173 - Bastian Der Hühnermörder

August 26, 2017 | Author: gottesvieh | Category: Oven, Foods, Nature
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Die kleinen Trompeterbücher

Band 176

Der Nix mit dem Kuchen und andere Sagen .aus dem Oderbruch

DER KINDERBUCHVERLAG BERLIN

Herausgegeben von Joachim Winkler Illustrien von Gerhard Goßmann

1. Auflage 1986 © DER KINDERBUCHVERLAG BERUN - DDR 1986 Lizenz-Nr.

304-270/158/86-(30)

GesamthenteUung: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden LSV 7528 Für Leser von 7 Jahren an BesteU-Nr. 6324393

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Das I"licht und der Groschen Einst wollte ein Ahrensdorfer Bauer des Nachts nach Hause gehen, konnte aber in der Finsternis nicht den richtigen Weg finden. Da sah er plötzlich kleine Lichter in der Luft auftauchen, und er erkannte, daß es Irrlichter waren. Er bat nun eines davon, ihm doch den Weg in dieser stockdunklen Nacht zu zeigen. Er würde ihm gern für diesen Dienst einen Groschen zahlen. Da nahm das Irrlicht seine Laterne und leuchtete ihm bis zu seinem Hause. Dort angekommen, war es auf einmal dem Bauern leid, daß er dem Irrlicht für seinen Dienst einen gan­ zen Groschen versprochen hatte, und der Geiz plagte ihn sehr. Er schlug ihm daher die Tür vor der Nase zu und wollte es um das Geld prellen. Kurz darauf hörte er, wie sein Vieh in den Ställen einen furchtbaren Lärm

machte. Es rasselte mit den Ketten ge­ gen die Futterkrippen und schlug wie wild gegen die Wände. Der Bauer dachte beklommen an sein gebrochenes Versprechen und eilte be­ sorgt hinaus, um nach dem Rechten zu sehen. Plötzlich erhielt er eine gewaltige Ohrfeige, daß ihm der Kopf schier zer­ springen wollte, und hörte eine Stimme kichern: "Das war für den Groschen, den du versprochen hattest."

Das Wassermännlein Eines Abends karn ein kleines graues Männlein zu einern Bauern in Althütten­ dorf und bat mit demütigen Worten um eine Nachtherberge. Der Bauer, der sehr arm war und daher keinen überflüssigen Vorrat an Betten hatte, bot seinem Gast die Ofenbank oder den Heuschober an; 6

allein das Männlein erbat sich einen kühlen Platz am Wasser. "Meinethalben", sagte der Bauer, "magst du im Brunnentrog oder Weiher schlafen, wenn dir damit gedient ist!" Das Männlein ließ sich dies nicht zwei­ mal sagen, sondern grub sich sogleich zwischen den Binsen, die am Ufer stan­ den, ein, als ob es Heu wäre, sich darin zu wärmen. Früh am anderen Morgen kroch es aus seinem Nachtlager hervor, und zum Er­ staunen des Bauern waren seine Kleider ganz trocken geblieben. Das Männlein, das den verdutzten Ausdruck auf dem Gesicht ·seines Gastfreundes wohl ge­ wahrte, kam seiner Frage mit den in gleichmütigem Ton gesprochenen Wor­ ten zuvor: "Es ist wohl möglich, lieber Freund, daß du meinesgleichen noch nicht gesehen hast und auch nicht wie­ dersehen wirst, weil hundert und aber 7

hunden Jahre vergehen können, bis ei­ ner von meinem Geschlecht eine Nacht auf der Erde zubringen darf!" Der rätselhafte Fremde offenbane sei­ nem Wine, daß er ein Wassermännlein sei, dem sein Weib verlorengegangen. Nun wolle er es im Grimnitzsee suchen, weshalb er recht sehr bitte, ihm den Weg dahin zu zeigen. Der Bauer machte sich mit seinem seltsamen Gast unver­ züglich auf den Weg, und im Gehen er­ zählte das Männlein, daß es schon lange sein Weib in vielen Seen suche, doch bisher noch nie gefunden habe, und wie es in diesen Seen aussähe und beschaf­ fen sei. Inzwischen hatten sie das Ufer des Grimnitzsees erreicht. Mit Dank nahm nun das Männlein Abschied von dem Bauern. Dabei bat es ihn, bis zu seiner Wiederkunft zu warten; wenn es aber nicht wiederkäme, wolle es ihm ein Zeis

chen geben. Nach einer halben Stunde ist dann der Stab, den das Männlein in der Hand getragen, mitten im See zum Vorschein gekommen und etliche Fuß hoch in die Luft gesprungen, worauf der Bauer dies für das verheißene Wahrzei­ chen genommen und nachdenklich nach Hause gegangen sei. Wenn er aber zum Fischen auf den See ruderte, kam er im­ mer mit vollen Netzen zurück.

Meister Reineke will fliegen lernen Es war vor vielen Jei)lren, als die Tiere noch sprechen konnten und die Sonn­ tagskinder ihre Sprache verstanden. Da wollte eines Tages Meister Reineke, der Fuchs, auch fliegen lernen. Es schien ihm etwas besonders Schönes, so hoch in den Lüften zu schweben und die Welt von oben herab zu besehen. Vor allem 9

aber konnte er von dort vieles erspähen, die Hühner, Gänse, Enten und all das, was er so gern fraß. Erst vor kurzem hatte er sehen müssen, wie ein Gänse­ rich mit einer ganzen Tracht Gänse dicht über ihn hinweggeflogen war und ihn höhnisch dabei ausgelacht hatte. Das Wasser lief ihm im Maule zusammen, wenn er nur daran dachte, was ihm schon alles entgangen war. Anfangs fand er niemanden, der ihn das Fliegen lehren wollte, denn er hatte mit seinen Ränken schon vielen Vögeln mehr als einen Streich gespielt. Endlich fand sich der alte Knäppenär, der Storch, dazu bereit. Der Knäppenär zeigte ihm wieder und wieder, wie er es zu machen habe, um hoch in die Lüfte zu kommen. Schließlich hatte er es satt, packte ihn und nahm ihn mit hinauf. Wie er nun da oben mit ihm schwebte, ließ er ihn 10

plötzlich fallen und rief ihm zu: "Flieg nun!" Der Fuchs konnte aber nicht und fiel ohne Anhalten geradewegs auf die Erde hinab. Der alte Knäppenär schrie ihm hohnlachend nach: "Bruder Fuchs, Bruder Fuchs, immer schräg halten, im­ mer schräg halten!" Aber das Lenken wollte und wollte nicht gehen. Der Fuchs pardauzte hart auf qie Erde nie­ der, kam aber mit dem Leben davon. Auf die Frage des Storches, wie ihm das Fliegen denn gefallen habe, meinte der Fuchs: "Das Fliegen geht schon, aber das Setzen, das Setzen!" Er hat es aber nicht ein zweites Mal versucht.

