der bei Einzelarbeitsphasen entstandenen schriftlichen Fehler im Unterricht korrigieren. Wenn sie sich möglichst viel im Unterrichtsraum bewegt und den Lernenden Hilfestellung gibt, kann sie aber oft auf Fehler hinweisen. Im Anschluss an die Erarbeitung und Sicherung folgt die Transferphase. Dabei sollen die LernerInnen das Gelernte anwenden, idealerweise sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Sie sollen beispielsweise zeigen, dass sie ein Grammatikphänomen auch dann verwenden können, wenn sie sich mündlich äußern und dabei der Inhalt des Gesagten eine ebenso große Rolle spielt wie das Grammatikphänomen. Es ist auch ein Transfer, wenn beispielsweise ein Problem, das in einem Text thematisiert wurde, im Bezug auf eine Alltagssituation diskutiert wird. Besonders geeignet für den Transfer sind zum Beispiel Diskussionen, Rollenspiele und Stellungnahmen, weil dafür Spontaneität nötig ist und teilweise auch eigene Meinungen eingebracht werden müssen bzw. können. Eine Stunde sollte auf jeden Fall eine Abschlussphase haben, um die Unterrichtseinheit abzurunden und eventuell das Gelernte zu festigen. Genau wie die Einstiegsphase kann auch die 32
Häussermann, Ulrich/Piepho, Hans-Eberhard, 1996. Aufgaben-Handbuch Deutsch als Fremdsprache. Abriß einer Aufgaben- und Übungstypologie. München: iudicium.
62
Abschlussphase sehr kurz sein. Der Abschluss einer Diskussion und die Verabschiedung von den Lernern könnte beispielsweise ausreichend sein. Natürlich kann die Abschlussphase auch wesentlich ausführlicher sein. Zu der jeweiligen Phase sind folgende Überlegungen wichtig: • Wie soll die Phase verlaufen und was möchte ich machen? Î Unterrichtsverlauf • Was soll in dieser Phase gelernt werden? (Wortschatz, Lesefertigkeit, schriftliche Ausdruckfähigkeit, Ergebnissicherung …) Î Lernziel • In welcher Arbeitsform sollen die Lerner arbeiten? (Plenum, Partnerarbeit, Gruppenarbeit, Einzelarbeit …) Î Sozialform • Mit welchen Medien kann ich die Lernziele am besten erreichen? (Arbeitsblätter, Overhead-Projektor, Plakate und Bastelmaterial …) Î Medium • Wie lange benötige ich dafür? Î Zeit Hier ein Beispiel für ein solches Unterrichtskonzept: Unterrichtsphase
Unterrichtsverlauf
Lernziel
Sozialform
Medium
Zeit
Einstiegsphase
Begrüßung, Gruppeneinteilung, Rätsel
mit dem Thema vertraut machen
Plenum, Gruppenarbeit
Arbeitsblatt 1
ca. 10 min
Erarbeitungsphase
Vokabelentlastung, Präsentation der Vokabeln, Text lesen
Wortschatz, Leseverständnis trainieren
Gruppenarbeit, Einzelarbeit
Vokabelblatt, Text 1
ca. 25 min
Vertiefungsphase
Textarbeit, Zusammenfassung schreiben
Textverständniskontrolle, schriftliche Ausdrucksfähigkeit verbessern
Einzelarbeit
Text 1
ca. 20 min
Ergebnissicherung
Plenum
Präsentation einiger Ergebnisse, kurze 1. Sicherungsphase Diskussion über den Text
ca. 15 min
2. Sicherungsphase
Vokabelmemory
Wortschatz sichern
Gruppenarbeit
Vokabelkärtchen
ca. 15 min
Transferphase
eigene Stellungnahme schreiben, Präsentation der Stellungnahme, 2. Text lesen, Diskussion in Gruppen
Schreibfertigkeit für Diskussionsbeiträge erhöhen, mündliche Ausdrucksfähigkeit üben
Gruppenarbeit (Plenum)
Text 2, Diskussionsfragen
ca. 25 min
Abschlussphase
Diskussion im Plenum zum Abschluss bringen
Stunde abrunden
Plenum
63
ca. 5 min
6.3
Korrekturen
Das Korrekturverhalten der Lehrerin oder des Lehrers ist ein wichtiges Thema in der Didaktik. Wer an die eigene Schulzeit zurückdenkt, erinnert sich sicher an alle möglichen Arten von Korrekturen, von witzig bis beleidigend. Wer einmal unterrichtet hat, weiß, dass es oft nicht leicht ist, im richtigen Moment so zu korrigieren, dass die Lernerinnen und Lerner nicht verunsichert sind oder sich unterbrochen fühlen. Doch was sollte eigentlich korrigiert werden? Was ist ein Fehler? Welche Fehler sollten korrigiert werden? Sollte man alle Fehler korrigieren, damit die Lernenden sich nichts Falsches einprägen, oder soll nur das bereits Gelernte verbessert werden, weil alles andere demotivierend wirken würde? Und wie sollte korrigiert werden? Auf diese Fragen gibt es keine eindeutige Antwort und die Entscheidung ist von zahlreichen Faktoren abhängig. Erst einmal stellt sich die Frage, ob eine Äußerung schlichtweg falsch oder vielleicht auch nur stilistisch etwas unglücklich ist. Der Satz „Wann bekomme ich der Brief?“ ist beispielsweise grammatikalisch falsch, denn es müsste „den Brief“ heißen. Der Satz „Wann kriege ich den Brief?“ ist hingegen grammatikalisch korrekt, stilistisch ist das Verb kriegen jedoch nicht in jeder Situation passend. Hier kommt es dann auf den Äußerungskontext an. Unter Freunden kann der Satz akzeptiert werden, während er in einem offiziellen Gespräch oder in bestimmten Textsorten völlig ungeeignet ist. Man sollte darauf verzichten, im Fremdsprachenunterricht jede schlechte Formulierung zu verbessern, sonst wird zu viel korrigiert. Im Anfängerunterricht, wenn die Ausdrucksmöglichkeiten noch sehr begrenzt sind, sind stilistische Feinheiten natürlich weniger wichtig als auf einem hohen sprachlichen Niveau. Besonders mündlich sollte man nicht jeden stilistischen Makel korrigieren, um den Redefluss nicht völlig zu zerstören. Ein weiterer Faktor, der das Korrekturverhalten der Lehrperson beeinflusst, ist die Art der Aufgabe. Wenn es um ein bestimmtes Phänomen geht, das gerade eingeübt werden soll, sollte jeder Fehler damit genau korrigiert werden. Ein Beispiel hierfür sind Grammatikübungen oder die Aussprache beim lauten Vorlesen eines Textes. Je weniger die Übungen aber gelenkt sind, das heißt, je weniger ihr Verlauf durch die Aufgabenstellung und die Aufgabenart festgelegt ist, umso weniger ist man sich als Lehrperson in einer Unterrichtssituation sicher, ob man korrigieren sollte. Bei mündlichen Äußerungen muss vielleicht nicht jede Adjektivendung stimmen, wenn der Lerner gerade einen inhaltlich wichtigen Diskussionsbeitrag beisteuert, während bei schriftlichen Textproduktionen eine genauere Korrektur wichtig ist. Man sollte auch beachten, dass nicht alle Fehler Zeichen von Unkenntnis oder Unaufmerksamkeit sind. Fehler zeigen oft die Fähigkeit der LernerInnen, sich mit den Mitteln auszudrücken, die sie eben haben. Das heißt, manche Fehler sind durchaus kreativ und zeigen Verständnis für das System, auch wenn sie zufällig nicht normgerecht sind. Wenn jemand englisch humid im Deutschen mit dampfig statt mit feucht wiedergibt, dann zeigt das, dass er eine Strategie beherrscht, die an sich sehr erfolgversprechend ist: Er bildet Adjektive durch Hinzufügen des Suffixes -ig an das Nomen. Das ist ein produktives Muster, das für LernerInnen sehr wichtig ist. So können sie wässrig zu Wasser, steinig zu Stein, bauchig zu Bauch bilden. Zudem sind solche Bildungen wie dampfig verständlich, also kein Kommunikationshindernis. Fehler sollte man also nicht nur in Relation zum Sprachsystem sehen, sondern auch zum sprachlichen Entwicklungsstadium der LernerInnen und zum Äußerungskontext. So ist es ganz normal, dass bei starkem Interesse am Inhalt des Mitgeteilten die Aufmerksamkeit für die Form abnimmt. Manche Lernenden denken, Fehler zu machen sei eine Schande und sie hätten in einer Form versagt. Es ist die Aufgabe der Lehrperson, deutlich zu machen, dass Fehler kein Versagen, 64
sondern unumgänglich und auch hilfreich sind. Wenn ein Lerner sich nur so ausdrückt, dass er sicher keinen Fehler macht, schöpft er nicht sein Potential aus und entwickelt sich nicht weiter. Bei der Korrektur ist es wichtig zu berücksichtigen, dass es neben einer kognitiven auch eine affektive Dimension gibt, das heißt, dass es für die Lernenden nicht nur um „richtig“ und „falsch“ geht, sondern auch darum, wie sie ihre eigenen Leistungen einschätzen. Bei zu großen Misserfolgserlebnissen sind die Lerner und Lernerinnen sicher nicht mehr motiviert, die Fehler zu beheben, sondern neigen vielmehr dazu aufzugeben. Um die Balance zwischen richtigen und falschen Äußerungen – schließlich sind Fehler eine Ausnahme – wieder herzustellen, sollte bei all den Überlegungen zu Fehlerkorrekturen nicht vergessen werden, auch zu erwähnen, wenn etwas richtig war und entsprechend positive Rückmeldungen zu geben. Trotzdem sollte nicht vergessen werden, dass Lernende in der Regel eine Korrektur der Fehler erwarten und auch fordern. Es ist natürlich selbstverständlich, dass die Lehrperson die Lernenden nicht auslachen oder bloßstellen sollte. Doch damit sind nicht alle Fragen dazu geklärt, wie die Fehlerkorrektur am besten durchgeführt wird. Besonders mit der Idee, der Fremdsprachenunterricht solle so kommunikativ wie möglich verlaufen, kam die Frage auf, wie störend Korrekturen sein können. Unterbrechungen durch Korrekturen in Rollenspielen oder längeren Redebeiträgen der Lernenden schienen den Lehrenden kaum noch verantwortbar. Man entwickelte deshalb die Methode, in solchen Teilen des Unterrichts alle Fehler mitzuschreiben und sie danach zu korrigieren. Nach Untersuchungen von Karin Kleppin und Frank Königs zum Korrekturverhalten ist der Lerneffekt in solchen Passagen minimal; den Lernenden sind diese „geballten“ Korrekturen jedoch sehr unangenehm, weil sie sich dadurch bloßgestellt fühlen. Zudem fanden sie heraus, dass viele LernerInnen Korrekturen kurz nach dem produzierten Fehler erwarten, und sie die Unterbrechung als weniger unangenehm empfinden als eine Korrekturphase am Ende. Bei der Art der Korrektur wünscht sich etwa die Hälfte der Lernerinnen und Lerner im Falle eines produzierten Fehlers Hilfen zur Selbstkorrektur, während die Anderen einfache Lehrerkorrekturen bevorzugen. Es gibt verschiedene Arten der Korrektur. Die schwächste Art der Korrektur ist ein Verhalten, das auch Laien außerhalb des Unterrichts anwenden. Man wiederholt die Äußerung des Lerners/der Lernerin in korrekter Form. Also aus „Und dann habe ich dir eine Buch gebringt.“ wird „Ja, also du hast mir ein Buch gebracht, aber wo ist es denn jetzt?“ Schon etwas auffallender sind erbetene Korrekturen, bei denen der Lerner durch seine Intonation oder durch nonverbale Signale andeutet, dass er sich unsicher ist. In diesen Fällen als LehrerIn nicht mit Bestätigung oder Korrektur zu reagieren, wäre wenig hilfreich. Für seine weitere Sprachplanung etwas störend, aber den Lerner nicht unterbrechend sind nonverbale Signale, die zur Selbstkorrektur auffordern. DidaktikerInnen empfehlen Lehrpersonen, mit ihren LernerInnen solche Signale in festgelegter Bedeutung abzusprechen, z.B. gekreuzte Arme für „Umstellen“, Zahlenangabe zur Person des Verbs bei falscher Endung durch Hochheben der richtigen Anzahl Finger, richtungsweisende Geste bei „Wechselpräpositionen“ mit dem Akkusativ usw. Die nächste Stufe der „Störung“ wäre eine explizite, kurze, unerbetene Korrektur, weil hier die Lehrperson entgegen den üblichen Konversationsnormen ans Wort kommt. Noch erheblich störender für die Kommunikation, aber sehr viel einprägsamer als jede andere Korrektur ist das Hervorrufen einer „Korrektursequenz“ durch die Lehrperson. Das heißt, die SchülerInnen werden auf den Fehler hingewiesen und zur Selbstkorrektur – unter Umständen auch zum Nennen der Regel – aufgefordert. Wichtig ist, dass Lehrpersonen kreative Fehler auch würdigen sollten. Das kann in der Form geschehen, dass man den SchülerInnen mitteilt, die Regel werde offensichtlich schon gut beherrscht, leider werde sie nur hier auf einen Fall angewandt, in dem sie nicht anwendbar ist. 65
So fühlen sich die Lernenden weniger bloßgestellt und angegriffen und werden ermutigt, auch weiterhin ihr sprachliches Potential auszuschöpfen. Im Allgemeinen ist es wichtig, dass den Lernenden die Korrekturen nicht unangenehm sind. Die Lehrperson könnte zum Beispiel die Art der mündlichen Korrektur mit der Lernergruppe absprechen und so eine Möglichkeit zu finden, die für die LernerInnen am wenigsten störend und unangenehm ist. Schriftliche Korrekturen haben die Besonderheit, dass die LernerInnen sie meist ansehen, wenn sie mit der korrigierten Arbeit allein sind, also nicht die Möglichkeit haben, direkt Rückfragen zu stellen. Daher sollten die Korrekturen verständlich sein. Damit die Lernenden möglichst viel aus den Verbesserungen lernen, wird eine Vorgehensweise gewählt, bei der man die Fehler nur markiert, damit die SchülerInnen sie selbst korrigieren können. Diese Korrekturen sollten dann Angaben über die Art des Fehlers (Orthographie, Grammatik, Lexik usw.) enthalten. Korrekturen können beispielsweise so aussehen:
Fehler in der Rechtschreibung
Ich komuniziere. Er schleft auf dem sofa.
A
Fehler im Ausdruck
Ich muss eine Entscheidung machen.
Ich muss eine Entscheidung __________
T
Tempusfehler
Gestern bin ich im Kino.
Gestern _______ ich im Kino.
Gen
Falsches Genus
der Kind das Frau
____ Kind ____ Frau
Kas
Falscher Kasus
Er hat den Mann geholfen.
Er hat _____ Mann geholfen.
Pron
Falscher Wo ist Papa? Pronomengebrauch Sie ist in der Küche.
R
____ ist in der Küche.
Falsche Präposition
Ich denke oft über Kathrin. Sie diskutieren für Politik.
Konj
Falsche Konjunktion
Ich fahre entweder nach Paris Ich fahre entweder nach Paris aber nach London. _______ nach London.
Z
Zeichenfehler
Präp
Sb/St
v
Ich _____________ Er ______________
Falscher Satzbau/ falsche Satzgliedstellung Wort fehlt
Ich denke oft ___ Kathrin. Sie diskutieren _____ Politik.
Komm bitte hierher__ Komm bitte hierher. Er sagt dass er keine Zeit hat. Er sagt__ dass er keine Zeit hat. Ich kann konzentrieren mich Ich kann _________________ nicht. ____________. Herr Valentin einen Hut Herr Valentin _____________ kauft. _______________ v Unterricht fällt heute v.
66
________ Unterricht fällt heute _______.
Wenn die SchülerInnen sehen, dass sie meist Fehler eines bestimmten Typs machen, können sie außerdem beschließen, dagegen konkrete Maßnahmen zu ergreifen, z.B. ein Rechtschreibübungsprogramm am PC durchzuarbeiten, wenn sie viele Rechtschreibfehler machen. Außerdem empfiehlt es sich, eine Farbe für Korrekturen und eine andere für Bemerkungen, Lob u.ä. zu verwenden – sonst erschreckt man die SchülerInnen, die man loben wollte, noch mit zu hohen Anteilen an „Lehrerfarbe“. Weitere Anregungen zum Thema Fehler und Fehlerkorrektur finden Sie in der Fernstudieneinheit von Langenscheidt, die in mehreren Exemplaren in der Lehrbuchsammlung vorhanden ist. 33
6.4
Prüfungen
Ein weiteres Thema, das hier in der Auswahl zur Didaktik behandelt wird, ist das Thema „Prüfungen und Tests“. Prüfungen und Tests sind ein unbeliebter Teil des Unterrichts und das nicht nur, weil Prüfungen nun einmal unangenehm sind, sondern weil es auch nie wirklich gelingt, hundertprozentig objektivierbare Tests und Prüfungen zu erstellen. Dadurch erscheinen sie oft ungerecht. Prüfungen und Tests dienen dazu, Informationen über das Sprachvermögen der Lernenden zu erheben. Doch wozu geschieht das? Es gibt im Wesentlichen drei Gründe. Einerseits gibt es institutionelle Zwänge, etwa die Pflicht der Notengebung im Fremdsprachenunterricht der Schule und Universität, die Notwendigkeit von Standardisierungsverfahren für die Angabe von Sprachkenntnissen rund um die Welt (z.B. Goethe-Zertifikate), die Notwendigkeit von Einstufungen in die richtige Gruppe für Sprachunterrichtsmaßnahmen, die Pflicht zur einheitlichen Regelung der Sprachkenntnisse für den Hochschulzugang (DSH/TestDaF 34 ) u.a.m. Zweitens geben Prüfungen auch den LernerInnen Hilfen. Sie können anhand von Prüfungsergebnissen sehen, „wo sie stehen“ (besser oder schlechter als andere in der Gruppe, wie viel Prozent des Lehrstoffes sie beherrschen), wo sie Lücken haben und wo ihre Kenntnisse ausreichen, und sie können anhand von Prüfungsergebnissen sehen, ob sie in einem Kurs etwas gelernt haben oder nicht. Und drittens sind Prüfungen auch im Interesse der Lehrperson. Sie sind nicht nur ein Mittel, um die Lernenden zum verstärkten Arbeiten zu animieren, sondern geben der Lehrperson auch Orientierung. Sie kann durch die Prüfungsergebnisse sehen, ob die Lernenden das gelernt haben, was sie ihnen beibringen wollte, ob in bestimmten Bereichen bei vielen Lernenden Lücken bestehen, an denen gezielt gearbeitet werden muss, und sie können – wenn sie verschiedene Methoden benutzen – auch überprüfen, ob bestimmte Methoden bessere Ergebnisse bei ihren SchülerInnen erzielen als andere. Nun ist die Frage, was mit einem Test oder mit einer Prüfung tatsächlich überprüft werden soll. Das sollte vor der Konzeption einer Prüfung genau festgelegt werden. Im Allgemeinen gilt, dass eine Prüfung valide, reliabel und objektiv sein sollte. Valide heißt in diesem Zusammenhang, dass auch tatsächlich die Leistung gemessen und präzise erfasst werden soll, die man überprüfen möchte. Reliabel bedeutet, dass der Test zuverlässig sein muss und objektiv heißt, dass die Ergebnisse nicht von einem Korrektor anders gewertet werden können als von einem anderen. Besonders die Objektivität ist ein schwer zu erfüllendes Kriterium. Vor allem bei der Bewertung mündlicher Leistungen gehen die Einschätzungen oft weit 33 34
Kleppin, Karin, 1998. Fehler und Fehlerkorrektur. Berlin: Langenscheidt. = Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang ausländischer Studienbewerber. Mehr dazu finden Sie in Kapitel 8.2.
67
auseinander. Einen Versuch, Bewertungskriterien für eine mündliche Prüfung festzulegen, können Sie auf diesem Protokollbogen sehen. Protokollbogen für den mündlichen Prüfungsteil 35 Name:______________________________Vorname:____________________ Prüfer/Prüferin:___________________________________________________ Prüfung von__________ Uhr bis__________ Uhr Punkte Verständnis ohne Schwierigkeiten geringe Schwierigkeiten
30 25
Reaktion
Behandlung derAusdrucks- Morphologie, Aussprache Aufgabe fähigkeit Syntax
schnell, sicher
sehr ausführlich, fehlerfrei eigenständig
fehlerfrei
fehlerfrei
normal
ausführlich, vollständig
geringe Mängel
fast fehlerfrei
knapp, kurz und geringe Hilfen verzögert öfters nur erforderlich zitierend mehrfache sehr knapp und stark Hilfestellung kurz, nicht voll verzögert erforderlich erfasst
20 15
10
Missverständkaum nisse trotz kaum erfasst vorhanden Hilfen
5
unverständlich keine
6.5
nicht erfasst
geringe Mängel
einige störende Mängel, Fehler nicht störend
störende Fehler
mehrere Mängel
erheblich störende Fehler
Mängel stören Verständigung keine Verständigung möglich
mehrere Mängel
Mängel stören kaum Verständiverständlich gung keine unverständVerständilich gung möglich
Lehrmaterialanalyse
Ein weiteres Thema der Sprachdidaktik ist die Bewertung von Sprachlehrmaterial, also von Lehrbüchern, Ton- und Videokassetten und anderem speziell zum Lernen der Sprache hergestelltem oder bearbeitetem Material. Im Deutsch-als-Fremdsprache-Studium werden spezielle Seminare zur Beurteilung von Lehrmaterial angeboten und es wird ausführlich besprochen, welche Kriterien für die Beurteilung von Lehrmaterial gelten. In der Forschung scheint das Interesse an der Lehrwerksanalyse langsam wieder abzuebben, nachdem in den in den 80er und 90er Jahren ein Höhepunkt erreicht war. Für eine DaF-Lehrperson spielt das natürlich insofern keine Rolle, als dass sie unabhängig vom Interesse der Wissenschaft in der Lage sein muss, Lehrmaterial zu analysieren und zu beurteilen, ob es für ihre Lernergruppen geeignet ist.
35
Ähnliche Prüfungsbögen werden beispielsweise vom Goethe-Institut zur Prüfung zum Zertifikat Deutsch verwendet.
68
Bei der Entwicklung für Lehrmaterialien gibt es einige Schwierigkeiten. Zum einen dauert die Konzeption und Erstellung von Lehrmaterialien relativ lange, bei einem Lehrwerk normalerweise einige Jahre, so dass aktuelle inhaltliche Themen und auch neuere wissenschaftliche Erkenntnisse nicht ausreichend berücksichtigt werden können. Zum anderen versuchen Verlage, hohe Auflagen zu erzielen und bringen deshalb Lehrwerke auf den Markt, die eine möglichst breite Zielgruppe ansprechen und deshalb sehr allgemein und zeitlos gehalten sind. Dadurch wird ein Lehrwerk zwar nicht per se schlecht, doch die Möglichkeit, ein aktuelles und regional orientiertes Lehrwerk zu finden, ist schwierig, weil ein solches Lehrwerk für einen Verlag nicht rentabel ist. Für Lehrpersonen ist das Arbeiten mit Lehrwerken aus diesen Gründen oft sehr schwierig. Allerdings gibt es auch einige Gründe, die für den Einsatz eines Lehrwerkes sprechen: Das Erstellen eigener Unterrichtsmaterialien ist sehr zeitaufwändig. Lehrwerke sind zeitsparend und geben normalerweise auch eine Struktur und angemessene Progression vor, was in selbst entwickelten Materialien nicht immer gewährleistet ist. Ein weiterer Grund für das Unterrichten mit einem Lehrwerk ist auch, dass viele Institutionen es vorschreiben. Eine Lehrperson sollte übrigens ein Lehrwerk nicht nur dann beurteilen und analysieren, wenn sie die Auswahl hat und das geeignete für eine bestimmte Lernergruppe sucht, sondern auch dann, wenn schon ein Lehrwerk für einen Kurs ausgewählt wurde. Die Defizite sollten bekannt sein, um sie so gut wie möglich auszugleichen. Bei der Begutachtung von Lehrwerken werden Kriterienkataloge erstellt. Der bekannteste ist der „Stockholmer Kriterienkatalog”.36 Er ist nur ein Beispiel für einen solchen Katalog. Die wichtigsten Kriterien, die hier aufgelistet sind, können Sie in der folgenden Übersicht sehen. Sie werden auch erkennen, dass die Beurteilung von Lehrmaterial oft vage und subjektiv ist. Kein Katalog kann vollständig, objektiv und ganz zuverlässig sein. Man sollte sich der Lücken eines solchen Katalogs bewusst sein und ihn gegebenenfalls ergänzen und erweitern. Er ist jedoch insofern nützlich, als dass er hilft, Lehrmaterial einzuordnen und zu vergleichen. Nicht alle Kriterien sind gleichermaßen wichtig. Es finden sich durchaus Punkte, die je nach Lernergruppe, Zielsetzung und den Kontext, in dem der Unterricht stattfindet, keine Rolle spielen.
Folgende Kriterien sollten bei der Beurteilung eines Lehrwerks berücksichtigt werden:
Aufbau
• • • •
Welche Elemente sind vorhanden?
• • • •
36
Textteil Arbeitsteil (Arbeitsbuch) Grammatikteil Wörterverzeichnis mit phonetischen Angaben CD oder Kassette evtl. Zusatzmaterial (Lehrerhandbuch, Lösungen) Material zum Selbststudium Übungen und Zusatztexte im Internet
vgl. Krumm, Hans-Jürgen, 1994. „Stockholmer Kriterienkatalog.” in: Kast, Bernd/Neuner, Gerhard (Hrsg.), 1994. Zur Analyse, Begutachtung und Entwicklung von Lehrwerken für den fremdsprachlichen Deutschunterricht. Berlin, 100-105.
69
• Layout
nicht zu viele Informationen auf einer Seite • Hervorhebung von wichtigen Informationen
Übersichtlichkeit
• • •
Themen und Texte
• •
Inhalt
• Authenzität
•
Anforderungen an Bilder
Curriculum
• Übereinstimmung mit dem • Lehrplan •
Lernziele und Lernfortschritte Progression
•
Angemessenheit für die Lernergruppe
•
Korrektheit von Texte und Informationen abwechslungsreich Einbringen der eigenen Ansichten und Erfahrungen der Lernenden in den Lernprozess Kultur, Literatur und Geschichte evtl. Fachwissen/Fachsprache für diejeweilige Lernergruppe Authenzität von Texten, Bildern und Charakteren, wenn sie nicht explizit fiktional sind Vermittlung eines Stücks deutscher Alltagskultur durch authentische Texte, Bilder und Charaktere Passen die Bilder zu den Texten? Wird der zu lernende Stoff vermittelt? Werden die Lernenden auf tatsächliche bevorstehende Prüfungen vorbereitet? Sind Lernziele und Lernfortschritte erkennbar? Stellen Texte und Übungen weder eine Unter- noch eine Überforderung dar?
Erklärungen
• Sind die Grammatikphänomene inhaltlich angemessen und begreiflich erklärt? • Liegt der Schwerpunkt der Erklärungen auf den Regeln oder auf den Ausnahmen? • Werden für die Erklärungen bekannte und verständliche Begriffe gewählt? • Werden die Erklärungen durch Vereinfachung falsch oder sind sie unnötig kompliziert?
Progression der Übungen
•
Grammatik
70
Ist die Progression der Lernergruppe angemessen steil oder flach?
•
Gibt es eine „konzentrische Progression“, d.h. das Wiederholen und Vertiefen grammatischer Themen? • Sind Grammatikübungen mit dem Text verbunden und bilden sie auch thematisch eine Einheit?
Einbindung
• •
Anzahl
Gibt es genügend Übungen? Gibt es eine angemessene Steigerung des Schwierigkeitsgrads? • Gibt es verschiedene Aufgabentypen? • Gibt es neben sehr schematischen Übungen auch kreative Aufgaben? • Werden alle vier Grundfertigkeiten (Lesen, Schreiben, Hören und Sprechen) ausreichend geübt?
Progression Übungen
Abwechslung
vier Grundfertigkeiten
• • Standardsprache und sprachliche Vielfalt
•
• Sprache
Textsorten •
Authenzität
•
Schwierigkeit
• •
Wortschatz
•
selbstgesteuertes Lernen
•
Wird die deutsche Standardsprache verwendet? Wird sowohl die gesprochene Sprache als auch die Schriftsprache berücksichtigt? Wird eine möglichst große sprachliche Vielfalt vorgestellt (umgangssprachliche und fachsprachliche Elemente, literarische Sprache, Jugendsprache)? Ist eine Vielfalt von Textsorten vorhanden (Dialoge, erzählende Texte, Sach- und Fachtexte oder Zeitungsartikel)? Entspricht die Sprache dem tatsächlichen Sprachgebrauch? Entspricht der Schwierigkeitsgrad der Sprache dem Niveau der Lernenden? Wird neues Vokabular vorentlastet und erklärt? Wird der für eine bestimmte Niveaustufe vorausgesetzte Wortschatz abgedeckt? Kommen wenig frequente Wörter möglichst selten vor?
