075 - Kathrins Donnerstag
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Band 75 (in der ersten Auflage noch Band 71)
Kathrins Donnerstag
Gotthold Gloger Für Leser von 7 Jahren an 1. Auflage 1970 Illustrationen von Gertrud Zucker © Der Kinderbuchverlag Berlin
Inhalt: eher unpolitisch gedacht; der Tag der 4jährigen Kathrin am Donnerstag, 13. März 1969
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In der alten Stadt Magdeburg gibt es eine neugebaute breite Geschäftsstraße, die so schön ist, daß sie nach dem ersten Präsidenten unserer Republik benannt wurde. Viele Leute kommen täglich in die WilhelmPieck-Straße, um in den Geschäften einzukaufen und die Hochhäuser zu bewundern. In einem der Hochhäuser, in einer Wohnung im fünften Stockwerk spielte am Donnerstag, dem dreizehnten März, eine Mutti mit ihrem Töchterchen. Kathrin war schon vier Jahre alt und hätte lieber draußen gespielt, wenn es nicht so bitter kalt gewesen wäre. „Kinnewippchen – rotes Lippchen”, sagte die Mutter und tippte ihrer Tochter auf die Nase, „Nasebohnchen – Augenbrauchen, Stirneschwanchen, und...“ – dann griff die Mutter Kathrin in die Tolle: „... ziep, ziep, mein Hahnchen.”
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„Aua!” rief Kathrin. „Hat’s weh getan?” fragte die Mutter. „Nein”, sagte Kathrin. „Du bist brav und tapfer”, lobte die Mutter. „Kathrin ist auch hübsch.” „Ja, du bist meine Hübscheste.” Kathrin ist auch immer artig.” „Manchmal”, schränkte die Mutter ein. Kathrin bestand darauf. „Brav, tapfer, hübsch und immer artig, o Mammi, mach noch mal Kinnewippchen – rotes Lippchen, Nasebohnchen – Augenbrauchen, Stirneschwanchen – und ziep, ziep, mein Hahnchen – aua!” rief Kathrin nun schon zum siebentenmal. Das Kinnewippchen-Spiel gefiel ihr so gut. Kathrin war erst vier Jahre und genauso verzweifelt wie die Mutter, daß dieser Winter gar nicht mehr aufhören wollte. Immer oben bleiben in der Wohnung. Wer sollte den vielen Schnee noch schön finden? Die
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Eisenbahnen blieben oft in den Schneewehen stecken. Auf den Landstraßen und Autobahnen schaufelten die Räumungstrupps Tag und Nacht. Auch auf den Straßen Magdeburgs schoben Riesenraupenfahrzeuge den Schnee zur Seite. Dabei zeigte der Kalender den März an. Um diese Jahreszeit blühten sonst schon die Schneeglöckchen und die Krokusse. Nichts war davon an diesem Donnerstag, dem dreizehnten März, zu sehen. Nur der Zweig Forsythien, den die Mutter vor einer Woche in die Vase gesteckt hatte, leuchtete gelb. Der stand ja auch neben der Zentralheizung. „Ich muß jetzt einkaufen gehn”, sagte die Mutter. Warum bringst du nie Milch in Tüten mit?” fragte Kathrin. „Milch in Tüten gibt es nicht”, sagte die
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Mutter, „die würde doch auslaufen, du Dummchen”. „Doch, es gibt Milch in Tüten!” „Höchstens Trockenmilch.” „Nein, die Tante im Kindergarten sagt, daß es Milch in Tüten gibt”, sagte Kathrin trotzig. Die Tante wußte alles. Die Mammi wußte auch alles, nur nicht, daß es Milch in Tüten gibt. „Pappi weiß auch, daß es Milch in Tüten gibt.” „Pappi kauft nicht ein. Der kann es gar. nicht wissen.” „Doch, er weiß es”, widersprach Kathrin, „und ich bin doll klug und brav und mutig und immer artig.” „Manchmal schon.” „Nein, immer. Sieh mal, Mammi, Flieger!” „Wo?” fragte Mammi. . „Dort oben”, sagte Kathrin und zeigte durchs Fenster, wo in der aufgerissenen Wolkendecke unvermutet der blaue Him
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mel sichtbar wurde. „Siehst die den weißen Strich?” fragte die Tochter ihre Mutter. Die Mutter strengte sich an. „Ja, ich sehe den weißen Strich.” „Noch einer, dort! Sieh, Mammi, es sind zwei, nein, drei Fliegen. Ganz oben fliegen sie.” „Ja, ja, nun ist’s gut, laß sie fliegen. Ich muß jetzt einkaufen gehn”, sagte die Mutter und ging in die Küche, um die Einkaufstasche zu holen. „Mammi, haben alle Flieger einen Bart?” „Wie kommst du darauf?“ fragte die Mutter. Sie zog sich schon im Korridor den Mantel an. „Auf Pappis Foto hat der Kapitän auch einen Bart.” „Aber die Kapitäne fahren doch zur See, und Flieger fliegen durch die Luft.” „Pappi sagt, der Kapitän ist ein Held. Flieger sind auch Helden, stimmt’s?”
