009 - Die Partisanen Und Der Schäfer Piel

August 27, 2017 | Author: gottesvieh | Category: N/A
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Band 009

(Inhalt: Eine Schulklasse stellt Unfug beim gemeinsamen Spielen an, und helfen hinterher gerne, den Schaden gering zu halten. Weitgehend unpolitisch, mehrfache Erwähnung von Pionier, Partisan, Genossenschaft und LPG)

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DER ANGRIFF Nanu? Lutz, Atte, Elke – alle Pioniere der vierten Klasse versammeln sich vor der Schule. Wie jeden Mittwochnachmittag versammeln sie sich. Sie wissen doch, daß Fräulein Berger krank ist. Am Sonnabend hielt das große, gelbe Auto vor der Tür. Schuld war der Blinddarm. Elke und Erika haben ihre Halstücher um. „Ph!“ macht Lutz. Er fingert eine zerknautschte Spitztüte aus der Tasche und steckt sich vor aller Augen einen klebrigen Bonbon in den Mund. „Ph! Drei Wochen dauert es wenigstens. Und bis dahin ist kein Pioniernachmittag.“ Lutz zupft in dem bräunlichen Papier, und ein zweiter Bonbon wandert in seinen Mund. „Manchmal dauert es noch länger“, meint Atte. „Wenn der Blinddarm vereitert ist, kann es Monate dauern.“

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„Er wird schon nicht vereitert sein“, sagt Friedchen. Elke ist dafür, daß sie allein ihren Pioniernachmittag machen. Elke ist im Gruppenrat. „Wir singen was. Oder Lumpen können wir auch sammeln.“ Lutz ist nicht für Lumpensammeln. Und Hermann findet Singen langweilig. Es wird laut vor der Schule. Das liegt daran, daß sie sich nicht einig sind Die Mädchen nennen dieses und jenes, was sie machen könnten. Aber die Jungen rufen sogleich: „Ho, bei der Hitze wandern! Ihr könnt ja laufen, wenn ihr wollt.“ – „Lesen? Das ist was für den Winter. Im Sommer Bücher lesen!“ Lutz hat schon den fünften Fruchtbonbon in seinen Mund gesteckt. Er würde noch den sechsten hineinzwängen, doch der Mund ist voll, prall voll, daß die Backen ausbeulen.

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Auch Atte hat einen vollen Mund. Aber in seinem Mund ist nur Spucke. Atte schluckt sie hinunter. Das will er sich merken. Morgen macht Tante Erna den Hühnerstall sauber. Er wird ihr helfen. Und bestimmt gibt ihm Tante Erna wieder zwanzig Pfennig. Oh, eine ganze Rolle Drops wird er vor Lutz‘ Augen auflutschen, eine ganze Rolle! „Ich weiß, was wir machen“, ruft Edde. „Geländespiel!“ Natürlich! Daß sie nicht gleich darauf gekommen sind! Lutz will zustimmen. Er will sagen, daß sie Partisanen spielen sollen und daß er der Anführer der Partisanen ist, der Kommandierende. Lutz kann nicht sprechen wegen der Fruchtbonbons. Nur eine Sekunde zögert er. Dann macht sein Mund hastige Kaubewegungen. Lutz knirscht und malmt –

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wie die Schimmelstute der Genossenschaft, wenn sie reinen Hafer frißt. „Machen wir – knirsch, knirsch – machen wir. Parti – knirsch, knirsch – Partisanen ... Wir spielen Partisanen, und ich ...“ Was ist mit Atte? Atte schiebt die Unterlippe vor und schüttelt den Kopf. Er will nicht Partisan spielen. Er schüttelt den Kopf und stiert dabei auf die Knautschtüte. Lutz begreift endlich. Zwei Bonbons darf sich Atte nehmen. Dann wandert die Tüte von Pionier zu Pionier. Sie sind sich einig. Partisanen werden sie spielen. Und Lutz ist der Kommandierende. Doch Partisanen trotten nicht wie Schulkinder durch die Landschaft. Sie tragen Waffen, Helme und was sonst noch zu ihrer Ausrüstung gehört.

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Die Pioniere laufen um das große Schulgebäude. Hinter der Schule liegt der Schrotthaufen, den die Gruppen zusammengetragen haben. Lutz zerrt eine blanke Gardinenstange hervor. Das ist ein Gewehr. Juliane findet einen durchlöcherten Kochtopf mit zwei Henkeln. Der Topf ist so groß, daß Juliane ihn auf ihren Kopf stülpen kann: Ein Schutz gegen feindliche Kugeln. Atte hat eine Maschinenpistole entdeckt, einen verbogenen Fahrradlenker. Elke findet nichts Geeignetes. Lutz drückt ihr ein gekrümmtes Ofenrohr in den Arm. „Eine Kanone, Mann!“ Nun gut, entschließt sich Elke. Eine richtige Partisanengruppe. muß auch ein Geschütz haben. Das ist so. Eine Schar mutiger Kämpfer zieht am Anger entlang. Voran schleicht Edde, um rechtzeitig den Feind zu melden. 10

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Sie durchwandern die dichte Kiefernschonung, überqueren den Sportplatz und gelangen in den Hochwald. Der Hochwald hat Unterholz. Buchengestrüpp und kleine Birken gedeihen im Schatten der hohen Föhrenwipfel. Nur langsam kommen sie voran. Die Gesichter werden von belaubten Ruten gepeitscht. „Achtung!“ Lutz gibt ein Zeichen. Er hat etwas entdeckt, ein getarntes Geschütz oder gar eine Festung. „Deckung! Mann, hinlegen!“ Sie kriechen auf allen vieren weiter. Atte knickt kleine Buchenzweige ab und steckt sie in die Mütze. Auch Juliane tarnt sich. Gut, daß ihr Helm zwei Henkel hat. Lutz grollt. Wozu hat er Edde vorgeschickt? Ein schöner Späher, der am Feind vorbeiläuft! Ein schöner Späher! Hermann und Atte liegen mit Lutz auf 12

gleicher Höhe. Atte will das feindliche Geschütz sehen. Lutz legt den Finger auf den Mund, dann kriecht er weiter: „Deckung!“ Atte ist schon wieder neben ihm. „Wo? Wo denn?“ Lutz zeigt durch das Laubwerk und legt wieder den Finger auf den Mund. Atte sieht den Feind noch immer nicht. Auch Hermann und Elke können nichts feststellen. „Mann, doch gleich hier vorne“, zischt Lutz. „Deckung!“ Das Kommando bleibt unbeachtet. Alle strecken die Köpfe vor, um den Feind zu sehen. Und Elke sagt laut: „Das ist doch bloß ein Stubben.“ Natürlich, was sonst! Knapp zehn Schritte entfernt liegt ein entwurzelter Baumstumpf Er streckt stumm die gekrümmten Wurzelarme empor.

