162 - Vom Eulchen Und Der Dunkelheit

August 26, 2017 | Author: gottesvieh | Category: Nature, Leisure
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Short Description

..................

Description

Die kleinen Trompeterbücher

Band 164

Helma Heymann

Das Faschings­ schneiderlein

Der Kinderbllchverlag Berlin

Illustrationen von Erdmut Oelschlaeger

1. Auflage 1983 © DER KINDERBUCHVERLAG BERLIN - DDR 1983 Lizenz-Nr.304-270'1.1'83-13O) Oessmthsrs1ellung: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundachaft Dresden

lSV 7521 Für leaer von 7 Jahren an B••toll·Nr. 631 59B 0 0175

GRÜN IST DIE MATHEMATIK Seit ein paar Tagen geht Robbi in die Schule.

Sein

kanariengelber

Ranzen

drückt schwer auf den Rücken. Der Schulweg führt ihn über einen klei­ nen,

umgepflügten Acker zur

Straßen­

bahnhaltestelle. Morgens im September ist dieser Weg oft feucht von Nebel oder Tau. Robbi schaut über den Acker. Dort stol­ ziert eine große schwarzglänzende Krähe. Robbi fürchtet diesen Vogel, der oft in be­ ängstigende Nähe herankommt. Er steckt die Daumen hinter die Riemen seines Ranzens, beugt sich ein wenig vor und

schleicht

schmalen

auf

Ackerweg

Zehenspitzen entlang.

den

Heimlich

schielt Robbi nach der Krähe. Ein Wunder müßte geschehen, wünscht er. Klein wie eine Maus müßte die Krähe sein. 5

Die Krähe beachtet Robbi gar nicht. Heftig hackt sie in der Erde herum, als wolle sie den Acker umgraben. Schulkinder, die Robbi von der Haltestelle aus erkennen, winken. Er beginnt zu lau­ fen, und rumpelnd hüpft der Ranzen auf seinem Rücken hin und her. Die

Krähe

fliegt

erschrocken

auf, und

Robbi rennt erlöst wie der Wind davon. Atemlos erreicht er die Straßenbahn. Als er nach vier Stationen aussteigt, kann er das hohe Schulgebäude sehen. Robbi läuft

zum

Hintereingang.

Vor

der

Tür

leuchten rote Ranzen, gelbe, blaugelbe und grüne.

Hier stehen auch Kai und

Katlen aus seiner Klasse, der Klasse 1c. Wortlos reiht sich Robbi ein und faßt Katlen an.

Sie

größer als er.

ist beinahe einen Kopf

Ü ber den Ohren ist Katlens

Haar rechts und links zu lustigen Büscheln zusammengefaßt, geschmückt mit kirsch6

roten Zopfhalterkugeln. "Ich habe auf dich gewartet", sagt sie. " "Ich bin jetzt da , sagt Robbi. Die

Lehrerin

erscheint

und führt

ihre

Schüler in den Klassenraum. Noch bevor es klingelt und die allgemeine Schubserei auf dem Schulhof entsteht, sitzen die Kinder der ersten Klasse auf ihren

Bänken, erzählen und sind voller

Erwartung. Robbi ist glücklich. Er sitzt auf seinem Platz. Die Schule steht noch auf derselben Stelle wie am ersten Tag. Durch kein Wunde� ist sie plötzlich verschwunden, wie die Schlösser manch­ mal in seinem Märchenbuch. Und vor allem: Krähen dürfen nicht in die Schule. Kai

ist

sein

Banknachbar.

immer den Namen der

Kai

vergißt

Lehrerin.

"Wie 7

heißt sie?" zischelt er und pfeift dabei unabsichtlich durch seine Zahnlücke. "Frau Balzer", flüstert Robbi eindringlich und versteht nicht, wie man den Namen der Lehrerin vergessen kann! Die erste Stunde ist eine Deutschstunde. Alle

Deutschhefte tragen einen gelben

Umschlag, das ist Vorschrift. Frau Balzer erklärt das runde auch das I.

0, das M und

Die Kinder versuchen, das

Wort aMI zu lesen. Und weil das erste Wort in der Fibel gleich so ein wichtiges Wort ist, wird ein Weilchen über die amis gesprochen. Jeder kann mitreden. "Wie heißt die Lehrerin?" fragt Kai und zeigt seine Zahnlücke. "Frau

Balzer",

antwortet

Robbi

ärger­

lich. Die letzte Stunde ist eine Mathematik­ stunde. 8

Grün ist die Mathematik, denn in diesem Fach

tragen

alle

Hefte

einen

grünen

Umschlag. Rabbi stützt den Kopf in die Hand. Vom langen

Stillsitzen

ist

er

müde

gewor­

den. Auf allen Tischen sieht er grüne Hefte liegen. Alle diese grünen Hefte, denkt er langsam

und

schläfrig,

hintereinander

aufgereiht, würden eine lange grasgrüne Schlange ergeben. Rabbi reißt die Augen auf. Käme diese Schlange den Ackerweg entlanggeschlän­ gelt, würde sich die Krähe vor Schreck auf den

Schwanz

setzen!

Dieser

Gedanke

gefällt Rabbi, und er ist wieder munter. Was ist los?" pfeift Kai, der Rabbi leise " lachen hört. Aufpassen!" mahnt die Lehrerin und " schreibt eine Zwei nach der anderen an die Tafel. 9

--

�_.

Die

Kinder

schauen

nach

vorn.

Dann

sollen sie selbst Zweien in ihre Hefte schreiben. Mit aller Kraft, als gälte es einen Baum auszureißen, umfassen Kai und Rabbi ihre Füllfederhalter und probieren. Von außen sieht Robbis Heft genauso aus wie das von Kai. Aber leider nicht von innen. Kais Zweien stehen ordentlich in einer Reihe und jede für sich akkurat in einem Rechenkästchen. Rabbis Zweien sehen aus, als wären zu­ fällig ein paar krumme Nägel in sein Heft gefallen.