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„Ja, aber laß mich jetzt gehn. Du bleibst da und bist artig.” „Wenn alle Helden Bärte tragen, müssen es die Flieger auch.” „Hast du gehört, du sollst artig sein und nicht ans Fenster gehn”, mahnte die Mutter. „Jaja. Was ist eigentlich mehr, Kapitän oder Flieger?” wollte Kathrin wissen, aber die Mutter war schon im Treppenflur und hörte es nicht mehr, weil sie in den Fahrstuhl stieg und vom fünften Stockwerk ins Erdgeschoß fuhr. Dort befand sich auch der Laden, in dem sie einkaufen wollte. Inzwischen wollen wir von Igor Alexandrewitsch berichten, den Kathrin in den nächsten fünf Minuten kennenlernen wird. Ja, das ist eine unglaubliche Geschichte aber wahr ist sie doch. Der Flieger Igor Alexandrewitsch hatte den Rang eines Kapitäns der sowjetischen Luft-
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flotte erworben. Er gehörte zu den Abfangjägerpiloten, die die schnellsten und wendigsten Migs steuern, die es gibt. Hastdunichtgesehn – ssssst – und weg – so schnell können diese Maschinen fliegen. Für ihren Dienst müssen die Piloten täglich üben. Fest angeschnallt im großen Kreisel, wo sie herumgewirbelt werden wie die Kosmonauten. Mal sind sie oben und mal unten. Dabei müssen sie noch beobachten, ein Ziel anvisieren und schießen Kehren drehen, wenden und Loopings fliegen üben sie anschließend in der Luft. Jeden Tag und jede Nacht. Danach kommt das Fallschirmspringen. So oft sich ordentliche Kinder die Zähne putzen oder ihre Schuhe bürsten, so oft wurde Igor mit seinem Fallschirm hinauskatapultiert. Außerdem mußte er jeden Augenblick bereit sein, aufzusteigen, wenn das Einsatzkommando kam. „In die Maschinen!” hieß es dann, und
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Sekunden später donnerte Igor in seinem Flugzeug davon. Aber an diesem dreizehnten März flog Igor nicht. Er sprang auch nicht wie sonst mit dem Fallschirm ab und kreiselte auch nicht in der, Kreiselmaschine weil er zu einer ärztlichen Untersuchung nach Magdeburg bestellt worden war. Von Zeit zu Zeit werden nämlich alle Flieger untersucht, obgleich keiner von ihnen krank ist. Auch die Gesundheitspflege gehört zu ihrem Dienstprogramm. So verließ Igor an diesem Donnerstagmorgen den Flugplatz. Er meldete sich beim Kommandanten ab, sagte seiner Frau Olga Lebewohl und gab Natascha, seiner kleinen Tochter, einen Abschiedskuß. Mit ausgesprochener Unlust bestieg Igor, der zehnmal schneller als der Wind war, die langsame Eisenbahn, die während der Fahrt vor Anstrengung schnuffte und
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puffte, weil sie sich durch die Schneemassen auf der Strecke kämpfen mußte. Bestimmt bummelte die Bahn beträchtlich; aber so eine Kleinbahn ist schließlich kein D-Zug und noch viel weniger ein Düsenjäger. Gemächlich fahrend, sah Igor aus dem Abteilfenster auf die winterliche weiße Pracht. Er dachte an sein Zuhause in Charkow. Sicherlich lag dort auch noch so viel Schnee, und bei diesen Gedanken besserte seine Laune sich zusehends. Als der Zug einmal hielt, weil das Schneeschippkom mando erst die Strecke frei machen mußte fing der Pilot an, laut zu lachen. So komisch fand er diese Schneckengeschwindigkeit. Nein. Vor dem Arzt und der klinischen Untersuchung hatte Igor keine Angst. Schon oft hatte er diese harmlosen Belästigungen über sich ergehen lassen müssen. Im Gegenteil, es machte ihm geradezu
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Spaß, wenn die Schwester und der Assistent an seinem Körper viele feine Drähte mit Heftpflaster anklebten und die Apparate anschlossen. Als der elektrische Strom eingeschaltet wurde, ruhten seine Augen auf den Meßgeräten. „Wieviel bringe ich diesmal, Herr Doktor?” fragte Igor. „Hundertzwanzig oder hundertfünfundzwanzig?” Der Arzt war überaus zufrieden mit dem Ergebnis der Untersuchung. „Besser, viel besser”, meinte er. „Was, hundertsechzig?” rief Igor erfreut. Die Schwester lächelte der Assistent lächelte der Arzt lächelte auch – und Igor? Na, der wußte doch am besten, was für ein gesundes Herz er hatte. „Es ist alles in Ordnung, Genosse Kapitän”, sagte der Arzt und gab der Schwester das Zeichen, daß die Untersuchung beendet war.