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Die Partisanen sind aufgestanden. Nur der Anführer liegt noch hinter dem dicken Kiefernstamm. „Eine feine Festung!“ höhnt Trauti. „Wir machen wie die Heuhüpfer, und dabei ...“ „Von dort hinten sah es aus wie ein Geschütz“, verteidigt sich Lutz. „Klar, es sah aus wie ein Geschütz“, sagt auch Hermann. „Die Mädchen können bloß nicht Partisanen spielen.“ Inzwischen hat Edde die Lichtung erreicht. Die Lichtung ist viel größer als der Sportplatz und eben wie ein See. Sieh an, Schäfer Piel ist da mit seiner Herde. Über dreihundert Schafe rupfen friedlich die dürren Schwingelhalme. Auch junge Schafe sind dabei, sogar ganz kleine Lämmer. „Määäh – määäh“, klingt es herüber.

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Edde liegt im Waldgras und wartet auf die Partisanen. Ob es wahr ist, daß Schäfer Piel Schlangen fängt, um ihnen dann die Haut abzuziehen? Auch vor Kreuzottern soll er sich nicht fürchten. Doch was liegt Edde, hier? Ist er nicht der Späher der Partisanengruppe? Er muß zurück und die Freunde verständigen, daß er auf eine feindliche Armee gestoßen ist. Eine große Armee. Gute dreihundert Krieger lagern auf der Lichtung. Lutz findet die Freunde am entwurzelten Kiefernstubben. Sein Bericht bringt Leben in die Partisanen. Eine ganze Armee? Das ist was anderes als ein verdörrter Baumstumpf. „Alle tarnen!“ kommandiert Lutz. In wenigen Minuten haben sich die Partisanen in Laubbüschel verwandelt. Lutz ist zufrieden. Auch mit der Kampfstimmung seiner Gruppe ist er zufrieden. 15

Vorsichtig pirschen sie sich an die große Armee heran. Wahrlich, die Übermacht des Feindes ist nicht zu verkennen: Dreizehn Partisanen gegen dreihundert feindliche Soldaten. Sie liegen im Baumschatten und spähen auf die Lichtung. „Wir jagen sie in die Flucht“, raunt Lutz. Er kommt sich dabei groß und mutig vor. „Wir machen einen Überraschungsangriff. Dann türmen sie wie – wie die Wildkarnickel.“ „Was? Die Schafe?“ Lutz ist ein Held, denkt Elke. Erst bekämpft er einen alten Stubben, und nun will er es mit den Schafen aufnehmen. Erika hat den General der Armee entdeckt. Schäfer Piel steht nichtsahnend neben der Sturmkiefer, in einer Hand den Stab, in der anderen die Vesperflasche, aus der er von Zeit zu Zeit einen tiefen

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Schluck nimmt. Es ist warm auf der Lichtung. Den großen General fürchtet Lutz nicht. Schäfer Piel hat ein steifes Bein. Wie sollte er sie damit einholen? „Aber Pollux“, gibt Friedchen zu bedenken. Pollux ist der Schäferhund. Er ist so flink, daß er es sogar mit den Hasen aufnehmen kann. „Die Mädchen haben vor Pollux Angst.“ Hermann lacht. Natürlich, Pollux ist ein großer Hund. Wie ein Wolf sieht er aus. Aber das weiß Hermann genau: Pollux beißt nicht. „Feiglinge!“ sagt er darum. Die Mädchen wollen nicht feige sein. Und Elke denkt: Was ist auch schon dabei, wenn wir mit den Schafen Partisanen spielen. Weglaufen werden sie, vielleicht gar zur anderen Seite in den Wald. Aber Schäfer Piel braucht Pollux nur ein Wort

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zu sagen, schon holt er sie alle wieder zusammen. Was zögern sie noch? „Wenn sie uns bemerken, ist es kein Überraschungsangriff mehr.“ „Auf mein Kommando“, sagt Lutz. Dann gibt er das Zeichen. „Hurra!“ Die Laubbüschel springen auf und rennen mit viel Geschrei auf die Lichtung. „Pu! Pu!“ – „Hurra!“ – „Bau! Bau!“ Wie aus dem Häuschen geraten schreien sie. Die Schafe heben die Köpfe, stutzen. Dann kommen sie in Bewegung. Sie trollen zur Mitte und drängen sich zusammen. „Bumm!“ – „Pu!Pu!“ – „Bumm! Bumm!“ Die feindliche Armee ergreift in hastigen Sprüngen die Flucht. Über tausend Beine wirbeln den trockenen Sand auf. Eine braune Staubwolke steht über der Lichtung. „Hurra! Hurraaa!“ 20

„Määäh – määäh!“ ruft ängstlich ein Lämmchen. Schäfer Piel ist ein kluger Mensch. Die Genossenschaftsbauern haben ihn in den Vorstand gewählt. Schäfer Piel, kennt nicht nur, die vie1en Gras und Krautarten in der Flur, er kennt auch den Wald. Am erregten Krächzen der Eichelhäher hatte er gemerkt, daß sich etwas der Lichtung näherte. Vielleicht schürt ein Fuchs durch das Buchengestrüpp, hatte er gedacht, oder ein wildernder Hund. Das mag sein. Plötzlich waren dann die Lausebengel auf die Lichtung gerannt. Noch nie hatte man den Alten so aufgebracht gesehen. „Verdammte Satansbrut! Pollux! Hol sie, Pollux! Hol, hol! Die Knochen könnt‘ ich ihnen ausrenken. Hol sie, Pollux!“ Wie ein Pfeil schießt Pollux auf die Lich

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tung. Schäfer Piel humpelt hinterdrein. „Hol sie, Pollux!“ Jetzt haben die Kinder den Hund bemerkt. Und auf einmal ist sich auch Hermann nicht mehr sicher, ob Pollux nicht doch zubeißen wird. Die Partisanen lassen von der Herde ab und laufen seitwärts ins Gehölz. Pollux hat den Angriff abgeschlagen. Doch die Schafe sind nicht mehr aufzuhalten. Dichtgedrängt stieben sie auf den nahen Waldrand zu. Die Eggen, durchfährt es den Schäfer. Am Rande der Lichtungen liegen noch die Wieseneggen. Wenn sie da hineingeraten, werden sie sich die Beine brechen. „Pollux! Pollux! Hol rum! Hol rum! Pollux!“ Pollux gehorcht aufs Wort. Er gibt die Verfolgung der Partisanen auf und kümmert sich um die Herde. Seine Pfoten fliegen.

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Doch Pollux kommt zu spät. Die Schafe haben schon den Waldrand erreicht. Zunächst kann Schäfer Piel nichts feststellen. Die Staubwolke ist zu dicht. Der Mann läuft, so schnell es sein steifes Bein zuläßt. „Satansbrut, verdammte!“ keucht er. Dann sieht er die Bescherung: Ein Schaf ist in die Eggen geraten, ein Muttertier. Und daneben steht hilflos das Lämmchen. „Määäh – määääh!“ „Ihr sollt mir unter die Finger kommen“ schimpft Schäfer Piel. „Oh, ich krieg euch noch! Grün und blau werd ich euch dreschen! Das verspreche ich euch. Nee, das arme Tier!“ Während Pollux die Herde aus dem Wald zurückholt, trägt Schäfer Piel das verletzte Schaf aus den Eggen.