Gibt ist Aufgaben, bei denen verschiedene Lerntechniken und – strategien • Gibt es Anleitungen zum selbstgesteuerten Weiterlernen?
das Lernen lernen Aufgaben
71
6.6
Verschiedene Lehrmethoden
Unter einer Lehrmethode versteht man Handlungsanweisungen, die die Lehrperson bei Entscheidungen über die Unterrichtsplanung und -durchführung berücksichtigt. Die Anweisungen sind mehr oder weniger konkret und umfassen in der Regel Lehrziele, ein Lehrkonzept, verschiedene Lehrprinzipien, die Übungsformen dazu und evtl. auch exemplarisches Lehrmaterial. Oft dominierte eine bestimmte Methode den Fremdsprachenunterricht für einige Zeit, was natürlich nicht bedeutet, dass sie nur in dieser Zeit benutzt wurde. Die zeitlich erste Methode ist die Grammatik-Übersetzungsmethode, die bis in die 1950er Jahre die vorherrschende Lehrmethode war, auch wenn man schon über Alternativen nachdachte. Diese Methode findet in Deutschland heute vor allem im Latein- und Altgriechischunterricht noch Anwendung, während sie im asiatischen Raum auch für moderne Fremdsprachen weiter verbreitet ist. Kommunikation und Sprachgefühl stehen bei dieser Methode im Hintergrund, was zählt, sind Wortschatz- und Grammatikkenntnisse. Die Muttersprache dient immer als Bezugs- und Nachschlagesystem. Der Schriftsprache kommt eine größere Bedeutung zu als der gesprochenen Sprache und auch die Materialien sind oft sehr textlastig und nicht authentisch, weil sie bestimmte grammatische Phänomene enthalten müssen. Oft basiert der Unterricht auf einem Lehrwerk, von dem nur wenig abgewichen wird, bei Fortgeschrittenen auf literarischen oder kulturell bedeutenden Texten. Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert entwickelte man als Reaktion auf die GrammatikÜbersetzungsmethode die direkte/natürliche Methode, bei deren Entwicklung vor allem der Pädagoge Viëtor eine entscheidende Rolle spielte. Es dauerte jedoch einige Zeit, bis diese Methode an Bedeutung gewann. Viele Elemente der Grammatik-Übersetzungsmethode werden hier umgekehrt. Der mündliche Ausdruck ist wichtiger als der schriftliche, die Muttersprache ist in dieser Methode tabu und Grammatik wird nicht explizit erklärt, sondern induktiv gelehrt, das heißt aus Texten abgeleitet. An die Stelle von konstruierten Texten treten Dialoge im Kommunikationsstil. Insgesamt verliert Textarbeit an Bedeutung und mehr Bildmaterial wird verwendet. Der deutschstämmige US-Amerikaner Berlitz entwickelte die Methode weiter, daher ist die Methode auch als "Berlitz-Methode" bekannt. Ähnlichkeiten mit der Berlitz-Methode weist die audiolinguale Methode auf, die zwischen 1960 und 1970 besonders in den USA verbreitet war. Diese Methode ist gekennzeichnet durch das Arbeiten im Sprachlabor und die sogenannten "pattern drills", sehr schematische Einschleifübungen. Das Prinzip der Einsprachigkeit bleibt erhalten, auch wird die gesprochene Sprache über die Schriftsprache gestellt und auch in dieser Reihenfolge vermittelt. Die jeweilige rezeptive Fähigkeit wird vor der produktiven Fähigkeit gelernt, also das Hören vor dem Sprechen und das Lesen vor dem Schreiben Auch die audiovisuelle Methode weist viele Ähnlichkeiten zur direkten Methode auf. Sie wurde in Frankreich entwickelt und setzte sich auch dort am stärksten durch. In dieser Methode werden auditiver Input und Bilder kombiniert, besonders Tonbandaufnahmen und Dias, um so das Sprechen vorzubereiten. In der audiovisuellen Methode wurde zum ersten Mal ein Grundwortschatz von Wörtern, die unbedingt zu lernen sind, aufgestellt, das sogenannte FRANÇAIS FONDAMENTAL. Im Gegensatz zu der direkten und zur audiolingualen Methode gibt es in der audiovisuellen Methode allerdings explizite Grammatikerklärungen.
72
Gemeinsam ist diesen drei Methoden die Abkehr von vorwiegend kognitivem Lernen und das Betonen von Einschleifübungen. Sprachunterricht ist nach der Auffassung dieser Methoden vor allem das Gewöhnen an sprachliches Verhalten, in der Fachterminologie „das Habitualisieren“ von sprachlichem Verhalten, das sicherstellen sollte, dass ohne Kenntnis der Regeln richtig gesprochen wurde, wie das beim Sprechen der Muttersprache üblich ist. Als Gegenbewegung zu dieser Art von Sprachunterricht rückten kognitive Tendenzen wieder in den Mittelpunkt, was in den kommunikativen Ansatz mündete. Kennzeichen des kommunikativen Ansatzes ist, auch im Sprachunterricht so gut wie möglich natürliche Kommunikation zu erzielen, eine „natürliche“, zweckgebundene Verwendung der Zielsprache im Unterricht. Kommunikation ist gleichzeitig Lernziel und Lernverfahren. Typisch für den kommunikativen Ansatz ist auch ein stark strukturiertes Übungsmuster, in dem auf rezeptive Übungen reproduktive Übungen folgen, auf diese wiederum produktive Übungen und schließlich sollte freies Sprechen in kreativen Übungen ermöglicht werden. Heutzutage gibt es noch stärker differenzierte Übungstypologien für den kommunikativen Fremdsprachenunterricht, z.B. die Übungstypologie von Neuner für den kommunikativen Fremdsprachenunterricht und die noch differenziertere von Häussermann und Piepho. Natürlich hat dieser Ansatz deutliche Vorteile, besonders mit dem Lernziel der „kommunikativen Kompetenz“. Es besteht allerdings auch die Gefahr der Vernachlässigung anderer Aspekte wie etwa der schriftlichen Ausdrucksfähigkeit. Seit der zweiten Hälfte der 1980er Jahre entwickelt sich aus dem kommunikativen Ansatz der interkulturelle Ansatz, der ebenfalls verstärkt kognitiv ausgerichtet ist. Hier gewinnt die fremdperspektivische Herangehensweise an Bedeutung, die ethnozentrische Sichtweise soll überwunden werden. Man nähert sich der fremden Kultur und Sprache, indem man von eigenkulturellen Lebenserfahrungen und Sichtweisen ausgeht. Während im kommunikativen Ansatz die Alltagsorientierung deutlich erkennbar ist, werden im interkulturellen Ansatz auch fiktionale Texte einbezogen, da sie – wie in Kapitel 4 bereits erwähnt – einen neuen und anderen Zugang zur fremden Kultur bieten können. Neben diesen bekannten Methoden gibt es einige sogenannte „alternative“ Methoden 37 , was sehr unterschiedliche Methoden und Ansätze zusammenfasst. Die meisten von ihnen entstanden in den 1970er und 1980er Jahren in den USA. Zu diesen Methoden gehört auch die Suggestopädie, die in ihrer kommerziell genutzten Variante auch „Superlearning“ genannt wird. Kennzeichnend für diese Methode ist, dass die Lernenden den Lehrstoff in tiefer Entspannung aufnehmen sollen, was zu einem stressfreien Lernen und dadurch zum Aufheben von Lernblockaden führen soll. Der Ruf dieser Methode als Wundermittel hat sich zwar nicht in der Praxis bestätigen lassen. In unterschiedlichen Versuchen hat sich jedoch gezeigt, dass zumindest Vokabeln auf diese Weise ebenso gut gelernt werden können wie mit einer anderen Methode.38 Eine weitere alternative Lehrmethode nennt sich „Total Physical Response“. Diese Lehrmethode, die den natürlichen Spracherwerb des Kindes nachahmen möchte, besteht darin, dass die Schüler zu Beginn des Lernens der Fremdsprache sehr lange schweigen und nur Befehlen des Lehrers gehorchen, der an der Ausführung seiner Befehle in der zu lernenden Sprache sehen kann, ob die Lernenden ihn verstanden haben.
37 38
Weitere Informationen dazu finden Sie in dem Ordner „Methoden des DaF-Unterrichts“, der in der Germanistikbibliothek steht. vgl. Kalka, Katarzyna, 2002. Effizienz verschiedener Lehrmethoden zur Wortschatzvermittlung. Marburg: Tectum-Verlag.
73
Eine völlig andere Form der alternativen Lehrmethoden ist die an der Reformpädagogik orientierte Form des Fremdsprachenunterrichts: die Freinet-Pädadgogik. Diese auf den Lehrer Freinet zurückgehende Methode möchten Dinge vermitteln, die über die vorgesehenen Lerninhalte hinausgehen, wie etwa die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch kreative Aufgaben, die kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt, die Selbstverantwortlichkeit des Kindes sowie Kooperation und gegenseitige Verantwortlichkeit. 39 Die Lehrperson versteht sich als Erzieher, nicht als reiner Sprachenlehrer. Diese Methode ist besonders in Konzepten für die Grundschule vertreten. Natürlich haben die Erfinder oder die Anhänger einer bestimmten Methode damit auch immer – so ihre Veröffentlichungen – besonders gute Erfolge aufzuweisen. So gibt es z.B. zahlreiche Veröffentlichungenn von Suggestopäden, u.a. dem Erfinder der Methode, Lozanov, selbst, über erstaunliche Erfolge seiner Methode, die allerdings keiner Überprüfung standhalten konnten. 40 Kein Lehrer kann gut mit einer Methode unterrichten, die ihm selbst nicht „liegt“. Und es gibt sicher nicht die ideale Lehrmethode. Für Zweck A und Person X eignet sich vielleicht Methode M, für Person Y und Zweck B Methode N usw. Es kann also durchaus sinnvoll sein, mit verschiedenen Methoden zu arbeiten, um verschiedenen Ansprüchen, Rahmenbedingungen und Lernertypen gerecht zu werden.
39 40
vgl. http://freinet.paed.com/freinet/fpaed.php vgl. Baur, Rupprecht, 1990. Superlearning und Suggestopädie. Grundlagen – Anwendung – Kritik – Perspektiven. Berlin/München: Langenscheidt, 73-92.
74
7
Typische Themen im DaF-Unterricht
7.1
Wortschatzvermittlung
In der Literatur wird oft zwischen „Vokabellernen“, „Wortschatzerwerb“, „Wortschatz- bzw. Vokabelvermittlung“ unterschieden. Das Vokabellernen ist vom Lerner selbst gesteuert, wie zum Beispiel das Wiederholen von Vokabeln zu Hause. Der Wortschatzerwerb ist ungesteuert. Es handelt sich um Vokabeln, die man beispielsweise in einer natürlichen Kommunikationssituation oder beim Lesen „aufschnappt“ und die man nicht bewusst lernt. Die Wortschatzvermittlung, um die es hier geht, ist fremdgesteuert, wie etwa die Vermittlung von neuem Wortschatz durch die Lehrperson im Unterricht. Bei der Wortschatzvermittlung geht es um zwei ganz unterschiedliche Fragen, die beide sowohl linguistischer Forschung als auch Sprachlehrforschung bedürfen, nämlich „Welche Vokabeln vermittle ich?“ und „Wie vermittle ich sie?“
7.1.1 Auswahl der Vokabeln Zur Beantwortung der ersten Frage liefern verschiedene von Linguisten erstellte Listen zur Häufigkeit des Vorkommens bestimmter Wörter (meist in schriftlichen Texten) wichtige Anhaltspunkte. Was allerdings noch sehr lückenhaft dokumentiert ist, ist das Vokabular des gesprochenen Deutsch, vor allem in verschiedenen beruflich zu führenden Gesprächen. Ein großer Teil der Personen, die Deutsch als Fremdsprache lernen, lernt diese Sprache bekanntlich nicht als Bildungsgut, sondern für berufliche oder private Zwecke, so dass sie nur sehr begrenzt an dem besser dokumentierten Vokabular aus Zeitungs- oder literarischen Texten interessiert sind. Es gibt also einen großen Bedarf an der empirischen Erfassung von Wortschatz, der in bestimmten beruflichen Situationen, vor allen Dingen auch mündlichen, vorkommt. Die Auswahl des Vokabulars kann aber auch dann nicht nach rein statistischen Kriterien geschehen, wenn man ein dem Unterrichtsziel angemessenes Korpus 41 ausgewertet hat, weil zu sprachstatistischen auch didaktische Überlegungen hinzutreten. So hat es z.B. keinen Sinn, sich vorzunehmen „Wir vermitteln zunächst einmal die 2000 häufigsten Wörter des Deutschen“, denn man muss auf jeden Fall berücksichtigen, dass mit dem zu lernenden Vokabular auch Sätze gebildet werden können müssen. Wenn z.B. rauchen zu den häufigsten 2000 Wörtern gehört, Zigarette und Pfeife aber nicht, so wird man trotzdem eins der beiden in die Liste der zu lernenden Wörter aufnehmen müssen, damit der übliche Satzrahmen für dieses Verb gefüllt ist. Auch eine didaktische Überlegung ist es, nicht gleich zu viele unregelmäßige Verben einzuführen. Unter den frequentesten Verben sind allerdings besonders viele unregelmäßige, mit denen man aus didaktischen Gründen nicht gleich anfangen will. Deshalb werden oft zuerst regelmäßige Verben eingeführt, bevor frequentere, aber unregelmäßige Verben gelernt werden. Für die Lernenden ist es wichtig, dass die Lehrperson die Relevanz der zu lernenden Vokabeln verdeutlicht, besonders wenn es sich um einen Text handelt, der nicht eigens für Lernende auf einem bestimmten Niveau konstruiert wurde. Hier kommen Vokabeln vor, die gelernt werden sollten, aber auch solche, die nur für das Verständnis des vorliegenden Textes notwendig sind, die aber sonst nicht als relevant eingestuft werden. Bei den „wichtigeren“ 41
Eine repräsentativ zusammengestellte Textsammlung.
75
Vokabeln unterscheidet man zwischen „produktivem“ Wortschatz, also Wortschatz, den die Lernenden auch anwenden können sollen und „rezeptivem“ Wortschatz, der solche Vokabeln enthält, die die Lernenden nicht verwenden müssen, aber verstehen sollten. Die Aufgabe der Lehrperson ist es, den Lernenden deutlich zu machen, welche Vokabeln sie lernen müssen und welche beispielsweise nur für das Verstehen des behandelten Textes nötig sind.
7.1.2 Vokabelvermittlung Die zweite Frage, die Frage nach dem „wie“ ist auch ausgesprochen wichtig für den Fremdsprachenunterricht. Wenn man dem Lernenden keine Hilfestellungen zum Behalten der Vokabeln bietet, wird ein Teil der vermittelten Vokabeln sehr schnell wieder vergessen. Eine naheliegende Lösung dazu wäre, die Vermittlung der Vokabeln so anzulegen, dass sie der angestrebten endgültigen Speicherung so gut wie möglich entgegenkommt, ihr auf jeden Fall nicht entgegenarbeitet. Nun gibt es zu diesem Thema durchaus schon einiges an psycholinguistischer Grundlagenforschung, die für den Fremdsprachenunterricht wichtige Ergebnisse haben könnte, z.B. über den Aufbau des bilingualen mentalen Lexikons. Kater Katze Tatze
katzig Katze katschen "FORM"
GRAPHEM INPUT/OUTPUT
Phonem-GraphemUmsetzungsregel
Hund Katze Haustier Haupteintrag SEMANTIK SYNTAX (TEILE DER) MORPHOLOGIE
KONZEPT
76
PHONEM INPUT/OUTPUT
"LEMMA"
Unsere „Wörter im Kopf” sind ganz anders angeordnet, als die Wörter in einem gedruckten Lexikon. In der Psycholinguistik wird seit vielen Jahren u.a. danach geforscht, wie ein „Lexikoneintrag in unserem Kopf” aufgebaut ist und wie Lexikoneinträge aus mehreren Sprachen in unserem mentalen Lexikon miteinander verbunden sind. Wir gehen davon aus, dass zunächst einmal ein übersprachliches (das würde heißen, ein nicht-einzelsprachliches und mit großer Wahrscheinlichkeit auch nicht-sprachliches) Konzept besteht, das individuell durchaus verschieden sein kann. Daneben bestehen mindestens zwei einzelsprachlich verschiedene Komponenten: Ein Kerneintrag, der Informationen über Semantik, Syntax und möglicherweise Morphologie des jeweiligen Wortes enthält – der wird für die Sprachproduktion in dieser Anordnung gebraucht – und mindestens eine weitere Komponente, in der die Wörter nicht wie beim Kerneintrag nach semantischer, sondern nach phonologischer bzw. graphemischer Nähe geordnet sind, wie es für die Sprachrezeption erforderlich ist. Zwischen beiden Komponenten können Verbindungen der Lexikoneintragsteile aus mehreren Sprachen bestehen und die Art dieser Verbindungen kann sich im Laufe des Erwerbs einer Fremdsprache ändern. Leider sind häufig in recht verschieden angelegten Experimenten sehr widersprüchliche Ergebnisse erzielt worden, so dass die Erkenntnisse der Psycholinguisten bislang nur in begrenztem Maße in die Fremdsprachendidaktik aufgenommen wurden. Prinzipiell unterscheidet man fünf verschiedene Typen von Verbindungen zwischen Einzelwörtern.
1 Koordinationen
Salz + Pfeffer
2 Kollokationen
Salz streuen Vogel
3 Subordinationen Spatz
Ente
Adler
4 Synonyme
berichtigen = korrigieren
5 Antonyme
gut – böse
Eule
nach Müller 1998, 13
In diesen Verbindungen kommen Vokabeln im mentalen Lexikon vor. Deshalb wird auch im Fremdsprachenunterricht immer wieder darauf zurückgegriffen. Neben diesen genannten Verbindungen, die auf der Bedeutung oder dem Gebrauch beruhen, gibt es morphologische Verbindungen zwischen Wörtern, die von einander abgeleitet sind. Eine Möglichkeit zur Förderung der Vernetzung von Vokabeln sind zweisprachige Vokabelgleichungen, wie etwa „Tisch – table“. Diese Form der Vokabelpräsentation wurde und wird sehr kontrovers diskutiert, da ein Wort in der Fremdsprache nicht oft genau eine Entsprechung in der Muttersprache hat. Der Hahn ist nicht nur der rooster, sondern auch tap, der Wasserhahn. Zweisprachige Vokabelgleichungen lassen außerdem außer Acht, dass Wörter eine Bedeutung haben, die über die denotative Wortbedeutung hinausgeht. Unter der denotativen Wortbedeutung versteht man die wörtliche Bedeutung, also das Wissen, dass ein Tisch ein Möbelstück mit einem oder mehreren Beinen und einer waagerechten Platte ist oder dass eine Familie aus Eltern und Kindern besteht. Die weitergehende Bedeutung von Vokabeln ergibt sich aus dem kulturellen Kontext. Eine Familie umfasst in vielen Ländern nicht nur die Eltern und die 77
durchschnittlich 1,4 Kinder in einer deutschen Familie. Auch ein Tisch hat in Ländern, in denen beispielsweise das Essen auf dem Fußboden serviert wird, eine völlig andere Bedeutung. Weil sie diese Besonderheiten nicht einbeziehen, können zweisprachige Vokabelgleichungen deshalb nicht mehr als ein Einstieg sein, der die denotative Wortbedeutung erklärt. Darüber hinaus ist es allerdings notwendig, Polysemie (wie beim Hahn als Vogel und als Wasserhahn) oder semantische Vagheit (wie bei sehen als look und als see) und wo nötig auch eine kulturbezogene Bedeutungserklärung einzubeziehen und eine Abgrenzung von der Muttersprache zu erreichen. Die Didaktik beschäftigt sich nun mit der Frage, was zu tun ist, damit Vokabeln so gut wie möglich gelernt werden können. Dies beinhaltet sowohl das Verstehen der Wortbedeutung als auch die Behaltensleistung. Deshalb besteht die Wortschatzvermittlung aus zwei Phasen, der sogenannten Darbietungsphase und der Übungs- und Wiederholungsphase.
Die Darbietungsphase In der Darbietungsphase müssen folgende Merkmale eines Wortes vermittelt werden: die Lautgestalt, die Schreibung, die Morphologie und das Genus sowie syntaktische Eigenschaften wie Valenz und die Bedeutung. Die Art der Darbietung und auch der Bedeutungsvermittlung ist dabei recht verschieden. Man unterscheidet zwischen drei verschiedenen Verfahren der Bedeutungsvermittlung, denen jeweils verschiedene Vorgehensweisen zugeordnet werden können. Hier finden Sie eine kurze Übersicht: ¾ nicht-sprachliche Erklärungsversuche o z.B. Bilder (Diese Form der Bedeutungsvermittlung stößt besonders bei Abstrakta an ihre Grenzen, wie später erläutert wird.) ¾ einsprachige Verfahren (Erklärung durch Kontext) o paradigmatische Beziehungen nutzen Synonyme (einwandfrei – fehlerlos) Antonyme (Tag – Nacht, hell – dunkel) Wortbildungskenntnisse (Sinn – sinnvoll, Kosten – kostenlos) Reihen (Januar, Februar, März, ...) o Bedeutungserklärungen, die logisch-begriffliche Beziehungen nutzen Hierarchisierung (Tische und Stühle sind Möbel) Analogieschlüsse (Der Journalist schreibt eine Reportage. Der Schriftsteller schreibt einen Roman.) Gleichungen (ein Dutzend = 12 Stück) o Umschreibende Bedeutungserklärungen Definitionen Beispielsätze (Großstadt: London und Kairo sind Großstädte.) Paraphrasen (bunt: hat mehrere Farben) ¾ Zweisprachige Verfahren o Übersetzung (Tisch = table) o Wortähnlichkeiten zwischen Mutter- und Fremdsprache (akustisch oder grafisch) (Schuh = shoe) o Wortähnlichkeit zwischen erster und zweiter Fremdsprache o Internationalismen (Minute, Musik) nach Bohn 1999, 59 ff.
78
Vokabeln können in unterschiedlichen Formen und Kontexten vorkommen. Es gibt: (a) die Darbietung in Form von zu lernenden Vokabellisten: Diese Vokabellisten sind meist nach Sachgruppen (z.B. „Restaurant”, „Sport”) geordnet, meist enthalten sie die zu lernende Vokabel, die Entsprechung in der Muttersprache und einen möglichst treffenden Beispielsatz, in dem die Vokabel vorkommt. Dieses Verfahren findet sich besonders häufig in Wortschatzerweiterungslehrmaterial für das Selbststudium. (b) die Darbietung in zusammenhängenden Kontexten: Diese Art der Darbietung ist die klassischste für den Unterricht, Vokabeln werden in Texten dargeboten. In der kommunikativen Methode möchte man, dass diese Texte authentisch, d.h. nicht zum Zwecke der Vokabelvermittlung geschrieben sind. Ein Nachteil dieses Verfahrens ist, dass die Einführung der Vokabel u.U. in einem völlig untypischen Kontext erfolgt, in dem sie zufällig im jeweiligen authentischen Text auftaucht. (c) die Darbietung in kognitiv orientierten speziellen Verfahren, die Darbietung und Übung kombinieren. Einige dieser Verfahren sind in der Übersicht auf der vorigen Seite aufgelistet. Hier werden einige noch etwas ausführlicher dargestellt.
Verfahren, die den tatsächlichen Wortschatz durch das systematische Vermitteln von Ableitungsregeln erhöhen. Das geschieht in Reihen, in denen jeweils zu bekannten Wörtern gezeigt wird, welche neuen Wörter man daraus mit Hilfe von Ableitungselementen an bilden kann, z.B. lernen
lernbar
unlernbar
(Unlernbarkeit)
essen
essbar
(unessbar)
(Unessbarkeit)
Die letzten beiden Wörter zeigen hier Nutzen und Grenzen des Verfahrens: jeder Deutschsprachige versteht sie, würde sie aber nicht gebrauchen, sondern ungenießbar bzw. Ungenießbarkeit. Verfahren kontrastiver Wortbetrachtung im Fremdsprachenunterricht, bei denen ähnliche Wörter aus verschiedenen dem Lernenden bekannten Sprachen in Bezug gesetzt werden (z.B. Wörter aus dem Lateinischen in verschiedenen Sprachen, wobei auch die Bedeutungsdifferenzen besprochen werden). Verfahren, in denen die Bedeutung aus dem Kontext erraten werden soll. Diese Technik kann man üben und sie hilft einerseits Texte zu verstehen und andererseits beim Einprägen von Vokabular (was man selbst entdeckt hat, behält man besser). Dabei muss allerdings von der Lehrperson sichergestellt werden, dass der Kontext die nötige Hilfe bietet richtig zu raten, notfalls müssen Zusatzinformationen gegeben werden. Kognitive Wortschatzübungen. Hier werden Wörter in speziellen Kontexten gelernt, die der mentalen Organisation des Wortschatzes nahe kommen sollen. Die Präsentation geschieht in Wortfamilien (Kuh, Kalb, Ochse, Stier, Rind), Wortableitungsklassen, Synonymen (Wörtern mit gleicher Bedeutung wie Samstag und Sonnabend) und Antonymen (Wörtern mit gegensätzlicher Bedeutung wie heiß und kalt). Einen guten Überblick über verschiedene nach diesem Verfahren angelegte Übungen bietet Rohrer 1985. Ein besonders originelles Verfahren der Darbietung ist die sogenannte Schlüsselwortmethode, die hier stellvertretend für andere Memorierungstechniken etwas ausführlicher vorgestellt werden soll. Hier wird ein Verfahren adaptiert, das man aus der Beobachtung von
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Gedächtniskünstlern kannte: eine arbiträre (d.h. willkürlich festgelegte) Verbindung von Wörtern oder Zahlen wird durch ein Bild gestützt.
Ott et al. 1973, 199
Das obige Bild soll englischsprachigen Schülern helfen, sich das deutsche Wort „Ei“ zu merken. Dargestellt wird ein Ei als die Bedeutung, die zu lernen ist (im Englischen also „egg“), in dem sich ein Auge, also eine englische Entsprechung („eye“) des zu lernenden Lautbilds, befindet. Natürlich könnte man aus diesem Bild genauso gut schließen, „eye, also „Auge, hieße auf Deutsch „egg“, denn welches der beiden Bildbestandteile das Lautbild und welches die Bedeutung symbolisiert, ist nicht festgelegt. Hier wird tatsächlich eine Verbindung benutzt, die – wie sich in letzter Zeit in psycholinguistischen Untersuchungen herausgestellt hat – in der mentalen Repräsentation von Mehrsprachigkeit eine Rolle spielt: die Verbindung zwischen Wörtern zweier Sprachen, die ein ähnliches Lautbild haben, also eine Verbindung zwischen den In- und Outputkomponenten der Lexikoneinträge. Wenn solche Wörter verschiedene Bedeutungen haben, werden sie von den Fremdsprachendidaktikern „falsche Freunde“ genannt. Meist geht man davon aus, dass man solche Verbindungen im Unterricht nicht stützen sollte.
Atkinson 1975, 822
Die obigen Beispiele sollen Englischsprachigen helfen, Spanisch zu lernen. Hier zeigen sich schon deutlich Grenzen des Verfahrens. Da, wo keine „falschen Freunde“ vorliegen, ist die Merkhilfe, die die Bilder geben, nämlich noch geringer, denn hier stützt das Bild nur einzelne Teile des Worts. Zudem führt die nur ungefähre Annäherung bei den Lauten u.U. zu Fehlern in der Aussprache, wie hier bei /caballo/, wo für den /lj/-Laut natürlich kein Beispiel aus dem Englischen gefunden werden konnte.
80
Diese Bilder würden, wenn sie denn Eingang ins mentale Lexikon finden, zusätzlich zu den ohnehin beim Lexikoneintrag gespeicherten bildlichen Vorstellungen aufgebaut werden müssen. Die Ente ist ja so nicht mehr erkennbar, die mentale Repräsentation dafür (einfach nur für die Zuordnung der Schriftbilder beider Wörter) stellen sich Psycholinguisten etwa so wie in der Abbildung oben vor. Der gestrichelte Pfeil stellt die Vernetzung bei Anfängern dar, der durchgezogene bei fortgeschrittenen Lernern. Die Gedächtnisstütze durch Bilder für Lautbild und Bedeutung, deren Effekte uneinheitlich beschrieben werden (in Experimenten mit ca. 20 Vokabeln gab es bessere Behaltensleistungen, in Unterrichtsversuchen war das Resultat nicht einheitlich), ist keineswegs bei allen zu lernenden Vokabeln leicht anwendbar (z.B. bei Abstrakta wie „Hoffnung” ist die Bedeutung schwer zu zeichnen, wenn man kein einheitliches Symbol findet) und entspricht sicher nicht der mentalen Repräsentation. Eine Methode, die näher an der mentalen Repräsentation bleibt, könnte wahrscheinlich größere Behaltensleistungen bewirken. Trotzdem hilft die Schlüsselwortmethode vielen Lernern bei Wörtern, die sie sich anders nicht merken können. Anhand des Beispiels der Schlüsselwortmethode haben Sie gesehen, wie vielfältig die Arten der Darbietungsformen sind. Natürlich ist die Art der Darbietung der neuen Vokabeln auch methodenabhängig. Neurolinguistic Programming (NLP) beinhaltet eine andere Form der Darbietung als die Grammatik-Übersetzungmethode, und die Suggestopädie bevorzugt eine wiederum völlig andere Vorgehensweise.
Die Übungs- und Wiederholungsphase Einen wesentlichen Einfluss auf die Behaltensleistungen hat nicht nur die Präsentation, sondern auch die anschließende Übung und Wiederholung. Auf die Darbietungsphase sollte unbedingt eine Phase folgen, in der die neuen Vokabeln wiederholt und angewandt werden. Beispielsweise können aus den Vokabeln Sätze gebildet werden. So wird oft sehr schnell deutlich, dass es keine 1:1-Entsprechung zwischen dem fremdsprachlichen Wort und einem Wort in der Muttersprache gibt. Auch zu späteren Zeitpunkten muss der neue Wortschatz wiederholt werden. Leider gibt es bisher keine zuverlässigen Untersuchungen, aus denen sich die idealen Wiederholungszeiträume ergeben. In der Praxis wird die Wiederholung und Übung des Wortschatzes aus Zeitgründen leider sehr oft vollständig aus dem Unterricht ausgelagert. Natürlich bleibt im Fremdsprachenunterricht nicht genügend Zeit, um den Wortschatz immer wieder zu wiederholen, eine komplette Auslagerung ist aber nicht wünschenswert. Typische Verfahren, mit denen die Lernenden sich die gelernten Vokabeln weiter einprägen, sind das Ordnen von Vokabeln in Paare oder Gruppen (Synonyme, Antonyme, Oberbegriffe, Unterbegriffe u.a.) und das Führen einer Vokabelkartei. 81
Manche Didaktiker betonen, dass neben der Darbietung und der Wiederholung bzw. Übung auch noch eine dritte Phase erforderlich sei, nämlich eine Phase, in der ein höheres Niveau bei der Anwendung der gelernten Vokabel erreicht werden soll. In dieser sogenannten Integrierungsphase sollen z.B. von der muttersprachlichen Entsprechung abweichende Konnotationen gelernt werden, auch häufige Kollokationen u.ä., es soll also daran gearbeitet werden, den Gebrauch der Vokabel an den der Zielsprachen-Muttersprachler anzugleichen. De facto gibt es aber selten im Unterricht eine solche Phase, und wenn, dann nur für einige Vokabeln.
