038 - Willi Und Die Nachtgespenster

August 27, 2017 | Author: gottesvieh | Category: Nature
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Short Description

.................

Description

DIE

K LEINEN

TROM PETERBOCHER· BAND 38

PETER THEEK

Willi und die Nachtgespenster

DER KINDERBUCHVERLAG BERLIN

Illustrationen von Harri Parschau

Alle Rechte vorbeholten Printed In the Germon Democrotic Republic Lizenz-Nr. 304-270/192/65-(60) Gesomtherstellung: londesdruckerel Sochsen, Dresden 2. Aufloge . 1331 ES9 D 1 . Preis 1,75 Für leservon 7 Johren on

Die große Neuigkeit Fast wäre Willi an diesem Morgen zu spät zur Schule gekommen. Dabei fing der Tag an wie jeder andere Wochentag auch. Die Sonne guckte flach über die Dächer. Ein

schmales

Bündel ihrer blitzenden

Strahlen huschte durch den Spalt in der Mitte der zusammengezogenen Gardi­ nen. Sie tanzen auf Willis Nase herum. Die Nase ist kitzelig. Erst zuckt sie ein wenig, dann zieht sie sich zusammen wie ein Blasebalg, und plötzlich - hatschiii muß Willi niesen. Davon wird er wach. 5

Er blinzelt in die Sonnenstrahlen hinein, kneift die Augen zusammen wie eine Katze und freut sich über das bunte Glitzern zwischen seinen Wimpern.

In

allen Farben des Regenbogens sprühen da Funken und Kreise, leuchten gelbe Sternchen, blitzt und funkelt es, wenn man die Augenlider nur um eine Winzig­ keit bewegt. Die Tür geht auf, und die Mutti steckt den Kopf herein. "Hopp, hopp, heraus aus den Federn!" ruft sie. " Papa geht gleich zur Arbeit. Hol schnell Milch, wir beide müssen auch bald gehen!" Willi saust sofort aus dem Bett. "Guten Morgen, guten Morgen", singt er und hopst durch die Wohnung, um den Eßtisch herum, an dem der Vater schon sitzt, und wieder zurück zu seinem Bett. Neben dem Bett steht ein Stuhl. Vier hell­ braune Beine hat er. Schön mit grünem 6

Stoff bezogen sind Lehne und Sitz. Auf den Stuhl legt Willi abends beim Schla­ fengehen sauber zusammengefaltet seine Hose, sein Unterzeug und seinen Nicki. Im Winter kommt die Jacke oder der Anorak über die Lehne. Früher hatte Willi seine Sachen ganz liederlich nur so auf den Stuhl geworfen: Das Hemd umgestülpt, die Ärmel nach innen gezogen, und die Hose lag da wie ein Knäuel Putzlappen. Aber dann hörte Willi eines Abends im Kinderfunk beim Gute-Nacht-Gruß eine Geschichte. Die Geschichte hieß tatsäch­ lich - man mag es glauben oder nicht die

Geschichte

hieß:

"Der

liederliche

Willi". 0 war das dem Willi peinlich! Und ausgerechnet kam auch noch die Mutti dazu, als das Sandmännchen er­ zählte, wie dieser liederliche Willi abends seine Kleider unordentlich neben das Bett . '7

warf, so daß die Mutter sie immer weg­ räumen mußte. "Aha", hatte die Mutti gesagt, "da weiß man also auch schon im Rundfunk über dich Bescheid. Nun wird die ganze Straße wissen, was ich mit dir für Ärger habe!" Willi war mit roten Ohren tief unter die Bettdecke gekrochen. Am nächsten Abend aber konnte die Mutti staunen: Da lagen alle seine Sachen fein geordnet und zu­ sammengefaltet auf dem Stuhl, fast noch schöner und gerader, als die Mutti sie bisher hingelegt hatte. Und seither gibt es keinen liederlichen Willi mehr. Auch seine Schulbücher und die Hefte und die Spielsachen - ja, auch die Kinderbücher, die Willi geschenkt oekommen hat, alles hält er sauber und in Ordnung. In seinen Schrank kann man immer hineinschauen, da bekommt man keinen Schreck wie bei manchen anderen Kinderschränken. 8

Willi zieht sich jetzt eins, zwei, fix an und läuft ins Badezimmer. Die Mutti zieht ihm schnell noch einmal den Nicki aus, bevor er sich den Hals wäscht. Im Badezimmer ist es fast wie im Gebirge. Wenn man ruft, singt oder pfeift, dann kommt hinter dem

Badeofen ein Echo hervor. Willi .

bellt ein paarmal wie der große Schnau­

zer von der Milchfrau: "Wau, wau . . . " ". . . "au, . . . au . . . ", dröhnt es aus der Ofenecke.

Keiner von Willis Freunden

hat ein so merkwürdiges Badezimmer. Mutti holt ihn endlich heraus. "Hier hast du das Geld. Paß auf, daß du es nicht verlierst! Und beeile dich!" sagt sie. Willi trabt aus der Haustür. Da gehen schon viele Leute zur Arbeit. Eine alte, weißhaarige Rentnerin führt ihren Hund aus.

Ein

dicker

brauner

Müllwagen

schnauft die Straße herauf. Die runden verzinkten Mülltonnen, die hinten am 10

Wagen hängen,

scheppern mit

ihren

Blechbäuchen aneinander. Vier Häuser weiter ist schon der Milch­ laden. Willi kommt gleich dran. Die Ver­ käuferin kennt ihn. "Einen liter, ja?" fragt sie. Willi nickt. Er legt das Geld auf den Tisch, setzt vorsich..

tig den Deckel auf die weiße Plastikkanne und verläßt den Laden. Zurück geht Willi immer auf der anderen Straßenseite. Die Straße ist nicht sehr be­ lebt, nur selten fährt ein Auto vorbei, Motorräder schon öfter. Willi paßt auf, wenn er über die Straße geht. Er bleibt am Rand stehen, sieht erst nach links, dann nach rechts, und wenn die Straße frei ist, geht er geradeaus auf die andere Seite. Er weiß genau, daß man nicht schräg über die Straße gehen und auch nicht rennen soll, denn dann verliert man leicht die Obersicht. 11

Willi ist neugierig.

Auf

der

anderen

Straßenseite wird nämlich ein Kinder­ spielplatz gebaut.

Sonntag früh oder

auch abends an den Wochentagen ver­ sammeln sich

� ie Leute aus den umliegen­

den Häusern. Einige haben Spaten mit, andere Hacken und Harken, wieder an­ dere stecken mit Meßlatten und langen Leinen Wege ab. Zwei eiserne Karren sind auch da. Und gestern abend - das hat Willi vom Fenster aus gesehen, als er zu Bett ging - waren Maurer in weißen Arbeitskitteln gekommen. Sie haben Ze­ ment angerührt und mitten auf dem Platz eine große Schleife aus Beton gegossen. Wie eine glatte Brezel liegt sie jetzt da, grau und glatt. Das ist die neue Roll­ schuhbahn. Willi ist gespannt. Was mag am Vor­ abend noch alles geschehen sein? Der weite Platz, auf dem früher einmal ein 12

altes Haus mit vielen Hinterhäusern ge­ standen hat, sieht wunderbar aufgeräumt aus. Er ist dicht an dicht mit sauber aus­ geschnittenen

viereckigen

Rasenstück­

chen belegt. Die hat ein Lastauto von einer Wiese am Stadtrand geholt. Jetzt sollen sie anwachsen. Hier und da stehen kleine

Schildchen.

Willi

liest:

"Rasen

frisch gelegt - bitte nicht betreten!" Rechts an der Straße stehen im Viereck acht Bänke mit geschwungenen Lehnen rot,

gelb,

rosa,

grün,

weiß,

hellblau,

o"range und hellgrau gestrichen. Bunt und lustig sehen sie aus. Mitten zwischen den Bänken aber haben die Maurer aus Klinkersteinen ein kleine­ res Viereck gebaut. Es ist ganz niedrig und angefüllt mit feinem gelben Sand. Das ist der Buddelplatz für die Kleinen. Und hinten, da, wo schon im Vorjahr eine Reihe junger Birkenstämmchen gepflanzt 13

worden ist, steht doch wirklich schon das Klettergerüst, von dem der Vater ge­ sprochen hatte. Auch das Klettergerüst ist wie die Bänke in bunten Farben an­ gestrichen. Willi möchte zu gern einmal hinlaufen und zur Probe hinaufklettern. Eine Wippe scheint da hinter den niedrigen Büschen auch zu stehen. Aber Willi traut sich nicht. Die Wege sind so schön geharkt, da würde man jeden Fußabdruck sehen. Und jetzt entdeckt er auch das große Schild, das ganz vorn am Eingang an eine lange Stange genagelt ist. Es ist weiß und hat einen dicken roten Rand. Willi beginnt zu lesen.

