143 - Tina Entdeckt Das Meer

August 27, 2017 | Author: gottesvieh | Category: Nature
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Band 143

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(Inhalt: beide Geschichten vollkommen unpolitisch; - Tina entdeckt das Meer: Tina fährt zum ersten Mal ans Meer, entdeckt merkwürdige Steine und bekommt diesbezüglich Flausen in den Kopf gesetzt, die sie noch zu Schulzeiten beschäftigt - Wie Jana Geburtstag feiern wollte: Kurzgeschichte: Die große Schwester von Jana ist zum Kindergeburtstag eingeladen worden und nun fühlt sich Jana allein gelassen und vergessen. Ohne es zu wollen, holt sie ihre Schwester aus diesem Reigen wieder raus.) Für Leser von 7 Jahren an 1. Auflage 1980 Illustrationen von Regine Röder © Der Kinderbuchverlag Berlin

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TINA ENTDECKT DAS MEER Wie gern wollte Tina ans Meer! An keinen Ort der Welt wollte sie so gern! Sie kannte die Hügel und den kleinen See vorm Haus, die Bäume im Dorf, ein paar Straßen in der Stadt und die Straßenbahn. Doch immer wieder fragte sie: „Wo ist das Meer?“ In diesem Sommer sollte sie es zum ersten Mal sehen. Am letzten Schultag vor den Ferien drückte sie den Schulbusfahrer. Beim Aussteigen rief sie: „Ich fahre ans Meer!“ Der alte Busfahrer, der sie jeden Morgen abholte und sie jeden Abend brachte, lächelte. „Ich schick auch 'ne Karte“, sagte Tina. Die Mappe mit den Büchern und Heften stellte sie viel schneller als sonst neben den Schrank in die Ecke.

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Dann fuhr Tina mit ihren Eltern in einer Autoschlange die Fernverkehrsstraße in Richtung Norden. Zuerst waren zu beiden Seiten der Straße schattige Wälder, Dörfer und Seen und Felder. Je weiter sie kamen, desto mehr Wiesen breiteten sich aus. Der Himmel in dieser unbekannten Gegend schien höher zu sein und anders, blasser blau als der, den sie kannte. Im Fischerdorf am Bodden weideten Schafe auf einem Stück Wiese in der Nähe strohgedeckter Häuser. In einem der Häuser war alles für Tina und ihre Eltern vorbereitet: ein weiches, kühles Bett für jeden, ein Stuhl davor, eine Steingutschüssel zum Waschen und getupfte Mullgardinen vor dem blanken Fenster. Die Wirtin stand mit einer duftenden blauweiß gemusterten Schürze in der Tür. An den Ausschnitt ihres Kleides hatte sie sich eine Bernsteinspinne gesteckt, denn es

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war Sonntag, und sie wollte mit ihrem Mann, dem Fischer, und ihrem Sohn, dem Fischer, auf ein Bier in die gegenüberliegende Gaststube gehen. Über der Tür hing ein Spruch, und Tina buchstabierte: „Kumm, sett die dal, versök enmal!“ Die Eltern sagten: „Guten Tag!“ Frau Borgwart wischte sich die ohnehin sauberen Hände an der Schürze ab, bevor sie den Vater, die Mutter und Tina begrüßte: „Dach ook!“ „Wir wollen man noch kaltes Wasser mit hineinnehmen“, sagte sie und ging zum Brunnen und schob den hölzernen Deckel beiseite. Sie ließ den Eimer, der am Ende eines langen Stockes hing, hinab, bis er den Wasserspiegel erreichte. Der Eimer füllte sich mit dem Wasser, das der Brunnen gesammelt hatte. Tina stellte sich auf die Zehenspitzen und

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sah zu. Für einen Augenblick war sie die Marie, die der Spindel hinterherspringt. Und der Apfelbaum der Frau Borgwart, der im Garten zwischen gelben Rosen und gläsernen Kugeln stand, war ein Apfelbaum auf der Wiese tief unten im Brunnen. Und die Äpfel riefen: „Pflücke uns, pflücke uns, wir Äpfel sind alle miteinander reif!“ Der Hahn war auch da. Er saß auf dem steinernen Bogen über der Gartentür. Das Wasser roch nach Erde und Kühle und warf Tinas Bild zurück. Es sah aus, als ob sie tanzte und lachte, denn das Wasser bewegte sich. Das war so schön, und Tina vergaß: Das Wichtigste, das Eigentliche, das Meer kommt ja noch! Erst als die Eltern riefen, fiel ihr wieder ein: „Fahren wir jetzt ans Meer?“ Und sie rannte zurück, als sei der Sommer dazu gemacht, von einem Wunder ins nächste zu. fallen.