7.1.3 Effektivität von Wortschatzvermittlungsmethoden Bei der Vielzahl an Methoden der Wortschatzvermittlung stellt sich die Frage, welche die effektivste ist. Leider sind wir weit davon entfernt, diese Frage beantworten zu können, es spielen wieder einmal ganz viele Faktoren eine Rolle und es hängt davon ab, was wir genau erreichen wollen. Bei der Wortschatzvermittlung wird unterschieden zwischen den Vokabeln, die nur erkannt werden müssen, wenn sie auftauchen (passiver Wortschatz) und den Vokabeln, die auch produziert werden müssen (aktiver Wortschatz). Der Beginn des Vokabellernens ist meist die Aufnahme eines Wortes in den passiven Wortschatz. Die Erweiterung des passiven Wortschatzes ist einfacher als die des aktiven Wortschatzes und sie ist auch einfacher zu überprüfen, denn hier muss ja nur überprüft werden, ob ein Wort erkannt wird. Wenn man mit Vokabelgleichungen arbeitet, ist es ebenfalls relativ einfach zu überprüfen, ob ein Wort in von der Fremdsprache in die Muttersprache oder auch umgekehrt übersetzt werden kann. Ob es dann auch tatsächlich korrekt verwendet wird, ist hingegen schwieriger zu überprüfen. Insofern ist die Effizienzmessung für die Vermittlung von Wortschatz ein schwieriges Unterfangen. Bei der Wortschatzvermittlung gibt es in jedem Fall eine Präsentation der zu erlernenden Wörter, anschließend ist eine Art der Wiederholung nötig (manchmal ist sie in einer Unterrichtsmethode eingeplant, manchmal dem Lernenden allein überlassen). Die Einführungsmethode und die Art der Wiederholung sorgen zusammen für die Behaltensleistungen. Das heißt, es können auch verschiedene Kombinationen von unterschiedlicher Art der Präsentation und der anschließenden Übung vorkommen. Dieser Bereich ist leider noch nicht ausreichend erforscht. So muss genauer untersucht werden, wie die Vokabeln eingeführt werden müssen. Es gibt z.B. keine gesicherten empirischen Befunde darüber, wie die zu lernenden Vokabeln in Kontextualisierungen vorgegeben werden müssen, damit sie besonders gut memoriert werden. Hier werden teils syntaktische, teils semantische Kriterien angegeben, die manchmal, aber keineswegs immer, zu denselben Ergebnissen führen, also etwa „Das zu lernende Wort muss das Subjekt des Satzes sein”, „Das zu lernende Wort muss in der TopicPosition (1. Position im Satz) stehen”, „Das zu lernende Wort muss das Agens (= Handelnder) sein” im jeweiligen Beispielsatz. Eine weitere Frage, mit der sich die Sprachlehrforschung beschäftigt, ist die Frage, wie oft und wann Vokabeln wiederholt werden müssen, damit sie länger behalten werden. Hier sind einige Werte für die Wiederholungen in den ersten Tagen und Wochen ermittelt worden, aber es fehlt an Langzeitbeobachtungen. Carpay 42 empfiehlt, für die ersten Wochen folgende Vorgehensweise, durch die sich eine Vokabel beiläufig (also ohne bewusste MemorierungsAnstrengung) lernen ließe: Nach der ersten Einführung muss die Vokabel noch drei Mal in 42
Carpay, J.A.M., 1975. Onderwijs-leerpsychologie en leergangontwikkeling in het moderne vreemdetalenonderwijs. Groningen: Wolters-Noordhooff.
82
derselben Unterrichtseinheit und dann noch drei Mal hintereinander jeweils in der nächsten Unterrichtsstunde vorkommen (Formel 4+1+1+1 von Carpay). Er erklärt, diese Formel nach jahrelangem Experimentieren herausgefunden zu haben, fügt aber an, die Vokabel müsse später noch einmal wiederholt werden, „kurz vor dem Moment, wo sie ansonsten vergessen würde”. Dieser Moment konnte allerdings noch nicht ermittelt werden und es ist auch unklar, ob er nicht je nach Lerner sehr verschieden liegt..
7.2
Übungsformen für den Grammatikunterricht
Der Bereich des Grammatikunterrichts ist ein wesentlicher Teil des Studiums und auch des Deutsch-als-Fremdspracheunterrichts. Leider ist er bislang empirisch relativ schlecht erforscht.
7.2.1 Auswahl der Grammatikthemen Die Komplexität der deutschen Grammatik fordert ein strukturiertes und gut durchdachtes Vorgehen der Lehrperson, wenn sie ihre Lerner und Lernerinnen nicht verwirren will. Lehrmaterialentwickler sowie Lehrpersonen stehen vor dem Problem, wie viel Grammatik sie ihren Lernern in einer Unterrichtseinheit zumuten können und in welcher Gewichtung. Ziel der Grammatikeinheiten im Fremdspracheunterricht sollte sein, den Stoff in einer übersichtlichen und für den Lerner durchsichtigen Form darzubieten. Deshalb sollten die Ausnahmen nie einen größeren Raum einnehmen als die Regeln. Häussermann/Piepho weisen außerdem noch auf die Voraussetzung hin, dass es die wirkliche Grammatik des Deutschen sein muss, die der Lerner vermittelt bekommt, also nicht Normen aus vergangener Zeit. Der Anreiz zum Lernen soll durch die übersichtliche Stufung von analytischen Aufgaben (zum Sehen, Herausfinden, Verstehen grammatischer Regelmäßigkeiten), Geläufigkeitsübungen, grammatischen Feinaufgaben, bei denen der Lerner selbst durch Raten ein Detail herausfinden soll, freien Gestaltungsaufgaben gesichert werden. Für den Grammatikunterricht gilt im Prinzip nichts anderes als für andere Teile des Sprachunterrichts. Wichtig ist eine sinnvolle Übungsfolge, bei der die LernerInnen angeleitet werden, über verschiedene Stufen der zunächst ganz stark gelenkten, dann immer freier werdenden Produktion bis zur Anwendung des gelernten Phänomens im freien Sprechen zu gelangen. Erfahrungsgemäß ist dieses Ziel sehr schwierig zu erreichen, eine ungünstig aufgebaute Übungsfolge (oder nur ein Typ von Übungen) behindert das Lernen aber begreiflicherweise ganz besonders. Außerdem darf die von Häussermann/Piepho geforderte Vernetzung der Grammatik mit den Fertigkeiten Schreiben und Sprechen nicht unterschätzt werden. Isoliert gelehrte Grammatik kann von Lernern nämlich wesentlich schlechter behalten werden. Neben vielen Möglichkeiten der Verbindung mit anderen Unterrichtskomponenten ist vor allem der Faktor Schreiben besonders wichtig. Gegenüber der mündlichen Grammatikübung in Drills zum Beispiel besitzt er folgende Vorteile: 83
Das langsamere Vorgehen führt zu einer stärkeren Selbstkontrolle und zu einer stärkeren Auseinandersetzung mit dem Lernstoff und der Zielsprache überhaupt. Beim Schreiben wird eine präzisere Anwendung der Grammatik erwartet als in der gesprochenen Sprache, wo z.B. ein muttersprachenähnlicher Akzent von eventuellen Grammatikfehlern ablenkt. Nicht zu vergessen ist die allgemeine Eigenschaft des Schreibens in Bezug auf seine Wirkung, in unserem Gehirn „Gedächtnisbilder” entwerfen zu können, die sich tiefer einprägen als Inputs der gesprochenen Sprache. Häussermann/Piepho fassen die Wichtigkeit des Schreibens dann noch einmal unter dem Begriff „language awareness” oder „Sprachverstand” zusammen. Deshalb kommt es auch zu einem Übergewicht an schriftlichen Übungsformen bei der Grammatikvermittlung gegenüber „oberflächlicheren Übungen, bei denen angekreuzt oder gesprochen, Bezüge durch Linien angedeutet oder Endungen eingesetzt werden” (Häussermann/Piepho 1996, 135). Führt man also in einer Unterrichtseinheit ein grammatisches Thema ein, so wird diese Grammatiksequenz meist mehrere Teile enthalten. Sie besteht aus mehreren schriftlichen Übungen in Verbindung mit mündlicher Anwendung. Dieser Vermittlungsweg wird hier vorgestellt.
7.2.2 Der übliche Vermittlungsweg eines Grammatikphänomens im kommunikativen Unterricht Input Die LernerInnen werden mit dem Phänomen konfrontiert, meist in einem Text (darunter sind auch Hör- und Videotexte, nicht nur Lesetexte zu verstehen, allerdings erleichtert es die nachfolgenden Schritte, wenn die Hörtexte auch verschriftlicht (transkribiert) im Lehrmaterial vorliegen). Mit der Aufnahme des Materials können erste analytische Schritte verbunden werden, wie z.B. das Markieren bestimmter grammatischer Phänomene etc. Analyse Die LernerInnen extrahieren unter einer sinnvollen Anleitung das zu erlernende Phänomen aus dem Input. Dabei sollten sie – wenn möglich – selbst die Regel erkennen. Dies ist wichtig für die Behaltensleistung. Wenn sie die Gelegenheit haben, mit der Grammatik spielerisch umzugehen, sie langsam zu entdecken und zu entwickeln, werden sie eine selbst entdeckte Regel als eigene Regel besser behalten. Das Entdecken von Regeln kann von der Lehrperson durch viele Mittel gesteuert werden. Die Regel kann an einem Text erarbeitet werden oder durch Arbeit mit einem Grammatikschema gefestigt werden. Ein Beispiel für die Arbeit mit einem solchen Schema:
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Analyse
DIE NOMENGRUPPE
Nominativ Akkusativ Dativ
Æa Æb
Singular maskulin der Stoff blauer Stoff den Stoff blauen Stoff dem Stoff blauem Stoff
Plural feminin die Seide reine Seide der Seide reiner Seide
neutrum das Leder die Kleider echtes schöne Leder Kleider dem Leder den Kleidern echtem Leder schönen Kleidern
Vergleichen Sie die Endungen der bestimmten Artikel und die Endungen der Adjektive! Welche Konsonanten sind charakteristisch? (Notieren Sie nur die Konsonanten!)
Diese Konsonanten sind charakteristisch (= Signale)
Singular maskulin
Plural feminin
neutrum
Nominativ Akkusativ Dativ nach Häussermann/Piepho 1996, 137
Merkbare Darstellung des Phänomens Grammatik sollte den LernerInnen so transparent wie möglich gemacht werden. Häufig erfüllen Lehrbücher dieses Kriterium nicht, sondern erschweren dem Lerner durch unterschiedliche Darstellungen und viele Abweichungen in Details von der Lernergrammatik einen übersichtlichen Umgang mit der Grammatik. Im angeführten Beispiel muss eine anwendbare Regel bzw. eine gut benutzbare Tabelle stehen. Die Präsentation und bildliche Umsetzung des Phänomens ist also sehr wichtig. Doch auch die Terminologie muss konsequent durchgehalten werden und darf nicht zu komplex werden, sondern sollte sich auf die zu einer Erklärung notwendiger Ausdrücke beschränken. Es ist jedoch wichtig, die Terminologie einheitlich zu halten und die Entscheidungen für bestimmte Grammatikmodelle an der Lernergruppe festzumachen. So raten Häussermann/Piepho zu der Verwendung der traditionellen Terminologie, da man davon ausgehen müsse, dass die LernerInnen schon eine Lernvorerfahrung haben, an die sie dann leichter anknüpfen könnten. Immerhin haben Deutsch-LernerInnen üblicherweise zuvor schon mindestens eine weitere Fremdsprache gelernt. 85
Selbst wenn man also bei der herkömmlichen lateinischen Benennung der Kasus bleibt (Nominativ, Akkusativ, Dativ und Genitiv) 43 , ist die Darstellung der Reihenfolge abweichend von der des Lateinunterrichts sinnvoll. Deshalb treten die Kasus in den aktuellen Lehrwerken und Lernergrammatiken meist in oben genannter Reihenfolge auf und nicht nach der Reihenfolge im Lateinunterricht (Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ). Die vertauschte Abfolge folgt der Häufigkeit der auftretenden grammatischen Phänomene im Deutschen und gruppiert ähnliche Formen zusammen. Häussermann/Piepho geben in ihrer Übungstypologie einige Beispiele zu einer sinnvolleren Einführung von Grammatik. Bei deren Vermittlung wird immer das Prinzip der Durchsichtigkeit verfolgt, möglichst auch dann, wenn das Lehrwerk zu Unklarheiten führt. Dabei ist langsames schrittweises Vorgehen wichtig, um den Lerner nicht von Anfang an zu entmutigen, sondern ihm durch die allmähliche Aufdeckung weiterer Formen das bereits erwartete Inventar zum Phänomen zu präsentieren.
Auswahl der Medien Die Auswahl der Medien kann bei der Grammatikvermittlung ebenfalls zu einer Erleichterung oder Erschwernis bei der Verstehens- und Behaltensleistung führen. Als Alternative zum Einstieg mit einem Text, der die LernerInnen für das grammatische Phänomen sensibilisieren soll, kann der Einstieg über ein „Dynamisches Symbol” erfolgen. Funk/Koenig 44 geben Beispiele für eine Personalisierung bzw. Situierung von grammatischen Regeln. Bilder sollen als visuelle Hilfe für den Einstieg dienen, aber auch für gesteuerte Übungen. Bereits bei der Differenzierung und bei der Erklärung eines grammatischen Phänomens sollte neben dem Lehrwerk an der Tafel oder auf dem Overhead-Projektor das Problem in einem übersichtlichen Schaubild entwickelt werden. Generell ist der Einsatz mehrerer Medien im Unterricht in gewissem Maße sinnvoll, weil durch die unterschiedlichen Möglichkeiten der Aufnahme der Information verschiedene Lernertypen angesprochen werden und auch Eintönigkeit und Langeweile vorgebeugt wird.
Funk/Koenig 1999, 64
43 44
Die Alternative ist nicht „1., 2., 3., 4. Fall“, sondern der-, des-, dem-, den-Fall. Funk, Hermann/Koenig, Michael, 1999. Grammatik lehren und lernen. Fernstudienangebot Deutsch als Fremdsprache u. Germanistik. Berlin/München: Langenscheidt.
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Anwendung der Grammatik in stark gelenkten Übungen Solche stark gelenkten Übungen im Grammatikunterricht können sein:
Lücken füllen (mündlich oder schriftlich): Diese bewährten Lücken- und Einsatzübungen sollten allerdings auch inhaltlich ansprechender gestaltet werden, beispielsweise durch ein einheitliches Thema bei einer Übungssequenz an Stelle der üblichen zusammenhangslosen Sätze.
Häussermann/Piepho 1996, 144
Umformen (z.B. ins Perfekt setzen)
Sätze bilden, in denen das Vokabular und die zu wählende Form vorgeschrieben ist. Auch hierfür kann man bei Häussermann/Piepho erfrischende Beispiele finden, die den Übungen ihren „Oberlehrergeruch” nehmen, z.B. für das Üben von ob-Sätzen wird die folgende Form vorgeschlagen: Gehen Sie in die Kirche? Æ Ob ich in die Kirche gehe oder nicht, das ist meine Privatsache. Haben Sie Kinder? Sind Sie reich? Sind Sie verheiratet? Nehmen Sie Haschisch? Waschen Sie sich täglich die Haare? Sind Sie ein Kommunist?
Solche Übungen sind unerlässlich und können gut in Kleingruppenarbeit vorbereitet werden.
87
Sätze bilden nach Schalttafeln
Eva
zu Josip: "Wie
Sein Pullover das
du denn ihr nicht; er
lächerlich
Josip
!" zu klein – zu kurz und zu eng,
.
ihren Hut unmöglich, der
überhaupt nicht zu ihr –
ganz und gar nicht! Aber Eva
ihm sehr. Er
sie schön, und das
er ihr auch.
Sätze in Dialogform (Partnerarbeit) bilden nach starken Vorgaben, z.B. Rolle A liest einen Satz vor, Rolle B reagiert verneinend darauf. Dasselbe kann auch im Sprachlabor gemacht werden, Rolle A kommt dann vom Band.
Neben den typisch vorgegebenen Sätzen mit der vorgesehenen Antwort, kann auch hier mit Bildmaterial gearbeitet werden, wie man am folgenden Beispiel sieht.
Häussermann/Piepho 1996, 155
88
Aber auch Übungen wie aus der Sammlung von Partnerarbeitsblättern Wechselspiel 45 , in der jeweils zwei Lernende Informationen austauschen müssen, können den Reiz stark gelenkter Übungen erhöhen, da sie Information zurückhalten, die erst erfragt werden muss. Die Dialoge sind zwar stark gelenkt, doch nicht langweilig. Hier schon eine freiere Variante des ersten Typs: Ich hätte gern ein Wörterbuch. ÆTut mir Leid, wir haben keine Bücher. Ich hätte gern Rosen. Ich hätte gern Whisky.... nach Häussermann/Piepho 1996, 152
Spielerische Übungen mit starker Steuerung, z.B. Kofferpacken („In meinen Koffer kommt ein Buch, eine Bluse, ein Rock... ”): Auch hier dient ein Bild mit der Abbildung eines Koffers und dessen Inhalt als erster Äußerungsanlass und mit einer leichten Variation können auch Akkusative geübt werden: „In meinen Koffer lege ich eine Bluse, ein Buch, einen Rock...”. Durch die Kettenübungsform mit der Wiederholung aller bereits genannten Dinge durch den jeweils nächsten Lerner werden die einzelnen Elemente oft genug genannt, so dass sie sich einprägen.
Anwendung der Grammatik in weniger stark gelenkten Übungen Diese Stufe in der Übungsphase erfordert Vorgaben mit mehr Anteilen, die selbst geleistet werden müssen, aber doch den Lerner zwingen, das zu übende Phänomen zu verwenden:
Vorgabe eines Einleitungssatzes: „Wenn ich im Lotto gewinnen würde, würde ich...” (um Konditionalsätze zu üben).
Vorgabe eines Musters: „Hätte ich doch...”, wo aber jeder einsetzen kann, was er gern hätte (Irrealer Wunschsatz).
Stark gelenkte Rollenspiele, in denen die Redebezüge vorgegeben sind und viel Vokabular bereitgestellt wird.
Textproduktionen mit starker Lenkung, z.B. Tabelle zu Text machen, Schreiben eines Textes nach einem vorgegebenen Muster usw. (Grammatik à la carte 46 enthält viele empfehlenswerte Übungsformen dieser Art)
Spiele mit Steuerung der zu produzierenden Formen, aber relativ freier Wahl der Inhalte und des zu benutzenden Vokabulars: z.B. „Ich rauche Lungenschwarz, weil ich abnehmen will/weil mein Zahnarzt gelbe Zähne mag usw.” (Kausalsätze)
Knobelstücke im weitesten Sinn:
45
46
Dreke, Michael/Lind, Wolfgang Lind, 1996. Wechselspiel. Sprechanlässe für die Partnerarbeit im kommunikativen Deutsch-Unterricht. Arbeitsblätter für Anfänger und Fortgeschrittene. Berlin/München: Langenscheidt. Apelt, Mary L. et al., 1997. Grammatik à la carte. Das Übungsbuch zur Grundgrammatik Deutsch. Frankfurt am Main: Diesterweg.
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Wechselbilder: 2 Zeichnungen, die sich z.B. in 20 Details unterscheiden, sollen verglichen werden und die Unterschiede sollen herausgefunden werden. Organisiert man dieses Spiel in 2er-Partnerarbeit, sitzen sich die Schüler gegenüber und können das Bild des anderen nicht einsehen. Durch gezielte Fragen können sie die Unterschiede herausfinden. So können durch die Bildbeschreibung viele Bereiche geübt werden (sowohl Wortschatz als auch Grammatikbereiche wie Fragenstellen, Verneinen, lokale Präpositionen u.a.m.) Satzmosaiken: Zum Knobeln eignet sich folgende Aufgabe zur doppelten Negation: Positive Formulierung Es ist nicht unmöglich. Nichts ist unmöglich. Er ist nie ohne Geld. Hier gibt es nichts, was nicht wahnsinnig teuer ist. Er kann nicht Nein sagen. Ich fragte sie, nicht ganz ohne Herzklopfen. Du hast null Fehler!
Es ist möglich.
Stilfrage: In welchen Fällen drückt die doppelte Negation eine andere Nuance aus als die positive Formulierung? nach Häussermann/Piepho 1996, 158
Grammatische Rätsel: Ein Lückentext, der ein Rätsel erzählt. Die Lücken müssen gefüllt und das Rätsel soll gelöst werden. In einer zweiten Phase sollen dann die Schüler selbst ein solches Rätsel produzieren.
Häussermann/Piepho 1996, 159
Freies Sprechen/Freie Gestaltaufgaben Üblicherweise Rollenspiel ohne Formvorgabe oder Stellungnahmen u.ä.:
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Grammatik-Umsetzung in freie Sätze 5. Augenblicke, die man nicht vergißt. 5.1. Was waren für Sie besondere Erlebnisse in Ihrem Leben? ÆFür mich war es ein besonderes Erlebnis, als meine jüngste Schwester geboren wurde. 5.2. Wann waren Sie mal so richtig glücklich? nach Häussermann/Piepho 1996, 162
(Es sollten Nebensätze mit als eingeübt werden)
Grammatik-Umsetzung durch Texte entwickeln anhand von Bildern: Bildvergleiche, dazu müssen die Bilder in einem inhaltlichen Zusammenhang stehen. Hiermit kann man gut Komparative einüben.
Geschichte erzählen/Aufsätze schreiben lassen mit Vorgabe der Länge, wobei das Vokabular bereitgestellt wird. Das Vokabular kann so ausgewählt sein, dass bestimmte grammatische Strukturen (Nebensätze, Attribute u.a.m.) nötig werden.
Offene Textschablone: ähnlich wie bei dem Spiel, bei dem mit vorgegebenen Wörtern ein Märchen erzählt wird, geben Häussermann/Piepho ein stärker grammatisch orientiertes Spielbeispiel:
Gegeben sind die Textelemente als – dann – deswegen – leider – folglich – schließlich
Entwickeln Sie, dieses Handlungsgeländer benutzend, einen Bericht, eine Geschichte, ein Gerücht – oder besser: zwei ganz verschiedene. nach Häussermann/Piepho 1996, 167
Bauelemente und Text selbst entwickeln. Aufgabe: Ich bin zu Gast bei Familie X und schlafe im selben Zimmer mit Christine. Sie ist Schlafwandlerin. Ich soll auf sie aufpassen, aber sie nicht wecken! Christine steht in der Tat nachts auf und unternimmt Erstaunliches. Am nächsten Tag erzähle ich ihr, was sie alles angestellt hat. nach Häussermann/Piepho 1996, 16
Visualisierung im Kopf Der Autor bittet seine Lernergruppe (Erwachsene), die Augen zu schließen und sich zu entspannen. Er sagt seiner Gruppe nach kurzem Schweigen dann ganz langsam und jeweils mit Pausen, in denen Bilder im Kopf entstehen können, daß sie sich jetzt vorstellen sollen, daß sie vor ihrer alten Schule stehen, daß sie auf die Tür zugehen, daß sie eintreten, den typischen Geruch von Schulen wahrnehmen und dann durch die Halle, in der es ganz kühl ist, auf ihr früheres Klassenzimmer zugehen. Sie sollen dann die Tür öffnen – es wird lauter - und sie stehen dann vor dem Lehrer, den sie am meisten gehaßt haben.
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Zum Schluß bittet er dann die Lerner, die Augen wieder zu öffnen und zuerst die Schule und dann den Lehrer zu beschreiben, den sie gesehen haben. Für diese Beschreibung brauchen die Lerner dann Adjektive sowie Formen der Vergangenheit.
nach Häussermann/Piepho 1996, 162
Auch Übungen zum Hörverständnis können den Grammatikstoff vertiefen. Ein Beispiel dafür ist Gymnastik nach einer Kassette, die die Schüler mitmachen sollen. Geübt werden soll unter anderem das Erkennen und direkte Umsetzen von Imperativformen.
A. Es ist jetzt 6 Uhr 55, fünf Minuten vor sieben. B. Tu was für dich! Die Frühgymnastik des Familienfunks. Heute mit Dagmar Sternad. Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer. Ganz gemächliche Übungen im Sitzen auf einem Stuhl sind heute wieder angesagt. Also alle Morgenmuffel aufgepaßt, das ist auch etwas für Sie! Jeder x-beliebige Stuhl mit Rückenlehne eignet sich, auf dem Sie nun aufrecht sitzen, beide Fußsohlen auf dem Boden aufgesetzt haben, etwa einen halben Meter auseinander. Und nun neigen Sie sich zuerst nach hinten gegen die Stuhllehne und lassen beide Arme sozusagen über die Stuhllehne nach hinten unten hängen... Dahlhaus 1994, 152
Geräusche, zu denen eine Hörgeschichte erzählt werden soll: Folgende Geräusche werden von der Hörkassette vorgespielt Im Flugzeug: leise Musik Flugzeuglärm Klicken der Gurte Passagiere erheben sich Klappen der Gepäckluken Gedämpftes Murmeln Entschuldigungen Schritte Weg vom Flugzeug zur Paßkontrolle: Flugzeuglärm Schritte auf dem Boden (Metall)... Am Paßkontrollschalter: Flughallenlärm... Dahlhaus 1994, 144
Bei entsprechender Vorgabe muss die Geschichte im Perfekt erzählt werden.
Freies und szenisches Sprechen/Rollenspiele: Ein Sprechanlass wird vorgegeben: Die Lehrperson stellt ein Thema zur Diskussion und gegebenenfalls Redemittel. Um die Diskussion in Schwung zu bringen, sollte das Thema als provokative These formuliert sein und die Klasse in 2 Gruppen (pro und contra) geteilt werden. Zum Beispiel: „Weihnachten ist vor allem ein „gutes Geschäft”!” Eine Situation wird vorgegeben (z.B. eine Geschichte zu Ende erzählen lassen mit verteilten Rollen). Dialoge aus den Lehrbüchern nachspielen lassen.
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Vorgabe eines Bildes, auf dem eine aussagekräftige Situation abgebildet ist, z.B. die vielen Bilder aus Deutsch Aktiv Neu 13 wie „Auf der Post”, „Beim Zollamt”... Dramatisierung von Dialogen: Um die typischen Rollenspiele aus den Lehrbüchern lebendiger zu gestalten, empfiehlt es sich, kleine Tricks aus dem Bereich des Theaters zu benutzen, z.B.: In dem Kursbuch Themen Neu 3 14 kommt in der Lektion 5, die Werbung behandelt, das vorgegebene Rollenspiel eines Handelsvertreter-Besuchs bei einem Privathaushalt vor. Nach einem Hörverständnistext sollen die LernerInnen selbst mit vorgegebenen Redemitteln einen Hausbesuch nachspielen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diese Art von Rollenspielen weiterzuentwickeln. Allerdings sollte man die Lerner bereits vorher in kleinen Schritten an diese aktive Form der Mitarbeit gewöhnen. Zum verbalen Ausdruck kommt der nonverbale hinzu, sozusagen ein kleines Theaterstück. Ein Rollenspiel könnte dann so aussehen: man teilt die LernerInnen in Gruppen auf à 3-4 Personen. Das Thema, die Grammatik und die Vokabeln sind bekannt, Redemittel sind vorgegeben. Anweisungen: 1. Man verteilt die Rollen: Hausfrau, Handelsvertreter, Überraschungsperson, evt. ein Erzähler; 2. die LernerInnen überlegen, was der Vertreter verkaufen will, wie die Hausfrau reagieren wird und wie ihre Entscheidung sein wird. Um das Spiel zu beleben, soll überlegt und dargestellt werden: Der in der Eingangsszene Anwesende (die Hausfrau) Wer ist sie? Eine verlassene, überforderte Hausfrau ... Wo ist sie? In der Küche. Was macht sie? Das Mittagessen zubereiten. Wie macht sie es? Zornig, enttäuscht (weil ihre Kinder wieder zu spät kommen). Die Person, die in die Szene eintritt (der Handelsvertreter). Wer tritt ein? Der gut gelaunte Handelsvertreter (weil er heute schon viel verkauft hat). Warum? Weil er mehr verkaufen möchte. Was will er? Eine Haartönung verkaufen. Die Überraschungsperson Wer ist sie? Die Kinder, die endlich nach Hause kommen, ein anderer Vertreter, der auch was verkaufen möchte, ... alles ist möglich Warum kommt sie herein? Die Kinder kommen zum Mittagessen, der andere Vertreter will einen Staubsauger verkaufen... Wie führt diese Überraschungsperson den Dialog zu einem Ende? Die Tochter enthüllt, dass die Mutter eine Perücke trägt, der Staubsaugervertreter ist ein Freund des anderen Vertreters, er lädt ihn zum Essen ein und beide gehen ... Wichtig ist, dass diese Figur durch ihr Handeln den Dialog beendet. Haben die LernerInnen diesen Dialog vorbereitet, ist es wichtig, dass sie ihn dem Rest der Klasse vorspielen, d.h. frei sprechen. Jede Person, die sich einführt, muss vorher spielerisch, d.h. nonverbal, ihre Stimmung vermitteln. Heraus kommt dabei eine relativ authentische Gesprächsführung, in der der Lerner gezwungen ist, zu improvisieren.
47 48
Neuner, Gerd et al., 1994. Deutsch Aktiv Neu. Lehrbuch und Arbeitsbuch. München: Langenscheidt. Aufderstraße, Hartmut et al., 1994. Themen neu 3. Lehrwerk für Deutsch als Fremdsprache. Ismaning: Hueber.