Die Schrift ist

schwarz, nur die Anfangsbuchstaben sind immer bunt gemalt, in denselben Farben wie die acht Bänke am Buddelplatz. LIEBE KINDER, steht da, KOMMT AM SONNABEND UM VIER UHR ALLE ZUR 14

EROFFNUNG

EURES

NEUEN

SPIEL­

PLATZESI WIR FEIERN EIN GROSSES KINDERFEST

MIT

RASCHUNGEN I

VIELEN

UND

O.BER­

ABENDS

IST

FACKELZUGI Hinter jedem Satz steht ein dickes rotes Ausrufungszeichen. Heute ist Freitag, denkt Willi. Sonnabend um vier - das ist ja morgen nachmittag I Doch

da

kriegt

Willi

plötzlich

einen

Schreck. Er hatte sich doch beeilen sollen I

o je, und jetzt steht er hier schon die ganze Zeit am neuen Spielplatz herum. Willi rennt unvorsichtig über die Straße und dann, so schnell er kann, mit seiner Milchkanne die Treppe hinauf. Die Mutti steht aufgeregt in der Woh­ nungstür.

.. Wo bleibst du denn bloß,

Willi? Ich müßte dir ja eins hinter die Ohren gebenI Sieh mal zur Uhr!" Willi erschrickt. Es ist gleich halb neun. 15

In fünf Minuten beginnt die Schulstunde! Und die Mutti muß in fünf Minuten im Selbstbedienungsladen am Runden Platz sein, wo sie immer einen halben Tag beim Verkaufen hilft. Schnell steckt er sein Frühstücksbrot in die Schulmappe. Zum Essen ist keine Zeit mehr. Hand in Hand mit der Mutti läuft Willi die Treppe hinunter. "G uck mal - da drüben: Morgen ist

Kinderfest!" ruft er noch, dann saust er los ... Schon ist er um die Ecke. Da laufen

auch andere Kinder, die es eilig haben. Klapp, klapp, sind sie durch die Schultür. Es klingelt gerade,

als Willi in seine

Klasse kommt. Er pustet noch wie eine Lokomotive,

als

Fräulein

Mollenschott

schon am Lehrertisch sitzt und mit dem Unterricht beginnt. "Haste schon gehört?" flüstert Willi sei­ 'lern Nebenmann zu. "Morgen um vier



Nocntge5pen5ler

17

ist bei uns auf 'm Spielplatz Kinderfest! " Wollen wir hingehen? Aber so leise er auch zu sprechen glaubt, sein Pusten hat ihn verraten. "Willi, was hast du denn so Wichtiges zu " erzählen? fragt die Lehrerin. "Komm, sag's noch mal laut, das wollen wir alle hören!" Willi steht auf. "Ich habe bloß gesagt, morgen um vier ist bei uns in der Straße Kinderfest. Da wird der neue Spielplatz eingeweiht. Und Oberraschungen gibt's " auch , sagt er und denkt: Wird sie mich nun bestrafen, weil ich im Unterricht ge­ schwatzt habe? Aber Fräulein Mollenschott denkt nicht daran, ihn zu bestrafen. "Kinder, das ist " eine schöne Neuigkeit , sagt sie. "Ich mache euch einen Vorschlag: Wir gehen morgen alle hin zum Kinderfest. Habt ihr auch Platz genug für so viele Gäste?" 18

"Hoch", macht Willi und winkt überlegen mit der Hand ab, "da können noch viel mehr kommen. Ich glaube, wir haben den größten Kinderspielplatz von der ganzen Welt!" "Huh", kreischen die anderen

Kinder,

vor allem die Mädchen, "der gibt aber an,

so ein Aufschneider!"

Das Kinderfest beginnt Beim Mittagessen am Sonnabend zap­ pelt Willi auf seinem Stuhl herum wie ein Fisch auf dem trockenen Sand. Immerfort springt er auf, läuft zum Fenster und späht hinüber zum neuen Spielplatz. Ob es bald losgeht? "Nun sitz endlich still, Willi! Es ist erst zwei", schimpft die Mutti. "Sieh mal, ich habe dir so eine schöne Kartoffelsuppe 2·

19

gekocht mit einem langen Wiener Würst­ chen drin." Willi ißt nämlich gern Kartoffelsuppe mit Würstchen. Jeden Sonnabend könnte es die geben. Besonders, wenn schön viel gehackte Petersilie drauf schwimmt wie Entengrütze auf einem Teich. Und die lange Wurst hebt er sich immer bis zuletzt auf, obwohl die Mutti das gar nicht gern hat. "Laß ihn nur", sagt dann der Papa immer. "Ich hab es auch so gemacht, so schmeckt es am besten." Der Papa bekommt immer zwei lange Würstchen. Die Mutti sagt: "Wenn du groß bist, Willi, bekommst du auch zwei. Kinder vertragen noch nicht soviel." Aber Papa gibt ihm oft heimlich ein Stückehen von seiner zweiten Wurst ab und zwinkert ihm dabei zu. Einmal hat die Mutti es ge­ merkt. Da hat Papa gesagt: "Na ja, ein b i ß eh e n groß ist er doch schon, unser 20

Willi!" Und dann haben sie alle drei ge­ lacht. Willi hat seinen Papa sehr gern. Seine Mutti natürlich auch. Er weiß nicht, wen er lieber hat, den Papa oder die Mutti. Riii - ri - riiiii, klirrt die Klingel an der Wohnungstür.

Das kann nur Thomas

sein. Thomas ist Willis bester Freund. Sie gehen in dieselbe Klasse, haben beide im sei ben Monat Geburtstag, und manch­ mal, Wenn sie zusammen Schularbeiten machen, haben sie sogar dieselben Feh­ ler in ihren Heften. Willi saust zur Tür. " Kommst du runter?" fragt Thomas. Er schwitzt, so ist er gelaufen. Es ist sehr heiß draußen, keine Wolke am Himmel. Thomas hat eineweiße Bluse an. Auf dem linken Ärmel bemerkt Willi ein rundes blaues Abzeichen. "Was ist denn das?"

22

"Kennst du wohl nicht?" fragt Thomas. "Das ist ein Sputnik-Abzeichen, es lag im , Frösi' drin. Meine Mutter hat es auf den Ärmel gelegt und dann drubergeplättet, mit 'm heißen Plätteisen. Und jetzt geht's

nicht mehr ab. "

Willi weiß: "Frösi" - das ist der abge­ kürzte Name einer bunten Kinderzeit­ schrift, in der immer lJberraschungen zu finden sind. Er betrachtet neidisch das Sputnik-Abzeichen. Deutlich kann man die Antennen erkennen. Wie die Fühler eines Käfers sehen sie aus. Und auch die Buchstaben kann man lesen - CCCP. Das sind russische Buchstaben. Sie be­ deuten SSSR, die Anfangsbuchstaben der russischen Wörter für "Union der Sozia­ listischen Sowjetrepubliken". "Ob das der Sputnik ist, mit dem Juri Gagarin das erste Mal um die Erde ge­ flogen ist?" meint Willi. 23

" " Nein , antwortet Thomas, " der ist doch nicht mit einem Sputnik geflogen. Mein Onkel Max sagt, einen Sputnik kann man nicht lenken. Den schießt man hoch, ganz hoch bis über die höchsten Wolken und noch höher, und dann saust der immer um die Erde rum. Gagarin ist -" " Ja, weiß ich auch", unterbricht ihn Willi, dem inzwischen alles wieder eingefallen ist. " Der ist mit einem Weltraumschiff ge­ flogen, das man lenken kann. Damit ist er dann wieder gelandet. Aber vielleicht sieht ein Weltraumschiff auch so aus wie ein Sputnik?" Thomas zupft den Ärmel so zurecht, daß er das Abzeichen richtig sehen kann. " " Glaube ich nicht , sagt er. "Hier ist ja gar kein Steuer dran zu sehen. Wie soll er denn damit lenken können!" Da wird von außen ein Schlüssel ins Tür­ schloß gesteckt. Willis Papa kommt. 24