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Tina mußte mit ihren Eltern über eine lange Brücke fahren. Die führte über den Bodden, dieses kleine Meer mit den Segelbooten. Noch bevor sie die Brücke erreichten, zeigte die Ampel Rot, und sie mußten warten und warten. Die schmale hölzerne Brücke schwenkte aus, wie ein Arm, der sich langsam, sehr langsam zur Seite legen konnte, um die Boote durchzulassen. Als die Brücke endlich wieder eingezogen war, fuhren sie rumpelnd über die lockeren Bohlen. Und der Wärter und Ampelbediener stand neben seinem Häuschen und stippte mit der Hand an die Mütze, als wollte er jeden grüßen, der gemächlich über seine Brücke hinweg ans Meer fuhr. „Nur noch die Straße linksherum“, sagte der Vater, „dann sind wir am Meer.“ Die letzten Häuser trugen Namen. Tina buchstabierte wieder: „Haus Sonnenschein“ und lachte. „Seit wann wohnt die Sonne in einem Haus?“

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Sie staunte über die strohgedeckten Häuser und die Bäume am Straßenrand, deren Blätter vor Staub kaum zu erkennen waren. Das Meer lag hinter der Straße und den Dünen. Darauf wuchsen Hälmchen, die Tina nicht kannte. „Strandhafer“, sagte der Vater. Im Näherkommen hörte sie ein Rauschen, wie zu Hause, wenn über die Kiefern ein leichter Wind strich! Ein Sandweg führte über die Dünen. Dann sah Tina endlich das Meer. Es war gelb und blau und grün wie ein großes, sanftes Tier, das schlief und dabei schnaufte. Tina konnte nicht erkennen, wo das Meer aufhörte und der Himmel anfing. Es war anders als das Meer in ihrem Märchenbuch mit den Bildern vom Fischer und syner Fru, nicht so dunkelgrün und ohne Wellen mit Schaumkronen. Tina lief ans Wasser und gleich hinein. „Ist hier ein Trecker durchs Meer

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gefahren?“ rief sie und zeigte auf Spuren, die so aussahen wie daheim im Dorf auf dem Sandweg. „Das waren die Wellen“, sagte der Vater. Tina bückte sich, um Muscheln und Steine aufzuheben: gestreifte und rote, fast schwarze, manche mit einem Loch. Wenn sie die ans Licht hielt, konnte sie den Himmel sehen. „Was für sonderbare Steine“, rief sie. „Hühnergötter!“ sagte der Vater. „Sie bringen Glück“, sagte die Mutter. Was sollte Tina davon halten? „Glück?“ fragte sie. „Nimm nur die kleinen“, sagte die Mutter, „die kleinen bringen Glück.“ Tina hatte eben einen henkelkorbgroßen gefunden. Sollte sie den zurücklassen? Je größer ein Stein war, desto mehr Glück würde er wohl versprechen. Und sie wußte einen Platz für ihn. Sie wollte ihn zu Hause auf ihren Schrank stellen neben die

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Lieblingspuppen und die Bücher. Ausgerechnet diesen Stein sollte sie zurücklassen? Nein, Tina schleppte ihn schrittweise, setzte ihn wieder und wieder ab. Da kam hurtig das Meer, bedeckte ihn. Und die Welle sprang Tina bis ans Kinn. Einen Augenblick bekam sie vor Freude und Schreck gar keine Luft. Sie versuchte zu schwimmen und warf sich auf die Welle. Die war schon weggerollt. Die nächste kam und nahm Tinas kleinen, hastigen Atem mit fort. Es wollte nicht gelingen. Sie probierte lange, bis sie merkte, daß es ganz einfach ging. Man mußte nur ohne Angst sein und sich von Welle zu Welle tragen lassen. Als wollte man ausruhn auf dem Rücken des Meeres! Endlich schaffte Tina es, Das machte Spaß, immerzu Spaß.

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Er ist einfach nicht angetreten zum Kampf“, sagte der Väter abends und sah von der Zeitung hoch.. „Wer?“ fragten Mutter und Tina. „Dieser Ringer in Reykjavik.“ Tina hatte den Namen des Ortes noch nie gehört. Er gefiel ihr. Mit Ringern hatte sie wenig im Sinn. Das lag an Jochen, der in ihre Klasse ging. „Er hat gesagt, zur ersten Runde brauche er gar nicht erst anzutreten, den Kampf gewinne er sowieso“, sagte der Vater. „Und das geht?“ fragte die Mutter. „Nein, es ist unfair. Er muß antreten!“ Einen Kampf schenken? Tina dachte sich den großen unbekannten Ringer wie Jochen. Der saß neben dem Ofen in der hintersten Bank, setzte den Federhalter als letzter aufs Papier und war als erster fertig. Er wußte auch im Judo Bescheid. Und wer gut freund war mit ihm, hatte seinen Schutz.