So fest er den Füllfederhalter

faßt, so tief er sich über das grüne Heft beugt und schreibt, die Zweien werden denen an der Tafel nicht im geringsten ähnlich. Als Hausaufgabe gibt Frau Balzer eine Reihe

wunderschön

zu

schrei bender

Zweien auf. Und Rabbi hat den Eindruck, 11

als sähe sie ihn besonders an. Nach der Schule begleitet Rabbi Katlen bis zur StraßenbC!hnhaltestelie. "Mir gelingen die Zweien auch nicht", gesteht sie und wippt besorgt mit ihren kirschroten Zapfhalterkugeln. Rabbi beruhigt das. Er verabschiedet sich und marschiert zu Fuß nach Hause. Der Weg ist lang, und auf die Dauer schnüren die Riemen des Ranzens merklich in seine Schultern.

Das

grüne Heft ist schwer,

denkt Rabbi. Auf dem Acker picken Tauben. Von der Krähe.keine Spur. Zu Hause setzt sich Rabbi an die Schul­ arbeiten. "Grün ist die Mathematik", sagt er ver­ drießlich und nimmt das Heft aus dem Ranzen. Dach - ein Wunder ist geschehen! Rabbi rechnet immer mit einem Wunder. 12

Nur gerade jetzt ist er nicht darauf vor­ bereitet. In dem grünen Heft stehen sauber ge­ schriebene Zweien, klein und zierlich wie Vögelchen auf einem Telegrafendraht. Robbi schaut die Ziffern an. Sie schauen Robbi an. Er dreht das Heft hin und her. Nichts verändert sich. Ordentlich und sau­ ber stehen die Zweien in ihren winzigen Rahmen, den Rechenkästchen. Robbi

ist fassungslos.

Wo

sind

seine

krakligen Zweien? Sie können doch nicht aus dem Heft gefallen sein! Er durchsucht seinen Ranzen. Man kann nicht wissen . . . Er findet aber nichts. Dahn kommt ihm für einen Augenblick ein

phantastischer

patzten

Zweien

aus

Gedanke: dem

Die

ver­

grünen Heft

haben sich in Krähen verwandelt! Sie sind auf den gepflügten Acker geflogen und stolzieren dort herum. Und Vögel dieser •

13

Art braucht ein Schuljunge nicht zu fürch­ ten! Rabbi blättert im Heft herum. Er schlägt erneut die erste Seite auf, hält sich das Heft dicht vor die Nase und starrt so lange auf

die Ziffern,

bis

sie

ineinanderflie­

ßen. Plötzlich sagt er fast erleichtert: "Es ist kein Wunder. Es ist ein falsches Heft. Ein falsches Heft! " wiederholt er, als die Mutter ins Zimmer kommt. "Alle haben grüne Hefte für Mathematik. " Durch den buchstabiert

grünen die

waid. "

Umschlag hindurch

Mutter:

"Kai

Grüne­

Seide schweigen. In die Stille hinein sagt Rabbi entschlos­ sen: "Ich schreibe die Schularbeiten in Kais Heft, Kai schreibt die Schularbeiten in mein Heft. Vielleicht merkt die Lehrerin " das nicht, •

14

Robbi übt die Zweien auf einem Extrablatt. Er müht sich, einen kühnen Bogen mit schiefem

Hals

und

Querstrich

in

das

winzige Kästchen zu zwängen. Nach einer Weile gelingt es ihm schon besser. Die Ziffern werden kleiner und unterscheiden sich nur noch wenig von denen, die in Kais Heft stehen. Als sich Robbi am nächsten Morgen auf den Schulweg macht, scheint die Sonne wie durch einen Dunstschleier.

Krähen

stolzieren über den Acker, und am Himmel ziehen Zugvögel in schöner Dreiecksfor­ mation nach dem Süden. Eigenartig, denkt Robbi, die Krähen sehen heute nicht zum Fürchten aus. Doch er sinnt nicht weiter nach. Hoffentlich merkt die Lehrerin nichts! Das ist seine Sorge. Wieder drängen und schubsen sich die 15

Kinder am hinteren Eingang, sie lachen und reden durcheinander. Rabbi stürmt hinzu, faßt Katlen an. "Wo ist Kai?" fragt er heftig. Als er ihn erblickt, schultern beide in Eile ihre Ranzen ab, knien nieder und suchen darin herum. Kai gibt Rabbi ein grünes Heft, und Rabbi gibt Kai ein grünes Heft. Die anderen Kinder wissen nicht, was das bedeuten soll. "Wollen wir auch tauschen?" fragt Katlen und beginnt zu hüpfen, um ihren Ranzen schneller vom Rücken heben zu können. "Nein! Nein! " wehrt Rabbi ab. Auf keinen Fall will er tauschen! In der Schultür erscheint Frau Balzer und ruft die Kinder herein. Hoffentlich merkt sie nichts, fleht Rabbi im stillen. Auch Kai hat keinen anderen Gedanken. Verstohlen schlägt er zu Beginn der Ma16

thematikstunde sein Heft auf, um Rabbis Zweien zu prüfen. "Hast du gut gemacht", flüstert er an­ erkennend. Erst gegen Ende der endlos erscheinen­ den Mathematikstunde kontrolliert Frau Balzer die Hefte. Kai und Rabbi sehen blaß aus. Frau Balzer ist mit ihren Schülern zufrie­ den. Rabbi lobt sie sogar! In der Pause drückt Rabbi Katlens Hand ganz fest. Wir haben die beste Lehrerin", behauptet " er. Und Kai pfeift fröhlich durch seine Zahn­ lücke. "Noch einmal tauschen wir aber nicht!" sagt er jedoch.

2

Fasching88chneiderlein

17

DIE VERPASSTE BAHN Heute regnet es", sagt die Mutter zu " Rabbi. Rabbi sitzt am Frühstückstisch und löffelt seine süße Suppe. Kein Brot will ihm schmecken, seit er früh aufstehen und zur Schule fahren muß. Als er sein Mäntelchen anzieht, die Stra­ ßenbahnscheine in die Tasche steckt und sich mit Schwung den Ranzen auf den Rücken schleudert, zieht ihm die Mutter ein Regencape darüber. Sie stülpt ihm die Kapuze über den Kopf und knöpft sie unter dem Kinn sorgfältig zu. "So wirst du nicht naß", erklärt sie. Rabbi findet, daß er zuviel anziehen muß. Doch

hat

er

morgens keine Zeit zum

Streiten, sondern nur die Sorge, seine Bahn

zu

verpassen.