"Na. ihr beiden". begrüßt er sie. "Ihr seid wohl schon zappelig? Hast du denn schon zu Mittag gegessen. Willi?" Willi fällt ein. daß sein Teller noch halb voll ist. "Darf Thomas oben bleiben. bis ich fertig bin?" bittet er die Mutti. Die guckt in den Topf und sagt: "Komm. Thomas. einen Teller voll kannst du ab­ haben. Du ißt doch ebenso gern Kar­ toffelsuppe wie Willi. nicht wahr?" Thomas läßt sich nicht zweimal einladen. obwohl er zu Hause gerade erst ge­ gessen hat. "Eine Wurst haben wir leider nicht mehr. Thomas". sagt Willis Mutti. Aber das macht nichts. Thomas langt kräftig zu. "Herr Krause. stimmt's". fragt Thomas. als sein Teller leer ist. "ein Weltraumschiff muß ein Steuer haben zum Lenken. damit man wieder landen kann. Und das hier 25

auf meinem Ärmel ist ein Sputnik, mit dem kann man nicht landen, der saust nur immerzu um die Erde. " Willis Vater hat es geschmeckt. "Einen Moment mal", sagt er. Er holt für jeden am Tisch einen Apfel aus einem Bast­ körbchen, das auf dem Schrank steht. " Du hast recht, Thomas", antwortet er dann. " Ein Weltraumschiff muß man lenken können. Aber das geht nicht so wie bei einem Kahn oder einem Flugzeug, wo hinten einfach ein Ruder dran ist." " Ein Leitwerk", sagt Willi wichtig. "Ja, beim Flugzeug heißt es so. Beim Weltraumschiff geht das also nicht. Wo das langfliegt, gibt es keine Luft mehr, und nur wo Luft ist - oder Wasser - da kann man mit einem Ruder lenken. Das Weltraumschiff hat kleine Raketen vorne uno an den Seiten. Damit kann der Pilot es bremsen und auch in andere Rich26

tungen lenken, also zum Beispiel zur Erde zurück. " Herr Krause, Willis Vater, sieht zur Uhr. "Ich glaube, es wird Zeit, Jungens. Ich muß sowieso etwas früher da sein. Los, wir gehen zum Kinderfest! Kommst du auch mit, Mutti?" "Was hast du denn beim Kinderfest zu tun?" fragt die Mutti. " Du bist doch schon ein bißchen zu groß dafür'" Willi und Thomas lachen. "Vati darf hel­ fen, weil er beim Bau vom Spielplatz mit­ gemacht hat", klärt Willi seine Mutti auf. Die Mutti lacht jetzt auch.

Und ich " dachte, er wollte mit euch Sackhüpfen machen", sagt sie. " Nee,

das

gibt's

nicht",

meint

Willi,

"dann gewinnt er immer." "Also, amüsiert euch gut'" ruft die Mutti ihnen zu. "Ich muß noch die Küche auf­ räumen, späte;;r komme ich auch rüber." 27

Dann ziehen sie los. Die beiden Jungen ungeduldig

vorneweg,

dahinter

Willis

Papa. Es ist noch lange nicht vier Uhr, aber auf dem Gehsteig vor dem Plakat stehen schon viele Kinder. "Wer kommt mit zum Klub der Natio­ nalen Front und hilft mit, die Sachen her­ zutragen?" fragt Herr Krause die Kinder. Alle wollen sie mitkommen, jeder will helfen. Herr Krause sucht zwei der kräftigsten Jungen und ein großes Mädchen aus. "Und ihr anderen wartet noch ein biß­ chen und tretet mir nicht auf den frischen Rasen!" " Dürfen wir auch mitkommen?" fragen gleichzeitig Willi und Thomas. "Nein", sagt Willis Papa. "Ihr bleibt besser hier und sorgt dafür, daß keiner 29

Unfug treibt.

Und paßt auf, daß die Autos euch nicht überfahren!" Dann geht Herr Krause mit seinen drei Helfern weg. Er hat es nicht weit. Der Klub der Nationalen Front ist an der Ecke, genau gegenüber dem Milchladen, aus dem Willi jeden Morgen einen Liter Milch in seiner neuen Plastik-Kanne holt. Im Klub der Nationalen Front sind schon mehrere Leute versammelt. Als Willis Vater hereinkommt, meint gerade ein ziemlich dicker Mann mit lustigen Äug­ lein:

"Würstchenschnappen

und

Eier­

laufen - ja, das könnten wir schon auf dem Rasen machen. Aber das Roller­ rennen und den großen Wettlauf für alle Kinder - nein, da geht uns der Rasen kaputt, das geht nicht!" " Dann sperren wir eben die Straße ab und machen eine Spielstraße draus", sagt ein anderer Mann. Er hat die grau30

grüne Uniform der Volkspolizei an. Willis Papa kennt ihn. Es ist Genosse Schröder, der Abschnittsbevollmächtigte. " Ich rufe

gleich bei der Volkspolizei­

inspektion an und

bitte um

die

Er­

laubnis." Schon geht Genosse Schröder zum Tele­ fon. Rrrt, rrrt, rrrt - schnell hat er die Ver­ bindung. "Ja, danke, bis acht Uhr. Danke schön, Genosse Oberleutnant", sagt er, legt den Hörer auf und blickt auf seine Armbanduhr. "Meine Güte, schon fünf Minuten vor vier! Jetzt aber los - die Schilder holen!" Er schwingt sich auf sein Fahrrad. Auch ein anderer

Helfer hat sein

Fahrrad

draußen stehen. Sie sausen zum Volks­ polizeirevier. Dort holen sie die Schilder ab. Herr

Krause packt inzwischen allerlei

bunte Sachen in zWei dicke Waschkörbe 31

ein. Die anderen helfen ihm dabei. In den einen Korb kommen sechs Säcke, die sind für das Sackhüpfen. Dazu legt Herr Krause

zwanzig

leere

Blechbüchsen,

sechs Tennisbälle, zwei Leinen,

Löffel,

Gipseier und bunte Wimpel. In den an­ deren Korb kommen die Preise. Da ist ein ganzer Karton voll Bonbons, kleine Tafeln Schokolade,

Dauerlutscher,

Pa­

piermützen, Teufelszungen, Trillerpfeifen, Kinderbücher und zwei größere Pakete, in die man nicht hineingucken kann. "Das sind die Hauptpreise", sagt der kleine dicke Mann mit den lustigen Äug­ lein zu den beiden Jungen und dem großen Mädchen. . . Da strengt euch man an, es sind feine Sachen drin, aber es wird noch nichts verraten!" Klingling, der Abschnittsbevollmächtigte mit seinem Fahrrad ist wieder da. Unter den Arm geklemmt trägt er zwei runde 3

Nachtge.penster

33

weiße Schilder mit einem roten Rand. "Spielstraße" steht mit schwarzen Buch­ staben drauf. Die Schilder sind an manns­ hohen Stangen befestigt, unten ist ein runder, schwerer Fuß dran. Gerade will ein Lastauto in die Straße einbiegen. Genosse Schröder hebt die Hand. " Haiti" sagt er, "hier ist jetzt ge­ sperrt." Und er stellt das eine Schild mitten auf die Straße. Der andere Helfer bringt ein gelbes Schild, das wie ein Pfeil aussieht. " Umleitung" kann man darauf lesen. "Was ist denn hier los?" brummt der Fahrer des Lastwagens. "Sie müssen weiter rechts herumfahren. Hier ist jetzt Kinderfest, Kollege", sagt der Abschnittsbevollmächtigte. "Ach so", erwidert der Fahrer. " Na, dann viel Spaß!" Der schwere Diese/­ motor dröhnt, der Wagen rollt zurück. 34

Schnell werden am anderen Ende der Straße ebenfalls Schilder aufgestellt, und nun kann es wirklich losgehen. Auf der Straße herrscht ein ungeheures Gewimmel. Viele Kinder haben sich ver­ kleidet.

Ein Junge sieht aus wie ein

Araber. Er hat ein weißes Handtuch wie einen Turban um den Kopf geschlungen. Ein Mädchen hat sich einen glitzernden Kamm ins Haar gesteckt, dazu trägt sie einen knallroten Rock. Sie ist als Spa­ nierin zum Kinderfest gekommen. Ober einen Jungen lachen alle. Er hat sich eine Weihnachtsmann-Maske

vors

Gesicht

gebunden und pustet nun darunter. Bald macht er die Maske ab und hebt sie lieber für den Winter auf. Zwei

Tische

sind

inzwischen

auf

die

Spielwiese gestellt worden. Da werden die Blechbüchsen aufgebaut, schön säu­ berlich wie eine Pyramide. Unten kom3'

35

men vier Büchsen hin, darüber drei, dann zwei und ganz oben eine. Kaum sind sie aufgebaut, da stoßen zwei Mädchen, die Einkriegen spielen, an den Tisch. Krach, fallen alle Büchsen herunter. Willi und Thomas heben sie wieder auf. "Dumme Gänse!" schimpft Willi. Aber schon steht die Pyramide wieder. An einer anderen Stelle sind zwei hohe Ständer aufgestellt worden, solche, wie man sie in der Schule zum Hochsprung benutzt, um die Leine oder die Latte dar­ überzulegen. Jetzt liegt oben eine dicke Schnur über den beiden Zapfen, und Herr Krause bindet gerade drei kleine Würstchen mit den Zipfeln dran. Noch ein Stück weiter werden mit Kreide lange Striche auf den Straßenasphalt gezeichnet.

Hier wird das Sackhüpfen

stattfinden. Fünf Thälmann-Pioniere, drei mit blitzen36

den Fanfaren und zwei mit bunten Trom­ meln, haben sich vor das Schild am Spiel­ platz gestellt und blasen und trommeln, daß man es bis in die nächsten Straßen hinein hört. Alle Kinder und auch die Großen

drängen zu dem

Schild

hin.