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Tina probierte den Namen der Stadt, in der der Wettkampf stattfand: Reykjavik. Am Morgen fragte sie: „Wie heißt die fremde Stadt?“ Einen Augenblick wußten Vater und Mutter nicht, welche Stadt sie meinte. „Zieh dich an!“ sagte Vater. „Wir wollen wieder ans Meer!“ sagte Mutter. „Reykjavik“, sagte Tina. „Ja, es war Reykjavik.“ Sie wiederholte den Namen wieder und wieder und stellte dabei die Tassen und Teller auf den Frühstückstisch. Als die knusprigen Brötchen vom Bäcker aus dem Dorf kamen, wußte sie ihn sicher und für immer. Es regnete. Die grünen Pflaumen im Garten der Frau Borgwart zogen sich vor Kühle zusammen. Die Mutter suchte einen

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Schirm. Und als sie keinen fand, banden sie und Tina ein Kopftuch um und gingen ins Dorf zum Rat der Gemeinde. Dort konnte Tina Bücher ausleihen. Die Eltern mußten sich anmelden und sahen nach, ob sie Post hatten. Die Hähne ließen die Schwanzfedern hängen. Gänse, Schafe und Urlauber sahen aus, als seien sie zehn Tage lang durch den Regen spaziert. Tina fand es gemütlich im warmen Anorak und mit dem Tuch. Und als sie den Globus im Büro des Rates der Gemeinde sah, rief sie: „Die Welt! Guckt mal, da steht die Welt!“ Durchs Fenster kam der Geruch des Meeres und der der Kamille vom Dorfstraßenrand. Und neben dem Fenster, stand sichtbar und drehbar die Welt. Mit Hilfe der Mutter fand Tina Afrika, die Sowjetunion und den großen Hund, wie sie es nannte – die skandinavischen

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Länder. Sie wollte den Ort sehen, in dem sie waren, und den, aus dem sie kamen. Beide waren nicht zu finden. Tina war enttäuscht, entrüstet. Überall gab es Ansichtskarten, von diesem Ort – zum Kaufen und Schreiben und Wegschicken. Die Mutter sollte wenigstens ungefähr auf die Stelle der großen Erdkugel zeigen, wo das Land lag, in dem sie lebten. Wie winzig war es inmitten der anderen Länder der Erde! ,,Und nun will ich Reykjavik sehen“, forderte Tina. Es lag sehr entfernt auf einer Insel, die Island heißt. Ihrem Freund, so nannte sie den schwächeren Ringer im stillen für sich, mußte die Insel sehr klein erscheinen, wenn er an sein großes Heimatland dachte. Sie wollte ihm gern helfen, doch wie, wußte sie noch nicht. Vielleicht war es auf der Insel kälter oder viel wärmer, als es gut für ihn war.

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Der Regen störte Tina nicht, als sie später am Strand entlangliefen. Im Gegenteil: Es machte Spaß, immerzu Spaß, daß ein kräftiger Wind blies, gegen den sie alle Kraft brauchte. Wieder fand Tina Muscheln und Steine und sammelte die schönsten in ihr Tuch. Und wieder war ein ziemlich großer Stein dabei. Sie schleppte ihn nach Hause. Die kleinen, dachte sie, sind für ein gewöhnliches Glück, für alle Tage ... Vielleicht so: Die Brücke soll gerade ausschwenken, wenn wir kommen! Und sie stippte auf den allerkleinsten Stein. Die Brücke war ausgeschwenkt, als sie kamen. Und der Regen hörte auf zu regnen. Als Vater das Schachspiel vorholte, hatte Tina keine Lust. Sie wollte spielen: Ob die Steine Glück bringen? Wenn nun der schönste Stein, der zweitgrößte, dem Ringer in Reykjavik half, über diesen

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Angeber zu siegen? Mochte die Stadt, das Land noch so weit sein, verschickte die Post nicht Briefe und Pakete in jedes Land? Die Eltern lächelten. Tina wickelte Watte um den Stein, der rot und weiß gemasert und wirklich sehr schön war! Sie legte ihn in einen Schuhkarton und bat den Vater, ihn zu verschnüren. Der schrieb außerdem in großen Druckbuchstaben auf die Vorder- und die Rückseite: An den Weltmeister im Ringen! Reykjavik. Tina trug das Päckchen zur Post. Das Fräulein am Schalter lächelte, wie der Vater beim Einpacken gelächelt hatte, als sie das Päckchen auf die Waage legte. Ein Stein in ein fremdes Land, du liebe Güte! „Ein Hühnergott“, sagte Tina und hatte eine Falte auf der Stirn.

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Jeden Morgen fuhren sie über die lange Brücke ans Meer. Die Luft war kühl. Es roch nach Fisch und Salz. Tina sah in den Himmel. . „Hat mein Freund in Reykjavik seinen Kampf schon gewonnen?“ „Nein“, sagte der Vater. „Er muß viele Kämpfe bestehen, um zu gewinnen.“ „Zwölf?“ fragte Tina. „Soviel, wie wir noch Ferientage haben?“ „Ungefähr“, erwiderte der Vater. Und die Mutter sagte: „Außerdem ist dein Stein, der ihm bestimmt beistehen wird, noch nicht angekommen.“ Am Meer vergaß Tina den Ringer, die Steine, sich selbst. Sie rannte gegen den Wind an und gegen die Wellen und lachte. Und von den Steinen der Mole rettete sie ein Marienkäferchen. Wenn die frische Abendluft kam, fühlte Tina auf der Haut, wie die Sonne gebrannt hatte.