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IM SCHAFSTALL Elke hat eine unruhige Nacht. Sie wälzt sich hin und her und muß immer an den Nachmittag denken, an das Partisanenspiel und an den Angriff auf die Herde. Ob Schäfer Piel das Schaf nun schlachten muß? Und was wird aus dem Lämmchen? Sie hatten im Buchengestrüpp gestanden und beobachtet, wie Schäfer Piel sich um das verletzte Muttertier sorgte? Ganz still lag es. Und das Lamm ging dem Mann nicht von der Seite. Schließlich hatten sie Pollux‘ lautes Bellen vernommen. Pollux trieb die Herde wieder zur Lichtung. Die Pioniere waren nach Hause getrollt. Am Morgen muß Elke gleich wieder an die Schafe denken. Vielleicht ist Schäfer Piel gestern abend bei Herrn Schippel gewesen. Herr Schippel ist jetzt ihr Klassenlehrer – bis Fräulein Berger wieder gesund ist. Was wird Fräulein

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Berger sagen, wenn sie von dem Angriff auf die Schafe erfährt? Vor dem Unterricht und auch während der Pausen geht es laut her in der Klasse. „Ich war gleich dagegen“, sagt Friedchen. „Lutz ist schuld, der fing an mit dem Angriff. Das können wir nur Lutz verdanken.“ Alle fallen über Lutz her. „Bloß, weil er immer angeben muß“, ruft Erika. Lutz schüttelt sich wie ein junger Hund, der in einen Bienenschwarm geraten ist. „Ich konnte ja nicht wissen, daß sie in die Eggen laufen, nicht!“ „Vielleicht ist das Schaf gar nicht so krank“, gibt Edde zu bedenken. „Vielleicht hat es nur den Fuß verknackst. Das heilt wieder.“ „Mit einem verknacksten Fuß wäre es

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weitergehumpelt. Dann hätte es nicht so stillgelegen.“ Der Unterricht ist wie immer. Herrn Schippel ist nichts anzumerken. Er liest, singt und rechnet mit ihnen wie an den vorangegangenen Tagen. Herr Schippel weiß noch nichts von den Schafen. Vielleicht hat Schäfer Piel die Pioniere nicht erkannt. Sie waren ja getarnt. Die Schule ist aus. Es ist drückend warm auf der Straße. Über der Bleiche segeln flach die Rauchschwalben. Das bedeutet Regen. „Hauptsache, daß alle den Mund halten“, meint Hermann. „Dann kann uns nichts passieren. Schuld waren wir alle.“ Atte überlegt angestrengt. „Wenn sich das Schaf was gemacht hat, ist es bestimmt im Stall. Und Schäfer Piel ist mit der Herde auf der Weide.“ „Klar, wir gehen einfach hin“, sagt Edde.

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„Dann sehen wir, was es hat. Wir gehen heute zum Schafstall.“ Gut. Alle sind einverstanden. Sie wollen sich mit dem Mittagessen beeilen. Und Treffpunkt ist der Brink. So wandern die Pioniere der vierten Klasse ein zweites Mal am Anger entlang. Sie gehen durch die Schonung und überqueren den Sportplatz. Doch durch den Hochwald gehen sie nicht. Sie biegen rechts in den Weg ein, der zu den einsamen Häusern führt, zum Vorwerk. Es ist noch wärmer geworden. Trauti und Elke ziehen ihre Schuhe aus. Der Sand brennt unter den nackten Füßen. Vor dem Vorwerk verlassen die Pioniere den Weg. Sie laufen am stacheldrahtigen Koppelzaun entlang, springen über den Teichgraben und verschwinden hinter der Fliederhecke. So umgehen sie die wenigen Wohnhäuser des Vorwerks.

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Der Schafstall ist uralt. Das verraten die ausgebeulten Mauerfelder im Fachwerk. Das Dach des Schafstalls ist mit Rohr gedeckt. Es ist so grau, daß es sich kaum von der dicken Regenwolke abhebt, die sich über die Föhrenwipfel herangeschoben hat. Die Pioniere liegen eine Zeitlang im Schutze der wuchernden Fliederhecke. Kirchenstill ist es vor dem großen Stall. Nur das Zwitschern der Schwalben ist zu hören. Die Schwalben fliegen durch die offenen Fenster ein und aus. „Ein Schloß hängt nicht vor“, sagt Lutz. Sie kriechen leise aus der Hecke und schleichen an der Stallmauer entlang. Atte zieht den Türflügel auf. Die Türbänder quarren. Oh, ist das ein großer Raum, noch größer als der Dorfsaal hinter der Gaststube. Die Decke wird von dicken, grobbehauenen

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Kiefernstämmen gestützt. Und der Boden ist mit Streustroh ausgelegt. In der Mitte stehen die Futterraufen. Acht – neun Futterraufen sind ausgerichtet auf den Stall verteilt. „Määäh – määäh!“ klingt es aus der linken Ecke. Nun erkennen die Kinder auch den Verschlag an der Wand. Der Verschlag ist aus Pfählen und Schalbrettern gezimmert. Und in dem Verschlag stehen zwei Schafe, ein großes zottliges und ein kleines, ein Lämmchen. „Ist das süß!“ sagt Juliane. Sie stehen vor dem Verschlag und gucken alle auf das linke Vorderbein des Muttertieres, das Schäfer Piel mit zwei kräftigen Pappstreifen und einer Binde geschient hat. Die Tiere sind scheu. Sie drücken sich an die gegenüberliegende Wand. Das Muttertier kann auf drei Beinen gehen.

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„Schopp – Schopp!“ sagt Hermann. Doch die Schafe bleiben stehen und äugen scheu zu ihnen hinüber. Die Pioniere fühlen sich nicht wohl in ihrer Haut. Wie kann man auch mit einer Schafherde Partisanen spielen! Jetzt sehen sie, was sie angerichtet haben. „Sie müssen sich erst an uns gewöhnen.“ „Sieht das Kleine niedlich aus!“ „Das Bein heilt wieder zusammen. Wenn Schäfer Piel das verbindet, dann heilt es auch.“ Lutz und Atte klettern die Leiter zum Heuboden hinauf. Der Boden ist leer. Schade, sie hätten den Schafen gern was zu fressen gegeben. „Wir holen ihnen Grünes.“ Richtig. Alle Pioniere laufen hinaus und rupfen den zarten Wiesenklee. „Genug, genug! Damit können wir zehn Schafe füttern.“

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Der Kleegeruch steigt den Schafen in die Nase. Das zottlige Muttertier streckt einige Male den Kopf hervor. Endlich kommt es heran und rupft Elke das frische Kraut aus der Hand. Auch das Lämmchen wird zutraulich. Dann horchen die Pioniere auf. Ist das nicht Pollux? Jetzt können sie auch das Tribbeln der Schafe hören. Schäfer Piel kommt mit der Herde. Aber es ist doch noch nicht Abend! Was sollen die Schafe jetzt schon im Stall? Es ist keine Zeit zum Überlegen. Sie werfen die Kleebüschel in den Verschlag und laufen aufgeregt durcheinander. Wohin so schnell? Zur Tür hinaus können sie nicht mehr. Elke und Juliane stellen sich hinter einen der dicken Kiefernpfei1er. Zwei Jungen verkriechen sich neben dem Verschlag. Lutz, Trauti und Edde springen zur Leiter und flüchten auf den Heuboden.

