005 - Andreas Mit Der Schulmappe
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DIE
KLEINEN
TROMPETERBÜCHER
•
BAND 5
Anne Geelhaar
ANDREAS M I T DER S C H U L M A P P E
Illustrationen von Ingeborg Friebel
DER
K I N D E R B U C H V E R L A G
B E R L I N
A l l e Rechte v o r b e h a l t e n Lizenz-Nr. 304-270/180/66-(50) Gesamtherstellung: Grafischer G r o ß b e t r i e b V ö l k e r f r e u n d s c h a f t D r e s d e n 111-17-20 • 1303 2. A u f l a g e ES 9 D 1 • Preis 1,75
Für K i n d e r von 6 J a h r e n an
Andreas ist sechs Jahre alt, und er wünscht sich vor allem, bald groß zu sein. So groß wie Vati und Mutti, die in der Stadt zur Schule gehn. Andreas wohnt bei seiner Großmutter auf dem Dorf. Ihr kleines Haus hat ein rotes Dach, und die Fenster sehen nach allen vier Himmelsrichtungen. Wenn Andreas aus ihnen herausschaut, sieht er Berge, Wiesen und Wälder. Hinter dem Haus ist ein Garten, ter dem Garten, wo der W a l d fließt ein Bach. Lustig sprudelt er den dunklen Tannen hervor, die den hellen Wiesen auf den stehen.
und hinanfängt, zwischen zwischen Bergen
Auf der Straße vor dem Haus rattert am Morgen das Molkereiauto vorbei, wandern die Kühe zur Weide. Auch der große Omnibus, der jeden Tag 5
viele Leute ins nahe Städtchen zur Arbeit bringt, kommt die Straße entlang. Andreas' Großmutter fährt nur einmal in der Woche mit ihm. Sie schnitzt Puppen und Tiere für das Spielzeugwerk, und manchmal darf Andreas sie dorthin begleiten. Dann nimmt er Misch, seinen Teddybären, in den Arm, und auch Wolf, der Hund, springt in den Omnibus. Wolf und Misch sind Andreas' Freunde. Sie müssen immer dabeisein. Es ist Sommer, und die Sonne scheint warm. Andreas schaukelt im Garten. Misch sitzt im Grase, und Wolf buddelt sich ein kühles Lager; ihm ist heiß in seinem Pelz. Wenn die Schaukel vorbeisaust, hebt er hin und wieder den Kopf und bellt laut. Andreas macht es Spaß, so hoch zu flie6
gen. Er kann über die Sträucher und Obstbäume hinwegsehen bis zu den Bergen. Auch in den Nachbargarten schaut Andreas. Und auf einmal ruft er: „Hallo, Cordula! Was machst du da?" Cordula sammelt Falläpfel. Als sie Andreas auf der Schaukel entdeckt, antwortet sie: „ H a l l o ! Das siehst du doch!" und wirft einen Apfel über den Zaun. Andreas springt flink von der Schaukel und holt sich den Apfel. Er beißt hinein. ,,Mmmmm — Au — Mein Zahn!" Cordula guckt durch die Hecke. „Was hast du angestellt?" Andreas tanzt wie ein Zirkuspferd im Kreise herum und jubelt: „Einen Zahn, einen Zahn hab ich mir ausgebissen." „ D u beißt dir Zähne aus und freust dich noch?" 8
„Ja. Jetzt komm ich wirklich zur Schule." „ H a ! So ein Unsinn. Jetzt sind doch Ferien." Andreas denkt nach. „ O m i hat gesagt, wenn ich den ersten Zahn verliere, komm ich zur Schule." „Aaaach. Das hat meine Großmutter auch gesagt. Trotzdem mußt du warten, bis die Ferien vorbei sind. Ich weiß es genau. Ich gehe doch schon in die zweite Klasse. Ich weiß auch, daß du sowieso zur Schule kommst, ganz gleich, wieviel Zähne du dir ausbeißt." Cordula lächelt nachsichtig, und Andreas schaut sie bewundernd an. „ U n d wann sind die Ferien vorbei?" „Bald. Ich sage dir Bescheid. Jetzt muß ich aber gehn, zu den Pionieren." „Ooooch. Nimm mich mit." „Dann komm. Aber beeil dich. Wir dürfen die Arbeiter nicht warten lassen." „Wen?"
„ D i e Leute bei der Heuernte. Wir bringen ihnen das Vesperbrot." „O ja, Omi, O m i ! Ich geh mit Cordula zu den Erntearbeitern, Brot und Kaffee hinbringen." Andreas ruft so laut, daß es weithin schallt. Die Großmutter kommt schnell aus dem Haus und antwortet: „Lauf nur." Geschwind steigen Andreas und Cordula die Straße zum Oberdorf hinan. Wolf springt vor ihnen her. Da fällt Andreas ein, daß er seinen Teddy im Garten allein gelassen hat. Aber er denkt: Ach, laß ihn sitzen. Ich hab jetzt keine Zeit. Und er läuft mit Cordula weiter. Vor der Schule warten die anderen Pioniere schon. Cordula grüßt: „Seid bereit!" Und die Mädchen und Jungen antworten: „Immer bereit!" 10
Andreas aber schaut wieder und wieder zu dem großen weißen Haus hinüber, in dem es jetzt so still ist. „Andreas will mit", erklärt Cordula. „Er kommt im September auch zur Schule." „Schön. Dann kann er mit Berti spielen; er ist genauso alt", sagt Jürgen. „Spielen?" Andreas guckt enttäuscht. „Ich denke, wir gehen zu den Erntearbeitern und bringen ihnen das Vesperbrot." „Ja, ja, hab keine Angst", beruhigt Cordula ihn. Auf dem Hofe der LPG laden zwei Frauen die Kannen mit dem Kaffee, das Brot und die Gläser mit Butter und Marmelade auf einen Handwagen. „Gebt aber gut acht, damit nichts umkippt", ermahnen sie die Kinder. ,,Sie können unbesorgt sein. Wir sind Pioniere. Wir passen auf", meint Holger. Dann traben sie los. 11
Jürgen und Holger ziehen den Wagen. Henrik und Brigitte schieben. Cordula hält die Kannen fest. Andreas und Berti laufen nebenher und helfen hier und da. Nur Wolf macht, was er will. Er ist bald hinten, bald vorn. Manchmal verschwindet er im Wald, um plötzlich wie ein Blitz wieder aufzutauchen. Solange es bergauf geht, sind die Pferdchen brav, und die andern dürfen sie anfeuern: „ H ü hott!" Nur wenn der Weg abfällt, galoppieren die Jungen vor Übermut, und Cordula sagt ärgerlich: „Was soll das? Wollt ihr etwa, daß die Kaffeekannen umkippen und die Arbeiter verdursten?" Doch sie gelangen glücklich zu den Wiesen auf der Höhe. Hier oben weht ein lustiger Wind. Er wirbelt den Staub von der Straße auf und pustet den Kindern 12