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„Genug für heute!“ rief Vater. „Oooch“, sagten Mutter und Tina. „Wir mögen noch nicht!“ „Es wird kalt“, sagte Vater. „Macht nichts!“ So waren sie nicht fortzukriegen, ehe sie mit vielen anderen andächtig zugeguckt hatten, wie sich die Sonne abends reckte und streckte, sich mit dem Meer bedeckte und verschwand. Still vor lauter Glück fuhren sie in ihr kleines Dorf am Bodden. Erst auf der Brücke sagte Tina: „Wir wollen morgen wieder ans Meer und nächstes Jahr und wieder und wieder...“ Am anderen Morgen lief sie wie zum ersten Mal ans Ufer. Und vor Freude und Erwartung klopfte ihr Herz. Wie unbändig groß und grün war das Meer. Und wieder hob es Tina auf seinen Rücken, und wieder brauchte sie alle Kraft, um so leicht

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zu sein, daß das Wasser sie schwimmend trug. Auf dem Kamm der höchsten Welle fühlte sie sich stark und glücklich. Wenn das Meer sanft und grau und schwer war, setzte sich Tina lieber ans Ufer, schlang die Arme um die Knie und lauschte, wie es gleichmütig, gewaltig rauschte. Manchmal dachte sie, wie das Meer wohl dort aussehen mochte, wo es die Insel Island umschließt mit der Stadt Reykjavik. Jeden Morgen sah das Meer anders aus. Und jeden Morgen entdeckte Tina es neu, bis der Regen, ohne aufzuhören, in die Bäume fiel und der Abschied gekommen war. Der See zu Hause schien noch kleiner geworden zu sein. Zottig wie eh und je wuchs der breite Gürtel aus Schilf, Gestrüpp und Erlen um ihn herum. Das Roggenfeld war abgemäht. Es schien auch winziger geworden zu sein.

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Während Mutter die Wohnungstür aufschloß, guckte Vater in die Zeitung. „Dieser Angeber, dieser verflixte Angeber“, rief er, „ist Sieger geworden.“ „Ist mein Stein etwa nicht angekommen?“ fragte Tina. Ihre Frage ging unter im Auspacken und Räumen. Wenn die Steine doch niemandem nützten und niemandem halfen, hätten sie bleiben können, wo sie hingehören – ins Meer, an den Strand. Tina schob ihre Steine weit hinten auf den Schrank. Sollten sie dort liegen und einstauben! Sie holte die Schulmappe hervor. Die war auch kleiner geworden, fast zu klein für all die neuen Bücher nach den Ferien! Morgens ging sie zum Schülerbus – langsam und mit gemessenen Schritten. Sie war schließlich nicht mehr klein.

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Und ein Begrüßungskuß für Horst, den. Busfahrer? Kein Gedanke! Sie stellte sich bloß einen halben Schritt hinter ihn und sagte: „Na? Ist die Karte angekommen?“ Sie war angekommen. Und Horst sagte: „Ja“ und „Danke.“ Tinas Sommersprossen wurden allmählich blasser, die Haare – wie üblich – länger. Und sie lernte Subjekt und Prädikat im Satz zu bestimmen. Freundin Ute war in die Stadt gezogen. Tina saß auf ihrer alten, gemeinsamen Bank und sah den Fleck, auf dem sonst Utes bunte Federtasche gelegen hatte und manchmal ihr Frühstücksapfel. Nun saß sie allein. Und für einen Augenblick war die Erde leer. Vor der Klasse stand eine neue und junge Lehrerin. „Ich bin Frau Diehl“, sagte sie

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und errötete. „Wir wollen gemeinsam lernen! Ich habe mich auf euch gefreut.“ „Ph“, sagte Jochen und lehnte sich zurück, daß die Bank krachte. Frau Diehl errötete wieder. „Wir müssen uns kennenlernen“, sagte sie. Die Mädchen rückten sich zurecht, und die Jungen machten es sich bequem. Sie legten die Arme auf den Tisch übereinander, als wollten sie sagen: Na, mal sehn, was du uns zu bieten hast! „Gleich dreimal Tina“, sagte Frau Diehl und sah sich in der Klasse um: „Christina, Martina ...“ „ ... und Kantina!“ echote Jochen. Danach war es still in der Klasse. Tina zog den Kopf ein. „Am besten wird sein, wenn du nicht mehr allein sitzt“, sagte Frau Diehl leise, aber bestimmt. „Dort ist noch Platz“, und sie zeigte auf den freien Platz neben Tina.

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Jochen sagte wieder: „Ph!“ und tippte mit dem Zeigerfinger an die Stirn. Er stand zögernd auf. „Tina, rück zur Seite!“ Tina war ärgerlich, fing Jochen schon wieder an. Immer brubbelte er dazwischen. Wozu weiterrutschen. Jochen stapfte auf den neuen Platz und ließ die Mappe laut plumpsen. „Ich will nicht neben 'nem Weib sitzen“, sagte er und krachte die Federtasche auf die Schreibfläche. Er brubbelte immer noch und funkelte zu Tina hinüber. „Mph“, sagte er. Tina schob die Hefte zurück, die Jochen so auf den Tisch geknallt hatte, daß sie auf ihren Platz gerutscht waren. Danach errichte Jochen eine Barrikade aus Heften und Büchern zwischen sich und seiner Nachbarin. Wie sollte Tina mit dem bloß fertig werden?

