004 - Märchen Von Großen Und Kleinen Tieren

August 27, 2017 | Author: gottesvieh | Category: Gray Wolf, Nature
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Band 4 Märchen von großen und kleinen Tieren (mehrere Autoren) Ohne Altersangabe 4. Auflage 1963 Illustrationen von Bernhard Nast © Der Kinderbuchverlag Berlin Inhalt: diverse Volksmärchen und Volkssagen

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DER HASE UND DER IGEL Diese Geschichte ist lügenhaft zu erzählen, Jungens, aber wahr ist sie doch, denn mein Großvater, von dem ich sie habe und der sie mir mit großem Behagen erzählte, pflegte immer dabei zu sagen: „Wahr muß sie doch sein, meine Söhne, sonst könnte man sie ja nicht erzählen.“ Die Geschichte hat sich aber so zugetragen: Es war an einem Sonntagmorgen zur Herbsteszeit, just als der Buchweizen blühte; die Sonne war hell am Himmel aufgegangen, der Morgenwind ging warm über die Stoppeln, die Lerchen sangen in der Luft, die Bienen summten im Buchweizen, und die Leute gingen in ihrem Sonntagsstaat in die Kirche, und alles war vergnügt und der Swinegel auch. Der Swinegel aber stand vor seiner Tür, hatte die Arme untergeschlagen, guckte 5

dabei in den Morgenwind hinaus und brummelte ein Liedchen vor sich hin, so gut und so schlecht, wie nun eben am lieben Sonntagmorgen ein Swinegel zu singen pflegt. Indem er nun noch so halblaut vor sich hin sang, fiel ihm auf einmal ein, er könnte auch wohl, solang seine Frau die Kinder wäscht und anzieht, ein bißchen ins Feld spazieren und nachsehen, wie seine Steckrüben stünden. Die Steckrüben waren die nächsten bei seinem Haus, und er pflegte immer mit seiner Familie davon zu essen, darum sah er sie als die seinigen an. Gesagt, getan. Der Swinegel machte die Haustür hinter sich zu und schlug den Weg zum Felde ein. Er war noch gar nicht weit vom Hause und wollte just um den Schlehbusch, der da vorm Felde liegt, zum Steckrübenacker hinübergehen, als ihm der Hase begeg-

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nete, der in ähnlichen Geschäften ausgegangen war, nämlich um seinen Kohl zu besehen. Als der Swinegel den Hasen zu Gesicht bekam, da bot er ihm einen freundlichen guten Morgen. Der Hase aber, der auf seine Weise ein vornehmer Herr war und grausam hochmütig dabei, antwortete nichts auf den Swinegel seinen Gruß, sondern sagte zum Swinegel, wobei er eine gewaltig höhnische Miene annahm: „Wie kommt es denn, daß du hier schon so früh am Morgen im Felde herumläufst?“ „Ich gehe spazieren“, sagte der Swinegel. „Spazieren?“ fragte der Hase lachend. „Mir deucht, du könntest die Beine auch wohl zu besseren Dingen gebrauchen!“ Diese Antwort verdroß den Swinegel ungeheuer, denn alles konnte er vertragen, aber auf seine Beine ließ er nichts

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kommen, eben weil sie von Natur schief waren. „Du bildest dir wohl ein“, sagte nun der Swinegel zum Hasen, „daß du mit deinen Beinen mehr ausrichten kannst?“ „Das denke ich“, sagte der Hase. „Das kommt auf einen Versuch an“, meinte der Swinegel. „Ich setze drauf, wenn wir um die Wette laufen, dann überhole ich dich.“ „Das ist ja zum Lachen, du mit deinen schiefen Beinen“, sagte der Hase, „aber meinetwegen mag es sein, wenn du so übergroße Lust hast. Was gilt die Wette?“ „Einen goldenen Taler und ‘ne Flasche Branntwein“, sagte der Swinegel. „Angenommen“, sprach der Hase, „schlag ein, und dann kann’s gleich losgehn.“ „Nee, so große Eile hat es nicht“, meinte der Swinegel, „ich bin noch ganz nüch-

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tern. Erst will ich nach Hause und ein bißchen frühstücken. In einer halben Stunde bin ich wieder hier auf dem Platz.“ Damit ging der Swinegel, denn der Hase war es zufrieden. Unterwegs dachte der Swinegel bei sich: Der Hase verläßt sich auf seine langen Beine, aber ich will ihn wohl kriegen. Er ist zwar ein vornehmer Herr, aber man doch ein dummer Kerl, und bezahlen soll er doch. Als nun der Swinegel zu Hause ankam, sprach er zu seiner Frau: „Frau, zieh dich schnell an, du mußt mit mir zum Felde hinaus.“ „Was gibt es denn?“ sagte seine Frau. „Ich habe mit dem Hasen gewettet um einen goldenen Taler und ‘ne Flasche Branntwein, ich will mit ihm um die Wette laufen, und da sollst du mit dabeisein.“ Oh, mein Gott, Mann“, fing da nun dem Swinegel seine Frau an zu schreien, „bist du nicht klug, hast du denn ganz den Ver-

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stand verloren? Wie kannst du mit dem Hasen um die Wette laufen wollen?“ „Halt das Maul, Weib“, sagte der Swinegel, „das ist meine Sache. Kümmere dich nicht um Männergeschäfte. Marsch, zieh dich an und dann komm mit.“ Was sollte dem Swinegel seine Frau machen? Sie mußte wohl folgen, sie mochte nun wollen oder nicht. Als sie miteinander unterwegs waren, sprach der Swinegel zu seiner Frau: „Nun paß auf, was ich sagen will! Siehst du, auf dem langen Acker da wollen wir unseren Wettlauf machen. Der Hase läuft nämlich in der einen Furche und ich in der andern, und von oben fangen wir an- zu laufen. Nun hast du weiter nichts zu tun, als du stellst dich hier unten in die Furche, und wenn der Hase auf der anderen Seite ankommt, so rufst du ihm entgegen: Ich bin all hier.“ Damit waren sie bei dem

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Acker angelangt, der Swinegel wies seiner Frau ihren Platz an und ging nun den Acker hinauf. Als er oben ankam, war der Hase schon da. „Kann es losgehen?“ sagte der Hase. „Jawohl“, sagte der Swinegel. „Dann man zu!“ Und damit stellte sich jeder in seine Furche. Der Hase zählte „eins, zwei, drei“, und los ging er wie ein Sturmwind den Acker hinab. Der Swinegel aber lief man ungefähr drei Schritt, dann duckte er sich in die Furche und blieb ruhig sitzen. Als nun der Hase in vollem Lauf unten am Acker ankam, da rief ihm dem Swinegel seine Frau entgegen: „Ich bin all hier!“ Der Hase stutzte und verwunderte sich nicht wenig; er meinte nicht anders, als es wäre der Swinegel selbst, der ihm das zurief, denn bekanntlich sieht dem Swinegel seine Frau geradeso aus wie ihr Mann.

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Der Hase aber meinte: „Das geht nicht mit rechten Dingen zu.“ Er rief: „Noch mal gelaufen. Wieder rum!“ Und los ging er wieder wie ein Sturmwind, daß ihm die Ohren am Kopfe flogen. Dem Swinegel seine Frau aber blieb ruhig auf ihrem Platz. Als nun der Hase oben ankam, rief ihm der Swinegel entgegen: „Ich bin all hier!“ Der Hase aber, ganz außer sich vor Ärger, schrie: „Noch mal gelaufen. Wieder rum!“ „Macht mir nix“, antwortete der Swinegel, „meinetwegen so oft du Lust hast.“ So lief der Hase noch dreiundsiebenzigmal, und der Swinegel hielt es immer mit ihm aus. Jedesmal, wenn der Hase unten oder oben ankam, sagten der Swinegel oder seine Frau: „Ich bin all hier.“ Beim vierundsiebenzigstenmal aber kam der Hase nicht mehr zu Ende. Mitten auf dem Acker stürzte er auf die Erde und

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blieb da liegen. Der Swinegel aber nahm seinen gewonnenen Taler und seine Flasche Branntwein, rief seine Frau aus der Furche heraus, und beide gingen vergnügt miteinander nach Hause, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch. So kam es, daß auf der Buxtehuder Heide der Swinegel seinen Wettlauf mit dem Hasen gewonnen hat, und seit jener Zeit hat es sich kein Hase wieder einfallen lassen, mit einem Buxtehuder Swinegel um die Wette zu laufen. Die Lehre aber aus dieser Geschichte ist erstens, daß keiner, und wenn er sich auch noch so vornehm dünkt, sich soll einfallen lassen, sich über einen einfachen Mann lustig zu machen, und wäre es auch nur ein Swinegel. Und zweitens, daß es das beste ist, wenn einer heiratet, daß er sich eine Frau nimmt, die just so aussieht wie er selbst. Wer also ein Swinegel ist,

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der muß zusehen, daß seine Frau auch ein Swinegel ist und so weiter. BRÜDER GRIMM