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„Jetzt wird es ein bißchen weh tun, Genosse Kapitän”, sagte die Schwester, bevor sie die Heftpflaster abriß, die die Drähte festhielten und sich an die feinen Körperhärchen geklebt hatten. „Aua!” rief Igor. „Jetzt schreit unser Held so, als würde ihm der Kopf abgerissen”, spottete der Assistent. „Ich möchte nicht erleben, wie Sie schreien, wenn ich Ihnen das Pflaster abreiße, Herr Assistent”, sagte die Schwester, die den Fliegerkapitän mochte. „Sie können sich jetzt anziehn, Genosse Alexejewitsch”, meinte sie und ging spöttisch lächelnd am Assistenten vorbei. Ausgezeichnet, dachte Igor, so eine kurze Untersuchung. Was aber sollte er mit der langen Zeit bis zur Abfahrt seines Zuges anfangen? Ich werde mich nach einem Mantel für Natascha umsehen, vielleicht
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auch eine Puppe für sie kaufen, überlegte er. Und da fiel ihm ein, daß Nataschenka sich schon lange einen Teddybären wünschte. Die Zweijährige konnte schon „Medwedj“ sagen. Das ist Russisch und heißt auf deutsch Bär oder Bärchen oder Puschelbär. Wo gab es aber in Magdeburg Medwedje? Wo konnte Igor einen Medwedj kaufen? Er spazierte eine der Hauptgeschäftsstraßen entlang und sah in den Schaufenstern Hüte, Lippenstifte, Haarwasser, Fahrräder, Waschpulver und Porzellantassen, ein ganzes Kaffeeservice für sechs Personen, aber keinen Medwedj. Sollte er jemand fragen? Fragen war für Igor schwierig, weil er kein Deutsch verstand. Wenn ich nur wüßte was Medwedj auf deutsch heißt, überlegte er. Ich kann doch nicht einfach brumbrum! machen, dachte er, dann erschrecken die Leute doch. Was blieb ihm
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übrig? Für sein Töchterchen wollte er wenigstens einen Versuch wagen. Igor wollte sich gerade an einen Passanten wenden, als der Schreckensschrei einer Frau die Aufmerksamkeit der Fußgänger erregte. Was war geschehn? Der Frau, die da aufgeschrien hatte, wäre beinahe ein Pantoffel auf den Kopf gefallen. Als sie nach oben schaute, bemerkte sie im fünften Stockwerk des Hochhauses ein Kind. Es hing am Fenstersims und versuchte sich festzuhalten. Jetzt schauten alle Umstehenden nach oben. Dort hielt sich das kleine Mädchen nur noch mit einem Händchen am Fenstersims fest. Im Dazustürzen riß Igor sich den Mantel vom Leib, wickelte ihn um seine Arme, damit er festhielt. Der Abfangjäger spannte
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das Tuch mit einer ans Fantastische grenzende Geistesgegenwart. Keinen Augenblick zu früh! Denn das verzweifelt kämpfende Kind hatte sich nicht mehr halten können. Es kam herabgesaust. Mit voller Wucht fiel es in den Mantel und riß dabei seinen Retter um. Obwohl alle Autos weiterfuhren, als wäre nichts geschehen, und obwohl auf der gegenüberliegenden Straßenseite die Fußgänger weitergingen, glaubten die wenigen Augenzeugen dieses unerhörten Vorfalls, daß in diesem Moment die Zeit stillstand. Kaum wagte einer zu atmen. Alle starrten auf den zusammengebrochenen Offizier und auf das Bündel in seinem Mantel, das neben ihm lag. Jeder befürchtete ein entsetzliches Unglück. Hören wir, was die Augenzeugen berichteten. Eine Frau sagte aus:
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„Also – an diesem Morgen wollte ich nur schnell graues Stopfgarn kaufen, bekam es aber nicht in der gewünschten Farbe. Als ich aus dem Laden trat, sah ich eine Frau, die sich die Hand vor den Mund hielt und irgend etwas schrie. Warum schreit sie so? fragte ich mich, und warum ist sie so aufgeregt? Da sehe ich oben, ich glaube, im fünften Stockwerk war’s, am Sims ein Kind stehen, nein, es hing mehr, als daß es stand. Da habe auch ich um Hilfe gerufen. Was sollte ich sonst machen? Plötzlich kam ein sowjetischer Soldat angeprescht. Er hat den Mantel zwischen den Armen ausgebreitet und genau aufgepaßt. Mein Gott, ich hätte nicht die Nerven gehabt. Alles ging so schnell, daß ich überhaupt nicht wahrnahm, wie das Kind fiel. Aber wie er es auffing, das konnte ich genau verfolgen. Der Soldat fiel vom Aufprall um, und der Mantel war über dem Kind zusammen-
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geschlagen. Das Kind war nicht zu sehen. Da bin ich gleich hinzugelaufen und habe den Mantel zurückgeschlagen. Das Mädchen sah mich an und weinte. ‘Tut dir was weh?’ habe ich gefragt. ,Nein, es tut mir nichts weh’, hat sie geantwortet. Da war ich beruhigt.” Als nächste meldete sich die Frau zum Wort, der beinahe der Pantoffel auf den Kopf gefallen wäre: „Als ich hier vorbeiging, fiel mir ein Pantoffel vor die Füße. Nanu, dachte ich, wer schmeißt denn hier Pantoffeln weg? Er sah doch noch ganz neu aus. Da habe ich hochgeguckt und habe gleich das Kind gesehn. ,Leute, helft!’ rief ich laut. ,Dort oben hängt ein Kind am Fenster!’ Als ich mich umdrehte, stand hinter mir ein sowjetischer Offizier. Der hat seine Mütze fortgeworfen und seine Tasche fallen lassen, hat sich den Mantel heruntergerissen und ihn gleich