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Es wurde ein ganz und gar schwarzer Tag. Zu Hause schimpfte Mutter: „Die Steine auf dem Schrank liegen rum und stauben ein! Da muß ja aller Zauber abgehen! Schaff sie auf den Abhang, wenn du sie nicht mehr willst!“ Tina kletterte auf den Hocker und holte die Steine vom Schrank. Sie hielt sie in der Hand. Wegwerfen? Warum, hatte der Stein ihrem Freund, dem Ringer, kein Glück gebracht? Vielleicht war es wie mit den Nüssen. Unter vielen guten konnte unverhofft eine taube sein. Mochte der Stein ihr ein Glück bringen, für das sie noch keinen Namen wußte. Sie nahm alle Hühnergötter, die sie besaß, die großen und die kleinen, und brachte sie in ihre Lieblingsecke auf den Boden unters Dach. Sie legte sie zu den Postkarten, den getrockneten Seesternen und bunten Stoffresten. Einen Augenblick

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kauerte sie in der Ecke. Hier war es warm, und sie konnte den Wind hören. Die Kiefern rauschten, als seien sie das Meer. Durch das kleine Bodenfenster fiel Herbstlicht. Hatte der kleinste Stein sie nicht eben gerufen? Sie hob ihn auf, bis er warm wurde in ihrer Hand. Tina drehte ihn so lange, bis das Licht durch den Stein fiel, und sie flüsterte: „Reykjavik ... Er soll mir helfen, mit Jochen auszukommen!“ Abends sagte Tina: „Vor lauter Schule hat mich die Hexe in einen Goldfisch verwandelt. Heute mußt du mich rubbeln und schrubbeln, damit die Schuppen abgehen und ich wieder dein Kind werde. Einem Fisch helfen doch die Glückssteine nicht! Oder?“ Die Mutter lachte, ließ die Diktathefte liegen und erfüllte Tinas Wunsch. Die kletterte umständlich wie ein dick

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gepanzerter Käfer in die Wanne und ließ sich gefallen, daß die Mutter sie rubbelte und rubbelte. Sie zappelte dabei wie ein Fisch. Das Spiel war zu Ende, als Mutter mit dem Badetuch kam. „Jetzt bin ich wieder Tina und dein Kind“, sagte Tina und legte die nassen, warmen Arme um den Hals der Mutter. „Was hast du?“ fragte die Mutter. „Was hast du nur?“ Später in der blauen Küche am Tisch sagte Tina: „Ich muß neben Jochen, unserm Judojungen, sitzen. Jochen, der Igel.“ Die Äpfel dufteten. Die Mutter goß Tee ein. Vorm Haus saß Minka, die Katze. „Frau Diehl sagt: Ich soll mich mit Jochen vertragen. Ich will ja, wie bloß...“ Eine Fliege summte. Die Eltern hörten Tina zu und hatten sie lieb. „Jochen gebraucht Ausdrücke...“

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Der Vater sagte: „Wenn du nicht weißt, was du machen sollst, denke einfach: Was würde Vater jetzt machen?“ Tina sah auf seine Hände. Solche großen Hände müßte man haben, dachte sie. Und die Mutter lächelte: „Hab Vertrauen zu, dir, dann wirst du's schaffen. Manchmal hilft auch blinzeln ... Und nun trink noch ein bißchen Tee!“ Tina hob die Tasse und trank von dem warmen Tee. Sie atmete tief und fühlte sich wie ein wichtiger Mensch – wie im Sommer im Meer, als sie gegen die Wellen geschwommen war und sie besiegt hatte. Später lief sie ans Fenster. Der Wind toste, als käme er aus dem vergangenen Jahrhundert herangefegt und hätte die Weide von dorther mitgebracht und auch den Mond. Der sah so blank aus, als hätte ihn nie ein Mensch betreten.

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Tina drehte den kleinen Stein: Ein Auto müßte für sie allein die Straße herunterkommen! Ute könnte aussteigen und rufen: „Es war ja nur Spaß, alles nur Spaß mit dem Fortziehn!“ Sie könnte sich neben Tina stellen und ihre Locken schütteln. Bestimmt sagte sie dann: „Los, mach mal!“ Und Tina wäre wieder ein bißchen ärgerlich auf sie... Die große Schwester Steffi könnte kommen. Sie lernte in der Stadt und hatte einen Freund. So einen Freund als Bruder hätte Tina auch gern gehabt. Mit dem würde sie auf dem Eis herumtoben. Und wenn sie kalte Hände bekäme, bände er ihr die Schuhe zu. Sie würde sich nur ein einziges Mal im Leben, weil keinmal nicht geht, mit ihm streiten. Frau Borgwart mit der Bernsteinspinne im Ausschnitt könnte aussteigen mit ihrem Mann, dem Fischer, und ihrem Sohn, dem Fischer.