die Haare ins Gesicht. Aber keines achtet darauf. Sie winken den Leuten auf der Wiese, die schon nach ihnen ausschauen. „ H a l l o ! Es gibt Vesperbrot!" ruft Andreas vergnügt. Da nehmen die Männer und Frauen ihre Sonnenhüte und Kopftücher ab und gehen zu der schattigen Bank unter der dicken alten Buche. Die Kinder breiten indessen ein Tuch aus und stellen alles darauf, was sie mitgebracht haben. Dann setzen sie sich auf die abgemähte Wiese und freuen sich auf das Lob der Großen. Und sie brauchen nicht lange zu warten. Den fleißigen Arbeitern schmeckt es gut. Sie danken den Kindern für die schöne Bewirtung und laden sie ein mitzuessen. Andreas schmeckt es gut, er guckt sich um. Die Wiesen sind abgemäht. Das trockene 14
Gras ist zu Heuhaufen zusammengeharkt. Zwei große Wagen warten schon, hoch beladen, auf die Heimfahrt. Auf dem Wege steht der Traktor, der sie abholen soll. „Die Ernte ist ja gleich zu Ende", sagt Andreas. Der alte Onkel Mathias nickt. „Ja, mein Junge, auf dieser Seite des Berges werden wir heute mit dem Einfahren fertig. Morgen, in der Frühe, beginnen wir auf den Skiwiesen. Ehe es regnet, soll das Heu in den Futterspeichern sein." Und Erich, der Traktorist, erzählt weiter: „Früher ging es freilich nicht so schnell. Da mußte jeder sein Gras mit der Sense schneiden und das Heu mit dem Ochsenkarren nach Hause bringen." Andreas lacht ungläubig. Aber Cordula sagt: „Ja, das haben wir in der Schule gelernt." 15
Als alle gevespert haben, packen die Kinder das leere Geschirr zusammen und laden es auf den Wagen. Die Männer und Frauen gehen wieder an ihre Arbeit. Erich läßt den Motor seines Traktors anspringen und fährt zu dem ersten Wagen, um ihn anzuhängen. Die Kinder sehen zu, wie der Traktor mit seiner hohen Fuhre den Berg hinabrollt. Dann winken sie noch einmal zur Wiese hinüber, nehmen ihren Handwagen und kehren um. Sie sind noch nicht weit gelaufen, da ruft Berti: „Guckt mal, die schönen roten Beeren! Daraus kann man Perlenketten machen." „Das sind Ebereschen", sagt Holger, „Vögel fressen die gern." Cordula kommt ein Gedanke. „Wir pflükken Ebereschenbeeren. Wollt ihr? Inge 16
hat doch gesagt, wir sollen Futter für die Vögel sammeln, damit sie im Winter nicht hungern." Inge ist die Pionierleiterin im Dorf. Sie weiß immer etwas Neues — zu spielen, zu basteln und zu entdecken. Die Kinder freuen sich sehr darauf, Inge zu überraschen. Sie gehen gleich an die Arbeit. Das Bäumchen steht am Hang und ist nicht sehr hoch. Holger und Cordula pflücken von den unteren Zweigen, und Jürgen klettert ein Stück den Stamm hinauf. Er wirft ganze Bündel mit Früchten herab. Andreas und Berti macht es Spaß, die roten Beeren aufzusammeln. Aber auf einmal springt Jürgen vom Baum herab. „Der Stamm ist zu schwach", sagt er. „Wenn er entzweibricht, muß der Baum sterben, und ich falle auf die Nase." 18
Holger faltet sein Taschentuch auseinander, um die Beeren hineinzubinden. „Es ist ein schöner Beutel voll. Inge wird staunen", meint Brigitte. Aber Cordula schüttelt den Kopf. „Das ist nicht viel. Wir müssen noch Holunderbeeren suchen." Von den kleinen schwarzblauen Früchten des Holunderstrauches finden die Kinder, soviel sie wollen. Aber wo sollen sie die Beeren hineintun? Berti lacht. Er holt eine Kanne vom Wagen und schwenkt den letzten Tropfen Kaffee aus. „Wir haben Krüge, leere Krüge." Jürgen und Holger führen vor Freude einen wilden Tanz auf. Doch dann sammeln alle wieder fleißig und ruhen nicht, bis die Kannen gefüllt sind. Als Andreas und Cordula gehen, wird es schon Abend.
heimwärts 19
„Du, Cordula", sagt Andreas, „werde ich auch Pionier, wenn ich zur Schule komme? So ein blaues Tuch will ich auch haben." Cordula nickt. „ D u kannst es bekommen. Aber es ist etwas Besonderes damit." „Etwas Besonderes?" „Ja. Man muß sich immer Mühe geben, gut lernen, seinen Freunden helfen und sie nie im Stich lassen." „Wenn es weiter nichts ist, das will ich schon machen", meint Andreas. Da fällt ihm sein Teddy wieder ein, und er bittet Cordula, mit ihm durch den Garten zu gehen. Aber wo ist Misch? Andreas läuft durch Gras und Beete bis an den Bach am Ende des Gartens. Er guckt nach rechts und guckt nach links, rennt kreuz und quer, aber Misch ist verschwunden. „ D u mußt doch wissen, wo du ihn hingesetzt hast." Cordula schaut ihn fragend 20
an. „Ich möchte dein Freund nicht sein. Auf einmal läßt du mich auch einfach im Stich." „Cordula, Cordula, warte doch." Cordula sieht sich nicht mehr um. Sie geht davon, schlüpft durch den Zaun und ins Haus hinein. „Wolf, komm, such Misch!" bittet Andreas. Aber Wolf hat anderes zu tun. Er hat einen Knochen gefunden, mit dem er sich einen ruhigen Platz sucht. Andreas ärgert sich, weil Misch fort ist, weil Wolf das Bärchen nicht sucht und vor allem — weil Cordula nicht sein Freund sein will. Die Großmutter sitzt jeden Abend in ihrer Ecke unter der Lampe. Flink führen ihre Hände das Schnitzmesser; sie formen Bäume, Tiere, Häuschen und Puppenköpfe. 21
Fast alle Leute im Dorf schnitzen für das Spielzeugwerk. Aber keiner macht so schöne Figuren wie Omi, denkt Andreas. Wenn er abends im Bett liegt, sieht er der Großmutter heimlich noch eine Weile bei der Arbeit zu. Er öffnet die Küchentür einen Spalt, legt seinen Kopf auf die Arme und guckt. Nicht lange, und O m i hat aus einem einfachen Stück Holz einen Tannenbaum oder ein Reh gezaubert. Heute macht Andreas die Tür nicht auf. Er schaut durch das Fenster hinaus zum W a l d und denkt immer wieder: Wo mag Misch nur sein? Das Gras ist noch feucht vom Tau. Aber die Sonne scheint schon hell. Langsam wandern die Kühe zur Weide. Jede trägt eine Glocke am Hals, und wenn sie so hintereinander durch die 22
