157 - Besuch Bei Florian

August 26, 2017 | Author: gottesvieh | Category: Nature
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Danning und Lösche '�

Die kleinen Trompeterbücher

Band 158



Liesel Riefstahl

Hanning und Lösche

Der Kinderbuchverlag Berlin

Illustrationen von Gerhard Rappus

1. Auflaga 1982 © DER KINDERBUCHVERLAG BERLIN - DDR 1982 Llzanz-Nr.304-270/451/82-(30) Gasamtherstallung: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschsft Dresden LSV 7521 Für Leser von 8 Jehren sn Bestell-Nr. 831 847 3 DDR 1,75 M

Der Nordost pustet in die See, bis sich die Wellen mit Silberkämmen putzen und zum Wettlauf aufstellen. Der Sturm gibt das Kommando.

Die

Wellenherde

prescht

davon, geradewegs in die Kreidefelsen am Ufer'. Es klatscht und heult. Der Lärm schubst Hanning aus dem Bett. " Ruhestörer", schimpft er und droht in Richtung See. Der Nordost rüttelt an den Fensterrahmen. " Hier kommst du nicht " sagt Hanning und drückt den Riegel

rein!

tiefer in den Verschluß. Zausel, Hannings Schwester, schläft ku­ gelig wie Kater Söting. Sogar im Traum schnurrt sie wie er. Die Mutter hat am Morgen für Hanning eine Nachricht aufgeschrieben: Bin einen Zug früher in die Stadt"gefahren. Bringe bitte Zausel in den Kindergarten. Die Uhr zeigt die siebente Stunde. Hanning

betrachtet

seine

Sch�ester.

Schlafen kann die, denkt er und schenkt

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ihr noch ein Traumweilchen. Vom Tisch her duftet das Brot. Die Mutter hat an alles gedacht. Hanning öffnet die

Haustür.

Schon ist

Kater Söting durch seine Beine gewischt. " Mau", grüßt er. Hanning beugt sich zu ihm. " Er hat dich schön

gefIedert,

siehst

strubblig

aus,

komm, ich mach dir dein Frühstück." Hanning gießt die heiße Milch bis an den .Rand der Schale. Kater Söting drämmelt wie ein ungeduldiges Kind. " Still, wart's "

ab.

Hanning pustet. Kater

Söting

blankgeputzt

schlappt, ist.

Dann

bis

das

Gefäß

beginnt er

mit

seiner Morgenwäsche. Ab und zu schielt er zu Hanning. "Was soll das, Söting, zehnmal bad ich am Tag in der Ostsee." Hanning fühlt sich angesprochen. In der Ferne mahnt die Hafenlok.

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Hanning schrickt hoch. Er rüttelt Zausel, daß sie verwirrt zu weinen beginnt. "Du hast mich nicht geweckt, Hanning. Zur Beschäftigung komme ich zu spät." Hannings Hände fliegen, als er Zausels Schuhbänder knotet. Ungekämmt bleiben die Zöpfe. "Wie

siehst

wundert

denn

Frau

du aus?"

Frieder,

die

sagt ver­ Kindergärt­

nerin. Die Füße wollen Hanning nicht vom Kin­ dergartentor

fortbringen.

Keine

Milch

getrunken - kein Brot gegessen. "Das schlechte Gewissen ist eine Wespe mit einem Stachel spitz und lang", sagt Groß­ vater Nuja immer. In Hanning piekt es. Ein Eis schenk. ich ihr, ein großes aus Schokolade und Vanille, nimmt er sich vor. Und ihm wird ein wenig wohler. In seinem Innern bohrt es weiter, geweint

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hat sie, na und, denkt er, wenn sie so eine Heulsuse ist. Zornig zieht der Nordost über die Stadt. Als er Hanning zwischen den Häusern entdeckt,

beginnt

er ein Pfeifkonzert. " " Scher dich um dich , sagt Hanning.

Der Wind ist übermütig. me hundertjäh­ rigen Buchen am Hochufer schüttelt er, daß sie nur so stöhnen. Und die neugie­ rigen Erdnasen am Steilhang schleudert er hinab in das Meer. Hanning und sein Freund Lösche hocken in den Astarmen ihrer Lieblingsbuche. Sie ist auch der Zugang zu ihrem Lager, einer Mulde zwischen Sanddornbüschen und einem

Dach

Kreidegrand.

aus

Wurzelwerk

und

Es ist ihre Schatzkammer

und ihr Utkiek. An vielen Tagen liegen die Jungen hier und sehen weit über die " Ostsee. Auf das Fährschiff " Saßnitz warten sie, darauf, daß es sich endlich um

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die Wissower Klinken schiebt. In Gedan­ ken ist es ihr Schiff. Mit ihm träumen sie sich in alle Welt: nach Murmansk, Aigier, nach London und sonstwohin. Der Buche kann der Nordost nichts an­ haben. Sie steht tief in einer Schlucht, und eine Kreidewand schützt sie. Das ärgert den Nordoststurm. Immer wie­ der wirft er mächtige Wasserberge nach dem Bau. Doch bevor sie die Buche er­ reichen, werden sie von den Buhnen, den tief

in

die

See

Eichenstämmen,

gerammten,

klobigen

zerbrochen.

Heulend

stürmt der Nordost davon. Plötzlich

kracht

und

rummelt

es,

und

etwas klatscht ins Meer. Hanning biegt die Buchenzweige ausein­ ander.

Der Atem stockt ihm. " Lösche,

unsere Höhle!" Hinwegrasiert ist das Erd­ dach, hinweggefegt der Sanddornbusch. Hanning ballt die Fäuste. "Du, nimm dich in acht, du!" Als Antwort wirbelt ihm der

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Wind Sand ins Gesicht. Die Jungen hangeln den Baum hinab, und auf einem Ast, breit wie ein Männerrücken, reiten sie. Als sie die Buche verlassen, fährt der Sturm in ihre Jacken und bläht sie wie ein Segel. Hui, pfeift er. Wie gern würde er Hanning und Lösche davontra­ gen und ihnen ein Schaumbad verabrei­ chen. Doch sie sind auf der Hut. Nach und nach ziehen die Jungen alles aus

dem

verschütteten Versteck:

Flitz­

bögen, Angeln, Netzwerk, Dosen, Schnüre und das Gitterhaus der Spitzmuls, einem weißen Mäusepärchen. Sie

knüpfen

aus

einem

Netz

eine

Hängematte. Zwischen den dichten Zwei­ gen, dort, wohin der Nordost nicht findet, bindet Hanning sie mit einem Seemanns­ knoten an. Der Vater würde mit diesem Knoten zufrieden sein. Bei dem Gedanken an den Vater durchforscht er kurz das Wellengebirge, nirgends ist ein Schiff zu

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entdecken. Rügen-Radio gab Sturmwar­ nung

für

die

Schiffahrt. Vaters

Frost­

trawler liegt bestimmt in einem schützen­ den Hafen. Die Hängematte ist geräumig genug, um alle Schätze zu bergen. Zunächst sind sie hier sicher. Morgen werden Hanning und Lösche weitersehen. Sie machen sich auf den Heimweg; er führt

quer

durch

den Wald über den

Kreutzerbach. Im Kindergarten fliegt Zausel ihm ent­ gegen.

" " So früh heut , sagt die Kindergärtnerin

verwundert,

"hast wohl ein schlechtes "

Gewissen, Hanning?

" " Mein Hanning hat immer viel zu tun , antwortet Zausel für den Bruder. Sie laufen durch die Straßen. Die Urlauber hat der Nordost vom Strand in den Ort gefegt, das macht sie kaufwütig und eß-

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lustig. Hanning muß aufpassen, daß er keinem in die Hacken tritt. Im Konsum kauft er Milch, Brot und Tomaten, zum Schluß

das

Eis,

zwei

Eierbällchen mit

einer braunen Mütze. " Hier", sagt Hanning. " Für mich?" " Für dich!" "Du auch." " Nein", sagt Hanning. Zause/.kann bitten, so viel sie will, er kostet nicht einmal. Am Abend ist der Nordost auf Südwest umgeschlagen.

Er

gebracht.

