153 - Der Zerrissene Regenwurm

August 26, 2017 | Author: gottesvieh | Category: Sports, Nature
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Das Haus

(" inder�

0onneng'äJ!&

Die kleinen Trompeterbücher

Band 155

ZBYNE K MALINSKY

DasHaur in derSonnengassf!})

DER KINDER BUCHVERLAG BERLIN

Illustrationen von Harry Jürgens Aus dem Tschechischen übertragen von Barbara Zulkarnain

EIN KÄTZCHEN HAT SICH ANGEFUNDEN Wenn sich ein Kätzchen anfindet, gibt es irgendwo bestimmt eine besorgte, un­ glückliche Katzenmama. Gerade so etwas passierte im Haus in der Son­ nengasse. Hinter der Tür ertönte ein schwaches Miauen. Zunächst hörte es niemand, eben weil es so ganz schwach war. Es hörte auch deshalb niemand, weil in der Küche alle schlafen gingen, und dabei wird Lärm gemacht. Die Teller klirren, wenn sie sich um den besten Platz schubsen, die Töpfe klappern, wenn sie in den Küchenschrank kriechen, und die Messer und Gabeln und Löffel richten sich mit großem Geschrei im Schubkasten aus. " Du liegst auf meinem Bein! Bis zum Morgen ist es doch eingeschlafen", sag­ te die Gabel vorwurfsvoll zum Löffel. 5

"Und du pikst mich in den Bauch. Da kann man doch nicht schlafen ", sagte der Löffel zur Gabel. "Und überhaupt, geh zu den Messern und Gabeln, hier hast du nichts zu suchen. " " " Ruhe dort! Oder ich sortiere euch alle , sagte der Kochlöffel, und es trat Ruhe ein, denn der Kochlöffel war eine Auto­ rität. Und in diese Stille hinein ertönte wieder das schwache Miauen. Noch niemand schlief, und so hörten es alle. Der Besen, der Talent zum Dichten hatte, rezitierte aus dem Stegreif: " Plötzlich scheint mir, daß hoch droben der Mond sein Stimmchen hat erhoben. Hört nur die lieblich zarte Weise, es ist der Mond, er singt ganz leise. " " "Von wegen Mond, eine Katze miaut , sagte der Milchtopf, der das Katzen­ miauen gut kannte, denn die Katzen aus der Umgebung kamen zu ihm Milch trinken. 6

Der Besen wollte auf seinen lyrischen Einfall nicht verzichten und bestand dar­ auf, daß der Mond mit zarter Stimme eine Serenade der Sternennacht singe. Aber der Topf blieb ebenfalls bei seiner Meinung. Fast wäre ein Streit daraus entstanden, hätte nicht der Kochlöffel eingegriffen: "Laßt das Geschnatter, und du, Besen, geh nachsehen! " Der Besen öffnete die Tür, und in die Küche tappelte ein Kätzchen und miaute jämmerlich. Es miaute so jämmerlich, daß es gewiß Tränen vergossen hätte, wenn Katzen weinen könnten. Aber Katzen haben keine Tränen. Auch beim größten Kummer miauen sie nur kläg­ lich. "Was hast du?" fragte der Löffel das Kätzchen. "Ich bin meiner Mama abhanden ge­ kommen", klagte das Kätzchen. " Nun heul doch nicht, ich klingel schön 7

für dich, das wird dir gefallen ", sagte der Wecker, den das Miauen geweckt hatte. Er als einziger hatte. schon geschlafen, denn der Wecker ist ein großer Schläfer und muß zeitig aufstehen, wenn er früh­ morgens wecken soll. "Ist denn Morgen, daß du klingeln willst? " fuhr ihn der Kochlöffel an und fragte das Kätzchen: "Wo wohnst du? " " "Im Körbchen , klagte das Kätzchen, "und _am Körbchen ist ein Schleif­ ehen. " " " Nun wissen wir aber eine Menge , " sagte der Topf. " Sag deine Adresse. "Ich hab keine Adresse, ich hab ein rotes Zünglein und . . . und . . . und ein Schwänzchen hab ich noch, aber eine Adresse hab ich nicht. " " Dumme Katze, weiß nicht einmal, was eine Adresse ist ", brummte der Topf. . ,,50 darfst du nicht mit ihr sprechen. Sie ist doch noch klein ", rügte ihn der Koch8

löffel und fragte geduldig das Kätz­ chen: " Wie heißt die Straße, in der du wohnst?" "Ich wohn in keiner Straße, ich wohne im Körbchen. " Das Kätzchen war immer noch tiefbetrübt. " Du wohnst im Körbchen, und das Körbchen ist in einem Haus, und das Haus ist in einer Straße", erklärte der Kochlöffel. "Und wie heißt die Straße? Erinnere dich nur. Ist das nicht vielleicht die Jeremenkova oder die Jas­ minova? " Ich wohne im Körbchen mit dem Schleif­ " ehen", quengelte die Katze, und der Koch­ löffel sagte: "Lassen wir's für heute. Der Morgen ist klüger als der Abend." "Aber wo wird das Kätzchen schlafen? " fragte der Löffel, und niemand wußte es. Da erinnerte sich der Wecker an ein Lied, das er im Radio gehört hatte: 10

Ein kleines Kätzchen schlief im Schuh . . . Die Sorge war vorbei. Das Kätzchen kroch in einen Schuh und schlief vor lauter MJdigkeit gleich ein. Der Besen sprach weise: "Willst du nach Haus und weißt nicht wie - vergiß nur die Adresse nie." " Das stimmt", sagte der Topf, und dann schliefen alle. Der Morgen war aber nicht klüge.r als der Abend. Das Kätzchen wußte einfach seine Adresse nicht, nach Hause würde es nicht finden, und es habe schreckJ.iche Sehnsucht nach der Mutter, miau, miau, miaauu. Der Topf war schon ganz nervös davon, der Löffel meinte, was machen wir bloß, der Wecker wieder, das ist ein schöner Schlamassel, und sogar der Kochlöffel, der sonst immer Rat wußte, ließ vernehmen, daß wohl nur der Himmel wisse, wo dieses winzige Kätz12

chen wohne. Der Besen hörte zu, sah zu, dann strich er sich seinen schwarzen Schnurrbart glatt und sagte: "Wo teuer ist ein guter Rat, hilft Reden nicht, nur eine Tat. Der Himmel wird den Fall nicht klären, laßt nur die Polizei gewähren! " " Das ist doch klar, in so einer Situation muß man die Polizei anrufen", sagte der Topf sofort. " Natürlich, natürlich, was sonst, das weiß doch jeder" , pflichtete der Wecker bei. "Auf einmal weiß es jeder, aber erst, nachdem der Besen draufgekommen ist", wies sie der Kochlöffel zurecht und rief die Polizei an. " Sie sagen ein Kätzchen? Moment, Bürgerin", ertönte es am anderen Ende der Leitung, und man hörte, wie jemand in Papieren blätterte. "Also etwas wäre hier. Ich lese das Protokoll: Um achtzehn 13

