056 - Bomme Und Sein Friedensfahrer

August 27, 2017 | Author: gottesvieh | Category: Transport, Sports, Road Transport, Science, Technology (General)
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Band 56 Bomme und sein Friedensfahrer Hasso Laudon Für Leser von 8 Jahren an 1. Auflage 1966 Illustrationen von Martin Kotsch © Der Kinderbuchverlag Berlin (Inhalt: ca. 12 jähriger Klaus Irgendwer, genannt Bomme, als absoluter Fan des Radrennfahrers GustavAdolf Schur, genannt Täve, im „Freudenrausch“ mit seiner Klasse als die Friedensfahrt durch ihre Stadt ging; unpolitisch: Erwähnung von „Pionier“)

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BOMME WIRD VORGESTELLT Ein rundes, mit Sommersprossen besetztes Vollmondgesicht, zwei blaue Knopfaugen darin und eine Knubbelnase, das ist Bomme. Eigentlich heißt er ja Klaus, Kläuschen, wie ihn die Eltern nannten, die Freunde und sogar die Lehrer in der Schule. Aber das hat er ihnen bald abgewöhnt. Schließlich kann man doch einen Jungen wie ihn, der sogar schon einmal beinahe Sieger der Kleinen Friedensfahrt geworden wäre, nicht so einfach Kläuschen rufen wie ein Hosenmatz aus dem Kindergarten. Das wäre ja fast genauso, als wollte man einen Schäferhund „Waldi“ nennen. Nein, da klingt „Bomme“ schon ganz anders. Leo, der in der Schule neben ihm sitzt, hat ihm diesen Namen gegeben. Wegen der Frisur, die Bomme trägt. Genaugenommen

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ist es gar keine richtige Frisur, sondern ein Igelkopf. Ganz kurzgeschoren sind die Haare, kaum einen Zentimeter lang. Bomme findet das praktisch. Statt mit dem Kamm, braucht er morgens nur mit dem Waschlappen darüberzufahren. Das spart Zeit. Und Bomme braucht immer viel Zeit zwischen dem Aufstehen und dem Frühstücken. In diesem Maitagen aber springt Bomme schon aus dem Bett, noch bevor der Wecker auf dem Nachttisch zu klingeln und zu hüpfen beginnt. Kaum hat der Bomme sich gewaschen, saust er auch schon die Treppe hinunter zum Briefkasten, um die Zeitung mit den neuesten Sportberichten heraufzuholen. Danach ist er zehn Minuten lang für niemanden zu sprechen. Sogar die Milch läßt er kalt werden. Und die Mutter weiß: Bomme hat wieder einmal das Fieber, das Friedensfahrtfieber.

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Fünfundzwanzig Friedensfahrtbilder hat Bomme mit der Zeit über sein Bett geklebt, und eines größer als das andere. Auf jedem der Bilder ist das gleiche Gesicht zu sehen, fünfundzwanzigmal das Gesicht von Täve Schur, von Bommes großem Vorbild. Ohne Täve Schur kann Bomme sich eine Friedensfahrt überhaupt nicht vorstellen. Das wäre für ihn wie ein Kino ohne Film. Erst recht in diesem Jahr. Wird doch die kleine Stadt, in der Bomme wohnt, zum ersten Mal Etappenziel sein. Seit dem Start der Friedensfahrt in der polnischen Hauptstadt Warschau ist Bomme völlig aus dem Häuschen. Das schönste Täve-SchurBild, das er besitzt, hat er in ein Heft geklebt. Und da schreibt er nun jeden Tag ganz genau mit Minuten und Sekunden hinein, welchen Platz sein großes Vorbild belegt hat. Wenn die Fahrer ankommen werden hier in der Stadt, dann wird Bomme sich zu 8

Täve durchdrängen und sich ein Autogramm in das Heft schreiben lassen. Und alle werden sie ihn darum beneiden: Leo, Achim, die ganze Klasse. Aber noch ist es nicht so weit. Fünf Tage müssen noch vergehen. Bommels Ungeduld ist mindestens ebenso groß wie letztes Weihnachten, als er nicht wußte, aber ein Fahrrad oder eine elektrische Eisenbahn bekommen würde. Wenn Bomme Schulrat wäre, er würde allen Kindern während der Friedensfahrt schulfrei geben. Leider ist er nicht Schulrat. Und so sitzt er nun jeden Vormittag aufgeregt in die Schule und kann kaum erwarten, daß es endlich Nachmittag wird.

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DIE GROSSE FRIEDENSFAHRT-TOMBOLA Am Nachmittag sitzen sie alle im Pionierzimmer vor dem Fernseherapparat. Die ganze Klasse. Auf Stühlen, auf den Fensterbrettern, sogar auf dem Fußboden sitzen sie und blicken gebannt auf den flimmernden Bildschirm. Und wieder ist es ein großer Tag für Bomme. Der Fahrer, der dort mit einem Lorbeerenkranz auf den Schultern die Ehrenrunde des Siegers fährt, ist Gustav-Adolf Schur. Bomme ist längst von seinem Fensterbrettsitz heruntergesprungen. So dicht steht er vor dem Fernseherapparat, daß er mit der Nase bald gegen die Scheibe stößt. Aus der Zimmerecke kommt die piepsige Stimme des kleinen Hugo, der nun gar nichts mehr sehen kann. „Ist das nun Bommels Igelkopf oder eine Bildstörungen? „ Die anderen Jungen lachen. Bomme hörte es gar nicht. 10

„Nächstens kriechst du noch ganz in den Apparat“, sagt Achim, der Freundschaftsratsvorsitzende. Erst jetzt dreht Bomme sich um. „Du ärgerst dich ja bloß, weil dein Petrow nicht Sieger ist. Hast du gesehn, wie Täve ihn überspurtet hat? Einfach stehenlassen hat er ihn.“ Leo, der Bomme fast ein wenig ähnlich sieht, aber einen ganzen Kopf größer ist, grient. „Spuck man nicht so große Bogen, Bomme. Die Fahrt ist noch lange nicht zu Ende.“ Bomme streckt ihm die Hand hin: „Wetten, daß Täve auch am Schluß die Nase vorn hat?“ Leo winkt ab, doch Bomme gibt sich damit nicht zufrieden. „Gegen Täve sind die anderen doch bloß einfache Radfahren , sagt er. „Du bist ja krank“, antwortet Leo und tippt

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sich gegen die Stirn. „Weißt du, was du hast? Einen Täve-Tick hast du. Solche wie dich dürfte man während der Friedensfahrt gar nicht frei herumlaufen lassen.“ Das ist zu viel für Bomme. Wie ein Habicht schießt er auf Leo los. Achim kann gerade noch dazwischengehen und die beiden auseinanderbringen. „Das fehlt noch, daß ihr euch deshalb prügelt“, sagt er. „Laß sie doch, Achim“, piepst der kleine Hugo aus dem Hintergrund, „so ein Boxkampf wäre doch eine schöne Abwechslung.“ Doch Achim weiß etwas Besseres. Fünfzehn Girlanden hat die 6a für den Empfang der Friedensfahrer angefertigt. Aber das haben andere Klassen auch gemacht. Die 6a will mehr tun, und Achim hat eine glänzende Idee. „Wir veranstalten eine richtige Tombola“, sagt er, „und jeder kann ein Friedensfahrer gewinnen.“