Nebelhorn

Das

hat

diesiges Wetter blökt

seinen

Standort. Vom Fenster der Wohnstube kann Han­ ning auf das Kombinat sehen. Rechter Hand liegen die Kutter. In der Riesenschüs­ sel zwischen Mole und Kai ruhen sie von der Fangreise aus. Die Turmuhr meldet

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die Sandmannstunde an. " Schlafenszeit, Zausei!" " Noch 'ein Weilchen, Hanning." Im Bett liegen sie nebeneinander. Kater Söting schnurrt, so groß ist seine Dank­ barkeit für den Platz neben Zausel und Hanning. Die

Lichter

vom

Hafen

zaubern

Mär­

chenstimmung in das Zimmer. " Erzähl mir eine Geschichte, Hanning!" Und Hanning erzählt: "Als du auf die Welt kamst", fängt er die Geschichte an, "hat sich der Vater sehr gefreut. So ein lüttes Zausel, nein, so ein lüttes Zausel, hat der Vater immer gerufen. - Wie heißt deine Tochter,

Riepenhusen, h,aben die Leute

wissen wollen. - Zausel, antwortete der Vater. - Das ist kein Name, Riepenhusen, haben die gemeint. " Da merkt Hanning, daß er sich die Ge­ schichte allein erzählt, Zausel schläft mit Kater Söting um die Wette.

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Regentropfen trommeln an das Fenster. Als der Zug einläuft, beginnt Hanning zu traben.

Die

Mutter eilt ihm erschreckt

entgegen. " Kind, was tust du hier mitten " in der Nacht? "Deinen Schirm, " Regenmantel.

Mudding, und deinen

" Ach du", sagt die Mutter und gibt ihm einen Kuß. Die Wolken duschen die Stadt. Sie sind eifrig und übersehen keinen. Der Sturm ' peitscht. Hannings Gesicht und Hände brennen. Die Mutter zieht ihn unter den Mantel. Er schließt die Augen. In der Ferne gurgelt die See. Die Mutter riecht nach Seetang. "War ein langer Tag für uns beide, bist " müde, mein Hanning! " "Du auch, Mudding. " "Ja , sagt die Mutter. Die Leute haben die Mutter zu ihrer Ab-

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geordneten

gewählt. " Keiner kümmert sich um die alten Leute � wie die Antje " Riepenhusen , sagen sie. Hanning kann

das bestätigen. Immer hört er die Mutter sagen: "Alte Leute und die Kinder be­ unserer besonderen Hilfe. Die

dürfen

Kinder sind besser dran, sie haben Eltern, die alten Leute haben oft niemand mehr. " Vergiß es nicht, Hanningl " Hast du in der Stadt eine Rede gehalten, " Mudding? " " Eine kleine, Hanning. " "Was hast du gesagt? "Ich habe gesagt, das Feierabendheim " muß endlich fertig werden. " " Und, wird es fertig? " " Bestimmt, Hanning. Die Mutter drückt ihn an sich, und sie sind auch angelangt. " Morgen schläfst du dich aus. Hast doch Ferien. Zausel bringe ich " in den Kindergarten.

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Lösche, Hannings Freund, wohnt in der Gartenlaubengegend. Hier w�i:,h sen und

blühen die Blumen den ganzen Sommer über. Dennoch lebt

Lösche' nicht gern

hier. Lösche, mach dies, lösche, mach das! Der Vater hat in seiner Eisenbahnerfreizeit für sich und Lösche Arbeit ohne Ende. Geld braucht der Vater, viel Geld. Sorg­ sam begießt er Gemüsebeete und Blu­ menrabatten Zunge.

und

sorgsam

auch seine

Nicht mit Wasser, das versteht

sich. Sein Erfrischungsgetränk heißt Ge­ treidekorn. Lösche

haßt

diese

dickbauchigen

Fla­

schen. Sie machen den Vater zu einem Stehaufmännchen, über das die Leute la­ chen. Hanning findet Lösche im Schweinestall. Seine

Fußballerwaden

staken

in

um­

gekrempelten Gummistiefeln. So steht er vor

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dem

Vater.

" Geh

zu

Franke

und

Müller, frag nach altem Brot und Kartoffel­ schalenI'

,

" Nein", sagt Lösche, "bin ich ein Schnor­ rer?"

. .

" Und du gehst, sonst . 1" Der Getreidekorn hat den Vater angeheizt. , Wie Schweineschwänzchen kringeln sich die feuchten Haare um seinen Kopf. Aus seinen sonst freundlichen

Augen sieht

eine gereizte Natter. Hanning drückt sich in die Vogelbeerhecke. Stolz wie ein Buchenreis steht Lösche vor dem Vater: " Zu keinem geh ich", sagt er, " Brennessein hol ich, eine Hucke voll." Schnappt sich den Sack, wendet sich und ist schon über den Zaun gesprungen. "Du, der haut dich", warnt Hanning. " Na und", sagt Lösche. Lösche hat seinen Vater gern, nur ist er mit ihm nicht immer einer Meinung, das bereitet ihm Kummer. Hanning weiß es. Deshalb möchte er für

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Lösche ein Zauberer sein. In jede Ge­ treidekornflasche würde er bittere Lorche zaubern.

Lösches Vater bekäme schon

beim Hinsehen Bauchgrimmen. - Eine Mutter kann er dem Lösche nicht bringen - sie ist gestorben. "In

unser Haus kommt keine " Frau , sagt Lösches Vater.

andere

Das kann Hanning verstehen. Neben

Lösche,

im Riedgras, steht das

Mäusehaus. Herr Spitzmul hat Ausgang. Er flitzt am Arm seines Brotgebers auf und ab.

Das Mäuseweibchen ist friedlicher.

Träge sitzt es auf Lösches Handrücken und striegelt sich die Barthaare. " Es gibt bald Nachwuchs, Lösche. "Zeit genug.

wär's, "

Bestellungen

"

haben

wir

Hanning streicht der Maus über das weiße Fell. " Keine Angst, Spitzmuling, er darf sie " dir nicht alle wegnehmen.

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" Mann, Hanning, ihr macht es nichts aus, sie bekommt neue." Hanning hat Lösche gern, mit ihm kann er Höhlen bauen und das Einmaleins üben, Wildschweinsuhlen

beschleichen

und

Zausel hüten. Die Verkaufslust aber, die teilt er nicht mit ihm. Lösche handelt mit allem, was sich ihm bietet: mit Waldblumen und Beeren, mit Pilzen und Mäusen. Er hat es gern, wenn es in seiner Tasche klimpert. Lösche führt

Hanning in den Teil des

Waldes, in dem sich alle Bäume wie Ur­ väterriesen in den Himmel recken. Ihre Kronen sind ineinandergeschlungen. Vor einem Baumstubben macht er halt. "Was sagst du zu diesem Quartier für die Spitz­ muls?" Hanning staunt, so einen Stubben hat er noch nicht gesehen. Wie eine Fisch­ raumluke auf einem Schiff, so breit ist ihr Durchmesser. Rinde und Knorpelgewächs

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umschließen das modernde Innere des Baumr�stes. Wie Riesenschlangen schlin­ gen sie die Wurzelbeine um den Stubben. Lösche und Hanning gehen an die Arbeit. Mit den Händen schaufeln sie den schwar­ zen Humus aus der Baumhöhle. Die Be­ wohner, Spinnen, eilen davon. Der Wald ist groß, Wohnungswechsel bereitet ihnen keinen Kummer. Nun soll das Mäusepär­ c h en Einzug halten. ' Durch den Wald zieht

der

Ruf

einer

Schiffssirene. " Unser Schiff, die ,Saßnitz', sie grüßt " uns. Die Jungen lassen alles stehen und liegen und laufen zum Hochufer. " " Hoho, Saßnitz, hoho , rufen sie und win­ ken. Sie verfolgen das Schiff mit den Au­ gen, bis es hinter dem letzten FeIsvor­ " sprung verschwunden ist., "Ahoi, Saßnitz! Das Meer trägt die letzte Bugwelle an Land und liegt dann wieder schläfrig in der Sonne.