Vor

kommen ist ihm bange. 18

dem

Zuspät­

Er reckt den Hals aus seiner Verkleidung und geht eilig zur Ha�stür. An dem schmalen Ackerweg.schlägt ihm der Regen ins Gesicht. Der Wind, der über dieses Stückchen kahlen Landes ungehin­ dert blasen kann, nimmt kräftigen Anlauf. Er reißt ihm die Kapuze vom Kopf und pfeift mit vollen Backen hinein, wie in eine leere Tüte. Rabbi verschlägt es den Atem. Er tritt auf der

Stelle.

Dann

wirft

er

sich

vorn­

übergebeugt gegen den Wind und stiefelt langsam über den Acker. Nach den Kindern an der Haltestelle kann er nicht sehen. Und als er endlich bei dem Straßenbahnwartehäuschen

anlangt,

ist

niemand darin! Niemand! Rabbi schaut entsetzt den Schienen nach. In der Ferne ahnt er seine Bahn an der nächsten Haltestelle. 2·

19

Starr vor Schreck steht er im Regen. Ohne mich gefahren, kreist es in seinem Kopf. Zwei Tränen rinnen über Robbis Gesicht, das vom Regen ohnehin naß ist. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite kommt ein großer Junge mit einem Fahr­ rad gefahren. Er sieht den kleinen Jungen wie verloren im leuchtend gelben Regen­ cape an den Schienen stehen. Der Große hält an. Er lehnt sein Fahrrad gegen einen Baum und rennt über die Straße. "Du hast die Bahn verpaßt. Ich " hab's gesehen , sagt er atemlos. Robbi nickt. "Komm schnell", sagt der Große. "Ich nehme dich mit! " Als Robbi sich nicht von der Stelle rührt, nimmt der fremde Junge ihn einfach an die Hand und führt ihn über die Straße. "Ich nehme dich mit in die Schule! " ruft 20

er so laut, als stünde Robbi immer noch auf der anderen Straßenseite. Blitzschnell kommen Robbi die Lebens­ geister wieder. "Ach ja", strahlt er. "Du bringst mich in die Schule. " Der

Große hilft dem

Gepäckständer.

Kleinen auf den

"Wiegst ja gar nichts!"

stellt er fest. "Mußt mehr essen!" " "Suppe! verteidigt sich Robbi. "Ich habe Suppe gegessen. " Der große Junge hat es eilig. Prüfend schiebt er das Rad einige Schritte, dann schwingt er sich auf den Sattel. Die Fahrt beginnt. Selig balanciert Robbi auf dem schwan­ kenden Gepäckständer. Vor dem Zuspätkommen braucht er sich nicht mehr zu fürchten! Und

unverhofft

hat

er

einen

großen

Freund! Im

Vorbeifahren

fällt

ihm

ein

kleines 21

Mädchen genschirm

auf,

das

mit

einen

roten

Re­

weißen Punkten in der

Hand hält. Wie ein wandernder Fliegenpilz sieht es aus. "Beme · hochl. " ruft auf einmal der große Junge.

Rabbi

Zirkuskünstler

reißt die in die

Beine wie ein

Höhe.

Rauschend

fahren sie durch eine tiefe Pfütze. "Wie schön! " freut sich Rabbi. "Das ist ein feiner Schulweg! " "Bist du naß geworden?" erkundigt sich der Große bei seinem Hintermann. "Nein! " schreit Rabbi begeistert. "Durch die nächste Pfütze kannst du auch noch fahren!" Grau glänzt der regennasse Radfahrweg. Von den Bäumen, die zu beiden Seiten der Straße

stehen.

segeln

welke

Blätter.

Schaukelnd treiben sie auf dem Rücken des Windes dahin, wie Rabbi auf dem Gepäckständer des fremden Jungen. 22

Plötzlich biegt der Große vom gewohnten Wege ab. Er legt sich scharf in eine Kurve, fährt in die nächste Seitenstraße - und die ist Robbi

gänzlich

unbekannt!

Auf

dieser Straße radelt der Junge mit größter Geschwindigkeit geradeaus. Rabbi reißt die Augen auf, als sähe er etwas Schreckliches auf sich zukommen. Der große Junge fährt ihn nicht in die Schule! Und nun jagt eine düstere Idee die nächste durch Rabbis Kopf. Meinte der Bösewicht vor ihm auf dem Sattel nicht, daß er mehr essen sollte? Will er

ihn

möglicherweise

in

einen

Stall

sperren, wie die Hexe im Märchen den armen Hänsel, um ihn rund und dick zu füttern? Vor Aufregung und Kälte zittert Robbi. Er will nicht länger auf dem Rad sitzen! Abspringen will er! Doch das Abspringen 23

ist bei voller Fahrt unmöglich! Etwas an­ deres muß ihm einfallen. "Ich will dick sein! " beschwört sich Robbi. "Dic k, groß und zentnerschwer wie ein Nilpferd." Mit einem Nilpferd auf dem Gepäckstän­ der würde der Bösewicht keinen Pedal­ schritt weit vorankommen. Das Rad würde sich verbiegen, der Reifen wäre platt wie ein welkes Blatt, und notgedrungen müßte ihn sein Vordermann absteigen lassen! An diesen Gedanken klammert sich Robbi. "

Er fühlt sich schwer und schwerer werden. Doch nun taucht das hohe Schulgebäude auf. Bei diesem Wetter sieht es grauer aus als sonst. Robbi bemerkt es nicht. Sein Herz hüpft vor Freude.