Der Backobstdieb im Mond Vor langer Zeit lagen um das Dorf Alt­ reetz noch viele Gärten mit schönen Obstbäumen darin. Und hinter dem 11

Dorf mit den strohgedeckten Fachwerk­ häusern der Bauern und Fischer stand der Backofen der Gemeinde. Darin wur­ den nicht nur Brot und Kuchen gebak­ ken, sondern auch das viele Obst aus den Gänen gedörn. Das Backobst wurde später fuderweise in die nächsten Städte und nach Berlin gebracht. Wenn nun am Tage das Brot gebacken wurde, dörrte anschließend das Obst, und der Back­ ofen wurde nur mit einem Bund Erbs­ stroh zugestellt. Einst wollten zwei Fischerknechte des Nachts Backobst aus dem Ofen stehlen. Und da der Mond sehr hell schien, sagte der eine zum anderen: "Wird uns auch nicht der alte Mond verraten? Er scheint heut so hell!" Der aber erwidene spöt­ tisch: "Ich will ihn lieber mit einem . Bund Erbsstroh zuhalten, damit . er nichts sieht, wenn du das Obst aus dem Ofen raffst!" u

Kaum hatte der zweite seine Spott­ rede beendet, da war er vor den Augen seines Kumpanen spurlos verschwun­ den. Der suchte ihn überall vergebens, bis er ihn endlich im Mond erkannte. Bis auf den heutigen Tag sieht man im Vollmond den Backobstdieb mit seinem Bund Erbsstroh in der Hand.

Die Bernauer Bierprobe Das Bier, das die Stadt Bernau einst braute, stand in größtem Ansehen unter allen Bieren, so die Städte der Mark zu brauen das Recht hatten. Von weit her kamen die Leute, um es zu kaufen, und . märkische Dichter haben es besungen, so daß sein Ruf sich jahrhundenelang erhalten. Es war aber auch ein trefflich Gebräu, und die Bernauer Bürger sorg­ ten selbst alle Jahre dafür, daß .die Güte 13

ihres Bieres bekannt werde in Stadt und Land. War wieder einmal ein frisches Ge­ bräu vorhanden, dann kamen die ehr­ samen Ratsmänner und Bürger im Rat­ hause der Stadt zusammen und probten des Bieres Güte. Wenn alles gut ging und die Geister der Zecher sich erwärmt hat­ ten, dann wurden die Holzbänke im Ratszimmer mit dem frischen Trunk be­ gossen, und darauf setzten sich die Bür­ ger und Ratsherren von Bernau. Sie zech­ ten wacker fort und warteten auf ein Zei­ chen des. Oberhauptes der Stadt, sich zu erheben. Blieben nun etliche mit ihren Lederhosen an den Bänken kleben, heil was war das für ein jubeln und Frohseinl Denn nun stand's fest, daß der jahrgang gut geraten, und daß niemand das Ber­ nauer Bier schlecht und unschmackhaft schelten würde. Auf solche Weise haben die Bernauer alle jahre Bierprobe abge14

halten, und mancher wohlbestallte Rats­ mann ist dabei alt und grau geworden.

Der BlumenthaIsehe See Wie einige Leute erzählen, ist die Stadt, welche einst im Blumenthai gestanden, in dem dortigen schönen See unterge­ gangen. Zuweilen sieht man einen gro­ ßen gelben Koffer, ganz mit Eisen be­ schlagen, auf dem Wasser schwimmen, aber kein Mensch kann ihn herauszie­ hen. Wenn die Fischerknechte ihn mit Stricken herausziehen wollten und ihn oft schon sicher zu haben glaubten, wa­ ren die Stricke plötzlich wie abgeschnit­ ten. Der Koffer schwamm wieder an der alten Stelle. Es muß etwas Wunderschönes darin sein, denn am zweiten Adventstage hört man eine herrliche Musik, wie von Pau16

ken und Trompeten. und auch Gesang. und die kommt aus dem geheimnisvol­ len Koffer. Ein Schäfer war einst gerade an die­ sem Tage mit einem alten Fischer und noch anderen dort in der Nähe. und es war ihnen allen schon den ganzen Tag wie Musik in den Ohren. Als sie nun dem See näher kamen. wurde diese im­ mer deutlicher. und wie sie endlich am Ufer anlangten. sahen sie den Koffer und hörten die Musik in ihrer ganzen Schönheit. Seltsames könne man aber am Neu­ jahrstage dort erleben. Leinen sind quer über den ganzen See gezogen. darauf hängt die allerfeinste Wäsche. und zwar so schöne Hemden. Überzüge. Handtü­ cher. Laken und dergleichen rp.ehr. daß sie wohl jeder gern haben möchte. Zum See führen dann ordentliche. von Rasen gemachte Stufen hinab. und es scheint so 17

recht einladend, daß einer die Wäsche holen solle. Eine Frau kam nun auch einmal am Neujahrstage des Weges, und da der See an dem Tage gerade so fest war, daß man noch die Spuren der schweren Holz­ wagen sah, die darübergefahren waren, konnte sie dem Gelüste nicht widerste­ hen und wollte eins der schönsten Stücke holen. Wie sie aber hingeht und faßt nur kaum die erste Klammer an, gibt's ein fürchterliches Krachen, das Eis bricht unter ihr zusammen, und sie hätte unfehlbar ertrinken müssen, wenn ihr nicht noch die Fischer, die gerade auf dem See fischen wollten, zu Hilfe ge­ kommen wären. Wie einige erzählen, soll sich dies al­ les nicht auf dem Blumenthaisehen See, sondern auf dem Strausberger See. zuge­ tragen haben. 18

Die Bürgerglocke zu Bernau Als vor vielen hundert Jahren in Bernau ein neues Kirchlein gebaut war, sollte auch eine neue Glocke gegossen werden. Aber das Geld war schon ausgegeben, und niemand wußte, woher neues kom­ men sollte. Da ist am Ende reich und arm, alt und jung zusammengetreten und hat sein Scherflein gespendet für den Guß der Glocke. Nur ein steinaltes Mütterlein hat nichts geben können, da es bettelarm gewesen. Da ist die Alte weinend und klagend in den Wald gegangen, wollte, wie sie's öfter tat, Kräuter suchen, wollte sie ver­ kaufen und die Einnahme opfern für den Glockenguß. Aber Kräuter fand sie nicht und brachte sie nicht heim, wohl aber eine Schlange, die ihren Fuß be­ rührt hatte im Walde. Sie kam auch ge­ rade zurecht, um das Tier noch in die 19

Glockenspeise zu werfen, wobei sie mur­ melte: "Uns allen zum Segen!" Gelungen war der Guß, und da alle Bürger daran beteiligt waren, nannte man sie die "Bürgerglocke". Und als sie zum ersten Male ihre eherne Stimme erschallen ließ, waren plötzlich alle Schlangen, die dort arg gehaust hatten, aus der Umgebung von Bemau ver­ schwunden. Nach vielen, vielen Jahren war die Glocke aber unbrauchbar geworden und konnte nicht mehr geläutet werden, weil sie einen Sprung hatte. Alsogleich waren auch die Schlangen rings um Bernau wieder erschienen. Anno 1650 wurde die Glocke umgegossen, und als neu ihr Ruf ertönte, da verließen die Schlangen abermals die Stätte.