Straße ziehn, gibt es ein lustiges Konzert. Andreas hört das gern. Er läuft ans Tor und lauscht. Als die Kühe in einem Seitenweg verschwunden sind, geht er in den Garten zurück. Misch, wo bist du? Er guckt unter jedes Rhabarberblatt, in die Blumenbeete und sogar zwischen die stachligen Beerensträucher. Da kommt Wolf gelaufen. Zuerst schaut er seinem Freund eine Weile zu. Dann fängt er an zu schnuppern, und was trägt er plötzlich im Maule herbei? Den Teddy! Aber wie sieht Misch aus? „Hätt ich nur besser auf ihn aufgepaßt!" sagt Andreas. Er läuft zum Bach und wäscht das Bärchen sauber. Als er damit fertig ist, holt er eine Bürste und streicht so lange über Teddys Fell, bis es wieder glatt ist. 24
Am nächsten Tag gibt ihm die Großmutter ein Rätsel auf. „Es sieht blank und braun aus. Was ist das?" Aber sie kann kaum aussprechen, Andreas weiß gleich Bescheid. „Es ist meine Schulmappe! Vati und Mutti haben die Schulmappe geschickt", sagt er und läuft durch das Haus und sucht. Da! Auf seinem Tischchen in der Spielecke liegt sie, und sie ist blank und braun. Sie glänzt schöner als Cordulas, denkt Andreas. Und wie das Schloß blitzt und funkelt. Andreas probiert, wie die Mappe aufgemacht wird. Oh, kann man da viel hineinpacken! Er legt alle Kasperpuppen, den Kreisel, die Spieldose und den Ball in den Ranzen und Teddy Misch obenauf. Dann macht er — schnapp — das Schloß zu und schnallt den Ranzen auf. 25
„So. Jetzt geh ich zur Schule." „ M i t den Spielsachen?" O m i lacht. „Warum denn nicht? Misch muß mit." „Misch ist klein und zum Spielen da. Was soll er in der Schule?" „Ich will ihn aber mitnehmen. Wenn er nicht mitkommt, bleibe ich auch zu Haus." Andreas schmollt. „ N a gut. Dann müssen wir die Mappe wieder einpacken und Vati und Mutti schreiben, daß du lieber in die Spielschule möchtest", meint Omi und geht in die Küche. Die Mappe wieder einpacken? Nein, das geht nicht. Was sollen Vati und Mutti denken, und was wird Cordula sagen, wenn ich nicht zur Schule komme? Nein, nein, nein! Andreas reißt den Ranzen vom Rücken und schüttet die Spielsachen auf den Tisch. Und was flattert da zum Schluß heraus? Ein Brief! 26
„ O m i ! In der Schulmappe war ein Brief, ein richtiger Brief." Andreas läuft in die Küche. Die Großmutter setzt ihre Brille auf. „Laß sehen, an wen der Brief gerichtet ist." „An den Schüler Andreas." „Das bin ich! Ich, ich!" schreit Andreas. „Was steht in dem Brief?" Die Großmutter nimmt den weißen Bogen aus dem Umschlag und liest: „Lieber Andreas! Nun bist Du schon ein großer Junge und darfst — wie Vati und Mutti — zur Schule gehn. Wir glauben, daß Du Dich sehr darauf freust. Deshalb haben wir diese schöne Tasche für Dich ausgesucht. Gefällt sie Dir? Bald wirst Du auch Bücher und Hefte erhalten und jeden Tag etwas Neues lernen. Wenn wir zu Weihnachten nach Hause kommen, werden wir sehen, wer mehr Einsen hat, Du oder Mutti und Vati. So können wir um 27
die Wette arbeiten. Willst Du? Wir wünschen Dir einen fröhlichen Schulanfang und grüßen Dich herzlich. Dein Vati und Deine Mutti." „Hast du's gehört, Omi? Ich werde mit Vati und Mutti um die Wette lernen", sagt Andreas stolz. „ U n d Misch?" fragt O m i schelmisch. „Misch erzähle ich jeden Tag, wie es in der Schule war", antwortet Andreas und läuft mit der neuen Mappe und dem Brief zu Cordula. Ungeduldig hüpft Andreas von einem Bein aufs andere; denn heute ist der erste Schultag. Andreas hat das neue blaue Hemd angezogen. Die blanke braune Mappe ist aufgeschnallt. „ O m i , mach schnell. Wir kommen zu spät. Wir müssen jetzt gehn." Aber die Großmutter bleibt in der Küche. 28
Sie hantiert weiter mit ihren Töpfen und sagt ruhig: „Es ist noch Zeit." Andreas nimmt den Ranzen wieder ab. Er hockt sich auf den Fußboden und holt das rote Täschchen mit den Bleifedern und Buntstiften aus der Mappe. Gerade hat er die Stifte ausgebreitet, da klingelt es draußen am Tor. Die Großmutter öffnet die Küchentür und ruft: „Lauf nun. Es ist soweit." „Allein?" Andreas' Stimme klingt kläglich. Er ist auf einmal so aufgeregt, daß er nicht weiß, wie er die Stifte wieder in das Täschchen hineinbekommen soll. „Beeil dich. Schau nach, wer draußen steht", mahnt die Großmutter. Andreas rührt sich nicht vom Fleck. „Ach, geh doch mit. Nur am ersten Tag!" „Ich komme ja mit", ruft Cordula, die leise ins Haus getreten ist. Andreas springt auf. „Du, Cordula?" 29
Cordula schenkt Andreas einen Blumenstrauß. „Ich begrüße dich als Mitschüler und möchte dich abholen zu deinem ersten Schulgang", sagt sie feierlich. Das ist eine Überraschung! Andreas freut sich. Es macht ihm Spaß, neben Cordula, mit dem Ranzen auf dem Rücken, durchs Dorf zu laufen. Wolf läuft vor ihnen her. Als Andreas und Cordula in das weiße Haus eintreten, sperrt Cordula vor Wolf die Tür zu. „ D u darfst nicht hinein", sagt sie. „Warte, bis Andreas wiederkommt." Viele Kinder steigen staunend die breite Treppe zur Aula hinauf. Sie haben neue blanke Ranzen wie Andreas und werden wie er von Jungpionieren aus der zweiten Klasse begleitet. In der Aula ist eine lange Tafel gedeckt. Andreas sieht Blumen und Torte. 30