Oberall öffnen sich die Fenster. Neugierig sehen die Leute heraus. Willi blickt schneil nach oben. Ja - auch seine Mutti sieht herab. Jetzt winkt sie ihm zu. Da steigt ein Mann auf einen Stuhl. Er muß noch einmal herunterklettern, weil der Stuhl wackelt. Aber dann steht er fest, und der Mann kann mit seiner Ansprache beginnen. "liebe Kinder", sagt er, "liebe Eltern, liebe Gäste! Da haben wir es nun ge· schafft. Fast alle hier aus unserer Straße haben mitgeholfen, und nun ist unser Kinderspielplatz fertig. liebe Kinder, wir sollten

allen

denen,

die

an

diesem 37

schönen

Spielplatz

mitgebaut

haben,

herzlich danken, indem wir dreimal rufen: Sie leben - hoch! Hoch! Hoch!" "Hoch, hoch, hoch!" rufen alle Kinder. Man hört es bestimmt bis mitten in die Stadt. Gerade ist das Kinderfest eröffnet, da tönt von fern her eine Feuerwehrsirene. Tatü - tata, taW, tata. Die Sig'nale kom­ men immer näher. Ein großes Feuerwehr­ auto stoppt vor dem runden Schild, auf dem "Spielstraße" steht. Das Feuerwehr­ auto ist knallrot lackiert. Es glänzt und funkelt in der Sonne. Langsam fährt es nun in die Straße hinein. Männer mit Feuerwehrhelmen sitzen vorn im Fahrer­ haus. Einer trägt silberne litzen auf der Schulter. Der klettert heraus. "Was ist denn hier los?" fragt er, genau wie der Lastautofahrer. Willis Papa steigt auf das Trittbrett. "Hier 39

wird heute Kinderfest gefeiert, weil der neue

Spielplatz

fertig

ist",

sagt

er.

" Brennt es denn in der Nähe oder filat sich irgendwo ein Bienenschwarm fest­ gesetzt?" "I wo", antwortet der Leutnant von der Feuerschutzpolizei. "Wir wollten nur eine kleine Löschübung machen und dabei den frischen Rasen auf dem neuen Spiel­ platz besprengen. Wir haben ja nicht ge­ wußt, daß heute Kinderfest ist. Na, da werden wir ein anderes Mal kommen." " Nein, fahren Sie nicht weg!" sagt der kleine dicke Mann mit den lustigen Äug­ lein. " Nicht wahr, Kinder, das ist eine feine lJ'berraschung, wenn die Feuerwehr uns zeigt, wie weit sie spritzen kann? Und unser Rasen wird auch gleich be­ gossen!" "Ja, ja, hierbleiben, bitte, hierbleiben!" rufen die Kinder. 40

" Dann wollen wir mal zeigen, was wir können!" sagt der junge Leutnant in der dunkelblauen

Uniform zu den

Feuer­

wehrleuten auf dem roten Auto. Wie die Wiesel springen die flink von ihren Sitzen. Schon haben zwei die große Sch1auchtrommel losgehakt. Zwei andere setzen bereits ein blankes dickes Rohr auf einen Hydranten auf und schrauben es fest. Die Kinder laufen von allen Seiten her­ bei, um zuzusehen. Aber alle bleiben ordentlich in einigem Abstand stehen, um die Feuerwehrleute nicht zu stören. Wie eine dicke rote Schlange sieht der Schlauch aus. Schnurgerade wird er von der Trommel gerollt. Klick, jetzt ist er am Hydranten angeschlossen. Der Leutnant gibt einen Befehl, und schon wird der Hahn aufgedreht. Aber es ist kein kleiner Wasserhahn wie zu Hause in der Küche. 41

Nein, mit einer langen Eisenstange, an der oben noch ein eiserner Querstab ist, wird das Rohr geöffnet. Und nun sieht man,

wie das Wasser in

dem roten

Schlauch, der erst ganz flach dagelegen hat, entlangschießt. Es ist, als ob viele vollgefressene Mäuse darin entlangflit­ zen,

immer

schneller,

der

blitzenden

mächtigen Spritze entgegen, die vorn am Spielplatz von zwei Männern gehalten wird. "Spritzen Willis

Sie

bitte

Papa zu den

ganz

hoch",

sagt

Feuerwehrleuten,

"damit das Wasser schön sachte in klei­ nen Tröpfchen herunterkommt und jeder " Grashalm etwas abkriegt. "Wird gemacht", rufen die beiden Feuer­ wehrleute an der Spritze.

Da springt

schon der silbrige Wasserstrahl heraus. Immer höher steigt er, ist schon über den Baumwipfeln. Ein Windhauch treibt un42

\

,

I

I

I

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,

.



'

zählige winzig kleine Wassertröpfchen über die Straße. "Ahhhh -'" rufen die Kinder. Die Was­ sertröpfchen wehen auf sie herab. Es ist gleich erfrischend kühl. obwohl die Sonne weiter brennt. "Seht mal - ein Regenbogen ," Willi hat ihn zuerst entdeckt. Alle Kinder und auch die

Großen bewundern

den

schönen

bunten Regenbogen, der durch die vielen Wassertröpfchen im Sonnenlicht entstan­ den ist. Rot, orange, gelb, grün, blau und violett leuchtet er. Der Wasserstrahl reicht bis weit über die Mitte des Spielplatzes. Die Feuerwehr­ leute ziehen den Schlauch noch ein Stück den Weg entlang, der zum Klettergerüst führt. Jetzt kriegen auch die kleinen Bir­ kenstämmchen ihre Portion ab. Bald ist der ganze Platz begossen. Er sieht aus, als ob es geregnet hat, aus einer ganz 44

kleinen Wolke. Die Regentropfen haben gerade für den Spielplatz gereicht. Rings­ um ist alles trocken geblieben. Die Feuerwehrleute rollen ihren roten Schlauch wieder ein. Es geht ganz fix. Schon ist er wieder auf der Trommel. " Prima", sagt Thomas. " " Dufte , sagt Willi. "Ich gehe später auch zur Feuerwehr", meint Thomas. "Ich auch", sagt Willi. Dann winken sie zum Abschied den Feuer­ schutzpolizisten zu, die wieder in die Fahrerkabine geklettert sind. " "Auf Wiedersehen , Alle Kinder winken zum Abschied. Das mächtige rote Auto brummt los. Ganz langsam fährt es, damit keinem Kind etwas geschieht. Aber wenn es not tut, dann kann es sausen wie der Blitz. Jetzt geht es los mit den Wettkämpfen. 45

Einige Muttis und Vatis haben die Auf­ sicht übernommen.

Sie

erklären,

was

man machen muß. Herr Krause steht beim Sackhüpfen am Ziel. Er paßt genau auf, wer erster ist

-

der bekommt den größ­

ten Preis. Willi und Thomas versuchen es zusam­ men. Auf dem dritten Platz hüpft das große

Mädchen,

das vorhin

geholfen

hat, den einen Korb zu tragen. Es macht lange Sätze wie ein Känguruh und ist schon weit vorn. Willi strengt sich mächtig an, aber er hüpft man nur wie ein Kanin­ chen. Thomas kann es besser. Er hat das große Mädchen fast schon wieder ein­ geholt und hüpft immer schneller. Dicht nebeneinander

hopsen

sie über

den

Zielstreifen. Willis Papa ist Schiedsrichter. Thomas hat gewonnen, aber ganz " knapp, und Dagmar ist zweite gewor­ den!" entscheidet er. 46

(

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Thomas bekommt ein Buch als Sieger­ preis. Dagmar erhält eine bunte Papier­ mütze und Willi als Trostpreis einen Bon­ bon. Na, wartet mal - nachher beim großen Wettlauf werde ich es besser machen, denkt er. Willi kann nämlich gut rennen. Beim Wettlaufen will er es den anderen zeigen. Thomas freut sich. Er blättert in dem Trompeter-Buch, das er eben gewonnen hat. Es hat einen schönen, glänzenden Deckel. " Das habe ich mir schon lange gewünscht", sagt er zu Willi. "Jetzt habe ich schon sieben Trompeter-Bücher'" Er läuft schnell nach Hause, um das neue Buch in sein Regal zu stellen. Es soll nicht schmutzig werden. Thomas wohnt ganz in der Nähe. Er hat es gut. Hinter dem Haus, in dem er mit seiner Mutti wohnt, ist ein großer Garten. Da hat er ein Beet mit Mohrrüben, Peter48

silie und Radieschen angelegt.