DER FUCHS UND DER STORCH Es geschah einmal, daß sich der Storch und der Fuchs begegneten. Der Fuchs sah den Storch von oben bis unten an und rief: „Armer Storch, du hast offenbar nur zwei Beinen“ Der Storch blickte den Fuchs an – der hatte eins, zwei, drei, vier Pfoten! Vor Staunen sperrte er den Schnabel weit auf. „Oh!“ rief der Fuchs. „O du armer Storch, du hast ja keinen einzigen Zahn! Ich aber habe zweiundvierzig Zähne, hundert Gehirne, vier Beine, zwei Ohren und einen wunderschönen Schwanz.“

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Der Storch war tief betroffen. Vor Kummer zog er seinen langen Hals noch mehr in die Länge, und als er sich umsah, erblickte er ganz hinten in der Ferne einen Menschen. „Oh, verehrter Fuchs, ein Jäger kommt!“ Da klemmte der Fuchs den Schwanz ein und war – husch! – im Dachsbau verschwunden. Der Storch folgte ihm. Der Jäger aber hatte es gemerkt, kam an das Erdloch heran und fing schnell an zu graben. „O Fuchs, großer Fuchs!“ wimmerte der Storch. „Der Jäger dringt vor! Ihr habt vier Beine, zweiundvierzig Zähne und hundert Gehirne, überlegt doch, wie wir uns retten können!“ „Überlege selbst! Mir sind vor Schreck nur noch fünfzig Gehirne geblieben.“ Der Jäger kam immer näher ... „O Fuchs, teurer Fuchs! Ihr habt vier Beine

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und fünfzig Gehirne – sagt schnell, wie wir uns retten können!“ „Überlege selbst. Meine Gehirne sind in alle Winde zerstoben.“ Da grub der Jäger den Gang frei, packte den Storch bei seinen langen Beinen und zog ihn heraus. Dem Storch wurden vor Schreck die Flügel, lahm, sie hingen ganz schlapp, die Augen waren glasig, und das Herz schlug nicht mehr. „Wird wohl im Bau erstickt sein“, dachte der Jäger und warf den Storch beiseite. Und wie er weitergrub, kam plötzlich ein buschiger Schwanz zum Vorschein, und dies er schöne buschige Schwanz zitterte und bebte ... Der Jäger packte den Schwanz, zog den Fuchs heraus, tötete ihn, zog ihm das Fell ab und steckte es in seine lederne Jagdtasche.

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Wenn ich erst zu Hause bin, dachte er, nähe ich mir aus den Pfoten eine Mütze, den Schwanz binde ich an den Peitschenstiel, und der Pelz vom Rücken gibt einen schönen Kragen. Den Storch werde ich auch mitnehmen. Da haben die Hunde etwas Leckeres. Doch als sich der Jäger umdrehte, war der Storch schon weg. Hoch in den Lüften flog er dahin, mit keinem Pfeil erreichbar. So endete der Fuchs, der zwei Ohren, vier Beine, zweiundvierzig Zähne und hundert Gehirne besessen hatte. Der Storch aber hatte nur sein eines Gehirn angestrengt und war doch darauf gekommen, wie man sich retten kann. ALTAISCHES MÄRCHEN

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DER RAT DES ESELS Zwei Zugochsen kamen einmal, ganz erschöpft von des Tages Arbeit, in ihren Stall zurück. Dort fanden sie den Esel, der knabberte frisches Heu aus der Krippe und wedelte zufrieden mit dem Schwanz. „Guten Abend, Bruder!“ sprach der eine Ochse. „Wie geht’s?“ „Ausgezeichnet!“ erwiderte der Esel. „Ja, du bist ein glücklicher Esel“, fuhr der Ochse neidisch fort und seufzte, „und ich bin ein unglücklicher Ochse.“ „Warum?“ fragte der Esel. „Weil ich unter einem Unglücksstern geboren bin. Den ganzen Tag schleppe ich den Pflug, und abends muß ich den Wagen, den Pflug und den Herrn obendrein nach Hause ins Dorf ziehen.“ „Wenn du dich nicht so schinden willst“, sprach der Esel, „dann stelle dich doch

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krank. Leg dich auf die Erde und stöhne ein bißchen, dann wird dich der Herr morgen nicht einspannen.“ Der Herr stand aber hinter der Tür und hörte das Gespräch zwischen dem Ochsen und dem Esel. Er sagte nichts, lächelte nur und schüttelte den Kopf. Am anderen Tag verfuhr der Ochse so, wie der Esel ihm geraten hatte. Er warf sich zu Boden und fing an zu stöhnen. Da trat der Herr in den Stall, nickte bedauernd und sprach: „Mein guter Ochse ist krank geworden. Da kann man nichts machen. Ich werde an seiner Statt den Esel einspannen.“ Und er spitzte seinen hölzernen Treibstachel an. Den ganzen Tag zog der schlaue Esel den Pflug und stolperte über die Furchen. Am Abend kam er mit hängenden Ohren in den Stall zurück. Der kranke Ochse lag da und kaute.

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„Ich danke dir, Bruder“ sprach er zu dem Esel. „Du bist mein Retter. Das kann ich dir sagen: Jetzt stelle ich mich mein ganzes Leben lang krank!“ „Das wirst du nicht mehr lange tun können l“ rief der Esel wütend. „Warum?“ „Weil ich heute hörte, wie der Herr zu seinem Nachbarn sagte: Mein Ochse ist schwerkrank. Wenn er morgen nicht wieder aufsteht, muß ich ihn zum Schlächter führen, daß er ihn absticht!“‘ Der Ochse erschrak. Die ganze Nacht tat er kein Auge zu. Und am nächsten Morgen stand er auf, bevor die ersten Hähne krähten. BULGARISCHES MÄRCHEN

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DER MÄUSERICH ALS FREIER Einst wurde ein Mäuserich so vom Hochmut geplagt, daß er sich nicht mehr innerhalb seiner Verwandtschaft und seinesgleichen eine Frau suchen wollte. Er sagte, er wolle überhaupt keine nehmen, wenn er nicht eine ganz nach seinem Wunsche fände. Um die Tochter des mächtigsten Wesens wollte der Mäuserich anhalten. Er ging also zur Sonne, weil sie das höchste Wesen und im Sommer sehr heiß und mächtig ist. Er bat sie um ihre Tochter, denn höher hinaus wüßte er nichts mehr. Die Sonne sagte, er solle weitergehen, dann würde er einen Stärkeren finden: die Wolke. Die Sonne könne nicht scheinen, wenn die Wolke vor ihr liege. Der Mäuserich kam zur Wolke und sagte, er halte sie für so gewaltig, daß er sie um ihre Tochter bitten wolle. Die Wolke 24

aber forderte ihn auf, weiterzugehen. Sie meinte, es gäbe einen Mächtigeren als sie, das sei der Wind. Wohlgemerkt, denn wenn der wehe, so zerteile er sie. „Ich werde zu ihm gehen“, sagte der Mäuserich, „du magst deine Tochter für dich behalten.“ Er ging also zum Wind. Er erzählte ihm, wie die Wolke ihn geschickt habe, und wie sie ihn belehrt habe, daß der Wind das gewaltigste Wesen sei. Wenn er blase, dann zerteile und zerstöre er alles. Deshalb wolle er seine Tochter zur Frau nehmen. Der Wind erwiderte: „Du hast dich getäuscht, hier erhältst du keine Frau. Denn es gibt einen Stärkeren als mich, der mir oft Ärger bereitet. Das ist ein großer Turm aus Stein, der alle Zeit fest und ganz ist, nie werde ich ihn zerbrechen können. Er stößt mich so zurück, daß ich keine Lust mehr habe, ihn umzublasen.“

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Der Mäuserich antwortete: „Von deiner Tochter will ich nun nichts mehr wissen. Ich muß die Frau des mächtigsten Wesens erhalten, ich gehe zum großen Turm.“ Er ging also zu ihm und bat um seine Tochter. Der Turm schaute ihn an und sprach: „Du bist fehlgegangen. Wer dich herschickte, wollte dich verspotten. Du wirst einen Stärkeren finden als mich, dem ich nicht widerstehen kann.“ „Wer ist denn das?“ fragte der Mäuserich. „Das ist“, erwiderte der Turm, „die Maus. Sie hat unter mir ihr Nest. Es gibt keinen Mörtel, der so stark wäre, daß sie ihn nicht durchbräche. Sie gräbt unter mir und frißt sich durch mich hindurch. Es gibt nichts, das sie aufhalten könnte.“ „Was? Ei, ei!“ sagte der Mäuserich. „Das sind ja seltsame Neuigkeiten! Die Maus ist ja meine Verwandte. Ich dachte hoch

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zu steigen und muß doch zu meiner Art zurückkehren.“ „Das ist gut so. Geh heim und lerne, daß es dumm ist, hochmütig zu sein und andere zu verachten. Du wirst nie eine Frau finden, die besser zu dir paßt, als eine kleine Maus.“ FRANZÖSISCHES MÄRCHEN

DER WOLF UND DER MENSCH

Der Fuchs erzählte einmal dem Wolf von der Stärke des Menschen, kein Tier könnte ihm widerstehen, und sie müßten List gebrauchen, um sich vor ihm zu erhalten. Da antwortete der Wolf: „Wenn ich nur einmal einen Menschen zusehen bekäme, ich wollte doch auf ihn losgehen.“