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Der umichtbare Bauer Nur in der Johannisnacht, in der Stunde zwischen elf und zwölf Uhr, blüht das Kraut Rainfarren, und wer diese Blüte bei sich trägt, der wird unsichtbar. So ging es einmal einem Bauern in der Gegend von Brodowin. Der fuhr gerade zu dieser Zeit mit seiner Frau nach der Stadt, um Bier zu holen. Da die Pferde im Sande nur langsam gehen konnten, war er vom Wagen gestiegen, um ein Weilchen nebenher zu gehen. Auf ein­ mal bemerkt seine Frau, daß er ver­ schwunden ist, aber gleichwohl sieht sie, daß die Zügel wie vordem gehalten wer­ den. Sie ruft ihn, und er antwortet ver­ wundert, ob sie ihn denn nicht sehe, er sei ja dicht neben ihr am Wagen. Aber sie sah ihn nicht, und dabei war es doch, da ja Johannisnacht war, so hell, daß man hätte eine Stecknadel finden können. 21

So ging es fort bis in die Stadt. Sie sprach mehrmals mit ihm, er antwortete auch, aber blieb immer noch unsichtbar. Als sie nun zu einem Gasthaus kamen, da hörten Wirt und alles Hausgesinde wohl den Bauern reden, aber sie sahen ihn nicht, so daß dem Bauern ganz angst wurde, weil er nicht wußte, was er dar­ aus machen solle. Da sagte ihm der Wirt, der ein gewitzter Mann war, er solle doch die Schuhe ausziehen. Das tat er auch, und augenblicklich war er wieder sichtbar. Aber nun war der Wirt verschwun­ den. Nach einer kleinen Weile kam: auch dieser wieder zum Vorschein und brachte dem Bauern seine Schuhe. Nun waren beide wieder sichtbar wie zu­ vor. Wie der Wirt in späterer Zeit einmal erzählte, hatte der Bauer während des Gehens mit seinen Füßen die Blüten

vom Rainfarren abgestreift. und diese waren ihm in die Schuhe gefallen. In sei­ ner Kammer hat er die Blüten. von de­ nen der Bauer nichts wußte. herausge­ schüttet und zu seinem eigenen Nutzen aufbewahn.

Wie der Damm im Bugker See entstand Der Teufel wollte einst das Dorf Bugk vernichten. Er band sich eine Schürze um und füllte sie mit Sand. Damit flog er von Selchow aus über den See und wollte den Inhalt der Schürze auf das Dorf Bugk hinabwerfen. um es zuzu­ schütten. Er merkte aber gar nicht. daß in der Schürze ein Loch war. Unaufhörlich schüttete der: Sand hinab. so daß quer durch, den See ein Wall entstand. Auf der Selchower Seite bis zur Mi�te 23

des Sees ragte er aus dem Wasser hervor und bildete eine Landzunge, die "Wop­ pisch". Von deren Spitze bis nach Bugk erreichte er nicht ganz die Oberfläche. Aber man konnte in trockenen Jahren mit langen Stiefeln hinübergehen.

Der Böttcher bei den Unterirdischen In der Nähe des Klosters Chorin wohnte einmal ein Böttcher in einem der Tage­ löhnerhäuser. Der hörte in der Nacht eine Stimme, die rief so laut seinen Na­ men, als wenn jemand in der Stube wäre. Sie gab ihm einen Ort im Kloster an, wo er sich einfinden solle. Aber er tat, als höre er nicht, und drehte sich auf die an­ dere Seite. Da rief es zum zweiten und endlich zum dritten MaL Nun stand er auf, nahm all sein Handwerkszeug, Mes­ ser, Beil, Hammer und Reifen, wie es 2�

ihn die Stimme geheißen hatte, mit sich und ging nach dem bestimmten ürte. Hier fand er ein kleines Männchen stehen, das grüßte ihn und war sehr freundlich. Es sagte ihm aber, er müsse sich die Augen verbinden lassen, denn anders könne er nicht mit ihm gehen. Es fügte auch hinzu, es werde ihm kein Leid geschehen. Da faßte denn der Bött­ cher Vertrauen und ließ sich die Binde über die Augen legen, und das Männlein führte ihn nun eine weite Strecke trepp­ auf und treppab. Endlich hieß es ihn stillstehen und nahm ihm die Binde ab. Da fand sich der Böttcher in einem ge­ räumigen Keller. Viele solcher Männ­ lein, wie sein Begleiter, waren mit ver­ schiedenen Dingen beschäftigt, aber sie sprachen kein Wort. Jetzt forderte das graue Männchen den Böttcher auf, um zwölf große Fässer, die dort standen, neue Bänder zu legen. Er führte diese AI26

beit zur Zufriedenheit aus und erhielt nun die Erlaubnis, von jedem der zwölf großen Goldhaufen, die bei den Fässern lagen, einen Teil für sich als Bezahlung zu nehmen. Darauf ward ihm die Binde wieder vor die Augen gelegt, und das graue Männlein führte ihn zurück. Er fand sich bald mit seinem Schatze wie­ der an dem ürte, wohin ihn die Stimme zuerst gerufen hatte. Seitdem hatte er Glück bei allem, was er begann.

Der Teufel und die Marienkirche zu Frankfurt an der Oder Im Birkbusch hinte� der Waldschenke von Gestrich, dicht am Wege von Für­ stenwalde nach Berkenbrück, liegt ein kleiner rundlicher See. Mit ihm hat es eine eigenartige Bewandtnis, denn wenn man dreimal um ihn herumgeht, ohne Tl

zu stolpern, kann man sich etwas wün. sehen, was wirklich in Erfüllung gehen solL So erzählten es früher die Leute und brachten das Entstehen dieses Sees mit dem Bau der Marienkirche in Frank­ furt in Verbindung. Als vor vielen Hunderten von Jahren die Marienkirche in Frankfurt errichtet wurde, war der Baumeister die Ver­ pflichtung eingegangen, den Bau in ei­ ner festgelegten Zeit zu vollenden. Wie nun die Frist immer mehr ihrem Ende zuging, mußte er erkennen, daß er diese Bedingung unmöglich erfüllen konnte. Arg in der Klemme, schloß er mit dem Teufel einen Pakt, der sich bereit er­ klärte, den Bau zur rechten Zeit fertigzu­ stellen. Dafür aber sollte ihm die Seele jenes Wesens gehören, das als erstes die neuerbaute Kirche betrat. Wie nun der Teufel dabei war, die obersten Spitzen der beiden Türme auf28

zusetzen, die den Bau beendeten, trieb der Baumeister seinen schwarzen Pudel als Seelenopfer für den Teufel in die Kir­ che. Der geprellte Teufel aber, der mit einer Hundeseele durchaus nicht zufrie­ den war, stürmte in seinem Zorn so ha­ stig von dannen, daß er bei seinen Rie­ senschritten in der Nähe von Fürsten­ walde fast ins Stolpern geriet. Das eine Bein, einem Menschenfuß ähnlich, trat so heftig aufstampfend die Erde bei Neu Golm südlich von. der Spree, daß ein länglicher Teufelssee entstand. Der an­ dere Fuß in Gestalt eines Pferdehufes drang ebenfalls tief in den Boden ein und ließ den runden Teufelssee im Birk­ busch entstehen. Und dabei ging dem wütenden Teufel noch sein Hufeisen ab, das hoch durch die Lüfte flog und oben am Turm der Frankfurter Marienkirche neben dem Zifferblatt der Uhr einschlug. Dort war es lange Jahre zu sehen. 29