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Die Jungen sehen sich verdutzt an. Einen Friedensfahrer? Bomme schlägt sich auf die Schenkel, daß es klatscht. Er vergißt, daß er sich eben noch mit Leo prügeln wollte, und lacht, daß sogar die Sommersprossen auf seinem Gesicht durcheinandergeraten. „Ein Friedensfahrer gewinnen!“ Er kann kaum sprechen vor Lachen. „Einen richtigen Friedensfahrer! Ich sehe es schon vor mir, wie sich Leo zu Hause den Bernhard Eckstein auf die Kommode stellt!“ „Quatsch“, sagt Achim, „wir machen Lose. Und jeder bastelt für den Fahrer, den er gezogen hat, ein Geschenk. Wir sind dreißig Mann, also suchen wir uns dreißig Fahrer aus.“ Die Jungen sind begeistert. Sie reden durcheinander, daß keiner mehr sein eigenes Wort versteht. Nur Bomme macht ein nachdenkliches Gesicht. Die Idee mit den Geschenken ist gut, sagt er sich, aber das 14

Losen gefällt mir nicht. Wie soll ich denn da Täve kriegen? Ja, für Bomme kommt überhaupt nur Täve in Frage. Mißtrauisch sieht er zu, wie die anderen darangehen, kleine Lose auszuschneiden. Achim und Leo schreiben die Namen der Fahrer auf die kleinen Zettel. Und jetzt hat auch Bomme eine Idee. Er beugt sich über Leos Schulter. „Vergiß Täve nicht“, sagt er. Leo nickt und schreibt auf das nächste Los mit großen Buchstaben SCHUR. Dann faltet er das Los zusammen und legt es zu den anderen. Bomme merkte es sich ganz genau. Da ist ein kleiner Knick links oben in der Ecke. Beruhigt sieht Bomme zu, wie Achim die Lose in einen alten Blumentopf wirft und durcheinanderrührt. Jetzt heißt es aufpassen. Bomme weiß sogar schon, was er für Täve basteln wird. Er wird einen Holzteller schnitzen, und auf den Rand wird er mit Fahrradlack

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die Worte ZUR ERINNERUNG AN DIE XV. FRIEDENSFAHRT malen. In die Mitte vielleicht noch den Namen der drei Städte WARSCHAU BERLIN PRAG. Ein richtiger Preis muß das werden, so einer, wie man ihn manchmal in den Schaufenstern der Sportgeschäfte sehen kann. Achim ist inzwischen auf einen Stuhl geklettert. Wie ein Losverkäufer auf den Rummelplatz schwingt er den alten Blumentopf mit den Losen, und seine Stimme schallt durch das Pionerzimmer: „Die große Friedensfahrt-Tombola! Jedes Los ein Gewinn! Greifen Sie zu, meine Herrschaften! Nur nicht drängeln, es reicht für alle!“ Bomme langt gleich als einer der ersten in den Topf. Er wühlt die untersten Lose nach oben. Da! Da ist das Los mit dem Knick! Er behält es in der geschlossene Faust. Sein Herz hüpft vor Freude. Er zwängt sich aus dem Gedränge um Achim heraus. 16

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„Ich habe Kapitonow“, sagt Leo, „und wen hast du?“ Bomme blickt auf seine Faust. „Weiß ich noch nicht.“ Leo lacht. „Nun mach’s doch nicht so spannend.“ „Da, sieh du nach, was ich habe“, sagt, Bomme und hält ihm sein Los hin. Er freut sich schon auf das überraschte Gesicht, das Leo gleich machen wird. Täve, denkt er, ich habe Täve. Leo liest und ist überhaupt nicht überrascht. Er nickt nur und gibt Bomme das Los zurück. „Heller“, sagt er, „ČSSR.“ Bomme versteht nicht. „Wieso Heller?“ Leos Zeigefinger tippt auf das Los. „Weil es da steht.“ Bomme blickt ungläubig auf das Los in seiner Hand, und da steht in großen Buchstaben HELLER. Aber ich habe doch ganz 18

genau aufgepaßt, denkt er, da ist doch auch der Knick links oben in der Ecke. Er sieht, wie die anderen rings um ihn her ihre Lose schwenken, hört die Namen der Fahrer, die sie gezogen haben: Ampler! Moicianu! Gazda! Schur...! Bomme zuckt zusammen. Wer hat da Täve Schur gerufen? Der kleine Hugo ist es. Er hält sein Los hoch über den Kopf und piepst: „Täve! Jungens, ich habe Täve Schur gezogen!“ Bomme kann es noch immer nicht glauben. Aber da war doch der Knick links oben, denkt er. Er sieht sich die Lose der anderen an. Auch sie haben einen Knick, alle. Leo und Achim haben ihn überlistet. Wütend wirft Bomme sein Los in den Blumentopf zurück und läuft hinaus. Er schlägt die Tür zu, daß die Scheiben zittern. Achim und Leo sehen sich an. „Ist er nun auf uns wütend oder auf sich selbst?“ fragt Achim. 19

„Bin ich ein Hellseher?“ antwortet Leo. „Jedenfalls werde ich ihm sein Los bis morgen aufheben.“ BOMME TRÄUMT VON EINEM STRICHMÄNNCHEN Tatsächlich ist Bombe wütend wie lange nicht. Da hat er sich nun so ein schönes Geschenk für Täve ausgedacht, und nun soll es ein anderer bekommen. Dann lieber gar keiner, beschließt Bomme. Und wenn Bomme sich einmal etwas vornimmt, dann machte es auch. Ganz wohl ist ihm allerdings nicht dabei. Aber soll er klein beigegeben? Soll er vielleicht zu Achim gehen und ihm sagen: „Tut mir Leid, daß ich bei der Tombola mogeln wollte“? Bomme schläft schlecht in dieser Nacht. Er träumt von einem großen Blumentopf mit einer Menge Lose darin. Ein Los nach dem

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anderen zieht er heraus, und jedes hat links oben einen Knick. Aber das schlimmste ist, daß auf jedem Los immer nur ein Strichmännchen gemalt ist, und das Männchen hält sich vor Lachen die Seiten und streckt ihm die Zunge heraus. Mit beiden Händen packt Bomme den Blumentopf und wirft ihn auf dem Boden. Aber statt in Scherben zugehen, beginnt der Topf zu klingeln. Und in der Tür steht die Mutter und sieht Bomme ganz erstaunt an. „Warum wirfst du den Wecker auf dem Boden?“ „Den Wecker?“ Bomme setzt sich auf und reibt sich die Augen. Und richtig, kein Blumentopf, der Wecker liegt auf dem Boden. Bomme hat geträumt. Einen Augenblick lang überlegte er, ob er der Mutter von dem Strichmännchen erzählen soll, doch dann läßt er es lieber. Bestimmt würde die Mutter fragen, warum ihn das Männchen ausgelacht hat. 21

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Und ihr die Sache von den Losen zu erzählen und von der verunglückten Mogelei, dazu hat Bomme wirklich keine Lust. So steigt er aus dem Bett, schlurft in seinen Pantoffeln zum Badezimmer und holt, nachdem er sich angezogen hat, die Zeitung herauf. Aber komisch, es macht ihm heute gar keinen Spaß, den Bericht von der Friedensfahrt zu lesen. Immer wieder muß er an das Männchen aus seinem Traum denken, sosehr er sich auch anstrengt, es zu vergessen. selbst das Frühstück schmeckt ihm nicht. Unten auf der Straße pfeift jemand das Friedensfahrtsignal. Das ist Leo. Er pfeift es jeden Morgen, wenn er Bomme abholt. Doch heute hält Bomme sich die Ohren zu. Er will es nicht hören. „Willst du denn Leo heute warten lassen?“ fragt die Mutter. „Er soll allein gehen. Der hat mich beleidigt.“ 23