Immer

wenn die Mutti in der Küche etwas davon braucht, geht er zu seinem Beet, rupft ein Sträußchen Petersilie ab oder zieht ein paar dicke und lange Mohrrüben heraus und bringt sie der Mutti. " Guten Tag", sagt er dann. " Der Ge­ müsewagen ist da. Brauchen Sie etwas, meine Dame?" Und die Mutti spielt mit. "Ja, was haben Sie denn heute? Ach, so schöne Mohr­ rüben! Was kosten die denn?" Das Bund zehn Pfennig, frisch aus dem " Garten", sagt Thomas dann. "Und ein bißchen Petersilie gibt es umsonst dazu." Na, das ist ja schön billig", antwortet " die Mutti. " Da geben Sie mir man gleich ein Bund her!" Und sie gibt ihm wirklich ein Zehn- Pfennig-Stück dafür. Das steckt Thomas in seine Sparbüchse. Sie ist schon beinahe halb voll. 4

Nachtgespanst.,

49

Heute aber hat er keine Zeit für sein Gartenbeet. Er läuft schnell zur Mutti hin­ auf und zeigt sein neues Büchlein. " Das habe ich gewonnen", sagt er stolz. Die Mutti freut sich darüber. Hopp, hopp, ist Themas wieder unten. Da sieht er Willi beim Büchsenwerfen. Willi wirft einmal. Vorbei. Willi wirft noch einmal.

Wieder vorbei.

Einige

Kinder,

die herumstehen, lachen ihn schon aus. Da strengt er sich mächtig an, seine Ohren werden rot. Bums - der Ball fliegt dem kleinen dicken Mann mit den lusti­ gen Äuglein genau an den Kopf. Willi möchte sich am liebsten verkriechen. Der Mann aber ist gar nicht böse. Er lacht. Und nun muß auch Willi lachen. "Der Wurf gilt nicht", sagt der kleine dicke Mann. Willi darf noch einmal wer­ fen. Und diesmal gibt es einen großen Krach. Die Büchsen purzeln hinunter, nur 50

eine wackelt zwar ein wenig, bleibt aber stehen. "Hurra!" rufen die anderen Kinder, und Willi freut sich. Nun hat er sich doch nicht blamiert. Er bekommt eine Teufelszunge, die bläst er gleich seinem Freund Thomas ins Gesicht. Jetzt gibt es eine neue Oberraschung. Ein

langer Zug fröhlicher Musikanten

kommt anmarschiert, das Kinderorchester der Schule aus der Nebenstraße. Sie spielen lustige lieder auf ihren Akkor­ deons und Zupfinstrumenten, und alle Kinder singen mit. Ein Junge hat ein Ge­ dicht gemacht, das trägt er jetzt vor: "

Unser Spielplatz - eins, zwei, drei, fertig ist er schon im Mai. Alle Kinder groß und klein sich darüber herzlich freun. Danke! sagen wir heut laut allen, die ihn aufgebaut."

52

Alle klatschen. Der Junge ist sehr ver­ legen. weil das Gedicht so gut gefällt. Zur Belohnung darf er als erster beim Würstchenschnappen

mitmachen.

Das

gibt einen Spaß! Die meisten hopsen da­ neben. und die Würstchen zappeln ihnen um die Nase herum. Aber schließlich wird die Schnur. an der sie hängen. etwas her­ abgelassen. Nun kann jeder sein Würst­ chen erhaschen. Knack macht es. wenn man hineinbeißt.

Der Wettlauf Da hört man ein Trompetensignal. Täräää. tätätäää! Der große Wettlauf beginnt! Nur die schnellsten dürfen an diesem Wettlauf teilnehmen. Nein. es sind ja sogar zwei Läufe. einer für die Jungen und einer für die Mädchen. 53

Fast alle Kinder wollen mitlaufen, nur die Faulen setzen sich gleich an den Rand der Rennstrecke. So muß man erst sehen, wer zu den Schnellsten gehört. Immer fünf Jungen oder fünf Mädchen rennen um die Wette. Wer gewonnen hat, darf zum Schluß am großen

Preis-Wettlauf

teilnehmen. Willi schafft es ganz leicht. Thomas wird nur Dritter, er muß aus­ scheiden. Nun ist es soweit. Erst laufen die fünf schnellsten Mädchen. Auch Dagmar ist dabei,

die

vorhin Zweite beim Sack­

hüpfen war� Aber diesmal wird sie, oje, letzte. Ein kleines wieselflinkes Mädchen gewinnt und springt vor Freude ihrer Mutti in die Arme. Der zweite Lauf beginnt. Dahinten, dicht neben dem weißen Zielband, steht der Tisch mit den beiden geheimnisvollen Päckchen, in denen die Hauptpreise ver54

steckt sind. Ich muß so schnell laufen wie noch nie, denkt Willi. Was mag in den Paketen drin sein? Willi mustert seine vier Gegner, die links und rechts neben ihm zappeln. Sie sind genauso aufgeregt wie er. Alle wollen sie gewinnen. Den Werner, pah - den überhole ich bestimmt, überlegt Willi. Und den Ulli auch. Bei Heini muß ich auf­ passen, den habe ich neulich beim Ab­ schlagespiel nicht erwischt. Aber im Wett­ lauf bin ich bestimmt schneller. Ganz außen neben Heini steht Klaus. Der "Lange" nennen sie ihn in der Klasse. Willi und Klaus streiten sich fast jeden Tag. Sie sind beide die besten Sportler der Klasse. Klaus mit seinen langen Bei­ nen kann am weitesten springen. Willi springt dafür höher als er. Und im Laufen ist mal der eine Erster, mal der andere. Deshalb haben sie auch sooft Krach mit55

einander, denn jeder will der Allerbeste sein. Willi wird immer unruhiger. Wenn bloß der Klaus mit seinen langen Beinen ihm heute nicht den Preis wegschnappt! Jetzt werden sie zum Start gerufen. Sie stehen nebeneinander in einer Reihe. Willi beugt sich vornüber, wie es die großen Sportler tun. Dann heißt es: "Ein, zwei - los!" Wie sausen sie da ab um die Wette! Keiner will den anderen vorbeilassen. Schon haben sie die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht. Da merkt Willi, wie neben ihm der lange Klaus immer schneller wird. Einen halben Meter vor ihm ist er bereits. " Los, Willi! Los, schneller!" schreit Thomas. Willi beißt die Zähne zusammen und strengt sich mächtig an. Aber der andere Junge ist nicht einzuholen. Ein kleines Stückchen nur, einen halben Schritt viel­ leicht, läuft er vor Willi her. 56

Willi hört die Kinder rufen und schreien. Gleich sind sie am Ziel, und immer noch ist der andere vorn. Da passiert es plötzlich: Willis linker Fuß rutscht an einem kleinen Steinchen ab, das ausgerechnet mitten auf der Renn­ strecke liegt. Fast stürzt er lang hin. Mit einem mächtigen Satz kann Willi sich gerade noch wieder ins Gleichgewicht bringen. Doch er prallt auf den langen Klaus. Der ist auf den Zusammenstoß nicht gefaßt. Er stolpert, rudert mit den Armen in der Luft herum. Aber vergebens, schon ist das Unglück geschehen: Bums, da liegt er, dicht vor dem Ziel, und im Nu ist Willi an ihm vorbeigelaufen und hat gewonnen. Einige Kinder rufen: Willi hat geschubsti"

"

Das gilt nicht! Der

Thomas ober ist empört: "Stimmt nicht. Was kann er dafür, wenn er stolperti" 57

Alle

reden

durcheinander.

Willi

sagt

nichts, er ist noch ganz außer Atem. "Wir können ihn ja selber fragen", ent­ scheidet der Mann, der die Preise ver­ teilt. "Willi, sag uns die Wahrheit: Hast du den Klaus absichtlich geschubst?" Willi spürt, wie alle Augen auf ihn ge­ richtet sind. Da hat er sich nun fest vor­ genommen zu gewinnen und hat sich so sehr auf den Sieg gefreut. Und was ist jetzt? Jetzt glauben einige Kinder sogar, er hätte den Klaus mit Absicht gestoßen. Aber er kann doch nichts dafür! " Nein",

sagt

Willi,

"ich

bin

beinahe

selber gefallen. Ich bin über einen Stein gestolpert." " Na bitte", ruft Thomas dazwischen. " Ich habe es genau gesehen!" " Dann hat Willi gewonnen. Klaus, du hast leider großes Pech gehabt", ent­ scheidet der Zielrichter. 59

Klaus ist gar nicht zufrieden mit diesem Spruch, und auch der Sonderpreis, den er erhält - eine große,

blitzende Mund­

harmonika -, kann ihn nur wenig trösten. Wer würde sich bei so einem Pech auch nicht ärgern? Die Kinder haben einen großen Kreis rund um den Tisch gebildet, auf dem die beiden Siegerpreise liegen. Willis Mutti, der Papa und noch viele andere Leute kommen hinzu und wollen die Sieger­ ehrung miterleben. Die beiden Sieger - Willi und die Ge­ winnerin des Mädchen-Laufes - müssen mitten in den Kreis treten. Der kleine Mann mit den lustigen Äuglein reicht ihnen die Hand und gratuliert ihnen. Dann n immt er vom Tisch die Pakete. Man kann immer noch nicht sehen. was drin ist. .. Ihr könnt euch jeder ein Päckchen aus60

suchen - aber reingucken dürft ihr erst hinterher. " Neugierig starren alle Großen und Klei­ nen die beiden Pakete an. Was wird nur drin sein? Willi zögert. Soll er als erster zugreifen? Aber nein, Willi weiß, wie sich ein richtiger Junge benimmt. "Such dir eins aus, ich nehme das andere", sagt er zu dem Mädchen. "Danke", sagt das Mädchen. Es tippt auf das kleinere Paket, das aber viel schwerer ist als das größere. Willi sieht gespannt zu, wie sie es aus­ packt. Ein Paar wunderschöne neue Roll­ schuhe kommt zum Vorschein.