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Lösche

und

Hanning

steigen aus den

Hosen. Sie trünneln den Sandhang hinab und sind schon im Wasser. Die See blüht. Sanfte Wellenkreise formen sich zu Ro­ senblättern. Hanning drängt es danach, sich in dieser Pracht zu wiegen. Wie ge­ malt steht der Küstensaum vor seinen Augen. Von der Uferböschung neigt sich quer über den Weg eine altersschwache Buche. Ein Teil ihrer Wurzeln ragt in die Lüfte. Das feine Geäst zittert in der Sonne. Viele Jahre schon gräbt der Nordost an dem Baum, doch seine Zweige sind immer noch grün. Er läßt sich nicht unterkriegen, denkt Hanning. Die Jungen nehmen den Strandweg. Die braunen

Feuer-

und grauweißen

Flint­

steine, die zu Millionen die See bekränzen, schimmern in der Sonne. Wie könnte man an ihnen vorbeigehen, ohne einmal hin­ gesehen zu haben, was die Wellen nach dem Nordoststurm den Küstenbewohnern

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ans Ufer getragen haben. Vielleicht ver­ steinerte Seeigel und Muscheln, Seeane­ monen und Donnerkeile, vielleicht auch Bernstein, weil der Sturm die Küste be­ sonders gezaust hat. Die See hat ein Floß geschickt, zwei mit Tampen

aneinandergefesselte

Holzboh­

len. " Mann, Hanning, das schickt uns der Nep­ "

tun. Ein Schiff für uns, ein richtiges Schiff.

Lösche lärmt seine Freude über das Was­ ser, daß sich die aufgeschreckten Möwen erbost

einmischen.

Er

angelt

aus

der

Hosentasche ein Stück Riemen und zäumt die Balken an einem Stein fest.

" " Haut nicht ab, wir kommen bald wieder , sagt er. Als die Jungen nach den Spitzmuls sehen, entdecken sie, daß die Besuch hatten. Keinen freundlichen, wie sie annehmen müssen. Die Tiere sind verängstigt.

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"Das war bestimmt der Fuchs, und der " kommt wieder , sagt Hanning. " Na und, den Spitzmuls kann der nichts " anhaben. " Sie werden sich fürchten, Lösche, für die " Mäusemutter ist das schädlich. Das leuchtet ein. Doch woher ein Quartier nehmen? Im Schatten alter Buchen, kurz bevor der Wald aufhört, stehen Hühnerhütten mit Stiegen vor den Luken. Jede für sich ist für ungebetene

Gäste

mit

Maschendraht

umzäunt. In allen Richtungen gackert es, das Lied vom gelegten Ei. Nur in einer Hütte bleibt es still. Das Pappdach ist rissig, aus den Luken

wedelt

ausgewachsenes

Futter­

korn. Die Spatzen plustern sich im Sand der Hühnerkuhlen. Hanning bleibt mit einem Ruck stehen. " Katermines Hühnerhüttel Das gäbe ein " Winterquartier, Lösche, Manni

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"Das mach dir aus dem Kopf. Die läßt die Hütte lieber verrotten!" Lösche winkt ab, für unnütze Ideen hat er keine Zeit. Hanning denkt, einfach hingehen, guten Tag, Frau Knietsch, sagen. Wir haben ein Anliegen. Von wegen Anliegen - Hanning seufzt und nimmt von der würzigen Wald­ luft, bis sich ihm die Brust wölbt. Mit euch Blagen

will

ich

nichts

zu

tun

haben,

würde Katermine sagen und die Tür vor ihren Nasen zuschlagen. Doch da ist Kitsche. Kitsche ist eine weiße Katze mit einem braunen Flecken auf der Nase. Sie lebt in Katermines vier Wänden wie im Schlaraffenland. Kitsche weiß das jedoch nicht immer zu würdigen. Sie teilt gern

mit

Katermine Schabefleisch und

Bett, nicht aber ihre Feindschaft gegen­ über den Menschen und ihr Mißtrauen gegen

alles, was sich außerhalb ihres

Hauses tut. Kitsche hat viele Freunde. Mag Katermine

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noch so sehr bitten: Bleib, mein Liebling.

Ki�sche zieht es hinaus. Ist sie gegangen,

sitzt Katermine hinter der Fenstergardine und wartet, bis die Katze von ihrer Wan­ derung zerzaust und hungrig nach Hause zurückkeh rt. Als

Hanning am nächsten

Morgen die

Augen öffnet, blaut der Himmel hoch und weit über der Insel. Unter dem Brombeer­ busch

rekelt

sich

Kater

Söting in der

Sonne. Als er Hanning erblickt, beginn t er sein Morgenständchen. Auf Milch hab ich Appetit, soll das heißen. ihm einen

Happen

Hanning wirft

Brot zu. Der Kater

mauzt gekränkt. " Nuja, Hanning, dor sühst du dat, nuja, dat sünd Tiden, wo sich sogor de Katten de Happen utsöken, denk di nix dorbi, Hanning." geworden.

Großvater Er

greift

Nuja nach

ist sichtbar dem

ver­

schmähten Brot, wirft es seinen Hühnern

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über den Zaun - Guste, Friedchen und Une.

Großvater

Nuja

beginn t mit der

Morgeninspektion seines Häuschens. Er kontrolliert die Festigkeit der Scharniere an

Türen

und

Fensterläden,

beklopft

Mauerwerk und begutachtet den schwar­ zen Schornsteinhut zwischen dem Schilf­ gedeck. Nichts findet er, woran er Anstoß nehmen könnte. Von Jahr zu Jahr wach­ sen die Häuser dichter um seine Behau­ sung und behüten sie vor jedem Wind­ hauch. Einmal war einer gekommen, der hatte gesagt: "Das häßliche Ding verschandelt "

den Baustil, abreißen, sag ich!

" Ist richtig, ich bin damit einverstanden." Hochdeutsch

hatte

der

Großvater

ge­

sprochen, und allen gab es einen Stich ins Herz. Hochdeutsch spricht Großvater Nuja nur

dann,

wenn

es

um

eine

Sache

schlimm bestellt ist. Das Häuschen steht fest an seinem Platz.

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Eine Tafel am Giebel verkündet: Meck­ lenburgische Fischerhütte. Die Eule da­ neben hält Wache. Kommt ein Seemann nach langer Zeit wieder nach Hause, sucht sein

Blick zuerst das

Häuschen.

Ohne

Großvater Nuja kann sich Hanning die I

Welt nicht denken. " Großvater

Nuja ,hier,

Großvater

Nuja

da." Sogar die Mutter hat ihn nötig. Oft, wenn sie sich in der Frühe auf den Weg zur Arbeit macht, klopft sie an sein Fen­ ster. Sie braucht nicht lange zu warten und muß nicht reden. Sie sieht in seine Augen und nickt ihm freundlich zu; achte auf mei­ ne Kinder, ich bitte dich, bedeutet das. Hanning hat sie schon dort stehen sehen und sich darüber geärgert. - Bin ich nicht Jungpionier und neun Jahre alt? Hat Vater mir nicht aufgetragen, der Mann in der Familie zu sein, wenn er auf See ist? " Hüte die Mutter und Zausei", hat er zum Ab­ schied gesagt.

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Um Großvater Nujas Beine windet sich Kater Söting. Milchperlen zieren s�inen Bart. " Na, du schwarder Düwel, hest din Willen

krägen?"

Großvater

Nuja lacht.

"Du, Hanning, wat ick n och seggen wull, ick wull giern dat Bad nähmen, dat Woder is na den Storm grod got dorto." " Nur

zu,

wann,

Großvater

dann

sind

Nuja,

Lösche

sag

mir,

und ich zur

Stelle." " Nuja,

Hanning,

ick

hew dacht,

Klock

twee." Einmal im Jahr steigt Großvater Nuja in die Ostsee. Dann, wenn der Sturm die Kreide in der See milchig gerührt hat. So ein

Bad verschreibt er sich gegen das

Spuken im Kopf. Es ist ein gutes Rezept, glaubt Hanning, wie hätte sich sonst die Fröhlichkeit

so

fest

im achtzigjährigen

Großvater einmieten können. Diese Vorbeugungskur findet hinter dem letzten Aufstieg am Hochufer statt. Han-

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ning und Lösche treffen vor Großvater Nuja ein. " Nuja, up juch kann ick mi verlaten", begrüßt er die Jungen. Großvater Nuja beginn t sich auszuziehen. Zuerst die Jacke mit den goldenen An­ kerknöpfen, n och aus der Zeit seiner Se­ gelschiffahrtsjahre.

Die

grauen

Pluder­

hosen und das wollene Unterzeug. Som­ mer wie Winter trägt er Gestricktes.' "Wat " got för de Hit is, is got för de Küll , meint er. Großvater Nuja macht sich auf in die See. Zunächst stakt er über die Steine. Dürr wie ein abgetakeltes Schiff schaukelt er dahin, ohne die Hilfe der Jungen anzunehmen.' Sie sollen nur dasein. " Mit dat Läwen dörf " en nich spälen , sagt er. "Wat deit mi dat got, wat deit mi dat gotl" Wohlig dreht

und wendet sich Großvater Nuja in der Seemulde wie ein Kind in der Badewanne. Vom

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Grund her holt er den kreidigen

Schlamm und massiert sich damit den Körper.