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Schäfer Piel wirft noch einen Blick auf die dicke Regenwolke. „Gerade so abgepaßt“, brummelt er und klopft die Pfeife aus. Dann stutzt er. Nanu, die Tür ist offen? Ich hatte sie doch zugemacht. Er drückt den anderen Türflügel zur Seite. Ah, sieh an! Das wird ja immer schöner. Zwei Kinderfüße verschwanden soeben in der Heuluke. Sieh einer an! Und wenn Schäfer Piel sich nicht irrt, steht dort links hinter dem Balken noch einer von der Gesellschaft. Das trifft sich gut, denkt er. Da habe ich euch glücklich in der Falle. Ho, nicht genug, daß sie mir die Herde in die Eggen treiben, da spuken sie sogar schon im Stall umher. Na wartet! Draußen zaust plötzlich der Wind in der Fliederhecke. Die ersten Tropfen fallen pochend auf das Rohrdach. Die Schafe drängen in den Stall.

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Aber was hat Schäfer Piel? Er könnte die Kinder doch schön der Reihe nach greifen und ihnen den Hosenboden durchklopfen. Das könnte er. Statt dessen pflockt er Pollux an eine der Raufen und tut so, als habe er nichts gemerkt. Auch den frischen Wiesenklee in dem Verschlag bemerkt er nicht. Schäfer Piel befingert das linke Bein des Muttertieres. Er ist mit dem Verband zufrieden. Die Schienen sitzen fest. Doch der Mann schimpft und wettert. „Satansbrut, verkommene! Mir nichts, dir nichts jagen sie auf die Herde los. Was schert‘s sie, daß kleine Lämmer dabei sind und daß sich die Tiere die Beine brechen! Gar nichts macht‘s ihnen. Sie haben kein Mitgefühl mit den Tieren ...“ Schäfer Piel läßt die buschigen Augenbrauen zucken. Er preßt die tabakgelben Zähne aufeinander, daß es laut knirscht.

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Atte und Hermann drücken sich tiefer ins Stroh neben dem Verschlag. Sie hören das knirschen und die wütenden Worte – doch sie sehen nicht den Schalk in Schäfer Piels Augen. „Ja, so steht das, Zottel. Gute vier Wochen wird‘s nun nichts mit der Weide. Nein, eher wird das nichts. Und dein Kleines könnte die Sonne gebrauchen. Hilft nichts. Ihr müßt eben im dusteren Stall bleiben. Und warum?“ Schäfer Piel läßt seine Hand auf den Schenkel fallen. „Nur wegen der Lausebengel! Weil sie ausgerechnet auf der Lichtung Indianer spielen müssen. Weil sie der Übermut reitet, die!“ Zottel läßt sich den Pelz kraulen und frißt den frischen Wiesenklee. Das Lämmchen streckt den Kopf unter Zottels Bauch, pufft und tutscht. Es wird finsterer im Stall. Auf das Rohrdach trommeln dicke Hagelkörner.

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Die Schafe kommen nicht zur Ruhe. Sie drücken sich alle in die rechte Stallhälfte. Pollux zerrt an der Leine. Er hat Elke und Juliane hinter dem Pfeiler bemerkt. Er jault und bellt. Schäfer Piel hört das Bellen nicht. Er will zur Schrotkammer und Zottel ein Maß Kraftfutter holen. „Nanu! Potztausend! Das ist ja .. Wie kommt ihr in den Stall?“ Um ein Haar hätte Schäfer Piel auf Attes Bein getreten. „Potztausend auch!“ Atte und Hermann rappeln sich auf und sehen ängstlich den großen Mann an. „Wir … wir …“ stottert Atte, „wir …“ Mehr kriegt er nicht heraus. Auch Hermann schluckt und würgt, als sei ihm der Hals zugewachsen. Schäfer Piel gibt sich alle Mühe, ein grimmiges Gesicht zu machen. Über der Nase schiebt sich die Haut in tiefe Falten.

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„Ho, die Indianer, wenn ich nicht irre. Sieh einer an! Ihr wart doch die, die es mit der ganzen Herde aufnehmen wollten. Jetzt steht der alte Piel vor euch, da habt ihr Schmierseife in den Knien. ‘n paar ganz mutige Krieger! Hee, Pollux, kiek sie dir an, die Indianer!“ Pollux winselt nicht mehr. Er sitzt ruhig neben der Futterraufe und sieht aufmerksam zu seinem Herrn hinüber. „Partisanen“, bringt Atte heraus. „Partisanen wollten wir . . . Lutz hat . . .“ „So, Partisanen! Das ist mir neu, daß Partisanen harmlose Schafe angreifen. – Und bloß ihr beide?“ Hermann stellt sich neben Atte und zeigt zum Kiefernpfeiler. Juliane und Elke rühren sich nicht. „Kommt schon vor, da!“ brummt Schäfer Piel. „Den Balken braucht ihr nicht zu stützen. Der steht so noch.“

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Auch die Mädchen sehen nicht mutig aus. Puterrot sind ihre Köpfe. „Das sind doch nicht alle?“ „Los“, ruft Atte, „nun kommt schon!“ Vier Pioniere schubsten sich gegenseitig aus der Schrotkammer. Friedchen fängt laut an zu heulen. „Und die da oben?“ Schäfer Piel zeigt zum Heuboden. Als letzter hängt Lutz in der Luke und angelt mit den Füßen nach der Leiter. Die Kinder stehen mit Abstand um den Alten herum. Friedchen weint noch immer. Und Lutz spürt, daß seine Knie ein bißchen zittern. Schäfer Piel stemmt beide Fäuste in die Hüften. Der Umhang reicht ihm fast bis zu den Füßen. „Soso, Partisanen also. Soso. Und wer ist der Anführer?“ Nur Friedchens Schluchzen ist zu hören. „Einer muß doch das Kommando ge-