· Das Mädchen klatscht vor Freude in die Hände. "Jetzt kann ich gleich auf der neuen Rollschuhbahn üben", ruft es. Nun macht Willi sein Paket auf. Ungedul­ dig zerrt er an dem dicken Knoten. End­ lich hat er ihn aufgeknüpft und kann das 61

Papier auseinanderschlagen. Zuerst weiß er gar nicht, was da vor ihm liegt. Es ist aus Stoff, sieht gelb und braun aus und ist bunt bemalt. Willi faltet den Stoff aus­ einander. Was hält er da in der Hand? Ein richtiges kleines Indianerzelt, gerade groß genug, daß zwei Jungen wie Willi darin sitzen können, vielleicht sogar drei. So ein Zelt hatte er sich schon zu Weih­ nachten gewünscht, aber der Vater hatte zu ihm gesagt: "Ja, hättest du dir nicht deine neue Hose zerrissen, dann hättest du vielleicht das Zelt zu Weihnachten kriegen können. So mußten wir dir erst eine neue Hose kaufen. " " Hurra, ein IndianerzeitI" ruft Willi. Am liebsten würde er es gleich auf dem Spiel­ platz aufbauen und hineinkriechen. Alle Kinder drängen sich um Willis neues Zelt. Einen langen Stock bekommt er da­ zu. Das ist der Zeltstab, der wird in der 63

Mitte in den Boden gesteckt. Und dann sind da noch vier kleine Stöckchen mit einer Eisenspitze. " Das sind die Heringe", sagt ein größerer Junge, der schon einmal in einem Zelt­ lager war.

"Damit wird das Zelt am

Boden festgesteckt." "Weiß ich schon lange", erklärt Willi. Doch wo nun hin mit dem Zelt? Gleich beginnt ja der Fackelzug! Da kommt die Mutti gerade richtig. Sie will sowieso in die Wohnung hinaufgehen und das Abendbrot vorbereiten.

Willi gibt der

Mutti glückstrahlend das Zelt und die Stäbe. An den Tischen, auf denen die Stock­ laternen

bereitliegen,

herrscht

großes

Gedränge. Jedes Kind bekommt eine. Die Kerzen werden eingesetzt und an­ gezündet. Hundert kleine bunte lichter leuchten unter den Straßenbäumen. 64

Die Sonne ist bereits versunken, und die Musikanten fangen an zu spielen: "Laterne,

Laterne,

Sonne,

Mond und

Sterne." Der Zug der hundert Glühwürm­ chen setzt sich in Bewegung. Willi und Thomas haben jeder einen gelben Mond bekommen, natürlich einen aus Papier. Die beiden Monde hängen wackelnd an den Laternenstöcken und leuchten. Ihre aufgemalten Augen lachen verschmitzt. Auch Klaus hat so einen lustigen Mond. Er tanzt bei jedem Schritt ausgelassen über seinem Kopf. Doch Klaus sieht seinen fröhlich schwankenden

Lampion über­

haupt nicht an. Traurig geht er als letzter hinter dem langen Zug der singenden Kinder her. Ganz vorn leuchten die gelben Monde von Willi und Thomas. Immer mehr flak­ kernde Laternen schwirren links und rechts 66

vom Weg ab - nach Hause geht's, der schöne Tag ist zu Ende. Was so ein Kin­ derfest doch müde macht! Spät in der Nacht träumt Willi, daß er mit seinem gelben Laternen- Mond immer höher hinauffliegt bis zum richtigen Mond. Da will er sich gerade draufsetzen und sein Indianerzelt aufstellen, als plötzlich mit traurigem Gesicht der lange Klaus hinter dem Mond hervorguckt. Willi fällt vor Schreck vom Mond herunter. Es gibt einen großen Bums. Willis Mutti wacht davon auf und kommt in das Kinder­ zimmer gelaufen. Da sieht sie Willi ganz verschlafen auf dem Fußboden sitzen. Er ist nicht vom Mond, er ist - aus dem Bett gefallen.



Das Indianerzelt Als Willi am nächsten Morgen zur Schule geht, hat er einen großen Entschluß ge­ faßt. Er hat dem Papa seinen Traum er­ zählt beim Frühstück. Wie der Klaus da so traurig hinterm Mond hervorgeguckt hatte. "Eigentlich war er ja besser gestern. Wenn ich nicht gestolpert wäre und ihn umgeworfen hätte - dann hätte Klaus das Zelt gewonnen. n "Ja, was machen wir n un?" hat der Papa gefragt. "Ob ich dem Klaus sage, wir wollen das Zelt zusammen haben?" Diese Antwort ist Willi nicht leichtgefallen.

Und der

Papa freut sich über seinen Jungen, weil der nicht nur an sich, sondern auch an den traurigen Klaus denkt. Doch als Willi jetzt das Klassenzimmer betritt, da ist ihm gar nicht wohl. Er muß 68

immer an das Zelt denken. Noch gehört es ihm ganz allein. - Da sitzt in der zwei­ ten Bank am Fenster der lange Klaus. Schon klingelt es. Ein Glück. die Stunde beginnt. Doch Willi paßt überhaupt nicht auf. Er sieht immer wieder zu Klaus hin­ über. Aber was wird Thomas sagen? Vielleicht hält er mich für dumm. denkt Willi. Ob ich es noch aufschiebe und es morgen erst Klaus sage? In der großen Pause laufen alle Kinder auf den Schulhof hinunter und essen ihre Butterbrote. Thomas hat einen Apfel aus seinem Garten mitgebracht. Er hat ihn selbst geerntet. "Willst du 'nen halben?" fragt er. Willi nickt. Noch hat er Klaus nichts ge­ sagt. Morgen, beschließt er. Morgen ganz bestimmt! "Thomas", fragt Willi, "wollen wir heute in eurem Garten mit dem Zelt spielen? Ob deine Mutter das erlaubt?" 69

" " Klar , sagt Thomas. "Ich hole dich ab. Wir spielen Indianer. Hinten im Garten gibt es Frösche und Schnecken, die braten wir. " .

" Frösche und Schnecken? Kommt gar nicht in Frage", sagt Willi, "nee, die esse ich nicht." Und er schüttelt sich. " Du, was meinst du, ob wir auch draußen im Zelt schlafen dürfen?" "Wir können ja fragen", meint Thomas. Willi ist noch keine halbe Stunde zu Hause nach dem Schulunterricht, da läutet es wie wild an der Wohnungstür. " "Ach, du bist es, Thomas , begrüßt die Mutti Willis Freund. " Du hast es aber eilig. Ihr wart doch eben erst zusammen in der Schule." " Ich will Willi bloß sagen, meine Mutter erlaubt, daß wir nachts in seinem Zelt " schlafen , sprudelt Thomas hervor. "Nachts wollt ihr im Zelt schlafen?" fragt 70

Frau Krause. "Aber das ist doch viel zu kalt. Wird es euch denn da draußen nicht " zu gruselig sein? " "Gruseln ist was für kleine Mädchen , sagt Willi.

Und Thomas meint: "Wir haben überhaupt keine Angst. Da kann

sogar ein Wolf kommen. Den fangen wir " und sperren ihn ein. "Ja, wenn er euch nicht vorher aufge­ " fressen hat , meint die Mutti. "Seid froh, daß es bei uns nur im Tierpark Wölfe gibt. Sonst dürftet ihr bestimmt nicht im Garten schlafen. Wir müssen auch noch " den Papa fragen. " "Hörst du, sie erlaubt's auch! ruft Willi. " " Und dein Vater? flüstert Thomas ihm zu. "Ach, wenn meine Mutti es erlaubt, dann " erlaubt er es auch , sagt Willi ihm leise ins Ohr. Sie holen das Indianerzelt aus dem Kin71

derzimmer. Die Mutti gibt ihnen zwei Decken mit. " Damit ihr euch nicht er­ kältet", sagt sie. Und dann traben sie los. Thomas hat irgendwo zwei Hühnerfedern

gefunden. Die bindet er sich mit einem roten Band an den Kopf. Hinten gucken sie kerzengerade aus seinem braunen Haarschopf. Jetzt ist er ein Indianer. Willi hat keine Federn. Dafür malt er sich das Gesicht an. Dicke rote und blaue Striche kommen auf die Backen und auf die Stirn. ein roter Klecks noch auf das Kinn. Hof­ fentlich geht das später wieder ab. Der Garten hinter dem Haus, in dem Thomas mit seiner Mutti wohnt, ist riesen­ groß. Man kann sich fast darin verlaufen. Vornean sieht Willi schön gerade an­ gelegte Beete. " Das ist meins", sagt Thomas und zeigt auf das kleinste, auf dem Radieschen stehen 72

und

Mohrrüben.