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Hat man diese Form des Rollenspiels ein paar Mal geübt, können Zusatzelemente hinzutreten, z.B. kann man die Überraschungspersonen vertauschen. Gruppe A spielt ihren Dialog ganz normal bis zu dem Moment, in dem die geplante Überraschungsperson eintritt. Hier greift die Lehrperson ein und vertauscht die Überraschungsperson der Gruppe A gegen die der Gruppe B. Möglich ist es auch, zum Spieleingang und zu den Szenenwechseln einen Erzähler einzuschalten, der die Situation und die Menschen beschreibt. Dazu wird die Szene eingefroren, d.h. alle Figuren müssen auf den Zuruf Stop einfrieren, unbeweglich stehen bleiben. Der Erzähler tritt hinzu und beschreibt. Das Stopsignal kann vom Rest der Klasse, den Zuschauern, gegeben werden, so muss auch der Erzähler improvisieren. Es ist relativ schwierig, bei diesen Übungsformen, in denen ganz frei gesprochen wird, durchzusetzen, dass tatsächlich der zu übende Grammatikstoff benutzt wird. Oft finden die Lerner eine Möglichkeit ihn zu vermeiden oder sie machen doch mit dem in gelenkten Übungen richtig verwendeten Stoff beim freien Sprechen Fehler. Das sollte die Lehrperson aber nicht von freien Sprechübungen abhalten, manchmal gelingt es ja doch, dass der Stoff richtig verwendet wird.
7.3
Die vier Fertigkeiten
Typischerweise arbeitet Fremdsprachenunterricht an der Entwicklung der „vier Grundfertigkeiten” Hören, Lesen, Schreiben und Sprechen, die im Schema dargestellt sind. Manchmal wird „Übersetzen” als fünfte Fertigkeit in die Liste aufgenommen, die Fremdsprachenunterricht vermitteln sollte, was jedoch sehr umstritten ist. Im DaF-Studium an der PhilippsUniversität wird das Übersetzen nicht berücksichtigt, zur Vermittlung der vier Grundfertigkeiten werden jedoch regelmäßig Seminare angeboten.
4 Fertigkeiten mündlich schriftlich
rezeptiv Hören Lesen
produktiv Sprechen Schreiben
Bei jedem Lerner sind die Fertigkeiten unterschiedlich gut entwickelt, was oft von der Art des Unterrichts und vom Unterrichtsort abhängig ist. Wenn der Fremdsprachenerwerb in der fremdsprachlichen Umgebung stattfindet, werden oft die mündlichen Fertigkeiten besser beherrscht. Lernt man hingegen eine Fremdsprache im Unterricht in seinem Heimatland, sind die schriftlichen Fähigkeiten meist besser ausgeprägt, wobei das natürlich nicht immer so ist. Je nach Ansatz und Zielsetzung von Fremdsprachenunterricht ist es sicher auch gerechtfertigt, eine bestimmte Fertigkeit verstärkt zu trainieren – für einen kurzen Aufenthalt im Land der Zielsprache benötigen Touristen in erster Linie die mündlichen Fertigkeiten –, was jedoch keinesfalls zu einer völligen Vernachlässigung der anderen Fertigkeiten führen darf. Bei der Vermittlung der vier Fertigkeiten sollte man sich als Lehrperson bewusst sein, dass es deutliche Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache gibt. Ein Hörtext sollte sich deutlich von einem Lesetext unterscheiden, da gesprochene Sprache – anders als Schriftsprache – durch den vermehrten Gebrauch von Füllwörtern, Wiederholungen und Redundanz gekennzeichnet ist. Kurze und unvollständige Sätze sowie einfache Strukturen sind weitere Merkmale der mündlichen Sprache, die es beim Erstellen und bei der Auswahl eines Hörtextes zu berücksichtigen gilt. Dazu kommt, dass die Aussprache oft nicht norm94
gerecht ist, sondern Verschleifungen und regionale umgangssprachliche Merkmale aufweist. Typisch für die mündliche Kommunikation ist außerdem das Fehlen von klaren Sprecherwechseln. Anders als in einigen konstruierten Lehrbuchtexten fällt man sich in einem wirklichen Gespräch gelegentlich ins Wort und unterbricht sich gegenseitig. Natürlich ist es für Lehrende nur schwer möglich, immer authentische Hörtexte zur Verfügung zu stellen. Besonders in der Grundstufe wären die Lernenden damit teilweise auch überfordert. Allerdings sollten die Lernenden möglichst häufig mit authentischer Kommunikation konfrontiert werden und erstellte Hörtexte müssen möglichst viele Merkmale authentischer Sprache aufweisen. Jede zukünftige DaF-Lehrperson sollte sich intensiv mit den Besonderheiten der vier Fertigkeiten und deren Vermittlung auseinandersetzen, besonders deshalb, weil viele Aspekte davon für Muttersprachler selbstverständlich sind und demzufolge nicht ausreichend beachtet werden. Dazu gehören nicht nur die Merkmale von schriftlicher und mündlicher Sprache, sondern beispielsweise auch die Unterschiede zwischen verschiedenen Arten des Hörens. Dabei unterscheidet man beispielsweise zwischen „laut-diskriminierendem Hören“ (dem Hören, bei dem bestimmte Phoneme gehört werden sollen, wie bei dem Minimalpaar „TierTür“) und „verstehendem Hören“ (wobei Inhalte verstanden werden müssen). Das verstehende Hören unterscheidet man weiter in das „global verstehende Hören“, wobei die wichtigsten Informationen verstanden werden sollen, und das „selektiv verstehende Hören“, bei dem bestimmte Details herausgehört werden sollen. Bei der Fertigkeit Hören spielt nicht nur die Art des Hörens, sondern auch die Art des Sprechens eine Rolle. Entsprechend unterscheidet man zwischen spontan gesprochener Sprache, vorbereitet spontan gesprochener Sprache (beispielsweise ein frei gehaltener Vortrag mit Notizen) und nicht spontan gesprochener Sprache. Auch für Muttersprachler sind diese Unterschiede relevant, beispielsweise beim Sprechtempo bei einem frei gehaltenen und einem vorgelesenen Vortrag. Für FremdsprachenlernerInnen sind diese Unterschiede noch wichtiger. Auch Nebengeräusche erschweren das Verstehen, wobei bestimmte Hintergrundgeräusche auch Aufschluss über das Thema geben können, wie etwa Zuggeräusche, wodurch der Lernende weiß, dass sich die Szene in einem Zug oder am Bahnhof abspielt. Die Schwierigkeit eines Hörtextes in einer Unterrichtssituation ergibt sich allerdings nicht nur aus dem Schwierigkeitsgrad des Textes, sondern auch aus der Aufgabenstellung. Wenn man aus einem komplizierten und langen Text nur einige Informationen herausfiltern soll, die relativ gut zu verstehen sind und eventuell wiederholt werden, kann die Aufgabe gut zu bewältigen sein. Damit die Lernenden sich auf die Schwierigkeit einstellen können und nicht mit einem schwierigen Text konfrontiert sind, den sie in kürzester Zeit vollständig im Kopf behalten müssen, ist es unerlässlich die Aufgabenstellung vor dem ersten Hören des Textes zu geben. Die Lernenden müssen sich im Fremdsprachenunterricht verschiedene Verstehensstrategien aneignen. Dazu gehört die Konzentration auf das Verstandene und das Akzeptieren, dass eventuell eine Passage nicht verstanden wurde. Es ist ebenfalls unerlässlich zu lernen, wichtige von unwichtigen Inhalten zu unterscheiden. Außerdem ist es beim Verstehen fremder Texte hilfreich, wenn bestehendes Vorwissen genutzt werden kann. Eventuelle Lücken im Verstehen können durch Inferenz geschlossen werden, also dadurch, das von Bekanntem auf Unbekanntes geschlossen wird. Eine weitere Technik zum Verstehen ist das Antizipieren, das Vorausdenken. Die Aufgabe der Lehrperson ist es, die Lernenden mit diesen Techniken vertraut zu machen und auch durch die Aufgabenstellung daran zu erinnern. Ein Einstieg ins Thema hilft beispielsweise dabei, Vorwissen zu aktivieren.
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Auch beim Sprechen wird zwischen verschiedenen Formen unterschieden. Die wichtigste Form ist sicher die freie Äußerung, bei der Kenntnisse über Aussprache, Wortschatz, Grammatik und Inhalt notwendig sind. Allerdings kommt das Sprechen in Unterrichtssituationen nicht nur in freien Äußerungen vor. Vor allem der Ausspracheunterricht ist in diesem Bereich zu nennen. Dabei spielen Wortschatz, Grammatik und Inhalt keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Einzelne Phoneme (wie etwa in Minimalpaaren wie „für-vier“) oder die Intonation können dabei verstärkt geübt werden. Ein entscheidender Unterschied zwischen den mündlichen und schriftlichen Fertigkeiten ist, dass es im Gespräch nicht nur um Verstehen und Ausdruck geht, sondern auch um Interaktion. Der Zeitfaktor spielt beim Sprechen und Hören in einer Kommunikationssituation eine entscheidende Rolle. Man kann das Tempo beim Hören nicht selbst bestimmen, denn es hängt vom Sprecher ab. Außerdem hat man weniger Gelegenheiten, noch einmal den letzten Satz wiederholen zu lassen oder eine Äußerung zu korrigieren. Bei den schriftlichen Fertigkeiten ist der Zeitfaktor nicht oder kaum von Bedeutung. Briefe oder andere schriftliche Dokumente können immer wieder überarbeitet werden und einen schwierigen Satz kann man beliebig oft wiederholen. Das Lesen unterteilt man in drei Formen. Lautes Lesen oder Vorlesen ist kein Lesen im eigentlichen Sinne, weil es dabei mehr um die Aussprache, also um das Sprechen, geht als um das Lesen als Verstehen. Die zweite Form ist das sogenannte „Lernlesen“, wobei Wort für Wort gelesen wird. Die dritte und wichtigste Form ist das „interessegeleitete Lesen“. Hier unterscheidet man wiederum zwischen langsamem Lesen und Lesen zum Zweck der Informationsentnahme. Unter „langsamem Lesen“ versteht man das intensive Lesen, wie es bei eindeutigen Texten der Fall ist, beispielsweise beim Lesen eines Vertrags, und das Lesen ästhetischer Texte. Lesen zum Zweck der Informationsentnahme beinhaltet kursorisches Lesen, also das Lesen, um sich einen Überblick zu verschaffen, und selektives Lesen, wobei man in einem Text nach bestimmten Informationen sucht. Die Aufgabe des Lesers ist es, Informationen einzuordnen und ihre Relevanz zu beurteilen. Beim Lesen geht es also ebenso wie beim Hören um mehr als um das reine Dekodieren von Vokabular und Grammatik. Vielmehr muss das Gesagte oder Gehörte auch in ein System von bereits vorhandenem Wissen eingeordnet werden, sonst würde man auf einen Satz wie „Hier ist es kalt.” vielleicht mit „Ja.” antworten statt das Fenster zu schließen. Die vierte Fertigkeit ist das Schreiben. Auch Schreiben kann man im Fremdsprachenunterricht mit unterschiedlichen Zielen und Absichten. Es dient zum Einüben grammatischer Strukturen, zur Verbesserung der Orthographie und zur Übung des freien Ausdrucks. Der Schreibprozess besteht immer aus drei Phasen, nämlich dem Planen, dem Versprachlichen und dem Revidieren, wobei die Phasen sich überschneiden können, denn man korrigiert einen Text nicht nur am Ende, sondern auch immer wieder während der Versprachlichung. Obwohl dem Schreiben eine lernfördernde Wirkung zugeschrieben wird (man übt Grammatik, Wortschatz, Orthographie und Ausdruck gleichzeitig), wird es im Fremdsprachenunterricht gelegentlich vernachlässigt, was sicher daran liegt, dass sowohl der Schreibprozess als auch die Korrektur schriftlicher Texte vergleichsweise zeitaufwändig ist. Diese Vernachlässigung sollte natürlich vermieden werden. Idealerweise sollte die Fertigkeit Schreiben ebenso wie die anderen drei Grundfertigkeiten in jeder Unterrichtseinheit ihren Platz haben.
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Deutsch als Fremdsprache in der Unterrichtspraxis
8.1
Institutionen
Inzwischen wird Deutsch als Fremdsprache an sehr vielen Institutionen unterrichtet. In Deutschland sind an erster Stelle vermutlich die Volkshochschulen und die Universitäten zu nennen, wobei diese beiden Einrichtungen unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen und unterschiedliche Zielgruppen ansprechen. Sprachkurse an Universitäten richten sich in erster Linie an Studierende. Sprachenzentren und andere universitäre Einrichtungen – in Marburg beispielsweise das Internationale Zentrum für Sprache und Kultur (IZS) – bieten Sprachkurse für Studierende an, die bereits in Deutschland studieren oder ein Studium planen, und dafür ihre Deutschkenntnisse verbessern wollen. Im Rahmen von Sommeruniversitäten werden Sprachkurse angeboten, an denen Studierende und auch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus dem Ausland teilnehmen. Für Austauschstudenten und -studentinnen werden gewöhnlich keine speziellen Ziele gesetzt, anders jedoch für ein komplettes Studium in Deutschland, wofür ein Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse erbracht werden muss, normalerweise in der Form von TestDaF oder der Deutschen Sprachprüfung für den Hochschulzugang ausländischer Studienbewerber(innen) (DSH). 49 Auch bei Kursen, die im Rahmen von Sommeruniversitäten an verschiedenen Hochschulen in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz abgehalten werden, gibt es gelegentlich die Möglichkeit, im Anschluss den TestDaF oder eine andere Hochschulzugangsprüfung abzulegen. Volkshochschulen sind öffentliche Einrichtungen der Erwachsenen- und außerschulischen Jugendbildung. Da sich die Volkshochschulen dem Ziel der Breitenbildung verschrieben haben, ist das Angebot an Sprachkursen oft sehr breit gefächert. Angesprochen sind vor allem Lernende, die ihre Deutschkenntnisse für die Arbeit oder auch für den Alltag verbessern möchten, Studierende sind seltener anzutreffen, was vor allem daran liegt, dass die Progression deutlich geringer ist als in Kursen, die von Universitäten angeboten werden, und der Unterricht meist auch mit einem geringeren wöchentlichen Stundenumfang stattfindet. Auch zahlreiche staatliche, kirchliche sowie gemeinnützige Einrichtungen organisieren immer wieder Deutschkurse. Solche Einrichtungen sind neben Städten und Kommunen beispielsweise auch die Bundesagentur für Arbeit, die Arbeiterwohlfahrt e.V. (AWO) oder das Kolpingwerk. Die Liste ließe sich endlos fortführen. Oft gibt es Kurse für bestimmte Zielgruppen wie SpätaussiedlerInnen, AsylbewerberInnen, Mütter oder Jugendliche, häufig sind aber alle Deutschlernenden angesprochen. Natürlich wird Deutsch als Fremdsprache auch an Kindergärten, Grundschulen und weiterführenden Schulen unterrichtet. Die Zielgruppe sind nicht-muttersprachliche Kinder, die in unterschiedlichem Umfang Hilfestellungen bekommen. Nicht zu vergessen sind die zahlreichen privaten Sprachschulen, an denen natürlich auch Kurse besucht werden können. Hier fallen oft von Institut zu Institut erhebliche Unterschiede in Angebot und Qualität auf. In Marburg ist die größte dieser privaten Sprachschulen „Speak & Write“. Die Carl-Duisburg-Centren, Teile einer gemeinnützigen GmbH, die sich ganz allgemein der „internationalen Aus- und Weiterbildung“ verschrieben hat, bieten in mehreren Städten in Deutschland und auch im Ausland Sprachkurse an, in Deutschland momentan in Berlin, Dortmund, Köln, München, Radolfzell am Bodensee und Saarbrücken.
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Als Äquivalent wird auch das Große Deutsche Sprachdiplom des Goethe-Instituts anerkannt.
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Das Goethe-Institut bietet im In- und Ausland Deutschunterricht an. Im Ausland ist das Goethe-Institut besonders deshalb ein beliebter Anbieter von Sprachkursen, weil eine in Deutschland anerkannte Prüfung abgelegt werden kann. Neben der Spracharbeit legt das Goethe-Institut sehr viel Wert auf die Vermittlung kultureller, gesellschaftlicher und politischer Informationen. Für DaF-Lehrpersonen ist das Goethe-Institut auch deshalb interessant, weil dort sehr viele Lehrmaterialien erhältlich sind, die man bestellen oder herunterladen kann. (http://www.goethe.de)
8.2
Niveaustufen und standardisierte Prüfungen
Im Bereich Deutsch als Fremdsprache können an verschiedenen Institutionen unterschiedliche Prüfungen abgelegt werden. Dadurch entsteht eine Vielzahl verschiedener Bezeichnungen, über die dieses Kapitel einen Überblick geben soll. Viele Prüfungen orientieren sich an der international anerkannten Skala des Europarats, dem Europäischen Referenzrahmen (A1, A2, B1, B2, C1, C2). Dabei gilt, dass Lernende auf der Stufe A1 etwa 60 bis 100 Unterrichtsstunden absolviert haben, Lernende auf der Stufe B1 ca. 350 bis 600 und Lernende auf der Stufe C2 haben ein Sprachniveau, das beinahe dem eines Muttersprachlers entspricht. Der Deutsche Volkshochschul-Verband (DVV) und das Goethe-Institut haben in Zusammenarbeit mit österreichischen und schweizerischen Partner die Prüfung „Zertifikat Deutsch“ entwickelt. Diese Prüfung entspricht der Stufe B1, das heißt, Lernende sollten 350 bis 600 Unterrichtsstunden absolviert haben. Sie gilt als Nachweis darüber, dass der Lerner oder die Lernerin Situationen des alltäglichen Lebens sowohl schriftlich als auch mündlich bewältigen kann. Der Wortschatz sollte mindestens 2.000 Wörter umfassen. Geprüft werden neben Leseverstehen auch Wortschatz und Grammatik, Hörverstehen sowie schriftlicher und mündlicher Ausdruck. Inzwischen wurden auch die noch nicht sehr verbreiteten Prüfungen „Start Deutsch 1“ und „Start Deutsch 2“ eingeführt, die die Niveaustufen A1 beziehungsweise A2 abschließen. Die Volkshochschulen und auch das Goethe-Institut bieten außerdem weitere Prüfungen an, wie etwa die Zentrale Mittelstufenprüfung (ZMP), die auf die Zertifikatsprüfung folgt und die als Nachweis über „gute Kenntnisse der deutschen Standardsprache“ gilt. Die Zentrale Oberstufenprüfung (ZOP) bescheinigt „differenzierte Kenntnisse der deutschen Sprache“ und bescheinigt auch die Beherrschung des Deutschen für das Berufsleben. Die nächste Prüfung am Goethe-Institut ist das Kleine Sprachdiplom. Genau wie die Zentrale Mittelstufenprüfung ist das Kleine Sprachdiplom ein Nachweis über „die Beherrschung der deutschen Standardsprache“. Zusätzlich werden allerdings auch Kenntnisse der deutschen Kultur und Landeskunde abgefragt. Das Große Sprachdiplom bescheinigt „nahezu muttersprachliches Sprachniveau“. Es wird als Alternative zu einer staatlichen Sprachprüfung beispielsweise von LehrerInnen verlangt, die aus der EU kommen und in Deutschland aufgrund ihrer in der Heimat erworbenen Qualifikation an Schulen arbeiten wollen. Die Prüfung Wirtschaftsdeutsch (PWD) wird ebenfalls vom Goethe-Institut abgenommen. Damit weisen Lernende nach, dass sie sich „schriftlich und mündlich über berufliche und wirtschaftliche Sachverhalte in der deutschen Sprache auf gehobenem Niveau verständigen können“. Diese Prüfung liegt auf der Skala des Europäischen Referenzrahmens für Sprachen am Ende von Niveau C1.
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Weitere Prüfungen betreffen vor allem den universitären Bereich. So gibt es etwa Unicert, einen Nachweis über Sprachkenntnisse, den man nur an Universitäten erwerben kann und der für alle Sprachen und für alle Universitäten in einheitliche Stufen eingeteilt ist. Dieser Nachweis ist bislang allerdings noch nicht sehr verbreitet. Besonders wichtige Prüfungen sind TestDaF und die Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang ausländischer Studienbewerber(innen) (DSH). Wie die volle Bezeichnung der Zweiten schon sagt, handelt es sich hierbei um eine Prüfung, die ausländische Studierende ablegen müssen, wenn sie ein Studium an einer deutschen Universität aufnehmen wollen. Für Austauschstudenten gilt das nicht, sondern nur für die Studierenden, die ein reguläres Studium an einer deutschen Hochschule aufnehmen. Beide Prüfungen, DSH und TestDaF, bestehen aus einem schriftlichen und einem mündlichen Teil. Für die DSH gilt, dass sie nur einmal wiederholt werden darf, wenn sie nicht bestanden wurde. Natürlich bieten einige Institute und Sprachschulen weitere oder andere Abschlüsse und Zertifikate an, aber die hier genannten sind die am weitesten verbreiteten.
8.3
Lehrwerke
Inzwischen ist die Auswahl an Materialien für den Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht nicht mehr überschaubar. Neben den „üblichen” kurstragenden Lehrwerken gibt es eine Reihe landeskundlicher oder prüfungsvorbereitender Lehrwerke, Spielesammlungen und Grammatiken. Hier soll nur eine Auswahl kurstragender Lehrwerke vorgestellt werden. Obwohl es zahlreiche spezielle Lehrwerke für bestimmte Zielgruppen gibt – für Kinder oder für Jugendliche, für Lerner mit Interesse an Wirtschaftsdeutsch oder zur Alphabetisierung – zeichnet sich auch die Tendenz ab, dass Lehrwerke immer breitere Gruppen ansprechen wollen, so dass sie für den jeweiligen Verlag rentabler werden. Mit diesem Ziel versuchen Autoren von Lehrwerken, sich mit allen deutschsprachigen Ländern und Regionen zu beschäftigen, zumindest aber mit Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sie erstellen Materialien, die sowohl im In- als auch im Ausland einsetzbar sind und neben erwachsenen Lernern auch Jugendliche ansprechen. Für beinahe alle Lehrwerke sind mittlerweile Zusatzmaterialien, Handreichungen für die Lehrperson, Hörmaterialien auf CD und Online-Materialien erhältlich. Für eine Lehrperson ist es wichtig, ein Lehrwerk bewerten zu können, auch wenn viele Institutionen ihren Lehrpersonen die Lehrwerke vorschreiben. Bei der Beurteilung geht es nicht nur darum, welches Lehrwerk für die jeweilige Zielgruppe eingesetzt werden soll, sondern auch um das Erkennen von Defiziten und Stellen, an denen Ergänzungen durch eigene Materialien notwendig sind. Ich gehe im Folgenden auf einige „allgemeine” Lehrwerke ein, nicht auf Lehrwerke für bestimmte Fachsprachen (z.B. Wirtschaftsdeutsch) oder auf Lehrwerke, die speziell eine einzige Fertigkeit trainieren (z.B. Hörverständnis oder Lesefertigkeit). Die größte Auswahl an Lehrwerken gibt es im Bereich der Grundstufen-Lehrwerke, Materialien für die Mittelstufe, wie beispielsweise em 50 , sind weniger verbreitet. Darüber hinaus gibt es spezielle Materialien für Kinder und Jugendliche, beispielsweise Pingpong 51 , und zur Alphabetisierung, zum Beispiel Lesen und Schreiben 52 . 50 51 52
Perlmann-Balme, Michaela/Schwalb, Susanne, 2005. em neu. Hauptkurs. Ismaning: Max Hueber Verlag. Kopp, Gabriele/Frölich, Konstanze, 2001. Pingpong neu. Ismaning: Max Hueber Verlag. Lonnecker, Georgia/Schödder, Beate, 2001. Lesen und Schreiben 1. Neue Rechtschreibung. Ismaning: Max Hueber Verlag.
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Ein wesentlicher Aspekt, in dem sich Grundstufen-Lehrwerke unterscheiden, ist die Progression. Einige Lehrwerke sind für solche Lerner gut geeignet, die zuvor schon andere Fremdsprachen gelernt haben und sich intensiv damit beschäftigen wollen oder können. Andere Lehrwerke sind für Sprachlern-Anfänger besser geeignet. Sie führen Vokabular und Grammatikthemen in kleineren Schritten und mit langsamerer Progression ein. Damit verbunden ist auch das Verhältnis von Schriftsprache und gesprochener Sprache im Allgemeinen, und besonders der Anteil an literarischen Texten. In Lehrwerken mit relativ flacher Progression sind in den ersten Lektionen viele Dialoge zu finden und weniger Texte in typischer Schriftsprache. Die Unterscheidung zwischen mündlicher und schriftlicher Sprache gibt es im Übrigen nicht nur bei den Texten, sondern auch bei den Aufgaben. In manchen Lehrwerken werden schriftliche Aufgaben etwas vernachlässigt, in anderen Lehrwerken gilt das für die mündlichen Aufgaben. Besonders in diesen Lehrwerken mit einer flacheren Progression, aber auch in vielen anderen Lehrwerken, sind die Lesetexte häufig etwas kürzer gehalten als es den Fähigkeiten der Lerner entsprechen würde. Für die meisten Lernergruppen ist es aber wesentlich, dass bei den Aufgabenstellungen in einem Lehrwerk alle vier Grundfertigkeiten berücksichtigt werden. Neuere Lehrwerke haben oft auch eine Rubrik mit hilfreichen Lerntipps, die den Lernern eine Hilfestellung im Lernprozess geben können. Weitere Unterschiede, die in Lehrwerken auffallen, bestehen im Bereich der Grammatikerklärungen und -übungen und bei der Einbeziehung landeskundlicher Aspekte. Im Sinne des interkulturellen Ansatzes versuchen viele Lehrwerke, in Texten und Aufgaben den kulturellen Hintergrund der Lerner einzubeziehen, und so die Auseinandersetzung mit der Zielkultur unter Einbeziehung der eigenen Kultur effektiver zu gestalten. Lehrwerke können sich auch in der Auswahl und Abfolge der Themen unterscheiden, wobei die Unterschiede in diesem Bereich sehr gering sind. Themen wie „Wohnen in Deutschland” oder „Einkaufen” sind beispielsweise in allen hier vorgestellten Grundstufen-Lehrwerken zu finden. Ein weiteres Kriterium, das bei der Beurteilung eines Lehrwerks eine Rolle spielen sollte, ist natürlich auch die optische Darstellung. Unübersichtliche, langweilige oder auch überladende Darstellung fördern sicher nicht das Interesse des Lerners. Alle diese Überlegungen spielen bei der Beurteilung eines Lehrwerks eine große Rolle. Das ausschlaggebende Kriterium sollte allerdings sein, ob ein Lehrwerk für eine bestimmte Lernergruppe in Frage kommt. Zur Lehrwerkanalyse gibt es eine erhebliche Menge an Veröffentlichungen, gelegentlich werden dazu auch Seminare angeboten. Die folgenden Kurzdarstellungen können die Lektüre von Literatur zur Lehrwerksanalyse nicht ersetzen. Es geht hier nur darum, dass Sie einige verbreitete Lehrwerke kennen lernen.
8.3.1 Stufen International 53 Stufen International ist ein Lehrwerk für Jugendliche und Erwachsene, das eine relativ hohe Progression aufweist. Es ist besonders beliebt in Institutionen mit einer Klientel, die eine höhere Progression erwartet, wie etwa an Universitäten im Ausland oder insbesondere in studienvorbereitenden Kursen an deutschen Universitäten. Die Autoren nennen auch das Ziel der „variablen Unterrichtsgestaltung in In- und Ausland“. Verstehens- und Kommunikationsfähigkeit wird als Weg und Ziel verstanden, so die Autoren. In drei Bänden mit jeweils zehn Kapiteln soll Stufen International zur Zertifikatsprüfung führen.
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Vorderwülbecke, Anne/Vorderwülbecke, Klaus, 1999. Stufen International. Stuttgart: Klett.
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Dieses Lehrwerk hat einige Vorzüge, wie etwa eine abwechslungsreiche Gestaltung, die Einbeziehung aller vier Grundfertigkeiten, einen sehr guten Phonetikteil und verschiedene Anregungen zu Aktivitäten. Unter der Rubrik „Eine Fremdsprache lernen“ findet man verschiedene Lerntipps, wie etwa das Thema „Bewusstmachen des Sprachlernprozesses“. Das Zusatzmaterial erleichtert das Arbeiten mit dem Lehrwerk. Im Internet stellt der Klett-Verlag auch Einstufungstests zu diesem Lehrwerk zur Verfügung. Allerdings kommt auch dieses Lehrwerk nicht ohne selbst erstelltes und auf die Bedürfnisse der Lernergruppe abgestimmtes Zusatzmaterial aus, besonders im Bereich der Wortschatzarbeit. Die Grammatik ist gut präsentiert, allerdings oft in zu kleine Stücke zerteilt. Im landeskundlichen Bereich wird ein Einblick in das Leben in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz gegeben, der über das Alltagsleben hinausgeht. Zu allen drei Ländern sind Informationstexte zu finden. Fazit: Stufen International ist ein Lehrwerk, das sowohl sprachlich als auch inhaltlich sehr interessant und ansprechend gestaltet ist. Durch die relativ hohe Progression ist es für SprachlernAnfänger nicht unbedingt geeignet, aber für Studierende oder erfahrene Sprachenlerner gut einsetzbar.