Uhr null null sprach persönlich eine Katze im Zustand beträchtlicher Er­ regung vor. Die Genannte sagte aus, ihr sei 1 Kätzchen abhanden gekommen, in Worten ein, und auf Befragen antwortete sie, es wäre ihr eigenes." Nun kann sich schon jeder denken, daß alles gut ausging. Aber es hätte über­ haupt nicht passieren müssen, wenn das Kätzchen gewußt hätte, wo es wohnt. Erinnert euch, was der Besen gesagt hatte: "Willst du nach Haus und weiß nicht wie - vergiß nur die Adres�e nie. "

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EIN RÄTSELHAFTER FALL Aus der Zuckerdose verschwand Zucker. Nach dem Frühstück machte sie immer noch ein kleines Nickerchen. Nach dem Frühstück braucht niemand mehr Zucker. Sie machte gern ein Nickerchen, denn eine Zuckerdose hat lauter süße Träume. Wie sollte sie auch keine süßen Träume haben, wenn sie doch voller Zucker ist. Sobald sie jedoch erwachte, stellte sie fest, daß der Zucker weniger geworden war. Als das schon einige Tage 8'0 ge­ gangen war, vertraute sie sich dem Kaffeelöffel an. " Na so was! " sagte der Kaffeelöffel. " Da muß ich aber aufpassen. Ich bin ganz aus Silber. Wenn mich jemand stehlen würde, das wäre erst ein Verlust! " " Du bist gut", sagte die Zuckerdose, "du hast nur um dich selbst Angst." Der Kaffeelöffel erzählte die Neuigkeit 15

jedoch weiter, und sofort wußten alle, daß im Haus in der Sonnengasse ein Dieb war. Stellt euch vor, ein Dieb! "Ich denk mir, das ist der Pflaumen­ muslöffel", sagte der Topf, "der möchte immerzu was Süßes naschen. " l "Verdächtige du bloß keinenl , sagte der Topfdeckel zu ihm. "Ich weiß genau, daß du den Löffel nicht leiden kannst." " Natürlich nicht. Er rührt in mir und rührt, wenn Mus gekocht wird, bis mein Bauch davon weh tut. Ich sage dir, den Zucker klaut der Löffel", entgegnete der Topf. " Die Angelegenheit muß zuerst ord­ nungsgemäß untersucht werden" , sagte der Deckel, und alle gaben ihm recht. Sie riefen Detektiv Lupe und vertrauten ihm die Untersuchung des Falles an. Detektiv Lupe hatte ein großes ge­ wölbtes Glasauge, durch das er alles gut sah. Er sah mit diesem Auge jedes 17

Stäubchen und jedes Krümelchen, das alle anderen übersehen würden. Detektiv Lupe sah die winzigste Spur. "Ich begebe mich zum Tatort", sagte Detektiv Lupe, und jeder erkannte sofort, daß sie den Fall einem wirklichen Fach­ mann anvertraut hatten. Detektiv Lupe ging rund um die Zuckerdose und be­ trachtete sich alles mit seinem großen Glasauge. Als er um die Zuckerdose herum war, blieb er stehen und sagte: "Ha! " Alle erstarrten. Er hat ihn! dachte jeder. Detektiv Lupe sprang auf die Zuckerdose, blickte in sie hinein, blickte durch ihren Henkel und sagte: "Ha! Keine Spur. Das ist ein rätselhafter Fall! " " Sieh mal an, ein rätselhafter Fall! " flüsterte man ringsum. "Ist irgendein Zeuge unter euch?" fragte Detektiv Lupe dann und blickte jedem in die Augen. Der Topf schob sich nach 18

vorn und sagte: "Herr Detektiv, das war der Pflaumenmuslöffel. " " Das ist nicht wahr! " rief der Löffel. " Frau Löffel, stören Sie die Unter­ suchung nicht! " ermahnte sie der De­ tektiv. "Und Sie, Zeuge Topf, machen Sie' Ihre Aussage. Welche Beweise haben Sie?" " Der Löffel hat schrecklich gern Süßig­ keiten", sagte der Topf und blickte trium­ phierend in die Runde. " Das ist kein Beweis" , sagte Detektiv Lupe. "Ich eß auch gern was Süßes, beispielsweise Mürbchen." Damit endete die Untersuchung. Allen gefiel es zwar, wie der Detektiv den Verleumder Topf zurückgewiesen hatte, aber ansonsten waren alle enttäuscht. War das etwa eine richtige Unter­ suchung? Als die Nacht hereinbrach und alle schon schliefen, ertönte von der Zuckerdose 19

her ein Scheppern, und auf einmal hallte es dreimal laut durch die Nacht: "Hat­ schi! Hatschi! Hatschi! " Das ganze Haus war im Nu wach, aber alle zogen vor Angst den Kopf ein. Dafür hatte der Kronleuchter überhaupt keine Angst. Der Kronleuchter hängt oben an der Decke, an den kann keiner ran. Er ließ gleich alle Glühbirnen aufleuchten, die er hatte, und was sah er da: Neben der Zuckerdose steht bis zu den Knöcheln im Pfeffer Detektiv Lupe selbst und niest und niest, bis seine Nase rot wird und Tränen aus dem großen Glasauge rin­ nen. Detektiv Lupe wollte im Dunkeln dem Dieb auflauern. Er hatte Pfeffer um die Zuckerdose herum gestreut, damit der Dieb seine Spuren darin abdrückte, und so war es ausgegangen. In dieser Nacht geschah nichts mehr. Am Morgen nach dem Frühstück machte die Zuckerdose wieder ein Nickerchen, und 20