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aufgespannt. Ich habe gedacht, jetzt muß das Kind gleich herunterfallen. Da habe ich mich umgedreht, denn so was kann ich nicht mit ansehn. Erst als alle aufschrien, drehte ich mich um und sah hin. Gott. sei Dank lebte das Kind noch.“ Ein älterer Herr sagte: „Ich wollte zum Versorgungskontor und anschließend zur Sparkasse. Dort macht der Schalter nämlich schon um zwölf zu. Deswegen hatte ich es eilig. Als ich an dem Unglückshaus vorbeirannte, hörte ich den Aufschrei. Alle, die in der Nähe standen, blickten aufs Dach. Ich sah zuerst nur die Antennen. Dann aber bemerkte auch ich das Furchtbare. Ein Kind in hoffnungsloser Lage. In diesem Augenblick schossen mir allerlei unbrauchbare Gedanken durch den Kopf. Eine Decke müßte man haben, dachte ich, oder gleich die Feuerwehr holen; aber dazu war es zu spät. Wie ab-
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wesend war ich beim Nachdenken, obwohl ich es doch eilig hatte, und ich sah auch gar nicht mehr zu dem Kind hin. Dann klatschte es vor mir auf. Das klang so, als fiele ein Sack herunter. Ich hörte nur, wie das Kind im Mantel weinte. Da ging ich zum sowjetischen Kapitän und sagte ihm auf russisch: ,Hören Sie? Es lebt noch!’ Der Kapitän sah mich dankbar an und fragte mich, was Medwedj auf deutsch heißt. ,Das heißt Bär', übersetzte ich, nicht ohne mich über seine unpassende Frage zu wundern. Anschließend bin ich gleich zur Sparkasse gelaufen, weil die doch früher schließt, und hinterher zum Versorgungskontor.” Ein als Gast in der Stadt Magdeburg weilender Mann sagte aus: „Ich bin nur zu Besuch hier. Ich bin Baufachmann und gehöre einer Delegation an, die die Neubauten Magdeburgs studieren soll. Da meine Studiengruppe die Hoch-
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häuser schon gestern besichtigt hatte, bummelte ich heute vormittag nur so daran vorbei. Als ich das Kind am Fenster hängen sah war ich so verdutzt, daß ich wie angewurzelt stehenblieb und nur sprachlos hinaufstarren konnte. Da schrie neben mir die Frau auf. Weil mir ihr Schreien so unvernünftig zu sein schien, bin ich sofort zu ihr gegangen und habe sie angebrüllt, sie solle aufhören! Das Kind würde davon doch nur erschreckt werden. Dann bin ich davongerannt und habe den Rettungswagen gerufen.” Eine Hausbewohnerin, die ebenfalls im fünften Stockwerk wohnt, erzählte: „Ich schaute zufällig aus dem Fenster und sah unten die Menschen auf der Straße stehen. Sie starrten herauf und machten verzweifelte Bewegungen. Ich überlegte, was die wohl von mir wollten. Da rief es neben mir: ,Mammi! Mammi!’ Erst jetzt be-
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merkte ich das Kind, das sich vergeblich mühte, wieder ins Fenster hineinzukrabbeln. Ich habe einen furchtbaren Schreck bekommen. Unten sah ich, wie ein sowjetischer Soldat unter das Fenster lief und seinen Mantel aufspannte. Mehr konnte ich nicht sehen, denn der Erker verdeckte mir die Sicht. Ich mußte immer auf das arme, hilflose Würmchen sehen, und wie es dann plötzlich losließ... nein... das war das schlimmste Erlebnis meines Lebens. Wie ich die fünf Treppen hinunterkam, weiß ich nicht mehr. Es ging alles so schnell.” Tante Lotte, die manchmal auf das Mädchen aufpaßte, wenn die Mammi fortging, sagte: „Solange Kathrin lebt, kenne ich sie schon. Sie ist ein überaus lebhaftes Kind, ja, und vor allem der Liebling ihrer Mammi. Als ich Kathrin oben am Fenstersims hängen sah,
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bin ich sofort in den Laden zurückgelaufen, wo ich eben ihre Mammi getroffen hatte. Laut rief ich nach ihr, aber sie mußte schon durch den Hinterausgang fortgegangen sein. Als ich zurückkam, lag die Kleine schon im Soldatenmantel. Da bin ich zu ihr gegangen und habe sie gestreichelt. ,Erkennst du mich, ich bin Tante Lotte’, hab ich sie gefragt, und Kathrin hat mich sofort erkannt. ,Tante Lotte’, hat sie gesagt, ,mein Bein tut gar nicht mehr weh.’ Da habe ich vorgeschlagen: ,Fahren wir schnell nach oben. Dort ist ein Telefon, und wir können den Krankenwagen rufen!’ Als wir im fünften Stockwerk anlangten, kamen auch bald die Träger.” Was Kathrins Mutter berichtete: „Nein, auf keinen Fall habe ich länger als fünf Minuten die Wohnung verlassen. Wahrscheinlich noch nicht so lange. Von allem hatte ich nichts gemerkt, weil ich den
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Hinterausgang benutzte. Erst als ich die Wohnungstür aufschloß und durch den Windzug merkte, daß ein Fenster aufstand, fuhr mir der Schreck in die Glieder. Ich habe mich nicht getraut, aus dem Fenster zu sehen. Immer noch hoffte ich, Kathrin habe sich irgendwo versteckt. ,Wo bist du?' habe ich gerufen, aber als sie nicht antwortete, habe ich endlich den Blick durchs offene Fenster gewagt. Ja, und als ich sie unten nicht liegen sah, glaubte ich sie würde hinuntergefallen, aufgestanden und weitergelaufen sein. Man hat in solchen Augenblicken wunderliche Ideen. So schnell wie möglich bin ich die Treppe hinuntergerast, und als ich unten ankam, zeigten die Leute nach oben. Also hastete ich wieder herauf, und da habe ich sie auf dem Sofa liegen sehn, und einen sowjetischen Soldaten sah ich auch noch und dachte: Wie kommt der zu uns nach oben?