8.3.2 Tangram aktuell 54 Tangram aktuell ist ein Grundstufen-Lehrwerk für erwachsene Anfänger. Es führt in 6 Halbbänden zum Zertifikat. Nach den ersten beiden Halbbänden kann die Prüfung Start Deutsch 1 abgelegt werden, die im Europäischen Referenzrahmen der Niveaustufe A1 entspricht. Nach zwei weiteren Halbbänden ist das Niveau A2 (Prüfung Start Deutsch 2) erreicht und nach Tangram Z folgt die Zertifikatsprüfung (Niveau B1). Das Lehrwerk beschäftigt sich vor allem mit dem Alltag in Deutschland. Die Autoren haben sich als Hauptziel die Verbesserung der kommunikativen Kompetenz gesetzt. Es soll die Lerner befähigen, im Alltag auf Deutsch zu kommunizieren. Deshalb ist es sehr beliebt an Volkshochschulen, weil es den Bedürfnissen der Klientel in der Regel sehr gut entspricht. Im Vergleich zum Vorgänger Tangram wurden in Tangram aktuell vor allem die langen und recht anspruchsvollen Lesetexten etwas gekürzt, wodurch das Lehrwerk etwas einfacher wird. Die optische Darstellung ist sehr gut gelungen, und die Einheiten, in denen mit Liedern gelernt werden soll, sind durchaus sehr unterhaltsam. Die Grammatik wird induktiv vermittelt, das heißt, die Lerner sollen die Regeln selbst herleiten. Allerdings nimmt die Grammatikarbeit nicht sehr viel Raum ein. Die Beschäftigung mit der Aussprache ist weniger intensiv als beispielsweise in Stufen International. Ein besonderes Augenmerk legen die Autoren auf Nuancen und Register der Sprache. Dazu dient die Rubrik „Zwischen den Zeilen“. Fazit: Mit der mittleren Progression ist Tangram besonders für eine breite Gruppe von Lernenden sehr gut geeignet. Allerdings besteht die Gefahr, dass erfahrenere Lerner sich durch die Themenauswahl – es werden ausschließlich praxisorientierte und kommunikative Alltagsthemen behandelt – und durch die teilweise geringen Anforderungen im sprachlichen 54
Dellapiazza, Rosa-Maria/von Jan, Eduard/Schönherr Till, 2002. Tangram aktuell. Ismaning: Max Hueber Verlag.
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Bereich gelegentlich langweilen. Durch die Tendenz zur Vernachlässigung des schriftlichen Fertigkeitstrainings ist es notwendig, dass die Lehrperson sehr viel Zusatzmaterial einsetzt.
8.3.3 Themen aktuell 55 Das ursprüngliche Lehrwerk Themen wurde von der Ausgabe Themen neu abgelöst. Inzwischen ist bereits Themen aktuell erhältlich. Die zahlreichen Überarbeitungen sprechen für den Erfolg des Lehrwerks, das in der Tat im In- und Ausland weit verbreitet ist, und dies in einem Spektrum von Volkshochschulen über das Goethe-Institut bis zu Universitäten. Themen aktuell ist als dreibändige Ausgabe mit separatem Arbeitsbuch oder als sechsbändige Ausgabe mit integriertem Arbeitsbuch erhältlich. Das Lehrwerk hat ebenfalls eine etwas flachere Progression als Stufen International und ist so auch zum Einsatz an Volkshochschulen gut geeignet. Ein großes Defizit im Kursbuch Themen neu, der Umgang mit Lesetexten, wurde auch in der neuen Fassung von Themen aktuell kaum behoben. Zu Themen neu waren zu den ersten beiden Bänden Lesehefte als Zusatzmaterial erhältlich. Dieses Angebot fehlt bei Themen aktuell noch. Im Kursbuch überwiegen kurze Dialoge und Beschreibungen, andere Textformen gibt es nur sehr selten. Die Präsentation der Grammatik erfolgt nur am Rande. Die Übungen sind etwas monoton und fordern den Lerner nicht im ausreichenden Maße. Meist handelt es sich um Aufgaben, bei denen etwas eingesetzt oder zugeordnet werden muss. Textproduktionen werden stark vernachlässigt. Die optische Darstellung ist einfach und recht ansprechend.56 Fazit: Themen aktuell ist ein Lehrwerk, das bei verschiedenen Lernergruppen eingesetzt werden kann. Leider werden die schriftlichen Grundfertigkeiten etwas vernachlässigt, und auch die Übungen machen einen Einsatz von selbst entwickeltem oder zu dem Lehrwerk erhältlichen Zusatzmaterial notwendig.
8.3.4 Delfin 57 Delfin, ein relativ neues Lehrwerk, ist ebenfalls ein Grundstufen-Lehrwerk, das in drei Bänden zur Zertifikatsprüfung führen soll. Es ist allerdings auch als ein- oder zweibändige Ausgabe mit ausgegliedertem Arbeitsbuch erhältlich. Die dreibändige Ausgabe enthält jeweils eine CD mit Ausspracheübungen. Natürlich sind auch zu diesem Lehrwerk zahlreiche weitere Zusatzmaterialien erhältlich. Besonders an Volkhochschulen wird dieses Lehrwerk immer beliebter. Jede Lektion beginnt mit dem „Eintauchen“, einer visuell und oft auch auditiv gestützten Einstimmung auf das Thema, die mit einer Wortschatzentlastung verbunden ist. Besonders im Vergleich zu anderen Lehrwerken fallen in Delfin die relativ langen Lesetexte und die zahlreichen Übungen zu den vier Grundfertigkeiten auf. Der Aufbau der einzelnen 55 56
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Aufderstraße, Hartmut/Bock Heiko, 2003-2005. Themen aktuell. Ismaning: Max Hueber Verlag. Die optische Gestaltung ist übrigens auch ein Grund dafür, dass Themen und Themen neu so vielseitig einsetzbar sind. Im Gegensatz zu vielen anderen Lehrwerken wurde in diesen Ausgaben auf authentische Fotos verzichtet, die extrem schnell veralten. Statt dessen wurden comic-ähnliche farbige Illustrationen eingesetzt. Der Nachteil an dieser Form der Gestaltung ist natürlich, dass durch den Verzicht auf authentische Materialien auch auf einen Einblick in das Land der Zielsprache verzichtet wird. In Themen aktuell wurden die Illustrationen deshalb durch Fotos ersetzt. Aufderstraße, Hartmut/Müller, Jutta Müller/Storz, 2002. Delfin. Ismaning: Max Hueber Verlag.
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Lektionen ist identisch und beinhaltet Übungen zu allen Aspekten. Die Übungen sind nach dem Prinzip des pattern drills gestaltet und ähneln sich sehr. Kommunikative Übungen, kreative Aufgaben und landeskundliche Informationen werden sehr stark vernachlässigt. Die Grammatik ist einfach erklärt und relativ gut strukturiert. Bei Delfin wird im Gegensatz zu den meisten anderen Grundstufenlehrwerken auf eine deduktive Vorgehensweise gesetzt. Auf den ersten Blick stechen zunächst die zahlreichen Bilder ins Auge. Es wird deutlich, dass das Lehrwerk auf visuelle Unterstützung des Lernprozesses setzt. Fazit: Delfin ist ein Lehrwerk, das sich durch die langen Lesetexte und durch sehr gelungene Wortschatzentlastungen positiv von anderen Lehrbüchern unterscheidet. In den anderen Bereichen überwiegen die Nachteile. Ein besonderes Defizit dieses Lehrwerks ist die Vernachlässigung kommunikativer, kreativer und interkultureller Aufgaben. Falls mit Delfin gearbeitet wird, sind Ergänzungen durch die Lehrperson dringend erforderlich. Auch die Übungen nach dem Prinzip des „pattern drills“ sind nicht einer abwechslungsreichen Gestaltung des Unterrichts dienlich. Der klare und sich wiederholende Aufbau der einzelnen Lektionen hilft zwar bei der Orientierung, kann aber auch sehr schnell zu Langeweile führen. Für Sprachlern-Anfänger sollten der Arbeit mit diesem Lehrwerk einige Unterrichtseinheiten vorhergehen. Der Hauptgrund hierfür ist die große Menge an Vokabular, mit der die Lerner plötzlich konfrontiert werden.
8.3.5 Eurolingua 58 Eurolingua ist ein Lehrwerk, das für den Anfängerunterricht in der Erwachsenenbildung konzipiert wurde und in drei Bänden zum Zertifikat Deutsch als Fremdsprache führt. Das Arbeitsbuch ist in das Kursbuch integriert. Neben Kassetten und CDs sind auch ein Vokabelheft, ein Arbeitsheft Sprachtraining, ein Kursleiterhandbuch sowie ein Lernerhandbuch zur Ergänzung erhältlich. In jedem Band wird der Lernstoff in mehrere kurze Einheiten unterteilt. Zusätzlich gibt es die so genannten „Optionen“, die in spielerischer Form zur Erweiterung und Vertiefung beitragen sollen. Thematisch stehen Alltagssituationen im Mittelpunkt, wie etwa „Deutsch am Telefon“ oder „gemeinsame Freizeitaktivitäten“. Titel wie „Lebensmittel in Deutschland und im eigenen Land“ oder „Biographien von Türken in Deutschland“ weisen schon auf eine kulturkontrastive Vorgehensweise hin, die sich in sehr vielen der Themen wiederfindet, ebenso wie eine Auseinandersetzung mit landeskundlichen Aspekten. In der Einleitung betonen die Autoren dieses Ziel, doch im Vordergrund steht, dass die Lernenden „in einfachen Alltagssituationen sprachlich zurechtkommen“. Die Sprache ist entsprechend auf die Kommunikation im Alltag ausgerichtet, die gesprochene Sprache überwiegt. Allgemein nehmen mündliche Aufgaben etwas mehr Raum ein als schriftliche. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung von Lernstrategien und – techniken. Fazit: Die Progression von Eurolingua entspricht in etwa der in Tangram aktuell oder Themen aktuell, ist also deutlich niedriger als in Stufen International. Es ist besonders für Lernende in In- und Ausland geeignet, die keine akademischen Ziele verfolgen, sondern sich auf den Alltag in Deutschland vorbereiten. Optisch dieses Lehrwerk recht ansprechend und trotz der zahlreichen Bilder und Zeichnungen nicht überladen. 58
Funk, Herrmann/Koenig, Michael, 1998. Eurolingua Deutsch. Berlin: Cornelsen.
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8.3.6 Schritte 59 Schritte ist ein Grundstufen-Lehrwerk mit einer sehr flachen Progression. Für besonders lernungewohnte und ängstliche Lerner kann auch der Vorkurs Erste Schritte vorgeschalten werden, der auch auf andere Grundstufen-Lehrwerke vorbereiten kann. Er hat einen Umfang von 30 Unterrichtseinheiten, beschäftigt sich mit Alltagssituationen und soll die Lerner mit gängigen Übungs- und Aufgabentypen vertraut machen. Der Vorkurs ist allerdings nicht zur Alphabetisierung geeignet. Das Lehrwerk Schritte besteht aus sechs Bänden mit je sieben Kapiteln. Das Arbeitsbuch ist integriert, ebenso liegt eine CD zum Arbeitsbuch bei. Das Phonetikprogramm ist relativ ausführlich. Auch Anleitungen zu Projekten, ein Lerntagebuch und gezielte Übungen zur Prüfungsvorbereitung sind in dem Arbeitsbuch zu finden. Nach dem sechsten Band kann dann die Zertifikatsprüfung stehen. Die Prüfung, auf die Schritte 1 bis 4 vorbereitet, ist Start Deutsch 2 am Ende der Niveaustufe A2. Dieses Ziel zeigt schon, dass die Progression deutlich niedriger ist als bei anderen Grundstufen-Lehrwerken. Dies wird besonders deutlich in dem langsamen und behutsamen Einstieg, den wenigen neuen Vokabeln in jeder Lektion sowie an der geringen Länge von Hör- und Lesetexten. Die Grammatik wird ebenfalls sehr langsam eingeführt. Positiv fällt auf, dass schon sehr früh Wortbildungsprozesse berücksichtigt werden, wodurch ein Lerner mit relativ geringem Aufwand seinen Wortschatz vergrößern kann. Das Training der vier Grundfertigkeiten ist in Schritte sehr eingeschränkt. Die mündlichen Fertigkeiten überwiegen, während schriftliche Aufgaben hauptsächlich im Arbeitsbuch zu finden sind. Thematisch beschäftigt sich Schritte mit dem Alltag in Deutschland. Es wird versucht, Hilfen zur Orientierung im Land der Zielsprache zu geben, zum Beispiel mit den Kapiteln „Meine Wohnung“ oder „Kinder und Schule“. Angepasst an das niedrige sprachliche Niveau der Zielgruppe kommt das Lehrwerk über praktische und konkrete Alltagsthemen auch nicht hinaus. Das Lehrwerk ist übersichtlich und ansprechend gestaltet. An der großen Zahl der Bilder wird deutlich, dass die Autoren sehr stark auf eine optische Unterstützung des Lernens setzen. Fazit: Besonders durch seine niedrige Progression unterscheidet sich Schritte von anderen Grundstufen-Lehrwerken. Es ist gut geeignet für lernunerfahrene Lerner, denen das Lernen einer Fremdsprache auch nach einiger Zeit noch Schwierigkeiten bereitet. Dieses Konzept birgt allerdings die Gefahr der Unterforderung und der Vernachlässigung der schriftlichen Fertigkeiten. Der Lernfortschritt ist so gering, dass die Lerner langfristig eventuell entmutigt werden könnten.
8.3.7 em neu 60 em bzw. em neu, eines der wenigen guten Mittelstufen-Lehrwerke, führt in drei Bänden zu der Zentralen Mittelstufen-Prüfung. Erhältlich sind der „Brückenkurs“, der „Hauptkurs“ und „Abschlusskurs“, zu denen jeweils ein Arbeitsbuch erhältlich ist.
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Bovermann, Monika/Penning, Sylvette/Specht, Franz , 2005. Schritte. Ismaning: Max Hueber Verlag. Perlmann-Balme, Michaela/Schwalb, Susanne, 2003-2006. em neu. Ismaning: Max Hueber Verlag.
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em neu ist als kurstragendes Lehrwerk einsetzbar und kann durch das „Bausteinsystem“ auch beliebig als Ergänzungsmaterial verwendet werden. Die sechs „Bausteine“ sind „Lesen“, „Sprechen“, „Hören“, „Schreiben“, „Wortschatz“ und „Grammatik“. Alle diese „Bausteine“ finden Beachtung, wobei der Wortschatz und das Schreiben die am stärksten vernachlässigten Bereiche sind. Die Grammatikerklärungen sind allerdings mit größter Vorsicht zu benutzen, sie sind meist unvollständig oder auch falsch. Ein Nachschlagen in einer guten Grammatik ist zur Überprüfung auf jeden Fall erforderlich. In den Übungen und Texten spiegelt sich das Bemühen wider, das breite Spektrum der Sprache aufzuzeigen. Besonders deutlich wird das durch die Abwechslung zwischen literarischen Texten und Sachtexten. Dabei nehmen die Inhalte im Vergleich zu GrundstufenLehrwerken deutlich mehr Raum ein und sind somit ansprechender und motivierender. In manchen Texten sollen sich die Lerner auch mit der Thematik Fremdsprachenunterricht auseinandersetzen, wodurch die Möglichkeit entsteht, den eigenen Lernprozess zu reflektieren. Unterstützt wird dies durch kleine Einheiten, die sich mit Lerntechniken beschäftigen. Fazit: em neu ist ein Lehrwerk, das sehr interessant gestaltet ist. Durch die ansprechenden Themen und die Herausforderung, die dieses Lehrwerk sprachlich an die Lerner stellt, kann die Spracharbeit motivierender gestaltet werden. Das „Bausteinsystem“ ermöglicht eine relativ große Flexibilität.
8.4
Grammatiken
Wir beschäftigen uns im Laufe des Studiums intensiv mit Unterricht zur Beurteilung der Qualität von Grammatiken, deshalb reicht an dieser Stelle eine kurze Einführung. Eine Lehrperson wird immer zwei Arten von Grammatiken brauchen: Eine wissenschaftliche Grammatik (z.B. Eisenberg 61 , Duden, eventuell Helbig/Buscha 62 ) zur eigenen Vorbereitung des Grammatikunterrichts, wenn es darum geht, das Grammatikproblem zu verstehen und auf Lernerfragen zu Ausnahmen vorbereitet zu sein, und eine didaktisch gute Grammatik für LernerInnen, anhand derer man die konkrete Unterrichtvorbereitung erstellt. Bei diesen Grammatiken für LernerInnen gibt es zwei verschiedene Typen, einerseits reine Nachschlagegrammatiken, andererseits Grammatiken mit Erklärungen und Übungen. Seltener gibt es auch reine Übungen ohne Erklärung. In vielen Bereichen unterscheiden sich die Aussagen von Grammatiken, was an der unterschiedlichen Vollständigkeit, aber auch an unterschiedlichen Erklärungsansätzen liegen kann. Deshalb sei dringend davor gewarnt, ohne gründliche Prüfung einfach die Erklärungen und Übungen aus zwei verschiedenen Grammatiken im Unterricht zu kombinieren. Wenn man Gruppen von LernerInnen derselben Muttersprache hat, empfiehlt es sich (sofern eine gute auf dem Markt ist) eine kontrastive Grammatik zu benutzen, die die Grammatik des Deutschen im Vergleich mit der der Muttersprache der LernerInnen erklärt. Wenn Sie sich typische Beispiele für die einzelnen Grammatiken ansehen wollen, nehmen Sie:
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Eisenberg, Peter, 2004. Grundriß der deutschen Grammatik. Stuttgart: Metzler. Helbig, Gerhard/Buscha, Joachim, 2001. Deutsche Grammatik. München, Berlin: Langenscheidt. (Diese Grammatik wird im Ausland häufig von Deutsch-Studierenden verwendet, sie ist ausgesprochen ausführlich und steht zwischen einer Grammatik für LernerInnen und für Lehrpersonen.
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Dudengrammatik Sie sehen, dass der Stoff so präsentiert wird, dass auch verstanden werden kann, was der Grund für das jeweilige Phänomen ist. Es geht nicht nur um eine Beschreibung, sondern auch um eine Erklärung. Für Lernende ist die Darstellung aber viel zu kompliziert. Grundgrammatik Deutsch 63 von Kars und Häussermann Die Grundgrammatik Deutsch ist eine Grammatik, die versucht, für LernerInnen bis zur Mittelstufe die Grammatik wirklich so zu erklären, dass sie versteh- und merkbar ist. Hier finden Sie didaktische Anregungen. Es gibt nur Erklärungen, keine Übungen. Lehr- und Übungsbuch der deutschen Grammatik 64 von Dreyer und Schmitt Dies ist eine sehr verbreitete Übungsgrammatik, deshalb wird sie hier vorgestellt. In dieser Grammatik sehen Sie terminologiereiche Erklärungen und danach recht langweilige Übungen mit meist zusammenhanglosen Sätze, die meist umgeformt werden sollen. In einigen Fällen führt das Umformen (bzw. Lücken ausfüllen) nach den gegebenen Regeln zu falschen Ergebnissen, weil in den Übungen Ausnahmen vorkommen, die im Regelteil nicht erwähnt sind, oder weil die Regeln fehlerhaft sind. Duitse spraakkunst voor nederlandstaligen 65 von Vanacker und Timperman Diese Grammatik ist ein typisches Beispiel für eine kontrastive Grammatik. Sie ist in der Muttersprache der Lernenden geschrieben und sie behandelt nur Phänomene, bei denen Unterschiede zwischen dem Deutschen und der Muttersprache der Lernenden bestehen. So wird z.B. nur knapp zu den trennbaren und untrennbaren Verben gesagt (der Erklärungstext ist für Sie ins Deutsche übersetzt) „Die meisten Verben, die im Deutschen nicht trennbar sind, sind es auch im Niederländischen. Aber es gibt einige Unterschiede: Sein Onkel hat ihm ein großes Vermögen hinterlassen. (nagelaten) Herr Meier hat das Geschäft seines Vaters übernommen. (overgenomen)“ (Vanacker/Timperman 1990, 11)
63 64 65
Kars, Jürgen/Häussermann, Ulrich, 1997. Grundgrammatik Deutsch. Braunschweig: Diesterweg/ Sauerländer. Dreyer, Hilke/Schmitt, Richard, 2000. Lehr- und Übungsbuch der deutschen Grammatik. Ismaning: Max Hueber Verlag. Vanacker, Marc/Timperman, Trees, 1990. Duitse spraakkunst voor nederlandstaligen. Kapellen: De Nederlandsche Boekhandel/Uitgeverij Pelckmans.
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9
Individuelles Fremdsprachenlernen
Der Lernerfolg im Fremdsprachenunterricht hängt natürlich nicht nur vom Lehrwerk und von der Präsentation und Vermittlung des Lernstoffes durch die Lehrperson ab, auch wenn dies natürlich ein sehr wichtiger Faktor ist. Jeder Lernende bringt individuelle Voraussetzungen mit wie Alter, Intelligenz, Lernertyp, Motivation, Hintergrundwissen und vieles mehr. John B. Carroll, der sich seit den 1950er Jahren eingehend mit diesem Thema beschäftigt hat, ging von einem Zusammenspiel von fünf Variablen aus, die beim Erwerb einer Fremdsprache eine Rolle spielen: 1) 2) 3) 4) 5)
die allgemeine Intelligenz des Lerners oder der Lernerin, die Sprachlerneignung des Lerners oder der Lernerin, die Ausdauer und Motivation des Lerners oder der Lernerin, die Qualität des Unterrichts und die Gelegenheit zum Lernen (d.h. die Zeit und Intensität des Unterrichts).
Inzwischen wird auch das Alter oft als außersprachlicher Einflussfaktor auf das Fremdsprachenlernen betrachtet. Ebenso wird berücksichtigt, dass in einer Lernergruppe viele verschiedene Lernertypen (zum Beispiel nach dem bevorzugten „Eingangskanal“ visuell oder auditiv) vertreten sind. Die Individualität der Lernenden, mit der sich drei von Carrolls fünf Variablen beschäftigen, ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer mehr in das Interesse der Sprachlehrforschung gerückt und findet auch im Unterrichtsalltag immer mehr Beachtung. Die Berücksichtigung der Individualität der Lernenden im Unterricht ist deshalb wichtig, weil durch ihre vielfältigen Interessen, Voraussetzungen und Ziele ein enormes Spannungsfeld entsteht, das die Lehrperson zumindest teilweise ausgleichen muss, damit jeder Lerner und jede Lernerin so gut wie möglich vom Unterricht profitiert. Dieses Kapitel beschäftigt sich zunächst mit den außersprachlichen Einflussfaktoren auf das Fremdsprachenlernen, bevor im zweiten Teil dargestellt wird, wie der Lernprozess gestaltet werden sollte oder könnte, um der Individualität der Lernenden Rechnung zu tragen.
9.1 Einfluss von außersprachlichen Faktoren auf das Fremdsprachenlernen 9.1.1 Alter Nicht alle Einflussfaktoren auf das Fremdsprachenlernen sind ausreichend bekannt. Auch über den Einflussfaktor „Alter“ liegen nicht im ausreichenden Maße empirisch fundierte Ergebnisse vor. Es gibt jedoch Tests mit relativ aufschlussreichen Ergebnissen, wie zum Beispiel ein Schulexperiment, das in England durchgeführt wurde. In verschiedenen Grundschulen wurde der Französischunterricht bereits im Alter von acht Jahren begonnen, statt wie üblich im Alter von elf bis zwölf Jahren. Die Schüler und Schülerinnen an diesen ausgewählten Schulen waren am Ende der Schulzeit in ihrer französischen Sprachbeherrschung nicht deutlich besser als diejenigen, die wie üblich im Alter von elf bis zwölf Jahren mit ihrem Französischunterricht begonnen hatten. Ähnliche Versuche wurden danach in mehreren Ländern mit verschiedenen zu lernenden Sprachen gemacht. Das Ergebnis war meist, dass die „Frühanfänger“, die teilweise im Kindergartenalter waren, zwar in der allgemeinen Sprachbeherrschung nicht erheblich besser waren als die anderen Lerner, dass sie aber zumindest in der Aussprache auch nach längerer Zeit den „Spätanfängern“ deutlich überlegen waren. Meist zeigten sich auch kleinere Vorteile bei den „Frühanfängern“ bei Wortschatz- und 107
Grammatikbeherrschung 66 . Die Vorteile von einem frühen Beginn des Fremdsprachenlernens könnten sicher größer sein, wenn in den weiterführenden Schulen immer auf das bereits Gelernte aufgebaut würde. Generell wurde festgestellt, dass Kinder zwischen sechs und elf Jahren beim Spracherwerb bzw. beim Lernen von Sprachen am schnellsten sind. An zweiter Stelle folgen Erwachsene und am langsamsten sind Jugendliche, da bei ihnen die sprachsensitive Phase bereits abgeschlossen ist, sie aber noch nicht im vollen Maße auf die kognitiven Fähigkeiten zurückgreifen können, über die Erwachsene verfügen. Vom vierzigsten Lebensjahr an werden Erwachsene allerdings wieder recht langsam beim Erwerb und beim Lernen fremder Sprachen. Das erklärt man damit, dass die Gehirnzellen von einem gewissen Alter an ihre Plastizität teilweise verlieren. Auch das Gedächtnis lässt im Alter nach. Der Grund, warum Kinder am schnellsten lernen, ist der, dass sie sich in der sogenannten „sprachsensitiven Phase“ befinden. Darunter versteht man die Zeit, in der das Gehirn noch in der Lage ist, Sprachinformationen (z.B. über Phoneme, Grammatik u.ä. einer Sprache) ohne bewusste Planung aus dem Input zu entnehmen und zu entschlüsseln. Diese Phase endet in der Pubertät, man betrachtet das fünfzehnte Lebensjahr als das „kritische Alter“. Ab diesem Alter ist nur noch kognitives Lernen, also Lernen über Bewusstmachung, möglich. Beim ungesteuerten Spracherwerb, also ohne Unterricht, wird die Morphologie und Syntax meist nicht mehr richtig erworben, wenn der Kontakt mit der fremden Sprache erst nach dem fünfzehnten Lebensjahr beginnt. Was die Aussprache betrifft, so sind Kleinkinder unter dem Alter von sechs Jahren allen anderen Gruppen erheblich überlegen im natürlichen Spracherwerb und eventuell auch beim Sprachenlernen mit ihnen angemessenen Methoden. Aber auch in der Zeit zwischen dem sechsten Lebensjahr und dem Ende der sprachsensitiven Phase kann die Aussprache noch gut gelernt werden. Erwachsene können hingegen nur mit sehr viel Zeitaufwand, speziellem Training und bei besonderer Begabung eine perfekte Aussprache lernen, was jedoch meist nicht geschieht. Fremdsprachenunterricht vor der Pubertät wirkt sich also sowohl auf die Aussprache als auch auf Morphologie und Syntax sehr positiv aus. Für den Wortschatzerwerb ist das Alter allerdings kein entscheidender Faktor.
9.1.2 Intelligenz Auch die Intelligenz hat einen Einfluss auf die Fähigkeit Sprachen zu lernen. Es ist allerdings umstritten, wie groß dieser Einflussfaktor ist. Intelligenz ist definiert als die Fähigkeit, intellektuelle und logische Aufgaben zu lösen und komplexere Zusammenhänge wahrzunehmen. Entsprechend der Definition ist Intelligenz also eine Fähigkeit, nicht ein Wissensinhalt. Leider sind Intelligenztests oft so konstruiert, dass sie auch Wissensinhalte messen. Der Erfinder eines Intelligenztests hat ganz klar gemacht, dass „Intelligenz“ schwierig zu messen ist, indem er sagte „Intelligenz ist das, was meine Tests messen“. Es gibt Untersuchungen, nach denen Intelligenz und Fremdsprachenlernfähigkeiten korrellieren 67 . Ob das generell so 66 67
Vgl. Garajova, Katarina, 2001. Fremdsprachen im Primarschulbereich. Theoretische Erwägungen und empirische Befunde zu der Kontroverse um ihre Effizienz. Marburg: Tectum. Von „Korrelation“ spricht man, wenn sich bei der Betrachtung einer Gesamtverteilung zwischen zwei Variablen X und Y ein Zusammenhang/eine Beziehung der Art „je größer x, desto größer ist y“ bzw. „je größer x, desto kleiner ist y“ feststellen lässt. Im oben beschriebenen Fall haben wir es mit einer positiven Korrelation zu tun, d.h. je größer der Intelligenzquotient ist, desto größer sind im Allgemeinen auch die Fremdsprachenlernfähigkeiten.
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gilt, ist aber damit noch nicht restlos bewiesen. Zum einen muss man auf die verwendeten Methoden achten, zum anderen werden sehr häufig statt Fremdsprachenkenntnissen allgemeine kognitive Kenntnisse gemessen. Man hat herausgefunden, dass bei manchen Hörverständnistests mehr als fünfzig Prozent der Antworten richtig gegeben werden konnten, ohne dass man den abgeprüften Text überhaupt gehört hatte. Dass Intelligenz und allgemeine kognitive Fähigkeiten korrelieren, ist natürlich völlig unumstritten. Je intelligenter die untersuchten Menschen sind, umso bessere Erfolge erzielen sie mit stark kognitiv ausgerichteten Lehrmethoden, z.B. mit expliziten Grammatikerklärungen, expliziten Beschreibungen der Unterschiede in der Semantik zwischen Wörtern der zu lernenden und der Muttersprache usw. Aber beispielsweise bei der audiolingualen Methode, die auf Erklärungen dieser Art komplett verzichtet, sind überdurchschnittlich intelligente Lernende nicht schneller erfolgreich im Sprachenlernen als andere Lerner.
9.1.3 Sprachlerneignung Die sogenannte „Sprachbegabung“ oder „Sprachlerneignung“ wird als ein weiterer außersprachlicher Einflussfaktor auf das Fremdsprachenlernen betrachtet. Nach John B. Carroll setzt sich die Sprachlerneignung durch folgende vier Faktoren zusammen: • • • •
phonetische Kodierfähigkeit, d.h. die Fähigkeit, phonetisches Material nach der auditiven Wahrnehmung so zu speichern, dass es nach gewisser Zeit korrekt wiedergegeben werden kann; grammatische Sensitivität, d.h. die Fähigkeit, die grammatische Funktion von Wörtern in verschiedenen Kontexten zu erkennen; die Fähigkeit, fremdsprachliches Material in kurzer Zeit auswendig zu lernen; eine induktive Lernfähigkeit, d.h. Regelmäßigkeiten in neuen fremdsprachlichen Äußerungen zu erkennen und diese Regelmäßigkeiten auf neue Äußerungen zu übertragen.