Zwanzig Männer und ein Paar Stiefel Vor vielen, vielen Jahren war Demnitz ein armes Dorf. Zehn Bauern wohnten dort, sechs Tagelöhner und vier Büdner. Sie hatten nicht einmal ordentliches Schuhwerk anzuziehen, und sie schäm­ ten sich ihrer Armut. Hin und wieder mußte einer in die Stadt, um Besorgun­ gen zu m�chen oder um amtliche Ange­ legenheiten zu regeln. Da wollten sie sich aber nicht wegen ihrer Holzpanti­ nen auslachen lassen. Darum ließ der Dorfschulze ein Paar Stiefel anfertigen. Wer in die Stadt ging, konnte sich die Stiefel ausleihen. Wenn aber mehrere Dörfler zur Stadt wollten, marschierten sie in Holzpantinen bis zum Stadttor. Dort zog der erste die Stie­ fel an und ging in die Stadt; dann zog der nächste die Stiefel an und machte seine Einkäufe; darauf der dritte und so 3°

fort, bis jeder seine Geschäfte besorgt hatte. Gemeinsam begaben sie sich wie­ der auf den Heimweg und lieferten die Stiefel beim Schulzen ab. So gingen die Demnitzer in den Au­ gen der Städter immer gestiefelt und wa­ ren vor ihrem Spott sicher.

Der dankbare Storch In Grabow stand einst auf der Scheune des Fischers Schulz Jahr für Jahr ein Storchennest, das immer wieder von dem gleichen Storchenpaar bewohnt wurde. Wieder einmal wollten die bei­ den Störche im Frühling wie in jedem Jahr ihr altes Nest beziehen, als sich ein anderes Storchenmännchen zeigte. Es entbrannte ein heftiger Kampf um das Weibchen. Der fremde Storch war sieg­ reich, brachte seinem Nebenbuhler tüch31

tige Wunden bei und stürzte ihn vom Scheunendach, so daß er sich ein Bein brach und liegenblieb. Das Weibchen wollte durchaus nichts von dem fremden Storch wissen, sondern blieb bei ihrem verunglückten Partner. Da suchte der fremde Storch das Weite. Die alte Großmutter Schulzen aber nahm sich des verwundeten Storchen­ männchens an, richtete und schiente ihm das Bein und heilte seine Wunden, wodurch der Storch eine große Zunei­ gung zu ihr faßte. Als er vollkommen wiederhergestellt war, sagte eines Tages die Alte, die vor der Tür in der Sonne saß und Wolle spann, im Spaß zu dem Storch: "Knäppendräjer, ick hebbe di nu dien Been jeheelt, nu kanst du mi ut jen­ net Lant, wo du nu balle hentrekst, oek fiär mine Möe wat metbrengen." (Storch, ich habe dir nun dein Bein geheilt, nun kannst du mir aus jenem Land, wo du 32

nun bald hinziehst, auch für meine Mühe was mitbringen.) Bald darauf zog das Storchenpaar nach dem Süden, und als es im nächsten Frühjahr wiederkam, war auch die alte Frau zufällig an der Hintertür. Da flog der Storch zutraulich zu ihr nieder und legte ihr eine goldene Münze zu Füßen. Auf der Münze stand eine fremde In­ schrift, die keiner lesen konnte. So hat sich der Storch bei der alten Großmutter Schulzen für seine Pflege und Heilung bedankt.

Der Zwerg und der Erbsenbauer Ein Görsdorfer Bauer hatte einmal auf seinem Felde Erbsen gesät. Und als sie beinahe reif waren, merkte er mit Schrecken, daß sie von Tag zu Tag weni­ ger wurden. Um zumindest etwas zu 33

ernten, dachte er daran, sie abzumähen. Schon vor Tau und Tag ging er deshalb mit seiner Sense auf das Feld und be­ gann zu mähen. Er hatte kaum ein kleines Stück des Feldes umgehauen, da hörte er einen markerschütternden Schrei und sah ei­ nen humpelnden Zwerg, dem er mit sei­ ner Sense in das Bein gehauen hatte. So­ gleich packte er ihn beim Bane, um ihn zu strafen, denn er vermeinte, den Erb­ sendieb gefangen zu haben. Der Zwerg aber jammene: "Ich habe dir keine Erb­ sen abgepflückt. Das waren die Zwerge in jenem Berge." Und er wies auf den nahe gelegenen Kolberg. Der Bauer dachte, daß er ihm schon eine Verwun­ dung beigebracht, und ließ ihn frei. Dann schulterte er seine Sense und ging heim. Als er nach einigen Tagen weiter­ mähte, fand er inmitten seines Erbsenfel34

des einen Beutel mit Gold. Nicht weit da­ von erwartete ihn der Zwerg. Der sprach zu ihm: "Nimm dies zum Lohn dafür, daß du mir das Leben geschenkt hast." Der Bauer kam durch die Gabe des Zwerges und seinen Fleiß zu Wohlstand. Auch machte er alle Jahre eine gute Erb­ senernte, und niemals wieder wurden ihm Erbsen von seinem Felde gestoh­ len.