Leicht wird ihm, fe­

derleicht auf dem Fahrrad des großen Jungen! 25

Der Junge bremst scharf vor einem Ge­ wirr

rostiger,

hochaufragender

Fahr­

radständer und hilft Robbi herunter. "Fliegengewicht! "

sagt er,

schiebt das

Rad mit einem einzigen Ruck -auf den Ständer und schließt es an. Robbi beobachtet ihn bewundernd. Der fremde Junge sieht weder wie eine Hexe noch wie ein Bösewicht aus. Robbi muß sich geirrt haben. Er strahlt den Großen an, und der nickt ihm lachend zu. "Wir müssen uns beei­ len", sagt er. Und plötzlich rennt Robbi wie ein Wiesel um die Pfützen bis zu dem hinteren Ein­ gang der Schule. Nach dem netten Jun­ gen sieht er sich nicht mehr um. Nur nicht zu spät kommen,

ist sein einziger Ge­

danke. Im

Türrahmen des hinteren Einganges

steht wartend Katlenchen. Frierend hopst 26

sie

von

einem

Bein

auf

das

andere.

Munter wippen ihre Haarbüsehel über den Ohren. "Schnell! Sehnei!!" ruft sie und klatscht in die

Hände,

als

sie

Rabbi

herbeilaufen

sieht. "Alle sind schon in der Klasse. Nur ich habe auf dieh gewartet. " "Nun bin ich da", sagt Rabbi erlöst und schiebt Katlen in den Schulflur. "Mit dem Rad bin ich gefahren .. . ", erzählt er aufgeregt. "Du kommst mit dem Rad?" unterbricht ihn Katlen und zieht die Augenbrauen in die Höhe, wie die Lehrerin, wenn ihr etwas nicht gefällt.

Mit dem Rad! Das dürfen " wir doch nicht! Das ist verboten!"

"Ich

habe die

Bahn verpaßt",

gesteht

Rabbi. Ein kleines Mädchen kommt eilig über den Flur gelaufen. Rabbi erkennt es wie­ der an dem Fliegenpilzregenschirm. '27

Hat die Schule noch nicht angefangen?" " ruft das Mädchen den bei den ängstlich zu. Robbi schüttelt den Kopf. Das Klingelzei­ chen verschluckt seine Antwort. Katlen und er hasten in den Klassen­ raum. "Mit dem Rad!" sagt Katlen noch einmal verständnislos.

"Das

ist

doch

ver­

botenl " Es war nicht mein Rad!" verteidigt sich " Robbi. "Und überhaupt - eine Fahrt war das!" schwärmt er und ist heilfroh, recht­ zeitig auf seinem Stuhl zu sitzen. "Eine Fahrt! " Dabei verschweigt er, daß er vor Angst beinahe zum Nilpferd geworden wäre alles braucht Katlen auch nicht zu wis­ sen!

28

IMMER WIEDER ALEXANDER Robbi freut sich immer auf die anderen Kinder. Er kennt sie nun alle mit Namen, kann sie daherzählen wie die Zahlen bis zwanzig:

Kai,

Katlen,

Susi,

Steffi,

My­

riam ... Daß die meisten von ihnen das Schreiben und Lesen schon besser gelernt haben als er, verdrießt ihn ein wenig. Robbi schreibt immer

noch

so,

als

wolle er für alle

Ewigkeit etwas ungeheuer Wichtiges in eine Mauer ritzen. Weder Füllfederhalter noch Hefte halten diese Behandlung aus, denn ein Füllfederhalter ist kein Faustkeil und

eine

Heftseite

keine

steinerne

Wand. Das muß Robbi lernen. "Heute schreibe ich ganz leicht", raunt er seinem Nachbar Kai zu. "Wenn du leicht schreibst, fließt keine 29

Tinte", zischelt Kai zurück, der schon alles ausprobiert hat. Marie,

Marie,

Marie schreibt Robbi fe­

derleicht und ohne dabei Luft zu holen in die dafür vorgesehene Reihe seines Hef­ tes. Die Worte sehen dünn und zittrig aus, als würden sie vom Wind geschüttelt. Robbi ist entt �uscht.

Neben das letzte

Wort bohrt er einen dicken dunkelblauen Punkt. Dieser Punkt ist auf den nächsten Seiten noch deutlich zu erkennen. Das freut Robbi. Bohren kann er! In die Stille hinein, in der man manchmal das Kratzen der Federn hört, ruft Alexan­ der: "Ich schreibe nicht mehr! " Robbi ist das aus dem Herzen gesprochen. Eifrig nickt er Alexander zu, und die an­ deren

Kinder

schauen

sich

neugierig

um. "Immer wieder Alexander", flüstert Katlen ärgerlich. 30

Alexander schlägt sein Heft geräuschvoll zu, als er alle Augen auf sich gerichtet sieht,

und

ruft

herausfordernd

in

die

Klasse: "Na?" Die Lehrerin geht zu Alexander und for­ dert ihn auf: "Zeige mir dein Heft. " Zu den anderen Kindern sagt sie: euch

an der Tafel

Schreibt

es

das Wort

ebenfalls

dreimal

Seht " Loni an. in eure

Hefte. " Rabbi schreibt nicht. Er überlegt, ob er sich nach der Lehrerin oder nach Alexan­ der richten soll . Sein Blick fällt auf Katlen. Sie sieht ihn streng an und tippt mit dem Zeigefinger

mehrmals

deutlich

auf

ihr

Heft. Also gut. Rabbi fügt sich drein und er­ ledigt

das

Schreiben

so

schnell

wie

möglich. Windschief steht das L auf der neuen 31

Seite. Ein zartes

0

schwebt aufwärts wie

ein Luftballon. Es hängt an einem sich ringelnden Regenwurm, das ist das n. Und von dem i ist vor allem der Punkt zu erkennen, dick wie ein gläserner Steck­ nadelkopf. Robbi ändert nichts. Hat er etwa Zeit dazu? Er kann jetzt Alexander nicht aus den Augen lassen. Wird Alexander sein Heft vorzeigen? Wird er das Schreiben doch versuchen? Robbi ist aufgeregt. Die Lehrerin steht wartend neben Alexan­ ders Tisch. "Nun?" fragt sie. "Zeigst du mir das Heft?" Alexander"schaukelt mit dem Stuhl. Susi, die neben ihm sitzt, flüstert: "Zeige endlich dein Heft! " Alexander rollt blitzschnell das Heft zu­ sammen, stopft es in den Ranzen und sitzt, aufgepumpt wie ein Maikäfer vor dem 32