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geben haben? geben haben? Den Anführer mein’ ich.“ Alle gucken Lutz an. Der stochert mit den Zehen im Stroh und meldet sich nicht. Kreideweiß ist sein Gesicht. „Wir haben es nicht mit Absicht gemacht“, sagt Elke. „Wir wußten ja nicht, daß dort die Eggen liegen.“ „Ob mit Absicht oder nicht. Ihr habt die Schafe getrieben, und das eine hat nun das Bein gebrochen. Ha, nicht gewußt!“ Lutz ist ein Feigling, denkt Atte. Gestern wollte er durchaus der Kommandierende sein, jetzt meldet er sich nicht. Ein Feigling! „Vielleicht … vielleicht …“, Friedchen kann mit Mühe das Schluchzen unterdrücken, vielleicht heilt es wieder.“ „Klar“, donnert der Mann, „was ist schon dabei, wenn sich ein Schaf das Bein bricht! Halb so wild! Es heilt wieder zusammen, und die Sache hat sich. Was

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kümmert es euch, daß die Alte mit ihrem Lamm gute vier Wochen im Stall bleiben muß. Was ist schon dabei!“ Schäfer Piel läßt sie stehen und stelzt zu Zottels Verschlag zurück. Um seine Augen spielen kleine Fältchen. Und wie soll ich mich um sie kümmern, wenn ich tagsüber mit der Herde draußen bin? Soll ich mich zerreißen womöglich?“ Das bringt Bewegung in die Pioniere. Wie? Die beiden Schafe meint Schäfer Piel? Das kranke und das Lämmchen versorgen? Das könnten sie doch machen. Ja, sie werden sich darum kümmern. Die beiden Schafe versorgen sie. Die Kinder sind wie umgewandelt. „Bestimmt, die betreuen wir“, sagt auch Lutz. Schäfer Piel guckt abschätzend die Pioniere an. „Das ist ja nicht bloß, daß sie mal Grünes kriegen. Die Alte muß auch

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Kraftfutter haben, wenn sie nicht auf die Weide kommt. Und immer frisch Wasser muß sein. Und der Verschlag soll sauber gehalten werden.“ „Das machen wir! Bestimmt, das machen wir!“ „Ich kann das“, ruft Juliane. „Unsere Kuh hab ich auch immer gefüttert.“ Atte hat sogar schon allein den Schweinestall ausgemistet. Jawohl, das kann Schäfer Piel glauben. „Hm.“ Der Mann nickt bedächtig. „Wenn es so ist, dann versteht ihr ja was davon. Aber …“ Edde klettert schon in den Verschlag. Da, lauter Stroh ist im Zinkeimer. Er wird gleich frisches Wasser holen, Schäfer Piel hat noch immer Bedenken, Ein‚ zwei Tage macht euch das Spaß. Das will ich schon meinen. Aber die Tiere müssen regelmäßig ihr Futter haben.“

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„Sie können sich darauf verlassen. Ehrenwort.“ Nun gut. Schäfer Piel will ihnen glauben. Er erklärt, wieviel Kraftfutter Zottel haben muß und welche Kräuter die Schafe am liebsten mögen. Das Lämmchen kann auch schon etwas zartes Wiesengras bekommen. Das mag es. „Mann, das ist die Sache!“ Lutz und Edde holen Wasser. Elke, Atte und Erika tragen Streustroh in den Verschlag. Das haben sie sich nicht träumen lassen. Nichts hat ihnen Schäfer Piel getan. Nicht eine Backpfeife hat es gegeben. Und sie werden die beiden Schafe versorgen, sie ganz allein. Schäfer Piel soll sich wundern. Es ist spät, als die Pioniere sich endlich von dem Mann und Pollux verabschieden. Es gibt viel zu erzählen auf dem Heim

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weg. Das Mutterschaf heißt Zottel. Doch für das Lämmchen müssen sie noch einen Namen suchen. Edde singt ein Loblied auf Schäfer Piel. „Dreihundert Schafe versorgen, das ist nicht so einfach, du.“ „Und er hat gleich gewußt, daß wir im Stall waren“, behauptet Hermann. „Er hat sich bloß so gestellt. Daß Lutz und die anderen auf dem Heuboden waren, hat er auch gewußt.“ „Aber Lutz ist ein Feigling“, sagt Atte. „Ein Partisanenführer, der hat keine Angst. Der hätte sich gemeldet“ Lutz ist auffallend still auf dem Heimweg. ZOTTEL UND BRUMMEL Jede freie Minute verbringen die Pioniere im Schafstall. Sie sind gewissenhaft. Zottel

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erhält täglich ein halbes Pfund Kraftfutter, daneben frisch gerupfte Kräuter und etwas Sommerstroh. Das Lämmchen kriegt zartes Wiesengras und eine Handvoll gequetschten Hafen. Schäfer Piel ist zufrieden. Am Sonntag sind die Kinder schon frühmorgens im Schafstall. Schäfer Piel ist dabei, einem Hammel die Klauen zu beschneiden. Der Hammel sitzt wie ein Hase auf den Hinterbeinen und läßt den Mann hantieren. „Och!“ staunt Edde. „Müssen Sie allen die Füße saubermachen?“ „Ho, die Füße!“ Hermann lacht. „Die Klauen, Mensch. Beim Schaf sagt man Klauen.“ Schäfer Piel schabt und kratzt mit seinem Taschenmesser. „Er muß sich an einem Stein gestoßen haben. Wenn man nicht nachsieht, kriegt er die Hinke.“

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„Die Moderhinke“, sagt Lutz. Aber der Mann schüttelt den Kopf. Die Moderhinke kommt mehr, wenn sie auf nassen Weiden gehütet werden oder wenn der Stall nicht sauber ist.“ Schäfer Piel hütet nicht auf nassen Weiden, und sein Stall ist gekalkt und gut ausgestreut. Er klappt das Messer zu und pinselt Holzteer auf die kranke Klaue. „So, das wird nun wieder.“ Lutz schleicht um den Mann wie eine Katze um den heißen Futternapf. Er will Schäfer Piel sagen, daß er der Anführer der Partisanen war, daß er das Kommando zum Angriff auf die Herde gegeben hat. „Wenn ich groß bin, werde ich Schäfer“ beginnt Lutz. Der Mann sieht nur einmal auf und brummt: „Warum auch nicht.“ Dann stellt

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er den Hammel auf die Beine und, gibt ihm einen Klaps auf den Pelz. Seit die Pioniere Zottel und das Lämmchen betreuen, wollen viele von ihnen Schäfer werden – die Jungen, aber auch die Mädchen, Elke, Juliane und Erika. Es wird gar nicht so viel Schafherden geben im Dorf. Lutz hat sich mit Pollux angefreundet. „Wenn ich Schäfer bin, nenne ich meinen Hund auch Pollux. „Lutz wartet, ob Schäfer Piel ihn freundlich ansieht. Da kann er lange warten, Schäfer Piel zeigt seine Freude nicht. Wenn es hoch kommt, spielen die Fältchen um seine Augen. Und das sieht man kaum. „Zottel kann auch auf drei Beinen ganz schön gehen“, sagt Elke. „Ja wirklich!“ bestätigen die Jungen. „Zottel geht so sicher wie die anderen auf allen vieren.“