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„Dazu kann ich dir helfen“, sprach der Fuchs, „komm nur morgen früh zu mir, so will ich dir einen zeigen.“ Der Wolf stellte sich frühzeitig ein, und der Fuchs brachte ihn hinaus auf den Weg, den der Jäger alle Tage ging. Zuerst kam ein alter abgedankter Soldat. „Ist das ein Mensch?“ fragte der Wolf. „Nein“, antwortete der Fuchs, „das ist einer gewesen.“ Danach kam ein kleiner Knabe, der zur Schule wollte. „Ist das ein Mensch?“ „Nein, das will erst einer werden.“ Endlich kam der Jäger, die Doppelflinte auf dem Rücken und den Hirschfänger an der Seite. Sprach der Fuchs zum Wolf: „Siehst du, dort kommt ein Mensch, auf den mußt du losgehen, ich aber will mich fort in meine Höhle machen.“ Der Wolf ging nun auf den Menschen los;

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der Jäger, als er ihn erblickte, sprach: „Es ist schade, daß ich keine Kugel geladen habe“, legte an und schoß dem Wolf das Schrot ins Gesicht. Der Wolf verzog das Gesicht gewaltig, doch ließ er sich nicht schrecken und ging vorwärts; da gab ihm der Jäger die zweite Ladung. Der Wolf verbiß den Schmerz und rückte dem Jäger zu Leibe; da zog dieser seinen blanken Hirschfänger und gab ihm links und rechts ein paar Hiebe, daß er über und über blutend mit Geheul zu dem Fuchs zurücklief. „Nun, Bruder Wolf“, sprach der Fuchs, „wie bist du mit dem Menschen fertig geworden?“ „Ach“, antwortete der Wolf, „so habe ich mir die Stärke des Menschen nicht vorgestellt; erst nahm er einen Stock von der Schulter und blies hinein; da flog mir etwas ins Gesicht, das hat mich ganz

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entsetzlich gekitzelt; danach pustete er noch einmal in den Stock, da flog mir’s um die Nase wie Blitz und Hagelwetter, und wie ich ganz nah war, da zog er eine blanke Rippe aus dem Leib, damit hat er so auf mich losgeschlagen, daß ich beinah tot wäre liegengeblieben.“ „Siehst du“, sprach der Fuchs, „was du für ein Prahlhans bist; du wirfst das Beil so weit, daß du’s nicht wiederholen kannst.“ BRÜDER GRIMM

DAS HÄSCHEN UND DER BRUNNEN

In einem fernen Land litten die Tiere großen Durst, denn die Sonne hatte alles Wasser im Wald ausgetrocknet. Da berieten sie sich und sagten: „Wir wollen einen Brunnen graben, aus dem wir trinken können.“ 32

Alle Tiere waren einverstanden. Nur das Häschen schrie: „Ich kann nicht graben, ich bin zu klein, und meine Pfoten sind zu schwach. Aber ich will auch aus dem Brunnen trinken.“ Damit waren die Tiere nicht einverstanden. „Du kannst schon helfen, wenn du willst.“ „Nein“, sagte das Häschen, „ich will nicht.“ Und dabei blieb es. Die Tiere arbeiteten und gruben einen Brunnen. Der Elefant, der Löwe, die Gazelle und alle anderen halfen. Sogar die Vögel pickten mit den Schnäbeln in die Erde und trugen kleine Steine hinweg. Das Häschen jedoch sah zu, oder es schlief, und es sagte: „Nein, ich kann nicht und will nicht helfen. Ich bin viel zu klein.“ Da wurden die anderen Tiere recht ärgerlich, und als der Brunnen fertig war,

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tranken sie alle von dem kühlen, klaren Wasser. Dem Häschen gaben sie nichts. „Ich werde schon noch Wasser bekommen“, sagte das Häschen und setzte sich neben den Brunnen. „Ach, was bist du nur für ein Häschen“, sagte die sanfte Giraffe. „Helfen willst du nicht, und bitten kannst du nicht. Was soll das einmal werden.“ „Wir sind noch viel kleiner und haben doch auch mit geholfen“, meinten die Vögel. Und der Löwe bestimmte: „Das Häschen bekommt aus unserem Brunnen kein Wasser. Der Leopard bleibt heute nacht hier und bewacht den Brunnen.“ So geschah es. Das Häschen ging in den Wald und legte sich schlafen. Doch der Durst quälte es sehr, und es konnte nicht einschlafen. Der Morgen kam, und die Tiere tranken

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am Brunnen. Das Häschen litt großen Durst, aber es sprach nicht davon. Am Abend saß die Giraffe neben dem Brunnen und paßte auf. Ich werde die Giraffe bitten, dachte das Häschen. Es ging zur Giraffe und bat um Wasser. Aber die Giraffe sah das Häschen traurig an und sagte: „Warum hast du dich nicht früher besonnen? Warum hast du nicht geholfen? Warum warst du so trotzig? Nun hat der Löwe verboten, dir von dem Wasser zu geben.“ Das Häschen weinte und bat vergebens. Auch am nächsten Tage gaben die Tiere dem Häschen nichts von dem Wasser, so leid es ihnen tat. Der Elefant mußte am Abend die Wache übernehmen. Doch weil er am Tage viele Baumstämme geschleppt hatte, war er müde. Er lag neben dem Brunnen, und die Augen fielen ihm zu.

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„Der Elefant ist immer lieb“, sagte das Häschen zu sich selbst, „ich werde ihn wecken. Sicherlich läßt er mich aus dem Brunnen trinken.“ „Elefant!“ rief es. „Lieber Elefant!“ Aber der Elefant schnarchte laut und hörte nicht. Ich werde ihn am Ohr zupfen, dann wacht er bestimmt auf, dachte das Häschen. Und es zupfte den Elefanten am Ohr. „Laß das! Laß das!“ trompetete der Elefant und stand schnell auf. Dabei stieß er an einen großen Stein. Der große Stein rollte in den Brunnen und viele kleine Steine hinterdrein. „Welch ein Unglück!“ jammerte der Elefant. „Was fangen wir jetzt an?“ „Mach dir keine Sorgen“, rief das Häschen. „Wir beide holen die Steine aus dem Wasser schon wieder heraus.“ „Bist du denn nicht zu klein, und sind

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deine Pfoten nicht zu schwach?“ fragte der Elefant. „Nein, nein“, rief das Häschen eifrig. „Du wirst sehen, wie stark ich bin.“ Sie begannen die Steine herauszulesen. Der Elefant die großen und das Häschen die kleinen. Sie arbeiteten die ganze lange Nacht. Als die Sonne aufging und die Tiere zum Brunnen kamen, war der Brunnen sauber, und die Tiere konnten trinken. Der Elefant erzählte allen, wie fleißig das Häschen gewesen war, und der Löwe erlaubte dem Häschen, von nun an aus dem Brunnen zu trinken. Das Häschen trank und trank, dann setzte es sich zufrieden neben den Brunnen und rieb seine Barthaare trocken. NACH AFRIKANISCHEN MÄRCHEN

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DER GEFRÄSSIGE KATER KOTOFEI In der kleinen Hütte am Waldesrand lebten einmal ein alter Mann und eine alte Frau. Sie hatten keine Kuh, kein Schweinchen und keine Hühner. Aber einen Kater hatten sie, den diebischen Kater Kotofei. Der war gefräßig und ein richtiger Spitzbube. Bald leckte er von der sauren Sahne, bald naschte er Butter, bald trank er Milch. Er aß sich satt und trank sich voll, legte sich in eine Ecke, strich mit der Pfote über sein Bäuchlein und machte „Miau, miauch! Wie leer ist mein Bauch! Möcht Plinsen versuchen und Butterkuchen!“ Der Alte hatte lange Zeit Geduld mit ihm; aber endlich hielt er es nicht mehr aus. Er nahm den Kater, trug ihn in den Wald und setzte ihn dort ab. „Kater Kotofei, nun leb, wie dir’s paßt, und geh, wohin du willst!“

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Der Kater Kotofei grub sich im Moos ein, deckte sich mit dem Schwanz zu und schlief ein wenig. Der Tag verging. Da hatte der Kater das Verlangen, etwas zu essen. Aber im Walde gab’s keinen sauren Rahm, keine Milch, keine Plinsen, keinen Kuchen. Wie schrecklich war das! Ach ja, so ein kleines Katerchen – und ein leeres Bäuchlein! Er ging durch den Wald, krümmte den Rücken wie einen Bogen, hob den Schwanz steil wie einen Schornstein und trug den Schnurrbart wie eine Bürste. Da begegnete ihm Reineke Fuchs. „Wer bist du denn? Aus welcher Gegend kommst du nur? Du mit deinem Rücken, krumm wie ein Bogen, deinem Schwanz, steil wie ein Schornstein, und dem Schnurrbart wie eine Bürste!“ Aber der Kater krümmte den Rücken noch mehr, fauchte ein um das andere Mal und sträubte den Schnurrbart.

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„Wer ich bin? Aus den sibirischen Wäldern stamme ich – ich, der Kater Kotofei.“ „Nun, mein lieber Kotofei, ich, das Füchslein, lade dich ein.“ „Ja, gern“, sagte der Kater. Das Füchslein führte ihn zum Eingang seines Baues, zu seinem Schloß, und bewirtete ihn gleich. Er gab ihm Wildbret, Schinken und zwei Spatzen. Aber der Kater sagte: „Miau, miauch, wie leer ist mein Bauch! Möcht Plinsen versuchen und Butterkuchen!“ Da sagte der Fuchs zu ihm: „Kater Kotofei, wie soll ich dich denn satt kriegen, wenn du so gefräßig und wählerisch bist? Da muß ich mal zu den Nachbarn gehen, damit sie mir aushelfen!“ So ging der Fuchs durch den Wald. Sein Pelz war seidig, sein Schwanz war golden und sein Auge feurig. Ach, so ein schönes Füchslein!