Abflug, auf seinem Stuhl. Kampflustig sieht er sich unter seinen Kameraden um. Sein Blick fällt auf Kai. Kai lacht ihn an. Und - Kai zeigt ihm einen Vogel. Bedächtig klopft er mit dem Füll­ federhalter gegen die Stirn. Als hätte Alexander nur darauf gewartet, springt er auf und will sich auf Kai stürzen. Frau Balzer hält Alexander fest und drückt ihn auf seinen Stuhl. "Immer wieder Alexander ", seufzt Katlen. Sie

bemerkt,

daß

Frau

Balzer

traurige

Augen hat. In Rabbis Kopf sieht es wirr aus. Es ver­ lockt ihn, sich auf Alexanders Seite zu schlagen. Einfach nicht zu schreiben er­ scheint ihm eine phantastische Idee! "Ich kann dich nicht zum Schreiben zwin­ gen", hört er die Lehrerin sagen. "Hole das aber zu Hause nach und zeige es mir 3

Faschingsschneiderlein

33

morgen. Sonst müßte ich dir etwas in dein Mitteilungsheft eintragen. " Die Lehrerin macht ein ernstes Gesicht, aber Alexander schaut an ihr vorbei . Das zeige ich dann zu Hause nicht vor! " " erklärt er mit Nachdruck. Katlen rutscht auf ihrem Stuhl hin und her. Wenn die Lehrerin es bestimmt, mußt du " es zeigen!" ruft sie. Ihre Haarbüschel stehen starr vor Entrüstung. Frau Balzer überhört Katlens Worte. Sie geht zurück an den Lehrertisch.

Nehmt " die Fibeln", fordert sie auf. Wir lesen den " neuen Text auf Seite dreißig." Die Kinder greifen nach den Fibeln. Doch verstohlen drehen sie sich immer wieder nach Alexander herum. Nimmt er die Fibel? Schlägt er Seite dreißig auf? Alexander 34

nimmt

die

Fibel

nicht.

Er

schlenkert mit den Beinen. Seine Schuh­ spitzen stoßen von unten gegen die Tisch­ platte. Rums! tönt es. Rums! Der Stuhl beginnt zu kippeln. Susi zeigt sich von dem Getue ihres Tisch­ nachbarn

ungerührt.

Sie hat auf Seite

dreißig ihren Namen entdeckt: SUSI. Stolz zeigt sie mit dem Finger darauf und stößt Alexander an.

"Auf Seite dreißig steht

mein Name", flüstert sie. "Meiner

auch?" fragt

Alexander

inter­

essiert. "Weiß nicht." Susi zuckt mit den Schul­ tern. "Du nimmst jetzt deine Fibell" flüstert Katlen eindringlich an Alexander gewandt über zwei Tische hinweg. Sie bemerkt, daß auch Frau Balzer immer wieder auf Alexander schaut. Auf

einmal

herrscht Spannung in der

Klasse. 3·

35

Keines der Kinder ist bei der Sache. Wahl­ los blättern alle in den Fibeln, als sei dort keine Seite dreißig zu finden. "Alexander!" sagt Susi plötzlich laut und energisch.

"Hier

ist

deine

Fibel! "

Sie

schiebt ihm das Buch unter die Nase. Frau

Balzer

setzt sich

an den

Lehrer­

tisch. In diesem Augenblick kracht es. Alexander liegt neben seinem umgefalle­ nen Stuhl und rollt mit den Augen. Frau Balzer springt auf. Die Kinder sind im Nu von den Stühlen. Alle drängen sich um Alexander. Rabbi, der nichts sehen kann, klettert sogar auf den Tisch. Und er ist glücklich, sich be­ wegen zu können. Mit dem Krach ist auch seine

Beklommenheit

zersprungen.

Er

beginnt zu lachen, und das ist so an­ steckend, daß es wie ein Lauffeuer um sich greift. Kai hält sich die Hände vor den 36

Bauch, und Susi schlägt fröhlich mit der Fibel auf den Tisch. Frau Balzer lacht kopfschüttelnd. Sie hilft Alexander beim Aufstehen. Die rundliche, immer freundliche Manuela klopft

Alexander den

Staub vom Pull­

over. Katlen stellt den Stuhl wieder auf. In der Schule

muß

Ordnung

herrschen.

Wo

käme man hin, wenn alle umgefallenen Stühle liegenblieben? Alexander

sitzt

der

unvorhergesehene

Sturz in den Knochen. Etwas hilflos steht er da. Seine Augen sind rund vor Schreck. Die Lehrerin schiebt ihm den Stuhl gegen die Kniekehlen. Plumpsend läßt er sich fallen. Der Rücken tut ihm weh, und, was schlimmer ist, er ärgert sich! Alle haben ihn ausgelacht! Und einige lachen immer noch! Wenn ihm 38

nur etwas einfallen würde,

womit er dieses Gelache beenden könnte! Er zieht die Stirn in Falten. Alle hinsetzen!" ordnet Frau Balzer an. " Wir lesen den Text auf Seite dreißig. " " Robbi schlägt beruhigt die Fibel auf. Im stillen hat er beschlossen, sich besser nicht auf Alexanders Seite zu stellen. Wen wird die Lehrerin zum Lesen auf­ fordern? In der Klasse ist es still. Leise, aber unüberhörbar beginnt Michael zu lachen. Alexander

hört es

zuerst.

Die nächste

tachlawine, die auf ihn zurollt, muß er aufhalten!