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Schäfer Piel weiß genau, worauf die Pioniere hinauswollen. Warum sollen sie Zottel nicht hüten, denkt er. In der Herde, das geht nicht. Schon beim Austreiben würde Zottel umgestoßen werden. Und das Bein braucht Ruhe. Hm, aber alleine, das wäre was anderes. Das könnte nichts schaden. Das wäre sogar gut für das Tier. Dennoch brummt der Mann: „Was versteht ihr vom Schafehüten!“ Oh, das soll Schäfer Piel nicht sagen! Sie verstehen etwas davon. Sie wissen zum Beispiel, daß die Schafe nicht zu lange auf frischem Klee gehütet werden dürfen. Sie würden aufblähen, ebenso wie die Kühe. Und jedem Kind im Dorf ist auch bekannt, daß kein Schaf auf die Seewiese darf, weil es dann Leberegel bekommt. An Leberegel können die Schafe sterben. Aber der Mann weiß noch viel mehr,

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worauf ein Schäfer achten muß. Er zieht die Uhr aus der Tasche. „Da, gleich neun ist es nun, und ich kann noch immer nicht austreiben. Warum?“ Die Pioniere überlegen und raten hin und her. Bis Atte ruft: „Ha, ich weiß jetzt: Weil noch Tau ist. Tau mögen die Schafe nicht.“ „Sie mögen schon“, sagt Schäfer Piel. Aber sonst hat er Recht.“ Nein, das haben sie nicht gewußt. Ganz winzige Würmer sitzen in den Tautröpfchen. Und wenn das Schaf sie frißt, wird es krank. Im Magen und in der Lunge entstehen durch die Würmer gefährliche Krankheiten. „Wir warten, bis der Tau weg ist“, sagt Friedchen. „Nun gut“, brummt Schäfer Piel. „Aber vorsichtig müßt ihr sein. Nicht, daß ihr sie wieder jagt womöglich. Am besten, ihr geht den Rain entlang. Da ist Queckengras und feine Schafgarbe.“

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Wohl zehnmal laufen Hermann und Atte hinaus und halten die Hand ins Gras. „Jetzt ist es trocken, Herr Piel! Bestimmt, wir können austreiben.“ Schäfer Piel stößt die Türflügel auf. Grelles Licht fällt in den Stall. Die Herde drängt hinaus. „Und daß ihr sie nicht treibt“, ruft der Mann noch einmal zurück „Nein, nein, wir machen schon!“ Sie warten, bis das Trippeln der Herde nicht mehr zu hören ist. Dann öffnen Erika und Edde den Verschlag. „Schopp, Schopp!“ lockt Hermann. Nun kommt doch! Schopp, Schopp!“ Zottel hinkt durch den langen Stall. „Määäh – määäh“, macht das Lämmchen und springt voraus ins Freie. Saftige Queckenbüschel wachsen auf dem Rain. Zottel steht auf drei Beinen und rupft. Das Lämmchen bedankt sich mit

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übermütigen Sprüngen. Jetzt verweilt es neben der Mutter. „Määäh!“ Dann läuft und springt es wieder. „Ich weiß, welchen Namen wir ihm geben“, sagte Trauti. „Wir nennen es Brummel.“ Lutz ist dagegen. Ihm gefällt besser „Weißer Springer“ oder auch „Weißhirsch“. Haha, wie kann ein Schaf „Weißhirsch“ heißen! Die Freunde zeigen Lutz den Vogel. Sie sind für Brummel. Zottel und Brummel, das paßt gut zueinander.“ DIE SACHE-MIT DER NATTER Brummel hat sich müde gerannt. Es liegt im Schatten des Wildbirnenbaumes und läßt sich von den Mädchen streicheln. Die Jungen suchen den Feldrain nach Mäuselöchern ab.

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Da schreit Trautchen auf und zeigt auf das Brombeergestrüpp. „Eine Schlange! Huu, eine lange Schlange!“ Im Nu sind die Jungen heran. Wo? Wo denn? O ja, eine dicke Natter schlängelt sich durch die buschigen Queckenstauden. Die Pioniere springen umher und machen viel Geschrei. „Schlagt sie tot!“ „Los, bevor sie sich wieder im Brombeerbusch versteckt!“ „Nicht, laßt sie!“ ruft Elke. „Schäfer Piel, der fängt Schlangen“, sagt Edda. „Der zieht ihnen die Haut ab und macht Peitschenleder daraus.“ „Ja, wir bringen sie Schäfer Piel!“ Auch Atte ist dagegen, daß sie die Schlange töten. „Sie tut uns doch nichts.“ „Ihr habt ja Angst“, stichelt Juliane. „Ich hab bloß keinen Stock“, verteidigt

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sich Hermann. „Ich würde schon rangehen.“ Die Natter schlängelt sich indessen weiter durch das Gras. Lutz findet einen trockenen Ast unter dem Wildbirnenbaum. Wenn alle Angst haben, wird er die Schlange erschlagen. Dann sehen sie, daß er nicht feige ist. Oh, die Sprache soll es ihnen verschlagen! Und Schäfer Piel wird staunen, wenn er ihm die tote Schlange bringt. „Ein mutiger Lausebengel“, wird Schäfer Piel sagen. Wo ist sie geblieben? Weg da!“ „Was soll der Quatsch?“ Atte stellt sich Lutz in den Weg. Er will ihn aufhalten. „Wehe, du! Wehe, schlägst du siel“ „Laß ihn doch!“ rufen die Kinder: „Schnell, ehe sie sich verkriecht!“ „Platz da!“ Lutz läuft mit erhobenem Ast auf die Natter los. Die Rufe der Freunde verscheuchen die letzte Angst in seiner Brust. Jetzt: Ratsch! – Ratsch!

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Nun wagen sich alle heran. Die Schlange wälzt und windet sich, daß die weißgefleckten Bauchseiten sind. „Die hat für immer genug“, sagt Lutz. „Tierquäler!“ ruft Elke. „Ich erzähl alles Fräulein Berger, wenn sie wieder da ist.“ „Erzähl doch!“ „Schlangen muß man totmachen, behauptet Hermann. „Weil sie giftig sind. Wenn sie dich gebissen hätte, würdest du anders reden.“ In Hermanns Augen ist Lutz ein Held. Keiner hat sich herangewagt, nur Lutz. Die Natter bleibt endlich still liegen. Lutz stochert mit der Astspitze, ob nicht doch noch etwas Leben im Schlangenkörper steckt. Nein, sie ist tot. Lutz packt die Schlange am Schwanzende. Dann geht es quer über die Felder zu Schäfer Piel. Der wird Augen machen! Nur Elke und Friedchen sind zurück