Davor

liegt

zusammengerollt

ein

langer

Garten­

schlauch. Hinter

den

Beeten

steht

Johannisbeersträucher.

eine

Dann

Reihe

kommen

Obstbäume, unter denen nichts als Gras wächst, und Holunder-, Haselnuß- und Fliedersträucher. Die Büsche stehen so eng beieinander, und die Bäume haben so dichte Kronen, daß es richtig schumm­ rig ist unter dem Laub. Thomas und Willi schlängeln sich durch die Sträucher. Sie kommen an eine kleine lichtung. "Hier können wir das Zelt aufbauen", sagt Thomas. Willi sieht sich um. Ein schöner Platz ist das für ein Indianer­ lager. Sie schlagen mit dem Zeltstab ein paar hohe Brennessein ab. Vorsichtig mit zwei Fingern faßt Willi eine der Brennessein unten am Stiel und schleudert sie ins Ge73

büsch. Dabei streift eines der gezackten Blätter seine Hand. Au, das brennt! Sie untersuchen den Boden. Hohes Gras wächst hier, mit ein paar Butterblumen dazwischen. Nein, Ameisen gibt es keine. Ein Glück, denn die sind genauso unan­ genehm wie Brennessein. Thomas holt ein kurzes Brett. Damit schla­ gen sie den Zeltstab in die Erde. Willi hält ihn fest. Jedesmal, wenn Thomas oben 'auf das Stockende schlägt, macht. er die Augen zu und zieht den Kopf ein. Aber es geht alles gut, Thomas haut nicht daneben. Jetzt steht der Zeltstock fest in der Erde. Willi rüttelt daran. " Gut", meint er, "der hält." Dann legen sie das Zelt darüber. Noch hängt es traurig herab. Aber als es ge­ spannt ist und die Heringe bis zum Kopf tief in die Erde gesteckt sind, sieht es aus wie ein richtiges Indianerzelt. 74

Thomas

stößt

einen

Indianerruf

aus.

"Uhuhuhuhuiii" - Da raschelt es in den Büschen. Aber kein Büffel und kein feind­ licher Krieger kommt heraus. Thomas' Mutti ist es. "Ich wollte euch gerade helfen", sagt sie, "und nun seid ihr schon fertig. Holt euch aus dem Schuppen ein bißchen Heu, da­ mit ihr nicht auf dem kalten Boden sitzt. Und du,

Thomas,

bringst die beiden

Kissen und die Decken aus der Veranda. Siehst du, Willi hat auch Decken mit­ gebracht. " Sie machen es sich gemütlich in ihrem Zelt. Thomas holt einen Korb Äpfel. Sie sind saftig und schmecken süß. Im Zelt wird es immer wärmer. Die Sonne meint es gut. Willi und Thomas haben ihre Hemden ausgezogen, so heiß ist ihnen. Sie machen die Zelttür weit auf, aber sie schwitzen wie in einem Backofen. 76

"Ob es in den richtigen 'ndianerzelten auch so heiß ist?" fragt Willi. " Bestimmt noch heißer", meint Thomas. Dann setzen sie sich vor das Zelt und lutschen an einem dicken Grashalm, das ist ihre Friedenspfeife. Plötzlich hören sie Stimmen. Da kommt eine fröhliche Kinderschar in den Garten. Auch der lange Klaus ist dabei. Thomas' Mutti hat sie hereingelassen. Sie wollen alle die beiden 'ndianer sehen und ihr Zelt. Willi und Thomas lassen sich nicht stören. "Uff, uff, wau watschi", sagt Willi zu Thomas und zeigt auf die Mädchen und Jungen, die jetzt um das Zelt herum­ stehen. Die machen große Augen. Was ist denn das für eine Sprache? "Watsch, watsch, wau uffzi", antwortet Thomas. "Ach, die machen nur Quatsch", ruft ein 77

Mädchen. "Willi, laß uns mal in das Zelt rein!" " Nee", sagt Willi, "damit ihr alles kaputt macht, wie?" "Seht mal, jetzt kann er wieder richtig sprechen!" rufen die anderen Kinder, und Klaus macht es ihm nach: " Nix, nix in Zeltschi, watsch, watsch, kaputtschi." Klaus ärgert sich noch über gestern, denkt Willi. Ob ich ihm jetzt sage, was Papa und ich beschlossen haben? fragt er sich. Aber Klaus zeigt ihm gerade eine lange Nase. Nein, jetzt geht es nicht. "Laß sie doch mal reingucken !" sagt Thomas. " Na, meinetwegen", gestattet es Willi. "Aber nicht auf die Heringe treten!" Zwei Mädchen stecken die Köpfe in das Zelt. " Puh, ist das heiß!" " Puh, puh -", ärgert sich Willi und schnei­ det

eine

greuliche

Grimasse.

Dabei 79

haben die Mädchen recht. Es ist kaum zum Aushalten in dem Zelt. Die Mädchen tuscheln miteinander. Dann flüstern sie mit dem langen Klaus. "Au ja!" hört Willi ihn sagen. Er macht lange Ohren. " Pssst!" flüstern die Mädchen. Und dann rennen sie alle davon durch die Büsche. Es wird Abend. Willis Mutter kommt her­ über und bringt Abendbrotstullen. Auch die Mutti von Thomas kommt in den Gar­ ten und .bringt etwas zu essen und einen Krug mit limonade. "Wollt ihr wirklich die ganze Nacht hier draußen bleiben?" fragen die Muttis. "Na klar", sagen Willi und Thomas, die beiden tapferen Indianer, und kauen mit vollen Backen. "Aber daß ihr euch schön zudeckt und das Zelt zumacht", ermahnt sie 80

Frau

Krause. "Und wenn es zu kalt wird. dann seid vernünftig und kommt rein. " Die Muttis gehen wieder. Es wird still im Garten und immer dunkler. Nur in einem Baum piept einsam noch ein Vögelchen. dann schläft es ein. Der Mond klettert langsam über das Dach des Nachbar­ hauses. Willi und Thomas ziehen sich die Trai­ ningsanzüge an und machen's sich im Zelt bequem. Die Beine müssen sie etwas anziehen. es ist nicht genug Platz da. Eng aneinandergekuschelt wickeln sie sich in die Decken: Das Heu. auf dem sie liegen. duftet süß. Der Abendwind hat die Hitze aus dem Garten vertrieben. Noch ist die Zelttür offen. ein kühler Luftzug weht herein. So möchte ich immer schlafen". flüstert " Willi. Wie ein richtiger Indianer im " Zelt. " 6

Nacntgespenster

81

Da hebt Thomas mit einem Ruck den Kopf. "Sieh mal da!" haucht er ganz leise. Aus dem Dunkel am Rand der kleinen lichtung leuchten zwei helle Punkte. Und jetzt bewegen sie sich. " Das ist bestimmt ein Tier", flüstert Willi. Ganz wohl ist ihm nicht. Er muß an den Wolf denken. Hier gibt es keinen, hat die Mutti gesagt, nur im Tierpark. Aber wenn der vielleicht ausgebrochen ist? Wieder bewegen sich die hellen Punkte. Ach was, denkt Willi, der Wolf im Tierpark, der ist fest eingesperrt. "Wollen wir es mal erschrecken?" flüstert er Thomas zu. "Wir springen beide aus dem Zelt und rufen irgend etwas, damit es Angst kriegt." Aber der tapfere Thomas will lieber im Zelt bleiben. Da nimmt Willi ein Kissen und wirft es in Richtung auf die beiden 82

leuchtenden Punkte. Im selben Augen­ blick

sind

sie

weg,

und

durch

das

Mondlicht huscht ein kohlrabenschwarzer Kater. Willi krabbelt aus dem Zelt und holt das Kissen wieder. "Das war bestimmt der Moritz vom

Kohlenplatz",

sagt er zu

Thomas. "Augen hat er wie ein Wolf." "Los, jetzt machen wir das Zelt zu!" for­ dert Thomas. Ihm ist offenbar nicht ge­ heuer. Es ist finster geworden im Garten, nur ein schmaler heller Streifen Mondlicht liegt über der lichtung. Der Mond steht kalt und weiß über dem Schornstein vom Nachbarhaus. Willi knüpft die Zefttür zu. Dann kuschelt er sich wieder in die Decken. Sie sind beide müde, und bald schlafen sie ein. Eine halbe Stunde vergeht. Die beiden kleinen Indianer schlafen. Plötzlich zuckt Willi zusammen. Er reißt die Augen auf. 6·

83

Es ist stockdunkel. Hat da nicht eben jemand

am

Zelt

gerüttelt?