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Da begegnete ihm der Wolf. „Guten Morgen, Gevatter Fuchs, wo läufst du denn hin? Weshalb so eilig, so geschäftig?“ „Ach, frag nicht, halt mich nicht auf, Gevatter Wolf, ich hab keine Zeit.“ Darauf fragte der Wolf: „Sag, Gevatter, woran fehlt’s denn? Vielleicht kann ich helfen?“ „Ach, Gevatter Wolf, zu mir kam ein liebes Brüderchen aus fernem Land, aus den sibirischen Wäldern – Kotofei heißt es.“ „Na, Gevatter, kann man sich das mal ansehen?“ „Gewiß, großer Wolf, du graues Ungetüm; aber es ist sehr böse. Geh nicht ohne ein Geschenk zu ihm. Es wird dir sonst das Fell abziehn.“ „Da werd ich ihm einen Hammel heranschleppen, Gevatter!“ „Ach, ein Hammel ist ihm ja zuwenig. Aber schön! Ich werd ein gutes Wort für

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dich einlegen, vielleicht kommt es zu dir heraus.“ Und der Fuchs rannte weiter. Sein Fell war seidig, sein Schwanz war golden, das Auge feurig. Ach, so ein schönes Füchslein! Da begegnete ihm der Bär Michail. „Guten Tag, Füchslein, guten Tag, Gevatter! Wo rennst du denn hin? Warum so eilig, so geschäftig?“ „Ach, frag mich nicht, halt mich nicht auf, Michail, ich hab keine Zeit.“ „Sag, Gevatter, woran fehlt’s denn, vielleicht kann ich helfen?“ „Ach, Michail, es kam ein liebes Brüderchen aus fernem Land zu mir, aus den sibirischen Wäldern – Kotofei heißt es.“ „Nun, Gevatter, kann man sich das einmal ansehen?“ „Ach, lieber Michail, der Kater Kotofei ist sehr böse. Wer ihm nicht gefällt, den frißt

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er gleich. Geh nicht ohne ein Geschenk zu ihm!“ „Ich werde ihm einen Ochsen bringen!“ „Na ja! Nur leg den Ochsen unter die Fichte, Michail. Setz dich selber auf den Baum und brumme nicht. Sitz ganz still, sonst frißt er dich.“ Das Füchslein wedelte mit dem Schwanz und lief davon. Am nächsten Tage schleppten der Wolf und der Bär ihre Geschenke zum Fuchsbau, einen Hammel und einen Ochsen. Sie legten sie, unter die Fichte und gerieten sogleich in Streit. „Geh, du großer, graugeschwänzter Wolf! Ruf den Fuchs und seinen Bruder!“ sagte der Bär, der aus lauter Angst vor dem Kater zitterte. Darauf sagte der Wolf: „Nein, Michail, geh lieber selbst! Bist ja viel dicker. Dich zu fressen ist schwerer!“

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Einer verkroch sich hinter dem andern, keiner wollte gehen. Plötzlich rannte – wer weiß, woher – ein kleiner Hase vorbei, ein Stummelschwänz chen, und der Bär rief „Halt!“ Das Häschen blieb stehen. Es bebte, klapperte mit den Zähnen und zitterte mit dem Schwänzchen. „Geh mal zum Reineke Fuchs, du Stummelschwänzchen! Sag ihm, daß wir ihn und seinen Bruder erwarten.“ Und der Hase ging. Der große Wolf winselte und bebte. „Michail, ich bin klein, verstecke mich!“ Der Bär versteckte ihn schnell im Gesträuch. Und er selber kletterte auf die Fichte, ganz oben auf den Wipfel. Da öffnete der Fuchs plötzlich die Tür, trat auf die Schwelle und rief: „Versammelt euch, Tiere des Waldes, kleine und große! Sehet her, wer aus den sibirischen Wäl-

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dern gekommen ist: der Kater Kotofei!“ Nun kam der Kater Kotofei heraus, den Rücken krumm wie ein Bogen, den Schwanz steil wie ein Schornstein, den Schnurrbart wie eine Bürste. Der Bär erblickte ihn und rief dem Wolf zu: „Pfui, welch kleines, ekelhaftes Tierchen!“ Als der Kater das Fleisch erblickte, sprang er darauf los und fraß es auf. „Miau, miauch, wie leer ist mein Bauch! Möcht Plinsen versuchen und Butterkuchen!“ Der Bär zitterte vor Angst. „O weh! So klein und so stark! So stark und so gefräßig! Ein Ochse ist ihm zuwenig! Wenn er nur mich nicht frißt.“ Und er zitterte vor Angst, daß die ganze Fichte wackelte. Nun wollte auch der Wolf einen Blick auf das Wundertier werfen. Er bewegte sich leise unter den Blättern.

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Der Kater aber dachte: Da hat sich doch eine Maus versteckt! Wie er da losstürzte, und wie er sprang! Die Krallen streckte er heraus und kratzte dem Wolf die Nase auf! Und – heidi – riß der Wolf aus. Der Kater sah den Wolf, erschrak schrecklich und sprang auf die Fichte. Immer höher kletterte er hinauf. Und auf der Fichte saß der Bär. Oje, dachte der, den Wolf hat er gefressen, jetzt holt er mich. Ihm wurde ganz schwach, er stürzte vom Baum, zerschlug sich die Seite und lief, was er konnte, davon. Der Fuchs aber wedelte mit dem Schwanz und rief ihm nach: „Hier, der wird’s euch geben, der wird euch fressen! Lauft nur! Wartet’s nur ab!“ Von da ab fürchteten alle Tiere den Kater und brachten ihm Tribut: der eine Wildbret, der andere Schinken, der dritte Pfannkuchen und wieder ein anderer

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Butterkuchen. Sie schleppten alles herbei, legten es unter die Fichte und machten sich davon. Ach, da begann ein gutes Leben für den grauen Kater, für den Bruder des Fuchses aus den sibirischen Wäldern, für Kater Kotofei, mit einem Rücken, krumm wie ein Bogen, einem Schwanz, steil wie ein Schornstein, und einem Schnurrbart wie eine Bürste. Das ist die ganze Geschichte, und weiter weiß ich euch nichts zu erzählen. RUSSISCHES MÄRCHEN

DIE KLUGE MEISE UND DER FUCHS

Der Fuchs hatte lange nichts gefressen und kam heißhungrig an einen Baum, wo eine Meise ihr Nest hatte. „Gib deine Jungen her!“ rief er der alten Meise zu. 50

„Sonst schlage ich mit meinem Schwanz den Baum um und fresse dich!“ Die Meise erschrak sehr und konnte lange kein Wort sprechen. Endlich, als sie sich erholt hatte, sagte sie: „Aber, lieber Fuchs, lasse mir meine Jungen, sie sind ja so winzig klein, daß du an ihnen deinen Hunger nicht stillen kannst. Willst du mir folgen, so verschaffe ich dir reichlich Speise.“ „Laß sehen!“ meinte der Fuchs. Die Meise flog nun an die Landstraße, und der Fuchs folgte ihr von weitem. Da saßen zwei Frauen, die hatten neben sich Körbe mit Backwerk. Die Meise flog in die Nähe und hüpfte hin und her, als ob sie nicht recht fliegen könne. Die Frauen bekamen Lust, das kleine Vöglein zu fangen, um ihren Kindern damit eine Freude zu machen. Sie standen auf und liefen ihm nach, um es zu erhaschen, aber die Meise hüpfte immer weiter fort. Der

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Fuchs schlich indessen zu den Körben hin, fraß alles; was darinnen war, und wurde satt. Als das die Meise gesehen hatte, hob sie sich hoch in die Luft und flog zu ihrem Nest. Die beiden Frauen machten lange Gesichter, und als sie ihre Körbe umgeworfen und leer fanden, da ärgerten sie sich erst recht über ihre Torheit. Der Fuchs aber kam zum Baum und rief der Meise zu: „Hoho! Du bist noch nicht frei, schaffe mir nun auch zu trinken!“ „So folge mir!“ sprach die Meise und flog wieder auf die Landstraße. Da fuhr eben ein Mann und hatte auf dem Wagen ein Faß voll Wein. Die Meise setzte sich auf das Faß und fing an zu picken. Der Mann schlug nach ihr mit der. Geißel. Sie huschte schnell weg, aber gleich war sie wieder da. Da ward der Fuhrmann zornig, nahm seine Axt und wollte sie totschlagen. Er zielte, aber die