als sie aufwachte, ob ihr's glaubt oder nicht, war der Zucker weniger gewor­ den. "Ha! " sagte Detektiv Lupe. " Das ist ein rätselhafter Fall, ein höchst rätsel­ " hafter Fall! Alle lachten ihn jedoch nur aus, und deshalb verdrückte er sich lie­ ber. Von da an sah ihn keiner mehr. Der Tag verging, wieder verging'eine Nacht, das Frühstück war vorbei, und die Zuk­ kerdose machte gerade ein Nickerchen. Aus dem Garten flog eine Wespe herbei, steuerte direkt in die Zuckerdose hinein und schleckte und schleckte. Da tauchte aus dem Zucker ein riesiges Glasauge auf. Die Wespe erschrak furchtbar, und vor lauter Schreck stach sie zu, Detektiv Lupe hielt sich seine Nase und schrie: "Ha! Im Namen des Gesetzes, du bist verhaftet! " Aber die Wespe war über alle Berge. Dafür war der räts�lhafte Fall von Detektiv Lupe abgeschlossen. 22

Eigentlich noch nicht. Dem ruhmreichen Detektiv Lupe schwoll die Nase nach dem Stich so an, daß er nicht aus der Zuckerdose heraus konnte und zwei Tage im Zucker warten mußte, bis ihm die Nase wieder abschwoll.

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WIE DER SPATEN IM FR ÜHJAHR FERIEN MACHTE Im Garten des Hauses in der Son­ nengasse war Frühling. Die Hacke ging vom frühen Morgen an von Beet zu Beet und lockerte den Boden auf. Der Rechen harkte das vorjährige Laub vom Rasen, und die Schubkarre brachte den Azaleen Torfmull und den Beeten Dung. Nur der Spaten zeigte sich nicht im Garten. Das bemerkte jedoch keiner, denn jeder steckte bis über die Ohren in der Arbeit. Abends erzählten sie sich dann im Ge­ räteschuppen, wer was gemacht und was wer erlebt hatte. "Ich sage euch, ich bin heute wie zer­ schlagen" , sagte die Hacke und streckte ihren Rücken, "allen Tulpen hab ich heute den Boden aufgelockert. " " Die Tulpen haben dich ja auch gelobt" , sagte der Rechen, "und erzählt, daß sie 24

dafür rot, gelb und weiß blühen für dich, ganz wie du möchtest." " Das haben die Tulpen gesagt? " fragte die Hacke und war sehr stolz darauf. "Ja", bestätigte der Rechen, "und die Azaleen lassen der Schubkarre ausrich­ ten, sie soll sich für den Torfmull eine Farbe aussuchen, in der sie blühen sol­ len." Natürlich schmeichelte so etwas der Schubkarre, und sie wurde ganz ver­ legen. Vor lauter Verlegenheit quietschte sie mit ihrem Rad: "Wenn ich mir also aussuchen dürfte, würde ich um Rosa bitten. Wißt ihr, Rosa ist zart, das hab ich gern. " "Tu bloß nicht so", sagte der Spaten mit rostiger Stimme, " schölJe fettige Vase­ line, die hast du am liebsten." "Vaseline braucht sie, damit ihr Rad nicht quietscht, daß du's weißt", sagte darauf der Rechen, "aber Farbe ist für die 25

Schönheit, und Rosa ist eine schöne Farbe." "Wozu denn Schönheit für so einen Dick­ wanst. Ich könnte mir dagegen eine Farbe aussuchen. Seht nur, wie schlank und elegant ich bin! " ". . . und rostig" , sagte der Rechen, und alle lachten. "Was hast du eigentlich den ganzen Tag gemacht? Im Garten hab ich dich über­ haupt nicht gesehen", sagte die Hacke. "Ich hab Ferien", verkündete der Spa­ ten. " Ferien? Jetzt im Frühjahr, wenn im Garten soviel Arbeit ist?" wunderte sich die Hacke, und auch der Rechen und die Schubkarre wunderten sich. " Ferien hattest du den ganzen Winter", sagte die Hacke noch. " Die Bienen haben erzählt, daß ,die Bäume keine Blüten angesetzt haben, weil sie nicht atmen können, so fest 27

ist der Boden. Und wer wird ihnen den Boden auflockern?" fragte der Re­ chen. ,,5011 doch lockern, wer will, ich hab Ferien." Als der Spaten das gesagt hatte, blickte die Hacke den Rechen an, der Rechen die Schubkarre und die Schubkarre wieder die Hacke, aber den Spaten blickten sie nicht an. Sie steckten die Köpfe zusam­ men und flüsterten miteinander. "Was redet ihr denn da? " wollte der Spaten wissen, aber keiner antwortete ihm. Schlechtigkeiten" , "HErimlichkeiten schrie der Spaten, und wieder beachtete ihn keiner. Nach der Flüsterberatung gingen sie auseinander. Nach einer Weile brachte die Hacke einen ganzen Armvoll über­ flüssiges Papier, der Rechen förderte aus dem Keller einen Haufen alte Lumpen 28

zutage, die Schubkarre lud sich alles auf und brachte es zur Sammelstelle. In der Sammelstelle gab ihr Frau Lumpenkno­ chenschrott dafür Geld. Die Hacke und der Rechen warteten schon ungeduldig am Gartentor, um zu erfahren, was die Schubkarre erreicht hatte. Ich hab Geld! Viel Geld! " rief die Schub­ " karre, und ihr Rad quietschte vor Freude. Wieviel?" fragte die Hacke. " Viel. Mindestens sieben, wenn es nicht " sogar fünf sind! " sagte die Schubkarre stolz, und jeder merkte gleich, was für ein Rechner die Schubkarre war. "Warte, ich zähl es lieber selbst" , sagte die Hacke und zählte: " Ein Geldstück, noch ein Geldstück und noch ein Geld­ stück, das macht . . . das macht zusam­ men .. . zusammen und insgesamt . . . zuwenig! " 29