„Was hat er denn so Schlimmes gesagt?“ „Daß ich einen Täve-Tick habe.“ „Na, ganz so Unrecht hat er damit ja nicht“, sagt die Mutter belustigt und fängt an zu lachen, genauso wie das Strichmännchen in Bommes Traum. Wenn sie mir jetzt noch die Zunge rausstreckt, dann bin ich noch gar nicht aufgestanden und träume noch immer, denkt Bomme. Aber die Mutter streckt ihm nicht die Zunge heraus. Sie gibt ihm einen Klaps und sagt: „Geh jetzt, sonst kommst du noch zu spät zur Schule.“ Mißmutig nimmt Bomme seine Mappe und geht. Er rennt nicht wie sonst die Treppe hinunter, ganz langsam geht er. Aber als er aus der Haustür tritt, steht Leo noch immer davor. „Morgen, Bomme. Hast dir ja ganz schön Zeit gelassen. Beinahe währe ich hier angewachsen.“ Bomme brummt etwas, das ebensogut „’n

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Abend“ heißen könnte. Und nun fängt auch Leo noch an zu lachen. Bomme fährt ihn wütend an: „Ihr glaubt wohl, ihr könnt mich alle aus lachen, wie? Erst das Strichmännchen, dann meine Mutter und jetzt du.“ „Was für ein Männchen?“ fragt Leo verdutzt, doch Bomme antwortet nicht. Leo kratzt sich hinter dem rechten Ohr und denkt: Jetzt ist er völlig übergeschnappt! Zögernd kramt er das Los aus der Hosentasche und hält es Bomme hin. „Was ist das?“ fragt Bomme. „Dein Los.“ „Ich pfeife auf das Los“, sagt Bomme. „Ich pfeife überhaupt auf eure ganze Tombola.“ Leo stößt ihn freundschaftlich in die Seite. „Bomme“, sagt er, „nun sei kein Frosch. Wir wollen doch den Friedensfahrer eine Freude machen.“ „Ich pfeife auch auf die Friedensfahrer“, sagt Bomme und macht so große Schritte, 25

daß er selbst den langen Leo hinter sich zurückläßt. Die Hände tief in den Hosentaschen, stapft Bomme den Rest des Weges allein zur Schule. Zehn Schritte hinter ihm folgt Leo, der es nicht wagt, Bomme noch einmal anzusprechen. Am Schultor steht Achim. Er lacht über das ganze Gesicht, als er die beiden so herankommen sieht. „Habt ihr euch verkracht?“ ruft er ihnen entgegen. Bomme geht wortlos an ihm vorüber, sieht ihn nicht einmal an. Jetzt ist er auch noch auf sich selbst wütend. Das von den Friedensfahrern hat er gar nicht sagen wollen, aber als er sich über Leo ärgerte, da ist es ihm einfach herausgerutscht. Mißmutig hört er zu, wie die anderen Jungen von den Geschenken erzählen, die sie basteln. „Ich mache für Täve ein Notizbuch“, piepst der kleine Hugo, „mit abwaschbarem Umschlag.“ 26

Ein Notizbuch, denkt Bomme. Ist das vielleicht ein Geschenk für eine Weltmeister? Aber er sagt nichts. Ihm ist es jetzt ganz komisch zumute. Alle machen sie etwas, nur er nicht. Und übermorgen werden sie ihre Geschenke ins Hotel bringen und beim Pförtner abgeben. Ich könnte ja noch hingehen zu Leo, denkt Bomme. Doch dann beißt er sich trotzig auf die Lippen. Vorn am Pult steht der kleine Hugo und malt ein Strichmännchen an die Tafel. Das Männchen lacht wie ein schadenfroher Kobold. BOMME TAUSCHT SEIN FAHRRAD EIN Der große Tag ist gekommen. Am Vorabend haben Leo und Achim die Geschenke der Klasse 6a beim Pförtner des Hotels, in dem die Friedensfahrer schlafen werden, abgegeben. Und nun sitzt die ganze Klasse 27

wieder im Pionierzimmer vor dem Fernseherapparat und folgt gespannt dem Verlauf des Rennens, das heute in ihrer Stadt zu Ende gehen wird. Das heißt, nicht die ganze Klasse. Einer fehlt. Langsam kommt Bomme in den Schulhof geradelt. Er sieht die geschmückten Räder der anderen am Fahrradständer stehen. Auch Bomme hat sein Rad geschmückt, mit Fähnchen und bunten Wimpeln. Alles ist wie jedes Jahr, nur das Bomme diesmal keine Freude daran hat. Er schiebt sein Rad neben den Kellereingang, aus dem gerade der alte Hausmeister auftaucht. Der nickt Bomme zu und sagt: „Da habt ihr euch wirklich etwas Feines ausgedacht. Das mit den Geschenken, meine ich. Da werden sich die Fahrer bestimmt freuen, wenn sie nachher in ihre Zimmer kommen.“ „Ja“, sagt Bomme und weicht dem Blick des Hausmeisters aus.

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„Was hast du denn gebastelt, Bomme?“ fragt der Hausmeister. Bomme schluckt. „Ich?“ stottert er. „Ich habe... Ich wollte...“ Der Hausmeister lächelt verschmitzt. „Du willst es mir wohl nicht sagen, wie? Ist es ein so großes Geheimnis?“ Bomme nickt eifrig, sprechen kann er nicht, denn der Hals ist ihm plötzlich wie zugeschnürt. Er atmete erleichtert auf, als der Hausmeister nicht mehr weiterfragt und noch immer lächelnd und kopfschüttelnd davonschlurft. Nachdenklich steigt Bomme die Treppe hinauf. Seine Schritte hallen in dem hohen steinernen Treppenhaus der Schule. Er ärgert sich nicht mehr. Er ist nur noch traurig. In einer Stunde ungefähr werden die Fahrer hier in der Stadt sein. Und jeder in der Klasse hat seinen Fahrer, den er besonders anfeuern wird vom Straßenrand.

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Nur er hat keinen. Und was das Schlimmste ist, er ist selbst daran schuld. Vorgestern hat Bomme noch gedacht: Sollen sie doch machen, was sie wollen, mein Fahrer ist trotzdem Täve. Aber wenn er sich nun vorstellt, daß jetzt auf dem Tisch in Täves Hotelzimmer das Notizbuch des kleinen Hugo liegt, dann ist er plötzlich nicht mehr sicher, ob Täve wirklich noch s e i n Fahrer ist, trotz der fünfundzwanzig Bilder über dem Bett. Bomme steht im Flur neben dem Fenster und überlegt, ob er nicht besser wieder umkehren soll. Durch die Tür zum Pionierzimmer hört er die Stimme des Reporters aus dem Fernsehapparat: „Noch knappe vierzig Kilometer trennen uns von dem heutigen Etappenziel, und noch immer führt die dreiköpfige Spitzengruppe zwei Minuten vor dem Hauptfeld. Werden die drei Männer an der Spitze ihren Vorsprung bis ins Ziel verteidigen können, oder wird 31

es den Verfolgern gelingen, zu ihnen aufzuschließen?“ Ganz dicht tritt Bomme an die Tür heran, um nur ja kein Wort zu verpassen. Gern würde er die Tür öffnen und fragen, wer denn die drei Fahrer an der Spitze sind. Vielleicht warten sie da drinnen auch schon auf ihn, Leo, Achim und die anderen? Bomme legt die Hand auf die Klinke. Soll er hineingehen und zu tun, als ob nichts gewesen wäre? Soll er nachher gemeinsam mit ihnen zur Strecke hinausfahren, am Straßenrand stehen und den Fahrern zuwinken? Gemeinsam würde es bestimmt viel schöner sein. Bomme überlegt noch immer, doch dann zieht er die Hand von der Klinke zurück. Ganz langsam dreht er sich um und geht die Treppe wieder hinunter. Unten auf dem Schulhof besteigt er sein Rad und rollt auf die Straße hinaus. Bis