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geblieben. Sie hüten Zottel und Brummel. Auf der Brache hinter den Köterbergen finden die Kinder den Mann mit der Herde. Lutz hält den Arm ausgestreckt. Die Schlange pendelt hin und her. Schäfer Piel pustet dünne Rauchfahnen in die Luft. Er guckt schweigend die Natter an und verzieht keine Miene. „Eine Schlange!“ sagt Hermann und denkt: Soll er sich doch freuen! Der Mann wiegt leise den Kopf und brummt: „Eine Ringelnatter. Ein Weibchen, wie es scheint. So ein Unverstand von den Menschen!“ Wie? Lutz versteht Schäfer Piel nicht. „Ich habe sie gleich hergebracht, damit Sie ihr die Haut abziehen können.“ „Äh!“ Der Mann stutzt. „Ihr habt sie . . .“ „Ja, am Brombeerbusch“, sagt Erika. „Lutz hat ihr eins mit dem Ast gegeben.“ Schäfer Piel nimmt die Pfeife aus dem

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Mund. Er stützt sich auf seinen Stab und zieht wütend die buschigen Augenbrauen hoch. „Ihr also! Satan auch! Und da schämt ihr euch nicht einmal! So ein harmloses Tier zu erschlagen! Hat sie euch was getan, hä?“ Schäfer Piel Stimme klingt wie Gewittergrollen. Die Pioniere sind verwundert. Sie haben einen Lobgesang erwartet. Nun stehen sie da und müssen ein Donnerwetter über sich ergehen lassen. „Aber wenn Sie uns gebissen hätte – oder Zottel womöglich?“ sagt Trauti kleinlaut. Lutz läßt den toten Schlangenkörper in den Sand gleiten. „Ho, gebissen! Das ist das Neueste, was ich höre ...“ Schäfer Piel ist schon mehr als sechzig Jahre alt. Doch er hat noch nie erlebt, daß eine Ringelnatter einen Menschen oder ein Schaf gebissen hat. „Eine Ringelnatter ist das harmloseste Tier, das man sich denken kann.“

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Pollux macht um die Schlange einen großen Bogen. In ihrer Todesangst hatte sie Stinkstoffe ausgeschieden. „Im Dorf erzählt man, daß Sie den Schlangen die Haut abziehen.“ sagt Lutz. Schäfer Piel lacht giftig. „So, erzählen sie das? Ich hab noch keiner Schlange etwas getan. Die Leute reden manchmal was dahin. Und damit ihr es wißt: Die Ringelnatter steht unter Naturschutz Niemand darf sie totschlagen.“ „Aber wenn es eine Kreuzotter gewesen wäre?“ „Kreuzotter – Kreuzotter …“ Schäfer Piel hebt die tote Schlange auf. Sein Finger zeigt auf die zwei gelben Flecke hinter dem Kopf. „Sieht so eine Kreuzotter aus? An diesen Flecken kann jedes Kind die Ringelnatter erkennen. – Nee, schade um das Tier!“ Die Pioniere schweigen betreten. Da

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haben sie etwas angerichtet. Atte macht sich Vorwürfe, daß er Lutz nicht einfach den Ast‚ aus der Hand gerissen hat. Lutz trägt die Schlange in eine Furche und vergräbt sie mit den Händen. „Wir tun es nie wieder, Herr Piel.“ Sie verabschieden sich und machen sich schweigend auf den Weg zu Zottel und Brummel! Schäfer Piel sieht ihnen nach, wie sie über die Brache gehen. „Lausebengel“, brummt er. Doch es klingt längst nicht mehr so zornig. Er weiß, daß die Kinder ihm eine Freude machen wollten. Und er sagt sich: Nun ja, was können sie schon dafür? Sie haben es nicht gewußt

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DAS GESCHENK Es ist schon spät. Die Schafe schlafen längst im Stall. Über das breite Rohrdach huschen die Fledermäuse. Schäfer Piel ist mit Pollux ins Dorf gegangen. Die Vorstandsmitglieder der Genossenschaft sitzen im Büro und beraten, wie sie die Ernte einbringen wollen. Sie stellen den Ernteplan auf. Zum Schluß der Sitzung sagt Schäfer Piel: „Ich hab da noch eine Sache.“ Er erzählt, daß die Pioniere der vierten Klasse ein verletztes Muttertier mit seinem Lamm versorgen. „Alle Tage sind sie da. Und abends muß ich sei rein mit Gewalt aus dem Stall jagen.“ Daß die Pioniere an Zottels Verletzung schuld sind, das sagt Schäfer Piel nicht. Der Vorsitzende der Genossenschaft ist groß und hager. Auf seiner gekrümmten

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Nase sitzt ein drahtiges Brillengestell. Der Vorsitzende schiebt die Brille hoch und sagt: „Gut Genosse Piel, sehr gut. Die Kinder sollen ja einmal die Genossenschaft übernehmen. Es ist richtig, wenn du sie jetzt schon an unsere Arbeit heranführst.“ Schäfer Piel schluckt ein paarmal. Sein Adamsapfel geht rauf und runter. „Daß ich sie gerade herangeführt habe … Wie das manchmal ist. Das hat sich alles so ergeben, mein‘ ich.“ Der Mann zögert einen Augenblick und guckt auf seine knotigen Finger. „Womöglich sollten wir ihnen die zwei Tiere ganz überlassen. Die Kinder würden ihren Spaß daran haben. Und lehrreich ist es ja mit den Schafen. Ich meine, das soll nun ein Vorschlag sein.“ Die Genossenschaftsbauern haben nichts gegen den Vorschlag. Sie sind einver-

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standen. Schäfer Piel soll den Pionieren die Schafe übergeben. Und er soll auch weiterhin die Kinder bei ihrer Arbeit anleiten. Auf dem Weg zum Vorwerk spielt der Mann mit seinem Hund. Er schleudert den Gehstock weit in die Nacht hinaus. Und Pollux holt ihn immer wieder zurück. So spielt Schäfer Piel nur, wenn er sich ganz besonders freut. Am nächsten Tag zieht der Schäfer oft die Uhr aus der Tasche. Wie langsam die Zeit manchmal vergeht. Doch dann steht der kleine Zeiger auf der Zwei. „Nun könnten sie dasein“, brummt Schäfer Piel. Und zu Pollux sagt er: „Du mußt mal ‘ne halbe Stunde allein auf die Herde achten. Ich hab da nämlich noch was zu erledigen.“ Pollux legt sich ins Gras und bleibt hechelnd zurück. Schäfer Piel weiß, daß

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er sich auf seinen Hund verlassen kann. Die Pioniere haben mit Zottel und Brummel soeben den Wildbirnenbaum erreicht. Sie setzen sich in den Schatten, schwatzen und gucken den Schafen zu. Friedchen hat zuerst Schäfer Piel entdeckt. „Ob was passiert ist mit der Herde?“ Edde meint: „Er wird sehen wollen, ob wir wieder Schlangen fangen.“ Der Mann stellt sich spreizbeinig auf den Rain und mustert die beiden Schafe. Habt ihr sie auch getränkt vorher?“ Was denkt sich Schäfer Piel? Jeden Tag, bevor sie die Tiere austreiben, tragen sie frisches Wasser in den Verschlag, jawohl! „Und wie habt ihr sie hergeführt? Über den Steinacker womöglich?“ „Ach, den Weg entlang“, sagt Atte. „So, hm!“ Der Mann _bewegt vorsichtig Zottels krankes Bein. „Und vergeßt ihr dabei auch die Schularbeiten nicht?“