Hanning

und

Lösche

ruppeln

seinen Rücken, bis er scherzhaft bittet: " Nuja, Kinnings, lat mi an Läwen!" Zum Schluß nimmt er ein Vollbad, pumpt sich die Lungen mit Seeluft voll, taucht rasch unter, um gleich darauf schnaubend und prustend aus dem Wasser zu steigen. Das Badetuch, groß wie ein Bettlaken, um den Leib geschlungen, ruht er auf einem Fels­ stein aus. Dann lädt Großvater Nuja zur Vesper ein. Leckermäulig blicken die Jungen auf seine Umhängetasche. Und schon liegen sie vor ihnen, die braunen knusprigen Eierteigrol­ len, mit Pflaumenmus gefüllt, das nur so herausquillt. " Nuja, mine Leewen, holt juch ran!" Für dieses Jahr ist die Kur beendet. Die Möwen lärmen. Sie belagern Schif­ fe und Häuserdächer. Nach den Sturm-

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tagen plagt sie besonders der Hunger. Zu

Hunderten

den

Fischern

lauern die

sie

und

stehlen

Heringe aus den

Ki­

sten. Hanning hockt auf der Kaimauer, in der Rechten schwankt die Angelrute. Kater­ mines Hühnerhütte ist ihm letzte Nacht im Traum

begegnet.

Futterkorn

hatte

Das

ausgewachsene

Hanning herangewinkt

und wie eine Zauberin eine gebietende Bewegung getan, so daß die Tür der Hütte . aufschlug. Was Hanning nun zu sehen . bekam, ließ sein Herz vor Freude hüpfen. Duftige Netzschleier wogten durch den Hüttenraum. säuberlich

An

den

aufgereiht

Wänden

hingen

Flitzbögen,

Netz­

kugeln, Garne, Schnüre und Angelruten. Auf

dem

Fußboden,

der

mit

weißem

Seesand bestreut war, sielte sich Kater Söting. Auf seinem seidigen Fell spielten die Spitzmuls. Die Tür des Gitterhauses war geöffnet.

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Ein schöner Traum. - Seitdem hat Han­ ning eine Idee. Ein"

E-Wagen,

holpert

an

beladen

Hanning

mit

vorbei.

Netzwerk, Er

nimmt

seinen Weg zu einem langgestreckten Ge­ bäude mit hellen Fenstern und Rosenstök­ ken: der Netzboden. Auf dem Vorplatz arbeiten Takler.

Sie

spleißen Drähte und Leinen zum Fisch­ fang. Hanning ist mit der Pioniergruppe einmal dort gewesen. An Netzen, so lang wie ein Sportplatz,

arbeiteten mit wieselflinken

Fingern die Netzmacherinnen. Auf dem Fußboden mit grünem Perlonbelag lagen Berge von Netzwerk, Leinen und Garnen. Eine Frau mit Buch und Zollstock in der Hand

wurde

einmal

hier-

und

einmal

dorthin gerufen. " Meisterin Riepenhusen, was meinst du? Meisterin Riepenhusen, ans Telefon!" Die Meisterin hatte nicht viel Zeit, auf-

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zusehen.

-

Diese

Frau

ist

Hannings

Mutter. Durch die Fenster des Netzbodens dringt leises Singen. Ein trauriges Lied, denkt Hanning. Plötzlich hat er Sehn sucht. In Gedanken sieht er den Vater, wie er immer nach langen

Reisen vor ihnen steht: in der

linken Hand das Netz mit dem Frischfisch, die rechte gestreckt zum Empfang. " Meine Gössel", ruft Vater weit in die Runde, wenn er Zausel und ihn, Hanning, an sich drückt. Die Mutter nennt er: min söte Deern. Ihr Gesicht färbt sich dann wie die Sonne beim Untergang, so groß ist ihre Freude. Ihm, Hanning, gefällt das sehr. Der Vater macht sich über den Fisch nicht in Mutters Küche. "Den Dreck tu ich meiner Deern nicht an", sagt er. Die Mutter lächelt. " Mach nur, wie du willst, Euke-Vater."

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Der Hof ist geräumig. Im Nu gibt es Pu­ blikum.

Zum

�eispiel

Hannings

Kater

Söting. Der vergißt ihn, sobald der Vater in der Nähe ist. Der Geruch seiner Stiefel nach Dorschschwänzen und Flunderköpfen hat für ihn

eine Anziehungskraft ohneglei­

chen. Hanning kann das verstehen. Nur"

Kater Söting erhält seinen

Fisch­

anteil. Die nächsten Gäste sind Großvater Nuja und seine Hühner. So wie andere Leute ihren Hund ausführen, geht er mit den Hennen spazieren. Nicht an der Leine, versteht sich. Sie stöbern um ihren Freund herum wie die Kinder um die Kindergärt­ nerin. Großvater Nuja holt sein Messer aus der Tasche und beginnt, den Fisch in winzige Häppchen zu schneiden. Mit langen Häl­ sen verfolgen die Tiere sein Tun. Sie warten. In drei Häufchen verteilt Groß­ vater. " Nuja, dat is dint, Guste; dat gehürt

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di, Friedchen; Une, dat kannst du äten", fordert er sie auf. Der Vater brät den Fisch. Das erste Stück bekommt Gr�ßvater Nuja. Er setzt sich auf den Holzklotz, zieht ein Stück Brot aus der Tasche und beginnt die Mahlzeit. " Nuja, Euke Riepenhusen, nie häw ick bäteren Fisch äten", sagt er. Hanning seufzt, so schön ist die Erinne­ rung an den Vater. Auf dem Wasser liegt die Angelpose wie ein schlafendes Buk­ keltier. Hanning stört sie nicht. An der Anlegebrücke hat ein Frosttrawler festgemacht. Die Rüstkolonne ist dabei, das Schiff für eine längere Reise wie eine Festgans zu stopfen: mit Leinen, Kisten und Tonnen und Netzen, mit Kartoffeln, Gemüse, Fleisch, Wurst und Obst, mit Filmen, Tonbändern, Büchern und Schall­ platten. Schwerfällig liegt das Schiff an den Leinen. Nur die Besatzung muß n och

40

zusteigen: der Kapitän und der Steuer­ mann, der Funker und der Maschinist, die Matrosen und der Koch. Ist Hanning erwachsen, wird er mit sei­ nem Freund Lösche auf so einem Fahr­ zeug anheuern. Ein

Frosttrawler liegt am Bollwerk der

Fischhalle. Unentwegt zieht das Förder­ band

eine silbrige Fischkette aus dem

Schiffsbauch. Die Männer von der Lösch­ kolonne haben zu tun, die Heringe in den Kühlwaggons unterzubringen. Lange Züge verlassen den Hafen. Wie Vaters Brigade gemeinsam mit ande­ ren um gute Fangergebnisse wetteifert, liest

Hanning

manchmal

in

der

Kom­

binatszeitung. In einer Kiste sammelt er alle diese Meldungen. Manchmal zeigt er sie Lösche. In diesen Tagen fischt der Vater in der Barentssee, das ist nördlich von Nor­ wegen und der Sowjetunion. Die Mutter hat es ihm auf der Landkarte gezeigt.

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Zweihundertfünfzig Tonnen Fisch schickte Vaters Schiff durch den Transporter in das Kombinat. Die Fischwerkerinnen werden zu tun haben, denkt Hanning. Die Maschi­ nen wer �en stampfen und raunen, die Hunte

mit

rollen.

Das

den

Metalldosen

Wasser

wird

schneller

unaufhörlich

plätschern, weil zu waschen und zu putzen ist. Über die Fließbänder gebeugt werden Frauen und Mädchen stehen und filierte Häppchen, geräuchert oder gebraten, in Dosen schichten. Der Vater hatte auch einmal Rosen schik­ ken lassen, und über Rügen-Radio kam ein Funkspruch:

Für meine Frau Antje zum

zehnten Hochzeitstag. Die Rosen hatte die Mutter auf den Tisch gestellt und ein Licht angezündet. Lange stand sie davor. Hanning schien es, als weine sie .. " Mama , sagte er und hatte sich eng an " sie gedrückt.