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Meise entkam, und er hatte das Faß eingeschlagen, daß der Wein zu Boden strömte. Als der Wagen weitergefahren war, schlich der Fuchs heran und soff sich voll. „Bist du jetzt zufrieden?“ fragte die Meise. „Hoho! Noch nicht!“ rief der Fuchs. „Jetzt will ich einmal lachen!“ „So folge mir!“ sprach die Meise zum Fuchs, und sie flog zu einer Tenne. Der Fuchs schlich heran und kroch auf den Hahnenbalken. Da droschen zwei ungarische Drescher, ein junger und ein alter mit einem Kahlkopf. Die Meise setzte sich dem Alten auf die Glatze. Vergebens griff und schlug er nach ihr. Flink huschte sie weg, und als er aufs neue anfing zu dreschen, saß sie ihm wieder auf der Glatze. Da ward der Alte ärgerlich und rief seinem jungen Kameraden zu:

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„Schlag zu, Stephan!“ Der schlug mit dem Dreschflegel nach der Meise, aber sie entkam glücklich, und er traf den Alten auf die Glatze, daß der gleich eine Beule hatte. Da lachte der Fuchs oben auf dem Hahnenbalken so gewaltig, daß er sich nicht mehr halten konnte. Er plumpste hinab in die Tenne, und der Bursche, nicht faul, klopfte ihm mit dem Dreschflegel den Pelz aus, daß ihm das Lachen verging. Nur mit knapper Not rettete er sein Leben. Die Meise aber flog vergnügt zu ihrem Nest. SIEBENBÜRGISCHES MÄRCHEN

DIE BREMER STADTMUSIKANTEN Es hatte ein Mann einen Esel, der schon lange Jahre die Säcke unverdrossen zur Mühle getragen hatte, dessen Kräfte aber

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nun zu Ende gingen, so daß er zur Arbeit immer untauglicher ward. Da dachte der Herr daran, ihn aus dem Futter zu schaffen, aber der Esel merkte, daß kein guter Wind wehte, lief fort und machte sich auf den Weg nach Bremen: Dort, meinte er, könnte er Stadtmusikant werden. Als er ein Weilchen fortgegangen war, fand er einen Jagdhund auf dem Wege liegen, der jappte wie einer, der sich müde gelaufen hat. „Nun, was jappst du so, Packan?“ fragte der Esel. „Ach“, sagte der Hund, „weil ich alt bin und jeden Tag schwächer werde, auch auf der Jagd nicht mehr fort kann, hat mich mein Herr wollen totschlagen, da hab ich Reißaus genommen; aber womit soll ich nun mein Brot verdienen?“ „Weißt du was“, sprach der Esel, „ich gehe nach Bremen und werde dort Stadt-

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musikant, geh mit und laß dich auch bei der Musik annehmen. Ich spiele die Laute, und du schlägst die Pauken.“ Der Hund war’s zufrieden, und sie gingen weiter. Es dauerte nicht lange, so saß da eine Katze an dem Weg und machte ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter. „Nun, was ist dir in die Quere gekommen, alter Bartputzer?“ sprach der Esel. „Wer kann da lustig sein, wenn’s einem an den Kragen, geht?“ antwortete die Katze. „Weil ich nun zu Jahren komme, meine Zähne stumpf werden und ich lieber hinter dem Ofen sitze und spinne als nach Mäusen herumjage, hat mich meine Frau ersäufen wollen; ich, habe mich zwar noch fortgemacht, aber nun ist guter Rat teuer: Wo soll ich hin?“ „Geh mit uns nach Bremen, du verstehst dich doch auf die Nachtmusik, da kannst du ein Stadtmusikant werden.“

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Die Katze hielt das für gut und ging mit. Darauf kamen die drei Landesflüchtigen an einem Hof vorbei, da saß auf dem Tor der Haushahn und schrie aus Leibeskräften. „Du schreist einem durch Mark und Bein“, sprach der Esel, „was hast du vor?“ „Da hab ich gut Wetter prophezeit“, sagte der Hahn, „aber weil morgen zum Feiertag Gäste kommen, so hat die Hausfrau kein Erbarmen und hat der Köchin gesagt, sie wollte mich morgen in der Suppe essen, und da soll ich mir heut abend den Kopf abschneiden lassen. Nun schrei ich aus vollem Hals, solang ich noch kann.“ „Ei was, du Rotkopf“, sagte der Esel, „zieh lieber mit uns fort, wir gehen nach Bremen, etwas Besseres als den Tod findest du überall; du hast eine gute Stimme, und wenn wir zusammen musizieren, so muß es eine Art haben.“ Der

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Hahn ließ sich den Vorschlag gefallen, und sie gingen alle vier zusammen fort. Sie konnten aber die Stadt Bremen in einem Tag nicht erreichen und kamen abends in einen Wald, wo sie übernachten wollten. Der Esel und der Hund legten sich unter einen großen Baum, die Katze und der Hahn machten sich in die Äste, der Hahn aber flog bis in die Spitze, wo es am sichersten für ihn war. Ehe er einschlief, sah er sich noch einmal nach allen vier Winden um, da deuchte ihn, er sähe in der Ferne ein Fünkchen brennen, und rief seinen Gesellen zu, es müßte nicht gar weit ein Haus sein, es scheine ein Licht. Sprach der Esel: „So müssen wir uns aufmachen und noch hingehen, denn hier ist die Herberge schlecht.“ Der Hund meinte, ein paar Knochen und etwas Fleisch dran täten ihm auch gut. Also machten sie sich auf den Weg nach

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der Gegend, wo das Licht war, und sahen es bald heller schimmern, und es ward immer größer, bis sie vor ein hellerleuchtetes Räuberhaus kamen. Der Esel, als der Größte, näherte sich dem Fenster und schaute hinein. „Was siehst du, Grauschimmel?“ fragte der Hahn. „Was ich sehe?“ antwortete der Esel. „Einen gedeckten Tisch mit schönem Essen und Trinken, und Räuber sitzen daran und lassen sich’s wohl sein.“ „Das wäre was für uns“, sprach der Hahn. „Ja, ja, ach, wären’ wir da!“ sagte der Esel. Da ratschlagten die Tiere, wie sie es anfangen müßten, um die Räuber hinauszujagen, und fanden endlich ein Mittel. Der Esel mußte sich mit den Vorderfüßen auf das Fenster stellen, der Hund auf des Esels Rücken springen, die Katze auf den

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Hund klettern, und endlich flog der Hahn hinauf und setzte sich der Katze auf den Kopf. Wie das geschehen war, fingen sie auf ein Zeichen insgesamt an, ihre Musik zu machen. Der Esel schrie, der Hund bellte, die Katze miaute, und der Hahn krähte; dann stürzten sie durch das Fenster in die Stube hinein, daß die Scheiben klirrten. Die Räuber fuhren bei dem entsetzlichen Geschrei in die Höhe, meinten nichts anderes, als ein Gespenst käm herein, und flohen in größter Furcht in den Wald hinaus. Nun setzten sich die vier Gesellen an den Tisch, nahmen mit dem vorlieb, was übergebliebene war, und aßen, als wenn sie vier Wochen hungern sollten. Wie die vier Spielleute fertig waren, löschten sie das Licht aus und suchten sich eine Schlafstätte, jeder nach seiner Natur und Bequemlichkeit. Der Esel legte sich

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auf den Mist, der Hund hinter die Türe, die Katze auf den Herd bei der warmen Asche, und der Hahn setzte sich auf den Hahnenbalken. Und weil sie müde waren von ihrem langen Weg, schliefen sie auch bald ein. Als Mitternacht vorbei war und die Räuber von weitem sahen, daß kein Licht mehr im Hause brannte, auch alles ruhig schien, sprach der Hauptmann: „Wir hätten uns doch nicht sollen ins Bockshorn jagen lassen“, und ließ einen hingehen und das Haus untersuchen. Der Abgeschickte fand alles still, ging in die Küche, ein Licht anzuzünden, und weil er die glühenden, feurigen Augen der Katze für lebendige Kohlen ansah, hielt er ein Schwefelhölz chen daran, daß es Feuer fangen sollte. Aber die Katze verstand keinen Spaß, sprang ihm ins Gesicht, spie und kratzte. Da erschrak er gewaltig, lief und wollte

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zur Hintertür hinaus, aber der Hund, der da lag, sprang auf und biß ihn ins Bein; und als er über den Hof an dem Mist vorbeirannte, gab ihm der Esel noch einen tüchtigen Schlag mit dem, Hinterfuß; der Hahn aber, der vom Lärmen aus dem Schlaf geweckt und munter geworden war, rief vom Balken herab „Kikeriki“. Da lief der Räuber, was er konnte, zu seinem Hauptmann zurück und sprach: „Ach, in dem Haus sitzt eine greuliche Hexe, die hat mich angehaucht und mit ihren langen Fingern mir das Gesicht zerkratzt; und vor der Tür steht ein Mann mit einem Messer, der hat mich ins Bein gestochen; und auf dem Hof liegt ein schwarzes Ungetüm, das hat mit einer Holzkeule auf mich losgeschlagen; und oben auf dem Dache, da sitzt der Richter, der rief: ‚Bringt mir den Schelm her.’ Da machte ich, daß ich fortkam.“

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Von nun an getrauten sich die Räuber nicht weiter in das Haus, den vier Bremer Stadtmusikanten gefiel’s aber so wohl darin, daß sie nicht wieder heraus wollten. Und der das zuletzt erzählt hat, dem ist der Mund noch warm. BRÜDER GRIMM

DIE SCHAFE UND DER HUND

Einst verschworen sich die Schafe, zogen zu ihrem Herrn, dem Hirten, und begannen vor seiner Hütte zu blöken. Der Hirt kam heraus und fragte: „Was gibt es?“ „Herr“, entgegnete der älteste Schafbock und trat vor, „wir sind gekommen, um uns zu beschweren.“ „Laßt hören; ich will sehen, was ich tun kann.“ 64

„Du bist nicht gerecht zu der Herde, Herr. Wir geben dir Milch, von der Milch machst du Käse, den verkaufst du und verdienst schönes Geld damit. Mit unserer Wolle kleidest du deine ganze Familie. Jedes Schaf wirft dir im Winter ein Lamm und vergrößert die Herde. Von Jahr zu Jahr wirst du reicher, doch an uns denkst du nicht. Des Morgens treibst du uns auf die Alm und sagst: ‚Los, freßt Gras!’ Deinen Hund aber behandelst du wie ein rohes Ei. Wenn es Tag wird, gibst du ihm eine dicke Scheibe Brot und abends Brot und Käse. Womit hat der Hund dein Wohlwollen verdient? Gibt er dir Wolle oder Milch? Oder gebiert er dir Lämmer? Wir sind gekommen, dir zu sagen, daß wir von jetzt an kein Gras mehr fressen wollen, sondern auch Brot von dir haben möchten. Wenn du unserer Bitte nicht nachgibst, machen wir einen Aufstand.