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Noch besser wäre es, ihr Freund, der Ringer, käme, hätte eine große Fellmütze auf dem Kopf. Doch es kam kein Auto die Chaussee herabgefahren. Ute ging längst in ihre neue Schule, und Steffi lernte in der Stadt. Und die Frau Borgwart mußte mit ihrem Mann, dem Fischer, und ihrem Sohn, dem Fischer, das Meer behüten. Ihr Freund, der Ringer, war längst wieder in seinem großen Heimatland. Wie sollte ein Stein – mochte er auch ein Glücksbringer sein – helfen! Noch bevor Tina am anderen Morgen die Mappe auspackte, legte sie den kleinen hellgrauen Stein an den oberen Rand genau in die Mitte der Bank. Ihr schien, er leuchte und schimmerte, daß man es von jedem Platz aus sehen konnte. Jochens kurzgeschnittenen Igelhaare

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sträubten sich, als läge er auf dem Sprung. Er rutschte auf seinem Sitz soweit nach vorn, bis er auf der Kante saß. „Das Bäumchen“, las Frau Diehl. Alle Kinder verfolgten mit dem Zeigefinger Zeile für Zeile, wie das Bäumchen wuchs, so wie's im Lesebuch geschrieben stand. Darüber staunten die Kinder und vergaßen ihr Wispern. Auf einmal schob Jochen seinen Zeigefinger über das Buch hinweg, die Bank entlang, bis in die Nähe des Steins. Er tippte auf ihn. „Laß“, flüsterte Tina. „Is'n das?“ „Siehst doch, ein Stein!“ „Ph!“ „Ein Hühnergott.“ Jochens Hand zuckte. Die Augen glänzten. Frau Diehl fragte: „Wie könnt ihr die Bäume schützen?“ Und sie sah Jochen

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an. Der stand auf, drückte die Knie zusammen, senkte den Kopf und blinzelte mit den Augen, wie die Stimmung der Lehrerin für ihn sei. Er sah: Die Stimmung war mäßig. Frau Diehl schimpfte ein bißchen und ließ ihn lesen. Und Jochen las. Vor manchem Wort brauchte er eine Pause. Dann berührte er wieder den Stein, als hätte der ihn während der ganzen Zeit beschäftigt. „Der hat ja'n Loch“, sagte er. Und er krächzte. „'n Hühnergott ...“, sagte Tina. „Man kann sich was wünschen...“ Jochen griff blitzschnell und endgültig nach dem Stein. „Oooch!“` „Nicht“, sagte Tina. „Nicht, das ist meiner!“ Doch Jochen kehrte ihr die Schulter zu

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und drehte den Stein so, daß das Licht hindurchfiel. Tina griff nach Jochens Hand und dem Stein. Sie erreichte ihn nicht. „Kann der auch fliegen?“ fragte Jochen und wog den Stein in der Hand. „Gib ihn her!“ forderte Tina. Sie krallte sich an Jochens Arm, um ihn herunterzuziehen. Doch Jochen war stärker als sie, und sie konnte sagen – sooft sie wollte: „Jochen! Hörst du, Jochen!“ „Mal sehn!“ rief Jochen, als sie den Arm wieder losließ. Er wollte den Stein durchs offenstehende Fenster in den blauen Herbsthimmel werfen. Doch der Stein traf Tina, die sich vor Jochen gestellt hatte und vor ihm hochgesprungen war. Der Stein war ihr Freund! Nun flog er hart gegen Tinas Stirn. Es dröhnte und brannte in ihrem Kopf. Als sie die Augen öffnete, war es still. Es roch nach Laub und Wasser und

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Kreidestaub. Zwei Hände legten sich um ihre Schultern, die Frau Diehl gehörten. Jochen sagte: „Na ja, wenn ihr Kopf auf einmal da war...“ Frau Diehl schob sie ins Zimmer der Sekretärin und sprach vom Nachhausebringen. „Wo ist mein Stein?“ fragte Tina. „Was für ein Stein?“ „Mein Hühnergott.“ Schon kamen Jod und Pflaster. Tina biß die Zähne zusammen, Vater sagte immer: „Ein bißchen Jod, das geht schnell vor bei.“ Wenn Tina nicht schlief, hörte sie die Kiefern rauschen, und im Halbschlaf träumte sie vom Meer, das dunkelgrün war und ohne Anfang und Ende. „Mutter, bring mir die Welt, bitte!“ bat Tina. „Du sollst dich nicht anstrengen.“