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Die Mutter wischte sich übers Gesicht. " Genug jetzt, Hanning, hol deinen Lösche. Wir feiern Hochzeitstag." Dann saßen sie alle um den Tisch, und in den Gläsern funkelte der Himbeerpunsch. "Trinken wir auf unsern Vater, ein Hoch auf ihn

und daß er

bald nach Hause

kommt." Plötzlich

ruckt

die

Angel

in

Hannings

Hand, und die Pose beginnt zu tanzen. Mit einem Schwung schnellt Hanning sie aus dem Wasser. Eine handtellergroße Flun­ der zappelt vor seiner Nase. Er nickt zu­ frieden. Vom Turm schlägt die Glocke achtmal. Hanning hat es eilig. Katermine - aus der Wegbiegung kommt sie daher. Von weitem wie eine freund­ liche

Großmutter anzusehen.

Korb

sehen

Aus dem

Milchflaschenhälse.

Jeden

Tag zur gleichen Zeit geht sie einkaufen.

43

Pünktlich ist sie, geht es Hanning durch den Sinn. Und da ist auch Kitsche. Hanning gibt sich einen

Ruck.

Jetzt kommt sein Auftritt.

" Guten Morgen, Frau Knietsch." "Tag." Als wolle Kitsche die Gnatzigkeit ihrer Katermine gutmachen,

springt

sie

mit

winkendem Schwanz ihrem Freund ent­ gegen. Plötzlich verhält sie, hat nur noch Sinn für einen Geruch, der sie alles ver­ gessen läßt. Schon schlägt sie ihre Zähne in das Fischfleisch. Hanning hat Mühe, die Flunder

festzuhalten.

Katermine

muß,

ob sie will oder nicht, bei ihm stehen­ bleiben. "Pfui, Kitsche, laß ab, mein lieb­ ling, du hast Besseres zu essen!" Doch Kitsche hat kein Gehör für diese Ermahnung.

Zornig wendet sich Kater­

mine an Hanning: "Was hast du meiner Kitsche mit deinem

Stinkfisch

Nase rumzufummeln?"

44

vor der

" Frisch

geangelt

ist

die

Flunder,

Frau

Knietsch. Sehen Sie doch, wie es Ihrer Kitsche schmeckt!" " Meine

Kitsche

braucht

deine

Flunder

nicht, genug hat sie zu essen." Hanning hat der Katze die Flunder über­ lassen. Sie schmatzt, schlingt gierig und verbreitet den Eindruck, als sei sie ein ausgehungertes Tier.

Katermine ist das

sichtlich unangenehm. Das ist der Augen­ blick, wo es in Hannings Programm wei­ tergehen muß. " Frau

Knietsch,

braucht

Ihre

wie ich gesehen

Hühnerhütte

eine

hab, Über­

holung, sie übersteht sonst den Winter nicht. " "Was interessiert dich meine Hütte?" gibt ' ihm Katermine zur Antwort. " Es ist schade darum", sagt Hanning. "Wahr ist es, doch was soll's, mir macht's keiner, ich hab niemanden." " Lösche und mich!" sagt Hanning.

46

Katermine betrachtet ihn von oben bis unten. " Hm . . .", macht sie. " Frau Knietsch, denken Sie nur nicht, daß Lösche und ich nicht arbeiten können, staunen würden Sie!" "Da bin ich mir noch nicht sicher", sagt Katermine. Kitsche hat das letzte Stück Fisch am Wickel, das zwingt zur Eile. " Bitte, Frau Knietsch, sagen Sie einen

schönen

Anstrich

ja,

und

bekommt

die

Hütte auch." "Das fehlte mir noch, dafür ist mir mein " Geld zu schade. " Frau Knietsch, das kostet Sie nichts, gar nichts." Katermine stutzt. " Steckt doch was dahin­ ter, Riepenhusen?" "Ja", Hanning stottert. Und er erzählt von der verlorenen Höhle und vom Nordost­ sturm, daß bald der Herbst vor der Tür stände und daß die Spitzmuls und die

47

Flitzbögen, die Angelruten und die Netze, die Schnüre und die Garne eine Unter­ kunft nötig hätten. Kitsche beleckt sich genüßlich das Maul. Katermines

Ruppelgesicht

glättet

sich.

Zufrieden ist ihre Kitsche, das kann sie nicht übersehen. " Baut die Hütte zurecht", sagt sie zu Hanning. " Fünf Mark Miete im Monat! Macht ihr Dummheiten, fliegt ihr."

Das ist klar, Frau Knietsch, auf uns " können Sie sich verlassen." Leise fügt er hinzu: " Darf ich morgen früh den Schlüs­ sel holen?" Fast unmerklich nickt Katermine. Kitsche ist schon nicht mehr zu sehen. Als

Katermine gegangen ist, setzt sich

Hanning ins Gras. Er hat das Gefühl, eine schwere Arbeit getan zu haben. Der nächste Tag trägt ein Kleid so blau wie die Kornblumen. Die See schwatzt, und

48

die

Möwen

üben

sich

im

Segelflug.

Hanning macht sich auf den Weg. Vor

Katermines

Wohnungstür

beginnt

sein Herz zu pochen. Wenn sie es sich nun anders

überlegt

hat,

denkt

er.

Seine

Schritte werden langsamer. Die Klopftöne sind wie die eines Spechtes, die Klappe am Postschlitz quarrt. Hanning fühlt

sich

angesehen.

" Bitte,

Frau

Knietsch, ich wollte nur die erste Miete "

zahlen und den Schlüssel holen.

Die Geldstücke in Hannings Hand nehmen ein Schwitzbad. Die Tür öffnet sich spaltbreit. "Ich sag's dir noch

einmal,

macht

ihr

Dummheiten,

dann raus! Und, wie ausgemacht, reno­ " vieren und saubermachen! Der Hüttenschlüssel schiebt sich Hanning entgegen. Er zieht aus der Hosentasche ein blaues Büchlein und legt die fünf Mark darauf.

Bitte,

Frau

buch und das Geld.

"

Knietsch, das Miet­

49

" Wieso Mietbuch, solche Scherze verbiet ich mir!" " Nein, nein, Frau Knietsch, ich hab's mir so gedacht, weil meine Mutter auch eins " hat. Brubbelnd nimmt Katermine das Buch an sich.

Hinter der Tür

hört

Hanning sie

kramen. Als Katermines Haus außer Sicht ist, liest er:

Monat Juli - fünf

Mark

Miete in

Empfang genommen - Dora Knietsch. Die

Freude zaubert ihm

Atem

landet

er

wenig

Flügel. Außer später

in

der

Laubenkolonie. Als Hanning das Gartentor öffnet, hat Lösche den letzten Handgriff \

getan und greift nach dem Sack für das Schweinegemüse. " Ich komme, Hanning", sagt er. Heute gibt Hanning die Wegrichtung an. ' Die halbe Nacht hat er sich ausgemalt, was wohl Lösche für ein Gesicht machen wird, wenn er so einfach einen Schlüssel

50

aus

der

Tasche

zieht

und

Katermines

Hütte aufschließt. Laß den Quatsch, mit der will ich nichts zu tun haben, wird wahrscheinlich Lösche sagen.

Dann

würde

er,

Hanning,

das

Mietbuch aus der Tasche ziehen und es ihm unter die Nase halten. Zuerst ist Lösche stumm. Und das will bei ihm was heißen.

Dann

beginnt er mit

Hanning einen Ringkampf. " Mann, Han­ " ning, das hast du prima hingekriegt! Sie wälzen sich auf der Erde, in ihr Spek­ takel mischt sich Hühnergezeter. Bei Lösche meldet sich zuerst das, was als nächstes

zu

tun

ist.

Mit

kennerischer

. Miene begutachtet er die Hütte. "Wird ein Stück Arbeit werden, wir müssen uns in die Hände spucken. Und sie hat so ohne weiteres die Hütte vermietet? Hätte ich " nicht gedacht von ihr. Lösche schüttelt über dieses Wunder den Kopf. In

Hanning ist eine noch nie gekannte

51

Freude.