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weit vor die Stadt fährt er, wo nur noch die Chausseebäume links und rechts der Straße ein Spalier bilden. Hier stehen nur wenige Menschen, und sie recken die Hälse und blicken immer wieder in die Ferne, dorthin, wo bald die ersten Fahrer auftauchen müssen. Bomme lehnt sein Rad an einen Baum und stellt sich zu ihnen. Hier ist niemand, der ihn kennt, und hier weiß keiner, daß er der einzige aus der Klasse 6a ist, der kein Geschenk gebastelt hat. Die ersten Fahrzeuge kommen herangesummt. Es sind die Pressefahrzeuge und Materialwagen, vorgezogen werden, damit sie die Fahrer auf den letzten Kilometern in die Stadt hinein nicht behindern. Fast fünf Minuten vergehen noch, ehe zwischen den Chausseebäumen am Ende der Straße die ersten bunten Trikots sichtbar werden. Rufe werden laut, und es ist, als ob die Worte von einem zum anderen 33

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springen. Nun reckt auch Bomme den Hals. Breit, über die ganze Straße hinweg, kommt das bunte Fahrerfeld herangebraust. Nein, es sind nicht mehr nur die drei, die vorhin ganz allein an der Spitze waren, fast alle sind es. Und so schnell geht alles, daß Bomme kaum eine der vielen Rückennummern erkennen kann. Nicht einmal Täve sieht er... Die Fahrer sind vorüber. Die Straße liegt wieder leer und verlassen. Eigentlich hat Bomme mehr erwartet. Er hat es sich aufregender vorgestellt. Nun waren es nur wenige Augenblicke, und schon ist alles vorbei. Oder war das nur so, weil er allein hier ist und nicht mit den anderen? Ein bißchen wartet Bomme noch, dann geht er zu dem Baum, an den er seinen Rad gelehnt hat. Er will schon aufsteigen, da hört er erneut Rufe. Rasch läuft er noch einmal zum Straßenrand zurück. Da kommt noch

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ein einzelner Fahrer. Er trägt ein rumänisches Trikot. Ganz langsam fährt er, und dicht vor Bomme hält er an, steigt vom Sattel und betrachtetet kopfschüttelnd sein Rad. Die Kette ist gerissen und schleift am Boden. Gleichzeitig mit Bomme blickt der Fahrer die schnurgerade Straße hinunter. Aber die Materialwagen sind ja schon vorgefahren. Da hat unser Bomme plötzlich eine Idee. Er läuft zu dem Baum zurück, holt sein Rad und drückt es den Fahrer in die Hand. „Fahren!“ sagt er dabei zu dem Rumänen. „Schnell. Es ist nicht mehr weit. Nur noch vier Kilometer.“ Und dabei hält er vier Finger in die Luft. Der rumänische Fahrer hat verstanden. Er steigt auf das Rad, lächelt Bomme dankbar zu und fährt los. Lange blickt Bomme ihm nach, so lange, bis er ihn als kleinen Punkt in der Ferne hinter einer Biegung verschwinden sieht.

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Jetzt hat er es Dann bückte er der gerissenen zufrieden mit entgegen.

nicht mehr weit, denkt er. sich, hebt das Rennrad mit Kette auf und schiebt es, sich selbst, der Stadt

BOMME BESIEGT EINEN GENERAL Bommes Mutter schlägt entsetzt die Hände über dem Kopf zusammen. „Was bringst du denn da angeschleppt, Junge? Das ist doch nicht dein Rad? Wo hast du das gelassen?“ Bomme strahlt über das ganze Gesicht. „Getauscht“, sagt er, „mit einem Friedensfahrer.“ Die Mutter ist sprachlos. „Ich hab’s ihm ja bloß geborgt“, beruhigt Bomme sie. „Aber jetzt muß ich in den Keller und das hier reparieren.“ Damit nimmt er das Rad wieder auf die Schulter und trägt es an der Mutter, die

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noch immer nichts begreift, vorbei in den Keller hinunter. Aus einem Regal sucht er Putzlappen und Werkzeuge heraus, aber bevor er sich an die Arbeit macht, läuft er noch einmal in die Wohnung hinauf. Bald hat er auf seiner Liste die Rückennummer des Rumänen gefunden. Ja, da steht es: Nummer 87, Roman Popescu, Volksrepublik Rumänien. Bomme vergleicht mit der Tabelle, die er sich selbst angefertigt hat. Roman Popescu liegt in der Gesamtwertung an siebenunddreißigster Stelle. Na ja, sagt sich Bomme, immer noch besser als ganz hinten. Und dann geht er wieder in den Keller hinunter und beginnt das Rad zu putzen, bis er kein Stäubchen mehr findet. Aber das Schwierigste kommt erst jetzt: die Kette. Sie ist nicht mehr zu gebrauchen. Einige Glieder sind völlig verbogen. Zwar liegt im Kellerregal eine nagelneue Kette, aber die gehört dem Vater. Bomme über39

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legt. Wenn ich die Kette nehme, kriege ich mindestens drei Monate lang kein Taschengeld, denkt er, wenn ich Pech habe, kriege ich noch was anderes und kann drei Tage lang nicht sitzen. Aber das Rad mit der gerissenen Kette zurückgeben? Nein! Und so nimmt Bomme die Kette des Vaters und montiert sie auf das Rad. Kaum hat er sich gewaschen, steht er auch schon mit dem wie neu blitzenden Rennrad auf der Straße. Und er kann es sich nicht verkneifen, er muß erst einmal ein paar Runden um den Häuserblock fahren auf diesem Rad, das vor wenigen Tagen noch über die Straßen Volkspolens gerollt ist, von einem Stadion ins andere, und das morgen nun nach Prag weiterrollen wird, dem Ziel der Friedensfahrt entgegen. Am liebsten würde er sich von dem Rad nie wieder trennen. Aber gewiß watet Roman Popescu schon darauf. Und so macht 41

Bomme sich schweren Herzens auf dem Weg in das Hotel, das für eine Nacht Quartier der Friedensfahrer ist. Die Straße vor dem Hotel ist schwarz von Menschen. Dicht gedrängt stehen sie und rufen die Namen der Fahrer. So etwas hat Bomme noch nie erlebt. Mühselig bahnt er sich mit dem Rad seinem Weg durch die Menschenmengen. Einmal kommt er fast nicht weiter, aber ein Mann ruft: „Nun laßt mal den kleinen Friedensfahrer hierdurch!“ Und da lachen die Leute und machen Platz für Bomme und sein Rad. Vor dem Hotel steht in einer mit Gold besetzten Uniform ein General. Er bewegt seine Arme wie Windmühlenflügel, um die herandrängenden Menschen zurückzuhalten. Sein Gesicht ist rot vor Anstrengung, und immer wieder ruft er: „Aber so begreifen Sie doch, meine Herrschaften, die Fahrer brauchen ihre Ruhe. Die Organisations-