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Wir werden den Stall anzünden und nach allen Seiten auseinanderlaufen. Jage den Hund davon und gib uns das Brot!“ „Gut“, sagte der Hirte, verjagte den Hund und schob zwanzig Brote für die Schafe in den Ofen. Den ganzen Tag fraßen die Schafe Brot und gingen nicht auf die Weide. Doch in der Nacht, als sie alle schliefen, kam plötzlich der Wolf. Er schlich um den Schafstall herum, und als er merkte, daß kein Hund da war, setzte er mit einem Sprung über den Zaun. Da rannte der alte Schafbock zur Hütte und weckte den Hirten. „Herr“, rief er, „wir sind verloren! Wo ist der Hund?“ „Ihr wolltet doch, daß ich ihn davonjage, und ich habe auf euch gehört.“ „Ach Herr, folge nie wieder unserem Schafsverstand“, sprach der Hammel. Da bemerkte der treue Hund, der noch

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in der Nähe war, den Wolf und stürzte sich auf ihn. Er warf ihn sofort zu Boden, und mit knapper Not konnte der wilde Wolf seine Haut retten. Von dem Tage an waren die Schafe und der Hund treue Freunde. BULGARISCHES MÄRCHEN

DER KRANKE SPATZ

Der Spatz hatte sich über seine Frau geärgert. Er lag im Nest, aß nicht, trank nicht und sprach mit niemandem ein Wort. Den Nachbarn wurde es langweilig ohne den Spatzen. Kam der Hahn. „Tuk, tuk, tuk! Gevatterin, ist der Spatz zu Hause? „Zu Hause ist er, liegt aber krank!“ sagte die Spätzin. „Was tut ihm denn weh?“

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„Das Kehlchen.“ „Da müßt Ihr zur Tenne fliegen, ein Haferkorn holen. Ein Brei von Mehle wärmt ihm die Kehle.“ „Hab ihn gewärmt, Gevatterchen, hab ja schon. Die Wärme hilft ihm nicht, bringt neue Schmerzen.“ Flog die Krächze-Krähe herbei. „Gevatterin, ist der Spatz zu Hause?“ „Zu Hause schon, doch er ist krank.“ Was tut ihm denn weh?“ „Im Rücken sitzt es, nagt und schmerzt!“ „Lauft doch zum Gemüsegarten. Geht Wermutblätter pflücken, wärmt ihm damit den Rücken!“ „Hab ihn gewärmt, Gevatterin, hab ja schon. Das ist ihm nicht bekommen, jetzt tut ihm auch noch die Seite weh!“ Kam das Rebhühnchen. „Gevatterin, ist der Spatz zu Haus?“ „Zu Hause schon, doch er ist krank.“

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„Was tut ihm denn weh?“ „Die Ferschen.“ „Geht doch zum Gemüsegarten, Gevatterin, wo Pfefferminze wächst. Die Pfefferminze mußt Ihr brühn, dann wärmt ihm damit die Ferschen!“ „Hab sie gewärmt, Gevatterin, hab ja schon. Die Wärme hilft nicht, bringt neue Schmerzen.“ Da bekam es der Spatz über, böse zu sein, und auch das Wärmen hatte er satt. Also spazierte der Spatz hinaus aufs Dach, setzte sich ganz oben hin und schrie: „Ich bin ganz munter, tschieb, tschieb, bin mit allem zufrieden, piep, piep. Der Spatz ist nicht krank, dem Spatzen geht’s gut.“ RUSSISCHES MÄRCHEN

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KRATZEFUSS Es waren einmal drei Bären, die lebten auf einem Schloß in einem großen Wald. Der eine von ihnen war ein großer breiter Bär, und einer war ein mittlerer Bär, und einer war ein kleiner Bär. Und im selben Walde wohnte ein Fuchs, er hieß Kratzefuß. Kratzefuß hatte große Angst vor den Bären, aber trotzdem hätte er doch gern einmal recht viel von ihnen erfahren. Eines Tages, als er durch den, Wald lief, kam er ganz nah an das Bärenschloß, er war neugierig und wollte gern hinein. Er sah sich nach allen Seiten um, aber niemand war zu sehen. So schlich er sich leise heran, bis er schließlich an die Pforte des Schlosses kam. Die Tür war nicht verschlos sen, und er öffnete sie einen kleinen Spalt, steckte seine Nase durch und lugte hinein. Die Bären waren aber nicht zu sehen. So

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ötfnete er die Tür ein wenig mehr und steckte eine Pfote hinein und dann noch eine und noch eine und noch eine, und da stand er nun in dem Bärenschloß. Er merkte, er war in einem großen Saal mit drei Stühlen – einem großen, einem mittleren und einem kleinen Stuhl. Da er müde war, wollte er sich ausruhen. So setzte er sich in den großen Stuhl. Aber er fand ihn so hart und unbequem, daß ihm die Knochen weh taten, und er hüpfte hinunter und setzte sich in den mittleren Stuhl. Er drehte und wendete sich darin und konnte sich’s doch nicht gemütlich einrichten. So ging er zu dem kleinen Stuhl und setzte sich hinein, und dieser war so weich und warm und behaglich, daß Kratzefuß ganz glücklich war. Aber auf einmal brach der Stuhl unter ihm zusammen, und er konnte ihn nicht wieder ganz machen. So stand er auf und sah sich überall um.

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Auf einem Tisch bemerkte er drei Teller, von denen der eine sehr groß, der andere mittelgroß und der letzte ganz klein war. Kratzefuß hatte Durst und begann aus dem großen Teller zu trinken. Aber er kostete die Milch in dem großen Teller nur; denn sie war so sauer, daß er keinen Tropfen mehr davon lecken wollte. Dann versuchte er es mit dem mittleren Teller und trank ein bißchen davon. Aber es schmeckte ihm nicht gut. So ließ er ihn stehen und ging zu dem kleinen Teller. Und die Milch in dem kleinen Teller war so süß und herrlich, daß er immer weitertrank, bis sie alle war. Dann dachte Kratzefuß bei sich, daß er gern einmal die Treppe hinaufgehen möchte. Er lauschte, aber niemand kam. Flugs lief er nach oben, und er fand ein großes Zimmer mit drei Betten. Das eine war ein großes Bett, das andere ein mitt-

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leres Bett und das dritte ein kleines weiches Bett. Er kletterte in das große Bett, aber es war so hart und klumpig und unbequem, daß er gleich wieder hinuntersprang und das mittlere Bett probierte. Das war schon etwas besser, aber er konnte sich’s auch da nicht gemütlich machen. Nachdem er sich ein Weilchen hin- und hergedreht hatte, stand er auf und legte sich in das kleine Bett. Das war so weich und warm und mollig, daß er gleich ganz fest einschlief. Nach einiger Zeit kamen die Bären nach Haus, und als sie den Saal betraten, ging der große Bär an seinen Stuhl und sagte: „Wer hat in meinem Stuhl gesessen?“ Und der mittlere Bär sagte: „Wer hat in meinem Stuhl gesessen?“ Und der kleine Bär sagte: „Wer hat in meinem Stuhl gesessen und ihn in tausend Stücke zerbrochen?“

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Und dann wollten sie ihre Milch trinken, und der große Bär sagte: „Wer hat von meiner Milch getrunken?“ Und der mittlere Bär sagte: „Wer hat von meiner Milch getrunken?“ Und der kleine Bär sagte: „Wer hat von meiner Milch getrunken und sie ganz aus geschleckt?“ Dann gingen sie nach oben in den Schlafraum, und der große Bär sagte: „Wer hat in meinem Bett geschlafen?“ Und der mittlere Bär sagte: „Wer hat in meinem Bett, geschlafen?“ Und der kleine Bär sagte: „Wer hat in meinem Bett geschlafen – doch sieh, da ist er!“ Die Bären kamen angelaufen. Der große Bär sagte: „Wir wollen ihn aufhängen!“ Der mittlere Bär sagte: „Wir wollen ihn ersäufen!“