Sieh an,

denkt er, wenn

man

richtig ans Werk geht, wird etwas daraus. Katermine ist wie ein Igel, der nur nach außen hin stachelt, er weiß es nun. Über dem Hühner-Mist-Pyramiden-Wald ist ein grauer Schleier aus Spinngewebe. Unter den Dachbalken siedeln Schwalben, an den Wänden kleckern ihre Spuren. Die Jungen, schon flügge geworden, stieben aufgeschreckt durch die Luken davon. "Die kommen wieder, wenn sie uns be­ sehen haben", sagt Hanning. Wie

Glas

Hühnerdung

zerberstet unter

der

ausgedörrte

Lösches

Schaufel­

hieben. Hanning karrt ihn auf Großvater Nujas Gurkenbeete. " So, so, ji häwt mit Minen en Geschäft mokt!"

Großvater

schüttelt

bedenklich

den Kopf. Doch der Tag ist viel zu schön, als daß die Jungen Zeit hätten für hinter­ gründige Gedanken. So schiebt sie auch Großvater Nuja von sich und öffnet viel

52

lieber für seine Freunde die Werkzeug­ kiste. Hammer und Nägel, Säge und Farb­ topf sind vorhanden, es kann losgehen. Am nächsten Tag sind die Jungen Zim­ merer.

Sie prüfen hier, und sie prüfen

dort. Es kommt ihnen nicht auf ein paar Nägel an. Katermine soll zufrieden sein. Da kommt sie auch schon um die Ecke. Ihr wie eine Vorhut voraus Kitsche. Bums, der Hammer landet auf Hannings Dau­ men. Der Junge hüpft den Au-au-Tanz, daß Katermine ihre Freude hat. "Du bist mir schon der richtige Arbeiter, Riepen­ husen!" "Jedem kann das passieren", nimmt Lö­ sche seinen Freund in Schutz. Als Kater­ mine gegangen ist, legt er die Arbeit aus der Hand. "Die kann einem die Stimmung vermiesen." " Laß

doch,

Lösche,

die

meint's

nicht

so." In

eine

blaue

Latzschürze

gehüllt, die

53

Bänder um den stöckigen Leib geschlun­ gen, steht Großvater vor der Hütte. " Nuja, Kinnings, könnt ji enen Hilfsarbeiter bru­ ken?" " Immer, Großvater Nuja." Der Hilfsarbeiter rührt die Kreide für den Anstrich an, schwappt ab und zu einen Schuß

Wasser

in

den

milchigen

Brei.

" Nich to dick und nich to dünn, süs bl ädert de Schiet von de Wänn", kommentiert er. Großvater Nuja walkt die Masse wie einen Kuchenteig. Dabei singt er ein Lied: Der Käptn, der Stürmann, der Bootsmann und ich, ja, wir sind Kerle.. Hanning und Lösche stimmen mit ein, weithin ist ihr Gesang zu vernehmen. Am Nachmittag ist das Werk getan. Was tut's, daß die Malersleute nicht aus den Augen

sehen

können.

Wenig

später

wäscht die See sie wieder sauber. Die Mutter hat am Abend noch nicht das

54

Essen aufgetragen, da fällt Hannings Kopf schon auf den Tisch. Schweigend trägt sie ihn ins Bett, zieht ihm Hemd und Hose aus, deckt ihn bis zur Nasenspitze zu. Der Morgen sieht Hanning in alter Frische. Kater Söting erinnert daran, daß er auch noch da ist. Klagend mauzt er. Schwei­ gend richtet ihm Hanning das Frühstück und krault sein Fell. "Trink

dich

satt,

Söting,

in

die

Hütte

kommst du mit, und im Winter mach ich dir dort ein warmes Lager." Kater Söting schleckt eifrig. Dann und wann hält er inne,

um auf Hannings Reden zu lau­

schen. Der Nachtwind hat die getünchten Wände getrocknet.

Auf

dem Weiß tanzen

die

Strahlen der Morgensonne. Die Schwal­ benjungen ruhen in ihren Nestern. Alles ist bereit für den Einzug. Nur noch Kater­ mine muß zum Begutachten erscheinen.

56

"Dat gehürt Nuja.

sich

so",

sagt

Großvater

So steht denn Hanning wieder vor Kater­ mines Tür. Mit dem Wohlgefühl eines Menschen,

der

Gutes zu melden

hat,

klopft er.

" " Geht wohl nicht lauter, Riepenhusen? " Entschuldigen Sie, Frau Knietsch, ich dacht nur, ich wollt nur . . . ", weiter kommt Hanning nicht.

" " Was dachtest du, was wolltest du? Katermine hat Hanning aus dem Takt gebracht. So sagt er nur: "Die Hütte ist fertig. "

" Wie ein Gummiband zieht " Schooon? Katermine das Wort. " Wird was Geschei­ tes geworden sein, Riepenhusen ", fügt sie hinzu. " Bitte, Frau Knietsch, sehen Sie sich erst einmal alles an. " " " Warten müßt ihr, hab keine Zeit. Da steht nun Hanning. Was bedeutet bei

57

Katermine

warten?

Heute

noch

oder

morgen, wird sie kommen, oder . . . ?­ Inzwischen

schleppt

Lösche: die Netze

und die Schnüre, die Angelruten und die Flitzbögen, die Dosen und das Gitterhaus. Vor der Hütte stellt er alles hin. Plötzlich stutzt er, Frau Spitzmul ist in ihrem Haus nicht zu sehen. Im Mäuseheubett regt es sich. Behutsam lüftet er das Nest. Inmitten der Mäusejungen liegt Frau Spitzmul. Ihre Stecknadelknopfaugen huschen aufmerk­ sam hin und her. Lösche ist sprachlos vor so viel Mäusevielfältigkeit. Erst als Herr Spitzmul fiept, was Hunger heißen soll, besinnt er sich. " Mann, dafür gibt es einen " Festschmaus. Aus seiner Hosentasche kramt er ein Stück Käse. " Nu freßt!" Herr Spitzmul läßt sich das nicht zweimal sagen.

Das

Mäuseweibchen

rührt sich

aber nicht vom Fleck, es muß das rosige Gekringel wärmen. " Eine gute Mutter bist du", lobt sie Lö-

58

sche. Sacht breitet er wieder die Heudecke über sie. Lösche ist mit seiner Freude beschäftigt, das macht i�n großzügig. " Laß man, Han­ ning, ich lauere so lange, bis sie kommt." Für ihn ist es die selbstverständlichste Sache von der Welt, daß Katermine nicht sofort erscheint. Noch dazu, wenn sie nur einmal gebeten wird. "Das läßt doch ihre Gnatzigkeit nicht zu, sag ich dir,

Han­

ning." Damit ist für ihn die Geschichte abgetan, jetzt muß abgewartet werden. Nicht ein­ mal der Mäusenachwuchs bringt Hanning auf andere Gedanken. - Wird was Geschei­ tes geworden sein, Riepenhusen; wie sie das gesagt hat, richtig gemein. Ja, wenn man die Hütte nicht so nötig hätte, könnte man hingehen und sagen: Wir verzichten, Frau Knietsch! Nein, besser noch: Behalten Sie

Ihren

Mist,

Frau

Knietsch!

Augen

würde die machen. -

59

" Hanning! Träumst du schon wieder?" " Gemein ist die." "Wer, Hanning?" " Na, Katermine!" "Ach die, ein Luder ist die." Die Sonne ist längst über Mittag hinaus. Hannings und Lösches Mägen knurren wie Hofhunde. Katermine ist noch immer nicht in Sich1:. Fortgehen von hier - nein, niemals. Sie haben Zeit und lassen sich vom Gesäusel des Sommerwindes ein­ lullen. So kommt es, daß sie Katermines Auftritt verschlafen.