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leitung läßt Sie bitten, Ihre Autogrammwünsche morgen früh vor dem Start anzubringen!“ Nein, es ist wohl doch kein General, es ist der Pförtner des Hotels. HOTEL SCHWARZER ADLER steht in Goldbuchstaben auf seiner Mütze. Bomme will mit seinem Rad an ihm vorbei, doch der Pförtner-General packt ihm am Kragen. „Halt! Hier darf niemand durch, Junge.“ Bomme blickt zu ihm hoch. „Aber ich muß hier durch.“ Das Gesicht des Pförtner-Generals wird noch röter. „Wer hier durch muß, das bestimme ich, verstanden? Und nun nimm dein Rad und verschwinde.“ „Ist ja gar nicht mein Rad“, versucht Bomme zu erklären. „Ich will es doch bloß wiederbringen. Und deshalb muß ich hier durch.“ „Wem willst du es denn wiederbringen?“ „Na, dem rumänischen Popescu. Startnummer siebenundachtzig“ 44

Für einen Augenblick zieht der PförtnerGeneral seine Stirn in Falten, und es sie aus, als ob er nachdenke. Doch dann bekommt er plötzlich ganz kleine Augen, und drohend sagt er: „Hör mal zu, mein Junge. Es haben hier schon ganz andere versucht, sich reinzuschwindeln, andre als du Dreikäsehoch. Aber bei mir kommst du mit dem Trick nicht durch, bei mir nicht!“ Bomme ist empört. Am liebsten würde er sich jetzt auf das Rad setzen und es dem Pförtner-General vor den dicken Bauch fahren. „Was?“ ruft er. „Ein Schwindler? Ich soll ein Schwindler sein? Das nehmen Sie sofort zurück! Weil dem Popescu die Kette gerissen war, habe ich ihm mein Rad gegeben, und damit ist er ins Stadion gefahren, mit meinem Rad, jawohl!“ Noch immer blickt der Pförtner-General mißtrauisch auf Bomme hinab. „Du willst mit ihm das Rad getauscht haben?“

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„Das will ich nicht bloß, das habe ich. Jawohl.“ Bomme reckt sich, daß er dem Pförtner-General plötzlich bis an die Schulter reicht. „Ich habe ihm mein Rad gegeben, und jetzt wartet er darauf, daß ich ihm seines zurückbringe. Und wenn Sie mich jetzt nicht reinlassen, dann kriegen Sie Ärger. Soll der Popescu die zweihundert Kilometer morgen vielleicht auf meiner Mühle fahren, bloß weil sie mich nicht reinlassen?“ Der Pförtner-General kratzt sich nachdenklich hinter dem Ohr. Immerhin interessiert sich auch ein Hotelpförtner für die Friedensfahrt, und daß einer der Fahrer morgen mit einem einfachen Tourenrad auf die Strecke geht, nein, das möchte er auch nicht verantworten. Und so sagt er zu Bomme: „Na schön, gib das Rad her. Ich lasse es hinaufbringen. Und wenn es stimmt, was du mir da erzählst, dann wird man dir dein Rad ja wohl herunterschicken.“ 46

Aber damit kommt er bei Bomme gerade an den Richtigen, denn nun wird auch Bommes Gesicht rot vor Zorn. „Was denn, Sie glauben mir noch immer nicht? Ich bin Pionier, Sie! Ich habe noch nie...“ Aber hier fängt Bomme plötzlich an zu stottern. „Ich meine, ich habe noch nie geschwindelt, wenn es... wenn es um so etwas Wichtiges gegangen ist. Oder ist das Rad hier etwa nicht wichtig?“ Der Pförtner-General beginnt einzusehen, daß Bomme sich um keinen Preis abweisen lassen wird. Auch stört es ihn, daß die Leute, die um Bomme und ihn herumstehen, zu lachen anfangen und Witze über ihn machen. So etwas kann ein PförtnerGeneral nun gar nicht vertragen. Wo käme er denn hin, wenn die Leute nicht einmal mehr vor seinen goldenen Knöpfen Respekt haben? Und so öffnet er kurz entschlossen die Glastür und schiebt Bomme mit Rad vor

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sich her in die Hotelhalle. Während er zum Telefon geht, sagt er: „So, hier wartest du. Ich rufe jetzt jemanden von der rumänischen Mannschaft herunter. Aber wehe dir, sage ich, wehe dir, wenn du geschwindelt hast.“ Ohne Bomme aus den Augen zu lassen, nimmt er den Hörer ab und wählt eine Nummer. Bomme steht ruhig, auf sein Rennrad gestürzt, und sieht ihm zu. Schade, daß er nicht hören kann, was der Pförtner-General jetzt gesagt bekommt. Aber es macht ihm auch schon genug Spaß, zu sehen, wie der Pförtner-General plötzlich ganz höflich zu ihm ist und freundlich sagt: „Der rumänische Betreuer kommt gleich. Du nimmst es mir doch hoffentlich nicht übel, daß ich dir nicht gleich geglaubt habe?“ „I wo“, sagt Bomme großmütig und lacht in sich hinein, weil er es nun doch geschafft

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hat und der Pförtner-General plötzlich so freundlich zu ihm geworden ist. BOMME ERHÄLT EINE LEKTION Ein rundlicher kleiner Mann im Trainingsanzug kommt die Hoteltreppe herab und geht geradewegs auf Bomme zu, der nun doch ein wenig Herzklopfen bekommt. „Du bist das also“, sagt der Mann in einem gebrochenem Deutsch, das für Bomme recht ungewohnt klingt, und reicht ihn die Hand. „Wie heißt du?“ „Klaus“, sagt Bomme verlegen, doch dann fügt er rasch hinzu: „Aber meine Freunde nennen mich alle Bomme.“ Der Betreuer lacht und verzieht dabei sein braungebranntes Gesicht in hundert lustige Falten. „Also gut, Bomme“, sagt er, „dann wollen wir mal hinaufgehen.“ 49

Er ruft einen Mann in blauem Monteuranzug heran, sagt ihm etwas auf rumänisch, was Bomme natürlich nicht versteht, und gibt ihm das Rad. Dann nimmt er Bomme bei der Hand und steigt mit ihm die breite, mit dicken Läufern belegte Treppe hinauf. Bommes Herz schlägt jetzt bis zum Hals. Er ist so aufgeregt, daß er gar nicht weiß, wo er zuerst hinsehen und hinhören soll. Aber was gibt es hier auch nicht alles zu hören und zu sehen! Da stehen blitzende Rennräder auf den Gängen, liegen Lenker, Sättel, Rennschuhe auf dem Fensterbrettern. Da kommen ihnen Fahrer entgegen mit den Namen ihrer Nationen auf den bunten Trainingsanzügen, Engländer, Polen, Belgier, Bulgaren, Franzosen, und alle reden sie miteinander und lachen. Schade nur, daß Bomme nicht ein Wort davon versteht, und er würde doch so gern mitlachen. 50