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„Nein“, sagte Tina, „bloß das Meer will ich sehn, unser Meer!“ Mutter stellte den Globus auf den Tisch und schob ihn an Tinas Bett. „Dort ist unser Meer!“ Sie tippte mit dem Finger auf die Ostsee. Das große Meer war klein, auf der Erde kaum zu erkennen, geschweige denn ihr sonniger Sommerplatz, das Fischerdorf und die Steine. Mit den Augen suchte sie: Reykjavik. Sie sah es und schlief wieder ein. Am dritten Tag kam Jochen. Die Mutter ließ ihn ins Zimmer. Er hielt Kopf und Augen gesenkt, selbst die igligen Haarstoppeln hatten sich gelegt. „Da“, sagte er und legte eine Pampelmuse neben den Globus, so groß, daß sie das ferne Südamerika berührte. Er blinzelte zu Tina und sagte: „Na ja...!“ „Ja“, sagte Tina. „Guck mal, das Meer!“

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„Kommst du bald wieder?“ fragte Jochen. „Übermorgen.“ „Und das ist nicht Spinne mit den Steinen? Ich meine, du kannst dir wirklich was wünschen?“ „Ich weiß nicht“, sagte Tina. „Spinne ist es nicht, aber alles geht nicht in Erfüllung.“ Jochen legte den Stein auf den Tisch. „Siege machen kann er, glaube ich, auch nicht...“ „Meinst du?“ sagte Jochen. „Vielleicht macht er stark!“ Dann stand er auf, drehte die Weltkugel, daß sie flog und Meer und Erde ineinanderflossen, so, wie es einst vor Menschengedenken gewesen sein mochte... Als der Winter kam und die Zeit der Wünsche, fror der See zu, und die Äste der Bäume knarrten.

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Das Eis sirrte, und das Eis lachte, und es lockte die Kinder. Oft kam Jochen zu Tina, die Schlittschuhe über die Schulter geworfen. Sie liefen hinaus, setzten sich auf den hölzernen Steg, zogen sich die Schlittschuhe an und tollten, bis die Gesichter brannten vor Eiseskälte und Hitze und Fröhlichsein. Sie liefen über die Seen. Und die Seen waren so unbändig wie das Meer. Einmal schwenkte Tina eine Karte. „Er hat geschrieben...“ „Wer?“ fragte Jochen mit überschlagender Stimme. „Er, der Ringer, hat aus seinem Heimatland geschrieben.“ Sie las, den Finger unter den fremden Worten, wie’s die Mutter übertragen: Ein glückliches neues Jahr, dein Freund ... Nun habe ich einen Freund in der weiten Welt ...

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Die Karte war sehr bunt, und auf dem Tannenbaum lag glitzernd eine Schicht aus Schnee oder Lametta. „Er hat mir Glück gebracht, der Stein“, rief Tina. „Komm!“ Sie zog Jochen durch den Hausflur, die Treppe hinauf bis auf den Boden in ihre Lieblingsecke. Sie holte ihre Steine, die dort vergessen und eingestaubt lagen, blies den Staub herunter und hielt einen nach dem anderen ans Bodenfenster, damit das Licht hindurchfallen konnte. Tina schob Jochens Kopf nahe heran: „Siehst du den Himmel?“ fragte sie. „Zeig mal!“ Jochen zwängte das Auge fest an den Stein und sah durch die Höhlung, die Sand und Wasser hineingewaschen hatten. „Der Himmel“, sagte er. Als hätte er ihn von der Erde aus noch nie gesehn. Aber dann, als schäme er sich, sagte er: „Is ja alles Spinne....“

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„Nein“, sagte Tina. „Nein, mußt ein bißchen dran glauben...“ Jochen nahm den Stein in beide Hände und hielt ihn lange. Kann sein, er dachte darüber nach, sowie früher Tina darüber nachgedacht hatte. Und die Kiefern rauschten, als seien sie das Meer.

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WIE JANA GEBURTSTAG FEIERN WOLLTE Ein kleines Mädchen war heute sehr traurig! Schwester Anne war zum Kindergeburtstag eingeladen worden. Viele Gäste sollten kommen. Auf der langen Kaffeetafel würden neun Kerzen stehen, soviel wie Jana zählen konnte: – sechs, sieben, acht, neun ... Und Jana sollte zu klein sein, um auch zum Geburtstag gehen zu dürfen? Oder haben sie mich etwa vergessen? dachte Jana. Sie drückte die Nase an die Fensterscheibe, als Anne fortging. Tränen liefen über ihr Gesicht. Sie sah nicht, wie die Meisen und der Buchfink ins Futterhaus kamen und der bunte Gimpel. Sie sah auch nicht, wie die Sonne die großen, schwarzen Wolken beiseite schob. Jana

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überlegte nur, wie sie auch zu diesem Geburtstagfest käme. Der Vater tröstete sie: „Bald haben deine Freunde Lutz und Andreas Geburtstag. Dann muß Anne zu Hause bleiben.“ Jana weinte. Und die Mutter tröstete sie: „Bald hast du selbst Geburtstag. Dann hast du Gäste.“ Für einen Augenblick hörte Jana auf zu weinen. „Dauert es noch lange, bis ich Geburtstag habe?“ fragte sie. „Der Schnee muß wegtauen und die Sonne schon am frühen Morgen scheinen und ...“ erwiderte die Mutter. Jana fing wieder an zu weinen: „Kann denn die Sonne nicht schon jetzt früh aufstehn?“ Mutter, Vater und Oma trösteten, aber Jana blieb traurig. Sie ging hinaus, um zu spielen. Den Schlitten ließ sie im Hausflur stehen. Die