Kitsche

buckelt

auf

dem

Gitterhaus. Die grünen Augen schleudern Blitze. Ergeben wartet Herr Spitzmul. Lö­ sche glaubt zu träumen. Als er wie ein Stehaufmännchen aufschnellt, springt die Katze erschrocken ins Gebüsch. " Falsches Luder", zischt Lösche durch die Zähne. Mit einem Erdklumpen, den er ihr hinterher-

60

schickt, unterstreicht er seine Meinung. Inzwischen beschäftigt.

ist

Hanning

mit

Katermine

Erwartungsvoll steht er an

ihrer Seite und versucht in dem Gesicht mit den verhangenen Augen zu lesen. "Die ganze Hütte braucht ihr nicht, benutzt " die Bucht hier. Sie weist auf eine schmale Abteilung des Raumes. " Riepenhusen, an dich wende ich mich, wenn keine Ordnung bleibt. Andere Kinder haben hier nichts zu " tun, das merk dir! Hanning kommt vor Schreck nicht dazu, sie daran zu erinnern, daß sie die ganze ' Hütte an ihn vermietet hat. Schon 'ist Katermine wieder gegangen. Lösche

klopft

sich

vor

Ärger

auf

die

Schenkel. "Diese Olsche, wie die das ver­ steht! Läßt sich ihr Drecksding auf Hochglanz polieren und dann . . . Die denkt, die kann uos ärgern, die, die . . ." Lösche sucht nach einem noch nie dagewesenen Wort. Weil er aber keins findet, spuckt er eben

62

einen hohen Bogen. "Du sagst natürlich keinen Ton, nimmst sie noch in Schutz. Sie meint's nicht so, " sagst du, da siehst du's, wie sie's meint. Lösche schüttelt seinen Zorn über Han­ ning aus, daß es nur so kracht. Hannings Zorn hat keine lauten Worte. Nur jetzt nicht weinen, wegen so einer nicht - er nicht. In seiner Hosentasche drückt auffordernd der Hüttenschlüssel. Hanning reckt sich: Meine Hütte - ich hab sie gemietet - alles ist abgesprochen - es darf keiner tun, was er will, auch sie nicht - fliegt es ihm durch den Sinn. Er greift nach den Netzen und Flitzbögen. " Lösche! Wir beziehen die Hütte, die " ganze , befiehlt Hanning mit Nachdruck. Seine Miene ist die eines Generals. " God so, Hanning, stellt juch Tüch man rinn. Verschaff di din Recht, es is up juch " Siet , sagt Großvater Nuja.

63

Abends kann

Hanning lange nicht ein­

schlafen. Säße doch die Mutter an seinem Bett. Doch die berät mit ihrer Brigade den Arbeitsplan. Und wer berät mit mir meine Sorgen? denkt er. Hanning ist mit der Welt unzufrieden. Als Hanning erwacht, dreht er sich in den Kissen.

Nun

weiß

er

endlich,

warum

zwischen jedem Tag eine Nacht liegt: Der Schlaf

deckt mit seinen

Träumen

den

Kummer zu, damit er am nächsten Tag kleiner ist. Katermine wird längst ihr Un­ recht eingesehen haben, das ist gewiß. " Hanning, Schlopmütz, wo bliwst du?" Mit einem Satz ist er am Fenster. " Nuja, Hanning, dat ward Tied, die Hiering luert, dat he rökert ward. Hest du dat vergäten ?" Das

Einzugsfest!

Geplant

mit

selbst­

geräuchertem Fisch für die Gäste: Mutter, Zausel, Katermine und Kitsche, wie hat er das vergessen können.

64

Hanning spießt die Heringe auf die Stahl­ speile, das kann er mit geschlossenen Augen. Er hatte einen guten Lehrmeister, den

Vater.

Schon

wieder gehen

seine

Gedanken auf die Reise - Hanning ,ist auf der Fahrt zum Nordmeer. "Matrose Han­ ning,

Ruderwache

übernehmen,

Kom­

paßkurs dreihundertvierundfünfzig Grad!" befiehlt

Kapitän

steht stramm:

Riepenhusen.

Hanning

"Zu Befehl, Kapitän." Er

legt die Hände an das Ruder. "Dreihun­ dertvierundfünfzig Grad am Kompaß lie­ gen an!" meldet er. Backbordseitig pas­ siert ein heimkehrender Kutter das Fahr­ zeug.

Hanning winkt zum Gruß.

"Will­

kommen in der Heimat", ruft er. Hell er­ tönt die Schiffssirene. "Wenn du slöpst, Hanning, ward dat hüt nix. Ut is es mit den Festschmus", sagt Großvater Nuja. Die Heringe hängen wie Würste in der Räucheresse. Lösche kniet vor dem Feuer-

65

loch und spritzt Wasser auf die pras­ ' selnden Holzscheite, daß es nur so zischt. Aus der Sackleinenmütze, die über die Tonne

gestülpt

ist,

ringelt

milchiger

Qualm. Die Heringe bräunen. Kater Söting mauzt ungeduldig. " Nu is en bäten Tied, lat juch to en Him­ beermost inladen." " Keine Zeit, Großvater Nuja, keine Zeit. Zuerst

müssen

die

Spitzmuls

was

zu

beißen haben." " Man to, Lösche." In

Großvaters

Häuschen ist es wie in

einem Museum, Hanning ist gern hier. Überall gibt es Wunderdinge zu sehen. Geschnitzte Truhen mit geheimnisvollem Inhalt. Buntbemalte Wandborte mit Ton­ krügen und Schüsseln. Merkwürdige Ge­ rätschaften zum Knüpfen von Netzwerk und Tauen. In der Wohnküche hält Han­ ning mit der Besichtigung inne, da der Großvater zu sprechen beginnt: " Und dat,

66

Hanning, nuja, bekiek di dat god, allens Handarbeit - de Disch, de

Bank, dat

Schapp, gedrechselt, verstehst du? Und ut kernigem Eickenholt, kiek di dat Schnitz­ wark an. Hest du so wat all sehen?" Plötzlich

schweigt

Großvater

Nuja, ob­

wohl er noch hinzufügen müßte:

min

Gesellenstück. Seine Hand fährt die Tisch­ platte entlang bis zu einem verknorpelten GebUde. Für Großvater Nuja sind nun Zeit und Himbeermost ohne Bedeutung. - Am Tisch sitzt Christian, sein siebenjähriger Sohn, in der Hand das Brotmesser. Er werkelt,

daß

die

Späne

nur

so

flie­

gen. ,Büst du nich klok, Chrischan, wat makst du mit min Disch?' hört er sich sagen.

, Min'n

Namen,

ick in din Disch,

Vating,

schnitz

immer bin ick denn

bi di: Hanning sitzt in Großvater Nujas Lehn­ stuhl. geben,

Ohne einen hockt

Kater

Mucks von sich zu Söting auf seinem

67

Schoß. Hanning und der Kater wissen, daß der Großvater mit Christian spricht, da muß man ruhig sein. Ein kluger Kater, geht es Hanning durch den Sinn. Von den Planken eines Fischkutters hat der Nord­ ost den Christian in die See geschleudert, keiner hat ihn mehr gesehen. Hanning schuddert es. " Hanning, Hanning", dringt es plötzlich an sein Ohr. Mit wildem Gefuchtel kommt Lösche gerannt. An seiner Hand schaukelt das

Gitterhaus

der

Spitzmuls

wie

bei

Windstärke zehn. " Rausgeschmissen hat sie alles, Hanning, die Flitzbögen und die Angelruten, das Netzwerk und die Spitzmuls, alles, alles. Nicht an ihre Anordnung gehalten, sagt sie, die, die . . . !" Gleich Windmühlenflü­ geln bewegen sich Lösches Arme. Hanning ist es, als wäre er wie eine Uhr aufgezogen. macht

68

Er rennt und

Katermines

rennt:

Fensterscheibe

Klirr, und

noch einmal klirr. "Da hast du's, da hast du's", schluchzt er. Den Jungen jagt es weiter, zum Strand, zum

Floß,

den

aneinandergefesselten

Holzbohlen. Sie nehmen ihn auf. Dort liegt Hanning und weiß es nicht zu fassen, das Ungeheuerliche! Gemein betrogen hat sie mich, klagt ef' dem Meer. Sie ist eine Erwachsene, sie kann das tun. Immer machen die Großen, was sie wollen: Lösches Vater, Katermine, sogar manchmal der Vater und auch die Mutter. Hanning bearbeitet die Holzbohlen, als wollte er ihnen allen Ärger und Schmerz aufladen. Plötzlich platscht ihm e'ine Du­ sche ins Gesicht. Entsetzt richtet /:lr sich hoch.

Wasser

fällt

über

ihn.

Hanning

schnappt nach Luft. Festhalten, denkt er. Das Floß hat es eilig, davonzukommen. Es tänzelt wie ein junges Fohlen, das nicht will, daß man es besteigt.

69

Hanning überfällt Angst. Die Hände um­ klammern die Bohlen, daß sie schmerzen. Sein Herz klopft. Wellenkobolde stürzen aufgebracht über das Ding, das ihre Ruhe stört. Die Buchen am Ufer ducken sich. Die Bohlen mit Hanning ziehen dahin, als würden sie von unsichtbaren Seepferden gezogen.

Wind

kommt

auf.