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Und der kleine Bär sagte: „Wir wollen ihn aus dem Fenster werfen!“ So trugen ihn die Bären ans Fenster, und der große Bär packte zwei Beine an der einen Seite, und der mittlere Bär zwei Beine an der andern Seite, und dann schwangen sie ihn hin und her, hin und her und raus aus dem Fenster. Der arme Kratzefuß war so erschrocken, er glaubte, er hätte sich alle Knochen gebrochen. Aber er stand wieder auf und schüttelte erst das eine Bein – nein, das war nicht gebrochen, und dann das andere, das war auch noch ganz heil, und dann das dritte und vierte. Schließlich wedelte er mit dem Schwanze und fand, daß keine Knochen gebrochen waren. So sauste er, so schnell er nur konnte, nach Haus und kam nie wieder dem Bärenschloß zu nahe. ENGLISCHES MÄRCHEN

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DAS LUMPENGESINDEL Hähnchen sprach zum Hühnchen: „Jetzt ist die Zeit, wo die Nüsse reif werden, da wollen wir zusammen auf den Berg gehen und uns einmal recht satt essen, ehe sie das Eichhörnchen alle wegholt.“ „Ja, antwortete das Hühnchen, „komm, wir wollen uns eine Lust miteinander machen.“ Da gingen sie zusammen fort auf dein Berg, und weil es ein heller Tag war, blieben sie bis zum Abend. Nun weiß ich nicht, ob sie sich so dick gegessen hatten, oder ob sie übermütig geworden waren, kurz, sie wollten nicht zu Fuß nach Haus gehen, und das Hähnchen mußte einen kleinen Wagen von Nußschalen bauen. Als er fertig war, setzte sich Hühnchen hinein und sagte zum Hähnchen: „Du kannst dich nur immer vorspannen.“

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„Du kommst mir recht“, sagte das Hähnchen, „lieber geh ich zu Fuß nach Haus, als daß ich mich vorspannen lasse; nein, so haben wir nicht gewettet. Kutscher will ich wohl sein und auf dem Bock sitzen, aber selbst ziehen, das tu ich nicht.“ Wie sie so stritten, schnatterte eine Ente daher: „Ihr Diebsvolk, wer hat euch geheißen, in meinen Nußberg gehen? Wartet, das soll euch schlecht bekommen!“ Ging also mit aufgesperrtem Schnabel auf das Hähnchen los. Aber Hähnchen war auch nicht faul und stieg der Ente tüchtig zu Leib, endlich hackte es mit seinen Sporen so gewaltig auf sie los, daß sie um Gnade bat und sich gern zur Strafe vor den Wagen spannen ließ. Hähnchen setzte sich nun auf den Bock und war Kutscher, und darauf ging es fort in einem Jagen. „Ente, lauf zu, was du kannst!“ Als sie ein Stück Weges gefahren waren,

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begegneten sie zwei Fußgängern: einer Stecknadel und einer Nähnadel. Sie riefen: „Halt! Halt!“ und sagten, es würde gleich stichdunkel werden, da könnten sie keinen Schritt weiter, auch wäre es so schmutzig auf der Straße, ob sie nicht ein wenig einsitzen könnten; sie wären auf der Schneiderherberge vor dem Tor gewesen und hätten sich beim Bier verspätet. Hähnchen, da es magere Leute waren, die nicht viel Platz einnahmen, ließ sie beide einsteigen, doch mußten sie versprechen, ihm und seinem Hühnchen nicht auf die Füße zu treten. Spätabends kamen sie zu einem Wirtshaus, und weil sie die Nacht nicht weiterfahren wollten, die Ente auch nicht gut zu Fuß war und von einer Seite auf die andere fiel, so kehrten sie ein. Der Wirt machte anfangs viel Einwendungen, sein Haus wäre schon voll, gedachte auch

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wohl, es möchte keine vornehme Herrschaft sein, endlich aber, da sie süße Reden führten, er sollte das Ei haben, welches das Hühnchen unterwegs gelegt hatte, auch die Ente behalten, die alle Tage eins legte, so sagte er endlich, sie möchten die Nacht über bleiben. Nun ließen sie wieder frisch auftragen und lebten in Saus und Braus. Frühmorgens, als es dämmerte und noch alles schlief, weckte Hähnchen das Hühnchen, holte das Ei, pickte es auf, und sie verzehrten es zusammen; die Schalen aber warfen sie auf den Feuerherd. Dann gingen sie zu der Nähnadel, packten sie beim Kopf und steckten sie in das Sesselkissen des Wirts, die Stecknadel aber in sein Handtuch, endlich flogen sie, mir nichts, dir nichts, über die Heide davon. Die Ente, die gern unter freiem Himmel schlief und im Hof geblieben war, hörte

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sie fortschnurren, machte sich munter und fand einen Bach, auf dem sie hinabschwamm; und das ging geschwinder als vor dem Wagen. Ein paar Stunden später machte sich erst der Wirt aus den Federn, wusch sich und wollte sich am Handtuch abtrocknen, da fuhr ihm die Stecknadel über das Gesicht und machte ihm einen roten Strich von einem Ohr zum anderen; dann ging er in die Küche und wollte sich eine Pfeife anstecken; als er aber an den Herd kam, sprangen ihm die Eierschalen in die Augen. „Heute morgen will mir alles an meinen Kopf“, sagte er und ließ sich verdrießlich auf seinen Großvaterstuhl nieder; aber geschwind fuhr er wieder in die Höhe und schrie „Auweh!“, denn die Nähnadel hatte ihn noch schlimmer, und nicht in den Kopf, gestochen. Nun war er vollends böse und hatte Verdacht auf die

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Gäste, die so spät gestern erbend gekommen waren; und wie er ging und sich nach ihnen umsah, waren sie fort. Da tat er einen Schwur, kein Lumpengesindel mehr in sein Haus zu nehmen, das viel verzehrt, nichts bezahlt und zum Dank noch obendrein Schabernack treibt. BRÜDER GRIMM

DAS REBHUHN UND DER FAULE

Ein Rebhuhn hatte sich im Feld eines faulen Bauern sein Nest gebaut. Es legte Eier hinein und brütete drei kleine Rebhühnchen aus. Die Jungen wuchsen und wurden immer größer. Bald verließen sie das Nest und öffneten die Flügelchen, aber sie konnten nicht fliegen, weil sie noch

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nicht kräftig genüg waren. Der Sommer färbte das Feld gelb. Schon verloren die schweren Ähren ihre Körner. Da kam eines Morgens der Bauer auf das Feld, betrachtete den Reichtum und kratzte sich den Nacken. „Es ist Zeit, die Frucht einzubringen. Morgen werde ich meine Freunde rufen, daß wir mähen. Später, wenn ich meinen Weizen verkauft habe, werde ich sie dafür bezahlen.“ Ein Rebhuhnjunges, das gerade in der Nähe war, hörte die Worte des Bauern, lief zu seiner Mutter und rief: „Mama, wir müssen sofort fliehen, denn der Bauer will seine Freunde rufen. Morgen wird das Feld abgemäht!. Unser Nest ist verloren!“ „Habt keine Angst, Kinder gackerte das Rebhuhn. „Wir werden nicht eher von hier weggehen, bis der Bauer sich selbst an die Arbeit macht und sein Feld abmäht. Solange er auf andere wartet,

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die ihm die Arbeit machen sollen, könnt ihr ganz ruhig sein.“ Am anderen Tage erschien der Besitzer des Feldes abermals und kratzte sich wieder den Hals. „Meine Freunde sind nicht gekommen, aber ich will meine Verwandten rufen, daß sie mir den Weizen mähen.“ Das Rebhuhn sagte wieder: „Auch diesmal, Kinder, seid nur ruhig.“ Nach drei Tagen erschien der faule Bauer ärgerlich und drohte: „Zum Donner, niemand kommt und mäht mein Feld ab! Ich werde es einfach anzünden, soll werden was will.“ Als das Rebhuhn diese Drohung hörte, flatterte es auf und rief seinen Kindern zu: „Lauft, Kinder, was ihr laufen könnt, denn dieser faule Mensch ist imstande und tut es wirklich! BULGARISCHES MÄRCHEN

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DER GEIZIGE FROSCH Es war einmal ein Frosch. Der verließ eines Tages sein Heim, den runden See, und ging – hopp, hopp! – spazieren. Hopp, hopp – und fand plötzlich den Rückweg nicht mehr. Zu allem Elend geriet er auch noch auf einen Ameisenweg. Zu Dutzenden krabbelten ihm die Ameisen auf den Rücken, zu Hunderten bissen sie ihm in den Bauch. „O weh!“ weinte der Frosch. „Ach, schämt ihr euch denn nicht, einen Verirrten zu beißen, das Blut eines Hungernden zu saugen?“ Die Ameisen schämten sich sehr. Sie verneigten sich tief vor ihm und sprachen „Verehrtester Frosch! Bitte, seid unser Gast und kommt unsere Speisen kosten und unseren Met trinken.“ Der Frosch sagte zu. Was er gegessen