Er

entschließt sich zu etwas

Ungewöhnlichem. Meinetwegen lese ich! " ruft er in die " Klasse. "Aber ", brummelt er undeutlich, schreiben könnt ihr alleine." "

39

DAS FASCHINGSSCHNEIDERLEIN Rabbi ist froh, daß die Mathematikstunde gleich zu Ende ist. Wieder

hat

er einige Aufgaben falsch

gerechnet!"'- Und er will so gerne alles richtig machen, denn er möchte seinen Mitschülern zeigen, daß er auch etwas kann. Er hatte noch nie Gelegenheit dazu, und das macht ihn verdrießlich. "Was ich noch sagen wollte", fällt der Lehrerin

ein,

"am

nächsten

Mittwoch

feiern wir Fasching! Denkt euch ein Ko­ stüm aus! Und überlegt ein paar schöne Spiele, damit wir nicht nur im Kreise sitzen und uns gegenseitig ansehen. " Rabbi klatscht vor Freude in die Hände. Er schlägt das grüne Heft zu und winkt Kat­ len. An

dem

aufgeregten

Gespräch .

über

mögliche Kostüme nimmt er nicht teil. 40

"Ich denke mir ein Spiel aus, ein wunderschönes Spiel aus!" singt er fröh­ lich vor sich hin. Kai schaut ihn von der Seite verwundert an. Ein Spiel selbst auszudenken ist nicht seine Sache. Beim Singen kommt Robbi gleich eine Idee. Sie wuchert in ihm wie eine Kletter­ pflanze im Frühling. Robbi fällt das Sitzen schwer und schwerer. Endlich klingelt es! Robbi stürzt auf Katlen zu. "Du mußt zum Fasching als Einhorn kommen!" be­ schwört er sie. "Als Einhorn, das ist wichtig!" Katlen starrt Robbi verblüfft an. "Ich bin Prinzessin! Ich kann doch nicht als Einhorn ...!" Katlen verschlägt es die Sprache. "Na, weißt du!" sagt sie nur noch. Robbi hält trotzdem an seiner Idee fest. Er 41

flitzt zu Kai, der sorgfältig Buch, Heft und Federtasche in den Ranzen sortiert. "Zum Fasching könntest du Wildschwein sein", redet er auf ihn ein. Kai ist froh über diesen Vorschlag. Er selbst hätte sehr lange nachdenken müs­ sen. "Wildschwein ist gut", antwortet er und überlegt gleich weiter: "Wenn ich meinen Anorak umdrehe, habe ich ein Fell!" "Na siehst du!" Robbi lacht und hüpft wie ein Floh herum. "Nun suche ich noch zwei Riesen." "Das hast du überhaupt nicht zu bestim­ men!" ruft Katlen gekränkt hinter ihm her. "Ich komme doch nicht als Einhorn! Wie sieht denn so etwas aus!" In den nächsten Tagen ist Robbi wie ver­ wandelt. Er meldet sich oft, rechnet frei­ willig an der Tafel und löst die Aufgaben 42

richtig. Im Lesen bekommt er sogar eine Zwei. Dabei denkt er immer an das "Spiel" und wie er es am lustigsten einrichten kann. Die Gedanken daran halten ihn beständig munter, doch er arbeitet trotzdem fleißig mit. Merkwürdig, plötzlich fällt ihm das Rech­ nen und das Lesen leichter. Und Frau Balzer stellt im stillen fest: Rabbi macht sich heraus. Sie freut sich darüber, und sie bemerkt auch, daß er sich mit Uda und Frank angefreundet hat, den beiden größ­ ten Jungen in der Klasse. In einer Pause ertappt sie Rabbi, wie er zwei Stühle an den Klassenschrank stellt. "Was machst du?" fragt sie erstaunt. Rabbi bleibt die Antwort schuldig. Die Lehrerin schüttelt den Kopf.

43

Als endlich der Faschingsfeiertag ge­ kommen ist, sehen die Kinder aus, als wären sie nicht aus der Straßenbahn, sondern aus ihren Märchenbüchern ge­ stiegen. Rosige Prinzessinnen betreten die Klasse, ein Rotkäppchen, ein gestiefelter Kater, auch ein silberner Ritter ist dabei, ein tapferes Schneiderlein, klein, schmal und blond, und viele Cowboys und Indianer. Alle trippeln und schwatzen aufgeregt durcheinander. Am meisten redet das Schneiderlein. Es redet wie ein Wasser­ fall. Als die Lehrerin die Klasse betritt,. um­ " drängen sie die Kinder. " Fein , sagt Frau Balzer, "fein seht ihr alle aus! Und hat sich jemand ein Spiel ausgedacht?" möchte sie wissen. "Oder war das zu schwie­ rig?" Die Kinder schauen sich fragend an. 44

Udo und Frank stellen sich zu Kai und Robbi. " "Ich! schreit Robbi aus voller Kehle. " Ich habe eins ausgedacht! " " " Du, Robbi? Die Lehrerin staunt. "Du hast dir etwas ausgedacht? Dann erkläre, was wir tun sollen. Wir können gleich beginnen. " " Bitte, meine Herrschaften, Platz neh­ men! " dirigiert das Schneiderlein und zeigt auf die Stühle an der Wand. Es gibt Udo und Frank einen Wink. Beide tragen große Schuhe und hohe Zipfelmützen. Robbi ist in seinem Element. " "Meine Damen und Herren! ruft er. " Sie sehen nun, wie das tapfere Schneiderlein die beiden Riesen bezwingt." Udo und Frank wackeln mit den Köpfen. Robbi erklettert über zwei aufeinan­ dergestellte Stühle den Klassenschrank. " " Robbi spielt Theater! jubelt Rotkäpp45

chen und läßt vor Freude den Kuchen aus dem Korb fallen. Die Kinder streiten sich um die Stühle. Und die Lehrerin findet beinahe keinen Platz mehr. Die Riesen hocken schlafend und schnarchend vor dem Schrank, auf dem beinebaumelnd das Schneiderlein sitzt. Es zielt mit Papierkügelchen nach den Riesen - trifft aber nicht. Die Zuschauer lachen und prusten. Als ein Riese getroffen wird, schimpft er auf den anderen los: "Was haust du mich?" "Ich hau dich nicht! Ich schlafe doch!" ist die empörte Antwort. Sie zanken hin und zanken her. Dann beginnt die schönste Keilerei. Das Publikum ist begeistert und feuert die ringenden Riesen an. Staub wirbelt auf. Das Schneiderlein lacht sich ins Fäust­ chen. Es wirft vor Glück seinen Hut auf die 47