Er

wiegt

Hanning, als wolle er ihn einschläfern. Hanning krallt sich fester an das Holz. Er kennt den Wind besser. Erwischt hat er mich .. . Wie ein hungriges Tier lauert die See. Sie buckelt sich und droht alles zu verschlin­ gen,

was

sich

ihr

in

den Weg stellt. " Hanning friert es. " Mudding , flüstert er.

Und er sieht sie vor sich, wie sie bei der Nachricht entsetzt den Zollstock aus der Hand werfen wird. Die Gedanken purzeln, und die Seepferde galoppieren übermütiger. Wohin geht die Fahrt? Der Wind ist der Steuermann, er

71

bestimmt das Reiseziel. - Suchen werden sie, bis sie mich finden: die Mutter, der Großvater Nuja, der Lösche, die Zausel und der Kapitän mit dem Seenotrettungs­ boot. Das Notsignal wird Alarm über das Meer rufen, und alle werden sich auf den Weg machen, das ist gewiß. Der Vater kann nicht kommen. Bei dem Gedanken an ihn ist es Hanning, als höre er seine Stimme: Ein Junge von der Küste lernt beizeiten ein Mann zu sein. Hanning schließt die Augen. Katermine hat mich übertölpelt. Der

Nordost hat

mich erwischt. Die Sonne wirft ihre Glut über Hanning. Lösche sieht, wie Hanning davongetragen wird. Er kann rufen, so viel er will, Han­ ning hört ihn nicht. - Da rennt Lösche wie um sein Leben. " Hanning . . . mit dem Floß auf der See", japst er.

72

" Lösche, lauf so schnell dich deine Füße tragen

zur

Rettungsstation!" Großvater

Nuja spricht Hochdeutsch. Die Sirene heult auf, daß alle, die sie hören,

erschreckt

die

Arbeit

aus

den

Händen legen und zum Ufer eilen. Rüg�n-Radio funkt an alle Schiffe: Junge mit Floß vom Strand abgetrieben. Befin­ det sich wahrscheinlich östlich von Stub­ benkammer. Auf dem Seenotrettungsschiff fragt der Kapitän:

" Maschine

klar

zum

Auslau­

fen?" - " Maschine klar zum Auslaufen", gibt der Maschinist zur Antwort. Neben dem

Kapitän hat der Hafenarzt

Platz genommen, es könnte sein, daß er gebraucht wird. Das Schiff läuft aus. Am Kai stehen die Menschen. Niemand hat Lust, etwas anderes zu tun. " Hanning

Riepenhusen",

flüstern

sie

einander zU. Jeder denkt für sich: wenn nur kein Unwetter aufkommt.

73

Am Horizont taucht das Seenotrettungs­ schiff auf. Wie ein fliegender Fisch schießt es dem Ufer zu. " Sie haben ihn, sonst käme das Boot nicht schon zurück", raunen die Wartenden. Als Hanning an der Reling neben dem Kapitän sichtbar wird, beginnen hier und dort Stimmen laut zu werden: " So ein Lauser, das Achterteil müßte man ihm versohlen, immer das gleiche." Aufweinend reißt die Mutter Hanning an sich. Daß sie ihn nur wieder hat, alles andere zählt nicht. Hanning hat sie noch nie so gesehen, die Augen vor Entsetzen geweitet. Großvater Nuja streicht ihr das wirre Haar unter das Tuch. " Antje, mine lütte Deern, nu möten wi en Harden nähm." Zu Han­ ning gewandt sagt er: "Du bist schon der rechte Holzbohlenkapitän. " Oh, würde doch das Himmelsblau herab­ stürzen und Hanning darunter begraben.

74

Am Abend muß der Arzt kommen. Han­ ning wird vom Fieber geschüttelt. " Kurz vor einer Lungenentzündung und einem tüchtigen Sonnenbrand. Bei dieser Seefahrt kein Wunder", hört Hanning aus weiter Ferne den Arzt sagen. Ihm ist, als wären Hände und Füße gebunden. Und der Nordost reißt ihn fort zur wilden Jagd. Er schleudert ihn auf das Floß, stößt ihn unter

Wasser,

und

Hanning

sinkt und

sinkt. Er japst nach Luft: " Mudding, Mud­ ding, wo bist du!" Manchmal ist sie ihm nah, will er nach ihr greifen, ist sie verschwunden. Erwischt, -er­ wischt, höhnt der Nordost in den Buchen. An Hannings Bett wacht die Mutter Tag und Nacht. Großvater Nuja hat sich zum Haushaltsvorstand erhoben. Wehe, wenn Zausel oder Mutter seine Kartoffelsuppe nicht essen oder seinen Lindenblütentee nicht trinken wollen. " En Kranken is genug int Hus", sagt er streng.

75

Lösche

brütet

über

Racheplänen.

Um

Katermines Haus schlägt er einen großen Bogen, daß sie ihm nur nicht unter die Augen kommt. Vor Sorgen ist sein Gesicht schmal geworden. Ohne Hanning hat der Tag keine Farben. Als das Fieber endlich von Hanning läßt, fühlt er sich wie von den Wellen an das Ufer getragen. Hanning öffnet die Augen. Da ist auch die Mutter. Hände nach ihr aus.

Er streckt die

" Nicht fortgehen,

Mudding", bittet der Junge. Sie drückt ihn an sich. "Wo werde ich denn, mein Hanning", tröstet sie. Die Mutter streift ihm ein frisches Hemd über und wickelt ihn in kühlendes Leinen. Wie sanfter Frühling erfrischen Hanning ihre Hände. " Ich hab dir viel zu erzählen, Mudding." " Ich weiß es, Hanning!" Doch

Hanning

kann

kein

Wort

mehr

sagen. Er ist schon wieder ins Traummeer

77

gesunken - wird ein Heilbad nehmen und gestärkt zurückkommen. Nie hat Hanning den Morgen so gesehen : Die Sonne reitet auf Zausels Löwen. Die Waldblumen in der Vase haben als Gruß den Geruch des Sommers in das Zimmer gesandt.

Durch

das

geöffnete

Fenster

singt das Meer seine Freude zu Hannings Erwachen.

Im Zimmer nebenan ist die

Mutter zu hören und noch eine Stimme. Hann lng stutzt. " Ich kann nicht helfen, Frau Knietseh. Das müssen

Sie

mit

meinem

Sohn

aus­

machen", so hört Hanning die Mutter. " Sagen können Sie Ihrem Hanning doch, daß ich die Hütte nicht mehr will." " Auch das nicht, Frau Knietseh. Allein ist er zu Ihnen gekommen und hat mit Ihnen einen Vertrag geschlossen. Nun, suchen Sie ihn, wenn Sie können." Hannings Kopf surrt wie ein Kreisel. Ich

78

hab's gewußt, ! ch hab's gewußt, wäre er nur nicht so müde. Er würde zu Lösche laufen und ihm die Nachricht bringen . Katermine hat sich besonnen. Plötzlich wird seine Freude gebremst. Er sieht ein Haus und hört Steine sausen und Glas splittern. Katermines Fensterschei­ ben.

Wie

brennen

von

Brennessein

Hannings

Wangen.

gepeitscht Besinnen

muß ich mich, er steigt in die Hosen. "Was tust du, Hanning?" fragt die Mutter erschreckt.

\

" Ich muß Katermines Fenster zum Glaser tragen." "Du hast Gutes vor", sagt die Mutter, "doch nicht heute, Hanning, morgen ist wieder , ein Tag."

ab 8 J .

DDR 1 ,75 M

D I E K L E I N E N T R O M P ET E R B Ü C H E R H a n n i ng u nd se i n Fre u n d Lösche wo h nen a n der Küste - i m nordöstlichen Zi pfe l u nserer Repu bl ik. Trotz Fe rie nzeit ha ben die J u ngen Sorgen : Der Nordost hat i h re H ö h l e am Stei l h a n g zerzaust - wo h i n n u n m it d e n N etzen, Ang e l n u nd Fl itzbögen und dem Spitzmu l-Pä rche n ? Die J u ngen wüßten schon

eine

neue

Behausu n g ;

doch wi rd Katerm i n e i h nen i h re h a l b zer­ fa l l e n e

H ü h n erh ütte

ü berl asse n ?

M it

G roßvater N ujas H i lfe kö n nen sie jeder­ zeit rech nen, a ber die a lte Fra u Knietsch von den J u ngen Katermine g e n a n nt macht i h nen zu schaffen.

D E R K I N D E R B U C H V E R LAG B E R LI N

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