Die goldene Hirschkuh Einst kam auf dem Oderdamm bei Kie­ nitz eine goldene Hirschkuh angelaufen, die weithin glänzte. Die Bauern und Fischer, die solch ein Tier noch nie gesehen hatten, staunten mächtig, rannten eilig hinterher und fin­ gen die Hirschkuh in der Gegend von Neuendorf. Wie sie nun aber das kost­ bare Tier nach Kienitz zurückbringen 36

wollten, sträubte es sich sehr und riß sich immer wieder los. Da hatte einer die Idee, die Hirschkuh mit einem Strick zu binden. um sie dann gemeinsam nach Hause zu tragen. Die­ ser Rat leuchtete allen ein. Als man je­ doch einen Strick suchte, hatte niemand einen bei sich. Man ratschlagte nun hin und her, wie man wohl am leichtesten zu einem Strick kommen könnte, und vergaß dabei, die Hirschkuh festzuhal­ ten. Sie aber machte sich heimlich davon und wurde nicht mehr gesehen. Mißmu­ tig kam die ganze Gesellschaft wieder in Kienitz an. Der Dorfschulze aber, der sich kraft seines Amtes für den Klügsten im Dorfe hielt, sandte anderen Tages den Befehl mit dem Botenknüppel herum, daß sich die Gemeinde im Schulzenamt zu ver­ sammeln habe. Hier hielt er den Bauern und Fischern mit ihren Knechten eine 37

lange Strafpredigt und daß sie das Glück des Dorfes verscherzt hätten, weil sie die goldene Hirschkuh laufengelassen hat­ ten. Er befahl kurzerhand, daß vorn heu­ tigen Tage an alle Bauern und Fischer von Kienitz mit ihren Knechten stets ei­ nen Strick um den Leib zu tragen hätten, damit er ihnen bei Bedarf sogleich zur Hand wäre. Ein Strick und ein Käsebrot wären zwei Dinge, die jeder Kienitzer bei sich zu führen habe, denn damit würde er unangefochten durch die ganze Weh kommen. Seit dieser Zeit hießen die Kienitzer im ganzen Oderbruch nur noch die "Strickbauern".

Der Teufelspfuhl Vor vielen Jahren wütete in Kossenblatt ein Riesenfeuer, das fast das ganze Dorf 38

in Schutt und Asche legte. Alle Steine, die in der Umgebung zu finden waren, reichten bei weitem nicht aus, das Dorf wiederaufzubauen. Da wiesen die Bauern auf den riesen­ großen Felsblock hin, der ungefähr in der Mitte zwischen Kossenblatt und Gie­ sendorf am Wege lag. Weil aber erzählt wurde, unter diesem Steinhünen solle der Böse wohnen, getrauten sie sich nicht an ihn heran. Endlich trieb sie die Not, und man be­ arbeitete ihn mit Hämmern und Mei­ ßeln. Die Mühe aber war vergebens. Dann versuchte man ihn zu sprengen, bekam aber nur kleine Stücke von ihm los. Da fuhren die Bauern nach Beeskow, um starkes Pulver zu kaufen. Als die Leute am Abend am Stein vor­ beikamen, sagten sie zu ihm: "Warte nur, dich werden wir schon klein kriegen!" Am nächsten Morgen wanderten viele �9

der Bewohner des Dorfes hinaus, um die Sprengung mitzuerleben. Doch welche Enttäuschung! Als man durch den dich­ ten Nebel an den Ort kam, war der Stein verschwunden. An der Stelle aber, wo er gelegen hatte, war ein tiefes Loch. Im Grunde dort unten ragte er noch etwas aus dem Sand hervor, und man konnte an - ihm deutlich mehrere seltsame Eindrücke er­ kennen. Sie rührten von den Krallen des Teufels her, der den Stein, sein Eigen­ tum, in die Tiefe gezogen hatte. Das entstandene Loch füllte sich spä­ ter mit Wasser und wurde Teufelspfuhl genannt.

Die Liichtemdnnekens Das Dorf Markgrafpieske liegt in einer wasserreichen Gegend, die vor langer Zeit von vielen Sümpfen durchzogen 4°

war. Das machte zu den verschiedenen jahreszeiten die Wege schwer passierbar und vor allem in der Dunkelheit sehr ge­ fährlich. Bei den Einwohnern war es gang und gäbe, daß sie einen Dreier auf die Haus­ schwelle legten, wenn sie vor Anbruch der Dunkelheit mit ihren landwirtschaft­ lichen Produkten zum Fürstenwalder Markt aufbrachen. Dann erschienen die Lüchtemännekens und leuchteten ihnen den ganzen gefahrvollen Weg, so daß sie glücklich zur Stadt kamen. Versagte aber ein Geizkragen ihnen die­ sen Dreier, so konnte er gewiß sein, daß er in die Irre geführt wurde, fehl trat und sogar in den Sümpfen versank. Und wenn die Markgrafpiesker am Abend in ihr Dorf zurückkehren wollten und nicht mehr den rechten Weg fan­ den, dann brauchten sie nur einen Dreier hinzulegen und zu sprechen: 42

"Komm, leuchte uns to Hus!" Dann ka­ men die Lüchtemännekens und führten sie hilfreich und sicher nach Hause.

Die Krone des Otternkönigs Unter dem Otterstein am Neuendorfer Weg bei Oderberg soll vor Hunderten Jahren einmal der Otternkönig seinen Palast gehabt haben, von wo aus er die vielen tausend Schlangen der weiten Umgebung regierte. Es gab genügend Leute, die wollen den Otternkönig samt seiner goldenen Krone selbst gesehen haben. Diese kleine goldene Krone aber war zu gewinnen, wenn an gewissen Tagen in heller Mittagssonne nahe dem Steine ein schneeweißes Tuch ausgebreitet wurde, auf das der Otternkönig vor dem Sonnenbad auf dem Stein sein goldenes 43

Krönlein legte. Wer dann schnell zugriff und hurtig entsprang, bis die Glocke der Kirche zu Neuendorf zwölf schlug, der konnte die goldene Krone behalten und so sein Glück machen. Ein Junker hatte es einmal aus purer Habsucht versucht. Er saß schon wieder mit dem Tuch und dem Krönlein zu Pferde, als der Schlangenkönig den Raub seiner Krone bemerkte und laut und kla­ gend pfiff. Da eilten die Schlangen von allen Seiten wütend herbei. Pferd und Reiter wurden so arg bedrängt, daß der Junker Tuch und Krone fahrenlassen mußte, um nur sein nacktes Leben zu retten.

Auf

dem

Teufelsberg bei Oderberg

Als das Wasser des Lieper Sees noch bis an den Fuß der Berge reichte, ist einmal 45

ein Fischer aus Niederfinow abends aus­ gefahren. Da hörte er vom Ufer eine selt­ same Stimme rufen, und weil er dachte, vielleicht braucht ein Verunglückter Hilfe, ist er nahe an das Ufer gefahren. Da sah er einen fremden Mann am Ufer stehen. Der winkte ihn heran und sagte, er solle mit ihm gehen, er werde ihm eine Stelle zeigen, wo er sich Geld holen könne, soviel er wolle. Jetzt erst merkte der Fischer, daß er am Fuße des Teufelsberges gelandet war. Vor Angst wäre er beinahe umgekehrt. Aber er faßte sich doch ein Herz und ging mit dem Fremden mit. Sie kamen in eine Höhle, wo Fässer voll Gold standen. Davon sollte er sich eins nehmen, sagte der Fremde zu dem Fischer und verschwand. Das ließ sich dieser nicht zweimal sagen. Er schleppte, obschon es viel Schweiß kostete, eine goldgefüllte Tonne in seinen Kahn. 46