" "Zuwenig? Alle .wunderten sich und waren traurig. " " Für Eis genügt das bestimmt , sagte die Mülltonne, die hinterm Tor stand und genüßlich schmatzte. Für eine Mülltonne ist Eis ein seltener Leckerbissen, falls ihr das nicht wißt. Denn wer gibt einer Mülltonne schon Eis? " " Das Geld ist doch nicht für Eis , sagte die Schubkarre vorwurfsvoll. " "Und wofür denn, wenn nicht für Eis? wunderte sich die Mülltonne. " " Für einen neuen Spaten , sagte die Schubkarre. " " Eis ist besser als ein Spaten , entgeg­ nete die Mülltonne. "Und einen Spaten " haben wir doch sowieso schon. "Aber der hat sich in den Kopf gesetzt, Ferien zu machen, und will nicht um­ graben. Und wenn er den Bäumen nicht den Boden auflockert, können die Bäume nicht atmen, dann gibt es kein Obst für 30

die Kinder", erklärten alle durcheinander der Mülltonne. "Das hätte ich nicht vom Spaten ge­ dacht", sagte die Mülltonne und gab ihnen gleich ein paar Knochen. Die Nach­ richt verbreitete sich schnell im ganzen Haus in der Sonnengasse, und jeder steuerte etwas zur Altstoffsammlung bei. Nach einer Weile war die Schubkarre voller Knochen, Papier und alter Lappen. Sogar der Hase aus dem Wald hinter dem Garten hörte davon und brachte seinen alten Winterpelz. Die Schubkarre schleppte ihre Last wieder zur Sammel­ stelle, und nun war es wirklich schon genug Geld. Als sie zurückkam, schritt neben ihr ein schöner neuer Spaten aus. Kaum hatte er sich im Garten umgese­ hen, lief er zu den Bäumen und begann unter ihnen den Boden umzugraben. Die Bäume seufzten vor Erleichterung ach! und setzten Blüten an. 32

Kaum sah das der alte verrostete Spaten, rannte er gleich herbei und schrie: "Was tust du hier? Das ist mein Garten, hier grabe ich um! " "Ich hab keine Zeit zum Reden", sagte der neue Spaten und beachtete ihn nicht mehr. Der alte Spaten erkannte, daß er nichts ausrichten konnte, und begann ebenfalls umzugraben, bis sein Stiel ächzte und der Rost abblätterte. Und so gruben beide um. Die Bäume blühten, und der Garten hüllte sich in Frühlingsdüfte. Seitdem redete sich der Spaten nie mehr mit Ferien heraus.

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WIE DIE MESSER UND GABELN FUSSBALL SPIELTEN Im Haus in der Sonnengasse bereitet sich ein bedeutendes sportliches Ereig­ nis vor. Im Fußball sollen der Verein SK Gabeln mit der Mannschaft Empor Mes­ ser aufeinandertreffen. Man erwartet eine niveauvolle Begegnung. Die Gabeln sind technisch auf der Höhe, wie sollten sie auch nicht, da jede drei Beine hat. Außerdem heißt es, sie seien in guter Kondition. Die Mannschaft der Messer wiederum besticht durch ihren Schneid, das sind scharfe Jungs. Als Ort der Begegnung wurde das größte Zimmer im Haus ausgewählt, da man mit 'Rekordzuschauerzahlen rechnete. Ge­ spielt wird auf dem geblümten Teppich, der zu diesem Zweck sorgfältig ab­ gesaugt wurde. Der Staubsauger ist nämlich ein großer Anhänger dieses 34

männlichen Sports, und er gab sich deshalb Mühe. Es ist wenige Augenblicke vor Spielbe­ ginn. Der Zuschauerraum ist gerammelt voll. Auf dem Fensterbrett haben sich die Töpfe niedergelassen und klappern un­ geduldig mit den Deckeln. Die Schöpf­ kellen haben sich an der Zentralheizung aufgehängt, das Fleischbrett macht es sich direkt hinter dem Tor bequem. Die Spieler beider Mannschaften sind schon in den Garderoben. Die Gabeln massieren sich die Beine, und die Messer geben ihrer Form noch den letzten Schliff. Soeben ertönte der Pfiff des Schieds­ richters, der beide Mannschaften auf das Spielfeld ruft. Als Schiedsrichter wurde der Schnellkochtopf aufgestellt, da er her­ vorragend pfeift. Der· Schnellkochtopf pfeift, daß man die Ohren anlegt. Und schon laufen die Spieler beider 35

Mannschaften aufs Spielfeld, begrüßt vom Applaus des zahlreichen Publikums, die Kapitäne schütteln dem Schieds­ richter die Hand und tauschen Ge­ schenke aus. Die Kapitäne losen, die Gabeln gewinnen und wählen das Tor am Kanapee. Die Gabeln werden also vom Kanapee zur Kredenz und die Mes­ ser umgekehrt spielen, von der Kredenz zum Kanapee. Der Ball in der Mitte des Spielfeldes, alles bereit, der Pfiff des Schiedsrichters und ... Achtung! Auf die Spielfläche läuft das Fleischbrett und rennt über das ganze Spielfeld zum anderen Tor. "Haltet ihn fest! Werft ihn raus!" schreien die Tribünen. Auch Schieds­ richter Schnellkochtopf läuft herbei, pfeift sehr laut und sagt streng: " Aus­ schluß! Fleischbrett, ich bestrafe dich mit Ausschluß aus dem SpieL" 36