Da die Sprachlerneignung auch gemessen werden sollte, entwickelten J. B. Carroll und S. M. Sapon 1959 einen Test, den Modern Language Aptitude Test (MLAT). Er sollte beispielsweise zur Einstufung in verschiedene Kurse oder auch zur Berufsberatung genutzt werden. Der MLAT sagt tatsächlich bis zu 70 % des Schulerfolgs beim Fremdsprachenlernen voraus. Besonders die Länge des Tests und die breite Fächerung der Fragen scheinen für die relativ hohe Zuverlässigkeit verantwortlich zu sein. Allerdings ist dieser Test nicht unumstritten. Es wird nach wie vor darüber diskutiert, ob es so etwas wie „Sprachlernbegabung“ oder „-eignung“ überhaupt gibt, da ein so statisches Begabungskonzept nur schwer mit der Dynamik des Fremdsprachenunterrichts zu vereinbaren ist. Die immer neuen Erkenntnisse in der Lernpsychologie und auch in den Unterrichtsmethoden führen dazu, dass immer wieder neue Tests entwickelt werden. Momentan wird der CANALF Test (Cognitive Ability for Novelty in Language Acquisition-Foreign) überarbeitet und auch Jonathan Rees von der University of Birmingham arbeitet derzeit an einem neuen Test zur Messung der Sprachlerneignung.
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9.1.4 Lernertypen Während die Sprachlerneignung misst, wer besser oder schlechter Fremdsprachen erlernen kann, nimmt die Unterscheidung nach Lernstilen bzw. Lernertypen keine Wertung vor. Sie stehen vielmehr gleichwertig nebeneinander. Unter einem Lernstil versteht man relativ stabile Vorlieben und Gewohnheiten beim Lernen. Stabil bedeutet hier, dass diese Präferenzen über längere Zeit konstant sind. Diese Vorlieben beziehen sich auf die Art der Informationsaufnahme und -verarbeitung sowie auf die Situation, in der gelernt wird. Es spielt also eine Rolle, über welchen Wahrnehmungskanal ein Lernender am besten und am liebsten Informationen aufnimmt (zum Beispiel optisch/visuell oder auditiv), ob er lieber in einer Gruppe oder alleine arbeitet und welche Art von Aufgaben er bevorzugt. Auch affektive Faktoren sind von Bedeutung, wie etwa die Stärke und die Art der Motivation und die Bereitschaft, Risiken einzugehen, wie z.B. auch bei sehr geringen Sprachkenntnissen schon zu sprechen. Lernstile können nicht direkt, sondern nur anhand bestimmter Verhaltensweisen beobachtet werden. Sie schlagen sich in der Regel sowohl in bestimmten Strategien und Techniken beim Sprachenlernen als auch als allgemeine Verhaltenstendenzen nieder. Primär visuell orientierte Lernende neigen vielleicht dazu, das Gehörte noch einmal schriftlich festzuhalten, während primär auditiv orientierte Lernende etwas Gelesenes für sich selbst laut wiederholen. Die allgemeinen Verhaltenstendenzen äußern sich zum Beispiel darin, dass einige Lernende sich mutig am Unterricht beteiligen, während andere sehr zurückhaltend sind. Anhand dieser Lernstile lassen sich verschiedene Lernertypen unterscheiden. Manche Autoren gehen von über 20 Lernstildimensionen aus. Deshalb gibt es viele unterschiedliche, teils auch verwirrende Klassifikationssysteme. Die bekannteste Unterscheidung ist die nach der Tendenz zur Bevorzugung eines speziellen Wahrnehmungskanals, also primär visuell, auditiv oder taktil/haptisch (= über Fühlen und Bewegung) Lernende. Natürlich kommen Lernstile und Lernertypen nicht in „Reinform“ vor. Sie können nur anhand bestimmter Tendenzen einer Gruppe zugeteilt werden. Eine andere wichtige Unterscheidung ist die zwischen einem analytischen und einem globalen Stil. Der analytische Stil zeichnet sich dadurch aus, dass Lernende umfeldunabhängig vorgehen können, d.h. dass sie sich nicht allzu stark auf den Kontext stützen und beispielsweise negative Erfahrungen im Zielsprachenland ihren Sprachlernprozess nicht beeinflussen. Sie haben eine analytische Wahrnehmung und bevorzugen deskriptive Analysen, das „Lernen“ gegenüber dem „Erwerben“. Analytische Lernende versuchen, induktiv Regeln zu erkennen und zu bilden und Risiken beim Sprechen zu vermeiden. Die sprachliche Korrektheit steht für sie im Vordergrund. Anders beim globalen oder „holistischen“ Stil. Hier gehen die Lernenden sehr stark kontextbezogen (umfeldabhängig) und assoziativ vor. Schlechte Erfahrungen mit Sprechern der Zielsprache führen zu schlechteren Lernerfolgen. Regeln stehen bei dem globalen Lernstil nicht im Mittelpunkt, vielmehr werden beim Lernen von Fremdsprachen Daten gesammelt, die dann auf eine risikobereite Art und Weise beim Sprechen wieder verwendet werden. Lernende, die den globalen Lernstil bevorzugen, lernen stärker durch Kommunikation als durch Regeln. Ein weiterer Aspekt bei der Unterscheidung der Lernstile ist die Reflexivität und Impulsivität. Er bezieht sich auf das Entscheidungsverhalten der Lernenden. Stark reflexive Lerner über110
prüfen ihre Äußerungen vor dem Sprechen oder Schreiben wesentlich stärker und reagieren deshalb häufig etwas langsamer, dafür aber weniger fehlerbehaftet als impulsive Lerner mit sonst gleichen Fähigkeiten. Impulsive Lerner neigen zur spontanen und oft wenig kontrollierten Kommunikation. Auch die Ambiguitätstoleranz ist ein Merkmal zur Unterscheidung von Lernstilen. Die Ambiguitätstoleranz bezeichnet die Bereitschaft eines Lerners oder einer Lernerin, widersprüchliche oder unvollständige Informationen zu verarbeiten. Ambiguitätstolerante Lernenden scheint es wenig oder überhaupt nicht zu stören, wenn sie beispielsweise in Texten mit Grammatikformen konfrontiert werden, mit denen sie noch nicht vertraut sind und die sie einfach hinnehmen sollen, ohne die zugrunde liegende Regel zu lernen. Es stört sie nicht, wenn sie sich ständig mit unbekanntem sprachlichen Material und unerwarteten Situationen auseinandersetzen müssen. Der negative Aspekt dieser Verhaltenstendenz ist ein vorschnelles Ziehen von Schlüssen und Verallgemeinerungen, wenn zum Beispiel zu viele Wörter „erraten“ werden, weil das Nachschlagen im Wörterbuch überflüssig erscheint. Ambiguitätsintolerante Lernende haben deutlich größere Schwierigkeiten beim Umgang mit unvollständigen Informationen und neuen Situationen. Diese Lernenden profitieren von stark strukturiertem Fremdsprachenunterricht weitaus mehr als von Projektarbeiten und Spracherwerb in authentischen Kommunikationssituationen. Aus diesen Unterscheidungen ergeben sich nun Lernertypen wie beispielsweise der primär auditive, analytisch-reflexive-ambiguitätsintolerante Lernende. An diesem Beispiel zeigt sich schon, dass die Klassifizierung in der Tat verwirrend und unklar ist und zu einer großen Anzahl von verschiedenen Lernertypen führt. Ob die zahlreichen Lernertypentests, die in Lehrwerken oder auch im Internet zu finden sind, Lernenden und Lehrenden tatsächlich wichtige Informationen liefern oder nur zur Verwirrung beitragen, ist sehr unterschiedlich. Sie sind fast alle sensomotorisch ausgerichtet – d.h. der bevorzugte Wahrnehmungskanal (Sehen, Hören) sowie taktiles Lernen stehen im Mittelpunkt – und lassen den Lernenden ausprobieren, auf welchem Weg sie die besten Behaltensleistungen erzielen. Das Ergebnis, zu dem die Lernenden dadurch gebracht werden sollen, ist das: Der beste Lernerfolg wird erzielt, wenn verschiedene Vorgehensweisen und Wahrnehmungskanäle kombiniert werden (vgl. Stufen International 1, 159f.). Natürlich stellt sich die Frage, welche Bedeutung diese Einteilung für die Praxis hat. Es gibt die Möglichkeit, den verschiedenen Lernertypen etwas entgegen zu kommen. Dazu gehört zum Beispiel, dass Informationen nicht nur auditiv, sondern auch visuell präsentiert werden. Und auch andere lernstilabhängige Komponenten, wie etwa die Ambiguitätstoleranz oder die Reflexivität bzw. Impulsivität der Lernenden, sollten berücksichtigt werden, indem Aufgabenstellung und Unterrichtssituationen entsprechend variiert werden und der Lehrstil der Lernergruppe angepasst wird. In einer z.B. tendenziell stärker ambiguitätsintoleranten Gruppe könnten strukturierte Phasen dominieren und die Lernenden schrittweise an freiere Phasen, wie etwa Projektarbeit, herangeführt werden, während in gemischten Gruppen strukturierte Unterrichtsphasen und relativ freie Phasen abwechselnd eingeplant werden sollten. Die Lernenden können mit Hilfe der Lehrperson ein Bewusstsein entwickeln, dass es unterschiedliche Präferenzen beim Lernen gibt und wozu sie persönlich tendieren. Da bei vielen Lernertypentests die Wahrnehmungskanäle im Mittelpunkt stehen, sollte den Lernenden allerdings auch bewusst sein, dass die Bevorzugung eines Wahrnehmungskanals in erster Linie
111
bei der Aneignung von reproduzierbarem Wissen, beim Auswendiglernen, eine Rolle spielt. Für komplexere Lernprozesse scheint es weniger relevant, über welche Sinne gelernt wird. 68
9.1.5 Motivation und Motivierung Auch Motivation ist ein wichtiger Aspekt der unterschiedlichen Lernstile. Denkt man an gelungenen Fremdsprachenunterricht, benutzt man häufig Wörter wie „Motivation“, „motiviert“ und „motivieren“. Doch was bedeutet eigentlich ein motivierender Fremdsprachenunterricht? Wie verhält sich ein motivierter Schüler? Ein motivierter Mensch zeichnet sich dadurch aus, dass er eine Diskrepanz zwischen einem Ist- und einem Soll-Zustand wahrnimmt und es sich zum Ziel macht, diese Diskrepanz zu verringern. Im Fremdsprachenunterricht könnte das beispielsweise heißen, dass man in der Fremdsprache über ein bestimmtes Thema kommunizieren möchte, dazu aber noch nicht in der Lage ist. Nun setzt der Lerner oder die Lernerin alles daran, die Sprachkenntnisse zu verbessern. Die Diskrepanz zwischen einem Ist- und einem Soll-Zustand kann sich natürlich auch in Noten oder in vielen anderen Dingen ausdrücken. Motivation ist also eine Antriebskraft oder besser ein Bündel von Antriebskräften. In der Forschungsliteratur wird dabei immer die Prozesshaftigkeit von Motivation betont, was sich auf den Verlauf von der Auslösung der Motivation bis zum Erreichen des Ziels bezieht. In dieser Phase kann sich die Motivation durch weitere Motive (= innere Beweggründe) oder Anreize (= äußere Einflüsse) erhöht werden oder auch an Intensität verlieren. Man unterscheidet zwischen intrinsischer oder primärer und extrinsischer oder sekundärer Motivation. Intrinsische Motivation wird ohne Einwirken von Außen ausgelöst. Typisch für intrinsische Motivation sind die Neugier und der Forscherdrang, die Suche nach Herausforderungen und der Wunsch, die eigenen Fähigkeiten zu verbessern. Von extrinsischer Motivation spricht man dann, wenn ein zielgerichtetes Verhalten erkennbar von einem äußeren Anlass oder einer erwarteten Konsequenz ausgeht, beispielsweise durch Noten in der Schule. Ein weiteres Begriffspaar ist das der integrativen und der instrumentellen Motivation. Auf den Fremdsprachenunterricht bezogen bezeichnet die integrative Motivation das Verhalten eines Lernenden, der mehr oder weniger in die Zielsprachenkultur hineinzuwachsen versucht, während ein instrumentell motivierter Lernender eine Fremdsprache erlernt, um beispielsweise bessere Berufschancen zu haben oder um Zigaretten im Land der Zielsprache kaufen zu können. Natürlich gibt es sehr unterschiedliche Motive, also Beweggründe, die Lerner im Fremdsprachenunterricht bewegen und ebenso viele Maßnahmen, durch die die Lehrperson intentional auf die Lerner einwirken kann. Man geht davon aus, dass es im Unterricht zu einer Interaktion von motivierender Situation und motiviertem Lernenden kommt, die ihre eigene Dynamik entwickelt. Die Motivation in einer Unterrichtssituation ist also nicht nur vom Lernenden, vom Lehrenden oder von den Maßnahmen zur Motivierung abhängig, sondern von dem Zusammenwirken dieser Faktoren.
68
Vgl. Grotjahn, Rüdiger, 2003. „Lernstile/Lernertypen“ in: Bausch, Karl-Richard u.a. (Hrsg.), 2003. Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4. vollständig neubearbeitete Auflage. Tübingen: Franke (UTB für Wissenschaft), 326-331.
112
Im Fremdspracheunterricht ist es wegen der Sequentialität und der hohen Übungsintensität besonders schwierig für die Lernenden, die Motivation aufrecht zu erhalten. Wer in einem Lernjahr etwas versäumt, wird vermutlich immer Probleme haben, weil alles auf einander aufbaut (=Sequentialität) und man zum Sprechen einer Fremdsprache eben so viele Kenntnisse wie möglich braucht. Es ist auch nicht wie in der Mathematik, wo man eine Aufgabe lösen kann, wenn man ein bestimmtes Phänomen begriffen hat. Man muss sich mit der Fremdsprache auseinandersetzen, viel sprechen, lesen, hören und schreiben, um die Kenntnisse zu festigen und zu verbessern. Um positiv auf die Motivation der Lernenden einzuwirken, sollte die Lehrperson natürlich selbst möglichst motiviert sein. Ihre weitere Einflussmöglichkeit auf die Motivation der Lernenden ist allerdings dadurch beschränkt, dass viele Faktoren außerhalb des Unterrichts liegen. Schon vor der ersten Unterrichtsstunde hat jeder Lerner eine Einstellung, die nicht immer zu beeinflussen ist. Die Familie und das gesamte Umfeld spielen dabei ebenso eine Rolle wie die Art und Qualität des Unterrichts, den der Lerner zuvor erfahren hat. Auch die persönliche Disposition des Lerners ist zu berücksichtigen. Eine erfolgsmotivierte Person sucht die Gründe für ein Erfolgserlebnis in den eigenen Fähigkeiten, sie schreibt die Gründe für einen Misserfolg aber äußeren Umständen zu, wie etwa der Lehrperson oder einfach nur dem „Pech“. Eine erfolgsmotivierte Person kann durch kleine Misserfolge zu besserer Leistung angespornt werden. Bei einer misserfolgsmotivierten Person ist es umgekehrt: Erfolge werden mit „Zufall“ begründet, Misserfolge mit dem eigenen Versagen. Misserfolge führen dementsprechend eher dazu, dass der Lernende resigniert, als seinen Ehrgeiz zu wecken. Natürlich sind diese Typen normalerweise nicht in Reinform zu finden, doch Tendenzen sind häufig erkennbar. Im Fremdsprachenunterricht heißt das, dass die Lehrperson beim Schwierigkeitsgrad der Aufgaben und beim Korrekturverhalten beide Typen berücksichtigen muss, d.h. die Aufgaben dürfen nicht immer einfach zu lösen sein, sollten die Lernenden aber auch nicht permanent an ihre Grenzen bringen. Außerdem muss die Lehrperson auch oft individuell auf einen Lerner eingehen, beispielsweise mit verstärktem Lob oder verstärkter Kritik. Motivation ist allerdings nicht nur interindividuell, d.h. es gibt nicht nur Unterschiede zwischen den einzelnen Lernenden, sondern auch intraindividuell, was bedeutet, dass ein Lerner an einem Tag hoch motiviert sein kann und schon am nächsten Tag kaum noch. Außer durch die Wahl der Aufgaben kann eine Lehrperson die Motivation der Lernenden natürlich auch durch möglichst ansprechenden und motivierenden Unterricht beeinflussen. Motivierender Unterricht heißt nicht, die Lerner zu unterhalten und ihnen alles so leicht wie möglich zu machen. Lernen ist immer mit Aufwand verbunden. Wodurch sich nach Ansicht der Sprachlehrforschung und Lernpsychologie motivierender Unterricht auszeichnet, ist immer auch von aktuellen Strömungen in der Forschung abhängig, wie etwa wenn der Verzicht auf Grammatikunterricht oder die Betonung mündlicher Fertigkeiten als Voraussetzungen für motivierenden Unterricht genannt werden. Allerdings gibt es doch einige Überlegungen, mit denen man Fremdsprachenunterricht generell motivierender gestalten kann. Besondere Motive, die dabei berücksichtigt werden sollen, sind zum Beispiel das Wissensmotiv, das Nützlichkeitsmotiv sowie das Kommunikationsmotiv. Das heißt, die Lernenden sollen kommunizieren, sich austauschen, und zwar nicht nur in Form von nachgestellten Dialogen, sondern möglichst in authentischer Kommunikation, das heißt, über Themen und Inhalte, über die sie selbst etwas zu sagen haben. Das Wissensmotiv verlangt danach, dass Wissen angehäuft werden kann. Dazu muss es allerdings entsprechend aufbereitet sein. Dem Nützlichkeitsmotiv entgegen zu kommen bedeutet, dass nützliche und sinnvolle Inhalte 113
vermittelt werden und die Lernenden auch immer wissen, warum sie etwas lernen sollen. Geeignet sind auch gelegentliche projektartige Aufgaben, weil die Lerner sich dabei selbst einbringen, das Ziel und den Zweck erkennen und eventuell auch authentisch kommunizieren können.
9.2
Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Individualität im Unterricht
Themen wie die Sprachlerneignung oder die Motivation zeigen, wie groß die individuellen Unterschiede zwischen Lernenden sein können. Während man sich mit dem kommunikativen Ansatz seit Mitte der 1970er Jahre von einem lehrer- zu einem lernerzentrierten Fremdsprachenunterricht bewegte, folgte in den 1980er und 1990er Jahren eine weitere Ausdifferenzierung hin zur Individualisierung des Fremdsprachenunterrichts. Somit ist die Frage nach der Individualität der Lernenden und, wie man ihr am besten Rechnung tragen kann, in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer mehr in das Interesse der Forschung und auch der Fremdsprachenlehrpersonen gerückt. Im Fremdsprachenunterricht bedeutet die Berücksichtigung der Individualität zum Beispiel, dass man darauf achtet, dass verschiedene Lernertypen angesprochen werden. Außerdem sollte versucht werden, den unterschiedlichen Interessen und Fähigkeiten sowie dem unterschiedlichen Leistungsstand der Lernenden über das Prinzip der Binnendifferenzierung entgegen zu kommen. So können beispielsweise stärkere Lernende schon an einem selbstständig zu erarbeitenden Projekt arbeiten und sich in einem bestimmten Bereich verbessern, während andere Lernende noch einmal ein Grammatikphänomen wiederholen oder an ihrer Aussprache arbeiten. Die Möglichkeiten im Klassenraum sind begrenzt, so dass auch die Gelegenheit genutzt werden muss, die Lernenden außerhalb des Unterrichts individuell zu fördern. Dort kann jeder Lernende im eigenen Tempo und mit dem eigenen Lernstil lernen und sich so besser weiter entwickeln. Allerdings heißt Individualisierung nicht, die Lernenden sich selbst zu überlassen und ihnen mit auf den Weg zu geben, dass sie ihren eigenen Stil finden müssen. Es heißt viel mehr, ihnen beratend zur Seite zu stehen, sie zu motivieren und zum selbstständigen und eigenverantwortlichen Lernen anzuleiten.
9.2.1 Selbstgesteuertes Fremdsprachenlernen Obwohl der Begriff „selbstgesteuertes Fremdsprachenlernen“ in der Forschungsliteratur oft für Unterschiedliches benutzt wird, so lässt sich doch zusammenfassend sagen, dass hierfür die besondere Gestaltung der Unterrichtsmaterialien charakteristisch ist. Alle Materialien sind so gestaltet, dass sie alle notwendigen Erklärungen und Anleitungen enthalten, so dass sie ohne Lehrperson bearbeitet werden können. Somit bezieht sich die Selbststeuerung in erster Linie auf den Zeitpunkt, zu dem die Materialien bearbeitet werden, und auf den Ort. Selbstgesteuertes Lernen hat besonders durch die Verbreitung der sogenannten Neuen Medien (CD-Rom, Internet) an Bedeutung gewonnen. Lehrende können diese Medien für bestimmte Aufgaben nutzen, mit denen die Lernenden sich außerhalb des Unterrichts beschäftigen sollen oder die Lernenden können selbst auf eine oft große Auswahl an Offline- und OnlineMaterialien zurückgreifen. Diese Möglichkeiten und auch die Fülle an Materialien stellen neue Anforderungen an die Lernenden. Nicht nur der Umgang mit den Neuen Medien, sondern vor allem auch die selbstständige Beurteilung und Einschätzung von Materialien sowie die Beurteilung und Bewertung 114
des eigenen Lernverhaltens, eventuell auch der eigenen Leistungen, sind beim selbstgesteuerten Lernen den Lernenden überlassen. Insofern empfiehlt es sich, sie im Fremdsprachenunterricht gezielt auf diese Anforderungen vorzubereiten. Um den Lernenden das selbstgesteuerte Fremdsprachenlernen zu erleichtern, müssen Lerntechniken und Lernstrategien im Fremdsprachenunterricht vorgestellt und eingeübt werden. Unter Lerntechnik versteht man normalerweise eine Einzelmaßnahme, die zum Lernen eingesetzt wird, wohingegen Lernstrategien eine Kombination von verschiedenen Techniken sind. Allerdings scheinen sich diese Begriffe in der Literatur immer mehr zu vermischen. Zu den Lerntechniken gehört nach dieser Differenzierung insbesondere der richtige (und kritische) Umgang mit diversen Arbeitsmitteln wie Lernergrammatiken und Wörterbüchern, eine enorm wichtige Fertigkeit beim selbstgesteuerten Lernen. Auch das Arbeiten mit einer Vokabelkartei sollte im Unterricht thematisiert werden. Nicht alle Lernenden können gut damit arbeiten, sie sollten aber damit vertraut sein und später selbst entscheiden, ob sie diese Technik anwenden oder nicht. Auch Notizen zu machen muss erst gelernt und geübt werden. Ein Beispiel für eine Lernstrategie, die im Fremdsprachenunterricht entwickelt werden sollte, ist das Vorgehen beim Leseverstehen. Dazu müssen die Lernenden zunächst wissen, dass es drei verschiedene Arten von Lesen gibt (globales, detailliertes und selektives Lesen), unter denen sie je nach Aufgabe und Zielsetzung wählen müssen. Darüber hinaus müssen sie den Umgang mit unbekanntem Vokabular lernen. Ebenso wichtig sind auch die Vorgehensweisen beim Hörverstehen oder bei der Planung mündlicher und schriftlicher Äußerungen, sowie für zahlreiche andere Strategien und Techniken. Verschiedene Autoren unterscheiden im Bereich der Lernstrategien zwischen direkten (kognitiven) und indirekten Lernstrategien. Zu den direkten Strategien gehören Gedächtnisstrategien (mentale Bezüge herstellen, Bilder und Laute verwenden) sowie Sprachverarbeitungsstrategien (strukturieren, analysieren und Regeln anwenden, üben, Hilfsmittel anwenden). 69 Alle diese Fertigkeiten helfen den Lernenden zwar auch im Unterricht, vor allem aber, wenn sie Aufgaben selbstständig außerhalb des Unterrichts bearbeiten müssen.
9.2.2 Lernerautonomie Selbstgesteuertes Fremdsprachenlernen bietet durch die freie Wahl der Methoden, des Arbeitsortes und der Zeit einen relativ hohen Grad an Selbstbestimmung. Beim autonomen Lernen ist die Selbstbestimmung wesentlich größer, denn die Lernenden entscheiden selbst, dass sie lernen wollen, was sie lernen wollen, wie sie dabei vorgehen wollen, ob sie alleine oder mit anderen lernen wollen, wie sie die Zeit einteilen und wie sich bewerten oder bewerten lassen. Lernerautonomie bezieht sich also auf die Fähigkeit des Lernenden, selbstständig Entscheidungen zu treffen und entsprechend zu handeln. In der Fachliteratur wird der Begriff allerdings sehr unterschiedlich ausgelegt. Unter dem Begriff „Autonomie“ versteht man im Bezug auf das Lernen wahlweise ein allgemeines Erziehungsziel, einen methodisch-didaktischen Ansatz, eine angeborene oder erlernte Fähigkeit oder einen Prozess, der von den Lernenden gestaltet und von den Lehrenden gefördert wird. Im Allgemeinen wird zwischen Lernerautonomie mit und ohne Unterrichtsbezug sowie mit selbst- oder fremdgesetzten Lernzielen unterschieden.
69
Vgl. Bimmel, Peter/Rampillon, Ute, 2001. Lernerautonomie und Lernstrategien. Fernstudienangebot Deutsch als Fremdsprache u. Germanistik. Berlin/München: Langenscheidt.
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Lernerautonomie hat zum Teil Berührungspunkte mit pädagogischen Ansätzen, die das Ziel haben, die Lernenden zu mehr Selbstständigkeit zu erziehen, wie beispielsweise der reformpädagogische Ansatz von Célestin Freinet. Außerdem beruht sie auf der Erkenntnis der kognitiven Psychologie, dass Lernen und Informationsverarbeitung nicht nur auf den eingehenden Reizen (also Lernmaterialien und -inhalte), sondern auch auf dem bereits gespeicherten Wissen beruhen, so dass der Lernprozess individuell sehr unterschiedlich abläuft. Eine Lernform, die Lernerautonomie in hohem Maße ermöglicht, sind sogenannte PeerTeaching-Modelle, das heißt, Lernende unterstützen und unterrichten sich gegenseitig. Eine weit verbreitete Form dieser Peer-Teaching-Modelle ist das Fremdsprachenlernen im „Tandem“. Dabei treffen sich zwei Lernende, die jeweils die Muttersprache des Partners lernen möchten. Wie sie den Lernprozess gestalten, ist ihnen selbst überlassen. Je nach Niveau und Bedürfnissen können diese Treffen von Konversation in der Zielsprache über den Einsatz authentischer Materialien bis hin zu Unterricht mit Arbeitsblättern und anderen didaktisierten Materialien reichen. Der Lernerfolg solcher Projekte ist deshalb auch abhängig von der Vorgehensweise der Lernenden und somit schwer generell zu beurteilen. Im Fremdsprachenunterricht kann Lernerautonomie beispielsweise dadurch gefördert werden, dass ein breiteres Spektrum an Aufgaben gestellt wird, aus dem die Lernenden auswählen. Auch Gruppenarbeit kann zur Lernerautonomie beitragen, denn jeder Lerner und jede Lernerin ist so in höherem Maße für den Lernprozess mit verantwortlich. Auch die Rolle der Lehrperson verändert sich, wenn die Lernerautonomie stärker berücksichtigt und gefördert werden soll. Lehrende werden zu Beratern und Regisseuren. In der Unterrichtspraxis sind der Lernerautonomie allerdings auch Grenzen gesetzt. Eine Lehrperson kann nicht für jede Unterrichtseinheit eine Fülle an Materialien vorbereiten, die jedem Lernenden eine ausreichend große Auswahl bietet. Ein weiteres Problem ist die Leistungsmessung, denn sie kann nicht immer den Lernenden überlassen werden, besonders wenn es um das Erreichen bestimmter Lernziele oder das Bestehen einer institutionalisierten Prüfung geht. Und nicht zuletzt müssen auch die Lernenden bestimmte Voraussetzungen erfüllen, um autonomes Lernen zu ermöglichen, insbesondere die Fähigkeit und die Bereitschaft dazu. Deshalb muss im Unterricht auch bedacht werden, dass nicht jeder Lernende gleichermaßen von einem großen Maß an Lernerautonomie profitiert. Natürlich sollen diese Grenzen nicht bedeuten, dass Lernerautonomie keinen Platz im Unterrichtsalltag haben soll. Es ist unerlässlich, den Lernenden Strategien und Fertigkeiten beizubringen, die es ihnen ermöglichen, ihren Lernprozess aktiver selbst zu gestalten.