„Was bedeuten die bunten Karten, die an jedem Platz aufgestellt sind?" fragt er. „Darauf stehen die Namen der Kinder, die heute zum erstenmal zur Schule kommen", erklärt Cordula. Aufmerksam liest sie ein Kärtchen nach dem anderen. Plötzlich nickt sie und ruft: „Andreas, hier ist dein Platz. Setz dich. Ich muß jetzt gehn. Meine Stunde fängt gleich an." Nun sitzt Andreas allein zwischen den Kindern. Er schaut sich um. Da sind Inge, die Pionierleiterin, und Frau Neumann, die Lehrerin, und dort neben Anja und Renate ist auch Berti. Andreas ruft, und Berti winkt. Er zeigt auf die Bühne. Wahrhaftig! Da hat man ein richtiges Kaspertheater aufgebaut; und schon meldet sich der Bruder Lustig: „Trarira, Kasperle ist d a ! " 32
Der Vorhang öffnet sich. Die Kinder lauschen. Dieser Kasper ist ein Tausendsassa. Jeden kennt er. Woher er nur alles erfährt? Andreas guckt fragend zu Frau Neumann. Die schaut ihn lustig an, aber sie sagt nichts. Nett ist sie, denkt Andreas. Er steht gleich auf, als Frau Neumann die Kinder auffordert, mit ihr hinunter in die Klasse zu gehn. Etwas schüchtern steigen die Kinder die Treppe hinab. Sie folgen der Lehrerin über den langen Flur. Endlich sind sie am Ziel. An einer Tür im Erdgeschoß leuchtet eine große Eins. „Hier ist eure Klasse", sagt Frau Neumann und öffnet. Neugierig schauen die Kinder hinein. So viele Bänke und Tische! Andreas staunt. Doch nachdem sich alle hingesetzt 33
haben, ist nur noch ein einziger Stuhl frei, der Stuhl für die Lehrerin. Neben Andreas sitzt Berti. Beide stürzen sich sogleich auf die Bücher, die vor ihnen auf dem Tisch liegen. „ O h , so viele!" ruft Berti. Und Andreas: „Bilder, bunte Bilder sind drin!" „Was meinst du?" fragt Frau Neumann Andreas. Alle Kinder antworten auf einmal. „Hier ist nichts zu verstehen." Frau Neumann guckt fragend zu Vera. Die zupft an ihrer Zopfschleife. Aber dann hebt sie den Finger, und Anja, Bernhard und Rainer folgen ihrem Beispiel. Frau Neumann freut sich, daß die Kinder sich schon wie richtige Schüler benehmen können. Sie melden sich, wenn sie etwas sagen wollen. Sie werden auch gut zuhören, wenn die Lehrerin spricht. 34
Aufmerksam lauschen alle, als die Lehrerin nun von den Büchern erzählt. Andreas nickt seiner Lehrerin zu. Ja, es ist schön, wenn man wie die Erwachsenen ein Buch nehmen und darin erfahren kann: wie die Blumen heißen, wie eine Brücke gebaut wird oder wie weit die Reise zu dem silbernen Mond da oben am Himmel ist. Behutsam und ehrfürchtig schlägt Andreas die erste Seite der Fibel auf. Nur noch ein paar Tage, und er wird ganz allein darin lesen können. „ W i e gefällt euch Frau Neumann.
eure Klasse?" fragt
Die Kinder sehen sich um. Das Zimmer hat große Fenster. Die Tafeln an den hellen Wänden laden zum Malen und Schreiben ein. Es ist ein schönes Klassenzimmer. 36
Doch Andreas meint: „Blumen müßten noch sein." „ U n d Tiere", sagt Berti, dessen Vater und Mutter Tierpfleger im großen Rinderstall des Dorfes sind. Andreas lacht. „ D u kannst doch keine Kuh mit in die Klasse bringen!" „Einen Hund auch nicht", erwidert Berti. „Vielleicht einen Vogel?" „Ein Vogel ist hübsch. Er singt." Berti ist einverstanden. Aber Frau Neumann hat Bedenken. „Er wird uns vom Lernen ablenken." „Dann bring ich mein Meerschweinchen mit. Hansi sagt keinen Piep, wenn er satt ist", schlägt Berti zuletzt vor. Dagegen ist nichts einzuwenden. Hansi darf einziehen. „Doch wer wird das Meerschweinchen füttern? Und wer soll die Blumen gießen?" 37
Alle Hände fliegen in die Höhe. Alle Kinder wissen, wie man Tiere hält und Blumen pflegt. Anja und Vera haben ein eigenes Beet. Rainer und Bernhard ziehen Kaninchen auf. Renate hat Sonnenblumen gesät. Berti betreut außer seinem Hansi eine Schar Kücken; und Andreas hat einen Hund, das wissen alle. Frau Neumann nickt zufrieden. Sie sagt: „Wir wollen hier alles gemeinsam tun. Da ihr schon so erfahren und tüchtig seid, ist die Sache einfach. Einer nach dem anderen wird das Meerschweinchen und die Blumen einen Tag lang pflegen, jeder, wenn er an der Reihe ist." „Auf Wiedersehen!" grüßen die Schüler ihre Lehrerin im Chor. Andreas freut sich auf Schultag. 38
den
nächsten
Draußen vor dem großen Tor stehen Väter, Mütter und Omis. Sie halten große Zuckertüten im Arm und schauen nach ihren Söhnen, Töchtern und Enkeln aus. Wolf springt übermütig um seinen Freund herum, und Andreas ruft der Großmutter entgegen: „Schön ist es in der Schule, schön!" Dann nimmt er seine bunte Tüte in Empfang. Am andern Morgen hat Andreas es eilig. Was wird Frau Neumann sagen? Seine Bücher haben Kleider aus blankem, blauem Papier; und für die Klasse hat O m i ihm eine Geranie geschenkt, die leuchtet feuerrot. Um den Weg abzukürzen, geht Andreas gleich über die Wiesen. Wolf folgt ihm. Da hopst Andreas ein Fröschlein über die Füße. 40
„Hoppla, Herr Wiesenblank! Soll ich dich mitnehmen zur Schule?" Wolf bellt, als sei er nicht einverstanden. Aber Andreas denkt: So ein kleiner Frosch kann doch nicht stören. Er macht ja nur abends Konzert. Andreas greift zu, und — schwups — ist Herr Wiesenblank in der Hosentasche verschwunden. Nun aber schnell weiter! Wenn Frau Neumann in die Klasse kommt, soll alles fertig sein. „Guten Morgen!" Die Schüler der ersten Klasse begrüßen ihre Lehrerin. Die Fenster sind mit Blumen geschmückt. Hansi sitzt ruhig in seinem Ställchen und verzehrt seine Frühstücksrübe. Alles ist in Ordnung. Frau Neumann freut sich. Die Stunde kann beginnen. 41
Doch draußen im Hof steht ein Hund und bellt: Komm! Es ist Wolf. Andreas springt ans Fenster. Er macht Zeichen. Wolf versteht ihn nicht. Er bellt noch lauter. Andreas wird es heiß vor Aufregung. Er zieht sein Taschentuch hervor. Da schreit Renate: „ H u ! Ein Frosch!" Nun springen alle von den Bänken. „Ein Frosch! Ein Frosch!" Frau Neumann schaut verwundert. „In der Schule sitzen wir still", sagt sie streng. „Wer hat den Frosch mit in die Klasse gebracht?" Den Frosch? Andreas tippt sich an die Stirn. „Vielleicht ist er mir aus der Tasche gesprungen." Alle lachen. Andreas hat Frösche in den Taschen! Andreas wundert sich. „Berti hat doch 42