"Von mir aus, ich spiele sowieso nicht", sagt da s Brett. " Du widersprichst also auch noch?" empört sich Schiedsrichter Schnell­ kochtopf. "Ich verweise dich vom Spielfeld, und außerdem schreib ich dich in mein Notizbuch, damit du's weißt!" Das Brett setzt sich zufrieden hinter das Tor der Messer, denn gerade dort möchte es sitzen, damit es sehen kann, wie die Bälle in das Netz der Messer flattern. Das Fleischbrett ist nämlich ein Fan von SK Gabeln, seit es von einem Messer geschnitten wurde, das unauf­ merksam Fleisch für Steaks geschnitten hatte. Nach diesem Zwischenfall beginnt das Spiel endlich. Es wird viel gefoult, aber sonst spielt man anständig. Der Mit­ telstürmer der Gabeln erhält soeben einen Steilpaß, dribbelt zum Tor des Gegners, umspielt einen Verteidiger, 37

umspielt mit einer technischen Finte den zweiten Verteidiger, und schon steht er allein vor dem Torwart. Eine kritische Situation! Wie löst sie der Torwart von Empor Messer? Ohr Er wirft sich dem Angreifer zu Füßen und beißt ihn in die Wade! Die Gefahr ist abgewendet, die gebissene Gabel auf dem Boden, der Torwart der Messer klopft ihr auf den Rücken - eine schöne sportliche Geste -, aber es hilft alles nichts, das gibt einen Strafstoß. Ja, schon holpert Schieds­ richter Schnellkochtopf herbei und weist auf die Elfmetermarke, wie wir vermutet hatten. Verehrte Sportfreunde, der Kam pf ist wirklich aufregend. Der rechte Verteidi­ ger von SK Gabeln, ein bekannter Scharfschütze, legt den Ball auf die gelbe Blume im Teppichmuster, von wo der Strafstoß geschossen wird. Der Zinken des Käm pfers ist gewaltig, und der Ball 38

rückt vor Angst ein wenig zur Seite. Der Spieler läuft los, ein herrlicher Schuß ins rechte obere Eck, und es ist ein Tor, ja, ein Tor, Freunde. "Tor! " donnert es auf den Tribünen. " Gabeln vor - noch ein Tor" , schreit das Fleischbrett erfreut. Das Team von SK Gabeln übernimmt also die Führung, aber der Kampf ist noch lange nicht zu Ende. Der Ball ist in der Mitte des Spielfelds, die Stürmer von Empor kom­ binieren ... ein schöner, unerwarteter Schuß von der Mitte des Spielfelds . . . und Tor, unglaublich, aber es ist . . . der Ausgleich! Es war ein Schuß wie aus dem Fußbaliesebuch. An diesem Tor trägt freilich der Hüter des Heiligtu�s von SK Gabeln die Schuld, der das Spiel nicht verfolgt hat und im entscheidenden Augenblick Autogramme an seine Ver­ ehrerinnen aus den Reihen der Kuchen­ gabeln verteilt hat. 39

Stand der Begegnung 1: 1, der Ball kommt erneut in die Mitte des Spielfelds zurück. Der Torwart stößt ihn kraftvoll ab, aber was ist das! Der Ball fliegt, über die Köpfe der Zuschauer hinweg, un­ aufhaltsam zum Fenster, verflixt noch mal, das ist eine Bescherung. Klirr, klirr, tausend Scherben, die Scheibe in tausend Stücke. Schiedsrichter Schnellkochtopf nimmt die Beine unter den Arm, die Messer, Gabeln, Töpfe und Deckel, alles flitzt in die Küche an seinen Platz im Küchen­ schrank. So endet die bedeutende sport­ liche Begegnung, und ich meine, daß das kein sportliches Verhalten ist, aber über­ haupt nicht. Wenn ich schon was an­ stelle, dann lauf ich doch nachher nicht weg.

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WIE DIE TASCHE VOM NEID GEHEILT WURDE Im Haus in der Sonnengasse war an diesem Tag vom frühen Morgen an alles ganz feucht und voller Dampf. Es war große Wäsche. Die Waschmaschine dröhnte, der Wäschekorb lief immerzu zwischen Haus und Garten hin und her, die Klammern hatten zu tun, um die schwere feuchte Wäsche auf der Leine zu halten, und die Wäscheleinen waren ge­ spannt wie Telegraphendrähte, dem Rei­ ßen nahe. Jeder hatte alle Hände voll zu tun. Nur die große Einkaufstasche tat nichts, aber überall mußte siedabeisein. Die Einkaufstasche geht das Waschen nichts an, und niemand hätte ihr Vor­ würfe gemacht, daß sie nicht beim Waschen half, sie sollte nur nicht im Wege stehen. Aber die Tasche war neugierig und spitzte überall die Ohren, 42

damit sie alles hörte und nichts ihr ent­ ging. Die Tasche hatte ja auch große Ohren. Sie war gerade dabei, als die Waschmaschine ein Hemd aus dem Wäschekorb nahm. Ach je, das Hemd hat sich mit Kakao " bekleckert", rief die Tasche schadenfroh, kaum daß sie auf dem Hemd einen großen Kakaofleck entdeckt hatte. Macht nichts" , sagte die Wasch­ " maschine, das wird ausgewaschen. " " Sie nahm das Hemd und wirbelte das Wasser auf, daß es herausspritzte und die Tasche ausgerechnet am Bauch naß wurde. Paß auf, du hast mich ganz ein­ " geweicht", sagte die Tasche. Meiner Meinung nach hat eine Tasche " am Haken zu hängen und zu warten, bis eingekauft wird", sagte die Wasch­ maschine und spritzte noch ein wenig heraus. Die Tasche machte hm" und " 43

ging ihren Bauch trocknen. So eine war die Tasche. Und das wäre noch nicht das Schlimmste, aber sie wollte auch alles haben, und was sie nicht hatte, neidete sie den anderen. Sie neidete der Vase die Nelke, den Nelken den Duft, der Glühlampe das Licht, dem Besen den Bart, dem Klavier die Lieder, und vielleicht beneidete sie auch die Mülltonne darum, daß sie zufrieden war, weil alle sie brauchten, um ihre Abfälle abzuladen. Als sie einkaufen war, da hat sie sich was zusammengekauft! "Ich will sieben Kaugummis, eine Mar­ zipantorte; dann eine Eistorte und Roll­ möpse", verlangte zum Beispiel die Ta­ sche. "Hör mal, dir wird sclllecht davon", sagten sie ihr im Laden. " Nein, ich eß das gern", sagte die Ta­ sche. 44