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Kathrin hat geweint und dabei gesagt: ,Mammi, ich wollte doch nur zum Einkaufen mitkommen’, und wie sie das immer und immer wiederholte, waren auch schon die Krankenträger da, so daß ich mich um den sowjetischen Offizier gar nicht kümmern konnte. ,Tut dir was weh, Kathrin?’ fragte ich. ,Nein’, sagte Kathrin, ,mir tut nichts weh. Kathrin ist tapfer, sie wird auch immer gehorchen, sie weint auch nicht mehr.’ Wirklich hörte sie gleich mit dem Weinen auf. Aber alle fürchteten wir, daß sie innere Verletzungen erlitten habe. Deshalb bin ich mit ihr gleich ins Krankenhaus gefahren.” Die Ärzte standen schon bereit und nahmen das verunglückte Mädchen in Empfang. Sogar der Kommandeur der Feuerwehr hatte sich eingefunden, weil er noch nie davon gehört hatte, daß ein Mensch aus dem fünften Stockwerk fällt und dabei
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keinen Schaden nimmt. Es müßte schon ein Wunder geschehen sein. „Unmöglich. Wenn jemand aus zweiundzwanzig Meter Höhe herunterfällt, dann ist er tot”, behauptete der Feuerwehrmann. „Ein sowjetischer Flieger hat das Kind im Mantel aufgefangen”, berichtete die Mutter. „Trotzdem ist es unmöglich sagte der Feuerwehrmann. „Sehn Sie mal, gute Frau, durch jeden Meter Fall vervielfacht sich die Geschwindigkeit. Kein Mensch kann solchen herabsausenden Körper mit bloßen Armen auffangen, es sei denn, er läßt sich zu Mus quetschen. Wenn wir von der Feuerwehr mit sechs Männern das Sprungtuch hatten, dann ist es möglich, aus fünfzehn oder sechzehn Meter Höhe jemand lebend aufzufangen. Bedenken Sie: Für sechs Männer! Trotzdem gibt es dann noch, genügend Unfälle.”
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Kathrins Mutter konnte nur dabei bleiben, daß der sowjetische Offizier ihre Tochter aufgefangen habe. Das konnten viele Augenzeugen bestätigen. Inzwischen war Kathrins Vater telefonisch benachrichtigt worden. Die Nachricht war ein schwerer Schock Er verließ sofort seinen Arbeitsplatz und fuhr, das Schlimmste befürchtend, zur Unfallstation. „Ich will es auch gewiß nicht mehr tun!” rief ihm die Tochter entgegen, um seinen Vorwürfen zu entgehen. Kathrin wußte, der Pappi würde schimpfen. Der Unfallarzt stand vor einem Rätsel. Zunächst ließ er Kathrin vorsichtig aufstehn und herumlaufen. „Hast du irgendwo Schmerzen?” fragte er. „Nein.” Dann ließ der Arzt das Mädchen springen, den Rumpf beugen und Kobolz schießen. „Und jetzt?“
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„Keine Schmerzen”, sagte Kathrin. Der Feuerwehrmann kam aus dem Staunen nicht heraus. Der Chefarzt trat herein. Er hatte im Operationsraum von dem Unfall gehört; jetzt nahm er die anwesenden Ärzte beiseite und ließ sich Bericht erstatten. Als er hörte, daß keine Verletzungen festzustellen seien, schüttelte er ungläubig den Kopf. Er kniff die Augen zusammen und ging auf Kathrins Mutter zu. „Ist das ihr Kind?” „Ja”, sagte die Mammi und sah sehr verstört aus. „Sie heißt Kathrin, Herr Doktor”, ergänzte der Vater. „Schön”, sagte der Chefarzt und bemühte sich, ruhig zu bleiben. „Dieses Mädchen soll vom fünften Stockwerk, das sind rund zweiundzwanzig Meter, heruntergefallen sein?” fragte er, und seine Stimme hob sich vor Erregung.