gesagt, Tiere müssen auch sein. Da dachte ich . . . „Was dachtest du, Andreas?" fragt Frau Neumann. „Ich dachte, so ein kleiner Frosch kann doch nicht stören, und da wollte ich ihn zu Hansi ins Ställchen setzen." Aber die Lehrerin sagt: „Der Frosch will nicht mit einem Meerschweinchen im Stall leben. Er gehört auf die Wiese. Seht nur, wie matt er vor lauter Angst schon ist. Geh, Andreas, bring ihn hinaus." Andreas klopft an die Klassentür. O h n e aufzublicken, setzt er sich an seinen Platz. Er ist verwirrt, und er denkt: Nun ist mir Frau Neumann böse. Aber nein. Sie ruft ihn nach vorn. „Wir zeichnen unsere Zuckertüte", sagt die Lehrerin. „Andreas darf an die Tafel malen." 44
Andreas malt gern; und nun soll er an der schönen blanken Tafel zeigen, was er kann. Er wählt blaue und gelbe Kreide und malt eine große Tüte. Die anderen Kinder zeichnen mit Buntstiften in ihr Heft. Frau Neumann schaut sich alles an. „Schön", sagt sie und schlägt vor, die Tüte zu malen, wie sie auf dem Kopf steht. Das macht Spaß. Alle sind eifrig bei der Arbeit. Zum Schluß bekommt die Tüte noch ein Band. Und was ist nun daraus geworden? Ein A — ein richtiges großes A. So einfach ist das. Die Kinder staunen. Frau Neumann nimmt die weiße Kreide und schreibt das große A noch ein paarmal an die Tafel. Auf und ab, das Dach steht da, quer ein Band — so ist's ein A! 45
„Hurra, ich kann ein A schreiben!" singt Andreas auf dem Weg nach Hause. „Hurra, ich kann ein A schreiben!" begrüßt er Großmutter, Wolf und Misch. Gleich nach dem Essen setzt er sich hin und beginnt mit der Hausarbeit. Aber als O m i nach einer Weile zu ihm hereinkommt, schimpft er: „So ein schrecklicher Bleistift!" Die Großmutter wundert sich. „Warum gefällt er dir nicht? Es ist ein schöner neuer Stift." „Nein. Er ist schrecklich! Sieh nur, was für krakelige Striche er macht!" „Der Stift? Zeig ihn mal her." O m i nimmt ein Blatt Papier. Sie schreibt mit dem Stift ein wunderschönes A. Andreas staunt. Wie ist das möglich? „Bei mir geht es aber nicht. Mir gehorcht der Bleistift nicht!" 46
Die Großmutter setzt sich zu ihm. Sie schiebt ihm Papier und Bleistift hin und sagt: „Male ein Haus." Ein Haus? Das ist leicht. Eins, zwei, drei — schon steht es da. „Nun deine Zuckertüte. Wie in der Schule: Erst auf dem Fuß, dann auf dem Kopf." Andreas malt. Eine lange Reihe Zuckertüten und immer noch mehr. Auf und ab und auf und ab. Immer schöner werden die Striche. „Eigentlich ist der Bleistift nicht so schlecht", sagt Andreas nach einer Weile. „Und er gehorcht dir genau wie mir. Du mußt dir nur Mühe geben." Andreas' Augen werden groß. Das hat Cordula auch gesagt, denkt er. Dann nimmt er sein Heft wieder zur Hand. Er beginnt aufs neue mit der Schulaufgabe. Langsam füllt sich die erste Reihe. Omi guckt und nickt. 47
Andreas lacht wieder. Nun kann er wirklich das große A schreiben. Wolf begleitet Andreas zur Schule. Sie gehen ein Stück die Dorfstraße hinauf und dann quer über die Wiesen. Auf einmal rennt Wolf davon. Andreas ruft, aber Wolf hört nicht. Da läuft Andreas ihm nach. Als er an den Bach kommt, steht Wolf auf einem großen Stein und schüttelt sich, daß die Tropfen fliegen. Andreas setzt sich am Ufer in die Sonne. Er sieht, wie hell und klar das Wasser ist, und er denkt: Ob ich auch schnell bade? Nur mit den Füßen will ich es versuchen. Er legt seine Mappe ins Gras, zieht Schuh und Strümpfe aus und steigt in den Bach. Uiii! Wie kalt! Andreas ist im Nu wieder draußen. „Wolf, frierst du nicht?" 48
Nein. Wolf fühlt sich wohl. Er schwimmt, kriecht ans Ufer, schüttelt seinen Pelz aus und läuft wieder ins Wasser. Andreas sucht indessen Kiesel. „Wolf, guck mal, wie mein Kiesel tanzt!" Er wirft den Stein so, daß er über das Wasser hüpft. Wolf freut sich, daß Andreas mit ihm spielt. Er schwimmt und hascht nach den Kieseln. Doch Andreas bekommt kalte Füße. Er niest: „Hatschi!" Und plötzlich fällt ihm ein, daß er auf dem Weg zur Schule ist. Andreas schlüpft in Strümpfe und Schuhe und schaut sich nicht mehr nach Wolf um. Wie der W i n d rennt er zur Schule. Im Schulhaus ist es mäuschenstill. Andreas betritt die Klasse. Die Stunde hat schon begonnen. Alle sitzen auf ihren Plätzen und sehen ihn erstaunt an. 50
„Du kommst zu spät. Du störst den Unterricht", sagt Frau Neumann vorwurfsvoll. „Das darf nicht wieder geschehen." Andreas möchte klein wie eine Mücke sein. „Wolf, Wolf ist schuld", meint er leise. Rainer und Renate lachen laut. Aber Frau Neumann hilft ihm. „Setz dich, Andreas. Wir haben ein Bild aufgestellt und wollen alle Gegenstände zählen, die darauf sind. Wer es herausbekommt, darf die Dinge an die Tafel malen." Da schauen alle wieder nach vorn. Ein buntes Bild steht dort. Kinder sind darauf zu sehen, Jungen und Mädchen, die mit Bällen und Reifen spielen. Die Schüler melden sich. Auch Andreas hat gezählt: Zwei Mädchen, zwei Jungen, zwei Bälle, zwei Reifen. Er möchte die Bälle an die Tafel malen. Aber Frau Neumann schaut nicht zu ihm. 51