kämpfenden Riesen und turnt vergnügt herum. Frau Balzer fürchtet, Robbi könnte her­ unterfallen. "Halt, halt!" ruft sie. Robbi klettert vom Schrank. Die Riesen legen sich wie tot auf den Fußboden. Vor ihnen stellt sich das Schneiderlein breit­ beinig auf, stemmt die Arme in die Hüften und verkündet: "Beide Riesen besiegt!" "Ich wußte gar nicht, daß wir so gute Schauspieler in der Klasse haben", sagt die Lehrerin und beginnt begeistert zu klatschen. Auch die anderen Zuschauer klatschen, rufen immer wieder: "Bravo!" und möch­ ten noch mehr sehen. "Die Theatervorstellung hast du dir groß­ artig ausgedacht", lobt die Lehrerin Robbi. "Nachher spielen wir noch das Stück mit 48

dem Wildschwein", verrät Robbi. Er strahlt, denn was er sich vorgenommen hatte, ist ihm gelungen. Prinzessin Katlen will ihm den Hut wieder auf den Kopf setzen, er gehört schließ­ lich dorthin. Vielleicht hätte ich doch als Einhorn . . ., überlegt Katlen, dann hätte ich auch Theater ... Das Schneiderlein will den Hut nicht. "Ich bin auch ohne den groß genug", erklärt es und reckt sich neben der verwunderten Prinzessin in die Höhe. Ihm scheint, als sei es in den letzten zehn Minuten ein ganzes Stück gewachsen! Später, nach dem Pfannkuchenessen und der Vorführung mit dem Wildschwein, spielen die Kinder Topfschlagen. Zuerst verbindet die Lehrerin Robbi die Augen, drückt ihm einen Kochlöffel in die 4

Faschingsschneiderlein

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Hand und steckt etwas unter den Topf. " Robbi glüht vor Freude. Tappt "blind in der Klasse herum und "sieht" doch all die rotbäckigen, freudigen Gesichter, die er so gut kennt. Peng! macht es. Jetzt ist der Topf ge­ troffen. Robbi zieht ein kleines buntes Buch hervor. "Das ist für dich, weil du neulich so gut gelesen hast", sagt Frau Balzer und ver­ bindet einem Cowboy die Augen. "Hof­ fentlich hast du es noch nicht, es ist ein " Büchlein aus der Trompeterreihe. Darin lese ich jedes Wort!" verspricht " Robbi. "Vielleicht bekomme ich dann eine Eins." Bei diesem Gedanken macht Robbi, das Faschingsschneiderlein, einen Freuden­ sprung. Dabei wäre er dem Wildschwein beinahe auf die Füße getreten. 50

DAS "ORDENTLlCHE" ZIMMER Zu Hause hat Robbi ein kleines eigenes Zimmer. Dort stehen Bett, Schrank, ein vom Vater selbstgebautes Schreibtisch­ chen und ein Stuhl. Über dem Schreib­ tisch hängt ein Regal, vollgestopft mit Büchern. Das Lesen fällt Robbi noch schwer. Doch er guckt sich die Bücher immer wieder an, und das dicke Märchen­ buch liegt stets unter seinem Kopfkis­ sen. Betritt man Robbis Zimmer, fallen nicht nur die herumliegenden Bücher auf, sondern auch kleine bunte Autos. Auf dem Schreibtisch steht eine hölzerne Indianerburg. Sie wird von mehreren In­ dianern mit Flitzbogen verteidigt. Wohin man schaut, liegt etwas herum. Nur die Oberfläche des Schrankes ist leer. 4"

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Der Vater, der am Sonnabend morgens eine Runde durchs Haus macht, steht in Robbis Tür und schüttelt den Kopf. Er kann sich mit dieser Unordnung nicht abfinden. Am Frühstückstisch sagt er zur Mutter: " Ich verstehe das nicht! Wie kann man nur so unordentlich sein! Robbis Zimmer ist eine Wüste! Weder stehen noch sitzen kann man dort. Auf dem einzigen Stuhl liegen ein auseinandergenommener alter Wecker und ein ausgedienter Akku­ mulator!" "Ich sage ihm, daß er dringend aufräumen muß", entgegnet die Mutter. "Von alleine kommt er nicht darauf!" " Bei den Mädchen ist es nicht viel an­ ders", beginnt der Vater noch einmal. " Zwar sieht ihr Zimmer nicht ganz so schlimm aus, aber aufgeräumt ist es auch nicht." 53

Die Haustür fällt mit Krachen ins Schloß. Robbi kommt aus der Schule. Am Sonn­ abend hat er nur zwei Stunden. " Kann ich noch mit euch frühstücken?" ruft er vom Flur aus und legt Ranzen und Mantel auf dem ersten besten Stuhl ab. "In Ord nung habe ich eine Eins", sprudelt er hervor. "Auch in Betragen und Fleiß! Nur in Mitarbeit, da habe ich eine ZweiI" Und nun mögen weder Vater noch Mutter Robbi die Freude verderben. Niemand spricht über das unordentliche Zimmer. "In Ordnung hast du eine Eins?" fragt der Vater so verwundert, als hätte Robbi erzählt, die Schule sei mit ihm in den Himmel geflogen. "Ja!" bestätigt Robbi und kramt sein Mitteilungsheft aus dem Ranzen. " Bitte!" sagt er stolz. 54