Wenn mich jetzt die andere hier sehen könnten, denkt er, der Leo und Achim, und erst der kleine Hugo. Was die wohl für Gesichter machen würden? Bomme bedauert nur, daß er sein Heft nicht mitgebracht hat, das Heft, in das er neulich noch Täves Bild geklebt hat. Nicht ein Autogramm, nein, zwanzig, dreißig Autogramme könnte er hier bekommen. Immer neue Gesichter begegnen ihm, viele davon kennt er schon aus der Zeitung und aus dem Fernsehen. Jemand kommt lachend den Flur entlanggelaufen, stößt Bomme an, entschuldigt sich und läuft weiter. „Hast du gesehen, wer das war?“ fragt der rumänische Betreuer. Bomme schüttelt den Kopf. „Ich habe nur gespürt, wie er mir auf den Fuß getreten ist“, sagt er und verzieht schmerzlich das Gesicht. „Dann wirst du die Begegnung auch 51

weniger schnell vergessen.“ Der Betreuer lacht. „Das war nämlich Gustav-Adolf Schur.“ Bomme bekommt einen freudigen Schreck. Rasch dreht er sich um, doch die Treppe ist leer. Täve ist nicht mehr zu sehen. Vor der Tür mit der Nummer 211 bleibt der Betreuer stehen und stößt sie auf. „Hallo, Roman! Besuch für dich!“ ruft er ins Zimmer. „Dein kleiner Freund von der Strecke heute nachmittag.“ Auch Roman Popescu trägt einen Trainingsanzug. Er sieht jetzt ganz anders aus als am Nachmittag, viel jünger, doch an den großen dunklen Augen erkennt Bomme ihn sofort wieder. „Seine Freunde nennen ihn Bomme“, sagt der Betreuer zu dem Fahrer, und dann, zu Bombe gewandt: „Frag ihn ruhig aus, den Roman, Bomme. Er will ja mal Lehrer werden und spricht bestimmt viel besser deutsch als ich.“ 52

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Als der Betreuer wieder gegangen ist, steht Bomme sehr verlegen vor den großen schlanken Friedensfahrer mit dem gebräunten Gesicht und dem schwarzen Haar. Dabei hat er sich doch vorher ganz genau überlegt, was er sagen wollte. Und nun hat er alles vergessen. Roman Popescu lächelt. „Ja, dann muß ich mich wohl erst bei dir bedanken, Bomme.“ Bomme schüttelt den Kopf. „Wofür denn? Das war doch Ehrensache.“ Fragt er. Roman Popescu zieht die Stirn kraus und überlegt. So gut deutsch spricht er nun auch wieder nicht. „Was ist das: Ehrensache?“ fragt er. „Ich meine“, Bomme fühlt sich wieder sicherer, „ich meine, daß versteht sich doch von selbst, daß man einem andern hilft.“ Der rumänische Fahrer nickt. „Ach so. Aber dann ist ‚danke schön’ doch auch Ehrensache.“

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„Natürlich“, antwortet Bomme. „Aber das andere, das Helfen, das ist größerer Ehrensache.“ „Ich verstehe. Deine ist Pionierehrensache.“ „Genau“, sagt Bomme und blickt sich neugierig im Zimmer um. Als Roman Popescu auf einen Knopf neben der Tür drückte und vom Zimmerkellner Zitronenlimonade für seinen kleinen Besucher bestellt, ist Bomme schon wieder ganz mutig geworden. „Darf ich mal was fragen? Aber sie dürften mir nicht böse sein.“ Roman Popescu lacht. „Bestimmt nicht.“ Bomme blickt auf seine Schuhspitzen. „Ich habe mir schon immer überlegt, wie das ist, wenn sie manchmal ganz hinten liegen. Die andern sind schon lange weg, und es kommt auch keiner mehr, und Sie müssen ganz alleine fahren. Denkt man da nicht manchmal: Jetzt steige ich ab, gewinnen 55

kann ich sowieso nicht mehr?" Bomme sieht den rumänischen Friedensfahrer fragend an. „Ich sage es auch nicht weiter, das verspreche ich. Großes Pionierehrenwort.“ „Würdest du so denken, Bomme?“ Bomme überlegte eine Weile. „Na ja, denken würde ich es bestimmt manchmal, aber machen? Ich weiß nicht...“ „Siehst du“, antwortet Roman Popescu, und ganz ernst sieht er jetzt aus. „So geht es beinahe allen Fahrern. Manchmal möchte man wirklich absteigen. Besonders wenn es einmal sehr heiß ist oder sehr kalt und regnerisch und man allein fahren und sich quälen muß, weil man vielleicht einen Schaden gehabt hat. Dann denkt man mitunter für einen Augenblick daran, aufzugeben und zu warten, bis der Schlußwagen kommt und einen mitnimmt. Aber dann denkt man: Das ist ja nicht irgendein Rennen, das ist die Friedensfahrt, die man mit-

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fährt. Ja, und dann beißt man die Zähne zusammen und fährt weiter. Das ist auch Ehrensache.“ Bomme ist nachdenklich geworden. So oft hat er nun schon davon gelesen, wie schwer die eine oder die andere Etappe gewesen ist. Aber wenn man so etwas erzählt bekommt, und noch dazu von einem, der dabei ist, dann beginnt man auf einmal zu fühlen, wie schwer so ein Rennen wirklich ist. Roman Popescus Stimme schreckt Bomme aus seinen Gedanken auf. „Habt ihr in der Schule auch etwas für die Friedensfahrt getan?“ „Und ob“, sagt Bomme. „Eine Wandzeitung haben wir gemacht und zehn Wimpelketten und ...“ Er spricht nicht weiter. Er wünscht plötzlich, daß der Betreuer zurückkommen möge, um Roman Popescu abzuholen zum Abendessen oder irgendwohin.

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Aber es kommt niemand, und Roman Popescu fragt: „Und dann? Was habt ihr noch gemacht?“ „Ja, und dann“, spricht Bomme zögernd weiter, „dann haben wir beschlossen, daß jeder für einen Fahrer, dessen Los er zieht, ein Geschenk bastelt.“ „Und für wen hast du etwas gebastelt?“ Bomme würde am liebsten in den Erdboden versinken. Er wagt es nicht, Roman Popescu anzusehen, doch der lacht: „Du hast doch seinen Namen nicht etwa vergessen?“ „Nein“, sagt Bomme leise, „ich überlege nur ...“ Und dann steht er auf und sagt so leise, daß man es kaum noch hören kann: „Jetzt hätte ich Sie beinahe angeschwindelt. Ich habe nämlich keinem Fahrer etwas geschenkt.“ Roman Popescu sieht Bomme verständnislos an. „Ja, aber warum nicht, Bomme?“ „Weil, weil“, druckst Bomme und hat auf 58

einmal richtige Tränen in den Augen, „ich wollte nämlich Täve Schur haben, und den hat mir der kleine Hugo weggeschnappt. Aber eigentlich war ich ja selber an allem schuld, weil ich bei der Tombola mogeln wollte und die anderen es gemerkt haben.“ Wieder zieht Roman Popescu die Stirn kraus. Aber diesmal hat er genau zugehört und jedes Wort verstanden. „Und einem anderen wolltest du nichts schenken?“ Bomme nickt traurig. Und doch ist ihm jetzt leichter zumute. Er wischt sich mit dem Jackenärmel über die Augen und sagt: „Jetzt sind Sie mir doch böse, nicht wahr? Sie haben ja auch recht.“ Und nach einer langen Pause fügt er hinzu: „Und jetzt, jetzt will ich lieber gehen.“ Roman Popescu hält ihn zurück. „Nun schämst du dich wohl?“ Bomme antwortet nicht. „Sieh mich einmal an.“