Draußen

raschelt es verdächtig. Einmal, zweimal. Dann schreit ein Käuzchen. "Uhuuu -" Willi scheint es, als ob es rings um das Zelt wispert und knistert. Wieder schreit das Käuzchen : "Uhuuu, uhuuu -" Willi stößt Thomas an. Der dreht sich auf die andere Seite. Dabei stößt er an den Stock in der Mitte. Das ganze Zelt wackelt. Wieder hört Willi es draußen rascheln und trappsen, als ob viele Füße durch den Garten laufen. Endlich kriegt er Thomas wach. "Du, hör mal - da ist was draußen. " Thomas hält den Atem an und lauscht. Tatsächlich, ganz deutlich hört er es auch: Trapp, trapp, trapp. Jetzt fällt ein Zweig auf das Zelt, es raschelt und knistert. Und nun ruft auch noch das Käuzchen, zum dritten Mal : " Uhuuu, uhuuu -" 84

"Ich sehe nach", flüstert Willi. "Rücke mal zur Seite'" Er rutscht zum Eingang und schiebt die Zelttür ein wenig ausein­ ander. Schnell macht er sie wieder zu. Einen

mächtigen

Schreck

hat

er

be­

kommen. "Du,

da

draußen

sind

Gespenster l"

flüstert er aufgeregt seinem Freund zu. "Lauter Gespenster. Sie tanzen um unser Zelt herum." "Quatsch, Gespenster", flüstert Thomas zurück. Gibt es ja gar nicht." Er krie cht " zum Eingang und späht hinaus. Tatsäch­ lich, unglaublich! Da tanzen lauter weiße Gespenster um das Zelt herum. Und jetzt beginnen sie, scheußlich zu grunzen und zu blöken. "Buhhh - bohhh - böhhh", rumort es. Huhhh - hohhh - höhhh", jaulen die " Gespenster. Und dazu springen sie in die Höhe und 86

fuchteln mit ihren schrecklichen weißen Armen. Thomas' Augen werden immer größer. Plötzlich platscht es ans Zelt. Wasser spritzt Thomas ins Gesicht. Die Gespen­ ster machen ein großes

Geheul

und

laufen in eine dunkle Ecke der lichtung. Dort sind sie nur noch undeutlich zu sehen. Thomas wischt sich das Gesicht ab. ErJst ganz naß geworden. "Sie haben mit Wasser gespritzt", sagt er leise. ' " Gespritzt?"

fragt

Willi.

Seit

wann

spritzen Gespenster? Ach was, es gibt ja überhaupt keine! Und schon hat er eine Idee. "Machst du mit?" flüstert er. "Wir krie­ chen hinten zum Zelt hinaus, und dann werden wir den Gespenstern mal eine schöne Oberraschung bereiten." 87

"Jetzt raus?/f sagt Thomas ein bißchen ängstlich. Aber er will kein Hasenfuß sein, er läßt Willi nicht im Stich. Sie lok­ kern vorsichtig einen Hering, mit dem die Zeltwand an den Boden genagelt ist, heben den Zeltstoff hoch und schlüpfen hinaus. Die Tür, die von den Gespenstern beobachtet wird, lassen sie zu. Willi und Thomas kriechen langsam, da­ mit das hohe Gras nicht raschelt und sie verrät, zu den Büschen. Dann laufen sie auf leisen Sohlen durch den dunklen Garten

zu

den Beeten, wo der Garten­

schlauch liegt. Mit dem einen Ende ist der Schlauch an einen Wasserhahn ange­ schlossen. Willi nimmt das andere Ende mit der Spritze und zieht den Schlauch hinter sich her. Thomas paßt auf, daß er sich nicht verwickelt. Jetzt sind sie nicht nur Indianer, jetzt spielen sie auch Feuer­ wehr! 88

Die Gespenster hocken noch immer am Rand der lichtung und beraten wohl einen neuen Streich. Sie wissen nicht, daß Willi und Thomas längst hinten aus dem Zelt herSlUsgekrochen sind.

Willi

schleicht mit der Spritze immer näher. Die Gespenster kommen erneut heran und wollen

ihren

Tanz

wieder

beginnen.

.. Bohhh - böhhh - buhhh", jaulen sie. Da gibt Willi seinem Freund Thomas ein Zeichen. Der dreht den Wasserhahn auf, und nun solltet ihr mal die Gespenster­ gruppe

sehen,

wie

der

Wasserstrahl

mitten in sie hineinplatzt! Huh, was gibt das für ein

Gekreische! Alle

hüpfen

durcheinander und machen, daß sie fort­ kommen, zwei fallen hin und verheddern sich in ihren weißen Tüchern. Willi hält sich den Bauch vor Lachen, und Thomas

vergißt,

das

Wasser

abzu­

drehen. 89

Die beiden Gespenster, die hingefallen sind, rappeln sich auf. Als sie ihre Tücher abwerfen, da erkennt Willi, wer darunter gesteckt hat - es sind die Jungen und Mädchen, die nachmittags im Garten waren. Langsam kommen sie aus dem Gebüsch heraus und trocknen sich an den Bettlaken ab, mit denen sie Thomas und Willi als Gespenster erschrecken wollten, der lange Klaus als Anführer voran. Jetzt sind sie selber hereingefallen und haben eine schöne Dusche abgekriegt. Aber keiner ärgert sich, auch der lange Klaus nicht. Sie schwatzen alle durchein­ ander über ihren Gespensterstreich. So laut sind sie, daß Thomas' Mutter auf­ merksam wird, in den Garten kommt und die Hände über dem Kopf zusammen­ schlägt. "Ja, was ist denn hier los?" fragt sie ganz entgeistert. Da ziehen sich alle 91

Gespenster noch einmal ihre nassen wei­ ßen Tücher über den Kopf und tanzen wie die Wilden um sie herum. Jetzt muß Thomas' Mutter doch lachen. "Nun aber schnell nach Hause", ruft sie. "Eure Eltern werden sich Sorgen machen, wo ihr steckt zu so später Stunde." Husch, husch verschwinden die Gespen­ ster.

Als

auch

das

längste

Gespenst

davontraben will, saust Willi hinterher. "Klaus", ruft er, "warte mal." Da stehen sie nun beide. Still liegt der dunkle Garten um sie her. "Du", sagt Willi,

"ich konnte gestern

wirklich nichts dafür." "Klar", antwortet der lange Klaus. "Aber ich habe mich doll geärgert. Mann, und dann ist noch so ein prima Zelt in dem Paket . . . " "Wenn ich nicht gestolpert wäre, hättest du gewonnen", sagt Willi. "Bestimmt, du 92

warst beinahe einen halben Meter vor." Thomas

hat

inzwischen

den

Garten­

schlauch zusammengerollt. Jetzt kommt auch er hinzu. "Was macht 'n ihr hier noch?" fragt er. Da sagt Willi schnell: "Ich wollte es schon heute früh in der Schule sagen - eigent­ lich habe ich das Zelt nicht richtig ge­ wonnen, dann schon eher Klaus, der war der Schnellste." Er versucht im Mondlicht Klaus' Gesicht zu erkennen. "Wollen wir jetzt immer zusammen damit spielen? Ich meine, jedem soll es zur hören. "

Hälfte ge­

Thomas staunt Bauklötzer, und Klaus ver­ gißt, daß er ein klitschnasses Gespenst ist. Das hat er von Willi nicht erwartet, wo sie sooft Streit miteinander hatten. Er gibt Willi ganz fest die Hand, so wie es große Männer machen, wenn sie Freundschaft schließen. 93

Und Willi ist froh, daß es jetzt keinen traurigen Klaus mehr gibt. Vielleicht sind sie jetzt drei Freunde. Und Klaus freut sich so sehr, daß er meint, auch alle anderen aus der Klasse sollen mit dem Indianerzelt spielen dürfen. Willi und Thomas haben nichts dagegen. Allein ist es langweilig. Der Mond, der richtige runde, weiße große Mond macht ein sehr zufriedenes Gesicht.

Froh trabt

Klaus, das lange

nasse Gespenst, davon. Willi und Thomas aber krabbeln in das Zelt zurück. Sie kuscheln sich fest in die Decken, und es dauert gar nicht lange, da sind sie eingeschlafen. Pst, still - wir wollen sie jetzt ruhig schlafen lassen! Es ist ja schon mächtig spät geworden . . .

94

I N HALTSVERZEI C H N I S .

5

Das Kinderfest beg i n nt

19

Der Wettlauf .

53

D ie g roße N e u i g keit

Das I n d ianerzelt

.

68





)

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