„Wer quiekt denn da?" sagt sie erstaunt. Die Kinder lauschen. Nun hören es alle. „Das Meerschweinchen", flüstert Berti seinem Nachbar zu. „Ich glaube, es hat Hunger." Wie kann es auch satt sein, wenn es nichts zu fressen bekommt! Andreas wird feuerrot. Er springt auf, reißt das Paket mit den Kohlblättern aus seinem Ranzen und rennt zu Hansi. „Aber Andreas, du störst ja schon wieder!" tadelt die Lehrerin. „Andreas ist an der Reihe. Er hat vergessen, Hansi zu füttern", meldet Renate. „Das haben wir auch gemerkt", erwidert Frau Neumann und fährt mit dem Unterricht fort. Andreas ist bekümmert. Das bunte Bild macht ihm nun keinen Spaß mehr. 52
Andreas hat mancherlei gelernt. Andreas kommt pünktlich zur Schule. Andreas vergißt Hansi und die Blumen nicht, wenn er an der Reihe ist. Andreas kann schon viele Buchstaben schreiben und einige Wörter lesen. Das Rechnen mit den bunten Stäbchen fällt ihm auch nicht schwer. Eines Tages kommt er aufgeregt nach Hause. „Du, Omi, wir sind eingeladen — von den Jungpionieren der zweiten Klasse. Cordula ist auch dabei. Im Birkenhain hinter der Schule treffen wir uns. Wir raten Märchen und lernen ein Lied. Fein, was?" Omi nickt. „Mein Freund holt mich ab", erzählt Andreas weiter. „Darf ich auch ein weißes Hemd anziehen? Alle Pioniere tragen weiße Hemden." Die Großmutter schaut ihn an. „Mach dich aber nicht schmutzig. Ich muß heute nach53
mittag fort. Zieh dich lieber erst kurz bevor du gehst um. Sonst hat das Hemd nachher einen Fleck." „Einen Fleck? Aber Omi, ich bin doch schon groß. Ich mache mich nicht schmutzig." Kaum ist die Großmutter gegangen, da schlüpft Andreas in das frische weiße Hemd. Nun fehlt mir nur noch das blaue Tuch, denkt er. Er holt sein Rechenheft aus der Mappe, nimmt den Füllhalter aus dem Federtäschchen und rechnet: 1 + 1 = 2 1 + 2 = 3 1 + 3 = 4 Nanu? Warum schreibt denn der Füller so dick? Soll das vielleicht schön sein? Andreas schraubt den Halter auf und zu. Er beginnt wieder zu schreiben, schüttelt den Kopf, schraubt noch einmal auf und 54
betrachtet verwundert seine blauen Hände. Was ist das? Andreas erschrickt. Ein Klecks, ein dunkler Tintenklecks fiel auf das weiße Hemd. Was nun? Da klingelt es draußen. Berti will seinen Freund abholen. Auch er macht entsetzte Augen, als er den gräßlichen Fleck auf dem schönen weißen Hemd erblickt. „Was soll ich nur machen?" fragt Andreas bekümmert. „Wir müssen es auswaschen", meint Berti und läuft mit Andreas an die Wasserleitung. Berti reibt und schrubbt. Doch es hilft alles nichts, der Fleck wird immer größer. Zum Schluß ist das Hemd klitschnaß und ganz schmutzig. Berti rät: „Zieh es aus." 56
Andreas antwortet nicht. Er hat sich darauf gefreut, mit einem Weißen Hemd zu den Pionieren zu gehen. Und nun? Nun muß er das bunte wieder anziehen. Berti drängt zur Eile. Andreas läuft neben ihm her, aber er sagt kaum ein Wort. Heimlich guckt er immer wieder auf Bertis Hemd, das blütenfrisch und weiß ist. Vor dem Birkenwäldchen hören sie die anderen bereits singen. Schon lange freu ich mich darauf: Bald bin ich Pionier und trage stolz auf meinem Hemd das blaue Tuch wie ihr. Hurra, hurra! Hurra, hurra! das blaue Tuch wie ihr. „Wir kommen zu spät", flüstert Berti; und weil sie nicht zu stören wagen, bleiben sie hinter einem Baumstamm stehen und lauschen. 57
Da ruft Inge: „Berti, Andreas! Kommt her und lernt mit! Paßt auf, ich blase die Melodie auf meiner Flöte, und ihr summt leise mit", wendet sie sich wieder an alle. Schnell lernen die Kinder aus der ersten Klasse das Lied. Aber Inge fällt auf, daß Andreas nicht mitsingt. Wie ein kleiner Brummbär schaut er heute drein, denkt sie, und sie sagt zu ihm: „ D u hast wohl keine Lust, das Pionierhalstuch zu tragen?" „Doch. Ich möchte es gern haben", antwortet Andreas. Inge bittet Cordula, ihr Tuch einen Augenblick herzugeben und hält es allen sichtbar hoch. „Blau ist unser Tuch." „Ja", sagt Cordula, „wie unser Wimpel und die Fahne der Freien Deutschen Jugend." „ U n d wieviel Ecken hat das Tuch, Andreas?" fragt Inge. 58
„Drei", sagt Andreas, ohne zu überlegen. Und Holger erklärt: „Die eine bedeutet: Pionierverband, die anderen: Schule und Elternhaus." Inge nickt. „Wißt ihr auch, warum?" Andreas schaut zu Cordula und antwortet stolz: „Weil wir uns überall Mühe geben und gute Freunde sein wollen, bei den Pionieren, in der Schule und zu Hause." „Richtig, Andreas. Und damit wir das nicht vergessen, begrüßen wir uns: Seid bereit! Immer bereit. Denn es ist nicht einfach, stets wie ein Pionier zu handeln." Andreas guckt Inge ein bißchen ängstlich an. Aber Inge tröstet ihn: „Wir werden uns gegenseitig helfen und es mit der Zeit alle lernen." „Wollen wir jetzt unsern Tanz noch mal üben, den wir beim Pionierfest aufführen?" fragt Jürgen. Inge ist einverstanden. 59
Die Tänzer stellen sich schnell im Kreise auf. „Aber wer soll der stolze Hahn sein? Peter ist doch krank geworden", sagt Cordula bekümmert. Keiner aus der zweiten Klasse tanzt den Hahn so schön wie Peter. Die Kinder beraten. Auf einmal meint Berti: „Ich kenne den Tanz. Im Kindergarten war ich oft der stolze Hahn." „Warum hast du das denn nicht gleich gesagt?" „So ein Glück!" „Los, Berti, komm. Du machst mit." Berti läßt sich nicht lange bitten. Inge nimmt die Flöte zur Hand. Sie gibt Berti ein Zeichen, denn der Hahn muß beginnen. Während die Kinder im Kreise tanzen, singen die andern: 60
„Erst kommt der stolze Hahn, der geht voran. Er kräht und wacht und gibt stets acht, daß jeder seine Arbeit macht. Kikeriki! — der Hahn, der schöne, stolze Hahn. Dann kommt das brave Huhn, das hat zu tun. Es scharrt und schafft so mancherlei und legt dabei auch noch sein Ei! Gokgok gokgok! — das Huhn, das gute, brave Huhn. Und schließlich hinterdrein so klitzeklein — wie Flocken weich und zart und fein — trippeln die lieben Kinderlein. Piep, piep! — so klitzeklein — die lieben Kinderlein. 62