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Langsam hebt Bomme den Kopf. Roman Popescu lächelt. „Eigentlich hast du doch einem Fahrer etwas geschenkt“, sagt er. „Wenn ich auch kein Täve Schur bin ...“ Und obwohl noch immer Tränen in seinen Augen stehen, beginnt nun auch Bomme schüchtern zu lächeln. Wie die anderen, hat auch er jetzt seinen Fahrer, und es ist ihm ganz egal, an welcher Stelle sein Friedensfahrer liegt. So froh ist Bomme auf einmal, daß er Roman Popescu umarmen muß. In der Tür steht lachend der Betreuer. „Das nenne ich zwei Freunde“, sagt er, und in der Hand hält er die Fahrradkette, die Bomme mühsam aufmontiert hat. „Die kannst du wieder mitnehmen.“ Als er Bomme enttäuschtes Gesicht siegt, fügte er tröstend hinzu: „Wir hätten sie sowieso nicht gebrauchen können. Auf ein Rennrad gehört nun einmal eine besondere Kette. Wo hast du die überhaupt her?“ 61

Bomme blickt von einem zum anderen. „Von meinem Vater“, sagt er. „Aber der weiß noch nichts davon.“ „Dann leg sie man nachher gleich wieder dorthin, wo du sie hergenommen hast.“ Roman Popescu lacht und klopfte Bomme freundschaftlich auf die Schulter. „Schließlich sollst du meinetwegen nicht noch Ärger bekommen mit deinem Vater. An so einem schönen Tag ...“ Bomme sieht Roman Popescu an und den Betreuer, dann lacht er mit, froh und glücklich. BOMMES GROSSE ÜBERRASCHUNG War das eine Aufregung. Die ganze Nacht kann Bomme kein Auge zu tun. Immer wieder muß er die kleine Nachttischlampe einschalten und zu dem Stuhl hinübersehen,

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auf dem das rumänische Mannschaftstrikot liegt, daß er zum Abschied von Roman Popescu geschenkt bekommen hat. Am Morgen läuft der wie ein Wiesel zum Briefkasten hinunter, um die Zeitung heraufzuholen. Ja, da steht es: Der rumänische Fahrer Popescu erreichte das Stadion auf einem Tourenrad. Nach einem Kettenschaden wenige Kilometer vor dem Etappenziel half ihm ein Schüler aus der 6. Klasse der hiesigen Gerhart-HauptmannSchule mit seinem eigenen Rad aus. Bomme unterstreicht die beiden Sätze mit einem dicken Rotstift und steckt die Zeitung in seine Schulmappe. Als Leo unten auf der Straße pfeift, ist Bomme längst unterwegs. In einem Haustor gegenüber der Schule versteckt er sich. Er will als letzter kommen. Alle sollen schon da sein, wenn er die Klasse betritt. Endlich ist es soweit. Auch Leo ist im

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Schuleingang verschwunden, und auf der Straße ist niemand mehr von der 6a zu sehen. Bomme rennt über die Straße und stürmt, gleich zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf. Vor der Tür holte er noch einmal tief Luft. Dann betritt er mit dem gleichgültigsten Gesicht von der Welt das Klassenzimmer. „’n Morgen, allerseits.“ Die Jungen stehen alle vor am Pult. Und auf dem Pult sitzt Achim und ließt ihnen aus der Zeitung die beiden Sätze vor, die Bomme in seiner Zeitung rot an angestrichen hat. Der kleine Hugo bemerkt Bomme als erster. „Hast du schon gelesen?“ ruft er aufgeregt. „Da hat einer aus unserer Schule einem Fahrer seinen Rad gegeben. Das muß einer aus der 6b gewesen sein. Von uns war’s doch keiner.“ „Weißt du das so genau?“ fragt Bomme und zieht stolz seine Jacke aus. 64

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Leo beginnt als erster zu lachen, und nach und nach fallen auch die anderen ein. „Was hast du denn da an, Bomme? Das sieht ja aus, als ob es ein Hemd von deinem Vater ist?“ Ja, und das stimmt allerdings. Ein bißchen komisch sieht Bomme in dem viel zu großen Trikot schon aus. Aber daß nicht einer merkt, was für ein Trikot es ist, das ärgert unseren Bomme nun doch. „Ich möchte wissen, was es da zu lachen gibt“, sagt er und schlägt sich vor die Brust, „von wegen von meinem Vater. Wißt dir, was das ist? Ein original rumänisches Mannschaftstrikot ist das. Das hat er mir geschenkt, der Popescu, zum Andenken. Jetzt staunt ihr, was?“ Und tatsächlich, die Jungen lachen nicht mehr. Achim fragt ungläubig: „Du bist das gewesen mit dem Rad?“ „Natürlich“, antwortet Bomme stolz, und

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dabei zieht er das Trikot auf dem Rücken zusammen und steckt es tiefer in die Hose, damit es wenigstens ein bißchen besser paßt. Der kleine Hugo hat ganz große Augen bekommen. „Und du warst wirklich im Hotel? Richtig in seinem Zimmer?“ „Klar“, sagt Bomme. „Was denkst du denn. Und fast alle anderen habe ich ganz aus der Nähe gesehen: Gazda, Kapitanow, Eckstein, Täve. Täve hat sich sogar bei mir entschuldigt, weil er mir auf den Fuß getreten hat. Wißt ihr, ich war gerade ...“ „Du spinnst ja“, sagt Achim, der es noch immer nicht glauben kann, daß Bomme der Junge mit dem Rad gewesen sein soll. Doch Bomme fährt ihn wütend an: „Von wegen spinnen. Kannst ja hingehn und fragen. Und hier, guck her, ich habe den Schuh noch nicht geputzt, da siehst du noch den Abdruck drauf.“

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„Schreib doch gleich einen Artikel für die Wandzeitung: Wie Täve mir auf den Fuß getreten hat“, sagt Leo, und Achim fügt hinzu: „Und den Schuh mußt du dir unter Glas stellen, am besten aufs Vertiko.“ Die Scheiben des Klassenzimmers erzittern unter dem Gelächter der Jungen. Bomme aber winkte mit beiden Händen ab: „Ihr seid ja bloß neidisch, weil ihr nicht dabei wart.“ Sie sind nicht neidisch, weder Leo noch Achim, noch der kleine Hugo. Aber ein bißchen, so glauben sie, hat Bomme es trotzdem verdient, daß sie ihn ärgern. Und so fragt Leo: „Und wer wird denn nun heute die Etappe gewinnen, Bomme? Wieder Täve oder dein Popescu? Oder pfeifst du noch immer auf die Friedensfahrt?“ Bomme merkt nicht, daß sie ihn nur ärgern wollen. Er ereifert sich, daß er ganz rot wird im Gesicht. „Ihr habt ja keine Ahnung, habt ihr. Keinen 68

blassen Schimmer habt ihr davon, wie das ist, wenn man bei Mordshitze oder bei Regen Panne gehabt hat und allein fahren und sich quälen muß. Was das für Nerven kostet. Keine Ahnung habt ihr davon.“ „Aber du, was?“ ruft Leo und lacht. „Guckt mal, Leute. Bomme, der heimliche Friedensfahrer.“ Doch nun findet Achim, daß es genug ist. „Sei mal still, Leo“, sagt er. „Bomme, hat schon recht damit. Er hat bloß vergessen, daß er bis gestern auch noch keine richtige Vorstellung davon gehabt hat, wie schwer so ein Rennen wirklich ist.“ Achim wendet sich Bomme zu: „Aber deshalb brauchst du jetzt trotzdem nicht den großen Mann zu spielen, Bomme. Du hast überhaupt keinen Grund dazu. Was wäre denn gewesen, wenn der Popescu keinen Kettenschaden gehabt hätte?“ „Er hat aber welchen gehabt“, entgegnet