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Was sollen die Fragen? Tut es Schäfer Piel schon leid, daß er ihnen die beiden Schafe anvertraut hat? Er will sie wohl wieder los sein? Der Mann humpelt dicht an die Kinder heran. Wir hatten nämlich Vorstandssitzung gestern. Und – nun ja, da haben wir beschlossen, daß wir euch die beiden Tiere hier als Geschenk übergeben.“ Wie? Zottel und Brummel? Zum Behalten? Die Mädchen klatschen in die Hände und tanzen vor Freude. Hermann wirft die Arme in die Luft. Und Atte und Lutz fangen an, sich übermütig zu boxen. „Die Sache!“ – „Eigene Schafe!“ Sie können sich nicht wieder beruhigen. „Ich denk doch, daß wir auch weiterhin zusammen wirtschaften. Wenn dann euer Zottel wieder gesund ist, können wir ja gemeinsam hüten.“ Natürlich! Viel lieber würden sie mit

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Schäfer Piel und Pollux zusammen hüten. Aber solange Zottel krank ist, geht es nicht. „Mann“, ruft Lutz, „dann sind wir richtige Tierzüchter!“ „Das seid ihr“, sagt Schäfer. Piel und holt die gekrümmte Pfeife aus der Tasche. „Das seid ihr.“

FRAULEIN BERGER IST WIEDER DA Nur neun Tage ist Fräulein Berger im Krankenhaus. Dann hält wieder das gelbe Auto vor ihrer Tür. Eine normale Blinddarmoperation dauert nicht länger. „Habt ihr schon gehört? Habt ihr schon gehört? Fräulein Berger ist wieder da!“ „Ich hab gleich gesagt, daß der Blinddarm nicht vereitert ist“, ruft Friedchen. Fräulein Berger wird Augen machen,

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wenn sie erfährt, daß sie jetzt „Junge Tierzüchter“ sind. Doch sie nehmen sich vor, nichts zu verraten. Niemand darf Fräulein Berger etwas von ihren Schafen erzählen, bis die Lehrerin den Weg zum Vorwerk gehen kann. Am Sonntag ist es soweit. Um halb acht klopfen Elke und Atte an Fräulein Bergers Tür. Die übrigen Pioniere warten auf der Straße, sorgfältig gekämmt und die Halstücher umgebunden. „Einen_ Spaziergang wollt ihr mit mir machen? Das ist aber fein. Da freue ich mich. Einen Augenblick!“ Die Lehrerin geht rasch noch einmal zurück. Sie zieht ihren hellen Mantel über und steckt eine große Tüte in die Tasche. „Da bin ich wieder. Was, die ganze Klasse?“ Fräulein Berger staunt nicht schlecht. „Ist das eine Überraschung!“

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Die Lehrerin freut sich, daß sie wieder bei ihren Kindern ist. „Und wohin gehen wir?“ „Zum Vorwerk!“ ruft es von allen Seiten. Fräulein Berger wundert sich über die Einmütigkeit. Vielleicht haben sie wieder Laubhütten gebaut, denkt sie. Sicher, so wird es sein. Nun, sie will sie sich gerne ansehen. Die Tüte wandert reihum. Sahnebonbons in Papier eingewickelt! Die Pioniere lutschen und plappern. „Sie können Herrn Schippel fragen. Wie die Luchse haben wir aufgepaßt! Er brauchte überhaupt nicht zu schimpfen.“ Einmal verplappert Lutz sich beinahe. „Ob Schäfer Piel schon …“ Hermann kann ihm noch rechtzeitig in die Rippen puffen. Zum zehnten Male sagt Atte: „Sahnebonbons, die esse ich am liebsten!“ Fräu-

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lein Berger lacht und fordert immer wieder auf, die Tüte weiterzureichen. Hinter dem Sportplatz wickelt Atte den letzten Bonbon aus dem Papier. Schäfer Piel will austreiben: Er will die großen Torflügel zurückstoßen. Da sieht er die Pioniere mit ihrer Lehrerin. „Ich dachte schon, ihr habt verschlafen heute.“ Fräulein Berger wundert sich wie selbstverständlich die Pioniere zum Schäfer in den Stall gehen. Während sie dem Mann die Hand gibt, ziehen Trauti und Edde ungeduldig an ihrem Mantel. „Wir müssen durchgehen. Dort, in der Ecke.“ Und als sie dann vor dem Verschlag steht sagt Atte: „Diese beiden hier das sind nun unsere.“ Alle Augen gucken die Lehrerin an „Ja, ganz bestimmt! Zottel und Brummel gehören uns jetzt.“

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Es dauert eine Zeitlang, bis Fräulein Berger endlich begreift, daß die LPG ihrer Gruppe die zwei Schafe geschenkt hat. Schäfer Piel steht hinter ihr. „So ist das“, brummelt er. „Und sie stellen sich dabei an wie richtige Schäfer.“ Fräulein Berger greift immer wieder in Zottels dicke Wolle. Da haben wir ja eine feine Aufgabe für unsere Gruppe, denkt sie. Dann erst bemerkt sie den Verband an Zottels Vorderbein. „Ach! Hat es sich verletzt?“ Mit einem Schlag sind die Pioniere still geworden. Fräulein Berger blickt sich um. Sie sieht nur in verschwiegene Gesichter.“ Schäfer Piel schiebt sich durch, die umstehenden Kinder. „Das Bein hat es sich – nun ja, gebrochen etwas. Das kommt ja vor, meine ich. Keine drei Wochen, und es ist wieder heil.

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„Ja, aber …“ Lutz meldet sich. „Wir haben ... Ich bin schuld“, sagt er dann. „Ich hab das Kommando zum Angriff auf die Herde gegeben.“ „Schuld haben wir alle“, ruft Elke. Und dann erzählen die Pioniere, wie alles gekommen ist. Fräulein Berger hört schweigend zu und denkt: Da läßt man euch nun für ein paar Tage allein, und ihr müßt gleich Unheil anstellen. Wirklich, ein paar mutige Partisanen. Nur gut, daß alles so ausgegangen ist. „Und habt ihr euch wenigstens bei Herrn Piel entschuldigt?“ Noch einmal wird es still vor dem Verschlag. Entschuldigt? Nein, das haben sie nicht. Daran haben sie überhaupt nicht gedacht. Sie sehn sich verlegen um. Doch Schäfer

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Piel ist nicht mehr im Stall. Er hat inzwischen die Herde ausgetrieben. Nur noch das Tribbeln und Pollux’ bellen sind zu hören.

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