"Und solltest du kein Brot bringen, Milch, Käse und Obst? " wurde sie noch gefragt. "Sollte ich, aber dafür ist kein Platz mehr", erwiderte die Tasche. Natür­ lich war ihr danach schlecht, daß sie ganz grün wurde, und außerdem wur­ de sie ausgeschimpft, weil sie nicht das 'gebracht hatte, was sie bringen sollte. Ein anderl11al wieder erhielt die Vase frische Blumen. Sie wechselte gleich das Wasser, damit es den Blumen gut ging. Das waren Nelken, weiß wie der Schnee im Gebirge, rosa wie der Himmel, wenn die Sonne aufsteht, und rot wie das Herz, das die Kinder ihren Muttis auf die Glück­ wünsche zum Frauentag malen. Und sie dufteten im ganzen Haus in der Son­ nengasse. Als die Einkaufstasche die ' Nelken sah, wollte sie auch gleich wei­ che haben. 45

"Ich nehme eine weiße, eine rosa und eine rote ", und 'schon langte sie da­ nach. " Kommt nicht in Frage! " sagte das Klavier, auf dem die Vase stand, und stampfte auf, daß die Tasche erschrak. Aber sie erholte sich gleich wieder. "Wenn die Vase Nelken haben kann, will ich auch welche! " " Die Vase gibt den Blumen Wasser. Ohne Wasser würden sie verwelken ", sagte das Klavier. " Sie haben schon genug getrunken, jetzt -nehme ich sie mir ", sagte die Tasche und griff wieder nach den Nelken. Das Klavier wurde sehr böse und fiel vor Zorn mit allen Tasten über die Tasche her, so daß sie vor Angst weglief. Mit der Tasche war schwer auszukom­ men. Einmal jedoch mußte sie für ihren Neid büßen. Das war gerade an dem Tag, als im Haus in der Sonnengasse 46

große Wäsche war. Die Waschmaschine ruhte sich schon aus, der Wind hatte die Wäsche im Garten schon getrocknet, und der Korb brachte sie wieder herein. Das Bügeleisen bügelte das letzte Stück und sagte: Das Hemd fehlt mir noch. Wo " kann es nur sein? " Mein löchriger geflochtener Kopf! " Der " Wäschekorb erschrak. Das Hemd hab " ich vergessen. Es hängt noch im Garten. Ich hol es schnell. " Draußen pfeift der Wind, und es regnet. " Nimm den neuen warmen Schal, damit du dich nicht erkältest! " rief ihm das Bügeleisen nach. Das Hemd war schon ganz durchfroren. Der Korb nahm den neuen warmen Schal ab, wickelte das Hemd hinein, damit es sich aufwärmen konnte, und lief mit ihm ins Haus. Gleich in der Tür nieste er hatschi, hatschi.. Die Tasche sah den Schal. So etwas 48

kannte sie noch nicht. Sie fragte: "Was hast du da? " Der Korb wußte nicht, daß die Tasche nach dem Schal gefragt hatte, und sagte: "Ich hab eine schöne Grippe bekommen. Hatschi! " "Und wo? " fragte die Tasche. " "Im Garten , sagte der Wäschekorb, "hatschi! " " So was Schönes möchte ich auch " , ' beneidete ihn die Tas che. " Dann geh nur in den Garten bei diesem Mistwetter. " Die Tasche lief in den Garten und suchte in allen Ecken, sogar in der Hundehütte, aber sie fand nichts. " Du hast mich angeschwindelt. Im Gar­ ten ist keine Grippe, hatschi, hatschi", sagte die Tasche, als sie ganz naß und durchfroren zurückkam, und sie nieste hatschi, hatschi, hatschi. "Wieso nißht?! Du hast eine bildschöne 49

Grippe ", sagte der Korb, und alle lach­ ten. Und so bekam die Tasche, die alles haben mußte, schließlich auch eine or­ dentliche Grippe. Vielleicht hat das sie endlich geheilt.

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WIE DAS THERMOMETER DAS WETTER VORHERSAGTE Im Haus in der Sonnengasse war schon seit Jahren ein Thermometer am Fen­ ster, aber es war nicht gerade zuverläs­ sig. In der Frühjahrssonne schlief Opa Thermometer im Handumdrehn ein und zeigte die Temperatur nicht richtig an. Wenn es fror, hüllte es sich in eine Schneedecke, und die anderen konnten es gern haben. Niemand wußte, wiegroß der Frost war. Und dann gefroren bei­ spielsweise die Buchteln, wenn sie zum Abkühlen vors Fenster gestellt wurden, so hart wie Steine, mit denen man die Karlsbrücke pflastern könnte. Und nun stellt euch vor, im Frühling würden sie dann auftauen und die Touristen auf der Karlsbrücke im Pflaumenmus ver­ sinken. Kurzum, mit dem Thermometer war nichts anzufangen. 52

Es ist ja auch keine Kleinigkeit, immer in Regen und Frost draußen am Fenster zu hocken und sich mit den Händen am Rahmen festzuhalten. Es wurde zur Kur geschickt, damit es sich erholen und Kräfte sammeln konnte. Ins Haus in der Sonnengasse kam als Aushilfe das ganz neue, junge Thermometer Celsius. " Bin ich froh, daß du kommst. Ich fahre nun schön zur Kur, damit mein Rheuma " kuriert wird , sagte Opa Thermometer und kletterte vorsichtig am Fensterrah­ men hinunter. Celsius sprang an seinen Platz und zeigte gleich mit seinem sil­ bernen Stäbchen an, daß siebzehnein­ halb Grad· über Null waren. " "Also ich geh dann , sagte das alte Thermometer und schlurfte von dan­ nen. " " Geh nur , sagte das Thermometer Celsius und zeigte mit seinem Stäbchen genau auf achtzehn Grad, weil die Sonne 53