Der Vater liest: 1 Ordnung 1 Fleiß 1 Betragen 2 Mitarbeit "Gratuliere!" Der Vater gibt Rabbi die Hand und schüttelt sie kräftig. "Aber wie kommt es nur, daß du in Ordnung eine Eins hast?" kann er nicht lassen zu fra­ gen. "Na ja." Rabbi zählt auf: "Ich vergesse nie meine Schularbeiten. Ich packe richtig meinen Ranzen. Ich lasse immer unter­ schreiben, das Diktat und die Mathe­ arbeit. " Er überlegt ein Weilchen: "Und ich bezahle pünktlich das Milchgeld. " "Schön" , lobt ihn die Mutter. "Ich finde es sehr gut, daß du in der Schule so ordent­ lich bist." Der Vater stimmt zu. "Heute nachmittag besucht mich Liane", 55

erzählt Rabbi, nimmt sich eine Schnitte und greift zum Honigglas. "Wir wollen zusammen spielen. " "Und welchen Platz in deinem Zimmer willst du ihr anbieten?" fragt erwartungs­ voll der Vater. " Ein Buch, einen ausein­ andergenommenen Wecker, den Schrank, oder sitzt sie lieber auf einem alten Ak­ kumulator?" "Wenn ich Besuch bekomme, räume ich auf", sagt Rabbi ganz selbstverständlich. "Das macht ihr doch auch!" "Allerdings. " Der Vater lacht. "Du könntest dir häufiger Besuch ein­ laden", schlägt die Mutter lachend vor und blinzelt dem Vater zu. "Ja" , meint der Vater, "wir würden deine Klassenkameraden auch gerne einmal kennenlernen." "Ich lade sie im Sommer ein ", sagt Rabbi nach kurzer Bedenkzeit, "dann spielen wir 56

im Garten, und ich brauche nicht jedesmal das Zimmer aufzuräumen. " "Schlaumeier!" Der Vater schmunzelt. "Wir glaubten, wir hätten endlich etwas gefunden, das dich zu mehr Ordnung in deinem Zimmer anhalten könnte. Aber du fällst nicht darauf rein!" Rabbi gefällt es sehr, vom Vater Schlaumeier genannt zu werden. Er be­ ginnt zu singen und zu pfeifen und mit den Füßen den Takt auf den Fußboden zu klopfen. "Moderne Musik", erklärt er. Schließlich springt Rabbi vom Stuhl, tut, als blase er Trompete. "lch räum jetzt ein " bißchen auf! ruft er und verschwindet. Als Rabbis Schwester Bianka aus der Schule kommt, ist er mit dem Aufräumen halb fertig. Und als seine älteste Schwe­ ster Katharina nach Hause kommt, ist er mit dem Aufräumen ganz fertig. 57

Er nimmt seinen kleinen braunen Reisekoffer unter den Arm und erscheint damit im Zimmer der Mädchen. Ihr " müßtet einmal aufräumen!" schlägt er vor. "Du hast es gerade nötig!" ereifert sich Katharina. "In deinem Zimmer bricht man sich die Beine, soviel liegt dort herum!" "Irrtum!" Robbi strahlt. "Alles auf­ geräumt, und überhaupt", er holt das Mitteilungsheft aus dem Koffer hervor, "in Ordnung habe ich eine Eins!" "In Ordnung hat er eine Eins!" ruft Bianka und schaut ihren kleinen, schmächtigen Bruder freundlich an. Dann stürmen alle drei Kinder in Robbis Zimmer, um sich dort die eben entstan­ dene Ordnung anzusehen.

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MIT KIRSCHEN NACH AFR IKA Robbi sieht sich sein dreieckiges blaues Halstuch an. Er betrachtet es eingehend und genau. Hinter jeder Sache vermutet er etwas Besonderes. Alle Pioniere, auch Kai und Katlen, haben ein Halstuch, und alle sind dreieckig und blau. Doch das blaueste, glaubt Robbi, ist seins! Unter allen Tüchern ist seins be­ stimmt ein ganz besonderes! Am Abend vor der Pionierversammlung legt Robbi das Halstuch ausgebreitet über die Stuhllehne. Ein Zipfel nach links, ein Zipfel nach rechts, der dritte zeigt senk­ recht nach unten. Morgen wird er das weiße Hemd anzie­ hen, das Halstuch wird so am meisten auffallen. Das Wichtigste ist, jeder soll es deutlich sehen! 59

Und beruhigt, weil er für morgen alles gut vorbereitet hat, nickt Rabbi dem Halstuch zu, wünscht der Mutter eine gute Nacht und legt sich schlafen. Nachts wacht er plötzlich auf. Ein Licht­ schein fällt durch das Fenster auf sein ausgebreitetes Tuch. Merkwürdig. Warum gerade auf das Tuch? überlegt eC Rabbi steht auf. Vorsichtig nimmt er das Halstuch von der Stuhllehne und hält es gegen seinen Schlafanzug. Zum Schlaf­ anzug paßt es auch gut, stellt er fest, bindet es um den Hals und knüpft sorg­ fältig einen Knoten. Dann schlüpft er in die Stiefel, die unter dem Stuhl bereitstehen, und schaut nach der Uhr auf seinem Nachttisch. Es ist gleich Mitternacht. "Gut", sagt Rabbi, "zur Pionierversamm­ lung muß ich um dreiviertel drei aus dem Haus gehen. Bis dahin habe ich viele Stunden Zeit, die will ich nutzen." 60

Er streift die Gardine zur Seite und steigt lautlos durch das Fenster in den Garten. Im Garten blühen die Kirschbäume. Sie sind über und über mit Blüten bedeckt. Rabbi findet das komisch, denn der Jahreszeit nach ist es Herbst, die Bäume verlieren die Blätter. Und während er ungläubig dieses Wunder betrachtet, stellt er fest, daß die Bäume nur auf einer Seite blühen, auf der ande­ ren aber tragen sie schon Früchte. Reife Kirschen! Die Äste biegen sich unter der Last. Noch nie, erinnert sich Rabbi, gab es so viele Kirschen! Wenn er nicht sofort mit dem Pflücken beginnt, werden die Äste brechen! Doch Rabbi hat weder Korb noch Schüs­ sel! Wohin mit dieser reichen Ernte? Er schaut sich suchend um und besieht sich selbst. " Halstuch, Schlafanzug, Stie­ fel", zählt er auf. "Das ist alles." Er bindet •

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