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„Wir waren nicht dabei, aber die Augenzeugen bestätigen es”, sagte die Mutter. „Erzählen Sie mir keine Witze!” „Meine Frau erzählt keine Witze, Herr Doktor!” sagte der Vater ebenso laut und stellte sich schützend vor seine Frau. „Ein sowjetischer Flieger hat das Kind in seinem Mantel aufgefangen.” „Dann hätten Sie nicht Ihre Tochter, sondern ihren Retter ins Krankenhaus bringen müssen. Ist Ihnen klar, daß er sein Leben für ihre Tochter riskiert hat?” Da schwiegen beide Eltern verlegen. Wo war der sowjetische Flieger? In der Aufregung und vor allem in der Sorge um ihr Kind hatten sie nicht mehr an ihn gedacht. Wenn er nun wirklich, wie der Arzt sagte, einen Schaden davongetragen hatte? Während Kathrins Eltern und die Ärzte beratschlagten, wo sie den sowjetischen Offizier finden konnten, eilen wir flugs zurück 41
in die Wohnung von Kathrin, wo wir Igor mit Tante Lotte und den besorgten Nachbarn allein gelassenhaben. Nicht oft genug konnten sie dem Offizier danken. Das war ein Händeschütteln und Streicheln und Immer-wieder-Erklären, was für ein Held er sei. Da Igor jedoch kein Deutsch verstand, sagte er nur „nitschewo”. Nach einer Weile fiel ihm ein, daß er noch einen Medwedj für Natascha kaufen wollte. „Wo ist Bär? Wo ist Magazine” fragte er, aber keiner wußte, was er meinte. Die aufmerksame Tante Lotte sah, wie er sich das Handgelenk rieb. „Da kaputt?” fragte sie. Igor sagte nur: „Nitschewo”. Als er seinen Mantel vom Sofa nahm und gehen wollte, sah er, daß er schmutzig war, daß Nähte geplatzt und Knöpfe abgerissen waren. In solch einem Anzug durfte sich ein sowjetischer Kapitän nicht auf der Straße zeigen.
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Hier konnte er auf Tante Lotte rechnen. Erst bürstete sie seinen Mantel sauber, nähte die Naht neu und heftete Knöpfe an. Wenn es auch keine blanken Militärknöpfe waren, so sah Igor doch wenigstens ordentlich aus. Bevor Igor die Wohnung verließ, nötigte ihn Tante Lotte, die auch in den schwierigsten Momenten noch an alles dachte, seinen Namen und seine Adresse aufzuschreiben. Lächelnd schrieb Igor seinen Namen auf den Rand einer Modezeitschrift. Dann sagte er zu allen, daß er „auff Bahnhofff” müßte, und verabschiedete sich von jedem einzelnen mit „do swidania”. Überhaupt hatte er es plötzlich sehr eilig, denn sein Zug fuhr in etwa einer Stunde, und er wollte für Natascha doch noch einen Medwedj kaufen. Kurz nach seinem Aufbruch, rief Kathrins Vater aus dem Krankenhaus an. Er sagte
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Tante Lotte, daß die Ärzte noch keine Verletzung festgestellt hätten. Kathrin sei gesund und puppenlustig. Dann fragte er nach dem Flieger. „Er ist gerade gegangen”, sagte Tante Lotte. „Soweit ich verstanden habe, wollte er zum Bahnhof. Er hat seinen Namen und seine Adresse aufgeschrieben.” Lesen konnte die gute Tante die Schrift freilich nicht. Es war wenig genug, was Kathrins Pappi erfahren konnte. Wer den Offizier auf dem Bahnhof finden wollte, mußte ihn doch wenigstens einmal gesehen haben. Auch die Mammi konnte sich nicht mehr genau an ihn erinnern. Die einzige, die hier noch helfen konnte, war wieder einmal Tante Lotte. Sie hatte Kathrins Retter am längsten gesehn. Also fuhren Kathrins Eltern zunächst nach Hause. Ihre Tochter durfte nicht mitkommen. Für alle Fälle behielten
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die Ärzte sie zur Beobachtung weiter in der Klinik. Dem ersten Anschein trauten sie offensichtlich nicht. Es war ja möglich, daß sich später noch Schäden einstellten. Indessen ging Igor zum Bahnhof. Zwar hatte er für seine Natascha nun keinen Teddybären erwischt, aber dafür hatte er einem anderen Kind geholfen. So schien ihm sein Aufenthalt in Magdeburg nicht ganz nutzlos gewesen zu sein. Er dachte an die Leute in der Wohnung, wie sehr sie sich über den glücklichen Ausgang dieses Unglücks gefreut hatten. Die Deutschen konnten ja nicht wissen, wie nützlich ihm das Training, besonders das Fallschirmspringen, bei der Rettung des Kindes gewesen war. Ein anderer, unausgebildeter Retter. hätte sich nicht so geschickt fallen lassen können wie ein. Weniger stolz war Igor, wenn er an die unvorschriftsmäßigen Knöpfe dachte, die Tante Lotte ihm an den
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Uniformmantel genäht hatte. Es war dem Kapitän Igor Alexejewitsch außerordentlich peinlich, so herumzulaufen, und er hoffte nur, daß er unterwegs zum Bahnhof niemand treffen würde, dem diese Unkorrektheit auffiel. Er konnte sich doch nicht damit herausreden, daß. er ein Kind gerettet hatte. Wahrhaftig nicht. Mit den Zivilistenknöpfen an der Uniform würde er vielmehr die gesamte sowjetische Luftflotte lächerlich machen. Als ihm ein Trupp sowjetischer Pioniere entgegenkam, drehte er sich um und sah in ein Schaufenster. Vor lauter Aufpassen und Sichverstecken vergaß Igor sogar den Medwedj völlig. Er schlich zum Bahnhof, kaufte am Kiosk eine deutsche Zeitung und stieg in die Bimmelbahn. Als er sich setzte, tat er so, als würde er lesen – er konnte ja gar kein Deutsch –, in Wirklichkeit hielt er die Zeitung nur vor sich, um die falschen Knöpfe zu verdecken.