9.2.3 Sprachlernberatung Aus dem Gedanken, dass der Lernprozess individuell sehr unterschiedlich ist, ergibt sich die Schlussfolgerung, dass jeder Lernende individuelle Lernschwierigkeiten hat, wodurch auch eine individuelle Beratung der Lernenden naheliegend ist. Außerdem ist Lernberatung besonders beim selbstgesteuerten Lernen besonders wichtig, damit die Lernenden Hilfe bei Zielsetzungen und Vorgehensweise erhalten. Im Allgemeinen versteht man unter Lernberatung lernerzentrierte, problemorientierte Einzelgespräche über Inhalte und Techniken eines aktuellen Lernprozesses, die die Lernenden zu mehr Autonomie befähigen sollen. Sprachlernberatung im weitesten Sinne ist oft Teil des regulären Fremdsprachunterrichts, zum Beispiel wenn ein Lerner nach dem Unterricht auf die Lehrperson zukommt, um zu fragen, 116
mit welchen Lehrwerken er außerhalb des Unterrichts arbeiten kann. In den letzten zehn Jahren wurde der Sprachlernberatung in Theorie und Praxis immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt, wie zahlreiche Veröffentlichungen und Tagungen, aber auch das große Angebot von Sprachlernberatung an Sprachenzentren etc. belegen. Dadurch wurde die Lernberatung professionalisiert. Neben der Vermittlung von Informationen zum Lehrangebot oder zu Lehrmaterialien können sich Lernberater auch am fremdsprachlichen Lernprozess beteiligen, beispielsweise durch Evaluation des Sprachstands oder durch die Beantwortung sprachlicher Fragen. Außerdem kann durch die Vermittlung von Lerntechniken und -strategien, durch das Setzen von Lernzielen und durch die Strukturierung des Lernstoffes die Autonomie der Lernenden gefördert werden. In der Sprachlernberatung wird sehr viel Wert auf ein nichtdirektives Beratungskonzept gelegt, was bedeutet, dass nicht der Berater Schlussfolgerungen zieht und entsprechende Empfehlungen ausspricht, sondern dass der Lernende Raum für eigene Überlegungen hat. Der Lernende steht also im Mittelpunkt. Ziel der Sprachlernberatung ist die Reflexion über den Lernprozess. Dazu gehört unter anderem das Setzen von eigenen, realistischen Lernzielen sowie das Erkennen von Stärken und Schwächen. Darauf aufbauend können Strategien entwickelt werden, die den Lernenden helfen, effizienter zu lernen und auch über einen längeren Zeitraum ein gewisses Maß an Motivation aufrecht zu erhalten. Je nach Organisationsform unterscheidet man verschiedene Formen der Beratung. ¾ kursunabhängige face-to-face-Beratung: Dabei vereinbaren Lehrpersonen oder in klientenzentrierter Gesprächsführung ausgebildete Lernberater feste Termine mit Lernenden, die solch ein Beratungsgespräch wünschen. Zu Beginn findet oft eine Evaluation statt, die Probleme im sprachlichen Bereich und auch bei Lerntechniken offen legen soll. ¾ kursbegleitende face-to-face-Beratung: Hier findet die Beratung durch die Lehrperson statt. ¾ kursunabhängige Fernberatung: Diese Art der Beratung gibt es per Telefon und vor allem im Internet. ¾ kursbegleitende Fernberatung: Kursbegleitende Fernberatung wird gelegentlich in einer virtuellen Lernumgebung angeboten. ¾ Peerbesprechungen: Bei Peerbesprechungen sollen sich Lernende in Kleingruppen oder in Partnerarbeit in einer dafür reservierten Zeit über ihren Lernprozess und über Lernschwierigkeiten austauschen. Neben der Organisation können auch andere Faktoren in der Sprachlernberatung variieren. Einer dieser Faktoren ist der Beratungsanlass. Lernende können aus privaten oder aus beruflichen Gründen den Wunsch haben, ihren Lernprozess anders zu gestalten. Außerdem ist die Frage, ob sie wegen akuter Schwierigkeiten oder aus anderen Gründen eine Beratung aufsuchen. Auch Alter, Geschlecht und Schulbildung der Klienten führt dazu, dass Sprachlernberatung ganz unterschiedlich ablaufen kann. Jemand, der bereits die vierte Fremdsprache lernt, hat vermutlich andere Schwierigkeiten und auch ein anderes Reflexionsverhalten als jemand, der die erste Fremdsprache lernt. Ein Lernberater muss verschiedene Qualitäten mitbringen. Besonders bei einer inhaltsbezogenen Beratung, die auch sehr stark auf die Fremdsprache eingeht, ist Fachwissen unerlässlich. 117
Außerdem benötigt ein Berater auch Kenntnisse in der Gesprächsführung und ein großes Maß an Empathie. In der Fachliteratur plädieren einige Autoren übrigens für eine strikte Trennung zwischen Lehrer und Lernberater, um Bewertungssituationen in der Beratung zu vermeiden und den Lernenden die Möglichkeit zu geben, auch Ding anzusprechen, die sie der Lehrperson nicht sagen möchten. Für andere Autoren ist es aber durchaus denkbar, das die Lehrperson auch als Lernberater fungiert, da sie größere Einblicke in den Lernprozess hat. Durch den individuellen Rahmen, in dem Lernberatung stattfindet, kann sie sehr effizient sein. Allerdings gibt es auch zahlreiche Probleme. Eine besonders große Schwierigkeit ist die fehlende Verbindlichkeit der Beratung. Die Lernenden fühlen sich nicht verpflichtet, dieses Angebot regelmäßig und über einen längeren Zeitraum wahrzunehmen, so dass oft nur akute Probleme behoben werden können. Dennoch wird Lernberatung sicherlich weiter an Bedeutung gewinnen und auch an verschiedenen Institutionen verstärkt angeboten werden.
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Fachsprachenunterricht
10.0 Einleitung Ein großer Teil des DaF-Unterrichts für Erwachsene richtet sich an Personen, die Deutsch lernen wollen, weil sie es im Beruf brauchen. Deshalb spielt Fachsprachenunterricht seit den 1960er Jahren eine immer größere Rolle im Fremdsprachenunterricht. Zuerst beinhaltete das vor allem Fachvokabular für Berufe im Bereich Technik und Tourismus. Im Laufe der Zeit rückten andere Bereiche in den Mittelpunkt des Interesses, so zum Beispiel seit den 1990er Jahren der Fachsprachenunterricht „Wirtschaftsdeutsch“. Das gesamte Konzept von Fachsprachenunterricht hat sich im Laufe der Zeit verändert. So geht es nun nicht mehr nur um das entsprechende Vokabular, sondern um die Fähigkeit, sich in der Fremdsprache fachlich angemessen zu informieren und zu verständigen, was neben Fachkenntnissen auch kulturelles Wissen einschließt. Für den Fachsprachenunterricht wurden spezielle Lehrwerke entwickelt, wie etwa Wirtschaftskommunikation Deutsch 70 vom Langenscheidt-Verlag, Aus moderner Technik und Naturwissenschaft 71 oder Deutsch im Hotel 72 vom Hueber-Verlag. Die wichtigsten Bereiche, für die spezielle Lehrmaterialien entwickelt werden, sind nach wie vor „Deutsch für den Tourismus und das Hotelgewerbe“ und „Wirtschaftsdeutsch“.
10.1 Fachsprachenunterricht: Begriffsbestimmung und Zielsetzung Was ist aber „Fachsprachenunterricht“? Bei Begriffen wie „Wirtschaftsdeutsch“ oder auch „Fachsprachen“ können verschiedene Assoziationen entstehen. Einerseits klingt es ein bisschen nach einer ganz anderen Varietät der Sprache, andererseits könnte man sich auch vorstellen, dass die Allgemeinsprache lediglich um das entsprechende Vokabular ergänzt wird. Beides ist nicht ganz richtig. Auch Fachsprachen folgen natürlich genau den grammatischen Regeln des Deutschen. Nicht nur die Grammatik ist gleich, auch der Wortschatz der Allgemeinsprache ist Bestandteil der Fachsprache. Das Besondere an Fachsprachen ist, dass sie einerseits über einen (im Großen und Ganzen zusätzlichen) Spezialwortschatz verfügen und dass andererseits auch im beruflichen Umgang miteinander Formen existieren können, die Außenseiter nicht kennen. Beides muss sich die Sprachlehrperson, die die entsprechende Fachsprache vermitteln will, bis zu einem gewissen Grad aneignen. Es ist auch wichtig zu wissen, dass sich die Kommunikation von Fachleuten untereinander, mit Fachleuten verwandter Fächer (z.B. zwischen Wirtschaftlern und Rechtsexperten) und die Kommunikation von Fachleuten mit der Öffentlichkeit (z.B. im Wissenschaftsjournalismus) jeweils unterschiedlicher Kommunikationsstrukturen und unterschiedlicher Ausdrucksmittel bedient. Ziel des Fachsprachenunterrichts ist es, die Lernenden in die Lage zu versetzen, in der Zielsprache entsprechende Gespräche zu führen und auch Fachtexte zu verstehen. Dabei ist die Entwicklung von strategischer Kompetenz besonders wichtig. Dazu gehört, berufliche Handlungen zu planen und auch auszuführen, Strategien der Gesprächsführung zu entwickeln und besonders Techniken des Präsentierens und Verhandelns zu lernen und zu üben. Für den Umgang mit Fachtexten benötigen die Lernenden neben einer guten Kenntnis der Terminologie auch gute Entschlüsselungsstrategien. Aus dieser Zielsetzung lässt sich ableiten, dass Fach70 71 72
Eismann, Volker, 2000. Wirtschaftskommunikation Deutsch. München: Langenscheidt. Zettl, Erich/Jansen, Jörg/Müller, Heidrun, 1999. Aus moderner Technik und Naturwissenschaft. München: Max Hueber Verlag. Barberis Italiano, Paolo/Bruno Valperga, Elena, 2001. Deutsch im Hotel. München: Max Hueber Verlag.
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sprachenunterricht relativ selten im Anfängerunterricht stattfindet. Auf dem Markt sind allerdings auch Lehrwerke wie Wirtschaftsdeutsch für Anfänger 73 zu finden, die ähnlich vorgehen wie allgemeinsprachliche Lehrwerke, aber andere Schwerpunkte beim Vokabular und bei der Thematik setzen. Kapitel 2 heißt beispielsweise „Auf der Messe“, Kapitel 3 „Unternehmen“ und Kapitel 4 „Branchen – Anbieter – Abnehmer“. Meist werden jedoch etwa 400 Stunden Fremdsprachenunterricht vorausgesetzt. Dies bedeutet bereits gute rezeptive und produktive Fähigkeiten in der Fremdsprache. Die Aufgabe der Lehrperson im Fachsprachenunterricht ist es, auf sprachliche Korrektheit und Angemessenheit zu achten. Dafür ist es für die Lehrperson unerlässlich, sich ein gewisses Maß an Wissen über das Fach und übliche Kommunikationsformen anzueignen, bevor man in die fachspezifische Kommunikation einsteigt. Da es beispielsweise über den Verlauf von Verhandlungen und geschäftlichen Gesprächen nur eine begrenzte Menge zuverlässiger Daten gibt, kann das oft recht schwierig sein. Nicht zu verwechseln ist der Fachsprachenunterricht mit dem berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht. Dort können im allgemeinen Fremdsprachenunterricht mit Lernenden aus unterschiedlichen Berufsgruppen berufliche Themen und Szenarien einbezogen und die berufsbezogene Kommunikation geübt werden. Beispiele hierfür sind das Verfassen von geschäftlichen Briefen und E-Mails oder das Üben von geschäftlichen Telefonaten oder von Vorstellungsgesprächen, Themen, die selbst in allgemeinsprachlichen Lehrwerken oft vorkommen.
10.2 Funktionen Kenntnisse in einer Fachsprache dienen nicht nur zur Durchführung sprachlicher Handlungen im Beruf. Eine Funktion der Benutzung einer Fachsprache kann aber auch sein, sich als kompetentes Mitglied der entsprechenden Berufsgruppe darzustellen. Die Funktion der Markierung von Gruppenzugehörigkeit – und damit des Teilhabens am Status der entsprechenden Gruppe – zeigt sich in vielen Bereichen, zum Beispiel an Universitäten, wo in Referaten häufig sehr viel Wert auf Fachterminologie gelegt wird. Mit dem Gebrauch des falschen Jargons kann man sich um die Anerkennung der Gruppenmitglieder bringen, wie Sabine Ylönen 74 am Beispiel eines Bauunternehmers aus der ehemaligen DDR gezeigt hat, der 1990 auf der Leipziger Messe eine Geschäftsbeziehung zu einem Fertighaushersteller anbahnen wollte und nicht ernst genommen wurde, weil er es gewohnt war, auch das geplante schlichte Kaufen eines Fertigprodukts, also den Aufbau einer Beziehung „Kunde-Lieferant“, seiner Sozialisation folgend als „Partnerschaft“ zu bezeichnen. O: W: O: W: O:
Also wir suchen äh einen Partner, wir sin ein mittlständisches Bauunternäm Ja Wir suchn'n Partner, Fertigteilhausproduzent, als Hersteller, wo wir dann die Erzeugnisse mit vertreibm Ja und ouch aufbaun könn'. Ylönen 1990, 17
Diese für West-Kaufleute ungewöhnliche Gesprächseröffnung führt zu einem minutenlangen Missverständnis und zu einem höchst belehrenden Verhalten des westdeutschen möglichen Lieferanten gegenüber seinem ostdeutschen möglichen Kunden. Das Beispiel zeigt, dass auch 73 74
Macaire, Dominique/Nicolas, Gerd, 1995. Wirtschaftsdeutsch für Anfänger. München: Klett. Ylönen, Sabine, 1990. Probleme deutsch-deutscher Kommunikation. Unterschiede im kommunikativen Verhalten zwischen Alt- und Neu-Bundesländern. Sprachreport 2/3, 17-20.
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das Aufzeigen von Fachkompetenz neben der Markierung der Gruppenzugehörigkeit eine wichtige Funktion des Gebrauchs von Fachjargon ist. Wer sich nicht den Verbalisierungsgewohnheiten der Berufsgruppe entsprechend verhält, wird als nicht kompetent in diesem Beruf angesehen.
10.3 Kennzeichen Bei einem Jargon, mit dem man sich als kompetentes Mitglied der entsprechenden Berufsgruppe einführen will, geht es um mehr als um den Wortschatz, auch wenn der Wortschatz ein wichtiges Element zur Unterscheidung der Fachsprache von der Gemeinsprache 75 ist. Auch die Art, wie bestimmte Dinge ins Gespräch eingebracht werden und die Bevorzugung bestimmter syntaktischer oder stilistisch/rhetorischer Formen spielen eine Rolle. Die Sprache jeder einzelnen Berufsgruppe enthält vorwiegend Wörter aus der Gemeinsprache und teilt Fachwörter mit anderen Berufsgruppen, aber es gibt eine nur dieser Gruppe zuzuordnende Fachterminologie. Die einzelnen Begriffe in der Fachterminologie sind recht häufig Wörter, die es in der Allgemeinsprache auch gibt, jedoch mit erheblich verengter Bedeutung. Die Bedeutungen können in verschiedenen Fachsprachen unterschiedlich definiert sein. Leistung ist z.B. in der Physik „Arbeit geteilt durch Zeit“, in der Technik „die von einer Kraft in der Zeiteinheit geleistete Arbeit, gemessen in erg/sec, PS oder Watt“, in der Betriebswirtschaftslehre „die Menge oder der Wert der innerhalb eines Zeitraums hervorgebrachten Sachgüter oder der bereitgestellten Dienstleistungen“ und im Rechtswesen „Gegenstand einer Schuldverpflichtung, besonders die Zahlung, ferner vom Schuldner zu bewirkende Handlungen oder abzugebende Willenserklärungen. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen“. In der Alltagssprache ist „Leistung“ nicht besonders definiert, aber meist wird darunter ein von der investierten Zeit völlig unabhängiges gutes Arbeitsergebnis verstanden.
10.4 Spezialwortschatz Es gibt in Fachsprachen auch Wörter, die in der Allgemeinsprache nicht existieren. Manche davon finden später Eingang in die Allgemeinsprache, wenn das so Bezeichnete „in aller Munde“ ist. Die Spezialwörter entstehen vorwiegend durch die Bildung von Kunstwörtern (Telexogramm, Telefax), Abkürzungswörtern (AIDS, Telex (= teleprinter exchange), PVC) und die Übernahme von Fremdwörtern (Computer, scrambling); auch die Bildung von neuen Wörtern aus fremdsprachlichen Morphemen 76 kommt vor, ohne dass diese Wörter in der Sprache existieren, aus der die Morpheme entnommen sind (z.B. containment für die Schutzhülle bei einem Atomkraftwerk, im Englischen heißt das Entsprechende concrete shield). Typisch für Fachsprachen sind auch mehrgliedrige nominale oder verbale Zusammensetzungen, die häufig keine Flexionsformen besitzen (?ich trennschweiße, ?ich bohrhämmere). Häufig kommen auch Ableitungen vor, bei denen die Durchschaubarkeit der Bildungen sehr hoch ist – im Gegensatz zu vielen Ableitungen in der Gemeinsprache. Ein Beispiel dafür sind Ableitungen in der Chemie, wo etwa die Bezeichnungen für Salze ihre Suffixe völlig systematisch erhalten, nämlich -id für sauerstofffreie Salze (Natriumchlorid), it für sauerstoffarme Salze und -at für sauerstoffreiche Salze. 75 76
Dieser Terminus bezeichnet in der Fachsprachen-Literatur den Teil der Sprache, der nicht Fachsprache ist. Unter einem Morphem versteht man die kleinste bedeutungstragende Einheit der Sprache.
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Außerdem gibt es eine fachmetaphorische Verwendung allgemeinsprachlicher Ausdrücke (Cookie in der Computersprache). Daneben gibt es einige weniger häufige Verfahren, z.B. Kätzin (Züchterjargon) nutzt ein gängiges Wortbildungsmuster für ein Wort aus, bei dem es in der Gemeinsprache nicht angewendet werden darf. Gelegentlich werden in Fachsprachen auch Wörter mit von der Gemeinsprache abweichender Flexionsmorphologie (das Lager/die Läger im Kaufmannsdeutsch) oder mit anderem Genus (das Filter in der Technik) gebraucht.
10.5 „Fachsprachengrammatik“ In Fachtexten findet sich oft eine andere Verteilung grammatischer Konstruktionen als in der Normalsprache, z.B. werden in wissenschaftlichen Texten erheblich mehr Nominalisierungen, mehr Passivkonstruktionen und mehr Funktionsverben gebraucht als etwa in Erzählungen. Grammatik des Wissenschaftsdeutschen, eine Reihe von Büchern von Gerhard Fuhr, ist als Titel aber doch irreführend, denn es gilt natürlich dieselbe Grammatik wie in der Gemeinsprache. Was hier wohl angedeutet werden soll, ist, dass die grammatischen Erscheinungen, die besonders häufig in wissenschaftlichen Texten vorkommen, auch besonders gründlich geübt werden müssen. Wer viele Texte mit akademischem Sprachgebrauch, juristische Texte oder Wissenschaftsjournalismus lesen muss, braucht sicher Übungen zum „Knacken“ komplexer nominaler Strukturen; wer in deutscher Sprache Verkaufsgespräche führen will, braucht sie hingegen sicher nicht. Es gibt keine einheitlich zu vermittelnde „Grammatik von Fachsprachen“.
10.6 Verbalisierungskonventionen Neben dem Fachvokabular gibt es spezielle Arten, wie Fachleute bestimmte Dinge formulieren. Beispielsweise sagen Psychologen Er hat ein Alkoholproblem und nicht Er säuft, Verteidiger Ihm wurden bereits Eigentumsdelikte vorgeworfen und nicht Er ist ein notorischer Dieb. Häufig sind solche Euphemismen nur den Mitgliedern bestimmter Berufsgruppen vertraut. Nur wer akademische Diskussionen gut kennt, weiß, dass Ich finde Ihre Bemerkungen sehr interessant/originell häufig heißt So einen Schwachsinn habe ich noch nie gehört. Typisch für Fachjargon sind auch konventionalisierte Argumentationsformen und rhetorische Strukturen. Ein wissenschaftlicher Aufsatz in der experimentellen Psychologie oder Psycholinguistik hat einen genau festgelegten Aufbau, ebenso eine Urteilsbegründung, ein Mietoder Kaufvertrag usw. Viel weniger wird wahrgenommen, dass es auch für beruflich zu führende Gespräche stark konventionell festgelegte Formen gibt. Leider ist man noch weit davon entfernt, für jeden Anwendungsbereich erforscht zu haben, wie der Fachjargon aussieht, insbesondere wenn es um die mündlichen Anteile geht.
10.7 Mögliche Vorgehensweisen für den Unterricht „Wirtschaftsdeutsch“ Obwohl Lehrwerke für Wirtschaftsdeutsch recht unterschiedliche Schwerpunkte setzen, gibt es doch einige Elemente, die immer wieder vorzufinden sind, wie etwa die Arbeit mit spezifischem Wortschatz. Zu den immer wiederkehrenden Elementen gehören vor allem auch Dialoge und Rollenspiele, die beispielsweise in Wirtschaftsdeutsch für Anfänger im Mittelpunkt stehen. Da es sich hierbei um ein Lehrwerk für Anfänger handelt, nimmt das Verstehen und
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Einüben von grammatischen Strukturen einen sehr großen Raum ein, beispielsweise Verbkonjugationen, Adjektivdeklinationen und Übungen zur Satzstellung. Hier unterscheiden sich Lehrwerke für fortgeschrittenere Lernende, wie etwa Business – Auf Deutsch, wo der Schwerpunkt auf anderen Kernbereichen liegt, nämlich auf der Entschlüsselung von Schaubildern und komplexen Texten, auf dem Erstellen von Zusammenfassungen sowie bei der Einübung von Redemitteln. Neben den hier genannten Vorgehensweise im Fachsprachenunterricht gibt es auch noch zahlreiche weitere Möglichkeiten, um Lernenden relevante Inhalte und Fertigkeiten zu vermitteln. Um komplexe sprachliche Prozesse wie das Führen von Verhandlungen zu lernen und zu üben, wird sogar der Einsatz von Dramen im Wirtschaftdeutsch-Unterricht erprobt, auch wenn es zunächst überraschend klingen mag. Einige Dramen enthalten Szenen, in denen erfolgreich verhandelt wird, wie etwa zwischen Faust und Mephisto, in denen das Gespräch scheitert, wie zwischen Andri und seinem Vater in Frischs Andorra oder in denen ein Schlichtungsgespräch notwendig ist, wie etwa in Brechts Der Kaukasische Kreidekreis, wo der Richter Azdak den Streit um das Kind schlichten muss. Bei der Analyse dieser Szenen können Muster deutlich werden, die auch für der Verlauf von beruflichen Gesprächen und Verhandlungen sehr wichtig sind. Da nur selten ausreichend authentische Diskursdaten zur Verfügung stehen und Firmendokumente meist vertraulich sind, bieten Dramen eine gute Möglichkeit, Gespräche zu analysieren und Gründe für ihr Gelingen oder Scheitern zu finden. 77 Eine andere mögliche Vorgehensweise im Fachsprachenunterricht Wirtschaftsdeutsch ist ein sich an Szenarien orientierender Unterricht. Besonders geeignet hierfür ist ein Projekt im Bereich Produkt-Marketing, weil hier neben fachlichem Wissen im Bereich Marketing auch alltägliches Wissen, beispielsweise über Werbung und Konsumverhalten, eingebracht werden kann. Hier könnte man ein konkretes Marketingprojekt entwickeln, beispielsweise die Vermarktung von typisch deutschen Lebensmitteln im Land der Lernenden. Bei einem solchen Projekt werden neben sprachlichen Fertigkeiten auch zahlreiche andere Fähigkeiten und Kompetenzen trainiert, beispielsweise Verhandlungsgeschick und Kreativität. 78 Natürlich sind noch viele andere Vorgehensweisen im Fachsprachenunterricht denkbar, die neben dem Vermitteln von Fachvokabular auch bei der Entwicklung und dem Training von kommunikativen und interkulturellen Kompetenzen helfen.
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Böttger, Claudia/Bührig, Kristin, 2000. „Zum Einsatz von literarischen Texten im Unterricht Wirtschaftsdeutsch“, http://www.gfl-journal.de/2-2000/boettger_buehrig.html Vgl. Hartmann, Daniela, 2002. „Spätzle für Großbritannien: Ein Marketing-Szenario im Unterricht Wirtschaftsdeutsch.“ in: Hartmann, Daniela/O’Mahony, Niamh, (Hrsg.), 2002. Wirtschaftsdeutsch: Dimensionen. München: iudicum, 77-91.
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Deutsch als Fremdsprache als wissenschaftliches Fach
11.0 Einleitung Das Fach Deutsch als Fremdsprache hat nicht nur das Ziel, DaF-Lehrpersonen auszubilden, sondern es spielt auch als wissenschaftliche Disziplin eine Rolle. Allerdings gibt es dabei zahlreiche unterschiedliche Ausrichtungen, insbesondere innerhalb der deutschsprachigen Länder, wo man sich beispielsweise mit Deutsch als Fremdsprache für das In- und Ausland, für Schulen oder auch für die Erwachsenenbildung beschäftigt. Im Ausland ist die Abgrenzung und somit auch die Definition des Faches etwas einfacher, weil die Zielgruppen und Rahmenbedingungen nicht ganz so breit gefächert sind. Neben zahlreichen Fachgebieten, die das Fach Deutsch-als-Fremdsprache beeinflussen, lassen sich drei Kernbereiche erkennen, mit denen sich das Deutsch-als-Fremdsprache-Studium und die wissenschaftliche Arbeit, die ihm zu Grunde liegt, an fast jeder Universität beschäftigt. Es handelt sich dabei, wie schon gesagt, um 1.) Linguistik, 2.) Didaktik/Sprachlehrforschung, 3.) Literatur/Landeskunde. Der Bereich Literatur/Landeskunde ist interdisziplinär, das heißt, er basiert auf verschiedenen anderen Wissenschaften, nämlich sowohl auf Literaturwissenschaften als auch auf Sozialwissenschaften. Im Folgenden geht es um das Fach Deutsch als Fremdsprache als wissenschaftliches Fach. Dazu werden unterschiedliche Ausrichtungen des Fachs vorgestellt, beispielsweise die Zweitspracherwerbsforschung und die Interkulturelle Germanistik, und auch die Vorgehensweise beim empirischen Arbeiten wird kurz erläutert.
11.1 „Handwerkliche“ Veröffentlichungen Neben wissenschaftlichen Veröffentlichungen gibt es im Bereich Deutsch als Fremdsprache zahlreiche sogenannte „handwerkliche“ Veröffentlichungen. Es handelt sich um Tipps von Lehrenden für Lehrende, die keinerlei Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben. So berichtet z.B. jemand, dass er ein besonders nettes Spiel gefunden hat, mit dem man den Konjunktiv II üben lassen kann. Solche Veröffentlichungen sind für die Praxis sehr nützlich, für das wissenschaftliche Fach Deutsch als Fremdsprache allerdings nicht relevant. Viele DaF-Zeitschriften enthalten „handwerkliche“ und wissenschaftliche Veröffentlichungen gleichermaßen.
11.2 Wissenschaftliche Veröffentlichungen 11.2.1 Grundlagenforschung zu Mehrsprachigkeit/Zweitspracherwerb Bei den wissenschaftlichen Veröffentlichungen gibt es recht verschiedene Arten. Es gibt erstens Grundlagenforschung zu Mehrsprachigkeit/Zweitspracherwerb. Diese Art von Forschung ist fast immer empirisch. Themen sind z.B. die Suche nach Gesetzmäßigkeiten des Spracherwerbs und nach Sprachuniversalien. In diesem Bereich ist vor allen Dingen die Syntax gut untersucht (Arbeiten von Wode und Felix, Clahsen, Meisel, Pienemann). In
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neuerer Zeit entstehen auch Arbeiten zum Lexikon. Auch die Monitorhypothese von Krashen 79 wird dem universalistischen Ansatz zugeordnet. Ein weiterer gut untersuchter Bereich ist die Beschreibung von Lernervarietäten (interlanguage). Dieser Bereich wird variationistischer Ansatz genannt und beschäftigt sich vor allem mit der systematischen Beschreibung und Bewertung von Lernervarietäten im natürlichen Erwerbsprozess. Hier ist als eine der frühen Arbeiten das „Heidelberger Projekt Pidgin-Deutsch“ zu nennen, das systematische Erhebungen zum Deutsch von ArbeitsmigrantInnen gemacht hat. Meist wird bei Lernervarietäten vor allem deshalb der ungesteuerte Erwerb des Deutschen untersucht, weil sich die „interlanguage“ im Sprachunterricht schnell ändern würde, zumindest wenn der Unterricht Lernerfolge hat.
11.2.2 Sprachlehr- und -lernforschung Der zweite Bereich, in dem es wissenschaftliche Arbeiten gibt, ist die Sprachlehr- und Sprachlernforschung. Dieser Forschungszweig, der üblicherweise nur „Sprachlehrforschung“ genannt wird (vgl. Kapitel 5), muss eigentlich mit diesem Doppelnamen benannt werden, denn das, was gelehrt wird, muss nicht unbedingt das sein, was auch gelernt wird. Diese relativ neue Disziplin entstand in den siebziger Jahren und hatte das Ziel, die traditionelle Didaktik auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen. Die Sprachlehrforschung ist auch empirische Forschung, die u.a. das Ziel hat, alle im Fremdsprachenunterricht wirksamen Mechanismen herauszufinden. Dies ist ein hoher Anspruch, nicht alles davon ist ohne weiteres zu verwirklichen. Da dieser Forschungszweig erst vor dreißig Jahren begonnen hat, ist noch sehr viel zu entdecken.
11.2.3 Interkulturelle Germanistik Ein dritter Bereich ist die Interkulturelle Germanistik (IG). Die Interkulturelle Germanistik hat sich in den letzten 20 Jahren stark ausgeweitet, ist jedoch anscheinend wieder im Rückgang, was das Interesse und die Zahl der Veröffentlichungen betrifft. Sie basiert auf der Erkenntnis, dass Deutschstudien im Ausland nicht mit denen in Deutschland gleichzusetzen sind. Es wird also versucht, gegenüber Deutschland und der deutschen Kultur eine Außenperspektive einzunehmen. Die Interkulturelle Germanistik versteht sich als 79
Stephen Krashen unterscheidet in seinem lerntheoretischen Fünf-Hypothesen Modell zwischen Grammatikerwerb und Grammatikwissen. Vereinfacht dargestellt geht er davon aus, dass der sprachliche Input vom Kognitionsapparat des Lernenden ohne ausgedehnte formale Übungssequenzen automatisch in einer unbewussten Form verarbeitet, systematisiert und gespeichert wird. Dadurch bildet sich ein komplexes Repertoire an unbewusstem sprachlichem Wissen heraus, das dann spontane und flüssige Sprachproduktion ermöglicht. Abstraktes grammatisches Wissen in Form von Regelkenntnis hat in diesem Zusammenhang die Funktion eines Monitors, d.h. es kann zur „Überwachung“ und ggf. zur Korrektur des produzierten Satzes verwendet werden, wenn folgende drei Bedingungen erfüllt sind: 1. Der Lerner muss ein Interesse daran haben, nicht nur verständlich, sondern auch grammatisch richtig zu sprechen oder zu schreiben 2. Der Lerner braucht ausreichend Zeit, um den Satz oder Text zu überprüfen, nach einer Regel zu suchen und sie anzuwenden. 3. Der Lerner kennt die Regel, die angewendet werden muss. In Bezug auf die Nutzung des Monitors gibt es laut Krashen individuelle Unterschiede. So unterscheidet er zwischen Monitor-ÜberbenutzerInnen (sie überprüfen ihre Sprachproduktion sehr oft, was sich in langsamen und durch Pausen gekennzeichnetem Sprechen zeigt), Monitor-UnterbenutzerInnen (sie überprüfen ihre Aussagen selten) und optimalen Monitor-BenutzerInnen (sie überprüfen ihre Sprachproduktion nur bei geeigneten Anlässen, z.B. wenn es die Zeit zulässt, bei der schriftlichen Bearbeitung eines Grammatik-Tests etc.).