gerade wieder ein Stückehen höher ge­ krochen war. Celsius musterte den Himmel und sagte, daß es jeder im Haus und im Garten gut hören konnte: "Heute wird ein schöner Tag. Fenster öffnen, Wäsche aufhängen, Vögel, zwit­ schern! " " Der hat Ahnung, das merkt man gleich", sagte der Fensterwirbel und öff­ nete das Fenster, und der Korb lief mit der Wäsche in den Garten, und die Vögel Nur zwitscherten. Barometer das brummte: " Na so was, seit wann macht ein Thermometer Wettervorhersagen? Wo hast du denn das gelernt?" " Gelernt oder nicht, ich kann es. Ich kann noch ganz andere Sachen! " sagte das junge Thermometer, und es trat Stille ein, denn das Barometer antwortete nicht. Die Prahlerei ist wie eine heiße Kartoffel im Mund. Die kann man auch nicht auf 54

der Zunge behalten. Und so sagte das Thermometer Celsius nach einer Weile: "Wenn du möchtest, darfst du mich fragen, was ich alles kann. " "Wenn ich möchte, würde ich dich fra­ gen", entgegnete das Barometer, und weiter nichts. Und auch niemand anders sagte etwas. " Damit ihr es wißt, es wird immerzu schön sein, solange ich nichts anderes sage", verkündete das Thermometer Celsius sehr laut. Und es war schön bis zum Nachmittag. Nachmittags schwamm eine Wolke am Himmel, als würde irgendwo eine Dampflok qual­ men. "Achtung! Ende des schönen Wetters! Es wird regnen! " verkündete gleich das Thermometer Celsius, und der Fensterwirbel schloß das Fenster, und der Korb holte schnell die Wäsche aus dem Garten, und die Vögel hörten auf zu zwitschern. Das Barometer zeigte aber 56

immer noch auf klares, beständiges Wetter. "Ich sage, es wird regnen. An deiner Stelle würde ich die Vorhersage ändern", sagte das Thermometer zum Barometer. Aber das Barometer erwiderte darauf nichts. Und es regnete nicht. Die Wolke zog üb�r dem Haus an der Sonnengasse hinweg und ließ nicht einen Tropfen fallen. Es regnet nicht aus jeder Wolke; jedes Barometer weiß das gut. Der Fensterwirbel öffnete das Fenster wieder weit, der Korb begann wieder die Wäsche aufzuhängen, und die Vögel . . . Was war mit den Vögeln? Sie zwitscher­ ten. Das Thermometer schaute sich um, was wer dazu meinte, und sagte: " Da seid ihr aber froh, daß es nicht geregnet hat! Ich wußte das. Ich hab euch sowieso bloß mal geprüft. " 57

Kaum hatte es das gesagt, donnerte es mir nichts, dir nichts und aus heiterem Himmel über dem Garten. Es donnerte so laut, daß das Glas im Fenster klirrte, die Vögel verstummten, und es wurde so still, wie wenn ein Schulinspektor die Klasse betritt. Und dem Hemd, das im Garten zum Trocknen aufgehängt war, knüllte sich vor Schreck ein Ärmel zu­ sammen, und der Turnhose, die auch trocknete, flatterte der Hosenboden. " Gegege . . . Gewitter im Anzug! Alles unterstellen! " schrie das Thermometer entsetzt. Sein silbernes Stäbchen zitterte vor Aufregung wie der Schwanz einer Bachstelze. Alle rannten Hals über Kopf ins Haus, aber wißt ihr, daß gar kein Gewitter kam? Das Barometer hatte ja auch keinen Finger gekrümmt und zeigte immerzu auf schönes, klares Wetter. Über dem Haus in der Sonnengasse war nämlich 58

eine Düsenflugzeug mit Überschallge­ schwindigkeit hinweggeflogen, und hin­ ter ihm gab es einen Knall, als ob sieben� undsiebzig Papiertüten direkt am Ohr zer­ krachen. Und wie zum Trotz kam gegen Abend ein richtiges Gewitter. Das Barometer zeigte zwar mit dem Zeiger auf "stürmisch", aber niemand hatte das beachtet, weil sich alle schnell an die mündliche Mel­ dung über das Wetter gewöhnt hatten. Aber der Prophet Celsius traute sich nicht mehr, nachdem er sich mit seinen Vorhersagen zweimal hintereinander blamiert hatte. Das Gewitter stürmte in den Garten und rüttelte am Fenster, so daß sich das Thermometer Celsius nicht an ihm festhalten konnte und ins Zwie­ belbeet fiel. Der Wind jagte die Wäsche über den Rasen, und die Wäsche schlak­ kerte entsetzt, und die Singvogelschar wurde auf einmal zu einer Sumpfvogel59

schar, als es goß. " So eine Blamage", jammerte Celsius in den Zwiebeln und konnte kaum erwar­ ten, daß das alte Thermometer zurück­ kam. Celsius hatte eine Lehre erhalten, und bestimmt kümmert er sich jetzt um seine eigenen Angelegenheiten und mischt sich nicht in Dinge ein, in denen er sich nicht auskennt.

60

WIE DER FINGERHUT UND DIE STECKNADEL DAS AUSDENKSPIEL SPIELTEN Im Nähkasten lagen ein Fingerhut und eine Stecknadel. Sie langweilten sich, und deshalb wollten sie spielen. Im Nähkasten kann man nicht Fangen spie­ len, denn dort ist wenig Platz. Im Näh­ kasten kann man nicht mal Verstecken spielen, das versteht sich, dort kann man sich nirgends verstecken. "Was spielen wir denn aber nun?" fragte die Stecknadel. " Komm, wir spielen das Ausdenkspiel", schlug der Fingerhut vor. " Das Ausdenkspiel?" Die Stecknadel wunderte sich. "Wie spielt man denn das?" " Da denkt man sich einfach was aus" , sagte der Fingerhut und dachte sich eine gestreifte Giraffe aus. 62