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Natürlich war seine Ängstlichkeit übertrieben. Seinen Abteilnachbarn fiel dieser Mangel gar nicht auf. Weder den beiden Bauersfrauen, die ihre prallgefüllten Einkaufstaschen auf dem Schoß festhielten, noch dem Eisenbahner, der sich in die Ecke des Abteils lehnte und schlief. Er kam von der Schicht und hatte bestimmt keinen Sinn für Fliegeruniformknöpfe. Kathrins Mutter und Vater waren inzwischen mit Tante Lotte auf dem Bahnhof angekommen. Allen voran lief der Vater. Er zog Tante Lotte hinter sich her. So überquerten sie einen Bahnsteig nach dem andern, bis sie an die abfahrtbereite Kleinbahn kamen, die Kathrins Vater sofort bestieg, um, gefolgt von Tante Lotte, die Abteile zu durchsuchen. Zweimal waren sie schon an Igor, der sich hinter seiner Zeitung versteckte, vorbeigekommen, ohne ihn zu erkennen. Tante Lotte wußte ja, daß er kein
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Deutsch verstand, also konnte er es auch nicht sein, der die deutsche Zeitung las. Als Igor seine Knopfannäherin erkannte, nahm er an, sie suche einen Platz. Höflich rückte er beiseite. „Hier Platz. Hier hinsetzen, Frau”, sagte er, und war sehr erstaunt, als Tante Lotte ihm um den Hals fiel. „Ich hab ihn! Hier ist er!” rief sie laut. Auf ihr Rufen eilten Mutti und Vati herbei. Tränen standen Kathrins Mutter in den Augen, als sie den Reisenden erzählte, wie der sowjetische Fliegerkapitän ihre Tochter vor dem sicheren Tode gerettet hatte. „Nitschewo! Nitschewo!” stotterte Igor verlegen. Erst als die beiden Bauersfrauen, die ihm gegenübersaßen, zu weinen anfingen, begriff er, daß er ein Held war und als solcher gefeiert werden sollte. Nun schämte er sich auch der falschen Knöpfe
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nicht mehr. Er ließ die Zeitung sinken und sich von Mammi umarmen. O nein, so ohne weiteres wollte Kathrins Vater den Retter seiner Tochter nicht fortfahren lassen. „Du hast uns zu den glücklichsten Eltern gemacht, Genosse Kapitän”, sagte er auf russisch. „Oder willst du unsere Dankbarkeit zurückweisen?” Sogar der Eisenbahner in seiner Ecke, dem durch die geräuschvolle Begrüßung gerade aufgewacht war, spürte die Bewegung in den Herzen der sich gegenüberstehenden Menschen. Jetzt wurde es still im Kleinbahnabteil. Alle Augen richteten sich auf den Offizier. Igor spürte deutlich, wie gerade diese Stille von der Wichtigkeit seiner Tat sprach. Es war, als wenn das Sowjetland dem Volk der DDR einen großen Dienst erwiesen hatte. „Du beschämst mich”, sagte Igor zu dem Deutschen. „Wie ich hätte wahrscheinlich
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jeder geholfen, der ein hilfloses Kind über dem Verderben schweben sah. Dank meiner Ausbildung konnte ich dem Kind helfen. Das war sein Glück, das Glück seiner Eltern, und es war auch mein Glück, weil ich helfen konnte.“ Draußen auf dem Bahnsteig rief der Schaffner: „Einsteigen und die Türen schließen!“ Der Fahrdienstleiter wollte schon den Signalstab heben, als aus dem vorletzten Wagen drei Personen ausstiegen, die einen- sowjetischen Offizier im Triumph mit sich führten. Mammi, Pappi und Tante Lotte nahmen Igor mit in die Unglückswohnung im fünften Stockwerk, die durch Igors mutiges Eingreifen an diesem ereignisreichen Donnerstag wieder zu einer Freudenwohnung geworden war. Während Kathrins Mammi etwas zu essen kochte, unterhielten sich die beiden Männer. Der Vater sprach von der Lebens-
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gefahr, in die Igor sich begeben hatte. „Kathrin hätte nur ein wenig anders zu fallen brauchen, Igor, dann hätte dich das Kind erschlagen. Wer weiß, ob es ein Spiel des Zufalls war? Auf jeden Fall haben wir Glück gehabt“, sagte er. An Zufall und Glück wollte Igor nicht glauben. „Im Jugendverband und auf der Fliegerschule haben wir gelernt, in Gefahr nicht an uns zu denken. Es gab ein geflügeltes Wort bei uns: Nicht dein Leben, das Leben deines Kameraden rette! Morgens, mittags und abends haben wir es gehört, und nun siehst du: Was wir einmal gelernt haben, das vergessen wir nicht“, sagte Igor und lachte dabei. Nach dem Essen zeigten die Eltern ihrem Besuch Kathrins Zimmer. Ein Malblock mit Buntstiften auf dem Tisch, ein Puppenwagen, und in der Ecke neben dem Bettchen lag ein großer gelber Teddybär.