Schon wollte er abfahren, da dachte er bei sich: Es ist doch jammerschade um die anderen Tonnen, nehm ich sie nicht, nimmt sie ein anderer, ist doch auch der Fremde nicht mehr da, also sieht's doch niemand, und ich will mir ja auch nur eine Tonne noch holen. Und er lief in die Höhle zurück und holte sich noch ein Faß voll Gold. Als er aber zu seinem Kahn zurück­ kehrte; war er nicht wenig bestürzt. Die erste Tonne war verschwunden. Alles Suchen half nichts. Da dachte er wieder an die großen Vorräte und ging noch einmal in die Höhle und holte das dritte Faß mit Gold. Als er aber wiederkam, da war das zweite Faß verschwunden. Nun schien ihm die Sache nicht recht ge­ heuer, und er beeilte sich, von der un­ heimlichen Stelle fortzukommen, froh, daß er wenigstens ein Faß voll Gold sein eigen nennen konnte. 48

Kaum aber hatte er sich vom Lande ent­ fernt, da saß der Fremde vorn an der Spitze des Kahns. Nun fuhr der Fischer so schnell er nur konnte nach Hause. Und als er sich der Landungsstelle nä­ herte, machte er eine schnelle Wendung, so daß die Spitze ins Wasser hinaus­ zeigte, als wolle er gleich wieder abfah­ ren. Da sagte der Fremde: "Sei froh, daß du mich nicht an Land gesetzt hast, sonst wär's dein Verderben gewesen. Aber deine Habgier muß bestraft werden, und so sollst du nur ein Faß voll Kupfer mit nach Hause nehmen, während in der er­ sten und zweiten Tonne echtes Gold und Silber gelegen." Und damit ver­ schwand der unheimliche Geselle wie­ der. Als der Fischer zu Hause nach dem Inhalt des Fasses sah, fand er nichts als rotes Kupfer darin. 49

Der Knäuel ohne Ende Am Ewaldshügel. unweit der Stadt Oderberg. sammelte einst eine arme alte Frau im Spätherbst Holz. Sie war barfuß und zittene vor Kälte. Da begegnete ihr ein graues Männlein mit großem Krem­ penhut. der fragte in barschem Ton. wo sie ihre Strümpfe hätte. Die Frau ent­ schuldi�e sich. Sie sei arm und habe we­ der Strümpfe noch das Garn dazu. Darauf gab ihr das Graumännlein ei­ nen kleinen Knäuel Garn und mahnte sie. es sorgsam in ihrem Kasten vor aller Augen zu verbergen und niemals nach seinem Ende zu forschen. dann werde es mehr als ein Paar Strümpfe davon geben. Lange Jahre strickte die Frau schon von ihrem Garnknäuel. Nie war das Ende des Fadens erreicht. Aber schließ­ lich überwältigte sie doch die Neugier. so

Der Kasten wurde geöffnet, um nach dem Knäuel zu sehen. Da war der Faden mit einem Schlage zu Ende.

Der Schneider von Petersdorj An dem kleinen, länglichen Petersdorfer See, der zwischen den Rauener und Du­ berower Bergen eingebettet ist, als eine Fortsetzung des Scharmützelsees, fuhr einst ein Knecht auf seinem mit Sprit­ fässern beladenen Wagen vorbei. Da er selbst tüchtig getrunken hatte, so be­ merkte er nicht, daß ihm eines der Fäs­ ser vom Wagen hinabkullerte. Es wurde leck, und sein Inhalt ergoß sich auf die Erde. Gerade kamen wilde Gänse geflo­ gen. Sie ließen sich nieder und tranken gierig die ungewohnte Flüssigkeit, so daß sie bald betäubt wurden und wie tot dalagen.

Ein Schneider, der des Weges kam, meinte an ihnen gute Beute gefunden zu haben. Er steckte so viele wie möglich mit den Hälsen an seinen GürteL Doch allmählich begannen die Gänse aus dem Rausch zu erwachen, regten ihre Flügel und trugen das fassungslose Schneider­ lein, das sich so schnell nicht losmachen konnte, hoch in die Luft. Dann ließen sie sich auf dem Petersdorfer See nieder. Der Schneider aber soll seitdem noch immer in dem Wasser zappeln.

Der Schuhmacher im Reitweiner Schloßberg An einem schwülen Sommertage vor vie­ len Jahren kam einmal ein Schuhmacher auf seinem langen Wanderweg recht müde und hungrig am Reitweiner Schloßberg von der Frankfurter Marga53

rethenmesse an, um weiter seinem Hei­ matdorfe im Oderbruch zuzuwandern. Die Füße taten ihm weh, und er spüne alle Knochen im Leibe von dem Weg, den er schon in aller Herrgottsfrühe von Frankfun aus begonnen, wo er am Tage zuvor seine gefenigten Schuhe verkauft hatte. Und wie er sich nun don zur Rast nie­ derließ, um sich ein wenig auszuruhen, höne er plötzlich eine wundersame Mu­ sik, die ganz in seiner Nähe spielte. Plötzlich stand ein reichgekleideter Die­ ner in roter Livree, die mit vielen golde­ nen Litzen besetzt war, an seiner Seite und lud ihn ein, auf das Schloß zu kom­ men, dessen Ruinen auf dem �erge stan­ den. Der Schuhmacher ließ sich das nicht zweimal sagen und ging mit. Auf dem Schloßhof stand eine reichgedeckte Ta­ fel mit vielen köstlichen Gerichten, an 54

der er sich niederließ und gütlich tat. Und da ihn das viele Essen und der gute Trunk sehr müde machten, schlief er ein. Als er endlich aufwachte, fand er sich wieder auf seinem Rastplatz sitzen. Nur noch dunkel konnte er sich der Einla­ dung erinnern und wie gut er dabei ge­ gessen und getrunken hatte. Er machte sich noch einmal zur Ruine des Schlos­ ses auf dem Berge auf. Aber hier war al­ les tot und verfallen,. und nichts erin­ nerte mehr daran, daß er hier gespeist haben sollte. Als er am Abend endlich sein Heimatdorf erreicht hatte, karn ihm alles fremd und ungewohnt vor. Nie­ mand kannte den Schuhmacher mehr, der daherkam und nach Leuten fragte, die lange tot waren. Keine Spur seiner Familie war mehr zu entdecken. Er hatte einhunden Jahre verschlafen. 55

Der Nix mit dem Kuchen Einmal sahen zwei Bauern, die am Ufer des Scharmützelsees Gras mähten, aus dem Wasser Rauch aufsteigen, und einer sagte zum anderen: "Da backt der Nix Kuchen!" Nicht lange dauerte es, so erschien der Nix mit einem schönen Napfku­ chen. Die Bäuerlein wischten sich den Mund, denn Kuchen galt ihnen als Lek­ kerbissen. "Eßt ihn ganz auf, aber laßt ihn ganz, sonst kostet's euch den Hals", rief der Nix und machte sich davon. Die Gras­ mäher, kluge und bedachte Märker, schnitten den Kuchen in der Mitte völlig aus und ließen nur den Rand übrig. "Das hat euch der Teufel gelehrt!" rief der Nix, als er zurückkam und sich in seiner Absicht betrogen sah, und ver­ schwand im Wasser·. 56