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adressatenorientierte Wissenschaft, die besonders Wert auf interkulturelle Kommunikation, aber auch auf die Selbstfindung der Lernenden legt. Sie betrachtet die Germanistik als Kulturwissenschaft und betreibt ihre Forschung nicht empirisch, sondern auf der Basis hermeneutischer Erkenntnismodelle 80 . Nachdem die Interkulturellen Germanistik sich zuerst sehr schnell verbreitet hatte, wurde sie in den letzten Jahren immer öfter wegen der einseitigen Konzentration auf literaturwissenschaftliche und fremdkulturelle Komponenten und wegen der Vernachlässigung der Theorie sowie der Praxis des Sprachunterrichts kritisiert.
11.2.4 Linguistik Ein vierter Bereich im Fach Deutsch als Fremdsprache ist die linguistische Forschung zum Deutschen und zu Sprachunterschieden zwischen dem Deutschen und anderen Sprachen. Es handelt sich hier um Grundlagenforschung für den Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht. Die zu lernenden Phänomene müssen exakt beschrieben sein, bevor sie gelehrt werden können. In diesen Bereich fällt keineswegs nur Forschung zur Grammatik, sondern auch zu Textsorten, zur Intonation, zur Lexik, zu Fachsprachen und zu vielen anderen Themen mehr, die einen Bezug zum Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht haben.
11.3 Forschungsmethoden: eine kurze Übersicht Empirische Untersuchungen können anhand ihrer methodologischen Positionen und ihrer Vorgehensweise unterschieden werden. Eine Untersuchung kann beispielsweise einen Wirklichkeitsbereich erforschen, um Hypothesen zu erstellen oder sie kann zuvor aufgestellte Hypothesen an der Wirklichkeit beweisen oder widerlegen. Bei der ersten Variante spricht man von explorativ-interpretativer Forschung. Dabei werden Daten erhoben und interpretativ analysiert, eine statistische Analyse folgt meist nicht – es geht um einen ersten Einblick in den entsprechenden Wirklichkeitsbereich. Meist wird darauf hingewiesen, dass die Ergebnisse an einem umfangreicheren Materialset überprüft werden sollten. Die zweite Variante, die „hypothesenprüfende“ empirische Forschung, nutzt repräsentative Datenmengen und stützt sich in starkem Maß auf statistische Analysen. Sie hat zum Ziel, durch die Prüfung von Hypothesen Theorien zu konstruieren. Da beide Vorgehensweisen sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich bringen, wird immer mehr versucht, sie zu verbinden. Sie sind vielleicht mit dem Begriffspaar der quantitativen und der qualitativen Forschung vertraut. Diese – etwas ungenauen – Begriffe helfen ebenfalls bei der Unterscheidung in der Forschungsmethodologie und stehen für ähnliche Ansätze wie die explorativ-interpretative und die hypothesenprüfende Forschung. Unter quantitativer Forschung versteht man Untersuchungen, die mit Zahlen und Rechenverfahren aus der Statistik arbeiten. Qualitative Forschung bezeichnet hingegen eine eher interpretativ-argumentierende Form der Datenauswertung, die nicht in derselben Weise mit Zahlen arbeitet.
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Hermeneutik bedeutet wörtlich „die Lehre vom Verstehen“ oder „die Auslegungskunst“. Hinter dem Begriff Hermeneutik verbirgt sich die Theorie, dass jeder Leser eines Textes diesen so interpretiert, wie es ihm sein eigener Erfahrungsbereich vorgibt.
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Bei empirischen Arbeiten, unabhängig davon, welchen Ansatz sie verfolgen, gibt es Gütekriterien, anhand derer man gute und aussagekräftige Untersuchungen erkennen kann. Für hypothesenprüfende Untersuchungen sind die wichtigsten Gütekriterien: • Objektivität (d.h. die prinzipielle Nachvollziehbarkeit und Replizierbarkeit) • Reliabilität (Genauigkeit, Zuverlässigkeit) • Validität (Gültigkeit) • Repräsentativität (Generalisierbarkeit der Ergebnisse, Größe des Anwendungsbereichs) Bei der explorativ-interpretativen Forschung werden ebenfalls Objektivität, Reliabilität und besonders Validität erwartet. Allerdings geht es hierbei weniger um Standardisierung und Variablenkontrolle, sondern mehr um Kriterien wie Relevanz (warum beschäftige ich mich mit dieser Frage?) und intersubjektive Nachvollziehbarkeit, das heißt, die Ergebnisse müssen nicht replizierbar sein, aber sie müssen für die Betrachter schlüssig sein. 81
11.4 Methodisches Vorgehen am Beispiel einer empirischen Arbeit im Bereich Deutsch als Fremdsprache Da das Fach Deutsch als Fremdsprache keine eigenen Methoden hat, sind Deutsch-alsFremdsprache-Promotionen üblicherweise entweder linguistische oder kulturwissenschaftliche oder Sprachlehrforschungs-Promotionen, in manchen Fällen Verbindungen von zweien dieser Richtungen. Trotzdem soll hier einmal der „typische“ Fall einer Deutsch-alsFremdsprache-Arbeit geschildert werden, damit Sie eine gewisse Vorstellung von den konkret anzuwendenden Methoden entwickeln können. Meist werden empirische Arbeiten geschrieben, die sich die Frage stellen, wie man etwas am besten im Unterricht vermittelt. Es kann um die Wahl zwischen verschiedenen Erklärungsansätzen gehen (erklärt man die deutsche Adjektivflexion besser statisch mit gut merkbaren Blöcken in Tabellen für die einzelnen (bestimmt/unbestimmt/ohne) Artikel und Genera oder erklärt man sie besser dynamisch, durch den Bezug auf die eindeutigen Markierungen, die einmal in der Nominalphrase vorkommen müssen?), es kann aber auch um die Wahl einer Methode für ein bestimmtes Unterrichtsziel gehen (im Moment werden z.B. so viele verschiedene Methoden für die Wortschatzerweiterung diskutiert, dass es erforderlich ist, eine begründete Auswahl der Methoden zu entwickeln, mit denen man die Lernenden vertraut macht.). Als Übungsbeispiel wählen wir den Fall, dass Sie herausfinden wollen, ob Lehrmethode X oder Lehrmethode Y in XYZ-Land bei Lernern der W-Vorbildung besser ist. Diese Frage ist so allgemein gar nicht zu beantworten, man muss zunächst einmal wissen, in welcher Weise man denn „besser“ verstehen will.
11.4.1 Operationalisieren Für die empirische Forschung bedeutet das, man muss diesen Begriff operationalisieren. Das heißt, man muss ein Verfahren finden, „besser“ in seiner vorwissenschaftlichen Begrifflichkeit messen zu können. Wie aber kann man messen, was „besser“ ist? Dazu muss man 81
Vgl. Grotjahn, Rüdiger, 2004. „Konzepte für die Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen: Forschungsmethodologischer Überblick.“ in: Bausch, Karl-Richard u.a., (Hrsg.), 2004. Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4. vollständig neubearbeitete Auflage. Tübingen: Franke (UTB für Wissenschaft), 493-499.
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Entscheidungen treffen, man muss sich klar machen, was man denn selbst genau damit gemeint habe. Vielleicht hat man gemeint „angenehmer für die Lernenden“, vielleicht aber auch „weniger aufwändig für die Lehrperson“ oder „effektiver“. All das könnte man versuchen zu messen, das erste vielleicht über eine standardisierte Befragung der Lernenden, das zweite über eine Kontrolle der Vorbereitungszeit der Lehrpersonen. Wir nehmen nun als Beispiel das dritte und gehen in die Details. Man hat sicher eine vage Vorstellung davon, was „effektiver“ Unterricht sein könnte, und die dürfte damit zu tun haben, dass bei möglichst geringer Zeit möglichst viel gelernt wird. Aber sowohl „möglichst geringe Zeit“ als auch „möglichst viel gelernt“ müssen näher bestimmt werden. So könnte man darunter verstehen, dass möglichst viel gelernt wird bei möglichst wenig Unterrichtszeit, d.h. bei möglichst wenig Zeit des Kontaktunterrichts, in der mit einer Lehrperson gearbeitet wird. Das würde heißen, man lässt unberücksichtigt, wie viel Zeit die Lernenden allein mit dem Lernstoff verbringen. Hier ginge es vor allem um Effizienz beim Einsatz der Lehrperson, bei möglichst wenig Zeit der (u.U. teuer zu bezahlenden) Lehrperson will man möglichst viele Lernfortschritte sehen. Man könnte mich aber auch entscheiden, dass man unter „Effektivität“ verstehen will, dass möglichst viele Lernfortschritte in Bezug auf die von den Lernenden investierte Zeit zu verzeichnen sein sollen. Am Ende wird eine Entscheidung stehen, was man genau zu Grunde lege, z.B. die Anzahl der Stunden (die natürlich definiert sein müssen, also 60 oder 45 Minuten) Kontaktunterricht oder die Anzahl der Stunden Lernen, die zum Erreichen bestimmter Ziele nötig sind. Noch viel schwerer zu operationalisieren ist nun der zweite Teil. Was ist „viel gelernt“? Wie kann man messen, wie viel jemand gelernt hat? Nun ist das Messen von Lernfortschritten eine der kompliziertesten Fragestellungen in der Sprachlehrforschung überhaupt, was daran liegt, dass Lernfortschritte ja auf ganz verschiedenen Ebenen geschehen können. Man kann z.B. eine Grammatikregel auswendig aufsagen, aber nicht anwenden können. Man kann dieselbe Regel in gelenkten Übungen anwenden können, aber nicht im freien Sprechen. Und schließlich kann man sie im freien Sprechen richtig beherrschen, aber nicht aufsagen (so geht es Ihnen im Normalfall mit Ihrer Muttersprache). Schon die Art der Überprüfung des „Könnens“ einer Regel kann völlig verschiedene Ergebnisse haben. Nun besteht Sprachenlernen aber nicht nur aus dem Erlernen grammatischer Regeln, sondern es muss auch Wortschatz, Aussprache und Gesprächsführung gelernt werden, es muss eine bestimmte Flüssigkeit im Sprechen erreicht werden und vieles andere mehr. Das bedeutet, man kann hier wieder sehr viele unterschiedliche Arten der Operationalisierung finden und man muss sich sehr wohl überlegen, welche davon für die gewählte Fragestellung wirklich aussagekräftig ist. Wir nehmen nun für unsere Fragestellung nach der Effektivität der Methoden an, es ginge um Lernfortschritte auf allen Gebieten, nicht auf einem Einzelgebiet. Das macht die Sache zwar einerseits besonders kompliziert (wie soll man das alles operationalisieren?), aber andererseits auch besonders einfach, denn es gibt Vorarbeiten. Es gibt allerhand bereits entwickelte Tests, die alle möglichen sprachlichen Fertigkeiten messen wollen. Alle diese Tests haben ihre Nachteile und man muss schon genau überprüfen, ob nicht der zu verwendende Test bestimmte Fähigkeiten besonders betont und andere kaum berücksichtigt, vor allem wenn eine der zu untersuchenden Methoden sich vielleicht auch auf die Entwicklung bestimmter Fähigkeiten konzentriert (angenommen, man würde als eine der Methoden die „GrammatikÜbersetzungsmethode“ untersuchen und der Test zur Überprüfung der Lernfortschritte würde zu 40% aus Grammatik bestehen und auch noch einen Übersetzungsteil enthalten, so würde das Ergebnis der Untersuchung eigentlich schon feststehen, bevor sie begonnen hat – insofern könnte man sie sich dann schenken). In unserem hypothetischen Fall gehen wir davon aus, dass wir festgestellt haben, dass sich ein Test in unserer Prüfung als ein besonders ausgewogener Test erwiesen hat, der nicht von vornherein die Lernenden mit einer 128
bestimmten Methode bevorzugt. Dann wäre unsere Operationalisierung der zu messenden Größe „Lernfortschritt“ die Anzahl der erreichten Punkte in diesem Test. Unsere Operationalisierung von „Effektivität“ könnte damit, nachdem wir einige andere Entscheidungen getroffen haben, so aussehen: Wir messen die Anzahl der Punkte, die in diesem Test erreicht werden, in einem Abstand von 60 Stunden Unterricht.
11.4.2 Auswahl der Versuchsteilnehmer 11.4.2.1 Zufallsstichprobe Damit sind wir ein gutes Stück weitergekommen, wir wissen jetzt, was wir auf welche Weise messen wollen, und hoffen, dass diese Operationalisierung tatsächlich „Effektivität“ und nicht irgend etwas anderes misst. Aber wir müssen für die Untersuchung natürlich auch wissen, an wem man es misst. Dabei kann man enorm viele Fehler machen. Was wir erreichen wollen, ist ja immer eine Aussage, die generell oder doch für einen möglichst großen Anwendungsbereich gilt, nicht nur für die eingeschränkte Gruppe, die wir tatsächlich untersucht haben (Wer interessiert sich für das Ergebnis „In der Klasse 5b des Herder-Gymnasiums in Oberpfaffendorf funktioniert der Englischunterricht mit der Grammatik-Übersetzungsmethode besser als der mit der Interkulturellen Methode“?). Man könnte aber nicht jeden Sprachenlerner untersuchen. Also müssen wir unsere Aussage anhand der Untersuchung einer sogenannten Stichprobe machen. Die Meinungsforscher tun nichts anderes: Sie fragen am Tag der Wahl 2000 Deutsche, wen sie gewählt haben, errechnen das Wahlergebnis, das sich bei diesen 2000 – allerdings sehr gut ausgewählten – Leuten ergeben hätte und sagen vor der Auszählung schon, wie das Ergebnis der Wahl sein dürfte. Das Verblüffende ist: Sie irren sich selten in mehr als einem Prozent, obwohl sie doch einen verschwindend kleinen Anteil von der gesamten Anzahl der Wähler befragt haben. Das Geheimnis des Erfolgs der Stichprobenwahl liegt nicht darin, dass man einen möglichst großen, sondern einen möglichst gut ausgewählten Teil der Grundgesamtheit untersucht 82 . Das kann man mit zwei verschiedenen Verfahren erreichen. Das eine Verfahren nennt man „Zufallsstichprobe“. In diesem Fall muss man mit geeigneten Verfahren sicherstellen, dass jedes Mitglied der Grundgesamtheit die gleiche Chance hat, in die Stichprobe zu kommen. Echte Zufallsstichproben lassen sich z.B. machen, wenn man eine Kartei der in Frage kommenden Personen hat, dann kann man blind daraus ziehen. Idealerweise sind die Personen in einer Liste nummeriert, dann kann man sich vom Computer Zufallszahlen für die entsprechende Anzahl geben lassen. So etwas hat man aber meist nicht. Sehr häufig werden Zufallsstichproben mit Telefonbüchern gemacht, also z.B. für eine Untersuchung zu den Trinkgewohnheiten in Köln sucht man per Zufall Personen aus dem Kölner Telefonbuch. Man schlägt blind eine Seite auf und tippt auf einen Eintrag, dann wiederholt man das so lange, bis man die gewünschte Zahl an Personen beisammen hat. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass man so keine Aussagen über die Gesamtbevölkerung Kölns macht, man macht höchstens eine Aussage über die Kölner Telefonbesitzer. Aber selbst bei den 90% der Bevölkerung, die ein Telefon im Haushalt hat, hat nicht jeder die gleiche Chance, in die Stichprobe aufgenommen zu werden. Singles haben ein Telefon für sich alleine, Familienmitglieder im Normalfall nicht. Damit werden Singles in der Stichprobe überrepräsentiert sein. Ein weiteres Problem ergibt sich erst mit der Art der Kontaktaufnahme mit den betreffenden Mitgliedern der Stichprobe. Im Telefonbuch stehen meist die Haushaltsvorstände, wenn man sich also schriftlich an die eingetragenen Personen wendet, sind die Haushaltsvorstände überrepräsentiert. Ruft man aber 82
Es gibt natürlich Untergrenzen, die man einhalten muss. Wenn man extrem kleine Gruppen untersucht, gibt es keine Chancen mehr, dass „untypische“ Exemplare in der Masse untergehen.
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an, sind diejenigen überrepräsentiert, die mit Begeisterung ans Telefon gehen, das sind häufig die Kinder und Jugendlichen im Haushalt. Die Besitzer von Anrufbeantwortern werden in einer solchen Umfrage dagegen eher unterrepräsentiert sein, wenn man es nicht immer wieder bei ihnen versucht – die Wahrscheinlichkeit, dass jemand für eine Umfrage zurückruft, ist sehr gering. Eine Zufallsauswahl ist also oft recht schwierig durchzuführen, auch in Fällen, in denen das zunächst einfach erscheint.
11.3.2.2 Quotenverfahren Die andere Möglichkeit der Zusammenstellung der Stichprobe ist das Quotenverfahren. Bei diesem Verfahren wählt man seine Stichprobe nach bestimmten Merkmalen, die für die Untersuchung relevant sein könnten, und stellt die Stichprobe so zusammen, dass sie im Hinblick auf diese Merkmale der Grundgesamtheit entspricht. Die Merkmale der Grundgesamtheit findet man, wenn die Grundgesamtheit die Bevölkerung der BRD ist, im Statistischen Jahrbuch, das jedes Jahr vom Statistischen Bundesamt herausgegeben wird und in der UB steht. Für unser Beispiel könnten z.B. folgende Merkmale relevant sein – und wir müssten darauf achten, dass ihre Verteilung in etwa der in der Grundgesamtheit der DeutschlernerInnen im jeweiligen Land entspricht: Alter, besuchter Schultyp, Geschlecht, Stadt-/Landbevölkerung, Art und Dauer des bisher erteilten Unterrichts, möglicherweise noch mehr. Wir setzen nun einmal voraus, wir hätten für dieses Problem die ideale Lösung gefunden und sechs verschiedene Schulklassen an unterschiedlichen Schultypen gefunden, die im Alter so streuen, wie wir es für unsere Untersuchung brauchen, und die etwa gleich viel Jungen und Mädchen aufweisen.
11.3.3 Konstanthalten der nicht zu untersuchenden Merkmale Ein großes Problem bei Untersuchungen, die im Unterricht stattfinden, ist die Vielfalt der Faktoren. Wenn man die Rolle eines bestimmten Faktors untersuchen will, muss man alle anderen konstant halten und das ist meist ein erhebliches Problem. Ein Beispiel dafür: Wir nehmen an, man möchte verschiedene Vokabellehrmethoden untersuchen und die Lernerfolge dabei beschreiben. Nun kann eine Gruppe nicht zweimal dieselben Vokabeln lernen. So hat man die Wahl, entweder eine andere Gruppe oder andere Vokabeln zu wählen. Wenn man eine andere Gruppe wählt, so entstehen die Probleme, ob diese Gruppe gleich motiviert ist, ob sie in gleicher Weise an die Methoden gewöhnt ist wie die andere Gruppe, ob sie gleich lernfähig ist, und vieles andere mehr. Wenn man andere Vokabeln wählt, stellt sich vor allen Dingen die Frage, in welcher Weise diese Vokabeln wirklich gleich schwer oder gleich leicht zu lernen sind. Außerdem gibt es auch bei einer konstant gehaltenen Gruppe durchaus Unterschiede, z.B. in der Tagesform der Lehrkraft und der SchülerInnen. Das heißt, nicht jeder Effekt, der gefunden wird, muss ein Effekt der neuen Methode sein. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass wir nur die Lehrmethoden wechseln und alle anderen Merkmale so konstant wie möglich halten, damit wir nicht unerwünschte Einflüsse auf unsere Untersuchung bekommen. Wir sollten z.B. ungefähr gleich motivierende Lehrpersonen für den Unterricht auswählen (da wir das nicht auch noch messen können, werden wir wohl kaum mehr tun können, als extreme „Ausreißer“ in der einen und der anderen Richtung aus der Untersuchung herauszuhalten), wir sollten darauf achten, dass alle Klassen ungefähr gleich 130
verteilten Unterricht haben (also nicht eine immer in der letzten Stunde, eine zur besten Zeit und eine Blockunterricht), wir sollten darauf achten, dass die materiellen Bedingungen im Unterricht etwa gleich sind (nicht eine bestens ausgestattete Schule vergleichen mit einer, in der noch nicht einmal jeder Schüler ein Buch hat) usw. Wahrscheinlich fallen Ihnen selbst noch viele andere sogenannte „Störvariablen“ ein, die einen negativen Einfluss auf unsere Untersuchung haben könnten. Wir müssen sicherstellen, dass sich die Gruppen, die wir untersuchen wollen, in nichts als der verwendeten Lehrmethode unterscheiden. Das macht man meist so, dass man zu jeder Gruppe eine sogenannte „Kontrollgruppe“ untersucht, die der untersuchten Gruppe so ähnlich wie möglich ist, also z.B. jeweils die Parallelklasse zu den untersuchten Klassen würde sich anbieten, falls sie in der Größe, dem Notendurchschnitt im Deutschunterricht und anderen Merkmalen der untersuchten Klasse ähnlich ist. Angenommen, wir haben diese ideale Konstellation gefunden, dann schreiben alle Schüler – möglichst einigermaßen gleichzeitig, damit sie sich nicht gegenseitig davon erzählen – unseren Test und erreichen dabei eine gewisse durchschnittliche Punktzahl. Wir könnten dann jeweils die eine Klasse mit der einen und die Kontrollklasse mit der anderen Methode im selben Stoff (vielleicht gibt es einen Kanon, der in dieser Klasse „drankommt“) unterrichten lassen. Nach 60 Stunden Unterricht schreiben sie wieder denselben Test. Natürlich wären sie bei der Wiederholung desselben Tests auch ohne jeden Unterricht vermutlich besser, aber diesen Vorteil haben beide Gruppen, insofern spielt er keine Rolle für unsere Fragestellung. Vermutlich haben beide Gruppen nun im Test eine höhere durchschnittliche Punktzahl. Angenommen, bei allen untersuchten Schultypen hätten wir den Effekt, dass immer der durchschnittliche Wert für die mit der Methode X unterrichteten Schüler erheblich höher ist als der für die mit der Methode Y unterrichteten, dann könnten wir nun sagen, dass Methode X in unserem Land effektiver ist als Methode Y. Der Unterschied muss allerdings so deutlich sein, dass der Zufall als Ursache ausgeschlossen werden kann. Dies geschieht mit sogenannten prüfstatischen Verfahren. Das war ein Beispiel für eine Untersuchung, die durchgeführt werden könnte. Gezeigt werden sollte damit vor allem, wie viele Überlegungen bei empirischen Untersuchungen doch anzustellen sind. Natürlich gibt es sehr verschiedene Arten von empirischen Untersuchungen und die Methoden sind deshalb auch unterschiedlich. Es ist schon wichtig, sich etwas um methodische Fragen zu kümmern, erstens weil man so besser die Aussagefähigkeit von Untersuchungen, die man liest, beurteilen kann, und zweitens auch für eigene Untersuchungen. So sollte man nie aufs Geratewohl einen Fragebogen zusammenstellen – etwas, was Studierende oft machen – denn Befragungen per Fragebogen sind nur aussagefähig, wenn eine ganze Reihe von Regeln eingehalten werden. Wir bieten Kurse in Methodik an für diejenigen, die eigene Untersuchungen durchführen wollen, etwa für eine Hauptseminar- oder Examensarbeit.
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Prüfungsfragen zur Vorlesung „Grundwissen Deutsch als Fremdsprache“ Wenn Sie einen Schein für diese Vorlesung benötigen, beantworten Sie bitte die folgenden Fragen. Die Antworten können Sie per E-Mail schicken (
[email protected]) oder in Raum WR A 613 abgeben. Wenn Sie einen benoteten Schein benötigen (Studierende des Erweiterungsfachs DaF auf Lehramt und eventuell ausländische Studierende), vermerken Sie das bitte bei Ihren Aufgaben oder in der E-Mail).
1. Erläutern Sie kurz, wodurch sich der Mutterspracherwerb vom Fremdsprachenlernen unterscheidet. 2. Nennen Sie die wichtigsten Probleme, die Deutschlernende bei der Aussprache haben könnten. 3. Welche Bedeutung hat Literatur in der Landeskunde? 4. Was sind die Grundüberlegungen bei der Planung einer Unterrichtseinheit? 5. Welche Problematik besteht bei der Differenzierung nach verschiedenen Lernertypen? 6. Welche Arten der Motivation gibt es und was bedeutet das für den Unterricht? 7. Welche Möglichkeiten gibt es, um der Individualität der Lernenden im Unterricht und außerhalb Rechnung zu tragen?
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Literaturempfehlungen ALDERSON, CHARLES, 2005. Assessing Reading. Cambridge u.a.: Cambridge University Press. BACHMAYER, GABRIELE, 1993. Deutsch als Fremd- und Zweitsprache: didaktische Modelle des Erwerbs der deutschen Sprache bei Erwachsenen. Frankfurt/M. u.a.: Lang. BAUSCH, KARL.-RICHARD. u.a., Hrsg., 2003. Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4. Auflage. Tübingen u.a.: Francke. BLEI, DAGMAR/ZEUNER, ULRICH, Hrsg., 1998. Theorie und Praxis interkultureller Landeskunde im Deutschen als Fremdsprache. Bochum: AKS-Verlag. BREDELLA, LOTHAR, Hrsg., 2004. Literaturdidaktik im Dialog. Tübingen: Narr. BUCK, GARY, 2002. Assessing Listening. Cambridge u.a.: Cambridge University Press. BUTZKAMM, WOLFGANG, 2002. Psycholinguistik des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Francke. EDMONDSON, WILLIS/HOUSE, JULIANE, 2000. Einführung in die Sprachlehrforschung. Tübingen: Francke. EHLERS, SWANTJE, 1992. Literarische Texte lesen lernen. München: Klett Edition Deutsch. HÄUSSERMANN, ULRICH/PIEPHO, HANS-EBERHARD, 1996. Aufgabenhandbuch Deutsch als Fremdsprache: Abriß einer Aufgaben- und Übungstypologie. München: Iudicium. HERNIG, MARCUS, 2005. Deutsch als Fremdsprache. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. HUNEKE, HANS-WERNER/STEINIG, WOLFGANG, 2002. Deutsch als Fremdsprache. Eine Einführung. Berlin: Erich Schmidt. JUNG, UDO, Hrsg., 1992. Praktische Handreichung für Fremdsprachenlehrer. Frankfurt am Main u.a.: Lang. LUOMO, SARI, 2004. Assessing Speaking. Cambridge u.a.: Cambridge University Press. NEUNER, GERHARD. u.a., 1991. Übungstypologie zum kommunikativen Deutschunterricht. Berlin u.a.: Langenscheidt. ORTNER, BRIGITTE, 1998. Alternative Methoden im Fremdsprachenunterricht. Lerntheoretischer Hintergrund und praktische Umsetzung. Ismaning: Hueber. PURPURA, JAMES, 2005. Assessing Grammar. Cambridge u.a.: Cambridge University Press. RÖSLER, DIETMAR, 1994. Deutsch als Fremdsprache. Stuttgart: Metzler. STORCH, GÜNTHER, 2001. Deutsch als Fremdsprache: eine Didaktik. Theoretische Grundlagen und praktische Unterrichtsgestaltung. München: Fink.
Die Fernstudieneinheiten, die der Langenscheidt-Verlag in Zusammenarbeit mit dem GoetheInstitut und der Universität Kassel herausgegeben hat, bieten einen guten Einstieg in viele Themen, wie z.B.:
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Angewandte Linguistik für den fremdsprachlichen Deutschunterricht: eine Einführung Bilder in der Landeskunde Deutschunterricht planen. Arbeit mit Lehrwerklektionen Didaktik der Landeskunde Einführung in die Pragmalinguistik Einstufungstests und Sprachstandsprüfungen Fehler und Fehlerkorrektur Fertigkeit Hören Fertigkeit Lesen Fertigkeit Schreiben Grammatik lehren und lernen Grundlagen des Erst- und Fremdsprachenerwerbs: eine Einführung Gruppenarbeit und innere Differenzierung Kontakte knüpfen Landeskunde und Literaturdidaktik Lernerautonomie und Lernstrategien Lesen als Verstehen: zum Verstehen fremdsprachlicher Texte und zu ihrer Didaktik Methoden des fremdsprachlichen Deutschunterrichts. Eine Einführung Phonetik lehren und lernen Probleme der Leistungsmessung. Lernfortschritttests in der Grundstufe Probleme der Wortschatzarbeit Routinen und Rituale in der Alltagskommunikation Spiele im Deutschunterricht Testen und Prüfen in der Grundstufe Unterrichtsbeobachtung und Lehrerverhalten Unterrichtsplanung: von der Lehrwerkslektion zur Deutschstunde Wortschatzarbeit und Bedeutungsvermittlung
Darüber hinaus gibt es zahlreiche Zeitschriften für Deutsch als Fremdsprache oder für Fremdsprachendidaktik, wie beispielsweise:
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Akzent Deutsch Bildungsarbeit in der Zweitsprache Deutsch Deutsch als Fremdsprache Deutsch lernen Die Unterrichtspraxis / Teaching German Fremdsprache Deutsch Fremdsprachenunterricht GFL - German as a foreign language Info DaF: Informationen Deutsch als Fremdsprache Materialien Deutsch als Fremdsprache Sprache und Sprachen Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht. Didaktik und Methodik im Bereich Deutsch als Fremdsprache
Eine weitere Hilfe bei der Suche nach Literatur ist das Informationszentrum für Fremdsprachenforschung (IFS) in Marburg, das über eine ausgezeichnete Datenbank und eine große Auswahl an Literatur verfügt. Mehr finden Sie unter: http://www.uni-marburg.de/ifs/deutsch/start.html
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