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Bomme. “Und damit ihr beruhigt seid, ich habe ihnen alles erzählt von uns, und... und auch von mir. Und wenn ihr es genau wissen wollt, Sieger wird er wohl nicht, aber mit vorne ankommen, daß wird er heute bestimmt. Er ist heute in Form, hat er mir gesagt.“ Wäre in diesem Augenblick nicht der Lehrer ins Klassenzimmer gekommen, hätten sie wohl noch weitergestritten. So ist es aber nur noch der kleine Hugo, der Bomme vorsichtig an dem rumänischen Trikot zupft und leise fragt: „Bomme, hast du vielleicht zufällig gesehen, ob Täve mein Notizbuch bekommen hat?“ „Ja, ich hab’s genau gesehen“, antwortet Bomme ebenso leise. „Er hat es bei sich gehabt.“ In den Augen des kleinen Hugo leuchtet es freudig auf. Und auch Bomme freut sich. Wenn er jetzt auch geschwindelt hat, er ist

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sicher, daß Roman Popescu mit dieser Lüge, die den kleinen Hugo so glücklich macht, bestimmt einverstanden wäre. BOMME ERHÄLT EINEN GRUSS DURCHS FERNSEHEN An diesem Nachmittag sitzen die Jungen aus der 6a wieder gemeinsam und einträchtig im Pionierzimmer vor dem Fernseherapparat. Wieder sind es nur noch wenige Kilometer bis zum Etappenziel. Aber diesmal sind es nicht drei, sondern vier, die allein an der Spitze liegen. Noch kann man sie nicht genau erkennen, doch da springt Bomme von seinem Stuhl auf und zeigt auf den Fahrer, der die kleine Gruppe im Augenblick anführt. „Popescu!“ schreit er. „Jungens, das ist Popescu!“

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Leo versucht, ihn zu beruhigen. „Wart’s doch erst mal ab, Bomme. Ist noch viel zu früh. Bis die vier im Stadion sind ...“ Bomme schüttelt ihn ab. „Da, guck doch! mindestens zwei Meter Vorsprung hat er.“ Bomme fährt sich vor Aufregung mit beiden Händen immer wieder über den Igelkopf. „Er schafft’s“, murmelt er. „Er schafft’s“ Langsam beginnt Bommes Aufregung die anderen anzustecken. Gebannt blicken dreißig Augenpaare auf den Bildschirm. „Abwarten“, sagt Achim, „abwarten, Bomme. Es sind noch mindestens drei Kilometer bis ins Stadion an. Was bis dahin noch alles passieren kann.“ Bomme wirft Achim einen empörten Blick zu: „Willst du's etwa beschreien?“ Aber schon tippt sein Zeigefinger wieder gegen die Glasscheibe des Apparats. „Da, jetzt ist er wieder an zweiter Stelle. Er weiß, daß es noch zu früh ist zum Spurten.“

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Bomme hat nur noch Augen für das kleine Rechteck des Bildschirms. er vergißt Leo, Achim, das ganze Pionierzimmer. Nur noch Roman Popescu sieht er. Wenn Bomme könnte, er würde ihn ins Ziel schieben. Aber er kann ihm nur die Daumen drücken. „Er muß es schaffen!“ flüstert er, heißer vor Aufregung. „Er muß es schaffen.“ Aus dem Lautsprecher des Fernseherapparates dringt die Stimme des Ansager: „Noch wenige hundert Meter liegen vor den vier Spitzenreitern. Die größte Überraschung dabei ist für uns heute der relativ unbekannte Rumäne Popescu, der ein großartiges Rennen gefahren ist. Auf jeden Fall werden die vier den Sieg unter sich ausmachen ...“ Bomme drückt seine beiden Daumen, daß er sie bald zerquetscht, und er merkt es nicht einmal. Er hält den Atem an, als die vier in das Stadion einfahren. Roman

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Popescu fährt an dritter Stelle, aber so tief er sich auch über seinen Lenker beugt, und sosehr er sich auch anstrengt, er muß auch noch den dritten Fahrer an sich vorbei ziehen lassen und überquerte als Vierter den weißen Zielstrich. Für einen Augenblick sieht es aus, als ob sich Enttäuschung über Bommes Gesicht ausbreiten will, doch dann reißt er, wie Roman Popescu auf dem Bildschirm, die Arme hoch. „Vierter!“ ruft er. „Jungens, er ist Vierter, und von dem ganzen anderen Feld ist noch immer nichts zu sehen.“ Bomme ist so glücklich, daß er sogar den Fernsehapparat umarmt. Und dann vollführt er einen Freudentanz durch das ganze Pionierzimmer. Er packt den kleinen Hugo unter den Armen und wirbelte ihn umher, das dem Kleinen angst und bange wird. Und immer wieder ruft er dabei: „Er ist Vierter,

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Jungens. Er ist nicht Sieger, aber er ist vorne angekommen.“ Und dann wird Bomme noch einmal ganz still. Der Reporter hat Roman Popescu ans Mikrophon geholt. Stumm blickt Bomme in das Gesicht seines großen Freundes auf dem Bildschirm. „Herzlichen Glückwunsch, Roman, zu diesem hervorragendem vierten Platz“, sagt der Reporter. „Sie haben heute wieder einmal bewiesen, daß nicht nur dem Sieger unsere Anerkennung gebührt. Und das ist das Schöne an dieser Fahrt. Hatten Sie schon heute Morgen am Start daran geglaubt, daß sie diesmal mit vorn sein werden?“ Roman Popescu lacht. „Ich habe es gehofft. Und jemand hat mir dabei geholfen.“ „Geholfen?“ fragt der Reporter verwundert. „Das müssen Sie uns erklären, Roman.“ „Ein kleiner Junge“, sagt Roman Popescu. 78

„Er hat mir die Daumen gedrückt. Bomme heißt er. Ich konnte ihn doch nicht enttäuschen, nicht wahr?“ „Wollen sie ihn grüßen, den kleinen Jungen?“ fragt der Reporter. Und plötzlich ist auf dem Bildschirm nur noch Roman Popescus Gesicht zu sehen. Ganz groß. Es ist, als, ob er unseren Bomme ansieht, und er sagt: „Hörst du mich, Bomme? Viele Grüße, und vielleicht auf Wiedersehen im nächsten Jahr.“ Wortlos sitzt Bomme auf seinem Stuhl, und über seine Wangen mit den Sommersprossen rollen ein paar dicke Freudentränen. Roman Popescus Gesicht ist verschwunden. Aus dem Fernsehapparat tönt der helle Klang der Friedensfahrtfanfaren. Bomme wird diese Fahrten nie vergessen. Vielleicht wird er später einmal selbst dabeisein, wenn die Fanfaren zur vielleicht dreißigsten Fahrt auf den Straßen zwischen 79

Berlin, Warschau und Prag rufen. Bis dahin jedoch wird noch manche Friedensfahrt durch Bommes Städtchen rollen. Aber allein wird Bomme dann gewiß nicht mehr am Straßenrand stehen, und er würde allen Fahrern zuwinken, vom ersten bis zum letzten.

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