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hat – das weiß er nicht mehr. Worüber er bei Tisch geredet hat – das hat er selbst nicht verstanden. Worauf er geschlafen hat – das weiß er auch nicht, so viel Met hatte er getrunken. Er war ganz und gar betrunken. Als er am nächsten Morgen erwachte, bat er eine Ameise: „Sei so gut, klettre auf eine Lärche und schau nach, wo mein See liegt.“ Die Ameise kletterte auf den Baum und sagte: „Dort drüben, im Westen, blinkt der See. Wenn Ihr wollt, zeige ich Euch den kürzesten Weg.“ „Ach, wie gut du bist!“ Der Frosch freute sich. „Komm, komm, ich werde dich dafür köstlich bewirten.“ „Nein“, antwortete die Ameise, „ich will nicht allein bewirtet werden. Wir alle zusammen hatten Euch gestern zu Speis und Trank geladen. Wenn Ihr wollt, ladet

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heute uns alle zusammen ein. Wir halten immer zusammen, wir arbeiten zusammen, wir feiern auch zusammen.“ Der Frosch war einverstanden und lud alle Ameisen zu sich ein. Da hüpfte er nun – hopp, hopp! – und die Ameisen strömten in Scharen hinter ihm her. So kamen sie an den See. Hier sagte der Frosch: „Ihr Ameisen, wartet auf mich, ich lasse sofort das Mahl zubereiten“, dann plumpste er ins Wasser. Die Ameisen warteten einen Tag, sie warteten zwei Tage, der Frosch aber kam nicht wieder. Am siebenten Tag wurde die Ameisenmutter böse. „Ehe das Froschmahl kommt, kann man ja vor Hunger sterben!“ rief sie, schnallte den Gürtel enger und ging nach Hause. Und alle Ameisen schnallten ihre Gürtel enger und zogen hinter ihr her.

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Seit dieser Zeit haben die Ameisen das Bäuchlein ganz eng geschnürt. Das kommt daher, weil sie sich immer noch nicht herausgefuttert haben. OIROTISCHES MÄRCHEN

DER WOLF UND DIE SIEBEN JUNGEN GEISSLEIN

Es war einmal eine alte Geiß, die hatte sieben junge Geißlein und hatte sie lieb, wie eine Mutter ihre Kinder liebhat. Eines Tages wollte sie in den Wald gehen und Futter holen, da rief sie alle sieben herbei und sprach: „Liebe Kinder, ich will hinaus in den Wald, seid auf eurer Hut vor dem Wolf, wenn er hereinkommt, so frißt er euch alle mit Haut und Haaren. Der Bösewicht verstellt sich oft, aber an seiner

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rauhen Stimme und an seinen schwarzen Füßen werdet ihr ihn gleich erkennen.“ Die Geißlein sagten: „Liebe Mutter, wir wollen uns schon in acht nehmen, Ihr könnt ohne Sorge fortgehen.“ Da meckerte die Alte und machte sich getrost auf den Weg. Es dauerte nicht lange, so klopfte jemand an die Haustür und rief: „Macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat jedem von euch etwas mitgebracht.“ Aber die Geißerchen hörten an der rauhen Stimme, daß es der Wolf war. „Wir machen nicht auf“, riefen sie, „du bist unsere Mutter nicht, die hat eine feine und liebliche Stimme, aber deine Stimme ist rauh; du bist der Wolf.“ Da ging der Wolf fort zu einem Krämer und kaufte sich ein großes Stück Kreide; die aß er und machte seine Stimme fein. Dann kam er zurück, klopfte an die Haus -

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tür und rief: „Macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat jedem von euch etwas mitgebracht.“ Aber der Wolf hatte seine schwarze Pfote in das Fenster gelegt, das sahen die Kinder und riefen: „Wir machen nicht auf, unsere Mutter hat keinen schwarzen Fuß wie du: Du bist der Wolf.“ Da lief der Wolf zu einem Bäcker und sprach: „Ich habe mich an den Fuß gestoßen, streich mir Teig darüber.“ Und als ihm der Bäcker die Pfote bestrichen hatte, so lief er zum Müller und sprach: „Streu mir weißes Mehl auf meine Pfote.“ Der Müller dachte, der Wolf will einen betrügen, und weigerte sich, aber der Wolf sprach: „Wenn du es nicht tust, so fresse ich dich.“ Da fürchtete sich der Müller und machte ihm die Pfote weiß. Ja, das sind Menschen. Nun ging der Bösewicht zum dritten Male

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an die Haustüre, klopfte an und sprach: „Macht mir auf, Kinder, euer liebes Mütterchen ist heimgekommen und hat jedem von euch etwas aus dem Walde mitgebracht.“ Die Geißerchen riefen: „Zeig uns erst deine Pfote, damit wir wissen, daß du unser liebes Mütterchen bist.“ Da legte er die Pfote ins Fenster, und als sie sahen, daß sie weiß war, so glaubten sie, es wäre alles wahr, was er sagte, und machten die Türe auf. Wer aber hereinkam, das war der Wolf. Sie erschraken und wollten sich verstecken. Das eine sprang unter den Tisch, das zweite ins Bett, das dritte in den Ofen, das vierte in die Küche, das fünfte in den Schrank, das sechste unter die Waschschüssel, das siebente in den Kasten der Wanduhr. Aber der Wolf fand sie alle und machte nicht langes Federlesen: Eins nach dem

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anderen schluckte er in seinen Rachen; nur das jüngste in dem Uhrkasten, das fand er nicht. Als der Wolf seine Lust gebüßt hatte, trollte er sich fort, legte sich draußen auf der grünen Wiese unter einen Baum und fing an zu schlafen. Nicht lange danach kam die alte Geiß aus dem Walde wieder heim. Ach, was mußte sie da erblicken! Die Haustüre stand sperrweit auf: Tisch, Stühle und Bänke waren umgeworfen, die Waschschüssel lag in Scherben. Decke und Kissen waren aus dem Bett gezogen. Sie suchte ihre Kinder, aber nirgends waren sie zu finden. Sie rief sie nacheinander beim Namen, aber niemand antwortete. Endlich, als sie an das Jüngste kam, da rief eine feine Stimme: „Liebe Mutter, ich stecke im Uhrkasten.“ Sie holte es heraus, und es er zählte ihr, daß der Wolf gekommen wäre und die anderen alle gefressen hätte. Da

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könnt ihr euch denken, wie sie über ihre armen Kinder geweint hat. Endlich ging sie in ihrem Jammer hinaus, und das jüngste Geißlein lief mit. Als sie auf die Wiese kamen, so lag da der Wolf an dem Baum und schnarchte, daß die Äste zitterten. Sie betrachtete ihn von allen Seiten und sah, daß in seinem angefüllten Bauch sich etwas regte und zappelte. Ach Gott, dachte sie, sollten meine armen Kinder, die er zum Abendbrot hinuntergewürgt hat, noch am Leben sein? Da mußte das Geißlein nach Hause laufen und Schere, Nadel und Zwirn holen. Dann schnitt sie dem Ungetüm den Wanst auf, und kaum hatte sie einen Schnitt getan, so streckte schon ein Geißlein den Kopf heraus, und als sie weiter schnitt, so sprangen nacheinander alle sechse heraus und waren noch alle am Leben und

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hatten nicht einmal Schaden gelitten, denn das Ungetüm hatte sie in der Gier ganz hinuntergeschluckt. Das war eine Freude! Da herzten sie ihre liebe Mutter und hüpften wie ein Schneider, der Hochzeit hält. Die Alte aber sagte: „Jetzt geht und sucht Wackersteine, damit wollen wir dem bösen Tier den Bauch füllen, solange es noch im Schlafe liegt.“ Da schleppten die sieben Geißerchen in aller Eile die Steine herbei und steckten sie ihm in den Bauch, soviel sie hineinbringen konnten. Dann nähte ihn die Alte in aller Geschwindigkeit wieder zu, daß er nichts merkte und sich nicht einmal regte. Als der Wolf endlich ausgeschlafen hatte, machte er sich auf die Beine, und weil ihm die Steine im Magen so großen Durst erregten, so wollte er zu einem Brunnen gehen und trinken. Als er aber anfing zu

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gehen und sich hin- und herzubewegen, so stießen die Steine in seinem Bauch aneinander und rappelten. Da rief er: „Was rumpelt und pumpelt in meinem Bauch herum? Ich meinte, es wären sechs Geißlein, so sind’s lauter Wackerstein.“ Und als er an den Brunnen kam und sich über das Wasser bückte und trinken wollte, da zogen ihn die schweren Steine hinein. Als die sieben kleinen Geißlein das sahen, kamen sie herbeigelaufen, riefen laut: „Der Wolf ist tot! Der Wolf ist tot!“ und tanzten mit ihrer Mutter vor Freude um den Brunnen herum. BRÜDER GRIMM

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Inhaltsverzeichnis DER HASE UND DER IGEL DER FUCHS UND DER STORCH DER RAT DES ESELS DER MÄUSERICH ALS FREIER DER WOLF UND DER MENSCH DAS HÄSCHEN UND DER BRUNNEN DER GEFRÄSSIGE KATER KOTOFEI DIE KLUGE MEISE UND DER FUCHS DIE BREMER STADTMUSIKANTEN DIE SCHAFE UND DER HUND DER KRANKE SPATZ KRATZEFUSS DAS LUMPENGESINDEL DAS REBHUHN UND DER FAULE DER GEIZIGE FROSCH DER WOLF UND DIE SIEBEN JUNGEN GEISSLEIN

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