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Freunde Lutz und Andreas riefen vergeblich: „Komm, Jana, wir gehen auf den Teufelsberg!“ Das Mädchen schlich immer wieder um das Haus herum, in dem das Geburtstagskind, Anne und die anderen Kinder feierten. Jana hörte sie lachen. Sie waren fröhlich! Warum sollten sie auch nicht? Und leuchteten nicht dort am Fenster Kerzen ... vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun ...? Und duftete der Kuchen nicht bis hierher auf die Straße? Drehte sich nicht im Zimmer die Platte mit ihrem Lieblingsmärchen? Gewiß! Der Bär brummte. „Mein lieber, lieber Bär“, seufzte Jana! „Schneeweißchen und Rosenrot.“ Immer fester drückte sie sich an die Hauswand. Jana weinte nicht mehr. Sie wußte jetzt genau: Irgendwer hatte nur vergessen, sie einzuladen. Bestimmt saßen die Gäste um den großen,

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geschmückten Tisch herum und warteten nur auf sie. Jana erschrak. Sie hatte doch gar kein Geschenk. Und sie suchte in ihren Taschen. Stöckchen, Steine und ein Taschentuch, nichts weiter kam zum Vorschein. Selbst die schönsten Stöckchen waren noch kein Blumenstrauß! Doch die kleinen, weißen Steine erschienen Jana kostbarer als alle Bonbons auf der Welt. Ob sie die dem Geburtstagskind schenken konnte? Es waren wirklich sehr schöne Steine, glattgewaschen und ganz weiß. Einige hatte Jana schon im vergangenen Sommer gefunden. Die anderen erst in den letzten großen Ferien am Meer. Noch keinen einzigen davon hatte sie vertauscht. Nicht mal Torsten hatte einen bekommen! Selbst zum Hopsespielen waren sie Jana zu schade gewesen. Das Geburtstagskind würde sich bestimmt

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freuen! Jana mußte sich nur beeilen, damit sie die Geburtstagsgesellschaft nicht noch länger warten ließ. Sie lief flink die Treppe hinauf. Vor der Tür bekam sie nun doch ein wenig Herzklopfen... Jana wartete und wartete. Aber niemand kam, um sie hereinzuholen. Die Kinder im Zimmer schienen zu spielen. Schlapp hat'n Hut verloren! Was soll er denn jetzt machen? Sie hörte Stimmen. Jana klopfte endlich an die Tür. Frau Schmidt kam und öffnete. „Guten Tag, Jana, was möchtest du?“ fragte sie. Jana hielt ihr die Steine entgegen. Aber Frau Schmidt sagte: „Paß auf! Wirf sie nicht herum! Steck sie wieder in deine Tasche! Und komm ein anderes Mal wieder!“ Sie war sehr freundlich. „Warte, hier hast du noch Schokoladenplätzchen! Und sie schob Jana einen Bonbon in den Mund. Jana stand einen Augenblick ganz still.

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Dann sagte sie schnell und leise: „Aber Anne, meine Anne soll nach Hause kommen!“ Frau Schmidt blickte sie zweifelnd an. „Ganz bestimmt“, sagte Jana hastig. „Mutter hat's gesagt. Anne soll nach Hause kommen!“ Plötzlich kam die ganze Geburtstagsgesellschaft an die Tür. „Wir sind doch noch mitten beim Feiern!“ rief das Geburtstagskind. „Mutter hat's aber gesagt“, beharrte Jana. Da wurde Anne traurig, und die anderen Gäste auch. Sie spielten und sangen nicht mehr. Und die Kerzen flackerten, ... fünf, sechs, sieben, acht, neun ... und wollten verlöschen. Jana ging langsam mit der Schwester die Treppe hinunter. Mit der einen Hand hielt sie die große Schwester fest und mit der

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anderen die Steinchen. Und sie war genauso traurig wie vorhin, als sie die Treppe allein hinaufgegangen war. Jana wußte aber nicht, woran es lag. Die Mutter, der Vater und die Oma zu Hause wurden auch traurig, als sie hörten, was geschehen war. Aber sie sagten nichts. Als Jana abends in ihrem Bett lag und schlief, hatte sie einen schönen Traum: Sie hat Geburtstag. Alle Kinder aus ihrem Haus sind ihre Gäste. Mit einem Schlitten, der von vier kleinen Pferden gezogen wird, holt Anne die Gäste ab: Lutz, Andreas, Hanne und die Nachbarskinder. Immer mehr Kinder finden Platz auf dem Schlitten, der zu wachsen scheint... Plötzlich ist der Schnee weg. Und sie sind auf einer grünen Wiese. Jana hat ein Körbchen, viele Schokoladenplätzchen, mit buntem Mohn bestreut, liegen darin.

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Ihre Freunde greifen danach ... Ein paar Plätzchen fallen auf die Wiese, sie werden zu Tausendschönchen ... Kennst du sie?

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