Die Schwanenmädchen Ein Knabe sah einst, als er von Pieskow südwärts ruderte, drei Schwäne auf dem Wasser. Er fuhr ihnen nach. Aber weil es Mittag war und die Sonne so sommer­ lich schien, sanken ihm müde die Arme, und er schlief ein. Wie er erwachte, fand er sich in einem gläsernen Feenpalast auf dem Grunde des Sees, und neben seinem goldenen Bett standen drei wunderschöne Schwe­ stern. Es gefiel ihm wohl bei den drei Jungfrauen. Unter Sang und Klang, bei beladenen Tischen, verflogen die Tage. Als aber die Schwestern einmal fern waren und der Pieskower sich allein im Palast sah, da packte ihn das Heimweh, daß er zu weinen begann und nach sei­ ner Mutter rief. Sofort stand ein altes Weib vor ihm, das ihn nach dem Dorfe zurückbrachte. 'f7

Doch wer einmal die Herrlichkeiten des Feenreiches gekostet hat, dem gefällt es nimmermehr auf der Erde. Der Bur­ sche schlich von nun an in jeder freien Zeit an den Scharmützel und schaute sehnsüchtig nach den drei Schwänen aus. Sie kehrten aber niemals wieder.

Der Abschied der Jükhen Bei der Familie Bauer in Steinsdorf ha­ ben einmal zwei ]ülchen, zwei Zwerge, gewohnt, ein Mann und seine Frau. Sie halfen den Leuten des Hauses, wo sie nur konnten. Ihre Wohnung hatten sie in der Küche, unter dem Feuerungsloch des großen Kessels. Frühmorgens gingen die Bauersleute auch auf das Feld hinaus. Um die Mit­ tagszeit eilte dann die Frau nach Hause, um schnell das Essen für all die hungriJ8

gen Arbeiter zu kochen. Aber jedesmal, wenn sie heimkam, stand das dampfende Essen schon fenig auf dem Tisch. Als ei­ nes Tages die Hausfrau wieder einmal auf dem Acker beim Flachsjäten half, dachte sie bei sich: Du wirst doch einmal zeitiger aufbrechen. Vielleicht kannst du die Jülchen überraschen und zu sehen bekommen! Das gelang ihr aber nicht, obgleich das Essen noch kochend heiß war und die Jülchen eben erst damit fer­ tig geworden sein mußten. Am darauf­ folgenden Mittag ging sie noch früher nach Hause. Da konnte sie die Jülchen erblicken, wie sie gerade die Teller und Schüsseln mit dem Essen auf den Tisch setzten. Sie liefen zwar schnell vor' ihr davon, aber sie hatte doch gesehen, daß ihnen ihre Kleider ganz zerrissen am Leibe herunterhingen. Der Hausfrau tat es in der Seele leid, daß die hilfsbereiten kleinen Leute so S9

abgerissen herumgehen mußten. Sie ließ beim Schneider im Dorfe nach Augen­ maß neue Sachen machen und breitete sie ihnen vor dem Feuerungsloche hin. Als sie aber am Mittag des nächsten Ta­ ges wieder vom Felde heimkam, standen die beiden Jülchen mit Sack und Pack im Hausflur und weinten bitterlich. Er­ schrocken fragte die Frau, wer ihnen et­ was zuleide getan habe. Da wiesen die Jülchen auf die neuen Sachen und sag­ ten, daß sie nun fon müßten und ihren Abschied nehmen. Wer ihnen neue Sa­ chen schenkte, bei dem könnten sie nicht bleiben. Weinend gingen sie davon und kamen nie mehr wieder.

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Der Grützpott Einst hauste der Raubritter Triloff mit seiner Mutter und seinen Knappen auf der Stolper Burg. Häufig fand er sich auf dem Markt der Stadt ein, um reiche Kaufleute auszukundschaften. Rüsteten diese zum Aufbruch, ritt Triloff eilends zu seiner Burg und rief -seine Leute zu­ sammen. Im Hinterhalt lauerten sie den Kaufleuten auf, mordeten und plünder­ ten. Eines Tages beobachtete Triloff einen Kaufmann, der viel kostbares Schleierlei­ nen auf dem Markt verkauft hatte und eine wohlgespickte Geldkatze um den Leib geschnallt trug. Triloff machte sich allein an die Verfolgung des Kaufman­ nes, in dem er eine leichte Beute wit­ tene. Doch der Kaufmann war auf der Hut. Als der Raubritter mit gezogenem Schwen auf ihn eindrang, zog der Händ61

ler sein Pistol, das mit einem silbernen Knopf geladen war, und schoß Triloff mitten ins Herz. So fanden ihn seine Leute im Walde. Schnell verbreitete sich die Kunde von dem Tode des Wegelagerers. Die· Bauern scharten sich zusammen und stürmten die Burg. Die Strauchdiebe flüchteten sich in den mächtigen Berg­ fried. Von der Höhe des Turmes warfen sie schwere Steine in die Tiefe, gossen aus großen Pfannen siedendheißes Pech auf die Angreifer, und zuletzt schütteten sie das soeben fertiggekochte Essen herab: einen Kessel mit heißem Grütz­ brei. Aber das vermochte die Bauern nicht zu schrecken. Der Stolper Schmied, der auf der obersten Sprosse der Sturmleiter stand, bekam die Grütze auf seine Sturmhaube. Wutentbrannt rief er: .. Den Grützpott war'n wir bald utschüren." 62

Mit voller Wucht rammte er seine Eisen­ stange gegen die Bohlentür des Turmes. Das Holz krachte und splitterte, und die erbittenen Bauern drangen in den Berg­ fried ein. Das war das Ende des Raubne­ stes. Die Burg zerfiel, nur die Mauern des Bergfrieds ragen noch auf, im Volke der "Grützpott" geheißen.

Der Riesenstein bei Wandlitz Zwischen den Dörfern Wandlitz und Stolzenhagen liegt auf einer kleinen An­ höhe unweit des Wandlitzsees ein ge­ waltiger, fast vier�ckiger Granitblock. Er trägt fünf flache Eindrücke, wie von ei­ ner mächtigen Hand gemacht. Sie sollen von einem Riesen stammen, der am Ufer des Wandlitzer Sees einmal spazierenging und seinen Fuß an die­ sem Stein stieß. Der Schmerz machte ihn 63

wütend, und er ergriff den Block und schleudene ihn mit großer Kraft weit über den See dahin, so daß er jenseits davon niederfiel. Dabei schimpfte er: "Hebb ick mii stooten an miine groote Teh, will ick dii ook smeeten öwer de Wandlitzsche See!" Von seinem kräftigen Griff aber sind die Eindrücke im Stein noch immer zu sehen.