"Unsinn", sagte die Stecknadel, "ge­ streift ist das Zebra, nicht die Giraffe. Dafür würdest du eine Fünf in Na­ turkunde bekommen. " "Da sieht man, daß du das Spiel über­ haupt nicht verstehst", entgegnete der Fingerhut. " Beim Ausdenken ist alles möglich. Beim Ausdenkspiel kann ich mir zum Beispiel auch einen gepunkteten General vorstellen." "Und was macht so ein gepunkteter General?" fragte die Stecknadel inter­ essiert. " Das mußt du dir eben ausdenken. Das ist ja gerade das Spiel. Vielleicht zählt er seine Punkte", erklärte der Fingerhut. "Und wieviel Punkte hat ein General?" wollte die Stecknadel wissen. "Fünf" , sagte der Fingerhut. "Nur fünf? Das scheint mir ein bißchen wenig für einen General", sagte die Stecknadel. " Ein gewöhnlicher Ma63

rienkäfer, der die Gardine entlangklettert, hat sieben, und das ist nur ein Marienkä­ fer. " Der Fingerhut merkte gleich, daß er zu wenig Punkte ausgedacht hatte. Er schnitt eine Grimasse und flüsterte ver­ traulich: " Er hat viel mehr. Aber die genaue Anzahl muß geheimgehalten werden, das ist ein militärisches Ge­ heimnis. Pst! Zu keinem einen Mucks! " "Jetzt ich wieder! " sagte die Stecknadel, denn das Spiel machte ihr langsam Spaß. "Ich denk mir aus . . . ich denk mir aus", wiederholte sie, denn ihr fiel nichts ein. "Ich denk immer noch aus, Fingerhut", sagte sie, als sie merkte, daß der Fin­ gerhut schon ungeduldig wurde. "Ich hab's schon: Ich hab mir ein Hotel für verlorengegangene Stecknadeln aus­ gedacht! Da guckst du, was! " 64

" Das ist doch nichts" , sagte der Finger­ hut. "Wieso denn nicht. Das ist gerade eine bedeutende Sache", verteidigte sich die Stecknadel. "Wenn eine Stecknadel im Teppich verschwindet, ist das ein größe­ res Unglück, als wenn ein Junge oder ein Mädchen auf dem Rummel verlo­ rengeht." " Das würde ich gar nicht-sagen, daß das ein größeres Unglück wäre", sagte der Fingerhut. "Ist es doch, damit du's weißt. Denn ein verlorengegangenes Mädchen oder einen verlorengegangenen Jungen fin­ det ein Organ der VP beziehungsweise ein Wachtmeister. Aber eine Stecknadel im Teppich findet man nicht so leicht, und eigentlich sucht sie auch keiner so richtig. Deshalb ist ein Hotel für ver­ �orengegangene Stecknadeln eine sehr notwendige Einrichtung. Ein Bad muß 65

auch drin sein, damit die Stecknadeln den Staub aus dem Teppich abduschen können. Die Stecknadel hätte gern genau be­ schrieben, was in so einem Hotel für verlorengegangene Stecknadeln alles sein müßte, aber der Fingerhut hatte schon wieder einen neuen Einfall im Kopf und konnte es kaum erwarten, daß er an die Reihe kam. Weil es beim Aus­ denken nicht darauf ankommt, was für einen großen Kopf einer hat, dachten der Fingerhut und die Stecknadel um die Wette aus, schön einer nach dem andern. Gerade war wieder die Stecknadel an der Reihe, und sie dachte sich so einen schrecklichen Bären aus, daß sie er­ schrak. Sie begann sogar zu weinen, so sehr fürchtete sie sich vor ihm. "Hör doch auf, wein nicht, der ist doch bloß ausgedacht", sagte der Finger­ hut. 66

" Das weiß ich. Aber ob der Bär weiß, daß er ausgedacht ist", antwortete die Steck­ nadel und weinte weiter. "Warte, wir fragen ihn", sagte der Fin­ gerhut schlau und fragte: " Bär, weißt du eigentlich, daß du ausgedacht bist?" " Nein" , sagte der Bär und leckte sich hungrig das Maul. Da braucht sich keiner zu wundern, daß nach dieser Antwort weder der Stecknadel noch dem Fingerhut zum Lachen zumute war. Sie berieten, be­ rieten, bis· der Fingerhut sagte: "Weißt du was, wir machen eine Probe: Steck­ nadel, stich ihn! " "Aber . . . " , sagte die Stecknadel, da sie Angst hatte vor dem Bären. " Stich ihn ruhig! Wenn ich stechen könnte, würde ich es selbst tun", mun­ terte sie der Fingerhut auf. Die Steck­ nadel stach also zu, und der Bär brüllte fürchterlich. 68

Es sieht also so aus, als sollten wi� uns nur Sachen ausdenken, denen wir ge­ wachsen sind. Damit wir nachher keine Angst haben. Damit wir ruhig schlafen können. Damit ihr jetzt ruhig schlafen könnt, erzählen wir uns noch, daß der Bär wirklich nur ausgedacht war.

69

INHALT 5

Ein Kätzchen hat sich angefunden

15

Ein rätselhafter Fall

24

Wie der Spaten im Frühjahr Ferien machte

34

Wie die Messer und Gabeln Fußball spielten

42

Wie die Tasche vom Neid geheilt wurde

52

Wie das Thermometer das Wetter vor.hersagte

62

Wie der Fingerhut und die Stecknadel das Ausdenkspiel spielten

1. Auflage 1982 © DER KINDERBUCHVERLAG © ZbVnik MalinskV Verlag Albatros, Praha 1978

BERLIN - DDR

1982

Orlginallllel: DOm va sluneenl ullcl

304-270/122/82-(401

lizenz-Nr.

Gesamtherstellung: Grafischer Großbetrieb Völkarfreundschafl Drasden lSV

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Für leser von Be8lell-Nr. DDR

1,75

M

an

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ab 6 J.

DIE KLEINEN TROMPETERBÜCHER Das Haus in der Sonnengasse steckt vol­ ler Überraschungen. Eines Abends, als. Löffel, Gabeln und Messer sich mit Ge­ schrei im Schubkasten ausrichten und die

Töpfe

klappernd

in

den

Schrank

kriechen, bittet ein Kätzchen um Einlaß. Es hat sich verlaufen, und der Kochlöffel ruft die Polizei zu Hilfe.

Ein andermal

verschwindet auf rätselhafte Weise Zuk­ ker. Auch die Einkaufstasche, das Ther­ mometer, der Fingerhut und viele an­ dere Bewohner des Hauses geben An­ laß zu Aufregungen. Zum Glück kommt stets alles wieder ins Lot.

DER KINDERBUCHVERLAG BERLIN

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