Kikeriki! Gokgok! Piep, piep!" Zuerst ist Berti etwas schüchtern. Aber dann macht es ihm Spaß. Wer hätte gedacht, daß ein Junge aus der ersten Klasse schon so gut tanzen kann! „Bravo!" rufen Inge und die Pioniere. Alle klatschen Beifall. Nur Andreas steht da und rührt sich nicht. Cordula gibt ihm einen freundschaftlichen Klaps. „Träum nicht. Freust du dich auch, daß Berti es so gut macht?" Andreas antwortet nicht. Er guckt seine Schuhspitzen an. Und ich? Ich darf nicht mittanzen, denkt er. Beim Märchenraten tut er nicht einmal den Mund auf, obwohl er so viele Märchen kennt. „Das nächste Mal fahren wir zur Molkerei, dann sehen wir uns an, wie Butter und 63
Käse gemacht werden", kündigt Inge zum Schluß an. Alle sind begeistert und freuen sich. Aber Andreas sagt nur „Tschüs" und läuft gleich davon. Am nächsten Tag kommt Cordula in der großen Pause in die Klasse. Sie bringt Berti das Kostüm für den Tanz. Schöne bunte Federn sind daran und ein rotes Käppchen mit hohem Kamm. Berti muß anprobieren; und weil ihm das Kostüm so gut gefällt, fängt er vor Übermut an zu tanzen: „Erst kommt der stolze Hahn . . ." Die andern klatschen in die Hände. Nur Andreas nicht. Er läuft geschwind aus der Klasse und wirft die Tür hinter sich zu. Es gibt einen lauten Knall. Und nun merken es alle: Andreas ist neidisch. „Der arme Junge! Er darf nicht mit64
tanzen!" rufen sie laut und machen sich lustig. Berti schaut ratlos drein. „Wenn ich nun auch nicht mittanze?" sagt er leise zu Cordula. Aber Cordula schimpft: „Untersteh dich! Wir sind froh, daß du es so schön kannst. Wegen Andreas mach dir keine Sorgen. Er kommt allein wieder zu dir." Aber Andreas kommt nicht. In der Pause unterhält er sich mit Renate. Sie hat lauter Einsen in den Heften und schaut etwas mitleidig auf die Mitschüler, die Fehler machen. „Kannst mich ja mal besuchen", sagt sie heute zu Andreas, „mit Kindern, die gut lernen, darf ich spielen." Andreas fühlt sich geschmeichelt. Er dreht Berti den Rücken zu.
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In der folgenden Stunde läßt Frau Neumann die Fibeln aufschlagen. Berti soll mit dem Lesestück beginnen. Er liest: „S-us-i s-ei . . ." „Berti, hast du nicht geübt?" „Doch, aber . . ." „Versuch es noch einmal." „S-us-i s-ei . . ." Renate guckt zu Andreas und kichert. Frau Neumann schüttelt unzufrieden den Kopf. Sie sagt: „Berti, das gefällt mir nicht. Ich glaube, ich muß mit Inge sprechen. Wenn dich das Tanzen zu sehr ablenkt, wirst du nicht mitmachen können." Andreas lacht schadenfroh. „Siehst du!" ruft er laut, aber zugleich erschrickt er: Frau Neumann sieht ihn erstaunt an. Nach der Schule packt Berti seinen Ranzen und läuft davon, ohne Andreas „Auf Wiedersehn" zu sagen. Auch die anderen Kinder lassen Andreas stehen. 66
Da rennt er, ohne sich umzusehen, den Weg ins Unterdorf hinab. „Andreas, lauf nicht so", ruft Cordula hinter ihm. Andreas bleibt stehen. Cordula fragt: „Was hast du mit Berti gemacht?" „Nichts", stößt Andreas trotzig hervor. „Ich hab bloß gelacht, weil er so falsch und ulkig gelesen hat. Aber er war gleich beleidigt." „So. Und neidisch auf ihn bist du gar nicht gewesen?" Andreas beginnt wieder zu laufen. Trotzdem hört er, wie Cordula ihm nachruft: „Ausgelacht und im Stich gelassen hast du ihn! Du bist ein schlechter Freund!" Besorgt schaut O m i Andreas an. Was mag ihm nur zugestoßen sein? Er ißt nichts. Er sagt nichts. Er hat keine 68
Lust, Schulaufgaben zu machen. Er sitzt vor seinem Heft, aber er sieht nicht hinein. Nur seinen Teddy zieht er ganz nahe zu sich heran, und dabei spricht er zu sich selbst: Nun kann ich das blaue Tuch nicht bekommen. Die andern werden zusammen feiern und spielen, und Berti wird zu Cordula sagen: Ich habe Andreas immer geholfen. Aber er hat mich ausgelacht und im Stich gelassen. Andreas denkt: Das war sehr häßlich von mir. So etwas tut kein Pionier. Auf einmal klappt Andreas sein Heft zu. Er springt auf und zieht seine Jacke an. „Ich muß mal schnell zu Berti", sagt er und ist schon draußen. Andreas steigt ins Oberdorf hinauf. Als er vor das Haus kommt, in dem Berti wohnt, ruft ihm ein kleines Mädchen auf der Straße zu: „Berti ist zu seiner Mutter gegangen." 69
Andreas denkt: Ob ich lieber umkehre? Aber nein. Ich bin doch kein Angsthase. Er geht weiter. Auf dem Hofe der LPG steht das Auto, das immer die Milch zur Molkerei bringt. Zwei Männer laden die großen Kannen auf. „ D u suchst wohl Berti?" sagt der eine und nickt Andreas zu. „Er ist mit seiner Mutter bei den Kühen." Andreas bedankt sich und geht weiter. Aber in der Tür zum Rinderstall zögert er wieder. Er betrachtet die Schilder, die an jedem Platz angebracht sind, und fängt an, das erste zu lesen: Olga. Geboren am 5. 2. 1956 . . . Auf einmal steht Bertis Mutter neben ihm. „Na, Andreas, rechnest du nach, wie alt unsere Kühe sind?" Andreas vergißt vor Überraschung, „Guten Tag" zu sagen. Aber dann fällt ihm ein, weshalb er gekommen ist. 70
„Ich . . . ich wollte . . .", beginnt er verlegen. „ D u wolltest gucken, ob Berti hier ist, nicht wahr?" „Ja, und ich wollte fragen, ob er mit mir zusammen Schulaufgaben machen darf." „Gewiß. Er sitzt gerade bei dem kleinsten Kälbchen und sieht zu, wie es frißt. Geh nur zu ihm." Berti macht ein abweisendes Gesicht. „Ich muß Reni vom Kindergarten abholen", stößt er hervor. „Bis fünf Uhr ist doch noch lange Zeit", meint seine Mutter. Aber Berti schweigt. Andreas wartet. Endlich steht Berti auf. Seine Mutter schiebt die Jungen aus dem Stall. „Vertragt euch!" ruft sie ihnen nach. Berti holt seine Hefte und geht mit Andreas. Aber sie reden kaum miteinander. Wie still es heute auf der Straße ist! 72