Die Lutchen und der Bauer auf der Hochzeit In Werder wurde einst eine Bauernhoch­ zeit gefeien, zu der fast alle Einwohner erschienen waren. Einen Bauern hatte man vergessen einzuladen. Als die Gäste an der reich mit Speisen gedeckten Hochzeitstafel saßen, pflügte er seinen Acker. Der lag auf der Zoßnitz, in der Nähe der Lütkenberge. 65

Da standen plötzlich die Lutchen vor ihm. Und als er sich wundene, daß sie sich am hellen Tage sehen ließen, frag­ ten sie: "Warum bist du nicht auf der Hochzeit?" Er entgegnete: "Ich bin nicht gela­ den." Da lachten sie und sagten: "Wir auch nicht. Trotzdem wollen wir aber beim Schmaus tüchtig mittun. Folge uns nur, wir werden dich unsichtbar machen. Dann kannst du essen und trinken, so­ viel du willst, nur darfst du nichts mit­ nehmen." Auf diesen Vorschlag ging der Bauer fröhlich ein. Bald darauf saß er mitten unter den Gästen und schwelgte mit den Lutchen um die Wette. Obgleich immer neue Speisen aufge­ tragen wurden, waren Teller, Schüsseln und Gläser beständig leer. Doch die Hochzeiter hatten sich überreichlich mit 66

Speisen und Getränken versehen. Als der Bauer vollauf gesättigt war, dachte er: Es ist doch schade, daß deine Frau und Kinder von dem herrlichen Fest­ schmaus nichts haben sollten. Ich will ih­ nen eine Kostprobe mitbringen. Und zu­ gleich wickelte er ein Paar Gänsekeulen und mehrere Stück Kuchen ein. Damit hatte er aber sein Won gebro­ chen, das er den Lutchen gegeben hatte. Er wurde plötzlich sichtbar, und groß war das Erstaunen der im Feststaat pran­ genden Gäste, unter sich einen Bekann­ ten in Hemdsärmeln sitzen zu sehen. Nun konnte man sich erklären, wo die Speisen geblieben waren, und bewun­ dene seine kräftige Eßleistung. Auf die tüchtig mithelfenden Lutchen kam kei­ ner. Beschämt stand der Bauer auf und bat um Entschuldigung. Doch die gutge­ launten Hochzeiter verziehen ihm alles 6-J

und gaben ihm noch mehr mit, als er eingesteckt hatte.

Die Töpferberge bei Welsow Unweit von Welsow liegen die Töpfer­ berge, und wer ganz oben steht, kann weit ins Land schauen. Die Berge aber sind inwendig von ei­ nem kleinen kunstverständigen Volk be­ wohnt, den Erdmännern. Die haben schon vor alten Zeiten den Menschen nur Gutes getan. Sie gruben tief in die Erde und erfanden die Töpferkunst. Noch heute kann man an den Abhängen der Berge hin und wieder beim Pflügen Scherben von den Töpfen dieser Zwerge finden. Eines Tages pflügte der lange Fried­ rich aus Mürow. Da höne er in der Früh­ stückspause ganz deutlich, wie die 68

Zwerge tief im Berge den Töpfenon auf die Bank klatschten. Einmal glaubte er auch zu verstehen, was die Zwerge ein­ ander zuriefen. Es klang wie: "Wohl be­ komm's!" Da es ein warmer Tag war und er Durst hatte, sagte er ganz laut: "Bringt mir auch etwas Wein!" Der lange Friedrich stand auf und pflügte weiter. Als er wieder an die Stelle kam, wo er geruht hatte, stand ein Krug mit Wein da. Er hob ihn auf und nahm einen Schluck davon. Weil er aber ein Uckermärker war, dem das Sprich­ won in Fleisch und Blut übergegangen war: "Häw up, hätt wat - frät up, hätt nix!" trank er nicht alles. Am Abend nahm er den Krug mit dem Rest des Weines nach Hause und stellte ihn in seine Knechtslade. Nach dem Abendessen ging er in seine Kam­ mer' schloß seine Lade auf - und 69

machte große Augen. Der Krug war wie­ der bis zum Rande gefüllt. Das ging nun immer so weiter. Sooft Friedrich aus dem Krug auch trank, aus dem Rest wurde immer ein voller Krug. Die anderen Leute aber, die mit ansa­ hen, daß der Friedrich immer einen vol­ len Krug mit Wein aus seiner Lade holte, wurden neidisch. Am allermeisten der Ochsenknecht, weil Friedrichs Pferde schneller gingen als die Ochsen. Eines Tages entwendete er dem langen Friedrich die Schlüssel seiner Lade. Er schlich sich leise in die Kammer, schloß die Lade auf, fand den vollen Krug und trank ihn bis zum letzten Tropfen aus. Von Stund an ist der Krug der Zwerge nicht mehr voll geworden.



INHALT

Dm Irrlicht und der Groschen 5 Dm Wmsermdnnlein 6 Meister Reinek.e will fliegen lernen 9 Der Backobstdieb im Mond 11 Die Bernauer Bierprobe 13 Der Blumenthalsche See 16 Die Bürgerglock.e zu Bernau 19 Der unsichtbare Bauer 21 Wie der Damm im Bugker See entstand 23 Der Böttcher bei den Unterirdischen 25 Der Teufel und die Marienkirche zu Frankfurt an der Oder" 27 Zwanzig Mdnner und ein Paar Stiefel 30 Der dankbare Storch 31 Der Zwerg und der Erbsenbauer 33 Die goldene Hirschkuh 36 Der Teufelspfohl 38 Die Lüchtemdnne/eens 40 Die Krone des Otternkönigs 43 Auf dem Teufelsberg bei Oderberg 45

Der Knduel ohne Ende 50 Der Schneider von Petersdorj 51 Der Schuhmacher im Reitweiner Schloßberg 53 Der Nix mit dem Kuchen 56 Die Schwanenmddchen 57 Der Abschied der jükhen 58 Der Grützpott 61 Der Riesenstein bei Wandlitz 63 Die Lutchen und der Bauer auf der Hochzeit 65 Die Töpferberge bei Welsow 68

ab 7 J.

D I E K L E I N E N T R O M P ET E R B Ü C H E R I n frü her Zeit wurden Geschichten von N i ­ xen, Zwergen, I rrlichtern u n d vom Teufel e rzä h lt. Bei m a nchen Sagen ka n n m a n sich schön g rusel n , andere s i n d zum La ­ chen oder Trä umen. Wen n wi r heute ei­ nen "Teufelsberg " ersteigen oder i n ei­ nem "Teufe lssee " baden , eri n nern wi r uns

vielleicht der Sagen und stellen uns vor,

wie die Leute dort gelebt h a be n . Was h ät­ ten sie gesagt, wäre ein Auto oder e i n Flugzeug vorbeigezogen? Andere Zeiten a ndere S itten , a ber i m mer noch lassen wir u n s gern von den a lten Gesc h ichten um d ie U nterird ischen beza u bern.

D E R K I N D E R B U C H V E R LA G B E R LI N

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