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„Medwedj!” rief Igor entzückt und hob das. Stofftier auf. „Medwedj, das heißt auf deutsch Bar”, erklärte Kathrins Vati. Selig schloß der sowjetische Fliegerkapitän den Medwedj in die Arme. „Ich habe nämlich auch eine Tochter. Natascha heißt sie”, sagte Igor, „sie ist noch klein, erst zweieinhalb Jahre alt – aber ,Medwedj’ kann sie schon sagen. Eigentlich wollte ich ihr heute einen, wie sagt man deutsch, einen Bärrchen kaufen. Dazu kam es nicht, weil mir etwas dazwischengekommen ist.” Die Eltern sahen sich an. Mammi nickte. Auch Vati war einverstanden. „Nimm diesen Teddy für deine Natascha mit und sag ihr, er ist von Kathrin”, sagte die Mammi, und der Vati übersetzte es Igor. Igor wollte das Geschenk zuerst nicht annehmen. Er sträubte sich, weil er Kathrin nicht den Medwedj wegnehmen wollte.
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Kathrins Eltern bedrängten ihn aber so lange, bis er einwilligte. „Dafür werde ich Kathrin etwas anderes schenken, ich weiß schon, was”, sagte Igor. Aus seiner Brieftasche holte er einen Stapel Fotos. „Das ist Nataschenka, mein Liebling”, erklärte der stolze Vater, „und das ist Olga, meine Frau.” Ganz zuletzt zeigte er noch ein Foto, auf dem er selbst in Paradeuniform zu sehen war. „Diese Aufnahme würde Kathrin begeistern”, sagte die Mammi. „Eigentlich wollte ich Kathrin eine kleine Mig schenken, die ich selbst gebastelt habe”, sagte Igor. Schließlich kamen sie überein, daß eine Mig mehr ein Geschenk für einen Jungen war, das Foto aber eine bleibende Erinnerung an diesen denkwürdigen Donnerstag darstellte. Gut. Einverstanden. Sie tauschten die Ge-
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schenke aus. Für die kleine Natascha Jegorowna den Medwedj und für Kathrin das Foto von Igor in Paradeuniform. Auf die Rückseite des Bildes schrieb der Kapitän eine Widmung. Und dann begleiteten ihn Mammi und Vati zum Bahnhof. Zufrieden trug Igor den Teddy unterm Arm. Nun konnte er seiner Tochter doch noch etwas mitbringen. Auf dem Bahnhofsplatz erwartete sie eine Überraschung. Igor traf dort seinen Kommandeur. Allerdings ganz so zufällig, wie es zuerst schien, stand der Genosse Oberst nicht da. Die Kommandantur in Magdeburg hatte ihm schon von Igors großartiger Rettungstat berichtet. Woher aber wußte die Kommandantur davon? Die Ärzte von der Rettungsstation, besonders aber der Chefarzt, hatten darauf bestanden, diesen medizinisch so völlig unerklärlichen Fall den Militärbehörden anzuzeigen.
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Der Genosse Oberst gratulierte seinem Genossen Kapitän. Er drückte auch Kathrins Eltern die Hand und sprach ihnen seine Glückwünsche aus. „Ich hoffe, daß die Freundschaft zwischen beiden Familien auf ewig erhalten bleiben wird“, sagte er. Das wünschten sich Mammi und Vati auch. So endete Kathrins Donnerstag mit Freundschaftsbezeugungen und mit Einladungen, die beide Familien aussprachen. Sogar der Oberst lud Mammi, Vati und ihre Tochter zu einer erneuten Geburtstagsfeier in die Offiziersmesse ein. Ja, und die kleine, unfolgsame Hauptperson dieser Geschichte blieb noch ein paar Tage zur Beobachtung in der Unfallstation. Sosehr die Ärzte auch suchten, sie fanden keine Verletzung: So sicher hatte der Abfangjägerkapitän Kathrin aufgefangen. Als die Mammi Kathrin das Bild von Igor
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brachte, konnte das Mädchen ganz deutlich erkennen, daß nicht alle Kapitäne, Piloten und sonstige Helden Bärte tragen. „Was hat Igor auf die Rückseite geschrieben?” fragte Kathrin. Die Mammi konnte nicht lesen, was Igor auf russisch geschrieben hatte. Aber Vati übersetzte später die Widmung. „Liebe Kathrin! Du darfst Deinen Eltern keinen Kummer mehr machen. Wenn Du das beherzigst, wird es Dir im Leben immer wohl ergehen. Dein Freund Igor.” Wie schön. Das war ja fast ein langer Brief, und Kathrin fand nun ein viel besseres Spiel als das langweilige „Kinnewippchen – rotes Lippchen”. Sie fragte wieder und wieder, was ihr großer Freund Igor auf das Foto geschrieben hatte. Sie fragte so oft, daß sie die Widmung schließlich auswendig hersagen konnte. Am Schluß sagte sie dann immer: „MEIN FREUND IGOR.”
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