Da bemerkt Andreas Wolf neben sich. Er hebt ein Stöckchen vom Wege auf und wirft es einige Meter weit. „Wolf, such's!" fordert er. Wolf freut sich. Andreas kann das Spiel wiederholen, so oft er mag. Zuletzt läßt auch Berti den Hund j a g e n ; und so gelangen sie unversehens ans Ziel. Die Aufgaben sind schnell gemacht. „Wollen wir noch Schule spielen? Du darfst der Lehrer sein. Hier, nimm Omis Brille!" Andreas schaut Berti bittend an. Der meint: „ N a ja. Wo ist denn die Klasse?" „In der Spielecke. Misch, Wolf und ich sind die Schüler; und die Kasperpuppen können auch mitspielen." „Aber Frau Neumann hat keine Brille." „Das schadet doch nichts. Manche Lehrer haben eine. Du siehst damit klüger aus, wie ein Professor, weißt du?" 73
Berti gefällt es, Professor zu sein. Er räuspert sich, rückt die Brille auf der Nase zurecht und sagt: „Hm. Wir beginnen mit dem Unterricht. Zuerst wollen wir singen. Misch, fang an." Andreas versteckt seinen Kopf hinter dem Teddy und brummt laut: „Hänschen klein . . ." „Hm. Wir rechnen heute mit Kugeln", sagt der Professor, als das Lied zu Ende ist. „Andreas, gib jedem zehn Stück. Zwei davon legt auf den Tisch, nun drei dazu. Wieviel sind es zusammen?" „Ich, Herr Professor, ich weiß es", piepst es von der Seite, wo die Puppen sitzen. Der Professor schüttelt bekümmert den Kopf. „Sei nicht immer so vorlaut, Renate! Die andern Wissen es auch. Und du, Kasper, sitz still und laß deinen Sputnik in der Pause steigen. In der Stunde passen 74
wir alle auf. Nun, Andreas, zähl mal zusammen." „Fünf Stück, Herr Professor." „Sehr gut. Hm. Wir wollen nun lesen. Misch, schlag deine Fibel auf." Da sagt Andreas: „Weißt du was, Berti? Wir spielen nicht weiter. Wir üben jetzt richtig." „Üben? Was denn?" „Lesen." „Oooch. Du kannst es doch." „ U n d du? Du sollst es auch können." Andreas schlägteifrig Bertis Buch auf: „Hier." Berti fängt a n : „S-us-i s . . ." „Nein, warte." Andreas setzt sich neben ihn. „Ich decke dir die folgende Silbe zu. Du liest nur, was ich zeige." Andreas ist ein strenger Lehrer. „ D u mußt richtig zusammenziehen", sagt er. „Paß auf. Wir sprechen erst einmal zusammen. S - u, su, s - i, si, s - ei, sei. Nun du allein." 76
Berti versucht es. „Siehst du, das war schon besser. Gleich noch einmal und noch einmal." Berti liest immer wieder. Auf einmal ruft Andreas: „Ja, fein! Du kannst es!" Berti schaut auf. Seine Augen strahlen. „Soll ich es noch mal lesen?" Andreas nickt. „Su si sei lei se, Li sa Le o le sen." Andreas hört aufmerksam und zufrieden zu. Da schlägt die Uhr: eins-, zwei-, drei-, vier-, fünfmal. „Fünf Uhr. Ich muß jetzt gehn, Reni abholen." Berti packt flink seine Sachen zusammen. „Auf Wiedersehn, Andreas", sagt er fröhlich. „Auf Wiedersehn, ihm nach.
Berti",
ruft Andreas 77
Am nächsten Tag meldet sich Berti in der Schule zum Lesen. Wie gut er es auf einmal kann! Alle Kinder staunen. „Das war sehr schön", lobt Frau Neumann. „ H a t jemand mit dir geübt?" „Ja, Andreas", antwortet Berti. „Bravo, Andreas. Du hast wie ein Pionier gehandelt", sagt die Lehrerin. Alle schauen auf Andreas. Der wird feuerrot und senkt den Kopf. Aber ihm ist leicht und froh zumut. Er hat seinem Freund geholfen. In der Pause umringen die Kinder Andreas und Berti. Alle gucken Andreas freundlich an; und Renate erzählt gleich den Schülern aus der zweiten, was sich in ihrer Klasse ereignet hat. „Ich hab's ja gewußt, Andreas ist in Ord78
nung", sagt Cordula und boxt ihn in die Seite. Andreas läßt es sich gern gefallen und lacht dazu. So kommt der Geburtstag des Pionierverbandes heran. Andreas ist mit den anderen Kindern in der Molkerei gewesen. Er hat mit ihnen Futter für die Vögel, für die Rehe und Hasen gesammelt. Er hat Berti geholfen. Er ist ein richtiger Pionier. Nun wird er das blaue Tuch bekommen. Es ist ein schöner Tag. Die Sonne scheint auf frisch gefallenen Schnee. Berge und Hänge, Bäume und Häuser, alles glitzert, als habe man es dick mit Zucker bestreut. Und schulfrei ist auch. Hinter dem Birkenhain, wo der große 80
W a l d anfängt, haben die Kinder aus der ersten und zweiten Klasse mit Inge eine Tanne für die Tiere geschmückt. O b e n im Wipfel hängen die Leckerbissen für die Vögel. Unten, auf den großen breiten Zweigen, ist der Tisch für Wildschwein, Reh und Hase gedeckt. Bittschön, ihr Freunde aus dem Wald, kommt nun und laßt es euch schmecken! Alle Plätze sind noch frei. Auch in der Aula sind noch alle Plätze frei. Aber schon beginnt oben am Berg das Rodelrennen. Und es dauert nicht lange, da brausen die ersten Schlitten heran. Schnell füllt sich das Haus, und ein fröhliches Fest hebt an. Täterätätätä . . . beginnen die Fanfaren. Die Kapelle der Thälmann-Pioniere spielt auf. Die Jungpioniere tanzen den Stolzen Hahn, und der Kasper erzählt von den 82
Abenteuern und guten Taten der Pioniere im Dorf. Doch Andreas hält es kaum noch aus vor Ungeduld.
Endlich ist es soweit: Inge legt auch Andreas das blaue Tuch um den Hals. Stolz steigt er von der Bühne herab. Stolz reiht er sich mit Berti, Cordula und Renate ein zum Laternenzug durch das Dorf. Stolz sagt er immer zu sich selbst: Mutti und Vati werden sich freuen. Nun bin ich wirklich schon groß — ein Schüler und ein Pionier.
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